OGH 9ObA11/11z

OGH9ObA11/11z30.3.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Dr. Rotraut Leitner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C***** F*****, vertreten durch Dr. Lothar Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltgesellschaft mbH in Graz, wegen 19.259,28 EUR brutto sA (Revisionsinteresse: 17.593,56 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. November 2010, GZ 7 Ra 76/10s-28, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. April 2010, GZ 29 Cga 89/09y-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass - unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung eines Mehrbegehrens von 1.665,72 EUR brutto sA - das Urteil des Erstgerichts insgesamt wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.554,06 EUR (darin 259,01 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.353,24 EUR (darin 186,54 EUR USt und 1.234 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war ab dem Jahr 2000 bei der Beklagten beschäftigt und erlernte bei ihr den Beruf des Ledertechnikers. Er war zuerst als Schichtführer, dann als Abteilungsleiterstellvertreter und schließlich als Abteilungsleiter für das Wasserwerk in beiden Werken der Beklagten im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Im Werk F***** benutzte der Kläger seinen Firmencomputer nicht alleine. Dieser PC stand in einem Großraumbüro, das Passwort war den Mitarbeitern des Klägers bekannt. Es war üblich, dass diese Mitarbeiter - unter ihnen auch der Systemadministrator der Beklagten - an seinem PC arbeiteten und auch Ordner anlegten. Der Systemadministrator war in der EDV-Abteilung der Beklagten tätig und verfügte über jene Autorisierung, die für die Durchführung von Installationen an den Computern der Beklagten benötigt wurde. Der Kläger selbst verfügte über keine derartige Berechtigung.

Der Systemadministrator installierte auf dem PC teilweise in Absprache bzw über Aufforderung des Klägers diverse Musikdateien, das Kriegsspiel „Call of Duty 2“, ein Brennprogramm namens „Nero“, Total Video Converter, „Firefox“ als Internet-Browser und weitere unzulässige, den Firmenstandard überschreitende Hardware, wie einen DVD-Brenner. Der Systemadministrator überspielte auch einen Ordner mit pornographischen Inhalten auf den PC, um auf seinem USB-Stick dessen Speicherkapazität zu entlasten. Der Kläger hatte keine Kenntnis davon, dass der Systemadministrator diesen Ordner auf den PC auslagerte.

Lediglich den Mitarbeitern der IT-Abteilung untersagte die Beklagte die Installation von Programmen, die keinen Bezug zum Dienst aufweisen. Dies erfolgte nur mündlich. Anderen Mitarbeitern - darunter auch dem Kläger - gegenüber gab es weder eine schriftliche noch eine mündliche Anweisung, wonach die Installation derartiger Soft- und Hardwarekomponenten auf den Rechnern der Beklagten zu unterbleiben hat oder verboten ist. Hätte es eine solche Anweisung gegeben, hätte der Kläger jedenfalls dafür Sorge getragen, dass es auch zu keinen Installationen kommt. Die Beklagte erteilte dem Kläger auch keine dahingehende Verwarnung.

Am 6. 3. 2009 fand im Betrieb der Beklagten in F***** eine Kontrolle des Computers statt, bei der man auf die, von der Firmenleitung nicht autorisierten und bereits genannten Soft- und Hardwarekomponenten stieß. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Computer der Beklagten nur bei Anzeichen von Viren kontrolliert worden. Es war nicht üblich, dass Rechner kontrolliert oder Stichproben vorgenommen wurden. Eine Kontrolle, wie sie beim auch vom Kläger verwendeten PC erfolgte, gab es zuvor nicht.

Am 9. 3. 2009 erfuhr der Kläger, dass die Computer im Werk in F***** kontrolliert werden, weil es einen Virus gebe. Daraufhin kontaktierte der Kläger den Systemadministrator und wies diesen an, sämtliche betriebsfremde Dateien von seinem Rechner zu entfernen, was der Systemadministrator auch tat. Noch am selben Tag wurde der Kläger aufgrund der vorgefundenen Dateien entlassen. Auch nach der Entlassung des Klägers erfolgte keine Anweisung der Beklagten an sämtliche Mitarbeiter, die Installation privater Soft- oder Hardware auf ihren Rechnern zu unterlassen.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger mit dem Vorbringen, die Entlassung sei ungerechtfertigt erfolgt, die Bezahlung von Kündigungsentschädigung samt Sonderzahlungen und Urlaubsersatzleistung sowie von Abfertigung in Höhe von drei Monatsbezügen.

