European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00192.22D.0412.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.040,48 EUR (darin enthalten 340,08 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft, auf der ein Einkaufszentrum errichtet ist. Die Beklagte hat darin ein Objekt mit einer Fläche von 1.414 m² angemietet, in dem sie vereinbarungsgemäß ein Fitnessstudio betreibt. Sie bezahlte für die Monate Juli 2020 und Oktober 2020 den fälligen Bestandzins nicht in der ihr vorgeschriebenen Höhe. Auch für die Monate Mai 2021 bis Juli 2021 bezahlte sie die fälligen Mietzinse nur in geminderter Höhe.
[2] Gegenstand des Revisionsverfahrens sind Mietzinsforderungen der Klägerin für die Monate Juli 2020 und Oktober 2020 sowie die Zeit ab 19. 5. 2021 bis Juli 2021. Sie brachte dazu vor, in diesen Zeiträumen hätten keine Betretungsverbote entsprechend § 1 COVID‑19‑Maßnahmengesetz und der darauf basierenden Verordnungen bestanden. Der Betrieb des Fitnessstudios sei mit einem entsprechenden Sicherheitskonzept möglich gewesen, weswegen sich die Beklagte auf keinen Mietzinsminderungsanspruch nach den §§ 1104 ff ABGB berufen könne.
[3] Die Beklagte wendete ein, durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, insbesondere der Betriebsbeschränkungen und Abstandsregelungen, auf den Geschäftsbetrieb sei der ungestörte Gebrauch des Bestandobjekts auch außerhalb von Zeiten, in denen Betretungsverbote gegolten hätten, nicht möglich gewesen.
[4] Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts ab, mit dem es das Klagebegehren überwiegend abgewiesen hatte, und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 29.823,46 EUR sA. Das Mehrbegehren wies es rechtskräftig ab. Unter Berufung auf die Entscheidung zu 3 Ob 209/21p gelangte es zum Ergebnis, dass bei einem Geschäftslokal, das im Wesentlichen vom Kundenverkehr lebe, behördliche Betretungsverbote (für Kunden) zur Unbenutzbarkeit führten. Demgegenüber sei die bloße Angst vor einem Ansteckungsrisiko nicht unter § 1104 ABGB zu subsumieren, weil insoweit der Bezug zum Bestandobjekt fehle. Ein Ansteckungsrisiko bei einer Pandemie bestehe überall; alle Menschen, somit sowohl Mieter als auch Vermieter, seien davon betroffen. Ausgehend von diesen Überlegungen könne daher dahingestellt bleiben, ob und wenn ja, welche Umsatzrückgänge die beklagte Mieterin aufgrund der Pandemie erlitten habe. Zweifellos handle es sich bei Abstandsregelungen um behördliche Vorgaben, deren Einhaltung eine Beeinträchtigung der Nutzung eines Fitnessstudios nach sich ziehen könnten. Dass der schlechte Geschäftsgang in den Zeiten außerhalb von Betretungsverboten auf die behördlich verfügten Maßnahmen – wie die Einhaltung eines Mindestabstands – zurückzuführen wäre, hätte aber die beklagte Mieterin unter Beweis stellen müssen. Die entsprechende Negativfeststellung des Erstgerichts geht daher zu ihren Lasten.
[5] Die Revision erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil seiner Ansicht nach keine einheitliche höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe. So lasse die Entscheidung zu 4 Ob 218/21v ein Spannungsverhältnis zur bisherigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu § 1104 ABGB erkennen und die Entscheidung zu 7 Ob 207/21y sogar Zweifel an der zu 3 Ob 209/21p vertretenen Rechtsansicht anklingen.
[6] Die Revision ist, ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[7] 1. Nach nunmehr gesicherter Rechtsprechung ist die COVID-19-Pandemie als „Seuche“ iSd § 1104 ABGB zu werten, sodass die aufgrund dieser Pandemie durch Gesetz oder Verordnung angeordneten Betretungsverbote für Geschäftsräume in Bestandobjekten grundsätzlich zu deren Unbenutzbarkeit führen (RIS‑Justiz RS0133812).
[8] 1.1 Ist der bedungene Gebrauch des Bestandobjekts durch Kundenverkehr gekennzeichnet, so kann ein Betretungsverbot aus Anlass der COVID-19-Pandemie zur (gänzlichen) Unbenutzbarkeit des Bestandobjekts iSd § 1104 ABGB führen (3 Ob 78/21y; 3 Ob 184/21m; 8 Ob 131/21d). Ist die vertragsgemäße charakteristische Nutzung hingegen nur eingeschränkt, so kommt es gemäß § 1105 ABGB zu einer Mietzinsminderung im Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung nach der relativen Berechnungsmethode. Bei der Ermittlung des Restnutzens ist erforderlichenfalls § 273 ZPO anzuwenden (5 Ob 192/21b mwN).
