OGH 2Ob243/14w

OGH2Ob243/14w22.1.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** B*****, vertreten durch Dr. Christian Lang, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei F*****, vertreten durch Dr. Ivo Burianek, Rechtsanwalt in Mödling, wegen 10.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 15.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Oktober 2014, GZ 15 R 175/14m‑70, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 11. August 2014, GZ 20 Cg 189/12y‑63, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00243.14W.0122.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Der Kläger war am 3. 6. 2012 bei einem Segelflug Fluggast eines Mitglieds des beklagten Vereins. Nach der Landung half er beim Hineinschieben des Flugzeugs in den offenen Hangar der beklagten Partei. Eine Person rief wegen des zunehmenden Windes zum Kläger, man solle das Tor des Hangars schnell schließen. Es steht nicht fest, wer den Kläger dazu aufgefordert hat. An diesem Tag betrug der Höchstwert der Windgeschwindigkeit 97 km/h. Als der Kläger eines der drei Schiebetore schließen wollte, löste sich ein Torsegment aus der Führungsschiene, welches den Kläger traf, wodurch dieser erheblich verletzt wurde.

Die aus drei Segmenten bestehende Toranlage lässt sich über im Boden einbetonierte Führungsschienen öffnen und schließen, wobei über dem Torflügel Sicherheitslaschen angebracht waren, um das Tor im Ruhezustand zu schützen. Diese Sicherheitslaschen waren allerdings zu kurz, weshalb das Tor nicht mehr im Bereich der Sicherheitslaschen war, sobald es über die Längenmitte der Führungsschienen hinausgeschoben wurde. In dieser Position war es vor einem „Aushebeln“ durch Wind nicht geschützt. Das Tor entsprach damit nicht der ÖNORM B2105 Teil 1, nach deren Punkt 6.3 geeignete Vorkehrungen ein Aushebeln, Ausschwingen oder Umkippen zu verhindern haben. Es wurde mindestens einmal jährlich durch die vereinsführenden Mitglieder (nur) „mittels optischer Prüfung“ kontrolliert. Seit seiner Errichtung (im Jahr 1991) bis zum Unfall erfolgte aber keine fachmännische Überprüfung. Wäre das Tor durch einen Fachmann überprüft worden, wäre diesem aufgefallen, dass die Sicherheitslaschen nur unzureichend vorhanden waren.

Im Revisionsverfahren ist nur noch die Haftung dem Grunde nach strittig.

Der Kläger begehrte 10.000 EUR sA als Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle zukünftigen Schäden. Die beklagte Partei sei die verantwortliche Betreiberin des Flugplatzes bzw des Hangars und hafte dem Kläger nach § 1319 ABGB.

Die beklagte Partei wandte unter anderem ein, dass der Schadenseintritt auf höhere Gewalt im Zuge eines heftigen Unwetters zurückzuführen sei. Es läge kein Wartungs‑, sondern ein technischer Konstruktionsfehler vor, der für die Organe und Mitglieder der beklagten Partei nicht erkennbar gewesen wäre. Wenn der Kläger über Aufforderung durch Mitglieder bzw Mitarbeiter des beklagten Vereins gehandelt habe, indem er beim Schließvorgang behilflich gewesen sei, sei er in den Betrieb der beklagten Partei integriert worden, weshalb das Dienstgeberhaftungsprivileg des § 333 ASVG eingreife.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Ausgehend vom eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt ging es in rechtlicher Hinsicht davon aus, dass die Toranlage mangelhaft gewesen sei und nicht dem damaligen Stand der Technik entsprochen habe. Die beklagte Partei habe die regelmäßige Durchführung fachmännischer Kontrollen nicht bewiesen. Sie hafte daher gemäß § 1319 ABGB. Das Dienstgeberhaftungsprivileg nach § 333 ASVG sei nicht anzuwenden, weil kein konkreter Sachverhalt zur Eingliederung des Klägers in den Betrieb der beklagten Partei feststehe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und die ordentliche Revision zulässig sei.

Die Haftung nach § 1319 ABGB sei zu bejahen. Es habe sich eine aus der Statik und Dynamik des Werks ergebende Gefahr verwirklicht, für die die beklagte Partei als Halterin hafte. Den Besitzer des Gebäudes treffe eine Gefährdungshaftung, von der er sich nur durch den Beweis, alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet zu haben, befreien könne. Angesichts der Schadensanfälligkeit und Kompliziertheit von Schiebetoren und wegen des hohen Verletzungspotentials hätte eine regelmäßige fachmännische Überprüfung die Sorgfaltspflicht der beklagten Partei nicht überspannt. Höhere Gewalt sei nicht vorgelegen, weil allgemein bekannt sei, dass eine Windgeschwindigkeit von 97 km/h weder außergewöhnlich noch unerwartbar sei.

