OGH 3Ob2/24a

OGH3Ob2/24a28.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Poduschka Partner Anwalts GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 10.560 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 24. Oktober 2023, GZ 2 R 138/23m‑38, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 12. Juli 2023, GZ 5 Cg 86/20a‑34, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00002.24A.0228.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.032,90 EUR (darin 172,15 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin kaufte am 17. Jänner 2012 einen Neuwagen der Type VW Tiguan Sport & Style zum Preis von 26.400 EUR, in dem ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor des Typs EA189 verbaut war. Die in der Motorsteuerung des Fahrzeugs ursprünglich vorhandene Umschaltlogik, die einen Prüfstandlauf erkannte, um im normalen Fahrbetrieb die Abgasrückführung zu reduzieren, wurde mit einem Software‑Update am 28. September 2016 entfernt. Seither hat das Fahrzeug ein sogenanntes „Thermofenster“, bei dem die Abgasrückführung bei den in Österreich herrschenden klimatischen Verhältnissen nur in vier oder fünf Monaten im Jahr uneingeschränkt funktioniert. Eine derartige Abschalteinrichtung ist ebenfalls unzulässig.

[2] Die Klägerin begehrt von der Beklagten (nach Einschränkung wegen Berücksichtigung der von ihr gefahrenen Kilometer) 10.560 EUR sA gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

[3] Die Beklagte wendete insbesondere ein, Ansprüche seien verjährt und es treffe sie kein Verschulden.

[4] Das Erstgericht gab (im zweiten Rechtsgang) dem (eingeschränkten) Klagebegehren statt.

[5] Der Verstoß gegen unionsrechtliche Vorschriften (verbotene Abschalteinrichtung) stehe fest; die Beklagte habe nicht nachgewiesen, dass sie daran kein Verschulden treffe. Unter Berücksichtigung der für das Fahrzeug anzusetzenden Gesamtkilometerlaufleistung errechne sich ein lineares Benutzungsentgelt in der Höhe der Einschränkung des Klagebegehrens; das geltend gemachte Wandlungsbegehren sei berechtigt.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung.

[7] Für die Klägerin sei nicht erkennbar gewesen, dass das am 28. September 2016 durchgeführte Software‑Update den Fehler nicht behoben habe. Selbst wenn man die mediale Berichterstattung über das Thermofenster im Jahr 2019 als maßgeblich ansehe, sei die am 9. Juli 2020 erhobene Klage daher fristgerecht erhoben. Die unionsrechtlichen Normen der VO 715/2007/EG seien nach der inzwischen vorhandenen Rechtsprechung als Schutzgesetze im Sinn des § 1311 ABGB anzusehen. Die Beklagte habe zu ihrem angeblich fehlenden Verschulden an der Übertretung in Form der unzulässigen Abschalteinrichtung nur Rechtsausführungen getätigt, hingegen keinen Sachverhalt vorgebracht, aus dem ein entschuldbarer Rechtsirrtum abgeleitet werden könnte.

[8] Die Revision sei zulässig, weil die höchstgerichtlichen Entscheidungen zum Tatsachenumfang für das Vorliegen eines Verbotsirrtums nicht einheitlich seien.

[9] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung im klagsabweisenden Sinn abzuändern, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zu den maßgeblichen Rechtsfragen bereits eingehend Stellung genommen hat (vgl RS0112769 [T12]) und im Übrigen keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird.

[12] 1.1 Die Beklagte wendet sich zunächst gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts zur Frage der Verjährung und meint, diese widerspreche der Entscheidung 6 Ob 160/21d. Im damals entschiedenen Fall ging der sechste Senat davon aus, dass nach dem dort erstatteten Vorbringen die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB bei Einbringung der Klage bereits verstrichen gewesen sei.

[13] 1.2 Inzwischen sind mehrere höchstgerichtliche Entscheidungen zu deliktischen Schadenersatzansprüchen gegen die Herstellerin des Fahrzeugs wegen verbotener Abschalteinrichtungen ergangen. Diese kommen jeweils – beginnend mit der näher begründeten Entscheidung 10 Ob 31/23s [Rz 60 ff] – zum (neuen) Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist mit dem Zeitpunkt, in dem der Fahrzeughalter davon Kenntnis erlangte, dass trotz des Software‑Updates (weiterhin) eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden ist. Dies wird zusammengefasst daraus abgeleitet, dass dem Fahrzeughalter als „technische Lösung“ für die „Abgasproblematik“ ein Software‑Update angeboten wurde, weshalb er – bis zur Kenntnis vom neuerlichen Verstoß der technischen Beschaffenheit des Motors gegen die Vorschriften – davon ausgehen durfte, dass der Schaden damit behoben worden wäre (vgl 10 Ob 31/23s = RS0034951 [T42]; zuletzt etwa 2 Ob 3/24s mwN).

[14] 1.3 Die Beurteilung des Berufungsgerichts stimmt mit dieser Rechtsprechung überein. Die Rechtsprechung zu dieser Frage ist inzwischen gefestigt und die Revision wirft in diesem Zusammenhang keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[15] 2.1 Die Beklagte bestreitet außerdem (nach wie vor), dass ihr ein schuldhaftes Verhalten zur Last gelegt werden könne: Sie meint, infolge der Freigabe des Software‑Updates durch das deutsche Kraftfahrt‑Bundesamt (KBA) sei ihr nicht einmal ein fahrlässiger Verstoß gegen unionsrechtliche Bestimmungen vorzuwerfen; sie habe die ihr objektiv zumutbare Sorgfalt eingehalten.

[16] 2.2 Auch dazu liegt bereits höchstgerichtliche Rechtsprechung zu Ersatzansprüchen im Zusammenhang mit dem sogenannten Abgasskandal vor, mit der die Beurteilung des Berufungsgerichts übereinstimmt: In Fällen einer Haftung wegen einer Schutzgesetzverletzung hat der Schädiger nachzuweisen, dass ihn an der Übertretung kein Verschulden trifft (RS0112234 [T1]; RS0026351 [T1] ua). Ein Rechtsirrtum ist (allgemein) nach der Rechtsprechung dann nicht vorwerfbar, wenn eine Behörde demselben Rechtsirrtum unterlag und die Beteiligten auf Richtigkeit dieser Entscheidung vertrauen durften (RS0008651 [T9]). Die Beklagte hat allerdings nicht vorgebracht, dass der relevante Sachverhalt (die konkrete Abschalteinrichtung) der Behörde – ungeachtet allfälliger Offenlegungspflichten vor ihrer Entscheidung – bekannt gewesen wäre; nur dann hätte aber ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Richtigkeit der Entscheidung der Behörde bestehen können (dazu etwa 4 Ob 171/23k mwN).

[17] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296).

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