[9] Die von der Klägerin geltend gemachten Mietzinsforderungen betreffen keine Zeiträume für die ein behördliches Betretungsverbot bestand.
[10] 1.2 Die Frage, ob ein Bestandgegenstand (teilweise) unbenützbar ist, ist nach dem Vertragszweck zu beurteilen. Die Bestandsache muss eine Verwendung zulassen, wie sie gewöhnlich nach dem Vertragszweck erforderlich ist und der Verkehrssitte entspricht. Mangels anderer Vereinbarungen ist eine mittlere (durchschnittliche) Brauchbarkeit geschuldet (RS0021054; RS0020926). Für die Beurteilung ist daher in erster Linie die (ausdrückliche) Parteienvereinbarung bzw der dem Vertrag zugrunde gelegte Geschäftszweck maßgeblich (RS0021044).
[11] 1.3 Ein Umsatzrückgang als solcher reicht im Allgemeinen für sich allein nicht aus, um eine Mietzinsminderung zu begründen (vgl RS0119192 [T5, T6]; RS0117011 [T4, T5]).
[12] 2. Nach der Entscheidung 3 Ob 209/21p, auf die sich auch das Berufungsgericht stützte, ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich: Soweit Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters eine unmittelbare Folge der COVID‑19-Pandemie sind, die sämtliche Unternehmer wie (auch) den Mieter des Geschäftslokals, insbesondere dessen gesamte Branche, allgemein und insgesamt treffen, sind diese dem Unternehmerrisiko zuzuordnen und daher für den zu zahlenden Mietzins nicht relevant. Diese Auswirkungen der Pandemie sind keine Gebrauchsbeeinträchtigungen des vom Vermieter vereinbarungsgemäß zur Verfügung zu stellenden Objekts. Lassen sich hingegen Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters auf behördliche Maßnahmen, hier also auf jene Betretungsverbote zurückführen, die anlässlich der COVID-19-Pandemie verfügt wurden, sind sie konkrete Folgen einer objektiven Einschränkung des vertraglich bedungenen Gebrauchs des Bestandobjekts und im Rahmen einer Mietzinsminderung zu berücksichtigen.
[13] 3. Diese Ansicht wurde in der Folge in den Entscheidungen zu 9 Ob 84/21z, 10 Ob 46/22w und 4 Ob 221/22m bestätigt, sodass von einer mittlerweilen gefestigten Rechtsprechung auszugehen ist. Im Hinblick darauf liegt auch die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage nicht (mehr) vor (vgl RS0112921; RS0112769). Davon abzugehen besteht ungeachtet der in der Literatur geäußerten Kritik (Vonkilch, Neues zum Mietzinsentfall infolge der Corona-Pandemie, wobl 2022, 358; ders, Von subjektiven Gebrauchswünschen und objektiven Nutzungsmöglichkeiten, vorzeitig aufgelösten Studentenheimverträgen und der COVID-19-Pandemie als allgemeinem Unternehmerrisiko, wobl 2022, 264 [274f]; Kronthaler, Zur Reduktion der Geschäftsraummiete während der Pandemie, ImmoZak 2022, 56) kein Anlass. Im hier zu beurteilenden Fall geht es auch nicht um den Restnutzen eines Geschäftslokals während eines Betretungsverbots, sondern um Umsatzrückgänge, die gerade nicht in Zeiten einer behördlichen Schließung eingetreten sind, sodass entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ein Spannungsverhältnis der referierten Judikatur zu 4 Ob 218/21v nicht zu erkennen ist. Zu 7 Ob 207/21y wurde lediglich auf die vom 3. Senat zu 3 Ob 209/21p abgelehnten Meinungen in der Literatur Bezug genommen, nicht aber zu der vom 3. Senat vertretenen Rechtsansicht Stellung genommen, sodass sich eine erhebliche Rechtsfrage entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch mit einem Verweis auf diese Entscheidung nicht begründen lässt.
[14] 4. Die weiteren Ausführungen im Rechtsmittel der Beklagten geben ebenfalls keinen Anlass zur Erörterung von Rechtsfragen gemäß § 502 Abs 1 ZPO:
[15] 4.1 Der vorliegende Fall ist dadurch geprägt, dass die von der Beklagten begehrte Mietzinsminderung nicht mit behördlichen Schließungen des Geschäftslokals begründet wird, sondern mit weniger gravierenden (aber ebenfalls durch die Pandemie verursachten) behördlichen Eingriffen, die den Geschäftsgang negativ beeinflusst hätten.