Die beklagte Partei könne sich nicht auf das Dienstgeberhaftungsprivileg berufen. Der Kläger sei nicht entsprechend dem Zuruf im Sinne einer Weisung des Beklagten vorgegangen, weil nicht feststehe, wer den Kläger aufgefordert habe, das Tor zu schließen. Es stehe auch nicht fest, dass es sich beim Schließen des Tores um eine Tätigkeit handelt, die üblicherweise von Beschäftigten der beklagten Partei ausgeübt werde. Weder liege beim Bewegen des Tores eine betriebliche Tätigkeit des Klägers vor noch sei er im Betrieb der beklagten Partei eingegliedert gewesen.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Judikatur dazu fehle, ob § 176 Abs 1 Z 6 ASVG auch anwendbar sein könne, wenn eine Tätigkeit ohne Wissen und ohne Anwesenheit des Unternehmers oder einer diesem zuzurechnenden Person vorgenommen werde.

In ihrer Revision erachtet die beklagte Partei diese auch deshalb für zulässig, weil sich das Berufungsgericht sowohl im Bereich des § 1319 ABGB als auch bei der Bestimmung des § 333 ASVG von höchstgerichtlicher Rechtsprechung entfernt habe.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel wird eine solche Rechtsfrage releviert.

2. Zur Haftung nach § 1319 ABGB

2.1 Nach Ansicht der beklagten Partei sei das Berufungsgericht mit der Annahme, dass es sich bei § 1319 ABGB um eine Gefährdungshaftung handle, von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen.

2.2 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, bei § 1319 ABGB handle es sich um eine Gefährdungshaftung, von der sich der Halter nur durch den Beweis, alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet zu haben, befreien könne, hält sich im Rahmen jener Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach die Haftung des Halters gemäß § 1319 ABGB unter Umständen auch bei fehlendem Verschulden eintreten und sich dieser von der Haftung nur durch den Beweis befreien könne, alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet zu haben (1 Ob 93/00h; 1 Ob 129/02f; 7 Ob 26/11s; RIS‑Justiz RS0116783; RS0023525 [T12, T14]; vgl auch 9 Ob 261/99v; 2 Ob 149/07m).

2.3 Allerdings ist die rechtsdogmatische Einordnung dieser Haftung (vgl etwa Danzl in KBB 4 , § 1319 Rz 4: Verschuldenshaftung mit Umkehr der Beweislast unter Hinweis auf RIS‑Justiz RS0023525; weiters 2 Ob 60/11d, JBl 2012, 120: „speziell geregelter Tatbestand der heute allgemein anerkannten Verkehrssicherungsspflichten“) hier schon deshalb nicht von entscheidungswesentlicher Bedeutung, weil jedenfalls von einer haftungsbegründenden Sorglosigkeit der beklagten Partei auszugehen ist. Das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen den Schadenseintritt nach § 1319 ABGB wird dabei nach den Umständen des konkreten Einzelfalls bestimmt, weil sich eine allgemeine Abgrenzung nur in einem durch die Auffassung der Allgemeinheit und die Vernunft bestimmten breiteren Rahmen finden lässt (RIS‑Justiz RS0029991; RS0029874; Weixelbraun-Mohr in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.02 § 1319 Rz 18; Reischauer in Rummel , ABGB 3 § 1319 Rz 17).

Fragen des Entlastungsbeweises gemäß § 1319 letzter Halbsatz ABGB sind daher nur bei einer auffallenden (und damit korrekturbedürftigen) Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen. Eine solche liegt indes nicht vor. Die hier im Einzelfall vorgenommene Beurteilung des Berufungsgerichts, die beklagte Partei hätte die objektive Pflicht getroffen, die Sicherheit der Toranlage regelmäßig und fachmännisch (vgl RIS‑Justiz RS0023835) überprüfen zu lassen, begegnet schon wegen der zutreffend vom Berufungsgericht bejahten Schadensanfälligkeit und Kompliziertheit einer Schiebetoranlage keinen Bedenken (so bereits 2 Ob 80, 81/61 = RIS‑Justiz RS0030210), zumal gerade bei einem Hangar, der von vielen Menschen (Vereinsmitarbeiter, Vereinsmitglieder, Fluggäste) betreten wird, besonders hohe Anforderungen an die Sicherheit zu stellen sind (vgl RIS‑Justiz RS0030322). Die von dem Tor ausgehende Gefahr war hiebei auch nach objektivem Maßstab für die beklagte Partei erkennbar (RIS‑Justiz RS0021300).

Die von den Vorinstanzen nach § 1319 ABGB bejahte Haftung des beklagten Vereins bedarf daher keiner höchstgerichtlichen Korrektur.

