OGH 9Ob33/24d

OGH9Ob33/24d24.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätin und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 5.400 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 28. November 2023, GZ 18 R 32/23w‑21, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Schärding vom 1. August 2023, GZ 2 C 150/23a‑16, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00033.24D.0424.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin kaufte am 5. 7. 2016 einen Pkw Škoda Octavia mit einem Kilometerstand von 26.000 um 18.000 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem 1,6‑Liter‑Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet und nach der Abgasnorm Euro 5 typisiert. Die Beklagte hat den Antrieb für das Fahrzeug entwickelt.

[2] In dem Fahrzeug war eine Prüfstandserkennungssoftware („Schummelsoftware“) verbaut. Die Beklagte bot in der Folge ein Software‑Update an, durch das diese hätte entfernt werden können. Die Klägerin ließ das Software‑Update aber nicht durchführen, weil ihr ein befreundeter Kfz-Mechaniker sagte, dass die Autos „dann schlechter gehen“. Nach dem Software‑Update wäre aber noch immer ein „Thermofenster“ verblieben. Dieses bewirkt, dass die Abgasreinigung nur in einem Temperaturbereich zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius Umgebungstemperatur und bis zu einer geodätischen Höhe von maximal 1.000 Metern voll wirksam ist.

[3] Das Fahrzeug kann uneingeschränkt benutzt werden. Sein Verkehrswert hat sich weder durch die installierte Prüfstandserkennungssoftware verringert noch würde er sich durch das Software‑Update und das implementierte „Thermofenster“ reduzieren. Gegenüber einem Fahrzeug ohne Prüfstandserkennungssoftware hätte ein Fahrzeug mit Prüfstandserkennungssoftware und der Zusage, dass ein verordnungskonformes Software‑Update folgen wird, einen um 10 % geringeren Verkehrswert aufgewiesen. Hätte das in Aussicht gestellte Software-Update aber wiederum eine gesetzlich unzulässige Abschalteinrichtung enthalten, wäre der Verkehrswert dieses Fahrzeugs um 20 % geringer gewesen. Wenn dem Fahrzeug die Typengenehmigung entzogen würde, dann wäre es im EU‑Raum nicht mehr zu betreiben. Das Fahrzeug hätte dann nur mehr einen Wert von etwa 50 % des aktuellen Wiederbeschaffungswerts.

[4] Die Klägerin schenkte das Fahrzeug im Mai 2019 ihrem Sohn. Im Herbst oder Frühwinter 2022 erfuhr die Klägerin, dass auch bei Fahrzeugen, bei denen das Software‑Update gemacht wurde, „nicht alles in Ordnung ist“.

[5] Die Klägerin begehrt mit ihrer am 10. 3. 2023 eingebrachten Klage 5.400 EUR und bringt vor, dass im Fahrzeug eine nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Das Software‑Update stelle keinen gesetzeskonformen Zustand her, weil die Abgasrückführung auch danach lediglich in einem Temperaturfenster zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius, daher in Österreich maximal fünf Monate im Jahr, voll funktioniere. Darüber hinaus wären auch andere technische Lösungen zur Verfügung gestanden. Die Beklagte habe den Antrieb für das Fahrzeug entwickelt und hafte daher für die verbaute unzulässige Abschalteinrichtung. Sie sei in Kenntnis der Manipulationen gewesen, habe diese vorsätzlich getätigt und diesen Umstand zusätzlich noch bewusst verschwiegen, um sich selbst einen Vorteil – nämlich den gesteigerten Verkauf ihrer Fahrzeuge – zu verschaffen. Sie hafte daher für den der Klägerin entstandenen Schaden, insbesondere auch gemäß § 1295 Abs 2 ABGB sowie § 874 ABGB. Darüber hinaus habe sie auch gegen Art 5 der VO 715/2007/EG als Schutzgesetz verstoßen. Selbst wenn man kein vorsätzliches Handeln der beklagten Partei annehmen würde, habe sie zumindest fahrlässig gehandelt. Hätte die Klägerin bereits bei Ankauf gewusst, dass das Fahrzeug manipuliert und nicht typengenehmigungsfähig sei, hätte sie es nicht um den tatsächlich gezahlten, sondern lediglich um einen 30 % niedrigeren Kaufpreis erworben.

