European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E128957
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Begründung:
Der Kläger ist Eigentümer eines in etwa 1.370 m Seehöhe gelegenen Hanggrundstücks, auf dem 1952/53 ein 27 m langes und 10 m breites Stallgebäude mit einem 25° geneigten (1995 sanierten) Pultdach errichtet wurde, das ursprünglich der Almbewirtschaftung diente und nunmehr als Freizeitwohnsitz gewidmet und bewilligt ist. Das Gebäude (Tenne) wurde in zimmermannsmäßiger Bauweise aus Fichtenhölzern talseitig an eine hangaufwärts 4 m von der Grundstücksgrenze errichtete vermörtelte Betonstützmauer gebaut, deren Krone auf Höhe eines bergseitig auf dem der beklagten Agrargemeinschaft gehörenden Nachbargrundstück an der Grundstücksgrenze bestehenden, von Milchtankwägen, Traktoren und PKW benützten unbefestigten Güterwegs („A*weg“), abschloss.
Die Beklagte errichtete ab 2009 bis Ende 2010 mit forst- und naturschutzrechtlicher Genehmigung einen neuen 1.850 m langen Forstweg („G*weg“); ohne behördliche Bewilligung wurde im Zuge der Errichtung dieses G*wegs bereits ab Juni 2009 bis 2010 auch der bestehende A*weg zur Abwicklung des Verkehrs (Trassenholz, Bauverkehr) aufgeschüttet. Die Abzweigung des neu errichteten G*wegs vom A*weg befindet sich bergseitig im Nahbereich der Tenne des Klägers und wurde in Form einer 180°‑Kehre errichtet.
„Die Planung und Ausführung der Kehre direkt bergseitig eines Gebäudes war nicht zielführend; sie wäre zur Bergseite hin zu verschieben gewesen, um Schäden an der talseitig angrenzenden Tenne des Klägers zu verhindern. Bei Verwendung von schweren LKW, Baggern und sonstigem Gerät, das für die Aufschüttung und Befestigung von solchen Wegen üblicherweise verwendet wird, ist mit der Gefährdung nahegelegener Gebäude durchaus zu rechnen.“ Die Kehre war zu eng.
Durch die Errichtung des G*wegs ist es zu einer zusätzlichen Belastung der Stützmauer des Klägers gekommen, die den gesamten Erddruck aus der Einschüttung und dem Verkehr aufnehmen musste; sowohl das Kippmoment als auch die Horizontalkraft auf die Mauer haben sich durch den Bau des G*wegs und des A*wegs in etwa verdoppelt.
Die Mauer und der Dachstuhl in der Tenne des Klägers verformten sich in der Folge; die gesamte Konstruktion wurde um etwa 3° bis 9° aus der Lotrechten verschoben. Dadurch wurden die Holzverbindungen geöffnet und teilweise unwirksam; Streben im Laufstall sind ausgebrochen. Die Stabilität des gesamten Gebäudes ist nicht gegeben, sie entspricht nicht dem Stand der Technik und hat keine Standsicherheit. Sanierungsmaßnahmen am Stallgebäude des Klägers – Stabilisierung der Stützmauer durch Verankerung bis zum Fels und Verstärkung mit Spritzbeton; Abbau und Neuerrichtung der Tenne – müssen unabhängig vom Befahren des G*- und oder A*wegs durchgeführt werden.
Es war schon seit 1950 Stand der Technik, dass die Lastresultierende im Kerndrittel der Wand liegen muss. Die Summe aus Vertikallasten und aus Horizontallasten musste schon seit 1950 innerhalb der sogenannten Kernfläche liegen. Dies war bei der 1952/53 errichteten Stützmauer des Stallgebäudes des Klägers nicht der Fall. Eine Stützmauer, die über Gebühr beansprucht wird, reagiert mit Verformung und Schiefstellung.
In welchem Ausmaß (%) die Schäden am Stallgebäude letztlich auf die Bauarbeiten auf dem G*weg und jene auf dem A*weg zurückzuführen sind, ist nicht feststellbar.
