European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00084.21Z.0630.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.
Die Kostenentscheidung ist der Endentscheidung vorbehalten.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Beklagte ist seit 1. 9. 2016 Mieterin eines in der Stadt Salzburg, Getreidegasse, gemieteten Geschäftslokals (Bekleidungsgeschäft) mit einem monatlichen Hauptmietzins von netto 5.000 EUR, die Kläger sind Eigentümer des Bestandobjekts.
[2] Soweit revisionsgegenständlich, begehrten die Kläger von der Beklagten die Zahlung von 18.900 EUR sA an Mietzins- und Betriebskostenrückständen betreffend die (außerhalb von Lockdowns gelegenen) Zeiträume Juli bis Oktober 2020 sowie März 2021 und die Räumung des Bestandobjekts. Es sei keine Vereinbarung zur generellen und dauerhaften Reduktion der Miete um 50 % geschlossen worden. Das Coronavirus falle auch nicht unter die außerordentlichen Zufälle gemäß § 1104 ABGB.
[3] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte dazu ein, die durch die Pandemie verursachte Unbrauchbarkeit eines Bestandobjekts führe dazu, dass dem Bestandnehmer keine oder nur eine eingeschränkte Verpflichtung treffe, den Bestandzins zu zahlen. Unter die §§ 1104 f ABGB seien nicht nur Gebrauchsbeeinträchtigungen zu subsumieren, die unmittelbar auf einer behördlichen Maßnahme beruhten, sondern auch sonstige pandemiebedingte Umsatzausfälle. Aufgrund der Lockdowns sei die Beklagte generell von der Bezahlung des Mietzinses befreit gewesen. Darüber hinaus habe das Auftreten von COVID‑19 auch während des übrigen Zeitraums seit März 2020 zu erheblichem Kunden- und damit Umsatzrückgang im Geschäft geführt. Die Beklagte sei auch für die Zeiträume außerhalb der verordneten Lockdowns zur Zahlung von maximal 50 % des Bestandzinses verpflichtet gewesen. Die von ihr geleisteten (reduzierten) Zahlungen für den Zeitraum des zweiten und dritten Lockdowns würden compensando eingewandt.
[4] Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren mit Teilurteil im Ausmaß von 18.717,59 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren (bezahlte Betriebskosten) ab. Nach dem festgestellten Sachverhalt hatten die Kläger für den Zeitraum März, April und Mai 2020 aufgrund der Corona‑Pandemie auf 50 % des Mietzinses verzichtet, aber keiner generellen 50‑prozentigen Reduktion des Mietzinses ab Juni 2020 zugestimmt. Über Antrag vom 16. 9. 2020 erhielt die Beklagte einen Fixkostenzuschuss in Höhe von 35.217,12 EUR. Dem Antrag lagen die Betrachtungszeiträume 16. 6. 2019 bis 15. 9. 2019 sowie 16. 6. 2020 bis 15. 9. 2020 zugrunde. Für diese Zeiträume waren die im Bestandgegenstand erzielten Umsätze mit 48.049,34 EUR (2019) und 9.391,16 EUR (2020) angegeben.
[5] Rechtlich führte das Erstgericht im Hinblick auf die §§ 1104 ff ABGB aus, die Beklagte habe den Bestandgegenstand in den Zeiträumen, in denen keine behördlich verordneten Schließungen der Geschäftsräumlichkeiten angeordnet gewesen seien, uneingeschränkt nutzen können. Dass es zu Umsatzeinbußen insbesondere infolge geringerer Kundenbesuche gekommen sei, falle in ihre Risikosphäre und entbinde sie nicht von der Zahlung des vereinbarten Bestandzinses. Es sei auch auf den gewährten Fixkostenzuschuss zu verweisen. Die Gegenforderung bestehe aufgrund des vereinbarten Aufrechnungsverbots nicht.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte in Auseinandersetzung mit der Lehre die Rechtsansicht des Erstgerichts mit der Maßgabe, dass der Aufrechnungsantrag der Beklagten abgewiesen wurde. Es ließ die Revision zur Frage zu, ob das Auftreten von COVID‑19 als außerordentlicher Zufall iSd §§ 1104 f ABGB zu qualifizieren sei und bejahendenfalls, ob unter diese Bestimmungen nur Gebrauchsbeeinträchtigungen zu subsumieren seien, die unmittelbar auf einer hoheitlichen Maßnahme beruhten, oder auch sonstige pandemiebedingte Umsatzeinbußen.