Die Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, dass die Entlassung gerechtfertigt erfolgt sei. Der Kläger habe gegen die ausdrückliche Anweisung, dass keinerlei Software auf dem Computersystem der Beklagten eingebracht werden dürfe, in vielfacher Weise verstoßen. Der Systemadministrator habe im Zuge einer Besprechung am 9. 3. 2009 angegeben, dass er vom Kläger gebeten worden sei, die unzulässigen Dateien zu löschen, sodass abzuleiten sei, dass der Kläger genau gewusst habe, dass er diese Daten nicht in die Firmensoftware einspielen hätte dürfen. Er sei daher gerechtfertigt entlassen worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme einer in Rechtskraft erwachsenen Abweisung eines Mehrbegehrens statt. Ausgehend von den im Wesentlichen bereits wiedergegebenen Feststellungen führte es aus, dass der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nicht vorliege, zumal mangels ausdrücklicher Anweisung der Beklagten und entsprechender Ermahnung für die Beklagte keine objektiv gerechtfertigte Befürchtung bestehen konnte, dass der Kläger ihre Interessen und Belange gefährde. Auch eine beharrliche Weigerung der Befolgung gerechtfertigter Anordnungen des Dienstgebers liege nicht vor. Der Kläger habe daher keinen Entlassungsgrund verwirklicht.

Das Berufungsgericht änderte über Berufung der Beklagten dieses Urteil im klageabweisenden Sinn ab. Es führte rechtlich aus, dass ein Personalcomputer vergleichbar einem Telefon ein im Eigentum des Arbeitgebers stehendes Betriebsmittel sei, dessen Gebrauch grundsätzlich dienstlichen Interessen diene. Liege keine Erklärung oder Vereinbarung für eine allfällige Privatnutzung vor, sei die Frage der Zulässigkeit der Privatnutzung unter Beachtung allgemeiner vertragsrechtlicher Grundsätze zu beantworten. Eine Privatnutzung in geringem Umfang sei zulässig. Davon könne jedoch im vorliegenden Fall keine Rede sein: Weder das Hören von Musik noch das Spielen am Computer dienten den Interessen des Arbeitgebers. Das „Brennen“ von CDs oder DVDs könne gegen den Urheberrechtsschutz verstoßen. Die Installation des Browsers „Firefox“ bzw die Internetnutzung erhöhe die Gefahr eines Virenbefalls. Auch wenn die Beklagte die Privatnutzung des Firmen-PCs nicht untersagt habe, sei davon auszugehen, dass sie dem Kläger keinesfalls die exzessive Nutzung des PCs gestatten wollte. Es habe daher für die Beklagte die objektiv gerechtfertigte Befürchtung bestanden, dass ihre Interessen und Belange durch den Kläger gefährdet seien, weshalb die Entlassung berechtigt ausgesprochen worden sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers.

In der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragte die Beklagte, die Revision zurück-, hilfsweise abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

1.1 Unter den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 letzter Fall AngG fällt jede Handlung oder Unterlassung eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen lässt, weil dieser befürchten muss, dass der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, sodass dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers objektiv gefährdet sind (RIS-Justiz RS0029547, RS0029833). An das Verhalten des Angestellten ist zur Beurteilung des Vorliegens des Entlassungsgrundes im konkreten Einzelfall ein nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise objektiver Maßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0029733). Für den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit genügt Fahrlässigkeit; Schädigungsabsicht oder Schadenseintritt sind nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0029531).

1.2 Der Arbeitnehmer hat aufgrund der ihn treffenden Treuepflicht die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers zu wahren. Er hat insbesondere alles zu unterlassen, was den unternehmerischen Tätigkeitsbereich, dessen Organisationswert und dessen Chancen beeinträchtigt und die Interessen des Arbeitgebers zu gefährden geeignet ist (RIS-Justiz RS0021449). An Arbeitnehmer in gehobener Position - der Kläger war zuletzt Abteilungsleiter - sind strengere Anforderungen zu stellen, als an andere Arbeitnehmer (RIS-Justiz RS0029341). Dem Berufungsgericht ist daher zuzustimmen, dass insbesondere in der Installation eines Computerkriegsspiels und von Hardware wie etwa eines Brennerprogramms auch ohne ausdrückliche gegenteilige Weisung eine Verletzung der Interessen des Arbeitgebers im Sinn einer Vertrauensunwürdigkeit gesehen werden kann (9 ObA 315/97g).

2.1 Essentielles, jedem Entlassungstatbestand immanentes Merkmal ist, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers so unzumutbar ist, dass eine sofortige Abhilfe erforderlich ist (Kuderna, Entlassungsrecht² 60; 9 ObA 101/08f; RIS-Justiz RS0029009; RS0028990 ua). Entscheidend ist, ob das Verhalten des Angestellten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise - also nicht nach dem subjektiven Empfinden des einzelnen Arbeitgebers, sondern nach objektiven Grundsätzen - als so schwerwiegend angesehen werden muss, dass das Vertrauen des Arbeitgebers derart heftig erschüttert wird, dass ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (RIS-Justiz RS0029323; RS0029107; RS0029095 ua); auf die Dauer der Kündigungsfrist kommt es für die Beurteilung der Unzumutbarkeit nicht an (RIS-Justiz RS0028999; RS0029013). Das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung ermöglicht die Abgrenzung zwischen einem in abstracto wichtigen Entlassungsgrund und einem in concreto geringfügigen Sachverhalt (RIS-Justiz RS0029009). Sie bildet daher eine Voraussetzung für die Berechtigung zur Entlassung.