[6] Die Verjährungsfrist betrage 30 Jahre. Die Handlungen der Organe und Repräsentanten der Beklagten erfüllten den Tatbestand des schweren Betrugs nach den §§ 146, 147 StGB sowie des bandenmäßigen Betrugs gemäß § 263 dStGB. Aber auch die kurze Verjährungsfrist sei noch nicht abgelaufen. Die Klägerin habe darauf vertraut, dass ihr Fahrzeug nach Aufspielen des von der Beklagten angebotenen Software-Updates in einem normkonformen Zustand sei. Erst aufgrund der verdichteten Medieninformation über die mögliche Unzulässigkeit des Software‑Updates habe die Klägerin ihre Rechtsvertretung kontaktiert und im Zuge des Erstgesprächs am 6. 2. 2023 Kenntnis von diesem Umstand erlangt.

[7] Die Beklagte bestreitet und wendet ein, dass die Stickoxidthematik bereits seit Mitte September 2015 bekannt sei. Der Kaufvertrag der Klägerin sei am 5. 7. 2016 abgeschlossen worden. Die Klägerin sei demnach zum Zeitpunkt der Klagseinbringung am 10. 3. 2023 bereits mehr als drei Jahre in Kenntnis des (vermeintlichen) Schadens sowie des (vermeintlichen) Schädigers gewesen. Ob auch nach dem Software-Update noch eine Abschalteinrichtung vorhanden sei, sei irrelevant. Die 30‑jährige Verjährungsfrist komme nicht zur Anwendung, weil das Verhalten der Beklagten auf Grundlage der anzuwendenden deutschen Strafgesetze keinen Betrug darstelle.

[8] Die Beklagte habe am 22. 9. 2015 in einer Pressemeldung und einer Ad‑hoc‑Mitteilung sowohl die Öffentlichkeit als auch ihre Servicepartner und Kunden über die Tatsache informiert, dass in Konzernfahrzeugen mit einem EA189‑Dieselmotor eine Software eingebaut sei, die zu auffälligen Abweichungen der Abgaswerte zwischen Prüfstands- und realem Fahrbetrieb führe. Mit einer Pressemitteilung vom 2. 10. 2015 habe sie die Öffentlichkeit darüber informiert, dass die Fahrzeughalter auf Internetseiten die Betroffenheit ihres Fahrzeugs überprüfen könnten. Sie habe daher alle erforderlichen Schritte zur Aufklärung potentieller Kunden unternommen, sodass ihr bei einem Erwerb des Fahrzeugs nach dem 22. 9. 2015 kein Vorwurf einer sittenwidrigen Schädigung (mehr) gemacht werden könne.

[9] Mit Wirkung vom 5. 5. 2017 habe die für Fahrzeuge der Marke Škoda zuständige britische Vehicle Certification Agency in engem Austausch mit dem deutschen Kraftfahrt‑Bundesamt die Software-Updates unter anderem für das Modell Škoda Octavia Combi 4x4 Elegance TDI freigegeben. Die Klägerin könne jederzeit einen Termin mit einem Servicebetrieb ihrer Wahl vereinbaren und die technische Maßnahme durchführen lassen.

[10] Das „Thermofenster“ sei zulässig, weil es dem Schutz des Motors vor plötzlichen und unvorhersehbaren Motorschäden diene. Im Zeitpunkt der Erteilung der EG‑Typengenehmigung habe es auch keine andere technische Lösung zur Abwendung der durch die Abgasrückführung drohenden Risiken gegeben. Diesbezüglich liege auch kein arglistiges oder vorsätzlich sittenwidriges Verhalten der Beklagten vor. Ebenso wenig könne sich die Klägerin auf eine Schutzgesetzverletzung stützen. Die Übereinstimmungsbescheinigung sei ein vom Hersteller des Fahrzeugs auszustellendes Dokument. Herstellerin des Fahrzeugs sei die Š* und nicht die Beklagte.

