OGH 7Ob181/21z

OGH7Ob181/21z24.11.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr.

 Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. R***** K*****, Rechtsanwalt, *****, gegen die beklagte Partei H***** AG, *****, vertreten durch Mag. Stephan M. Novotny, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung und 4.893,88 EUR sA, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. August 2021, GZ 2 R 15/21x‑20, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 23. November 2020, GZ 58 Cg 35/20k‑14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00181.21Z.1124.000

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist Mitversicherter in einem zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung mit gehobener Deckung (ARBG) Fassung 2011 zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

Art ikel 6 Welche Leistungen erbringt der Versicherer?

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, übernimmt der Versicherer im Fall seiner Leistungspflicht die ab dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Deckungsanspruchs entstehenden Kosten gemäß Punkt 6, soweit sie für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig sind.

[... ]

6. Der Versicherer zahlt:

6.1 die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwaltes bis zur Höhe des Rechtsanwaltstarifgesetzes oder, sofern dort die Entlohnung für anwaltliche Leistungen nicht geregelt ist, bis zur Höhe der Autonomen Honorarrichtlinien;

[... ]

Artikel 10 Wer wählt den Rechtsvertreter aus, durch wen und wann wird dieser beauftragt und was hat bei Vorliegen einer Interessenkollision zu geschehen?

1. Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, zu seiner Vertretung vor Gerichten oder Verwaltungsbehörden, eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person (Rechtsanwalt, Notar etc) frei zu wählen.

[... ]

3. Das Wahlrecht nach Punkt 1 und 2 bezieht sich nur auf Personen, die ihren Kanzleisitz am Ort des Gerichtes oder der Verwaltungsbehörde haben, die für das durchzuführende Verfahren in erster Instanz zuständig ist. Wenn am Ort dieses Gerichts oder der Verwaltungsbehörde nicht mindestens vier solcher Personen ihren Kanzleisitz haben, erstreckt sich das Wahlrecht auf eine im Sprengel des zuständigen Landesgerichtes ansässige vertretungsbefugte Person.

[... ]“

[2] Der klagende Rechtsanwalt macht in eigener Vertretung gegen die Republik Österreich Amtshaftungsansprüche gerichtlich geltend. Hier begehrt er die Feststellung der Deckungspflicht des beklagten Rechtsschutzversicherers für dieses Verfahren und die Zahlung weiterer – von der Beklagten bisher nicht honorierter – eigener Vertretungskosten von 4.893,88 EUR.

Rechtliche Beurteilung

I. Zur Revision der Beklagten:

[3] 1.1 Ein konstitutives Anerkenntnis liegt vor, wenn der Gläubiger seinen Anspruch ernstlich behauptet und der Schuldner die Zweifel am Bestehen des behaupteten Rechts dadurch beseitigt, dass er das Recht zugibt (RS0032496 [T6, T7, T9]). Es setzt somit die – nach der Vertrauenstheorie zu beurteilende (RS0032496 [T5]) – Absicht des Anerkennenden voraus, unabhängig von dem bestehenden Schuldgrund eine neue selbständige Verpflichtung zu schaffen (RS0032496 [T1], RS0032779 [T4], RS0032541 [T2]). Das Anerkenntnis gehört damit zu den Feststellungsverträgen (RS0032779). Es ruft das anerkannte Rechtsverhältnis auch für den Fall, dass es nicht bestanden haben soll, ins Leben und hat somit rechtsgestaltende Wirkung (RS0032496 [T6, T7]). Demgegenüber ist ein deklaratives Anerkenntnis (Rechtsgeständnis) kein Leistungsversprechen, sondern eine durch Gegenbeweis widerlegbare Wissenserklärung (RS0032784 [T10]). Durch ein konstitutives Anerkenntnis wird eine bisherige Unsicherheit endgültig beseitigt, es bleibt auch gültig, wenn später eindeutig nachweisbar ist, was im Zeitpunkt des Anerkenntnisses noch strittig und unsicher war. Das Anerkenntnis entfaltet somit wie ein Vergleich Bereinigungswirkung (RS0110121). Ob ein deklaratorisches (unechtes) oder konstitutives (echtes) Anerkenntnis vorliegt, ist durch Auslegung des Parteiwillens im Einzelfall zu ermitteln. Dabei sind vor allem die mit dem Anerkenntnis verfolgten Zwecke, die beiderseitigen Interessenlagen und die allgemeine Verkehrsauffassung über die Bedeutung eines solchen Anerkenntnisses maßgebend (RS0017965, RS0032666). Ein konstitutives Anerkenntnis kann sich auch nur auf den Teil einer Forderung oder deren Höhe (RS0122872) oder allein auf den Anspruchsgrund (vgl RS0032959, RS0040880, RS0032319 [T10]) beziehen. Im Zweifel gilt ein Regulierungsanbot nicht als eigenes konstitutives Anerkenntnis des Versicherers dem Grunde nach (RS0032959).