2.2 Von dieser Rechtsprechung weicht die Entscheidung des Berufungsgerichts ab, sodass die Revision ungeachtet der im Übrigen gegebenen Einzelfallbezogenheit sich hier ausnahmsweise als zulässig erweist: Nach den Feststellungen gab es keine allgemeine Anweisung, dass die Installation privater Soft- oder Hardwarekomponenten auf den Rechnern der Beklagten zu unterbleiben hat. Hätte es eine solche Weisung gegeben, so steht fest, dass der Kläger derartige Installationen - für die er überdies selbst gar keine Autorisierung hatte - nicht vorgenommen hätte. Dass ihr durch die konkreten Installationen Mehrkosten (vgl RIS-Justiz RS0029291 zu kostspieligen Privattelefonaten) oder ein Schaden entstanden wäre, hat die Beklagte nicht vorgebracht, sie hat auch nicht vorgebracht, dass der Kläger während der Arbeitszeit (exzessive) private Tätigkeiten auf dem auch von anderen Mitarbeitern verwendeten Computer ausgeübt hätte. Anders als in der Entscheidung 9 ObA 315/97g steht hier eine Nutzung der privat installierten Soft- oder Hardware während der Arbeitszeit nicht fest, sodass aus dieser Entscheidung für die Beklagte nichts zu gewinnen ist.

2.3 Weder war es üblich dass die Computer der Beklagten kontrolliert wurden, noch erhielt der Kläger eine Mahnung oder Anweisung, private Soft- oder Hardware zu entfernen. Eine solche Mahnung oder Anweisung erfolgte insbesondere auch nicht nach der am 6. 3. 2009 erfolgten Kontrolle des Firmencomputers, bei der die Beklagte auf die nicht von ihr autorisierten Soft- und Hardwarekomponenten stieß. Vor diesem Hintergrund kann dem Kläger im konkreten Fall nicht vorgeworfen werden, dass er deren Löschung - noch dazu über den Systemadministrator der Beklagten - veranlasste, als er - erst drei Tage später - von der Überprüfung des Computers durch die Beklagte hörte. Sein Verhalten steht auch nicht im Widerspruch zu einer (gar nicht existierenden) gegenteiligen Anweisung durch die Beklagte, sodass entgegen der Rechtsansicht der Beklagten in der Revisionsbeantwortung auch aus der Entscheidung 8 ObA 218/01v für sie nichts zu gewinnen ist. Ein Versuch einer Verdeckung von Pflichtverletzungen ergibt sich entgegen den Ausführungen der Beklagten in der Revisionsbeantwortung daher gerade nicht aus den Feststellungen.

2.4 Die Ausführungen des Berufungsgerichts, dass das „Brennen“ von CDs oder DVDs gegen einen Urheberrechtsschutz verstoßen könnte, beruhen weder auf einem dahingehenden Vorbringen der Beklagten noch werden sie durch entsprechende Feststellungen gestützt. Dass durch die - immerhin von ihrem eigenen Systemadministrator vorgenommene - Installation des Internetbrowsers Firefox eine erhöhte Gefahr von Computerviren gedroht oder sich verwirklicht habe, hat die Beklagte ebenfalls nicht vorgebracht. Im Rahmen einer Gesamtbeurteilung ist schließlich zu beachten, dass der Kläger im Zeitpunkt der Entlassung seit mehr als neun Jahren für die Beklagte tätig war. Er erarbeitete sich im Unternehmen, in dem er als Lehrling begann, die Position eines Abteilungsleiters. Dass die Arbeitstätigkeit des Klägers zu beanstanden gewesen wäre, hat die Beklagte nicht behauptet.

2.5 Zu Unrecht rügt die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung das Verfahren des Berufungsgerichts als mangelhaft, weil die Beweisrüge nicht vollständig erledigt worden sei. Das Berufungsgericht hat sich mit den vorgelegten Beilagen ./1 und ./2 bei der Behandlung der Mängel- und Beweisrüge in der Berufung der Beklagten begründet und nachvollziehbar auseinandergesetzt. Ob sich Dateien mit pornographischem Inhalt allenfalls auch in anderen Ordnern als jenem des Systemadministrators befanden, ist schon deshalb irrelevant, weil der Kläger nach den Feststellungen gar keine Kenntnis von diesen Inhalten hatte. Auch der Umstand, dass der Kläger allenfalls die dienstliche EDV-Anlage für die Kalkulation von Versicherungsprämien für ein Motorrad verwendet haben mag, könnte für sich allein aufgrund der dargelegten Gesamtumstände die Entlassung nicht begründen.

3. Zusammenfassend fehlt es an der Unzumutbarkeit der Fortbeschäftigung des Klägers zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist als Voraussetzung für die Berechtigung der Entlassung. Zu Recht begehrt der Kläger daher die hier noch verfahrensgegenständlichen Ansprüche, die der Höhe nach im Revisionsverfahren nicht mehr strittig sind. Der Revision ist daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 ZPO.

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