[11] Sollte das verbaute „Thermofenster“ eine unzulässige Abschalteinrichtung sein, könne der Beklagten nicht einmal ein fahrlässiger Verstoß gegen die unionsrechtlichen Bestimmungen zum Vorwurf gemacht werden. Sie habe das Vorhandensein der temperaturabhängigen Abschalteinrichtung dem deutschen Kraftfahrt‑Bundesamt als Typengenehmigungsbehörde offengelegt und dieses habe sie stets für zulässig gehalten. Die Beklagte habe sich auf die Beurteilung durch die zuständige Behörde verlassen dürfen. Es liege daher jedenfalls ein entschuldbarer Rechtsirrtum vor.

[12] Außerdem sei der Klägerin kein Schaden entstanden, sie habe ihr Fahrzeug am 13. 5. 2019 weiterverkauft. Durch das der Klägerin kostenlos angebotene Software‑Update werde das Fahrzeug in einen mangelfreien Zustand versetzt. Soweit die Klägerin die Unmöglichkeit der Verbesserung selbst herbeiführe, indem sie diese nicht durchführen lasse, könne sie sich nicht auf eine von ihr selbst herbeigeführte „Unmöglichkeit“ der Verbesserung berufen.

[13] Da die Preisgestaltung am Gebrauchtwagenmarkt bei vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugen nicht von jener von nicht betroffenen Fahrzeugen abweiche, sei im Hinblick auf die vorzunehmende Differenzrechnung bezogen auf den Schluss der Verhandlung erster Instanz auch aus diesem Grund kein Schaden eingetreten.

[14] Das Erstgerichtwies die Klage ab. Das verbaute „Thermofenster“ sei rechtwidrig. Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG sei ein Schutzgesetz im Sinn des § 1311 ABGB, das auch die Einzelinteressen des Käufers schütze. Der Beklagten sei der Beweis nicht gelungen, dass sie kein Verschulden treffe. Die Klägerin begehre den Ersatz des objektiven Minderwerts der ihr verkauften Sache. Sie habe jedoch keinen „Nachteil“ in ihrem Vermögen erlitten, weil sie das Fahrzeug an ihren Sohn „weitergeschenkt“ habe. Geschädigt sei hier der Dritte, nämlich der Sohn der Klägerin.

[15] Das Berufungsgericht gab der Berufung derKlägerin nicht Folge. Es sei davon auszugehen, dass der Klägerin 2017 das Software‑Update angeboten worden sei. Im Hinblick auf die bekanntermaßen breite mediale Berichterstattung hätte die Klägerin durch eine einfache Internetrecherche bis Ende 2017 in Erfahrung bringen können, dass das Software‑Update im Zusammenhang mit dem Abgasskandal stehe, ihr Fahrzeug davon betroffen sei und wie die verbaute „Umschaltlogik“ funktioniere. Ihr sei jedenfalls eine Verletzung ihrer Erkundigungsobliegenheit anzulasten. Die kurze Verjährung habe daher spätestens mit 1. 1. 2018 zu laufen begonnen und sei im Zeitpunkt der Klagseinbringung bereits abgelaufen gewesen.

[16] Die Klägerin habe sich auch auf die 30-jährige Verjährungsfrist berufen. Liegt keine strafgerichtliche Verurteilung vor, müsse der Geschädigte alle Tatbestandsvoraussetzungen im strafrechtlichen Sinn behaupten und beweisen. Die von der Klägerin behauptete unrechtmäßige Bereicherung könne die Beklagte nur durch den Verkauf von Neuwagen erzielen. Die Klägerin habe das Fahrzeug aber gebraucht gekauft. Es fehlt daher schon an dem für einen Betrug erforderlichen Bereicherungsvorsatz.

[17] Der Tatbestand des Betrugs nach § 146 StGB erfordere darüber hinaus den Eintritt eines Schadens. Nach den Feststellungen habe sich der Verkehrswert des Fahrzeugs aber weder durch die installierte „Schummelsoftware“ noch durch das implementierte „Thermofenster“ reduziert. Die Klägerin habe daher keinen Vermögensschaden im strafrechtlichen Sinn erlitten. Soweit die Klägerin vorbringe, dass der Vorsatz und Bereicherungsvorsatz des Vorstands und der Repräsentanten auch die zukünftigen Gewinne durch Ersatzteilverkäufe und durch Reparaturen an Fahrzeugen umfasse, die nicht verkauft hätten werden können, wenn diese durch Manipulationen nicht durch den Prüfstand „geschummelt“ hätten werden können, werde keine konkrete von den Organen oder Repräsentanten der beklagten Partei gerade der Klägerin gegenüber verwirklichte Straftat dargetan. Damit scheide eine Anwendung der 30‑jährigen Verjährungsfrist aus, weshalb allfällige auf die „Umschaltlogik“ gestützte Schadenersatzansprüche verjährt seien.

