OGH 2Ob44/24w

OGH2Ob44/24w23.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowiedie Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen L*, geboren am * 2006, *, vertreten durch die Mutter S*, diese vertreten durch Dr. Günter Tews, Rechtsanwalt in Linz, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters J*, vertreten durch die Anwaltgmbh Rinner Teuchtmann in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 21. November 2023, GZ 15 R 405/23v‑274, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts Rohrbach vom 12. Oktober 2023, GZ 2 Pu 213/21t-268, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00044.24W.0423.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Parteien haben die Kosten des Revisionsrekursverfahrens selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Mit Beschluss vom 14. 4. 2023 verpflichtete das Erstgericht den Vater unter Berücksichtigung seiner Sorgepflicht für ein weiteres Kind gegenüber dem Minderjährigen zu Unterhaltsleistungen von 420 EUR monatlich. Der Minderjährige bezog damals im zweiten Lehrjahr ein Einkommen von 940 EUR monatlich. Seit 13. 8. 2023 befindet er sich im dritten Lehrjahr mit einem Einkommen von 1.335 EUR monatlich. Der Vater bezieht ein Einkommen von 4.980 EUR monatlich.

[2] Der Vater beantragt eine gänzliche Unterhaltsbefreiung ab 1. 9. 2023, weil der Minderjährige nunmehr selbsterhaltungsfähig sei.

[3] Der Minderjährige wendet ein, dass aufgrund des überdurchschnittlichen Einkommens des Vaters ein Restunterhaltsanspruch von 250 EUR bestehe.

[4] Das Erstgericht sprach aus, dass der Vater ab 1. 9. 2023 von seiner Unterhaltspflicht befreit sei. Der Minderjährige sei selbsterhaltungsfähig, weil sein Einkommen den Ausgleichszulagenrichtsatz übersteige und ein darüber hinausgehender Bedarf nicht ersichtlich sei.

[5] Das Rekursgericht änderte die Entscheidung dahin ab, dass es den Unterhalt für September 2023 auf 295 EUR monatlich und ab Oktober 2023 auf 210 EUR monatlich herabsetzte. Aus dem Lohnzettel des Vaters ergebe sich, dass ihm ein Elektroauto zur Verfügung stehe, welches die Unterhaltsbemessungsgrundlage erhöhe. Der Sachbezug sei nach § 34 AußStrG mit zumindest 100 EUR monatlich zu bewerten. Angesichts der überdurchschnittlichen Lebensverhältnisse errechne sich der Restunterhaltsanspruch des Minderjährigen nach der Formel Prozentunterhalt minus (Eigeneinkommen x Prozentunterhalt : [Prozentunterhalt + Differenz zwischen Ausgleichszulagenrichtsatz und Regelbedarf]). Dies ergebe ausgehend von einem Prozentunterhalt von 1.067 EUR, einem Eigeneinkommen von 1.335 EUR, einem Regelbedarf von 630 EUR und dem Ausgleichszulagenrichtsatz von 1.229 EUR einen verbleibenden Unterhaltsanspruch von 210 EUR. Für September 2023 könne der Vater aber nur eine aliquote Herabsetzung beanspruchen.

[6] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, inwieweit ein vom Dienstgeber bereitgestelltes Elektrofahrzeug angesichts der steuerrechtlichen Privilegierung des Sachbezugs bei der Bemessung des Unterhalts zu berücksichtigen ist.

[7] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters, mit dem er die Abänderung der Entscheidung des Rekursgerichts dahin anstrebt, dass seinem Antrag vollinhaltlich stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Der Minderjährige beantragt, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

[9] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1. Nach § 231 Abs 3 ABGB mindert sich der Anspruch auf Unterhalt insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. Die Volljährigkeit ist keine Voraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit (RS0047524; RS0047567). Dementsprechend ist auch die Lehrlingsentschädigung bei der Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit zu berücksichtigen (RS0047555; RS0047573; RS0047740). Selbsterhaltungsfähigkeit im vollen Sinn des Begriffs ist aber erst gegeben, wenn das Kind sämtliche Unterhaltsbedürfnisse im Rahmen seiner konkreten Lebensverhältnisse aus eigener Kraft finanzieren kann (RS0047602).

[11] 2. Entscheidend ist, ob die Einkünfte des Kindes zur Bestreitung seines standesgemäßen Unterhalts ausreichen (RS0047567). Dabei sind sowohl die Lebensverhältnisse des Kindes als auch jene der Eltern zu berücksichtigen (RS0047567 [T5]; RS0107949 [T1]; RS0111992 [T1]). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs soll das Kind nämlich auch noch während der Ausbildung am Lebensstandard der Eltern teilhaben (RS0047578). Der Ausgleichszulagenrichtsatz darf deshalb bei einem Lehrling – entgegen der Rechtsansicht des Revisionsrekurswerbers – nur bei einfachen Verhältnissen als Maßstab der Selbsterhaltungsfähigkeit herangezogen werden (RS0047514; RS0047645 [T1]). Hier liegen aber keine einfachen Verhältnisse vor, weil der nach der Prozentmethode zu ermittelnde Betrag den Regelbedarf bei weitem übersteigt (RS0047565 [T2]).