Der Kläger begehrt – soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse – 98.479,97 EUR sA an Sanierungskosten. Die Schäden seien durch die von der Beklagten auf beiden Wegen beauftragten Sanierungs‑ und Errichtungsarbeiten, die als Einheit zu betrachten seien, verursacht worden. Die Klage werde auf jeden erdenklichen Rechtsgrund gestützt, insbesondere auf §§ 364 ff ABGB und Schadenersatz, weil die Beklagte die vom Bescheid nicht gedeckte, unbefugte Benützung des Wegs und die rechtswidrige Benützung des Grundes des Klägers nicht unterbunden und sie durch schweres Verschulden den gegenständlichen Schaden durch die Anordnung einer Kehre direkt oberhalb des klägerischen Gebäudes unter Verletzung der gemeinsamen Grundgrenze verursacht habe; zudem seien die der Beklagten zuzurechnenden Holztransporte auch über die gemeinsame Grundgrenze erfolgt und hätten oberhalb des klägerischen Gebäudes reversiert. Er begehre Naturalherstellung, die auch tunlich sei.
Die Beklagte wandte ein, sie sei für die Schäden nicht verantwortlich. Der Kläger versuche, sein längst sanierungsbedürftiges Stallgebäude auf Kosten der Beklagten zu sanieren. Die Beklagte habe um 3.000 EUR eine Zufahrt zum Grundstück hergestellt; diesbezüglich werde eine Gegenforderung compensando eingewendet.
Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung als mit 45.452,60 EUR zu Recht, die Gegenforderung der Beklagten als nicht zu Recht bestehend und sprach dem Kläger 45.452,60 EUR sA zu; das Mehrbegehren von 53.027,37 EUR wies es ab. Soweit der Schaden durch die Sanierung des A*wegs verursacht worden sei, hafte die Beklagte schadenersatzrechtlich, weil sie es unterlassen habe, schon bei der Planung dieser Arbeiten auf die mögliche Beschädigung des Stalls Rücksicht zu nehmen. Die durch die Errichtung des G*wegs entstandenen Schäden seien zu ersetzen, weil er eine behördlich bewilligte Anlage iSd § 364a ABGB sei. Der Sanierungsaufwand – unter Berücksichtigung eines Abschlags neu für alt – betrage nach den Feststellungen 45.452,60 EUR, zumal der Sachverständige festgestellt habe, dass auch eine sach- und fachgerecht errichtete Stützmauer dem enormen Druck der Bauarbeiten nicht standgehalten hätte.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, nicht jedoch der des Klägers. Es wies das gesamte Zahlungsbegehren ab, ohne sich mit den umfangreichen Rügen der Parteien im Detail auseinanderzusetzen. Es bestätigte nur die Feststellungen, dass die Stützmauer niemals dem Stand der Technik entsprochen habe und sie jedenfalls standsicher zu machen gewesen wäre, wobei unklar bleibt, ob die Sanierung nun nach den Arbeiten und Schäden unumgänglich ist oder ob dies schon vorher der Fall war. Die dies klarstellenden, aber bekämpften Feststellungen des Erstgerichts prüfte es nicht. Es vertrat die Rechtsansicht, dass die Einflüsse durch den Wegebau, die auf die Bauwerke eingewirkt und eine Verschiebung aus dem Lot bewirkt hätten, nicht kausal gewesen seien. Die Sanierungsnotwendigkeit habe schon vor dem Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses bestanden und die hiefür aufzuwendenden Kosten wären auch angefallen, wenn die Errichtung der beiden Wege unterblieben wäre; Mehrkosten seien durch Letzteres nicht entstanden.
Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen.
Die Revision des Klägers beantragt die Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Vorauszuschicken ist, dass sich der Oberste Gerichtshof selbst davon überzeugt hat, dass die Berufung der Beklagten nicht erst am 8. April 2019 im ERV übermittelt, sondern – aufgrund einer ERV‑Störung – bereits am 5. April 2019 zur Post gegeben und damit rechtzeitig erstattet wurde. Die in der Revision ins Treffen geführte Verspätung der Berufung der Beklagten und damit die erkennbar geltend gemachte Nichtigkeit des Berufungsurteils (vgl RS0041842) liegen nicht vor.
Die Revision macht weiters geltend, dass sich aus den Beweisergebnissen und den Feststellungen des Erstgerichts nur eine fehlende rechnerische Standsicherheit ableiten lasse, nicht jedoch die – jahrzehntelang gegebene – tatsächliche Standsicherheit. Die Wegeerrichtung gehe als reale Ursache hypothetischen Reserveursachen vor. Das Gebäude hätte ohne Schäden einer weiteren Nutzung von 40 Jahren standgehalten; durch die Sanierungsarbeiten wäre keine längere Brauchbarkeit gegeben, sodass die Beklagte die Sanierungskosten zur Gänze zu tragen habe.
1. Wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat, liegt die behauptete Aktenwidrigkeit nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO); in der Übernahme der Feststellungen des Erstgerichts durch das Berufungsgericht kann schon begrifflich keine Aktenwidrigkeit liegen (RS0043240). Es geht hier um eine Rechtsfrage.
2.1. Die Haftung der Beklagten für das allfällige schädigende Verhalten der von ihr mit der Bauführung beauftragten Unternehmen und deren Leute ist zu Recht nicht strittig (vgl etwa 1 Ob 80/97i mwN; RS0010448, RS0010648).
Das Berufungsgericht hat die Kausalität der von der Beklagten in Auftrag gegeben Arbeiten für die Schäden an den Gebäuden des Klägers verneint, ohne sich mit den umfangreichen Beweisrügen der Parteien zu den folgenden Themenbereichen auseinanderzusetzen: Nutzung des G*wegs und des A*wegs im Zuge der Baumaßnahmen; Auswirkungen der Arbeiten auf die Standsicherheit der Stützmauer und des Gebäudes (auch die im Rahmen der rechtlichen Beurteilung dislozierte Feststellung, es hätte auch eine sach- und fachgerecht errichtete Mauer den Belastungen nicht standgehalten); Auswirkungen der zu engen Kurve auf dem G*weg auf die Wegnutzungen und die Schäden; Vorschäden an den Bauwerken des Klägers; Standfestigkeit der Gebäude ohne Arbeiten für die reguläre Restlebensdauer.
2.2. Bei der Verursachung (Kausalität) ist zu prüfen, ob der potenziell Haftpflichtige den Schaden durch eigenes Verhalten verursacht hat. Ein positives Verhalten ist für einen Erfolg ursächlich, wenn es ihn herbeigeführt, ihn bewirkt hat. Nach der Formel von der conditio sine qua non ist zu fragen, ob der Erfolg (Schaden) auch ohne das zu prüfende Verhalten (den zu prüfenden Umstand) eingetreten wäre. Ein Verhalten ist ursächlich für einen Erfolg, wenn es nicht weggedacht werden kann, ohne dass dann der Erfolg entfiele (RS0128162, RS0022687). Ob das zutrifft, ist eine Tatfrage (RS0022582 [T1]), wobei die Beweislast für den Kausalzusammenhang den Geschädigten trifft (RS0022686).
2.3. Von überholender Kausalität spricht man, wenn ein Ereignis zunächst real den Schadenseintritt herbeiführte, das andere Ereignis später aber denselben Schaden verursacht hätte, wäre das erste Ereignis nicht zuvorgekommen; sie ist gegeben, wenn das tatsächlich eingetretene Ereignis ohne die schädigende Ursache später „auch sonst“ eingetreten wäre, weil die „hypothetische Ursache“ („Reserveursache“) zum Tragen gekommen wäre (vgl RS0022634 [insb T2, T5, T9 f]; vgl RS0022684). Für die Berücksichtigung der überholenden Kausalität muss feststehen, dass der gleiche Erfolg auch ohne das schädigende Ereignis eingetreten wäre; der maßgebende Zeitpunkt muss mit einiger Sicherheit bestimmt werden können (RS0106534). Eine bloß mangelhafte Errichtung eines Bauwerks an sich ist keine Reserveursache, wenn es den bisherigen Belastungen standgehalten hätte und nicht in absehbarer Zeit beschädigt worden wäre (vgl 1 Ob 243/07b).
Die Aufhebung der Haftung wegen überholender Kausalität wird von der Rechtsprechung grundsätzlich verneint (RS0022634 [insb T2]), jedoch hat der Schadenersatzpflichtige nur den durch die Vorverlegung des Schadenseintritts entstehenden Nachteil zu ersetzen (RS0022684 [T7, T10, T11]).
Die Behauptungs‑ und Beweislast für die Voraussetzungen der überholenden Kausalität trägt der Schädiger (RS0106535).