[18] Die Klägerin stütze ihren Schadenersatzanspruch auch auf das Vorhandensein eines „Thermofensters“. Dieses wäre jedoch lediglich für den Fall der Durchführung des Software-Updates implementiert worden. Welchen Temperaturbereich das bereits ursprünglich vorhandene „Thermofenster“ umfasst habe, gehe aus den Beweisergebnissen nicht hervor. Auch daraus ergebe sich, dass das von der Klägerin behauptete „Thermofenster“ mit dem von ihr angegebenen Temperaturbereich erst durch das Software-Update implementiert worden wäre. Da die Klägerin das Software-Update jedoch nicht habe durchführen lassen, könne sie ihre Schadenersatzansprüche auch nicht auf ein „Thermofenster“ mit dem von ihr angeführten Temperaturbereich stützen.

[19] Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil zur Frage, ob im Zusammenhang mit der Aufforderung zum Software-Update eine Erkundigungsobliegenheit bestehe und die Verjährungsfrist bei der „Umschaltlogik“ daher mit dem Zugang des entsprechenden Rückrufschreibens an den Fahrzeughalter beginne und ob die lange Verjährungsfrist mangels Erfüllung eines qualifizierten Betrugstatbestands ausscheidet, noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.

[20] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass der Klage stattgegeben wird, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[21] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[22] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[23] 1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die auch beim gegenständlichen Fahrzeug zum Übergabezeitpunkt vorhandene „Umschaltlogik“ (vom Erstgericht als „Schummelsoftware“ bezeichnet) jedenfalls als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn von Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 uva).

[24] Auch dass das nach einem allfälligen Aufspielen des Software‑Updates nach den Feststellungen verbleibende „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist, ist nach mittlerweile einhelliger Rechtsprechung nicht mehr zu bezweifeln (vgl für viele 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023). Der Mangel wäre daher auch durch das von der Klägerin abgelehnte Software‑Update nicht behoben worden.

[25] 2. Unstrittig besteht kein vertraglicher Anspruch zwischen der Klägerin und der Beklagten. Die Beklagte ist aber auch nicht Herstellerin des Fahrzeugs, sondern stellt lediglich den Antrieb samt der darin verbauten Software her. Eine deliktische Haftung aus der vom EuGH beurteilten Schutzgesetzverletzung wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung trifft aber (nur) den Fahrzeughersteller, der Inhaber der EG‑Typengenehmigung ist und die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat (ausführlich 6 Ob 161/22b; vgl 3 Ob 40/23p; 9 Ob 10/23w). Auf die Schutzgesetzverletzung kann die Klägerin daher einen Schadenersatzanspruch gegen die Beklagte, die nicht Herstellerin des Fahrzeugs ist, nicht erfolgreich stützen.

[26] 3. Die Klägerin hat sich allerdings auch auf § 874 ABGB und eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB berufen. Zu einer solchen Haftung hat der Oberste Gerichtshof zusammengefasst bereits das Folgende festgehalten (6 Ob 161/22b; 4 Ob 150/22w; 10 Ob 31/23s):

[27] Die Schadenersatzpflicht nach § 874 ABGB greift auch dann Platz, wenn die arglistige Irreführung nicht durch den Vertragspartner, sondern durch einen Dritten erfolgt ist (RS0016298; 6 Ob 186/21b).

[28] List im Sinn des § 870 ABGB ist rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung (RS0014821), wobei dolus eventualis ausreicht (RS0014837). Das Verhalten des Täuschenden und damit der Irrtum muss für den Vertragsabschluss kausal sein (RS0014790; RS0014821 [T3]): Der Vertragsschließende wird durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen in Irrtum geführt oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen in seinem Irrtum belassen oder bestärkt und dadurch zum Vertragsabschluss bestimmt (RS0014827 [T4, T5]).