[16] 4.2 Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters können zwar ein Indiz für eine Gebrauchsbeeinträchtigung des Mietobjekts sein, die dann allenfalls auf behördliche Maßnahmen zurückgeführt werden kann (3 Ob 209/21p ua). Jüngst hat der 4. Senat klargestellt, dass unter behördlichen Maßnahmen, mit denen Umsatzeinbußen als „konkrete Folgen einer objektiven Einschränkung des vertraglich bedungenen Gebrauchs des Bestandobjekts“ einhergehen, nicht nur Betretungsverbote zu verstehen sind, sondern auch mit weniger gravierenden Folgen verbundene (aber ebenfalls durch die Pandemie verursachte) behördliche Eingriffe, wie etwa Zutrittsbeschränkungen durch die Begrenzung der zulässigen Kundenzahl und die Anordnung von einzuhaltenden Mindestabständen (vgl 4 Ob 221/22m [2.1. f; anders dagegen zur Maskenpflicht 2.3.]).
[17] 4.3 Auch das Berufungsgericht hielt ausdrücklich fest, dass es sich bei Abstandsregelungen um behördliche Vorgaben handle, deren Einhaltung eine Beeinträchtigung der Nutzung eines Fitnessstudios nach sich ziehen konnten. Die Beweispflicht für die mangelnde Brauchbarkeit des Bestandobjekts, die eine Zinsminderung rechtfertigt, trifft aber den Bestandnehmer (RS0021416; 8 Ob 131/21d). Damit oblag der Beklagten der Beweis, dass der Geschäftsrückgang konkrete Folge einer durch behördliche Maßnahmen herbeigeführten objektiven Einschränkung des vertraglich bedungenen Gebrauchs des Bestandobjekts war.
[18] 4.4 Die Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall bildet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RS0118891). Die Beklagte zeigt in Ausführung des Revisionsgrundes der Aktenwidrigkeit selbst auf, dass das Erstgericht zu den Auswirkungen der behördlich verordneten Abstandsregelungen auf den Geschäftsgang eine Negativfeststellung getroffen hat. Dass das Berufungsgericht aus den erstgerichtlichen Feststellungen letztlich andere tatsächliche Schlüsse zog als das Erstgericht und damit zu einer anderen rechtlichen Beurteilung gelangte, begründet aber keine Mangelhaftigkeit (vgl RS0118191). Die Schlussfolgerungen des Berufungsgerichts aus den Urteilsfeststellungen des Erstgerichts begegnen auch keinen Bedenken:
[19] Inwieweit – wenn auch nur ungefähr – der Betrieb der Beklagten durch die behördlich angeordneten Maßnahmen (wie etwa den Mindestabstand) beeinträchtigt worden ist, steht aufgrund der insoweit eindeutigen (Negativ‑)Feststellung nicht fest. Damit kann der von ihr ins Treffen geführte Umsatzrückgang in den hier zu beurteilenden Zeiträumen ebenso gut auf geringerwertige, die Gebrauchstauglichkeit des Mietobjekts nicht beeinträchtigende und die Allgemeinheit treffende staatliche Eingriffe wie die Maskenpflicht (dazu 4 Ob 221/22m) oder auch nur auf eine pandemiebedingte allgemeine Unlust der Kunden zum Besuch von Fitnessstudios in dieser Zeit, die aber die gesamte Branche, allgemein und insgesamt betroffen hat (3 Ob 209/21p; 9 Ob 84/21z), zurückgeführt werden. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht bei dieser Sachverhaltsgrundlage zum Ergebnis gelangte, dass die Beklagte den ihr auferlegten Beweis nicht erbracht hat.
[20] 4.5 Ob § 273 ZPO anzuwenden ist, ist zwar eine rein verfahrensrechtliche Frage (RS0040282). Eine Ermessensentscheidung nach dieser Bestimmung kommt aber nur in Betracht, wenn feststeht, dass der Partei eine Forderung (hier der Anspruch auf Mietzinsminderung) grundsätzlich zusteht (RS0040364). Dieser Beweis ist der Beklagten nicht gelungen, sodass sie mit ihren Ausführungen auch keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor dem Berufungsgericht aufzeigen kann.
[21] 5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
[22] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung darauf hingewiesen, dass das Rechtsmittel der Beklagten nicht zulässig ist, und hat damit Anspruch auf die darauf entfallenden Kosten.
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