OGH 7Ob196/20d

OGH7Ob196/20d17.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dkfm. C***** M*****, vertreten durch Mag. Ralph Kilches, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in Wien, wegen 33.479,92 EUR sA über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien vom 28. August 2020, GZ 3 R 36/20s‑30, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00196.20D.1217.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist Mitversicherter in einem zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2003) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

Artikel 6

Welche Leistungen erbringt der Versicherer?

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, übernimmt der Versicherer im Falle seiner Leistungspflicht, die ab dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Deckungsanspruches entstehenden Kosten gemäß Punkt 6., soweit sie für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig sind. [...]

3. Notwendig sind die Kosten, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zweckentsprechend und nicht mutwillig ist und hinreichend Aussicht auf deren Erfolg besteht. [...]

6. Der Versicherer zahlt

6.1 die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwaltes bis zur Höhe des Rechtsanwaltstarifgesetzes oder, sofern dort die Entlohnung für anwaltliche Leistungen nicht geregelt ist, bis zur Höhe der Autonomen Honorarrichtlinien für Rechtsanwälte.

Im gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Verfahren werden Nebenleistungen des Rechtsanwalts maximal in der Höhe des nach dem jeweiligen Tarif zulässigen Einheitssatzes gezahlt. [...]

6.2 die dem Versicherungsnehmer zur Zahlung auferlegten Vorschüsse und Gebühren für die von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde beigezogenen Sachverständigen, Dolmetscher und Zeugen sowie Vorschüsse und Gebühren für das gerichtliche oder verwaltungsbehördliche Verfahren. [...]“

[2] Am 22. 2. 2012 ereignete sich ein Verkehrsunfall, bei dem der Lenker eines Klein‑LKW von hinten in das vor einer roten Ampel stehende Fahrzeug des Klägers fuhr. Der Kläger nahm – mit Rechtsschutzdeckung der Beklagten – den Lenker, den Halter und die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung des gegnerischen Fahrzeugs auf Schadenersatz in Anspruch. Die Beklagte erbrachte dem Kläger Leistungen von 62.512,17 EUR brutto und bezahlte – infolge seines gänzlichen Unterliegens – 20.023,66 EUR (brutto) an die Prozessgegner. Der Kläger begehrt den Ersatz von weiteren – ihm entstandenen – Vertretungskosten in Höhe von 33.479,22 EUR sA.

Rechtliche Beurteilung

[3] 1. Die vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel des Berufungsgerichts wurden geprüft, sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[4] 2. Die Rechtsschutzversicherung als passive Schadensversicherung (RS0127808) schützt den Versicherungsnehmer gegen das Entstehen von Verbindlichkeiten (Passiva). Sie bietet Versicherungsschutz gegen die Belastung des Vermögens des Versicherungsnehmers mit Rechtskosten (7 Ob 215/11k). Die Hauptleistungspflicht des Versicherers in der Rechtsschutzversicherung besteht in der Kostentragung (RS0081895 [T1]).

[5] 3. Die vom Kläger angeführten Kosten für Privatsachverständigengutachten, Konsultationen von Ärzten zur Erstellung eines Fragenkatalogs und die damit zusammenhängenden Nebenleistungen (Telefonate, Briefe) betreffen nach Ansicht des Berufungsgerichts die Ermittlung und Feststellung seiner gegenüber den Beklagten im Anlassverfahren geltend gemachten Schadenersatzansprüche und keine nach § 66 Abs 1 VersVG für die Ermittlung und Feststellung von Schäden am versicherten Risiko ersatzfähigen Kosten. Diese Ansicht ist nicht zu beanstanden.

[6] 4.1 Gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Kosten für die Beiziehung eines nicht vom Gericht beauftragten (Privat‑)Sachverständigen während des Anlassverfahrens seien nach Art 6.6.2 ARB nicht gedeckt, wendet sich der Kläger inhaltlich nicht.

[7] 4.2 Soweit der Kläger seinen Anspruch auf Ersatz von im Zeitraum 7. 9. 2016 bis 6. 12. 2016 von seinem Rechtsanwalt während des Anlassverfahrens erbrachte „nebenprozessuale“ Leistungen (Einholung von Auskünften und Unterlagen, Kommunikation mit beratenden Ärzten) auf § 23 Abs 4 RATG gründet, hielt ihm bereits das Berufungsgericht – nicht korrekturbedürftig – entgegen, dass es sich bei den genannten Leistungen nicht um Bemühungen gehandelt habe, die auf die Vermeidung der Weiterführung des kontradiktorischen Verfahrens und seine Erledigung abzielten. Auch die weitere Beurteilung des Berufungsgerichts, die darüber hinaus geforderte Voraussetzung, dass die Leistungen einen erheblichen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert hätten, sei nicht gegeben, ist nicht zu beanstanden. Dagegen vermag der Kläger auch keine Argumente zu bringen.

[8] 4.3.1 Ob die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zutrifft, dass die Abgeltung der „nebenprozessualen“ Leistungen auch nicht (gesondert) vereinbart worden sei, muss sich am Inhalt der von den Parteien im vorliegenden Einzelfall abgegebenen Erklärungen orientieren und hat demnach keine darüber hinausgehende erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0044298 [insb T27]).