[12] 3. Aufgrund des weit überdurchschnittlichen Einkommens des unterhaltspflichtigen Vaters ist die Selbsterhaltungsfähigkeit des Minderjährigen daher ungeachtet des Bezugs der Lehrlingsentschädigung zu verneinen. Die vom Erstgericht verwendete Formel zur Ermittlung des Restgeldunterhalts entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Unterhaltsanspruch bei überdurchschnittlichen Lebensverhältnissen, ohne dass der Revisionsrekurswerber dem etwas entgegensetzt (2 Ob 77/97f; 3 Ob 187/20a; 6 Ob 6/20f).

[13] 4. Soweit sich der Revisionsrekurswerber gegen die Berücksichtigung des ihm zur Verfügung gestellten Elektrofahrzeugs bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage richtet, ist auszuführen, dass Naturalbezüge, wie etwa die private Benützung eines Firmenwagens, nach ständiger Rechtsprechung als Einkommensbestandteile in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen werden müssen (RS0109238). Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass es nicht angeht, in jedem einzelnen Fall weitwendige Ermittlungen anzustellen, um den tatsächlichen Umfang der privaten Nutzung eines solchen Pkws abzuklären (1 Ob 143/02i; 7 Ob 179/11s; 6 Ob 109/21d; 1 Ob 3/22f). Nach der Rechtsprechung kann deshalb von der lohnsteuerrechtlichen Bewertung ausgegangen werden, solange es keine Hinweise gibt, dass diese nicht den realen Gegebenheiten entspricht (RS0109238 [T8]).

[14] 5. Nach § 4 der Sachbezugswerteverordnung ist der Sachbezug bei der Privatnutzung eines arbeitgebereigenen Kraftfahrzeugs mit Verbrennungsmotor je nach Emissionsklasse mit 1,5 % oder 2 % der Anschaffungskosten, bei der Nutzung eines Elektrofahrzeugs aber mit Null anzusetzen. In der unterhaltsrechtlichen Literatur wird zutreffend darauf hingewiesen, dass diese steuerrechtliche Begünstigung von Elektrofahrzeugen nicht auf die Bemessung des Unterhaltsanspruchs durchschlagen kann, weil der in der Benutzung eines Firmen-Pkw für Privatfahrten gelegene Sachbezug nicht deshalb wegfällt, weil keine Steuern zu entrichten sind (Gitschthaler, Anm zu 1 Ob 3/22f, EF‑Z 2022/118 [273]; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht10 18).

[15] 6. § 34 AußStrG sieht vor, dass das Gericht, wenn feststeht, dass einer Partei eine Geldleistung zusteht, die Erhebung der Höhe des Betrags jedoch nicht möglich ist oder mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden wäre, auch unter Abstandnahme von der Aufnahme angebotener Beweise die Höhe des Betrags nach freier Überzeugung festsetzen kann. Ob bei Elektrofahrzeugen die Vorschriften der Sachbezugswerteverordnung zur Überlassung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor herangezogen werden können, muss hier nicht beantwortet werden, weil das Rekursgericht den Sachbezug nur mit 100 EUR monatlich bewertet hat, sodass eine Fehlbewertung zu Lasten des Vaters schon deshalb ausgeschlossen ist.

[16] 7. Die Feststellungen zum Sachbezug sind auch nicht überschießend, weil sich der Vater zum Nachweis seines Einkommens auf den vorgelegten Lohnzettel berufen hat. Da das Erstgericht keine unmittelbare Beweisaufnahme durchgeführt hat, war das Rekursgericht berechtigt, aufgrund des vorgelegten Lohnzettels ergänzende Feststellungen zur Unterhaltsbemessungsgrundlage auch ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu treffen (RS0122252; RS0126460). Soweit der Revisionsrekurswerber geltend macht, dass das Rekursgericht die Berücksichtigung des Sachbezugs mit ihm erörtern hätte müssen, ist die Verfahrensrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil er nicht darlegt, welche ergänzenden oder abweichenden Feststellungen dann zu treffen gewesen wären (vgl RS0043039).

[17] 8. Der Kostenausspruch beruht auf § 101 Abs 2 AußStrG, wonach im Verfahren über Unterhaltsansprüche eines minderjährigen Kindes kein Kostenersatz stattfindet.

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