[4] 1.2 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nach einem Streit über ihre Deckungspflicht in Kenntnis aller relevanten Umstände – insbesondere auch jener, auf die sie nunmehr ihre Leistungsfreiheit gründet –die Deckung zugesagt, worin im konkreten Einzelfall ein konstitutives Anerkenntnis liege, ist vertretbar. Gegen diese Beurteilung bringt die Beklagte, die sich in ihrer Revision ausschließlich darauf beruft, dass die grundsätzliche Bestätigung des Versicherungsschutzes im Sinn des § 158n Abs 1 VersVG in der Regel ein deklaratives Anerkenntnis darstelle, keine im Sachverhalt gegründeten beachtenswerten Argumente. Entgegen ihrer Ansicht kann ein Anerkenntnis im Einzelfall durchaus ein konstitutives sein (vgl etwa 7 Ob 205/19a).

II. Zur Revision des Klägers:

[5] 1.1 Der Kläger legte seinem im erstgerichtlichen Verfahren geltend gemachten Klagebegehren die detailliert aufgeschlüsselten, nach seiner Ansicht noch unberichtigt aushaftenden Vertretungskosten von insgesamt 13.749,48 EUR zugrunde, zog die Akontozahlung der Beklagten in Höhe von 8.855,60 EUR ab und begehrte die Zahlung des Differenzbetrags von 4.893,88 EUR.

[6] 1.2 Das Erstgericht erachtete Vertretungskosten von 6.619,54 EUR als berechtigt und wies das Klagebegehren im Hinblick auf die diesen Betrag übersteigende Akontozahlung ab.

[7] 1.3 Das Berufungsgericht tratderRechtsansicht des Klägers, das Erstgericht hätte – entgegen der von ihm selbst gewählten Vorgangsweise – die Akontozahlung ignorieren müssen, nicht bei, weil es das vom Kläger dazu erstmals in der Berufung erstattete Tatsachenvorbringen als dem Neuerungsverbot widersprechend beurteilte. Dagegen bringt der Kläger keine Argumente.

2. Zu den weiteren vom Kläger geforderten Vertretungskosten:

[8] 2.1 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, bereits der insoweit klare Wortlaut des § 23 Abs 6 RATG biete keine Grundlage dafür, eine Klagsausdehnung mit dem doppelten Einheitssatz zu honorieren, ist nicht zu beanstanden. Sie findet auch Deckung in der Entscheidung 8 ObS 228/99h (= RS0112598 = RS0112599), in der der Oberste Gerichtshof dahin Stellung nahm, dass durch § 23 Abs 6 RATG im rechtsanwaltlichen Honorarrecht ein gewisser Ausgleich für die Zurückdrängung der ersten Tagsatzung nur in den dort taxativ aufgezählten Fällen geschaffen wurde.

[9] 2.2.1 Nach § 2 Abs 2 RATG kann der Rechtsanwalt einen durch besondere Umstände oder durch eine von seiner Partei veranlasste besondere Inanspruchnahme gerechtfertigten höheren Anspruch als im Tarif vorgesehen gegen die Partei geltend machen. Ob ein Mehraufwand in einer konkreten Rechtssache gerechtfertigt ist, ist eine Frage des Einzelfalls (7 Ob 233/13k; 7 Ob 196/20d).

[10] 2.2.2 Das Berufungsgericht führte aus, der Kläger habe in seinem 36‑seitigen Schriftsatz vom 29. 6. 2018 im Wesentlichen den Prozessablauf der – seinenAmtshaftungsansprüchen zugrunde gelegten – einzelnen Verfahren zusammengefasst und dabei Teile von Anträgen, Rechtsmitteln sowie Entscheidungen wortwörtlich wiedergegeben. Auf den 161 Seiten des erstgerichtlichen Urteils im Amtshaftungsverfahren werde bis Seite 139 nur der aktenkundige Verlauf der Anlassverfahren wiederholt. Inseiner dagegen erhobenen 29 Seiten umfassenden Berufung habe der Kläger lediglich einzelne Absätze der rechtlichen Würdigung des Erstgerichts herausgegriffen und dieser seine abweichende Rechtsansicht gegenübergestellt, auf sein Vorbringen im Amtshaftungsverfahren verwiesen undunredigiert Rechtsprechung wiedergegeben. Das Berufungsgericht vertrat, dass keine besondere Inanspruchnahme im Sinn des § 2 Abs 2 RATG bei dem Schriftsatz und der Berufung vorliege, weil weder ihr Inhalt und Umfang einen über das normale Arbeitspensum eines Rechtsanwalts hinausgehenden Aufwand erkennen lasse, noch eine Qualität oder fachliche Schwierigkeit vorgelegen sei, die den mit der tariflichen Entlohnung verbundenen Schwierigkeitsgrad erheblich übersteige.

