OGH 8Ob71/23h

OGH8Ob71/23h15.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* M*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 13.500 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 17. Mai 2023, GZ 1 R 37/23a‑33, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 17. Jänner 2023, GZ 45 Cg 13/21g‑28, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00071.23H.0215.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird in seinen Punkten II.1. und II.4. sowie der Kostenentscheidung aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 26. 8. 2011 von einem Händler einen Neuwagen Audi Q5 2.0 TDI quattro um 45.000 EUR. Die Erstzulassung erfolgte am 2. 12. 2011.

[2] In diesem Fahrzeug ist ein Dieselmotor vom Typ EA 189 der Abgasklasse Euro 5 verbaut. Die Beklagte ist Herstellerin dieses Motors, der mit einer Abschalteinrichtung des Abgasrückführungssystems (Umschaltlogik mit Erkennung des Prüfstandsbetriebs) ausgestattet war. Für diesen Motor erteilte das deutsche Kraftfahrtbundesamt (KBA) eine EG‑Typengenehmigung, weil die Beklagte die Umschaltlogik nicht offengelegt hatte. Nach entsprechenden Untersuchungen wertete das KBA die Umschaltlogik als nach der VO (EG) Nr 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung. Die Beklagte entwickelte daraufhin eine technische Maßnahme (Software‑Update), mit der die Umschaltlogik eliminiert, aber ein Thermofenster implementiert wird. Diese vom KBA freigegebene Maßnahme wurde beim Klagsfahrzeug am 12. 12. 2016 durchgeführt.

[3] Der Kläger ging damals und bis Sommer 2022 davon aus, dass das Fahrzeug nach dem Update in Ordnung sein würde. Er fühlte sich aber betrogen, weil er es nicht erworben hätte, wenn er gewusst hätte, dass es im Kaufzeitpunkt nicht den Normen entsprach. Er ist bis zum Schluss der Verhandlung rund 88.000 km damit gefahren.

[4] Das streitgegenständliche Fahrzeug hält nach dem Software‑Update die Grenzwerte beim NEFZ‑Testverfahren ein, aber nicht den überwiegenden Teil des Jahres in Betrieb bei der in Österreich durchschnittlichen Umgebungstemperatur, dies wegen des Thermofensters.

[5] Nach der allgemeinen Lebenserfahrung hätte zum Verkaufszeitpunkt ein durchschnittlicher Autokäufer das Klagsfahrzeug samt Zusage des Software‑Updates anstelle eines völlig gleichen, aber von vornherein verordnungskonformen Fahrzeugs nur um rund 10 % billiger erwerben wollen.

[6] Die am 8. 2. 2021 eingebrachte Klage wird auf Schutzgesetzverletzung, §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB und § 1 Abs 1 UWG sowie Garantie gestützt. Der Kläger brachte vor, er habe um diesen Betrag zu viel für das Fahrzeug bezahlt. Durch das Software‑Update sei der Mangel nicht behoben worden. Die Beklagte habe durch das sittenwidrige und arglistige Verhalten ihrer Repräsentanten und Übergabe einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung den nachteiligen Vertragsschluss herbeigeführt.

[7] Die Repräsentanten der Beklagten hätten wissentlich und willentlich und zumindest mit Kenntnis und Billigung des Vorstands die unzulässige Abschalteinrichtung aus Gewinnstreben entwickelt und verbaut. Diese Handlungen erfüllten den Tatbestand des – teils auch gewerbsmäßigen – schweren Betrugs nach §§ 146 ff StGB.

[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Anspruch sei, falls überhaupt berechtigt, jedenfalls verjährt.

[9] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers teilweise Folge. Es erkannte ihm den Klagsbetrag samt Anhang zu und bestätigte die Abweisung des Feststellungsbegehrens.

