AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W196.2129040.4.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RAe EMBACHER & NEUGSCHWENDTNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.10.2020, Zl. 1032423410/180596048, gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3 sowie § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 46, 52 und § 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin ist eine Staatsangehörige der Russischen Föderation jüdischer Volksgruppenzugehörigkeit aus der Teilrepublik Dagestan. Ihre Identität steht nicht fest.
1. Erstes Verfahren auf internationalen Schutz:
Die unverheiratete Beschwerdefüherin aus XXXX stellte nach illegalem Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet anlässlich ihres Aufgriffs durch die öffentlichen Sicherheitsorgane am 04.10.2014 in XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge ihrer Erstbefragung am 05.10.2014 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes begründete sie dies damit, dass sie vermutlich von Sicherheitsorganen bedroht worden sei. Der Vater ihres Sohnes namens XXXX sei am XXXX bei einem Attentat getötet worden. Bei einer Hausdurchsuchung am selben Tag seien ihre Dokumente weggenommen und ihr gesagt worden, dass sie als Jüdin verschwinden solle und auch ihr Sohn umgebracht werden würde, worauf sich dieser versteckt habe und sie geflüchtet sei. Sie habe Angst, dass man sie nicht in Ruhe lassen werde, weil sie Jüdin sei. Hinweise auf eine unmenschliche Behandlung im Fall ihrer Rückkehr gebe es nicht.
Mit Schriftsatz vom 14.10.2015 legte sie einen Artikel über die Ermordung eines namentlich genannten Journalisten sowie eine Kopie der Geburtsurkunde ihres Sohnes vor, aus welchem sich die Vaterschaft des Ermordeten ergebe, vor. Diesem Artikel ist ua. zu entnehmen, dass der (regierungskritische) Journalist XXXX am XXXX beim Verlassen seiner Wohnung in XXXX , XXXX , in Dagestan niedergeschossen wurde.
Anlässlich ihrer Einvernahme am 21.01.2016 gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst an, in XXXX in XXXX eine Eigentumswohung zu besitzen, wo sie mit XXXX ab und zu zusammengelebt habe. Es sei nicht ihr Lebensgefährte gewesen, da er verheiratet gewesen sei und Kinder gehabt habe. Sie habe (auch) ein Kind von ihm ( XXXX , geb. XXXX ). Sie spreche nur Russisch. Sie sei Jüdin und in XXXX geboren, wo sie 10 Jahre die Grundschule besucht und abgeschlossen habe. Sie habe bis 31.07.2013 als Maniküre gearbeitet und danach von ihren Ersparnissen gelebt. Ab September 2013 habe sie bei ihrer namentlich genannten Freundin und deren Mann in der selben Straße gelebt – bis August 2014, danach sei sie ausgereist. Ihre Eltern seien bereits verstorben, Geschwister habe sie nicht, auch keine Onkel und Tanten. Ihr lediger Sohn lebe seit etwa Mai 2012 in einer Kleinstadt bei Moskau als Fitnesstrainer. Im Herkunftssttaat habe sie keine Probleme mit den Behörden gehabt, sei auch nicht politisch tätig gewesen oder habe wegen ihrer Religion oder Volksgruppenzugehörigkeit Schwierigkeiten gehabt. Der Vater ihres Sohnes sei eigentlich Arzt gewesen, habe aber bei einer Zeitung als Journalist gearbeitet und sei XXXX bei einem Attentat getötet worden. Am selben Tag habe in ihrer Wohnung eine Hausdurchsuchung stattgefunden, sie habe für ihn verschiedene Unterlagen zu einem Verlag bzw. einer Druckerei gebracht. Sie sei von den Beamten vernommen und als Jüdin zum Verlassen der Russischen Föderation aufgefordert worden. Dabei sei sie an der Nase verletzt, deshalb in Österreich operiert worden und nun wieder vollkommen gesund. Zum Vorhalt, dass sie den Namen des Vaters ihres Sohnes unterschiedlich angegeben habe, brachte sie vor, dass es unter Zeitdruck zu Missverständnissen gekommen sei. Sie habe nach dem Attentat bis September 2014 im Herkunftsstaat gelebt, weil sie auf die Ausstellung von Dokumenten habe warten müssen, ehe sie schließlich illegal ausgereist sei. Sie fühle sich von den Moslems in ihrer Heimat bedroht. Ihren Sohn habe sie zuletzt im September 2015 gesprochen und erfahren, dass er ebenfalls ausreisen wolle. In Moskau habe er bis dahin keine Probleme gehabt. Im Fall der Rückkehr könne sie getötet werden. Sie habe für den Ermordeten als Botin gearbeitet. Die moslemische Familie des Ermordeten habe nach seiner Ermordung nichts zu befürchten, sie aber sei Jüdin. Zum Vorhalt, dass es in der Russischen Föderation keinerlei Verfolgung von Juden gebe, gab sie an, dass diese sich großteils in Moskau aufhalten würden, jedoch in ihrem Fall eine spezielle Situation vorliege. In Österreich lebe sie alleine, betreue ein älteres Ehepaar und mache Maniküre. Sie besuche hier aktuell einen Deutschkurs und lebe von der Grundversorgung. Sie gehe spazieren bzw. unterrichte die Kinder im Flüchtlingslager in Zeichnen, lese viel und unterhalte sich gerne. Sie habe keine Probleme mit den Gesetzen in Österreich. Sie wolle hier künftig leben und habe auch schon eine Freundin gefunden. An den Länderberichten habe sie kein Interesse.
