European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00192.21B.1213.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass es – einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen Teils – zu lauten hat:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 1.300,88 EUR samt 12 % Zinsen seit 30. Mai 2020 zu bezahlen.
Das Mehrbegehren von 35.604,52 EUR samt 12 % Zinsen aus 7.635,60 EUR seit 2. März 2020, aus 14.634,90 EUR seit 2. April 2020, aus 14.634,90 EUR vom2. Mai 2020 bis 29. Mai 2020 und aus 13.334,02 EUR seit 30. Mai 2020 wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 5.633 EUR (darin 938,83 EUR USt und 5,82 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz zu ersetzen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.053,22 EUR (darin 508,87 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.883,16 EUR (darin 313,86 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft, auf der sie ein Einkaufszentrum betreibt. Die Beklagte hat dort einGeschäftslokal zum Betrieb eines Fitness‑Studios gemietet. Im Bestandobjekt befinden sich Räume zur Abhaltung von Gruppenstunden und auch solche, wo die Kunden der Beklagten allein an Fitnessgeräten trainieren können. Vor März 2020 wurden im Fitness‑Studio der Beklagten etwa 80 Gruppenstunden wöchentlich abgehalten.
[2] Den letztgültigen Bestandvertrag für das von der Beklagten gemietete Objekt (./1) schlossen die Parteien am 31. 7. 2018 ab, wobei die Beklagte bei den Vertragsverhandlungen anwaltlich beraten war. Im Bestandvertrag heißt es auszugsweise:
„3. Bestandzweck:
Der Bestandgegenstand dient zum Betreiben eines Fitness‑Studios inklusive Nebeneinrichtungen (zB Massage, Kosmetik [Maniküre sowie Pediküre], Solarium, Sauna, Energiemessungen und Wellness sowie zum Verkauf von Fitness‑Bekleidung und Ausschank von alkoholfreien Getränken (inklusive Cafe) und zur Verabreichung von Snacks (insbesondere Sport‑ und Fitnessnahrung) in der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses üblichen Sortimentszusammensetzung bzw Betriebsform.
[...]
Dem Bestandnehmer ist es untersagt, sein Sortiment ausschließlich oder zum überwiegenden Teil über das Internet zu verkaufen und den Bestandgegenstand im EKZ bloß für die Ausgabe der über das Internet bestellten Waren an die Kunden zu nutzen.
[...]
8. Aufrechnung, §§ 1096 und 1104 ABGB, Pönale
[...]
8.2 Der Bestandnehmer verzichtet auf Minderung oder Zurückhaltung des Bestandentgelts, insbesondere gemäß §§ 1096 und 1104 ABGB, sofern die Nutzung und Benutzbarkeit des Bestandobjekts nicht durch Umstände, die der Bestandgeber zumindest grob fahrlässig zu verantworten hat, wesentlich (sowohl betreffend Umfang und Dauer) eingeschränkt wird oder dem Bestandnehmer hieraus ein erheblicher, nachweislicher Nachteil entsteht.“
[3] Auf Grundlage des § 1 COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (BGBl I 2020/12) erließ der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mehrere Verordnungen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19, die zu mehreren Lockdowns führten.
[4] Die Verordnung über vorläufige Maßnahmen BGBl II 2020/96, verlängert durch die Verordnungen BGBl II 2020/108 und BGBl II 2020/151, untersagte für den Zeitraum vom 16. 3. 2020 bis 30. 4. 2020 – mit Ausnahme bestimmter Bereiche der Grundversorgung – das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmungen sowie von Freizeit‑ und Sportbetrieben. Auch nach der COVID‑19‑Lockerungsverordnung BGBl II 2020/197 blieb das Betreten von Sportstätten sowie Freizeiteinrichtungen untersagt. Erst aufgrund der Änderung der COVID‑19‑Lockerungsverordnung mit BGBl II 2020/231 (in Kraft getreten am 29. 5. 2020) wurde ab30. 5. 2020 das Betreten von Sport‑ und Freizeiteinrichtungen wieder für zulässig erklärt.