[10] Dem Kläger stehe nach der jüngeren Rechtsprechung des EuGH und OGH ein Schadenersatz zu, weil die unzulässige Abschalteinrichtung durch das Software‑Update letztlich nicht behoben worden sei. Eine substantiierte Bestreitung des mit 30 % des Kaufpreises angesetzten Schadensbetrags sei nicht erfolgt. Im Übrigen erscheine er für ein Fahrzeug, das theoretisch jederzeit seine Zulassung verlieren könnte, auch angemessen.

[11] Der Anspruch sei nicht verjährt, weil es nicht auf die Kenntnis des Klägers vom „Abgas‑Skandal“ ankomme, sondern darauf, wann er erfahren habe, dass die mit dem Update versprochene Verbesserung gescheitert ist. Diese Kenntnis sei nicht vor der entsprechenden medialen Berichterstattung (zum Software‑Update 2019) anzusetzen.

[12] Ein Feststellungsinteresse bestehe hingegen nicht, weil die vorgebrachte Unsicherheit über die künftige Verwendungsmöglichkeit des Fahrzeugs bereits durch die Preisminderung abgegolten sei.

[13] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung die Differenzierung zwischen Sachmangel und Rechtsmangel ebenso sowie die Haftung des bloßen Motorherstellers noch nicht ausreichend geklärt seien.

[14] Die von der klagenden Partei beantwortete, auf unrichtige rechtliche Beurteilung gestützte Revision der Beklagten strebt die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils an.

[15] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen und zur Harmonisierung der Rechtsprechung zulässig. Sie ist im Sinne des gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[16] 1. Zutreffend verweist die Beklagte darauf, dass sie nach den Feststellungen nicht Fahrzeugherstellerin, sondern nur Herstellerin des im Klagsfahrzeug eingebauten Motors war.

[17] Der EuGH hat in der Entscheidung C‑100/21 , QB gegen Mercedes Benz Group AG, den Schutz der Einzelinteressen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Hersteller des Fahrzeugs bejaht. Nach der Rahmen‑RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. 9. 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge ist der Hersteller die Person oder Stelle, die gegenüber der Typengenehmigungsbehörde für alle Belange des Typengenehmigungs‑ oder Autorisierungsverfahrens sowie für die Sicherstellung der Übereinstimmung der Produktion verantwortlich ist. Diese Person oder Stelle muss nicht notwendiger Weise an allen Stufen der Herstellung des Fahrzeugs, des Systems des Bauteils oder der selbständigen technischen Einheit, das bzw die Gegenstand des Genehmigungsverfahrens ist, unmittelbar beteiligt sein. Der Hersteller hat die Übereinstimmungsbescheinigung nach Art 3 Z 36 RL 2007/46/EG jedem Fahrzeug beizulegen. Diese bestätigt, dass es in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt wurde. Der EuGH leitet den Schutz der Einzelinteressen des individuellen Käufers durch Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG maßgeblich aus den Vorschriften über die Übereinstimmungsbescheinigung ab, weil ein Käufer aus deren Inhalt in vernünftiger Weise erwarten kann, dass die unionsrechtlichen Vorschriften bei diesen Fahrzeugen eingehalten werden. Diese Bescheinigung ermöglicht insbesondere, den Käufer davor zu schützen, dass der Hersteller seine Pflicht, im Einklang mit dieser Bestimmung stehende Fahrzeuge auf den Markt zu bringen, nicht einhält (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes Benz Group AG [Rz 82]).

[18] Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs folgert daraus, dass ein individueller Fahrzeugkäufer nur die Person oder Stelle für einen deliktischen Schadenersatzanspruch aus der (bloß schuldhaften) Verletzung des als Schutzgesetz zu qualifizierenden Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG in Anspruch nehmen kann, die im Typengenehmigungsverfahren als Herstellerin des Fahrzeugs auftrat und die Übereinstimmungsbescheinigung ausstellte (6 Ob 161/22b [Rz 27]; 3 Ob 40/23p [Rz 32 ff]; 4 Ob 150/22w [Rz 27f]; 10 Ob 31/23s [Rz 50] ua; vgl auch BGH VIa ZR 1119/22).