Nach dem Ergebnis der im Herkunftsland durchgeführten Recherchen vom 16.03.2016 war die Identifikation der Beschwerdeführerin und ihrer Freundin samt Ehemann an der angegebenen Wohnadresse in XXXX nicht möglich. Ferner erwies sich die für ihren Sohn vorgelegte Geburtsurkunde als nicht echt.
Anlässlich ihrer erneuten Einvernahme beim BFA am 22.03.2016 gab die Beschwerdeführerin an, am 20.05.2016 eine Brustoperation wegen eines Tumors zu haben. Seit August 2015 sei sie in Österreich in Behandlung. Zum Vorhalt der Rechercheergebnisse zur Geburtsurkunde ihres Sohnes und ihrer eigenen Identität beharrte sie auf ihren bisherigen Angaben. Im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat könne sie getötet werden. Sie habe hier zwischenzeitig auch Freundinnen gewonnen.
Nach dem Gutachen vom 14.05.2016 erwiesen sich auch die für die Beschwerdefüherein vorgelegte Geburtsurkunde samt Ausstellungsbestätigung nicht als echt.
Im Zuge ihrer erneuten Einvenahme beim BFA am 10.06.2016 brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass der Tumor in ihrer Brust nicht bösartig gewesen und die Operation gut abgelaufen sei. Zum Vorhalt, dass die von ihr vorgelegte Geburtsurkunde samt Ausstellungsbestätigung nicht echt sei, sondern es sich bei sämtlichen von ihr vorgelegten Dokumenten um (Total)Fälschungen handle, weshalb die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung beabsichtigt sei, blieb sie bei ihren bisherigen Angaben. In Österreich lebe sie nach wie vor allein und habe keine Verwandten hier, sei in keinen Vereinen aktiv und besuche aktuell einen Deutschkurs. Sie lebe von der Grundversorgung. Sie arbeite nicht, sondern unterstütze die Caritas freiwillig. Sie pflege Kontakt mit ihren Freundinnen und backe Kuchen, der für einen guten Zweck von Kindern verkauft werde. In Österreich habe sie keine Probleme mit den Gesetzen. Sie wolle in Zukunft hier leben. Vorgelegt wurden Befund(teile) vom 23.05.2016 über eine Brustoperation und eine Nasenoperation am 06.08.2015 (Septum Nasi).
Mit Bescheid vom 10.06.2016 wies das Bundesasylamt diesen Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 05.10.2014 sowohl in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (unter Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II.) ab, erteilte einen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht, erließ gegen die beschwerdeführende Partei eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt III.); einer Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).
