Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden, soweit nicht die Abweisung von 2.105,14 EUR samt 4 % Zinsen seit 12. 7. 2011 durch das Erstgericht bereits in Rechtskraft erwachsen ist, aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Zwischen der Beklagten und A***** Z***** besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2000) zu Grunde liegen.
Art 6.6.6.1. lautet:
„ Der Versicherer zahlt die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwalts bis zur Höhe des Rechtsanwaltstarifgesetz(es) oder, sofern dort die Entlohnung für anwaltliche Leistungen nicht geregelt ist, bis zur Höhe der Autonomen Honorarrichtlinien für Rechtsanwälte. In gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Verfahren werden Nebenleistungen des Rechtsanwalts maximal in Höhe des nach dem jeweiligen Tarif zulässigen Einheitssatzes gezahlt. “
Die Beklagte gewährte ihrem Versicherungsnehmer in einer Arbeitsrechtssache, in der ihn der Kläger vertrat, Rechtsschutzdeckung. Geltend gemacht wurden Entgeltansprüche des Versicherungsnehmers, der als Busfahrer tätig war, nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Auf Grund der handschriftlichen Unterlagen des Versicherungsnehmers errechnete die Rechtsanwaltsanwärterin des Klägers die monatlichen Ansprüche „zeitaufwendig in einem handschriftlich verfassten Stundennachweis“, der der Mahnklage zu Grunde lag. Mit Hilfe der Unterlagen unternahm sie „umfangreiche“ Recherchen, unter anderem durch Einsicht in die Linienpläne. Sie erstellte innerhalb von „ein bis zwei Tagen“ eine Tabelle, in der sie sämtliche Steh‑ und Wartezeiten für Jänner bis September 2010 festhielt und die sie dem vorbereitenden Schriftsatz vom 19. 1. 2011 zu Grunde legte. Er diente der exakten Berechnung und Beschreibung des Entgeltanspruchs. In der Replik vom 7. 3. 2011 wurden die Daten lediglich ergänzt und berichtigt. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren schlossen die Parteien einen bedingten Vergleich.
Der Kläger unterrichtete die Beklagte vom Vergleichsabschluss und legte seine Honorarnote, in der er für die Verfassung der Mahnklage, des vorbereitenden Schriftsatzes und der Replik jeweils einen Zuschlag von 200 % gemäß § 21 Abs 1 RATG verrechnete.
Die Beklagte erwiderte, dass sie die Kosten des Arbeitsgerichtsverfahrens trage, wies jedoch den Kläger darauf hin, dass ein Zuschlag von 200 % gemäß § 21 Abs 1 RATG nicht ersetzt werde. Sie genehmigte in der Folge den Vergleich.
Mit Zessionsvertrag vom 11. 10. 2011 trat der Versicherungsnehmer seine Ansprüche gegen die Beklagte an den Kläger ab.
Der Kläger begehrt zuletzt die Bezahlung des 200%igen Zuschlags gemäß § 21 Abs 1 RATG. Um die Ansprüche des Versicherungsnehmers ausrechnen zu können, sei es erforderlich gewesen, die von diesem handschriftlich geführten Aufzeichnungen zu kontrollieren und an Hand einer Aufzeichnung selbständig nachzurechnen. Dafür und für die Verfassung der Klage seien 25 Stunden aufgewendet worden. Dieser Aufwand übersteige erheblich jenen für vergleichbare arbeitsgerichtliche Verfahren. Die Mehrleistungen seien zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen und von der Beklagten im Sinn des Art 6 ARB 2000 zu honorieren.
Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Von Art 6.6.6.1. ARB 2000 sei der Zuschlag nach § 21 Abs 1 RATG nicht umfasst. Dieser müsse vom Gericht festgesetzt werden, was hier wegen des Vergleichs nicht geschehen sei. Dem Versicherungsnehmer seien nur die angemessenen und notwendigen Kosten zu ersetzen, nicht aber jene, die vom Gericht zu bestimmen seien und die der Prozessgegner allenfalls im Wege des Prozesskostenersatzes zu zahlen habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 5.659,92 EUR sA unter Abweisung des Mehrbegehrens statt. Aus § 21 RATG lasse sich nicht ableiten, dass die Bestimmung der Kosten nur im „Grundprozess“ erfolgen könne. Die Bestimmung könne auch von dem Gericht erfolgen, das in einem Rechtsstreit zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu entscheiden habe. Der Zuschlag falle nicht unter Nebenleistungen im Sinn des Art 6 ARB. Die Bedingungslage schließe einen Kostenersatz gemäß § 21 RATG nicht aus. Für die Mahnklage und den vorbereitenden Schriftsatz stehe dem Kläger ein Zuschlag zu, nicht jedoch für die Replik, in der im Wesentlichen nur die vorgetragenen Argumente wiederholt worden seien.
Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichts, soweit nicht Rechtskraft eingetreten war, in eine gänzliche Klagsabweisung ab. § 21 Abs 1 RATG regle, ebenso wie die Vorgängerbestimmung des § 23 Abs 1 RATV, nur die Kostenersatzbestimmung durch das Prozessgericht gegenüber dem Prozessgegner, nicht aber den privatrechtlichen Honoraranspruch des Rechtsanwalts gegen seinen Mandanten. Es handle sich bei dieser Bestimmung um eine der in § 1 Abs 2 RATG vorbehaltenen Ausnahmen von der ansonsten uneingeschränkten Anwendbarkeit des RATG. Im Rechtsverhältnis zwischen Beklagter und Versicherungsnehmer bestehe dafür keine Deckungspflicht.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sie ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
Gemäß § 21 Abs 1 RATG bleibt die richterliche Befugnis, die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der einzelnen Leistungen zu prüfen, unberührt. Wenn im einzelnen Fall die Leistung des Rechtsanwalts nach Umfang oder Art den Durchschnitt erheblich übersteigt, ist die Entlohnung dafür unabhängig vom Tarif, insbesondere unter Berücksichtigung der aufgewendeten Zeit und Mühe, angemessen festzusetzen.
Die Bestimmung des § 21 Abs 1 RATG ist im Wesentlichen inhaltsgleich mit dessen Vorgängerbestimmung § 23 Abs 1 RATV. Zur alten Rechtslage hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass dadurch der vom Prozessgericht zu bestimmende Kostenersatz gegenüber dem Prozessgegner geregelt wird, nicht hingegen der Honoraranspruch des Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten (1 Ob 193/66, 6 Ob 343/67). Dass diese Judikatur auf § 23 Abs 1 RATG zu übertragen ist (vgl auch Thiele , Anwaltskosten³, S 52), hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt. Auf § 21 Abs 1 RATG kann daher auch kein Deckungsanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten gestützt werden.
Das Begehren des Klägers könnte sich ausgehend von dem von ihm vorgebrachten Sachverhalt (RIS‑Justiz RS0016473) aber aus § 2 Abs 2 RATG ergeben:
Durch den Tarif wird das Recht der freien Vereinbarung nicht berührt (§ 2 Abs 1 RATG). Auch wenn eine Entlohnung nicht vereinbart wurde, kann der Rechtsanwalt einen durch besondere Umstände oder durch eine von seiner Partei veranlasste besondere Inanspruchnahme gerechtfertigten höheren Anspruch als im Tarif vorgesehen gegen diese Partei geltend machen (§ 2 Abs 2 RATG).
§ 2 Abs 2 RATG bezieht sich im Gegensatz zu § 21 Abs 1 RATG auf das Mandatsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Klient (vgl 1 Ob 193/66, 6 Ob 343/67 zur im Wesentlichen gleichlautenden Vorgängerbestimmung § 2 Abs 2 RATV) und bezweckt in diesem Verhältnis ebenfalls die Abgeltung des durch den Rechtsfall verursachten Mehraufwands. Dem Rechtsanwalt steht damit gegen seinen Mandanten ein Anspruch auf Bezahlung eines Mehraufwands auch ohne darauf abzielende Vereinbarung zu. Art 6.6.6.1. ARB 2000 ist nicht zu entnehmen, dass ein Mehraufwand im Sinn des § 2 Abs 2 RATG nicht von der Rechtsschutzversicherung gedeckt sein soll. Legt man die Bestimmung der ARB 2000 am Maßstab eines verständigen, durchschnittlichen Versicherungsnehmers aus (RIS‑Justiz RS0112256, RS0050063), ist davon auszugehen, dass Mehrkosten, die der Anwalt nach § 2 Abs 2 RATG seinem Mandanten verrechnen darf, grundsätzlich auch gedeckt sind.
Ob allerdings der Kläger tatsächlich einen zu deckenden Mehraufwand hatte, der ‑ wie von ihm behauptet ‑ durch die von ihm vertretene Rechtssache verursacht wurde, kann noch nicht beurteilt werden. Es kommt nämlich nicht nur darauf an, wie viele Stunden der Rechtsanwalt aufwendete, sondern darauf, ob dieser Aufwand zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig und angemessen war. Ob der Mehraufwand in einer konkreten Rechtssache gerechtfertigt ist, ist eine Frage des Einzelfalls, die hier aber noch nicht beantwortet werden kann.
Die Feststellungen des Erstgerichts zum tatsächlichen Aufwand sind schon nicht präzise. Abgesehen davon lässt sich ihnen nicht entnehmen, ob und warum die aufgewendeten Arbeitsstunden für die Klagsführung notwendig und angemessen waren, obwohl der Versicherungsnehmer seine Arbeitszeiten ohnehin in der von ihm selbst verfassten umfangreichen Urkunde (Beil ./C) bekannt gab. Weiters muss sich das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren auch damit auseinandersetzen, wo die Streitpunkte im arbeitsgerichtlichen Verfahren lagen, ob also der Aufwand im Hinblick auf das Vorbringen des beklagten Arbeitgebers notwendig war, und inwiefern er für den im Verfahren erzielten Vergleichsabschluss zweckmäßig war. Erst dann kann beurteilt werden, ob besondere Umstände vorlagen, die einen Mehranspruch des Klägers im Einzelfall rechtfertigen könnten.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.
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