[19] 2. Eine unmittelbare Haftung der Beklagten als Herstellerin des Motors ist aber nach § 1295 Abs 2 und § 874 ABGB möglich (6 Ob 16/23f [Rz 21]; 6 Ob 84/23f [Rz 23 ff]; 6 Ob 161/22b [Rz 30 ff]; 3 Ob 40/23p [Rz 34]; 10 Ob 31/23s [Rz 50] ua), worauf der Kläger seinen Anspruch auch gestützt hat.

[20] Die Schadenersatzpflicht nach § 874 ABGB greift auch dann Platz, wenn die arglistige Irreführung nicht durch den Vertragspartner, sondern durch einen Dritten erfolgt ist (RIS‑Justiz RS0016298). Auch wenn feststeht, dass der Kläger bei ordnungsgemäßer Aufklärung das Fahrzeug nicht erworben hätte, kann er durch die Veranlassung der Leistung eines überhöhten Kaufpreises am Vermögen geschädigt worden sein (vgl 4 Ob 1/17a; 10 Ob 31/23s).

[21] Ein Schadenersatz kommt nach § 874 ABGB aber nur im Fall von List (oder – hier nicht relevanter – ungerechter Furcht) in Betracht (RS0016277; 10 Ob 31/23s). Die Beklagte haftet dabei auch für ihre Organe und das Verhalten jener Personen, die in ihrer Organisation eine leitende Stellung innehaben und dabei mit eigenverantwortlicher Entscheidungsbefugnis ausgestattet sind (RS0009113; RS0009133; RS0107916; 8 Ob 81/23d). Der Kläger hat dazu auch substantiierte Behauptungen aufgestellt.

[22] Für die abschließende rechtliche Beurteilung wären daher Feststellungen dazu erforderlich, ob die der Beklagten zuzurechnenden Personen (Repräsentanten) es zumindest für möglich hielten und sich damit abfanden, dass sie bewirkten oder dazu beitrugen, dass Fahrzeuge mit dem von ihr hergestellten Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen waren und an Fahrzeugkäufer wie die Klägerin verkauft wurden, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Fahrzeuge ohne unzulässige Abschalteinrichtung erwerben wollten und ohne diesen Irrtum keinen bzw nur einen Vertrag mit anderem Inhalt geschlossen hätten (10 Ob 31/23s Rz 52).

[23] 3. Die Revision macht weiters geltend, das Berufungsgericht hätte die Zulässigkeit des in ihrem Motor nunmehr implementierten Thermofensters zu Unrecht verneint. Es sei nur von den in Österreich herrschenden Durchschnittstemperaturen und nicht jenen im gesamten Unionsgebiet ausgegangen, wodurch es das Überwiegenskriterium falsch beurteilt habe. Jedenfalls könne der Beklagten als Herstellerin aber an einem allfälligen Verstoß kein Verschulden angelastet werden. Sie habe mangels gegenteiliger Anhaltspunkte von der Richtigkeit der Vorgangsweise des KBA ausgehen müssen.

[24] 3.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt klargestellt, dass eine „Umschaltlogik“, wie sie auch im Fahrzeug der Klägerin verbaut war, eine nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung darstellt und der damit verbundene Sachmangel auch durch ein Software‑Update nicht behoben wird, wenn diese Software ein „Thermofenster“beinhaltet, sodass die Abgasrückführung aufgrund der in Österreich herrschenden klimatischen Verhältnisse nur in vier oder fünf Monaten des Jahres uneingeschränkt funktioniert, selbst wenn dies erforderlich wäre, um den Motor vor Beschädigung zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (6 Ob 150/22k und 3 Ob 121/23z; 8 Ob 81/23d; 5 Ob 159/23b ua).

[25] 3.2. Die Rechtsansicht der Beklagten, wonach es nicht auf die Temperaturverhältnisse in Österreich, sondern im gesamten Unionsgebiet ankomme, wurde vom Obersten Gerichtshof bereits zu 3 Ob 40/23p ausdrücklich abgelehnt (8 Ob 118/23w).