Im Wesentlichen wurde darin ausgeführt, dass eine asylrelevante Verfolgung(sgefahr) für die Beschwerdeführerin nicht habe festgestellt werden können, sämtliche vorgelegten Dokumente gefälscht seien und auch keine reale Gefahr im Sinne von Art. 3 EMKR im Fall ihrer Rückkehr habe festgestellt werden können. Ihre Eigentumswohnung bzw. ihre Freundin hätten an der angegebenen Adresse nicht eruiert werden können und der Aufenthalt ihres bisher in Moskau aufhältigen Sohnes sei ebenfalls nicht bekannt. Ihr Vorbringen zu ihren Fluchtgründen wurde als unglaubwürdig erachtet. Im Hinblick auf § 8 AsylG 2005 sei ihre eine Rückkehr in die Russische Föderation zumutbar (zu Spruchpunkt I. und II.). Sie habe keine Verwandten hier. Seit ihrer Einreise nach Österreich habe sie sich nicht um Arbeit bemüht, sondern lebe von der staatlichen Grundversorgung und besuche aktuell einen Deutschkurs. Bisher habe sie zwar Freundschaften geknüpft, jedoch sei sie auch nicht in Vereinen tätig und stütze ihre Fluchtgründe sowie Identität auf gefälschte Beweismittel. Die öffentlichen Interessen an der Beendigung ihres Aufenthaltes würden ihre am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen (Spruchpunkt III.). Die Voraussetzungen für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung seien gegeben (Spruchpunkt IV.).
Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei fristgerecht das Rechtsmittel einer Beschwerde. Darin wurde der Verstoß gegen die in § 18 AslG 2005 determinierten Ermittlungspflichten gerügt. Sie sei im Herkunftsstaat auf Grund der (ihr unterstellten) politischen Gesinnung iVm der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie sowie der Religion einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne der GFK ausgesetzt. Die von ihr vorgelegten Urkunden seien keine Fälschungen, sondern echt und richtig. Das zur Beurteilung herangezogene Sachverständigengutachten entspreche nicht der höchstgerichtlichen Judikatur. Sie sei tatsächlich Eigentümerin der angegebenen Wohnung in XXXX und ihre namentlich genannte Freundin würde ebenfalls dort wohnen. Am 09.07.2013 sei sie von maskierten „Beamten“ misshandelt worden (Zigaretten –Narben an der rechten Schulter, Hand gebrochen, Verletzung an der Brust und notwendige Operation). Beantragt werde ein medizinisches Gutachten als Beweis für ihre erlittenen Verletzungen. Ihre Verfolgung sei keine staatliche, sondern eine inoffizielle, sodass sie nicht um Ausstellung von Duplikaten für ihre weggenommenen Dokumente habe ersuchen können (?). Juden würden in Dagestan durch von der Regierung bezahlte Banditen zum Verlassen ihrer Häuser gezwungen. Die vorgebrachte Verfolgung sei aktuell und bestehe weder effektiver und tatsächlicher Schutz noch ein eine innerstaatliche Fluchtalternative, weshalb Asyl gewährt werden sollte. Spruchpunkt II. bekämpfe sie wegen mangelndem Ermittlungsverfahren bzw. mangelhafter Beweiswürdigung. Ihr drohe im Herkunftsstaat ein reales Risiko einer umenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK. Zur Rückkehrentscheidung brachte sie im Wesentlichen vor, dass ein Eigriff in ihr Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht auszuschließen sei. Die Behörde habe den Ausspruch verabsäumt, dass ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Die Voraussetzungen für einen solchen nach § 57 AsylG 2005 lägen jedoch vor. Wegen der mangelhaften Sachverhaltsermittlung sei eine mündliche Verhandlung unvermeidlich. Die von der Behörde angenommenen Umstände für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung seien tatsächlich nicht zutreffend. Das dazu herangezogene Gutachten entspreche nicht der dazu ergangenen höchstgerichtlichen Judikatur. Auch seien der Behörde Begründungsmängel unterlaufen. Die aufschiebende Wirkung sei daher zu Unrecht aberkannt worden. Vorgelegt wurden medizinische Befunde.
Dieser Beschwerde wurde mit Beschluss des BVwG vom 04.07.2016 aufschiebende Wirkung zuerkannt, da die Aktenlage einer näheren Überprüfung bedurfte, dem Bescheid veraltete Länderfeststellungen zu Grunde gelegt waren und nach der Judikatur eine mündliche Verhandlung abzuhalten gewesen wäre.
Am 27.07.2016 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache und der Beschwerdeführerin und ihrer Rechtsberatung eine mündliche Verhandlung durch, in der die Beschwerdeführerin im Detail nach ihren Fluchtgründen, zu ihrem Leben in Dagestan und in Österreich befragt wurde.