[5] Die Klägerin schrieb der Beklagten im Jahr 2020 monatlich 19.513,20 EUR brutto als Bestandzins vor. Die Beklagte bezahlte den Zins für März 2020 am 20. 2. 2020 zur Gänze. Den Bestandzins für die Monate April und Mai 2020 bezahlte sie nicht.
[6] Das Fitness‑Studio der Beklagten war vom 15. 3. 2020 bis einschließlich 29. 5. 2020 durchgehend geschlossen und ab 30. 5. 2020 wieder geöffnet. Die Beklagte nutzte die Bestandräumlichkeiten zwischen 15. 3. und 29. 5. 2020 nicht. Dass ihr Fitness‑Studio für diesen Zeitraum unter die vorgesehenen Betretungsverbote fiel, ist im Revisionsverfahren nicht strittig.
[7] Die Beklagte beantragte für den Zeitraum März bis Mai 2020 einen „Fixkostenzuschuss“ und erhielt am 27. 2. 2021 eine Zahlung von 16.261 EUR.
[8] Die Klägerin begehrte – soweit im Revisionsverfahren noch wesentlich – an offenem Bestandentgelt für April und Mai 2020 jeweils 14.634,90 EUR. Sie sei verpflichtet gewesen den gesamten Betrieb des Einkaufszentrums aufrecht zu erhalten und die mit der Errichtung des Objekts verbundenen Aufwendungen weiter zu bedienen. Der Standpunkt der Beklagten, sie sei für den Zeitraum Mitte März 2020 bis Ende Mai 2020 von der Mietzinszahlung zur Gänze befreit, sei – auch unter Berücksichtigung von § 1105 ABGB – unrichtig. Im Mietvertrag sei die Anwendung von § 1104 ABGB abbedungen worden. Aufgrund des der Beklagten zustehenden Fixkostenzuschusses habe sie jedenfalls 75 % des vereinbarten Bestandzinses zu bezahlen.
[9] Die Beklagte wendete ein, ihr sei durch den Verzicht auf das Zinsminderungsrecht ein erheblicher Nachteil erwachsen, weshalb der Verzicht nach der Formulierung im Bestandvertrag nicht wirksam sei. Gemäß § 1106 ABGB könne ein möglicher Ausschluss des Zinsminderungsrechts nach § 1104 ABGB nur vorhersehbare Ereignisse betreffen, dieser Ausschluss sei auch sittenwidrig. Aufgrund der einer Betriebsschließung gleichkommenden Ausgangsbeschränkung ab Mitte März 2020 sei die Beklagte zu keiner Zahlung verpflichtet gewesen. Der Fixkostenzuschuss diene nicht dem Ersatz des Mietausfalls von Vermietern, eine rechtliche Verpflichtung, diesen an den Vermieter herauszugeben, existiere nicht.
[10] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die COVID‑19‑Pandemie sei eine Seuche iSd § 1104 ABGB. Ob das Bestandobjekt direkt oder durch ein aufgrund der Seuche ausgesprochenes behördliches Betretungsverbot unbenutzbar werde, sei irrelevant. Eine gänzliche Betriebsschließung aus Anlass der COVID‑19‑Pandemie wie bei Fitness‑Studios habe gänzliche Unbrauchbarkeit im bestandrechtlichen Sinn zur Folge. Eine Teilnutzung iSd § 1105 ABGB liege nicht vor, weil der vertraglich bedungene Gebrauch des Objekts nicht die Lagerung von Fitnessgeräten, sondern der Betrieb des Fitness‑Studios gewesen sei. Die Beklagte sei daher von einer Zinszahlung befreit. Nach Punkt 8.2 des Vertrags habe die Bestandnehmerin auf ihr Zinsminderungsrecht nach § 1104 ABGB für den Fall nicht verzichtet, dass ihr durch die Unbenutzbarkeit des Objekts ein erheblicher nachweislicher Nachteil entstehe, was hier der Fall sei. Die Beklagte sei mangels Rechtsgrundlage nicht verpflichtet, den Fixkostenzuschuss an die Vermieterin herauszugeben.