[26] 3.3. Bei einer Abschalteinrichtung nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG hat der Kläger den Eintritt eines Schadens infolge des Vorhandenseins einer Abschalteinrichtung zu behaupten und beweisen. Soweit sich die Beklagte auf eine Ausnahme vom Verbot einer Abschalteinrichtung (hier: ausreichend großer Temperaturbereich, in dem die Abgasrückführung funktioniert) stützte, lag es daher an ihr, die für die Verbotsausnahme erforderlichen Voraussetzungen zu behaupten und zu beweisen (RS0106638 [T20]; 6 Ob 155/22w [Rz 66];1 Ob 149/22a [Rz 46]; 10 Ob 31/23s [Rz 25, 32]).

[27] 3.4. Darauf, ob die Beklagte auf eine rechtsirrig erteilte Genehmigung des Thermofensters durch das KBA vertrauen durfte, kommt es schon deswegen nicht an, weil dies nichts an der Haftung für eine vorsätzliche Schädigung durch die im Fahrzeug ursprünglich verbaute Umschaltlogik ändern würde, weil das Fahrzeug nach wie vor nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspricht (vgl auch 8 Ob 118/23w).

[28] 4. Entgegen den Revisionsausführungen stützt der Kläger seinen Schadenersatzanspruch nicht auf die Implementierung des Thermofensters, sondern auf den Erwerb eines Fahrzeugs, das nicht den Bedingungen für seine Zulassung entsprochen hat und weiterhin nicht entspricht. Der geltend gemachte Vermögensnachteil, nämlich die Zahlung eines überhöhten Preises, hat sich bereits im Zeitpunkt des Kaufs verwirklicht.

[29] Soweit die Beklagte geltend macht, dass durch das Software‑Update die ursprüngliche „Umschaltlogik“ beseitigt worden sei und unabhängig davon, ob das Thermofenster rechtmäßig sei oder nicht, es nach den Feststellungen keinen Einfluss auf den Gebrauchswert und Wiederverkaufspreis des Fahrzeugs habe, sind ihre Überlegungen teilweise begründet.

[30] Nach der gefestigten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs führt es, wenn durch das angebotene Software‑Update zwar der „Umschaltmodus“ beseitigt wird, aber eine unzulässige Abschalteinrichtung weiter aktiv ist, nicht zur Beseitigung der mit dem unionsrechtlich determinierten Schadenersatz abzugeltenden Unsicherheit hinsichtlich der Nutzungsmöglichkeit und zur Beseitigung des ungewollten Zustands des Vermögens des Käufers (10 Ob 2/23a; 10 Ob 31/23s [Rz 68]; 9 Ob 33/23b; 6 Ob 150/22k [Rz 44]).

[31] Der zu ersetzende Betrag kann in Übereinstimmung mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO vom Gericht nach freier Überzeugung innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festgesetzt werden (10 Ob 27/23b [Rz 39 f]; 8 Ob 88/22g [Rz 25] ua). Dies schließt allerdings nicht aus, dass die Wertminderung exakt festgestellt wird und der Käufer Ersatz derselben verlangt (8 Ob 70/23m [Rz 26]).

[32] Nach den hier getroffenen Feststellungen ist beim Klagsfahrzeug kein merkantiler Minderwert eingetreten und spielt generell die Frage der illegalen Software am Gebrauchtwagenmarkt keine Rolle. Der Revision ist daher beizupflichten, dass diese Feststellungen die vom Berufungsgericht vorgenommene Bemessung des Schadenersatzes mit 30 % des Kaufpreises nicht zu tragen vermögen.

[33] 5. Zur Rechtsfrage der Verjährung der Klagsansprüche argumentiert die Revision, es komme entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts für den Beginn der Verjährungsfrist auf die tatsächliche Kenntnis von objektiv relevanten Umständen, aber nicht auf deren rechtliche Würdigung an.

[34] Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen.