Am 19.10.2016 langte das Gutachten des XXXX , Facharzt für Unfallchirurgie u. Sporttraumatologie, gerichtlich beeideter und zertifizierter Sachverständiger für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie ein. Zusammengefasst führte der Sachverständige zur Misshandlung der Beschwerdeführerin am XXXX aus, dass, folge man den Angaben der Verletzten, sie am 09.07.2013 von mehreren Männern im Zuge einer Amtshandlung misshandelt worden sei. Sie stelle den Misshandlungsverlauf aus ihrer Sicht dar. Die von ihr dargestellte Vorgangsweise bei der Einrichtung der von ihr behaupteten Schulterverrenkung entspräche der auch in Österreich geübten. Was die durch die, angeblich durch an ihrem Hals ausgedämpften Zigaretten entstandenen Hautveränderungen anlange, könne eine solche Entstehung nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Auch könne die vernarbte Wunde an der Unterlippe durch einen Schlag entstanden sein. Es finde sich an der Innenseite der rechten Brustdrüse an der Brustwand eine Narbe, die ursprünglich durch eine Tumoroperation in der Jugend entstanden sein soll, und die durch eine Narbenkorrekturoperation behandelt worden sein soll. Diese Korrekturoperation sei durch Unterlagen belegt. Ob in diesem Bereich in der Zwischenzeit Schädigungen des Hautweichteilmantels, hervorgerufen durch Schläge, bestanden haben, sei nicht mehr feststellbar.
Das Gutachten wurde der Beschwerdeführerin zur Stellungnahme zugeschickt. Eine solche Stellungnahme langte innerhalb der erteilten Frist nicht ein.
Mit Erkenntnis des BVWG vom 21.11.2016, Zl. W211 2129040-1/25/E, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des VwGH vom 18.05.2017 zurückgewiesen, jedoch jener an den VfGH mit Erkenntnis vom 22.09.2017, Zl. E 3289/3026-20, stattgegeben und das Erkenntnis des BVwG zur Gänze behoben, da die vom BVwG angenommene Unglaubwürdigkeit der Fluchtgründe auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung fußte.
Die Beschwerdeführerin wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 28.02.2017 wegen § 223 (2) StGB (Urkundenfälschung) mangels Schuldbeweises freigesprochen.
Nach Durchführung einer neuerlichen Verhandlung am 16.01.2017 wurde die Beschwerde mit Erkenntnis des BVwG vom 14.02.2018, Zl. W211 2129040-1/59E, neuerlich als unbegründet abgewiesen. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass sie trotz glaubhaftem Fluchtvorbringen über die Ermordung des Vaters ihres Sohnes keiner Gefährdung durch dortige Sicherheitsbehörden oder Regierungskräfte wegen eines Zusammenhanges mit dem Ermordeten unterliegen würde bzw. sich im Fall von Furcht davor außerhalb des Nordkaukasus in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation niederlassen könne. Es könne ferner nicht festgestellt werden, dass sie als Jüdin in Dagestan oder der Russischen Föderation gefährdet wäre. Auch könne nicht festgestellt werden, dass sie (unter Bedachtnahme auf ihre zahlreichen gesundheitlichen Probleme) im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde. Zwar verfüge sie in Österreich über private Interessen, jedoch liege eine maßgeblich ausgeprägte und verfestigte private und familiäre Integration in Österreich nicht vor. Diese Entscheidung erwuchs am 21.02.2018 in Rechtskraft.
2. Verfahren zum Antrag auf Wiederaufnahme vom 09.07.2018:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Wiederaufnahme des ersten Asylverfahrens, da sie am 25.06.2018 eine SMS von „Aleksander“ darüber erhalten habe, dass ich Sohn bereits im Jahr 2015 ermordet worden sei. Nach ihren Angaben habe sie dessen Telefonnummer im Jahr 2014 von ihrem Sohn „für alle Fälle“ per Brief samt Geburtsurkunde erhalten.
Am 19.07.2018 erging der Beschluss des BG XXXX über die vorläufig zulässige Unterbringung der Beschwerdefüherin in der psychiatrischen Klinik XXXX .
Mit Erkenntnis des BVwG vom 23.07.2018, Zl. W211 2129040-2/4E, wurde dieser Antrag abgewiesen. Im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Beschwerdeführerin bereits während ihres laufenden Asylverfahrens Kontakt zum Freund ihres Sohnes aufnehmen und sich nach ihrem Sohn erkundigen hätte können. Daher stehe das Verschulden der Beschwerdeführerin an der rechtzeitigen Geltendmachung ihres Vorbringens, dass die Tötung ihres Sohnes bereits im Jahr 2015 erfolgt sei, im vorausgegangen Verfahren vor dem BVwG einer Wiederaufnahme des Verfahrens entgegen.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin am 11.10.2018 außerordentliche Revision beim VwGH. Diese wurde mit Beschluss vom 19.02.2019, Zl. Ra 2018/14/0081-9, zurückgewiesen.