[29] Nach § 1295 Abs 2 ABGB ist schadenersatzpflichtig, wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise absichtlich Schaden zufügt. Auch dafür genügt bedingter Vorsatz (RS0026603).

4. Daraus folgt:

[30] Die Klägerin hat konkretes Vorbringen zu einem solchen der Beklagten zuzurechnenden arglistigen und sittenwidrigen Verhalten, nämlich der Entwicklung eines – offenkundig für den Markt bestimmten – „manipulierten“ Motors mit verbotener Abschalteinrichtung erstattet.

[31] Darin kann eine für den Vertragsabschluss des Fahrzeugkäufers kausale Täuschung liegen, wenn dieser das Fahrzeug sonst nicht erworben hätte (vgl 6 Ob 158/22m; 3 Ob 40/23p).

[32] 5. Dazu wurden keine Feststellungen getroffen, weil das Berufungsgericht von einer Verjährung allfälliger Ansprüche ausgegangen ist. Dagegen wendet sich die Revision der Klägerin.

[33] 6. Die kurze Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen so weit kennt, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (RS0034524; vgl auch RS0034374). Die Kenntnis muss dabei den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (RS0034951 [T1, T2, T4 bis T7] uva). Der anspruchsbegründende Sachverhalt muss dem Geschädigten zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch so weit bekannt sein, dass er in der Lage ist, das zur Begründung seines Anspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (RS0034366; RS0034524). Bloße Mutmaßungen über die angeführten Umstände genügen hingegen nicht (RS0034524 [T18]). Hat der Geschädigte als Laie keinen Einblick in die für das Verschulden maßgeblichen Umstände, so beginnt die Verjährung nicht zu laufen (RS0034603). Die bloße Möglichkeit der Ermittlung einschlägiger Tatsachen vermag ihr Bekanntsein nicht zu ersetzen (RS0034459). Maßgeblich ist, ob dem Geschädigten objektiv alle für das Entstehen des Anspruchs maßgebenden Tatumstände bekannt waren (vgl RS0034547).

[34] 7. Der Oberste Gerichtshof hat jüngst mehrfach und einheitlich vertreten, dass die dreijährige Verjährungsfrist (erst) zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Kläger davon Kenntnis erlangte, dass trotz des Software‑Updates nach wie vor vom Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist (9 Ob 33/23b Rz 26; 6 Ob 122/23v Rz 37; 10 Ob 31/23s; 8 Ob 81/23d Rz 19; 8 Ob 92/23x Rz 15; 6 Ob 181/23w Rz 14). Der Umstand, dass ein Käufer Kenntnis vom Schaden in Form der Umschaltlogik bereits länger als drei Jahre vor der Klage gehabt haben könnte, ist demnach unerheblich, wenn durch das von der Beklagten entwickelte Software‑Update dem Schädiger suggeriert wird, der Schaden sei behoben worden (4 Ob 27/24k Rz 14 mwN).

[35] Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 Ob 33/23b näher ausgeführt hat, besteht dann, wenn der Geschädigte annehmen darf, dass der aufgetretene Schaden behoben ist, für ihn kein Anlass zur Verfolgung von – für ihn rein hypothetischen – weiteren Ersatzansprüchen, und sei es auch in Form einer Feststellungsklage. Die Sachlage ist dann nicht anders, als wenn der Betroffene von einem – an sich vorhandenen – Schaden bisher überhaupt noch nicht Kenntnis erlangt hat. Es wäre nicht sinnvoll, dem Geschädigten zur Wahrung seiner Interessen die Klagserhebung aufzuerlegen, obwohl weitere Schadensfolgen nicht vorhersehbar sind und daher die Überzeugung gerechtfertigt erscheint, dass die Geltendmachung weiterer Ansprüche nicht in Betracht komme. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Geschädigte mit gutem Grund annehmen darf, dass der aufgetretene Schaden zur Gänze behoben ist.