[11] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es teilte die Beurteilung des Erstgerichts unter Hinweis auf § 500a ZPO. Die Auslegung des Punktes 8.2 des Bestandvertrags durch das Erstgericht sei zutreffend. Der Verzicht auf die Mietzinsbefreiung gemäß § 1104 ABGB gelte nach dem klaren Wortlaut der Vertragsbestimmung dann nicht, wenn die Benutzbarkeit des Objekts durch vom Bestandgeber zumindest grob fahrlässig zu verantwortende Umstände wesentlich eingeschränkt werde oder wenn der Bestandnehmer hieraus (nämlich aus dem Verzicht bzw aus der Gebrauchsbeeinträchtigung) ein erheblicher nachweislicher Nachteil entstehe. Dieser zweite Fall liege bei einem behördlichen Betretungsverbot der Kundenbereiche eines Fitness‑Centers vor. Der gänzliche Ausschluss des § 1104 ABGB sei überdies – ohne besonderes Entgegenkommen des Bestandgebers wie etwa durch besonders niedrigen Mietzins – sittenwidrig. Die COVID‑19‑Pandemie sei eine „Seuche“ iSd § 1104 ABGB. Beseitigten oder beschränkten die wegen der Pandemie ergriffenen legistischen Maßnahmen die Nutzungsmöglichkeit des Bestandobjekts, seien sie als Folge der Pandemie den §§ 1104 f ABGB zu unterstellen. Einer Substanzschädigung des Objekts bedürfe es dafür nicht. Da die Beklagte das Objekt explizit zum Betrieb eines Fitness‑Studios gemietet habe, erübrige sich eine Auseinandersetzung mit § 1107 ABGB und dem Argument, die Wahl des Geschäftsbetriebs stamme aus der Sphäre der Beklagten. Der Fixkostenzuschuss bezwecke die Erhaltung der Zahlungsfähigkeit oder Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten von einheimischen Unternehmen und solle als Unterstützungsleistung daher nur diesen begünstigten Unternehmen zu Gute kommen, zu denen Vermieter nicht zählen. Eine Anrechnung des Fixkostenzuschusses sei daher abzulehnen. Da der Lagerzweck gegenüber dem Betrieb des Fitness‑Studios in den Hintergrund trete, werde dafür allein kein Bestandentgelt geschuldet. Dem bloßen Vorhandensein der Räumlichkeiten, die die Kunden nicht betreten dürfen, komme kein eigenständiger Wert zu.
[12] Die Revision ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, zu den Auswirkungen der COVID‑19‑Pandemie auf Geschäftsraummietverhältnisse bestehe noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung.
[13] Soweit das Berufungsgericht die Abweisung des Zahlungsbegehrens von 29.269,80 EUR (Bestandzins für April und Mai 2020) bestätigte, richtet sich dagegen die Revision der Klägerin, in der sie eine Abänderung im Sinn einer diesbezüglichen Klagestattgebung anstrebt, hilfsweise einen Aufhebungsantrag stellt.
[14] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
[15] Die Revision ist zulässig, weil zur vom Berufungsgericht aufgeworfenen Rechtsfrage noch keine gesicherte Rechtsprechung des Höchstgerichts besteht. Sie ist nur teilweise berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[16] 1. In ihrer Revision wendet sich die Klägerin gegen die Auslegung der Vorinstanzen zum vereinbarten Ausschluss des § 1104 ABGB, bestreitet die Anwendbarkeit dieser Bestimmung grundsätzlich und argumentiert unter Berufung auf § 1107 ABGB mit der Sphärentheorie sowie der Anrechenbarkeit des erhaltenen Fixkostenzuschusses.
Hiezu wurde erwogen:
[17] 2.1. Wenn die in Bestand genommene Sache wegen „außerordentlicher Zufälle“, namentlich (unter anderem) wegen „Feuer, Krieg oder Seuche, große Überschwemmungen oder Wetterschläge“, gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann, ist gemäß § 1104 ABGB der Bestandgeber zur Wiederherstellung nicht verpflichtet und auch kein Miet‑ oder Pachtzins zu entrichten. Unter den Voraussetzungen des § 1104 ABGB, der keine abschließende Aufzählung der außerordentlichen Zufälle enthält, kommt es demnach zu einem Entfall des Mietzinses; gleichzeitig entfällt die verschuldensunabhängige Erhaltungspflicht des Bestandgebers nach § 1096 ABGB (RIS‑Justiz RS0020783).