[7] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Klagsabweisung; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[8] Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
[9] Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.
[10] Die Beklagte meint zusammengefasst, dass pandemiebedingte Umsatzausfälle mietzinsmindernd zur eingeschränkten Brauchbarkeit des Bestandobjekts führten. Die Salzburger Getreidegasse sei sowohl von Touristen als auch von Einheimischen stark frequentiert, das Personenaufkommen habe aufgrund der Pandemie aber stark abgenommen. Dies sei nicht (nur) auf Lockdowns, sondern auch auf das allgemein bestehende Infektionsrisiko und die allgemeine Expertenempfehlung zur drastischen Reduktion persönlicher Kontakte zurückzuführen. Eine physische Beeinträchtigung des Bestandobjekts oder Beeinträchtigungen infolge behördlicher Maßnahmen seien nicht erforderlich. Zudem hätten auch außerhalb von Zeiten des Lockdowns der Pandemiebekämpfung dienende behördliche Nutzungs‑beschränkungen („Lockerungsmaßnahmen“) bestanden. Die Vereinbarung eines Mindestumsatzes sei nicht erforderlich. Eine weltweite Pandemie sei auch nicht mit einer ungünstigen Wirtschaftslage vergleichbar. Da im Jahr 2020 lediglich ein Umsatz von rund 20 % zu erzielen gewesen sei, bestehe ein Anspruch auf Mietzinsminderung in Höhe von 80 %.
Rechtliche Beurteilung
[11] 1. Der Oberste Gerichtshof hat sich mit den vom Berufungsgericht und von der Revision aufgeworfenen Fragen bereits mehrfach auseinandergesetzt und in einer Reihe von Entscheidungen, wie etwa in 3 Ob 209/21p zusammengefasst, folgende Punkte klargestellt:
[12] 1.1. Die infolge der COVID‑19‑Pandemie erlassenen behördlichen Maßnahmen begründen einen außerordentlichen Zufall iSd §§ 1104 f ABGB (3 Ob 78/21y, 3 Ob 184/21m; 5 Ob 192/21b; 8 Ob 131/21d).
[13] 1.2. Wenn die in Bestand genommene Sache wegen eines außerordentlichen Zufalls gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann, so ist nach § 1104 ABGB kein Mietzins zu entrichten. Behält der Mieter trotz eines solchen Zufalls einen beschränkten Gebrauch des Mietstücks, so wird ihm gemäß § 1105 ABGB ein verhältnismäßiger Teil des Mietzinses erlassen.
[14] 1.3. Die Frage, ob (teilweise) Unbenützbarkeit des Bestandgegenstands vorliegt, ist nach dem Vertragszweck zu beurteilen (3 Ob 184/21m). Die in §§ 1104, 1105 und 1107 ABGB angesprochene Unbrauchbarkeit folgt daher in ihren Grundsätzen der (teilweisen) Unbrauchbarkeit iSd § 1096 ABGB. Die Bestandsache muss eine Verwendung zulassen, wie sie gewöhnlich nach dem Vertragszweck erforderlich ist und nach der Verkehrssitte erfolgt. Mangels anderer Vereinbarungen ist eine mittlere (durchschnittliche) Brauchbarkeit geschuldet (RS0021054; RS0020926). Für die Beurteilung ist in erster Linie die (ausdrückliche) Parteienvereinbarung bzw der dem Vertrag zugrunde gelegte Geschäftszweck maßgeblich (8 Ob 131/21d mzN).