3. verfahrensgegenständlicher zweiter Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag)
Am 26.06.2018 stellte die Beschwerdeführerin einen Folgeantrag auf internationalen Schutz und gab bei der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Wesentlichen an, dass sie Österreich verlassen habe wollen und bereits bei der Rückkehrberatung gewesen sei, dann aber eine SMS erhalten habe, dass ihr Sohn, der in Russland gelebt habe, ermordet worden sei. Die gleichen Männer, die ihren Mann ermordet hätten, hätten auch ihren Sohn ermordet. Sie stehe ebenfalls auf dieser Liste und befürchte im Falle ihrer Rückkehr den Tod.
Am 04.07.2018 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt, in welcher die Beschwerdeführerin ausführte, ihr Sohn sei in Moskau ermordet worden. Die Beschwerdeführerin habe von ihrem Sohn 2014 einen Brief bekommen, in dem seine Geburtsurkunde und eine Telefonnummer gewesen sei, bei der sie sich melden solle, wenn etwas nicht stimme. Ihr Sohn habe in Moskau studiert. Von dieser Nummer habe XXXX ihr eine SMS geschrieben, ihr Sohn sei 2015 ermordet worden und sie solle keinesfalls nach „Russland“ zurückkehren, da es für sie nicht sicher sei. Weiters gab die Beschwerdeführerin an, sie leide an einer schweren Depression, werde psychologisch betreut und nehme starke Medikamente.
Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 19.07.2018 wurde die Unterbringung der Beschwerdeführerin vorläufig für zulässig erklärt und eine Sachverständige zur Erstellung eines Gutachtens zu den Voraussetzungen des § 3 UbG beauftragt.
Am 03.08.2018 langte eine Aufenthaltsbestätigung vom Klinikum XXXX vom 26.07.2018 bei der belangten Behörde ein, aus welcher hervorging, dass die Beschwerdeführerin sich seit 16.07.2018 in laufender stationärer Behandlung in der Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin befinde.
Am 06.08.2018 langte ein Schreiben des Klinikums XXXX vom 26.07.2018 bei der belangten Behörde ein, in welchem sich die Klinik für eine erneute Übersiedlung in die vorherige Unterkunft der Beschwerdeführerin aufgrund der Verschlechterung ihres psychischen Zustands (rezidivierede depressive Störung) und der mit der Übersiedlung in eine neue Unterkunft einhergehende Herausreißung aus dem gewohnten Umfeld, aussprach.
Mit Schreiben der ARGE Rechtsberatung vom 06.08.2018 wurden der belangten Behörde Unterlagen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin übermittelt.
Am 09.08.2018 langte bei der belangten Behörde ein Arztbrief des Klinikums XXXX ein.
Unter Vorlage einer ärztlichen Bestätigung vom 03.09.2018 entschuldigte sich die Beschwerdeführerin für ihre Abwesenheit von der Einvernahme am 06.09.2018 mit einer „chronischen Erkrankung“.
Mit Schreiben vom 05.09.2018 forderte die belangte Behörde die Beschwerdeführerin zu einer schriftlichen Stellungnahme zu der am 04.07.2018 ausgefolgten Verfahrensanordnung gem. § 29 Abs. 3 Z 6 AsylG 2005 binnen einer Woche auf.