[18] 2.2. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 3 Ob 78/21y – im Einklang mit den dort zitierten überwiegenden Literaturstimmen (Edelhauser, Bestandrechtliche Folgen der COVID‑19‑Pandemie, ÖJZ 2020, 341; Ehgartner/Weichbold, COVID‑19‑Mietzinsminderung für Geschäftsräume? wbl 2020, 250; Lovrek, COVID‑19: Auswirkungen auf Bestandverträge, ZIK 2020, 1; Karauschek/Pinwein, COVID‑19 und Rechtsschutzversicherung für bestandrechtliche Streitigkeiten gemessen an der Entscheidung des OGH vom 24. 3. 2021, 7 Ob 42/21h, immo aktuell 2021, 144 mwN; Pesek, Ausgewählte Fragen zu den Auswirkungen der COVID‑19‑Pandemie auf den Mietzins bei Geschäftsraummieten, wobl 2021, 125 [131]; Laimer/Schickmair in Resch, Corona‑Handbuch1.02, Kap 11 Rz 7 mwN; Vonkilch, Mietzinsminderung bei der Geschäftsraummiete wegen COVID-19 „jenseits“ der Lockdowns, wobl 2021, 321 f, abweichend Krenn/Schüßler‑Datler, Miete zahlen oder nicht? Zur Bestandzinsfortzahlung während hoheitlicher COVID‑19‑Einschränkungen, RZ 2020, 123 [125 ff]; Broesigke/Ruf, Zinsminderungsansprüche von Geschäftsraummieten während der Coronaviruskrise unter Einbindung der Sphärentheorie, immo aktuell 2020, 77 [79]; Oberhammer, Pandemie und Geschäftsraummiete, JBl 2021, 417 ff) – bereits entschieden, dass die COVID‑19‑Pandemie einer „Seuche“ iSd § 1104 ABGB gleichzustellen ist und aufgrund dieser Pandemie durch Gesetze oder Verordnungen angeordnete Betretungsverbote für Geschäftsräume in Bestandobjekten zu deren Unbenutzbarkeit führen. Dies ergibt sich daraus, dass schon nach der bisherigen Rechtsprechung als „außerordentliche Zufälle“ iSd § 1104 ABGB elementare Ereignisse zu verstehen sind, die von Menschen nicht beherrschbar sind, sodass für deren Folgen im Allgemeinen von niemandem Ersatz erwartet werden kann. Solche Elementarereignisse treffen stets einen größeren Personenkreis auf eine Weise, die durch eine gesetzliche Regelung über Ersatzansprüche nicht ausgeglichen werden kann (vgl 7 Ob 520/87; 1 Ob 306/02k; Lovrek in Rummel/Lukas 4 §§ 1104–1108 ABGB Rz 8 mwN; Höllwerth in GeKo Wohnrecht I § 1104 ABGB Rz 13; Pesek in Schwimann/Kodek 5 § 1104 Rz 5 und 6 mwN; Riss in Kletečka/Schauer ABGB‑ON1.02 § 1105 Rz 3). Diese Kriterien sind bei der COVID‑19‑Pandemie erfüllt.