2.4. Der Ansicht des Berufungsgerichts, die Kausalität der von der Beklagten veranlassten Arbeiten für die Schäden an der Stützmauer und dem Gebäude des Klägers sei bereits aufgrund der von ihm bloß punktuell übernommenen Feststellungen zu verneinen, wonach die Mauer konstruktionsbedingt „nicht standsicher“ sei, weil sie bereits ursprünglich nicht dem Stand der Technik entsprechend errichtet wurde, widerspricht der dargelegten Judikatur. Die nicht dem Stand der Technik entsprechende Errichtung der Bauwerke ist für die Kausalität nicht allein ausschlaggebend, wenn sie ohne die Bauprojekte den bis dahin herrschenden Belastungen weiter standgehalten hätten, wovon das Erstgericht aufgrund seiner noch ungeprüften Feststellungen ausgeht.
2.5. Die Frage der Verursachung der Schäden an Stützmauer und Tenne kann daher vor Erledigung der umfangreichen Beweisrügen zu den dargelegten Themen nicht abschließend beurteilt werden.
3. Sollte es bei den Feststellungen des Erstgerichts bleiben, dass die Bauwerke des Klägers zwar nicht nach dem „Stand der Technik‟ errichtet wurden, aber ohne die Arbeiten an den Wegen weiter wie bisher Bestand gehabt hätten, sind die von der Beklagten veranlassten Arbeiten für die eingetretenen Schäden kausal. Sollten die Schäden zwar durch die Arbeiten jetzt verursacht worden sein, aber wären die Schäden auch ohne die Arbeiten aufgrund des Zustands der Bauwerke später genauso eingetreten, ist die Frage der überholenden Kausalität zu prüfen und der Zeitpunkt des späteren Schadenseintritts festzustellen. Sollte feststehen, dass die Bauwerke schon vor Beginn der Arbeiten in gleicher Weise beschädigt waren, wäre die Kausalität zu verneinen und die Klage abzuweisen.
4. Sollte die Kausalität bejaht werden, ist Folgendes zu beachten:
4.1. Nach § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen.
4.2. Nach § 364a ABGB ist jedoch, wenn die Beeinträchtigung durch eine behördlich genehmigte Anlage verursacht wird, der Grundbesitzer nur berechtigt, den Ersatz des zugefügten Schadens gerichtlich zu verlangen, auch wenn der Schaden durch Umstände verursacht wird, auf die bei der behördlichen Verhandlung keine Rücksicht genommen wurde.
Voraussetzung eines Anspruchs nach § 364a ABGB ist der Betrieb einer behördlich genehmigten Anlage (vgl RS0010682). Der Nachbar hat also keine Möglichkeit, sich gegen eine von einer solchen Anlage ausgehende Einwirkung der im § 364 Abs 2 ABGB bezeichneten Art mit Unterlassungsklage zur Wehr zu setzen (RS0030294). Als Ersatz für diese Eigentumsbeschränkung (vgl RS0010659; RS0010550) gewährt § 364a ABGB einen verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch (RS0010449).
Von den Nachbarn sind solche Immissionen hinzunehmen, die für den Betrieb der genehmigten Anlage typisch sind und auch nicht durch zumutbare Vorkehrungen hintangehalten oder verringert werden können (1 Ob 47/15s = RS0010645 [T8]; vgl RS0010670). Soweit eine genehmigte Anlage vorliegt und sich deren Emissionen im Rahmen der Genehmigung halten, besteht lediglich ein Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB, jedoch kein Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB (RS0010645 [T4]).
Die Frage, ob eine bestimmte Immission für den Betrieb einer bestimmen Anlage typisch ist, kann nur einzelfallbezogen beantwortet werden (RS0112033). Maßgebend für die Typizität einer Emission ist nicht primär deren Regelmäßigkeit; die Ersatzpflicht gilt auch für Schäden, die dem Nachbarn durch einmalige Vorfälle entstehen (RS0010674), wenn es sich um für den Betrieb der Anlage typische Emissionen handelt (vgl RS0010670) oder die Immission aus für den konkreten Betrieb typischen Verrichtungen herrührt (8 Ob 147/64 = SZ 37/75 = RS0011933).
4.3. Eine baubehördliche Bewilligung hat die gleiche tatsächliche Wirkung, die im § 364a ABGB einer behördlich genehmigten Anlage zuerkannt wird (RS0010707 [T2]). Eine öffentliche Straße gilt als behördlich genehmigte Anlage iSd § 364a ABGB. Der Ausgleichsanspruch des § 364a ABGB umfasst auch solche Schäden, die typischerweise auf Baumaßnahmen zurückzuführen sind (RS0106324 [T3]).