Mit Schriftsatz vom 14.09.2018 gab die Beschwerdeführerin eine schriftliche Stellungnahme ab. Darin teilte sie mit, sich wegen der Nachricht vom Tod ihres Sohnes vom 16.07.2018 seit 08.08.2018 in stationärer Behandlung in der Psychiatrie befunden zu haben. Eine Abschiebung in die Russische Föderation werde mit Sicherheit eine Verschlechterung ihres psychischen Zustandes bedeuten, weshalb sie die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens dazu beantrage. Sie sei so wie ihr Sohn in der Russischen Föderation gefährdet und auch die Frau des ermordeten Journalisten sei seit 2015 verschwunden. Mangels Verwandten könne sie nirgendwo anders in der Russischen Föderation unterkommen. Eine Zwangsversteigerung ihrer Wohnung sei nicht auszuschließen und infolge ihres psychischen Zustandes sei derzeit auch keine Arbeitsfähigkeit gegeben. Sie beantrage ferner behördliche Recherchen in der Russischen Föderation, ob ihr Sohn noch am Leben sei. Außerdem würden Juden in Dagstan infolge des islamisitschen Aufstandes seit mehreren Jahren schikaniert und verfolgt, sodass ihr eine dem Art.3 EMRK widersprechende Behandlung im Fall der Rückkehr drohe. Beigefügt war eine Liste der ihr verordneten Medikamente sowie eine pschychotherapeutische Stellungnahme vom 03.09.2018, woraus sich ergibt, dass der Sohn der Beschwerdeführerin 2015 ins Gefängnis gekommen und dort möglicherweise verstorben sei. Die Beschwerdfeührerin habe mehrere suizidale Krisen durchlebt und befinde sich gerade in einer intensiven Trauerphase um den verlorenen Mann und Sohn.
Dem ua. vorgelegten Kurzarztbrief des Klinikums XXXX vom 01.01.2018 sind als Diagnosen „rezidivierend depressive Störung, ggw. mittelgradig bis schwere Episode, Vitamin D-Mangel, V.a. Gastritis, Tinnitus rechts, Z.n. nach gutartigem Mamma-TU rechts – Mammaredutkionsplastik mit Narbenkorrektur 5/2016“ zu entnehmen.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.09.2018, Zl. 1032423410-180596048 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 26.06.2018 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen sie eine Rückkehrentschiedung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Absatz 9 PFG wurde festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Absatz 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 Ziffer 6 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF wurde gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von 1 Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Im Wesentlichen begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung damit, dass es sich beim Vorbringen der Beschwerdeführerin um ein gesteigertes Vorbringen handle und verwies auf das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes zum Antrag der Wiederaufnahme des Verfahrens. Einen neuen, entscheidungsrelevanten Sachverhalt habe die belangte Behörde nicht feststellen können. Zur Begründung der Erlassung eines Einreiseverbotes in der Dauer von 1 Jahr führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin schon ihrer Ausreise- bzw. Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen sei und daher nicht mehr von einer „nur geringfügigen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung gesprochen werden könne.
Mit Schriftsatz vom 15.10.2018 erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht die vollumfängliche Beschwerde gegen den genannten Bescheid.
Mit Erkenntnis des BVwG vom 02.06.2020, Zl. W147 2129040-3/16E, wurde die Beschwerde nach mündlicher Verhandlung hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen, ihr im Übrigen hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VII. Folge gegeben und diese behoben. Begründet wurde dies damit, dass die Beschwerdeführerin ihren neuen Antrag mit Umständen begründet habe, welche bereits von der Rechskraft des ersten Asylverfahrens mitumasst seien. Sie habe keinen neuen Sachverhalt geltend gemacht, welcher erst danach entstanden sei. Zur Beurteilung, ob der Folgeantrag auch hinsichtlich subsidiärem Schutz zurückzuweisen sei, wäre nach Auffassung des BVwG daher zur berücksichtigen gewesen, dass seit der letzten inhaltlichen Entscheidung neue Vorbringen hinzugekommen seien (Tod des Sohnes, massive Verschlechterung ihres psychischen Zustandes seither, fehlende familiäre und soziale Anknüpfungspunkte), welche allenfalls gemäß Art. 3 EMRK relevant sein könnten. Bisher sei nicht ermittelt worden, ob und wie der Sohn der Beschwerdeführerin verstorben sei. Mangels Kompetenz des BVwG zur Sachentscheidung in dieser Konstellation daher seien die Spruchpunkte II. bis VII. zu beheben gewesen. Diese Entscheidung ist am 05.06.2020 in Rechtskraft erwachsen.