[15] 2. Hier war der vereinbarte Bestandzweck die Verwendung des Geschäftslokals als Modegeschäft. Dass das Geschäftslokal in den Zeiträumen eines behördlichen Betretungsverbots für Kunden nicht der vereinbarten Benützbarkeit unterlag, ist hier nicht fraglich und nicht weiter revisionsgegenständlich.
[16] 3. Zur Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die infolge der COVID‑19‑Pandemie eingetretene Beeinträchtigung des vom Geschäftsraummieter erzielbaren Umsatzes – generell, also unabhängig von der Anwendbarkeit der §§ 1104 f ABGB – eine Mietzinsminderung rechtfertigen könnte, wurde jüngst in der Entscheidung 3 Ob 209/21p in ausführlicher Auseinandersetzung mit den zahlreichen Stellungnahmen der Literatur zusammenfassend Folgendes ausgeführt:
„7.1 Nach der bisherigen Rechtsprechung kommt es für einen allfälligen Mietzinsminderungsanspruch des Bestandnehmers eines Geschäftslokals maßgeblich darauf an, ob eine Beeinträchtigung der vertragsgemäßen Nutzung vorliegt, während ein Umsatzrückgang als solcher dafür im Allgemeinen für sich allein nicht ausreicht: So sind etwa für den Geschäftsraummieter vorhersehbare Umsatzeinbußen, die durch die Ansiedlung weiterer Konkurrenzbetriebe in der Umgebung eintreten, ohne besondere Umstände – wie etwa eine entsprechende (ausdrückliche oder durch ergänzende Auslegung erzielbare) Regelung im Bestandvertrag (Konkurrenzschutz) – kein Grund für eine Mietzinsminderung, liegt doch eine solche Situation im Bereich des Unternehmerrisikos (vgl RS0119192; RS0117011 [T1, T2]; Riss in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 1107 Rz 2; Pesek in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1096 Rz 109).
7.2 Es mag nun durchaus zutreffen, dass die vorliegende Konstellation einer Pandemie mit weitreichenden weltweiten wirtschaftlichen Verwerfungen nicht unmittelbar mit kleinräumigen Konkurrenzverhältnissen vergleichbar ist. Als Grundsatz lässt sich aus der zuvor angesprochenen Judikatur aber doch ableiten, dass ein erheblicher Rückgang des Geschäftserfolgs des Bestandnehmers nicht schon per se eine Mietzinsreduktion rechtfertigt, sondern nur dann, wenn er auf einer Verletzung vertraglicher Verpflichtungen des Bestandgebers beruht (vgl 1 Ob 113/02b [verstSenat]) oder zumindest auf einer nach der Wertung der §§ 1104 f ABGB dem Bestandgeber zuzurechnenden Einschränkung der Benützbarkeit des Bestandgegenstands.
7.3 Nach Ansicht des Senats ist daher eine differenzierte Betrachtung erforderlich:
7.3.1 Soweit Umsatzeinbußen des Geschäftsraum‑mieters eine unmittelbare Folge der COVID‑19‑Pandemie sind, die sämtliche Unternehmer wie (auch) den Mieter des Geschäftslokals, insbesondere dessen gesamte Branche, allgemein und insgesamt treffen, sind diese dem Unternehmerrisiko zuzuordnen und daher für den zu zahlenden Mietzins nicht relevant. Diese Auswirkungen der Pandemie sind keine Gebrauchsbeeinträchtigungen des vom Vermieter vereinbarungsgemäß zur Verfügung zu stellenden Objekts. Die §§ 1096, 1104 f ABGB bilden daher keine Grundlage für eine allein darauf aufbauende Mietzinsminderung. Die gegenteiligen Lehrmeinungen zeigen keine, insbesondere keine überzeugenden und konkreten gesetzlichen Grundlagen auf, die es geboten erscheinen ließen, die praktisch global eine ganze Branche treffenden Umsatzeinbußen als Unbrauchbarkeit des bestimmten Bestandobjekts dem einzelnen Vermieter aufzubürden.