[36] 8. Die Klägerin hat unstrittig die Aufforderung zu einem Software‑Update erhalten, hat dieses aber nicht durchführen lassen. Unabhängig davon, dass dieses nicht geeignet gewesen wäre, den Mangel zu beheben, durfte sie aber, wenn ihr zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewesen sein sollte, dass im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut war, nicht annehmen, ohne das Software‑Update über ein mangelfreies Fahrzeug zu verfügen.

[37] Allerdings hat das Erstgericht keine Feststellungen getroffen, wann der Klägerin das Aufforderungsschreiben zugekommen ist, was Inhalt dieses Schreibens war und über welchen Kenntnisstand bezüglich einer Abschalteinrichtung die Klägerin damals verfügte. Die vom Berufungsgericht aus dem Vorbringen und der Aussage der Klägerin abgeleiteten Umstände finden keine Deckung in den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen. Damit lässt sich aber auch die vom Berufungsgericht angenommene Erkundigungsobliegenheit und damit auch der Beginn und Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist nicht abschließend beurteilen.

[38] Auf die vom Berufungsgericht ebenfalls verneinte Anwendbarkeit der 30‑jährigen Verjährungsfrist, zu deren Voraussetzungen ebenfalls keine Feststellungen getroffen wurden, muss daher noch nicht eingegangen werden.

[39] 9. Zur Frage der Schadenshöhe ist im fortgesetzten Verfahren folgende Rechtslage zu beachten:

[40] Der Oberste Gerichtshof hat zu 10 Ob 31/23s (Rz 51 mwN) bereits darauf hingewiesen, dass die Schadenersatzpflicht nach § 874 ABGB auch dann Platz greift, wenn die arglistige Irreführung nicht durch den Vertragspartner, sondern durch einen Dritten erfolgt ist. Hält der Getäuschte am Vertrag fest, ist der Schaden gemäß § 874 ABGB aufgrund der relativen Berechnungsmethode zu ermitteln. Der getäuschte Käufer hat unter dem Gesichtspunkt eines ihm nach § 874 ABGB zu leistenden Schadenersatzes Anspruch auf einen Ausgleich für einen Minderwert der ihm verkauften Sache (6 Ob 600/90). Durch die Ermittlung des Ausmaßes des Ersatzes im Wege der relativen Berechnungsmethode wird ein Ausgleich für die durch den Willensmangel gestörte subjektive Äquivalenz der im Austauschverhältnis stehenden vertraglichen Leistungen geschaffen (6 Ob 221/98p; 3 Ob 236/01d). Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Auf spätere Verfügungen des Käufers über das Objekt kommt es dabei nicht an.

[41] Auch bei arglistiger Irreführung durch Dritte wird somit nach ständiger Rechtsprechung schadenersatzrechtlich ein Ergebnis erzielt, das dem einer Vertragsanpassung gleichkommt. Demnach ist zu fragen, welcher Vermögensstand vorhanden wäre, wenn der Vertrag mit entsprechendem Inhalt zustande gekommen wäre. Auch wenn feststeht, dass ein Fahrzeugkäufer bei ordnungsgemäßer Aufklärung das Fahrzeug nicht erworben hätte, kann er somit durch die Veranlassung der Leistung eines überhöhten Kaufpreises am Vermögen geschädigt worden sein.

[42] Der 2. Senat ist dem jüngst gefolgt und teilte die Auffassung, dass in einem Fall wie hier – in dem nicht der Fahrzeughersteller aufgrund einer Verletzung von Schutzgesetzen, sondern nach § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB in Anspruch genommen wird – die Berechnung des Schadens nach der relativen Berechnungsmethode zu erfolgen hat (2 Ob 139/23i Rz 24; vgl auch 4 Ob 204/23p Rz 49).

[43] Daraus ergibt sich auch, dass die von der Rechtsprechung für Haftung bei Schutzgesetzverletzungen entwickelte, aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben von der innerstaatlichen Systematik abweichende Methodik der Schadensberechnung (im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises: RS0134498) in einer Fallkonstellation wie hier nicht zur Anwendung kommt.

[44] Aus den Feststellungen lässt sich aber nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, von welchen Wertrelationen das Erstgericht ausgeht.

[45] 10. Der Revision ist daher Folge zu geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur Ergänzung im aufgezeigten Sinn an das Erstgericht zurückzuverweisen.

[46] 11. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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