Im fortgesetzten Verfahren wurde die Beschwerdeführerin am 17.07.2020 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich auf Russisch einvernommen. Dabei gab sie im Wesentlichen an, dass es ihr seit 2012 psychisch nicht gut gehe und sie seit 2017 medikamentös behandelt werde. Am 09.07.2012 sei ihr Mann umgebracht worden, seither habe sie (psychische) Probleme. Deutsch verstehe sie auf dem Niveau A2. Sie habe weder ihre Freundin in XXXX noch den Freund ihres Sohnes um eine Sterbeurkunde (für ihren Sohn) gebeten, weil sie daran kein Interesse gehabt habe. Ihre Fluchtgründe habe sie bereits alle angegeben. Bereits im Juli 2016 habe sie bei der Verhandlung vor dem BVwG angegeben, dass sie am 09.07.2013 vergewaltigt worden sei, habe aber nicht gewollt, dass ihr Sohn davon erfahre, nun könne sie es ja sagen. In Österreich wolle sie künftig arbeiten, etwa in der Altenbetreuung. An den Länderberichten hab sie kein Interesse. Ein Konvolut an Unterlagen legte sie vor. Nach dem Arztbrief vom 08.08.2018 bestand damals bei der Beschwerdefüherin „Depressive Anpassungsstörung, Rezidivierend depressive Störung, Vtamin D-Mangel“. Nach dem ärztlichen Attest vom 15.03.2019 bestand bei der Beschwerdeführerin eine „rezidiv depressive Störung, gegenwärtig schwer ohne psychotische Symptome, ZB PTBS“.
Dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 26.08.2020 ist zusammengefasst zu entnehmen, dass bei der Beschwerdeführerin eine „rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig (F33.1) und eine Anpassungsstörung mit einer leicht- bis mittelgradigen depressiven Reaktion“ besteht. Die Beschwerdeführerin ist danach aber in der Lage, schlüssige und widerspruchsfreie Angaben zu machen. Sie befindet sich in fachärztlicher Betreuung, eine weiterführende medikamentöse antidepressive Therapie (gängige Antidepressiva und Neuroleptika) ist danach erforderlich und von einer noch länger dauernden Behandlungsbedürftigkeit bis zur Stabilisierung grundsätzlich auszugehen. Die Psychotherapie sollte weitergeführt werden. Im Fall der Überstellung in die Russische Föderation sei zwar mit einer kurz- bis mittelfristigen Verschlechterung des Krankheitsbildes, jedoch nicht mit einem lebensbedrohlichen Zustand der Beschwerdeführerin zu rechnen. Jedenfalls sollte in der Heimat die medikamentöse antidepressive und neuroleptische Therapie weitergeführt werden und die Beschwerdfeührerin sich einer fachärztlichen Behandlung unterziehen, weiterführende Psychotherapie in der Muttersprache werde ebenso empfohlen.
Anlässlich ihrer neuerlichen niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 28.09.2020 gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen auf Russisch an, keine Angaben über den Ort und die Umstände des Todes ihres Sohnes machen zu können, nicht in der Lage zu sein, eine Sterbeurkunde zu besorgen und keine Telefonnummern ihrer Freundin und des Freundes ihres Sohnes mehr zu besitzen. Das Ergebnis des eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 26.08.2020 wurde ihr zur Kenntnis gebracht, wonach im Fall einer Überstellung in den Herkunftsstaat kein Hinweis auf eine lebensbedrohliche Verschlechterung ihres Zustandes besteht und die in Österreich begonneneTherapie fortgeführt werden soll.
Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des Bundesamtes vom 15.10.2020 wurde der Folgeantrag der Beschwerdeführerin hinsichtlich subsidiärem Schutz gemäß § 8 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt II.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt III.) und ihre Abschiebung in die Russische Föderation für zulässig erachtet (Spruchpunkt IV.) sowie eine Frist für eine freiwillige Ausreise von 2 Wochen erteilt (Spruchpunkt V.). Ein Einreiseverbot wurde nicht erlassen. Begründet wurde dieses hinsichtlich Spruchpunkt I. damit, dass eine asylrelevante Verfolgung der Beschwerdeführerin im Fall der Rückkehr nicht habe festgestellt werden können. Diesbezüglich lägen bereits rechtskräftige Entscheidungen des BVwG vor. Auch eine Gefährdung im Sinne von § 8 AsylG2005 habe nicht festgestellt werden können. Sie würde im Fall der Rückkehr in keine existenzbedrohende Notlage geraten. Sie sei abgesehen von psychischen Problemen gesund, habe ihre Schul- und Berufsausbildung in ihrem