4.4. Die ständige Rechtsprechung billigt den verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB auch dann zu, wenn sich aus der Interessenlage ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu dieser Bestimmung ergeben (9 Ob 1/18i mwN; vgl RS0010668). Dem Geschädigten muss ein Abwehrrecht genommen sein, das ihm nach dem Inhalt seines Eigentums „an sich“ zugestanden wäre (vgl RS0010550). Auch die analoge Anwendung des § 364a ABGB setzt voraus, dass die Immission von der schadenverursachenden Anlage ausgeht und für deren Betrieb typisch ist (RS0010670); die Beweislast für die Typizität trifft den Geschädigten (vgl 2 Ob 193/01y).
Eine dem § 364a ABGB analoge Situation wird von der Rechtsprechung etwa in Fällen angenommen, in denen durch eine Bewilligung der Anschein der Gefahrlosigkeit und damit der Rechtmäßigkeit der bewilligten Maßnahme hervorgerufen und (infolge des mit einer behördlichen Genehmigung zunächst verbundenen Anscheins der Gesetzmäßigkeit und Gefahrlosigkeit der bewilligten Maßnahmen) die Abwehr faktisch erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht wird, so dass der Nachbar die Maßnahme praktisch hinnehmen muss (vgl RS0010668; RS0106324).
Aber auch bei ohne behördliche Genehmigung durchgeführten Arbeiten wird in analoger Anwendung des § 364a ABGB ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch des Geschädigten bejaht, wenn der Schaden bereits eingetreten gewesen ist, ehe der von dieser Einwirkung Betroffene die Möglichkeit zur Ausübung des Untersagungsrechts faktisch nützen konnte, sodass er sich in einer Situation wie derjenige befunden hat, dem aus anderen Gründen die Unterlassungsklage verwehrt gewesen ist; eine § 364a ABGB analoge Situation wird in Fällen angenommen, in denen die Abwehr zwar nicht rechtlich ausgeschlossen, aber faktisch derart erschwert wird, dass der Nachbar die Maßnahme praktisch hinnehmen muss (vgl RS0010668 [T7–T10]).
5. Für den vorliegenden Fall folgt daraus:
5.1. Der mit behördlicher Bewilligung errichtete G*weg ist nach den Feststellungen als genehmigte Anlage anzusehen. Für Schäden, die durch dessen Errichtung entstanden sind, steht ein Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB zu.
5.2. Hinsichtlich der Arbeiten auf dem A*weg kommt mangels behördlicher Bewilligung keine Haftung unmittelbar nach § 364a ABGB in Betracht. Jedoch standen nach den Feststellungen die Befestigung und Aufschüttung des A*wegs sowie dessen intensivere Nutzung in unmittelbarem Zusammenhang mit der behördlich bewilligten Errichtung des G*wegs. Zudem warbei diesem von vornherein die Planung und Ausführung einer Kehre direkt bergseitig des Gebäudes des Klägers und nahe an diesem nach den erstgerichtlichen Feststellungen, nicht „zielführend, sondern es wäre die Kehre zur Bergseite hin zu verschieben gewesen, um einen Schaden an dem talseitig angrenzenden Stallgebäude des Klägers möglichst zu verhindern“. Ob die Feststellung bedeutet, dass die Planung von vornherein erkennbar nicht sach- und fachgerecht war, kann dahingestellt bleiben. Die Kurve war jedenfalls zu eng angelegt. Die Feststellungen, dass das Heranfahren mit LKW auf dem A*weg bis an die Grundgrenze des Klägers durch die zu enge Kurve auf dem G*weg verursacht wurde, wodurch es auch zu Schäden an den Bauwerken kam, wurden vom Berufungsgericht bisher nicht geprüft. Aus den Feststellungen, ergibt sich jedoch schon jetzt, dass die Bauprojekte die beiden Wege betreffend in unmittelbarem Zusammenhang standen und zeitgleich durchgeführt wurden. Die Abwehr von Immissionen vom A*weg (allein) war damit zwar nicht rechtlich ausgeschlossen, aber faktisch doch sehr erschwert, weil dies einerseits eine nach den Festellungen nicht mögliche Zuordnung der Verursachung zu den einzelnen Bauprojekten voraussetzt, andererseits die beklagte Agrargemeinschaft im Interesse ihrer Mitglieder handelte, wovon der Kläger eines ist. Die Errichtung des behördlich bewilligten G*wegs und die Arbeiten am dort einmündenden und unmittelbar an das Grundstück des Klägers grenzenden A*wegs sind also so eng miteinander verbunden, dass § 364a ABGB analog auch für die vom A*weg ausgehenden Immissionen anzuwenden ist. Dem Kläger steht daher, vorausgesetzt dass die Kausalität bejaht wird, für die Schäden insgesamt ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch zu. Es ist damit unerheblich, dass (unbekämpft) nicht feststeht, zu welchen Anteilen die Schäden auf die Arbeiten auf welchem Weg zurückzuführen sind.