[35] Für die auf eine Schutzgesetzverletzung gestützten Schadenersatzansprüche erübrigt sich eine dahingehende Prüfung, weil wie dargelegt (Punkt 2.) solche gegenüber der Beklagten als bloßer Motorenherstellerin nicht bestehen.

[36] Dem Einwand könnte nur hinsichtlich der auf §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB gestützten Schadenersatzansprüche Bedeutung zukommen.

[37] Die kurze Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen so weit kennt, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (RS0034524). Die Kenntnis muss dabei den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (RS0034951 [T1, T2, T4 bis T7] uva). Der anspruchsbegründende Sachverhalt muss dem Geschädigten zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch so weit bekannt sein, dass er in der Lage ist, das zur Begründung seines Anspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (RS0034524 [T24]). Hat der Geschädigte als Laie keinen Einblick in die für das Verschulden maßgeblichen Umstände, so beginnt die Verjährung nicht zu laufen (RS0034603).

[38] Der Oberste Gerichtshof hat davon ausgehend zur Frage der Verjährung von Ansprüchen aus dem sogenannten „Diesel‑Skandal“ bereits wiederholt festgehalten, dass ein Käufer, der unter Hinweis auf die Betroffenheit seines Fahrzeugs zur Durchführung eines Software‑Updates aufgefordert wird, dieses Verhalten dahin verstehen muss, dass damit der Verstoß gegen die geltenden Abgasvorschriften behoben, also sein Auto diesen fortan entsprechen wird. Dies gilt insbesondere, wenn er mit gutem Grund annehmen darf, dass der aufgetretene Schaden, dem Standpunkt der Beklagten im Verfahren entsprechend, zur Gänze behoben ist (9 Ob 33/23b; 10 Ob 31/23s; 6 Ob 122/23v [Rz 36]; 8 Ob 118/23w; 8 Ob 40/23z). Die Sachlage ist dann so wie wenn der Betroffene von einem vorhandenen Schaden überhaupt noch nichts weiß. Es wäre dann nicht sinnvoll, ihm zur Wahrung seiner Interessen die Klagserhebung aufzuerlegen (RS0034426).

[39] In diesem Fall beginnt die dreijährige Verjährungsfrist zu dem Zeitpunkt, zu dem der Käufer davon Kenntnis erlangte, dass trotz des vermeintlich erfolgreichen Software-Updates nach wie vor vom Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist (ua 9 Ob 33/23b; 6 Ob 122/23v; 10 Ob 31/23s; 7 Ob 169/23p).

[40] Die Beklagte hat nicht behauptet, dass der Kläger dieses Wissen mit einer zur Auslösung der Verjährungsfrist ausreichenden Sicherheit länger als drei Jahre vor Klagseinbringung erlangt hat. Rechtlich geklärt war diese Frage überhaupt erst nach der Veröffentlichung der Entscheidung des EuGH vom 14.s 7. 2022, C‑145/20 .

[41] Davon ausgehend ist der Klaganspruch nicht verjährt.

[42] 5. Zusammenfassend erweist sich die Rechtssache aber noch nicht als entscheidungsreif, weil das Erstgericht keine Feststellungen zu dem vom Kläger behaupteten Täuschungsvorsatz der Repräsentanten der Beklagten im Zusammenhang mit der ursprünglichen Umschaltlogik getroffen hat.

[43] Sollte sich im fortgesetzten Verfahren herausstellen, dass die Beklagte diesbezüglich einen Täuschungsvorsatz hatte, wäre sie gegenüber dem Kläger selbst dann zum Schadenersatz verpflichtet, wenn sie später hinsichtlich der Zulässigkeit des Thermofensters einem entschuldbaren Rechtsirrtum erlegen wäre. Bei der Bemessung des Schadenersatzes wäre aber auf die Rechtsprechung zur angemessenen Bandbreite in jenen Fällen, in denen eine Wertminderung nicht festgestellt werden kann (Punkt 4.), Bedacht zu nehmen.

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