[11] 2.2.3 Gegen diese nicht zu beanstandende Beurteilung des Berufungsgerichts vermag der Kläger keine beachtenswerte Argumente zu bringen.

[12] 2.2.4 Bei der Frage nach einem nach § 2 RATG gebührenden Zuschlag handelt es sich um eine Rechts‑ und keine Tatsachenfrage, weshalb eine – vom Kläger vermisste – Einholung eines Gutachtens ohnedies nicht in Betracht kommt (RS0043700).

[13] 2.3 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die mit Schriftsatz vom 26. 7. 2019 – und damit nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz – erfolgte Urkundenvorlage habe keine Berücksichtigung mehr finden können, weshalb sie nicht zweckentsprechend gewesen sei, ist nicht korrekturbedürftig.

[14] 2.4.1 Art 10.3 ARBG entspricht der Bestimmung des § 158k Abs 2 VersVG. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass sich im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 10. September 2009, Rs C‑199/08 , betreffend eine Einschränkung des Rechts des Rechtsschutzversicherten auf freie Anwaltswahl in Gerichts‑ und Verwaltungsverfahren eine einschränkende Auslegung dahin gebietet, dass ein Versicherungsnehmer auch einen nicht ortsansässigen Rechtsvertreter wählen kann, jedenfalls wenn dieser sich verbindlich erklärt, seine Leistungen wie ein ortsansässiger Vertreter zu verrechnen, da damit der Sinn und Zweck dieser Klausel (kostensparende und prämiensenkende Wirkung) gewahrt bleibe (RS0125556). Die Wahlfreiheit (des Rechtsvertreters) im Sinn von Art 4 Abs 1 der Richtlinie 87/344/EWG bedeutet nicht, dass die Mitglieder verpflichtet wären, Versicherern unter allen Umständen die vollständige Deckung der im Rahmen der Vertretung eines Versicherungsnehmers entstandenen Kosten vorzuschreiben, sofern diese Freiheit nicht ausgehöhlt wird. Dies wäre der Fall, wenn die Beschränkung der Übernahme dieser Kosten eine angemessene Wahl des Vertreters durch den Versicherungsnehmer faktisch unmöglich machen würde (7 Ob 190/14p).

[15] 2.4.2 Die Beurteilung des Berufungsgerichts für die Tagsatzungen vom 4. 7. 2018, 16. 11. 2018, 14. 1. 2019 und 18. 6. 2019 gebühre dem Kläger nicht der doppelte Einheitssatz nach § 23 Abs 5 RATG hält sich im Rahmen der unionsrechtlichen und oberstgerichtlichen Rechtsprechung, mit der sich der Kläger nicht auseinandersetzt und gegen die er damit keine neuen Argumente bringt.

[16] 2.4.3 Auch seine Anregung auf neuerliche Befassung des Europäischen Gerichtshofs war nicht aufzugreifen, weil aus der Bedachtnahme auf die vom Europäischen Gerichtshof bereits geklärten Fragen in der außerordentlichen Revision keine stichhaltige Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts aufgezeigt werden.

[17] 2.4.4 Im Übrigen kommt der vom Kläger als erheblich erachteten Frage, ob bei Einbringung einer Amtshaftungsklage beim zuständigen Gericht durch einen lokalen Anwalt, im Falle einer Delegierung der Rechtsschutzversicherer die höheren auswärtigen Kosten des dann nicht lokalen Anwalts – insbesondere vor dem Hintergrund der Zumutbarkeit eines Anwaltswechsels – zu tragen habe, hier ohnedies nur theoretische Bedeutung zu. Der Kläger mit Kanzleisitz in Wien vertrat sich von Anfang an vor den Gerichten außerhalb des Ortes seines Kanzleisitzes (Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz, Landesgericht Leoben, Landesgericht St. Pölten) selbst, nachdem er in der Deckungszusage von der Beklagten auf dem loco‑Tarif hingewiesen worden war und diesen auch akzeptiert hatte.

[18] 3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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