6. Sollte sich in diesem Sinne ein Anspruch des Klägers dem Grunde nach ableiten lassen, sind folgende Grundsätze bei der Schadensberechnung zu beachten:
6.1. Werden Teile einer Sache erneuert, die ohne Beschädigung vor dem natürlichen Zugrundegehen beziehungsweise Unbrauchbarwerden der Sache nicht hätten erneuert werden müssen, und erfährt die alte Sache in ihrer Gesamtheit keine Werterhöhung, so hat der Haftende im Rahmen der Tunlichkeit einer Reparatur die gesamten Reparaturkosten zu ersetzen. Werden hingegen Teile einer Sache erneuert, die ohne Beschädigung vor dem Zugrundegehen beziehungsweise vor dem Unbrauchbarwerden der Sache ohnehin hätten erneuert werden müssen, so führt eine Erneuerung der Teile unter Tragung der Gesamtkosten durch den Schädiger dann zu einer Bereicherung des Geschädigten, wenn die Sache auch insgesamt keine Wertsteigerung erfährt, wie dies etwa bei Häusern und Installationen der Fall ist. Ist eine Sache Bestandteil einer Gesamtsache, dann gelten diese Grundsätze entsprechend (RS0030534 [T4, T5]).
Wenn die Wiederbeschaffung einer gebrauchten Sache nur im Wege des Neuerwerbs bzw der Neuherstellung in Frage kommt, ist über Einwendung des Beklagten von den Neuerwerbskosten ein Abzug „neu für alt“ vorzunehmen, wenn der Geschädigte durch die Ersatzleistung im Ergebnis besser gestellt wäre als vor dem schädigenden Ereignis (RS0022849 [T11]). Dabei sind in erster Linie die Restlebensdauer, die der beschädigte Sachteil gehabt hätte und die Lebensdauer, die der erneuerte Sachteil haben wird, in Beziehung zu setzen (5 Ob 292/05k mwN).
6.2. Vor einer abschließenden Beurteilung wird das Berufungsgericht auch dazu die bekämpften Feststellungen zu prüfen haben. Diese betreffen die Themen Vorschäden und Lebensdauer der Bauwerke des Klägers, Notwendigkeit von welchen Sanierungsarbeiten, Lebensdauer der Erneuerungen.
Bei entsprechenden Feststellungen ist im Sinn der dargelegten Judikatur ein Abzug „neu für alt“ vorzunehmen. Weiters ist hier noch zu beachten, dass die Gebäude bei Errichtung „nicht standsicher“ waren, dh schon ursprünglich nicht dem Stand der Technik entsprachen. Der Kläger hat nur Anspruch auf die Herstellung einer Stützmauer, die für die restliche Lebensdauer der beschädigten deren Zweck erfüllt. Gleiches gilt für das Gebäude. Sollte sich ergeben, dass die Wiederherstellung der Bauwerke aufgrund der derzeitigen technischen Standards und Bauvorschriften eine Qualitätsverbesserung darstellt, ist, um den Kläger nicht zu bereichern, zusätzlich ein Abzug im Umfang der Mehrkosten vorzunehmen, die nur aufgrund des jetzt bestehenden vergleichsweise höheren Standards entstehen. Auch dazu bedarf es entsprechender Feststellungen.
6.3. Gegebenenfalls wird sich das Berufungsgericht auch noch mit der unerledigten Berufung der Beklagten hinsichtlich ihrer Gegenforderungen und in Bezug auf das Zinsenbegehren auseinanderzusetzen haben.
7.1. Der Revision des Klägers ist daher Folge zu geben.
7.2. Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50 Abs 1, 52 Abs 1 ZPO.
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