[19] 2.3. Für die Frage der Unbenutzbarkeit des Bestandgegenstands kommt es auf die Erfüllung des vertraglichen Geschäftszwecks an. Da der Kundenbereich eines gemieteten Geschäftslokals von Kunden im Fall eines Verbots nicht betreten werden darf, ist der bestimmungsgemäße Geschäftszweck nicht erfüllbar. Das Gesetz verlangt zwar einen Zusammenhang zwischen Unbenutzbarkeit und „Seuche“, nicht aber, dass dieser Zusammenhang – wie etwa bei einem Schädlingsbefall – „objektbezogen“ sein müsste. Dieser Zusammenhang liegt vielmehr auch dann vor, wenn die Unbenutzbarkeit auf hoheitliche (gesetzlich oder behördliche) Maßnahmen zurückzuführen ist. Eine Einschränkung dahin, dass die Gebrauchsbeeinträchtigung unmittelbar aus der Pandemie selbst resultieren müsste, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen (vgl Pelinka/Pukel, Mietzinsminderung wegen COVID‑19 bei Gewerbeimmobilien, ecolex 2021, 32 mwN). Dem entspricht das von der Rechtsprechung schon bisher vertretene Verständnis zu § 1104 ABGB, wonach auch aus Elementarereignissen resultierende Eingriffe einschlägig sein können (vgl RS0038602; RS0024896 [Beschlagnahme]; 8 Ob 610/90 [Durchführung von Personenkontrollen zur Verhinderung terroristischer Anschläge]). Entgegen der Auffassung der Klägerin stellt das Gesetz für die Beurteilung der Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts nicht auf eine Einwirkung auf dieses selbst (wie etwa Kontamination mit Krankheitserregern), sondern auf eine (hier) pandemiebedingte, gemessen am Vertragszweck objektive Unbenutzbarkeit ab (so – zu § 1096 ABGB – RS0020926; RS0021054; 3 Ob 184/21m).
[20] 2.4. Ist der bedungene Gebrauch des Bestandobjekts durch Kundenverkehr gekennzeichnet, so führt ein Betretungsverbot aus Anlass der COVID‑19‑Pandemie in der Regel zur gänzlichen Unbenutzbarkeit des Bestandobjekts iSd § 1104 ABGB (so auch Lovrek, COVID‑19: Auswirkungen auf Bestandverträge, ZIK 2020, 60, 3.2). Ist die vertragsmäßige charakteristische Nutzung hingegen nur eingeschränkt, kommt es gemäß § 1105 ABGB zu einer Mietzinsminderung im Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung nach der relativen Berechnungsmethode (vgl 8 Ob 78/16b; 3 Ob 109/21g; Lovrek in Rummel/Lukas 4 § 1096 ABGB Rz 111; Kletečka/Schauer ABGB‑ON1.02 § 1096 Rz 31 und § 1105 Rz 1).
[21] 2.5. Für die Beurteilung der vertragsgemäßen Nutzungsmöglichkeit ist auf das konkrete Bestandobjekt und nicht auf das übrige geschäftliche Umfeld abzustellen. Dass– wie hier – ein Einkaufszentrum für bestimmte Geschäftszwecke (wie Lebensmittelhandel oder Apotheken) während eines Lockdowns betreten werden durfte, ändert nichts an der Unbenutzbarkeit eines Geschäftslokals, das anderen, vom Betretungsverbot erfassten Geschäftszwecken dient. Aus weiterhin bestehenden Parkmöglichkeiten, der Versorgung des Einkaufszentrums mit Energie oder seiner Bewachung und Reinigung ist kein geschäftlicher Nutzen für einen Mieter abzuleiten, dessen Objekt pandemiebedingt vom bedungenen Gebrauch aufgrund eines Betretungsverbots ausgeschlossen ist. Der Umstand allein, dass das Mietobjekt in einem Einkaufszentrum liegt, begründet für einen Mieter, dessen Geschäftslokal nicht betreten werden darf, daher grundsätzlich keinen gesonderten Gebrauchswert. Auf einen relevanten Restnutzen aufgrund einer für den Geschäftsszweck typischen Lagerung von Waren oder dem Belassen von Einrichtungsgegenständen (vgl hiezu bereits 3 Ob 78/21y; differenzierend Laimer/Schickmair in Resch, Corona‑HB1.06 Kap 11; Brauneis, Unternehmenspacht und außerordentlicher Zufall unter besonderer Berücksichtigung von Einkaufszentren, RdW 2020, 475), den die Vorinstanzen mit überzeugender Begründung verneint haben, kommt die Klägerin in ihrer Revision nicht mehr zurück. Auch die – von den Vorinstanzen bejahte – Minderung (auch) der Betriebskosten spricht die Revision nicht an. Darauf ist daher nicht mehr einzugehen.
[22] 2.6. Zu einer Änderung des Geschäftszwecks etwa durch Bereitstellung von Online‑Angeboten oder durch Online‑Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln oder Fitnessbekleidung war die Beklagte weder gesetzlich noch vertraglich verpflichtet noch nach den Bestimmungen des Bestandvertrags überhaupt berechtigt (vgl 3 Ob 184/21m).