7.3.2 Lassen sich hingegen Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters auf behördliche Maßnahmen, hier also auf jene Betretungsverbote zurückführen, die anlässlich der COVID‑19‑Pandemie verfügt wurden, so sind solche Umsatzeinbußen konkrete Folgen einer objektiven Einschränkung des vertraglich bedungenen Gebrauchs des Bestandobjekts und im Rahmen einer Mietzinsminderung zu berücksichtigen.
7.3.3 Als Zwischenergebnis lässt sich daher festhalten, dass Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters zwar ein Indiz dafür sein können, dass eine (teilweise) Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts vorliegt, allerdings müssen diese Einbußen abgesehen von Fällen eines vertragswidrigen Verhaltens des Bestandgebers im Anwendungsbereich des § 1105 ABGB eine unmittelbare Folge der – etwa wegen behördlicher Maßnahmen – eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit des konkreten Geschäftslokals sein. Bezogen auf den vorliegenden Fall könnte daher eine Umsatzeinbuße dann beachtlich sein, wenn diese aus dem Umstand resultiert, dass Kunden das von der Beklagten gemietete Geschäftslokal nicht betreten durften und daher nicht in Präsenz betreut werden konnten. Ohne Belang ist es dagegen, wenn Umsatzrückgänge darauf beruhen, dass sich Menschen namentlich infolge der gesundheitlichen Risken der Pandemie nicht zu Reisen entschließen wollten. Dass bei Ermittlungsschwierigkeiten bezüglich des Ausmaßes einer beachtlichen Beeinträchtigung und der daraus gegebenenfalls gerechtfertigten Zinsminderung das Gericht gemäß § 273 ZPO vorgehen darf, folgt zwanglos aus bereits vorliegender Rechtsprechung (vgl RS0109646; RS0021324 [T2]; vgl auch 5 Ob 192/21b).“
[17] 4. Davon ausgehend ist auch im Hinblick auf die Umsatzrückgänge der Beklagten festzuhalten, dass sie dann zu einer Mietzinsminderung führen können, wenn sie Ausdruck, das heißt unmittelbare Folge der – etwa wegen behördlicher Maßnahmen – eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit des konkreten Geschäftslokals sind.
[18] Für die klagsgegenständlichen Zeiträume bestand für das Geschäftslokal kein behördlich angeordnetes Betretungsverbot, sodass es der Beklagten grundsätzlich möglich war, ihre Waren im Geschäft anzubieten, Kunden in Präsenz zu beraten und Verkäufe abzuwickeln. Ob und inwieweit behördliche Maßnahmen außerhalb des Lockdowns spezifische Beschränkungen der Nutzungsmöglichkeit des streitgegenständlichen Geschäftslokals herbeiführten, ist hier nicht weiter zu prüfen, weil die Beklagte in erster Instanz kein konkretes Vorbringen dazu erstattet hat (s ON 8 Beil ./I). Soweit die Umsatzrückgänge darauf beruht haben könnten, dass Touristen ausblieben oder Menschen generell infolge der gesundheitlichen Risken der Pandemie die Salzburger Innenstadt zum Einkaufen mieden, ist dieser Umstand nach der Entscheidung 3 Ob 209/21p ohne Belang. Damit liegen auch die geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel (Pkt 2.2. der Revision) nicht vor.
[19] 5. Anhaltspunkte für eine Sittenwidrigkeit des vertraglich vereinbarten Kompensationsverbots wurden in erster Instanz nicht aufgezeigt und sind nicht ersichtlich.
[20] 6. Da die Vorinstanzen dem Zahlungsbegehren der Kläger danach zu Recht stattgegeben haben, ist der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.
[21] 7. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf jenem des Erstgerichts (§ 52 Abs 3 ZPO).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)