3. Zum Dienstgeberhaftungsprivileg

3.1 Auch die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Frage, ob eine betriebliche Tätigkeit iSd § 176 Abs 1 Z 6 ASVG auch dann vorliegen könne, wenn sie ohne Wissen und Anwesenheit des Unternehmers oder einer diesem zuzurechenden Person vorgenommen werde, kann die Zulässigkeit der Revision nicht stützen. Diese Frage lässt sich ebenfalls bereits aus der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bejahen. Danach kann zwar eine Person auch dann als eingegliedert angesehen werden, wenn sie unaufgefordert und ohne vorherige Absprache aus eigenem Entschluss helfend eingreift (10 ObS 126/95 = SZ 68/138; 10 ObS 42/97t; 3 Ob 172/97h; 7 Ob 280/99y; 2 Ob 301/99z; 2 Ob 24/05a; RIS‑Justiz RS0084209 [T5]). Daraus ist abzuleiten, dass die helfende Person eine betriebliche Tätigkeit iSd § 176 Abs 1 Z 6 ASVG auch ohne Kenntnis des Unternehmers ausüben kann (zB 8 Ob 38/86; vgl Neumayr in Schwimann ABGB³ VII § 333 ASVG Rz 28), zumal es für das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit bereits ausreicht, dass die Arbeit dem mutmaßlichen Willen des Dienstgebers entspricht (10 ObS 60/07g; 10 ObS 178/12t; RIS‑Justiz RS0083555).

Für die beklagte Partei ist daraus aber nichts zu gewinnen, weil das Berufungsgericht auch unabhängig davon, wer den Kläger zum Schließen des Tores aufgefordert hat (Negativfeststellung), sowohl die betriebliche Eingliederung des Klägers bei der beklagten Partei als auch eine konkret von ihm bei ihr ausgeübte betriebliche Tätigkeit jedenfalls vertretbar verneint hat (vgl Punkt 3.2), sodass das Ergebnis letztlich nicht von der Frage der Notwendigkeit des Wissens oder der Anwesenheit von Repräsentanten der beklagten Partei abhängig ist. Es mangelt der vom Berufungsgericht angeführten Rechtsfrage somit an der erforderlichen Präjudizialität (vgl RIS‑Justiz RS0088931 [T7]; Zechner in Fasching/Konecny 2 IV/1 § 502 ZPO Rz 60).

3.2 Es liegt bereits eine Vielzahl von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu den für eine das Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG auslösende Eingliederung des Geschädigten in den Betrieb des Schädigers maßgeblichen Kriterien vor (vgl nur die unter RIS‑Justiz RS0084209 angeführten Entscheidungen). Ob von der Eingliederung in einen fremden Betrieb auszugehen ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des konkreten Einzelfalls und begründet daher schon insoweit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0084209).

Mit der Beurteilung des Berufungsgerichts, es fehle beim Bewegen des Tores durch den Kläger an einem Minimum an arbeitnehmerähnlicher, betrieblicher spezifischer Tätigkeit mit einem inneren ursächlichen Zusammenhang mit dem Unternehmen der beklagten Partei, entfernte sich das Berufungsgericht nicht von bestehender Judikatur (vgl RIS‑Justiz RS0084164 [T7]). Dies auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich bei der beklagten Partei um einen Verein handelt, dessen Mitglieder die im Hangar abgestellten Flugzeuge selbständig bedienen. Die beklagte Partei brachte nicht vor (und es steht auch nicht fest), dass beim Verein angestellte Beschäftigte des Vereins im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses (vgl RIS‑Justiz RS0084264) regelmäßig für das Verbringen der Flugzeuge in den Hangar und das damit verbundene Öffnen und Schließen des Tores verantwortlich waren. Verrichten derartige ‑ die letztgenannte Verrichtung betreffend ‑ geringfügige Tätigkeiten aber die Mitglieder des Vereins, werden sie dabei nicht wie ein Beschäftigter desselben tätig (vgl 10 ObS 39/02m; RIS‑Justiz RS0084264). Nichts anderes kann für den Kläger als (bloßer) Fluggast eines Vereinsmitglieds gelten, der diesem im Anlassfall beim Schieben eines Segelflugzeugs in den Hangar half.

Die Zulässigkeit der Revision kann somit nicht darauf gestützt werden, dass das Berufungsgericht bei der Beurteilung des § 176 Abs 1 Z 6 ASVG einer korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung unterlegen bzw von der bisherigen Rechtsprechung abgewichen sei.

4. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision daher zurückzuweisen.

Da der Kläger nur hinsichtlich der von der beklagten Partei als erheblich qualifizierten Rechtsfragen, nicht aber insgesamt auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen und demgemäß auch nur beantragt hat, dieser nicht Folge zu geben, hat er keinen Anspruch auf Honorierung seiner Revisionsbeantwortung (RIS‑Justiz RS0035979; RS0035962).

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