[23] 2.7. Damit war die Beklagte während des pandemiebedingten verordneten Lockdowns, der zu einem Betretungsverbot für ihr Geschäftslokal führte, nach § 1104 ABGB von der Pflicht zur Zinszahlung befreit. Dies betrifft hier den Zeitraum vom 15. 3. 2020 bis einschließlich 29. 5. 2020.
[24] 2.8. Anders ist die Rechtslage allerdings für den Zeitraum 30. bis 31. 5. 2020, als das behördlich verordnete Betretungsverbot für das Fitnessstudio der Beklagten nicht nur bereits wieder aufgehoben war, sondern sie ihr Fitness‑Studio auch tatsächlich wieder geöffnet hatte. Konkrete Gründe dafür, weshalb sie ungeachtet der Nutzung des Objekts für diese beiden Tage im Monat Mai nicht zumindest zur Zahlung eines anteiligen Betrags des für Mai 2020 verrechneten Bestandzinses verpflichtet sein sollte, hat sie im Verfahren nicht genannt. Die Behauptungs‑ und Beweislast dafür lag allerdings bei ihr (vgl Ebhart/Karauscheck/Reithofer, Mietzinsminderung und Mietzinsbefreiung in Zeiten der Pandemie, immo aktuell 2020, 81 [86]). Im Hinblick darauf und die einen Restnutzen grundsätzlich ansprechenden Revisionsausführungen ist daher im Rahmen allseitiger rechtlicher Prüfung zu berücksichtigen, dass es im Monat Mai 2020 insoweit einen relevanten Nutzen für die Beklagte gab, als sie an den zwei letzten Tagen des Monats ihr Fitness‑Studio nicht nur öffnen, sondern zum vertragsgemäßen Gebrauch auch nutzen konnte. Unter sinngemäßer Anwendung der zitierten relativen Berechnungsmethode und des § 273ZPO kann angesichts von zwei Nutzungstagen und des monatlichen Mietzinses von 19.513,20 EUR von einem Restnutzen im Mai von 1.300,88 EUR (brutto) ausgegangen werden. In diesem Umfang ist das Klagebegehren (einschließlich der begehrten unternehmerischen Zinsen) daher berechtigt.
[25] Ein darüber hinausgehender Mietzinsanspruch steht der Klägerin aber nicht zu:
[26] 3.1. Die Preisminderungs‑ und Gefahrtragungsregeln des § 1104 ABGB ist, was sich aus der Formulierung des § 1106 ABGB ergibt, dispositiv (Lovrek in Rummel/Lukas 4 § 1108 ABGB Rz 10). Die gesetzliche Regelung über den Entfall oder die Minderung des Mietzinses kann somit von den Vertragsparteien abbedungen werden. Hier haben die Parteien in Pkt 8.2. des Bestandvertrags hiezu eine Regelung vorgesehen, deren Inhalt primär durch Vertragsauslegung zu bestimmen ist. Die Zweifelsregel von § 1106 ABGB wäre nur dann relevant, wenn nach den Kriterien des § 914 ABGB kein eindeutiges Auslegungsergebnis zu ermitteln wäre.
[27] 3.2. Gemäß § 914 ABGB ist bei der Auslegung von Verträgen vom Wortlaut des schriftlichen Vertragstextes auszugehen, aber nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der Wille der Parteien zu erforschen. Wird – wie hier – kein vom Vertragstext oder Wortsinn abweichender oder diesen präzisierender oder ergänzender übereinstimmender Parteiwille behauptet oder festgestellt, so ist für die Auslegung der objektive Erklärungswert des Vertragstextes bzw der Erklärungen mit Rücksicht auf den Geschäftszweck maßgeblich. Der Vertrag ist so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (RS0017915; RS0017797).