[9] 4.3.2 Die Ausführungen des Klägers, die Beklagte habe auf die in der E‑Mail vom 6. 12. 2016 enthaltene Dokumentation der „nebenprozessualen“ Einzelleistungen nur mit dem Ersuchen um Übermittlung der Urkundenvorlage vom 5. 12. 2016 reagiert, bieten jedenfalls keinen Anhaltspunkt für eine entsprechende Einigung.

[10] 4.3.3 In der vom Kläger weiters herangezogenen Entscheidung 7 Ob 212/15z, der ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag, wurde auch nicht die vom Kläger unterstellte Aussage getroffen, dass der Versicherer verpflichtet sei, umgehend nach Berichterstattung Widerspruch gegen die beabsichtigte Erbringung von Einzelleistungen und Auslagen zu erheben, widrigenfalls er die dafür anfallenden Kosten zu tragen habe.

[11] 5.1 Die Beklagte hat nach Artikel 6.6.1 ARB keinen Zuschlag nach § 21 Abs 1 RATG zu decken, weil die Bestimmung nicht den Honoraranspruch des Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten regelt, wohl aber einen Mehraufwand nach § 2 Abs 2 RATG, der sich auf das Mandatsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Klienten bezieht (RS0129370). Nach dieser Bestimmung kann der Rechtsanwalt einen durch besondere Umstände oder durch eine von seiner Partei veranlasste besondere Inanspruchnahme gerechtfertigten höheren Anspruch als im Tarif vorgesehen gegen die Partei geltend machen. Ob ein Mehraufwand in einer konkreten Rechtssache gerechtfertigt ist, ist eine Frage des Einzelfalls (7 Ob 233/13k).

[12] 5.2 Den Inhalt der – unstrittig im Vorprozess eingebrachten – Schriftsätze (Klage, Klagsausdehnung, Ablehnung der Sachverständigen, Berufung, Revision), für die der Kläger Ersatz eines Mehraufwands fordert, konnte das Berufungsgericht seiner Entscheidung ohne Weiteres zugrunde legen (RS0121557). Für die Beurteilung, ob der hier geltend gemachte höhere Anspruch gerechtfertigt ist, reichen die Feststellungen – entgegen der Ansicht des Klägers – auch aus.

[13] 5.3 Das Berufungsgericht ging davon aus, dass eine besondere Inanspruchnahme im Sinn des § 2 Abs 2 RATG bei keinem der genannten Schriftsätze vorliege, weil sich ihr Inhalt und Umfang nicht wesentlich von Schriftsätzen in vergleichbaren Schadenersatzprozessen (unproblematischer Unfallhergang, Geltendmachung von typischerweise aus einem solchen Verkehrsunfall resultierender Schadenersatzansprüche [Schmerzengeld, Behandlungskosten, Verdienstentgang]) unterscheide und eine besondere, objektiv nicht erforderliche Verkomplizierung eines Verfahrens ebenso wenig unter § 2 Abs 2 RATG falle, wie die objektiv nicht notwendige Länge eines Schriftsatzes.

[14] 5.4 Das Berufungsgericht vertrat dabei im Einzelnen: Weder der nach den Behauptungen des Klägers umfangreiche Handakt des Klagevertreters, noch die tabellarische Aufstellung von Kosten über fünf Seiten, die sich über weite Strecken auf Behandlungen beziehe, die gar nicht Gegenstand des Klagebegehrens waren, rechtfertige einen Zuschlag nach § 2 Abs 1 RATG für die Klage. Die Klagsausdehung um den Verdienstentgang und die Ablehnung der Sachverständigen (darauf gegründet, dass diese den Akt und die vorgelegten Beilagen nicht ordnungsgemäß studiert hätte, in die Beweiswürdigung eingreifen und fachlich falsche Schlüsse ziehen würde) lasse keine besondere, in einem solchen Verfahren nicht ohnedies typische Inanspruchnahme erkennen. Die Berufung im Anlassverfahren umfasse 23 Seiten, wobei fünf Seiten allein die tabellarische Darstellung der Krankengeschichte (ähnlich wie in der Klage) einnehme. Im Übrigen werde – wie in einem solchen Verfahren völlig üblich – die Mangelhaftigkeit des Verfahrens und die Unrichtigkeit der eingeholten Gutachten releviert. Für die Revision gebühre schon deshalb kein Zuschlag, weil die Berufung keine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge enthalten habe, die auch nicht nachgeholt werden könnte; der weiters in der Revision unternommene Versuch, eine Anfechtung der Ergebnisse der Sachverständigengutachten wegen Verstoßes gegen zwingende Denkgesetze oder zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks zu erreichen, rechtfertige gleichfalls keine Zuerkennung von Mehrkosten.

[15] 5.5 Gegen diese nicht zu beanstandende Beurteilung des Berufungsgerichts, vermag der Kläger gleichfalls keine beachtenswerte Argumente zu bringen.

[16] 6. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, die bereits in der Tagsatzung vorgelegte Urkunde nochmals mit Schriftsatz vom 5. 12. 2016 vorzulegen, sei ebenso wenig zweckentsprechend gewesen, wie die Kurzmitteilung vom 19. 12. 2016 über die erfolgte Überweisung des Kostenvorschusses, stellen keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilungen dar. Die Zweckmäßigkeit der Kosten einer erst nach Schluss der Verhandlung im Anlassprozess vorgelegten und damit unbeachtlichen Bestätigung bleibt überhaupt offen.

[17] 7. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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