[28] 3.3. Der in Pkt 8.2. des Bestandvertrags vereinbarte Verzicht des Mieters auf das Minderungsrecht nach §§ 1104, 1096 ABGB statuiert – wie aus der Wendung „sofern nicht“ eindeutig zu entnehmen ist – ausdrücklich Ausnahmen. Diese betreffen die wesentliche Einschränkung der Nutzung des Bestandobjekts, wobei die Vertragsbestimmung die Ausnahmefälle näher konkretisiert. Einerseits geht es um eine wesentliche Einschränkung der Nutzung durch Umstände, die der Bestandgeber zumindest grob fahrlässig zu verantworten hat. Andererseits bezieht sich ein Ausnahmefall darauf, dass dem Bestandnehmer „hieraus“ ein erheblicher und nachweislicher Nachteil entsteht. Da diese beiden Ausnahmefälle mit dem Wort „oder“ verknüpft sind, spricht schon der Wortlaut für zwei gesonderte, nebeneinander stehende Ausnahmefälle. Nach logischem und systematischem Verständnis bezieht sich das Wort „hieraus“ auf den Grundausnahmetatbestand (die wesentliche Einschränkung der Nutzung) und nicht – wie die Revisionswerberin meint – auf die erste Konkretisierung (die vom Bestandgeber grob fahrlässig zu verantwortenden Umstände). Bei einer derartigen Interpretation hätte die zweite Ausnahme keinen Anwendungsbereich, weil die grob fahrlässige Herbeiführung der wesentlichen Nutzungseinschränkungen nach der ersten Ausnahme bereits ausreichen würde und ein erheblicher Nachteil daraus gar nicht erforderlich wäre. Die grob fahrlässige Herbeiführung und der erhebliche Nachteil würden dann nicht im Alternativverhältnis stehen. Das von den Vorinstanzen übereinstimmend erzielte Auslegungsergebnis ist somit nicht zu beanstanden (3 Ob 184/21m). Dass Betretungsverbote, die mit einem erheblichen Kunden‑ und Umsatzausfall verbunden sind, selbst dann als erheblicher Nachteil im Sinn der Vertragsbestimmung anzusehen sind, wenn sie – zu einem geringen Teil – durch staatliche Unterstützungen abgefedert werden, liegt auf der Hand.
[29] 3.4. Auf die Überlegungen der Vorinstanzen zu § 1106 ABGB kommt es aufgrund dieses Auslegungsergebnissesebenso wenig an wie auf die vom Berufungsgericht angenommene Sittenwidrigkeit des Verzichts mangels erkennbarer Gegenleistung.
[30] 3.5. Die in der Revision ins Treffen geführte Bestimmung des § 1107 ABGB, die im Sinn der Sphärentheorie die Preisgefahr (Mietzinszahlung trotz Unbenützbarkeit) dem Mieter dann zuordnet, wenn die Gebrauchshindernisse aus seiner Sphäre stammen, ist hier nicht anzuwenden. Die COVID‑19‑Pandemie ist nicht Teil des allgemeinen Unternehmerrisikos und fällt daher nicht in die alleinige Risikosphäre des Bestandnehmers (zu der etwa seine persönliche Erkrankung zu zählen wäre). Die Pandemie hat das Objekt eben nicht nur für die Beklagte, sondern in gleicher Weise auch für jeden anderen Mieter unbrauchbar gemacht.
[31] 3.6. Aus all dem ergibt sich, dass sich die Klägerin hier nicht wirksam auf den vertraglichen Verzicht der Beklagten auf ihr Mietzinsminderungsrecht nach § 1104 ABGB berufen kann.
[32] 4.1. Auch zum von der Beklagten bezogenen Fixkostenzuschuss ist die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen zu teilen. Der sogenannte Fixkostenzuschuss 1 beruht auf der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Richtlinien über die Gewährung von Zuschüssen zur Deckung von Fixkosten durch die COVID‑19‑Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG), BGBl II 2020/225, die am 26. 5. 2020 in Kraft getreten ist. Die inhaltlichen Regelungen finden sich in den Richtlinien im Anhang zu dieser Verordnung. Nach Pkt 1.1 der Richtlinien („Präambel“) sollen die Zuschüsse zur Erhaltung der Zahlungsfähigkeit und Überbrückung von Liquididätsschwierigkeiten von Unternehmen (im Zusammenhang mit der Ausbreitung von COVID‑19) und der dadurch verursachten wirtschaftlichen Auswirkungen dienen. Nach Pkt 3.1.6 der Richtlinien müssen Unternehmen zumutbare Maßnahmen gesetzt haben, um die durch den Fixkostenzuschuss zu deckenden Fixkosten (vgl dazu Pkt 4.1 der Richtlinien) zu reduzieren („Schadensminderungspflicht mittels ex‑ante‑Betrachtung“). Nach Pkt 8.1 der Richtlinien (Prüfung der Fixkostenzuschüsse, Rückzahlung von Fixkostenzuschüssen) hat eine nachträgliche Überprüfung der Zuschüsse im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen jedenfalls auf Basis von Stichproben stattzufinden. Nach Pkt 8.3 der Richtlinien hat die COFAG Fixkostenzuschüsse insoweit zurückzufordern, als sich zu einem späteren Zeitpunkt herausstellt, dass die dem Zuschuss zugrundeliegenden Verhältnisse nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen.
[33] 4.2. Nach der Zielrichtung der Zuschussgewährung handelt es sich bei diesen Zuwendungen somit um eine Förderung der betroffenen Unternehmen. Ist der betroffene Unternehmensträger Bestandnehmer, ist dieser das Förderungssubjekt. Die Verordnung einschließlich der Richtlinien statuiert für diesen Fall keine Verpflichtung für den Bestandnehmer, die staatlichen Unterstützungen an den Bestandgeber herauszugeben. Es handelt sich nicht um eine Zuwendung, die dazu gedacht ist, den gesetzlichen Mietzinsentfall der Geschäftraumvermieter wettzumachen (so auch Flume/Laimer, Periculum est locatoris, immo ZAK 2020/14; Nemetschke/Koloseus, Umsatzersatz und stellvertretendes Commodum, immolex 2021, 202; Stabentheiner, Die mietrechtlichen und mietrechtsrelevanten Teile des 2. COVID‑19‑JuBG, wobl 2020, 121 [134]). Den gegenteiligen Ansichten von Oberhammer (Pandemie und Geschäftsraummiete, JBl 2021, 417 und 499 [506]) und Hochleitner (Die Auswirkungen von COVID‑19 auf Geschäftsraummieten, Miete und Pächter, ÖJZ 2020/72) ist nicht beizutreten.
[34] 4.3. Dieses Auslegungsergebnis wird dadurch gestützt, dass der Bestandnehmer nach Pkt 3.1.6 der Richtlinien einer Schadensminderungsobliegenheit gegenüber der Republik Österreich unterliegt. Er ist daher verpflichtet, primär die ihm zustehenden Mietzinsminderungen geltend zu machen, mit dem Fixkostenzuschuss sind nur effektiv gezahlte Mietzinse zu decken (vgl Fröhlich/Fuhrmann/Gstaltner, Der Fixkostenzuschuss als bürokratische Hilfe in der Not, immolex 2020, 258; Kraml/Eggenberger, Die Schadenminderungspflicht beim Fixkostenzuschuss, immolex 2021, 205). Dies bedeutet aber auch, dass es zu einer Kontrolle durch die COFAG ex post kommen und eine Rückzahlungspflicht bestehen kann (3 Ob 184/21m).
[35] 5. Insgesamt ist die Revision der Klägerin daher nur insoweit berechtigt, als die Beklagte verpflichtet ist, für den Zeitraum 30. bis 31. Mai 2020 anteilig Bestandzins zu bezahlen, sodass dem Klagebegehren in diesem Umfang in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen stattzugeben war. Im Übrigen ist die Revision der Klägerin unberechtigt und hat es bei der Abweisung des Klagebegehrens zu bleiben.
[36] 6. An der Kostenentscheidung für das Verfahren erster Instanz und das Berufungsverfahren ändert diese Abänderung nach den Grundsätzen der §§ 43 Abs 2 und 50 ZPO nichts, weil die Klagestattgebung nur einen geringfügigen Teil des Anspruchs betrifft, dessen Geltendmachung besondere Kosten nicht verursacht hat. Auch im Revisionsverfahren hat die Klägerin der Beklagten nach §§ 43 Abs 2, 50 ZPO die tarifgemäß verzeichneten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
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