Heimatort in Dagestan erhalten und dort ihren Lebensunterhalt als unverheiratete Frau mit Kind selbst als Maniküre erwirtschaftet. Der Vater ihres Kindes, mit welchem sie nicht im gemeinsamen Haushalt gelebt habe, sei am 09.07.2013 ermordet worden. Danach habe sie nicht mehr gearbeitet, sondern von ihren Ersparnissen bei einer verheirateten Freundin gelebt, ehe sie am 28.09.2014 schlepperunterstützt ausgreist sei. Ihre Eigentumswohnung in Dagestan sei nach Begleichung der offenen Rechnungen vermutlich wieder bewohnbar. Ihr in der Russischen Föderation zuletzt in Moskau aufhältiger Sohn sei vermutlich 2015 verstorben. Die Beschwerdefüherin sei eine anpassungsfähige, mobile und flexible Staatsangehörige der Russischen Föderation und abgesehen von einer gegenwärtig mittelgradigen rezidivierenden depressiven Störung und einer Anpassungsstörung mit einer leicht- bis mitelgradigen depressiven Reaktion gesund. Psychische Leiden seien in der Russischen Föderation behandelbar, sie leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Die unbeescholtene Beschwerdeführerin sei arbeitsfähig und arbeitswillig und in der Lage, ihren Lebensunterhalt im Herkunftsstaat (wieder) zu bestreiten. In Österreich verfüge sie über keine privaten oder familiären Bindungen, ihre Deutschkenntnisse bewegten sich auf dem Niveau A2, sie lebe allein hier, sei in keinem Verein aktiv, arbeite nicht, sondern beziehe laufend die staatliche Grundversorgung. Künftig würde sie gerne in der Altenbetreuung tätig sein. Beweiswürdigend wurde ua. dargelegt, dass ihre Identität mangels entsprechender Dokumente nicht festgestellt habe werden können, die vorgelegten Urkunden seien Fälschungen, die Beschwerdeführerin habe zum Datum der Ermordung des Vaters ihres Kindes neuerlich abweichende Angaben gemacht habe, was aber nach dem Ergebnis des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 17.09.2020 nicht auf ihre psychische Beeinträchtigung zurückzuführen sei. Dass sie das genaue Sterbedatum ihres Sohnes nicht kenne, sei nicht glaubwürdig.
Ferner wurden folgende Länderfeststellungen getroffen:
Länderspezifische Anmerkungen
Letzte Änderung: 18.05.2021
Hinweis:
Die Länderinformationen gehen nur eingeschränkt auf die Auswirkungen der COVID-19- Pandemie sowie auf eventuelle Maßnahmen gegen diese ein - wie etwa Einstellungen des Reiseverkehrs in oder aus einem Land oder Bewegungseinschränkungen im Land. Dies betrifft insbesondere auch Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung, die Möglichkeiten zur Selbst-Quarantäne, die Versorgungslage, wirtschaftliche, politische und andere Folgen, die derzeit immer noch schwer einschätzbar sind. Diesbezüglich darf jedoch auf das COVID-Kapitel der Staatendokumentation zur aktuellen COVID-19-Lage hingewiesen werden.
Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://ww w.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports
oder der Johns-Hopkins-Universität:
https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40
299423467b48e9ecf6
mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Da es sich bei den Nordkaukasus-Republiken (z.B. Tschetschenien, Dagestan) um Subjekte der Russischen Föderation handelt, werden diese nicht mehr in eigenständigen Länderinformationen abgehandelt, sondern in diese Länderinformation zur Russischen Föderation (RUSS COI-CMS) integriert. Wo es Unterschiede gibt, wurden Unterkapitel zu den einzelnen Subjekten bzw. in zusammenfassender Form zum Nordkaukasus geschaffen.
Zu Inguschetien werden - auch nach Absprache mit dem BVwG - keine Informationen mehr ins RUSS COI-CMS übernommen, da die Anzahl an Asylwerbern zu gering ist. Sollten Sie Informationen zu Inguschetien benötigen, ist eine konkrete Anfrage an die Staatendokumentation zu stellen.
In Bezug auf das Kaukasus-Emirat ist zu sagen, dass es momentan nicht ganz klar ist, ob es in der Praxis überhaupt noch existiert und falls ja, ob es einen neuen Anführer hat oder nicht. Dies scheint aber auch nicht das Wichtigste zu sein, da Kadyrows Kräfte und die russischen Sicherheitsbehörden jegliche dschihadistische Anhänger ins Visier nehmen und sie keinen Unterschied machen, unter welcher Flagge ein Islamist kämpft.
Vergleichende Länderkundliche Analyse (VLA) i.S. §3 Abs. 4a AsylG
Letzte Änderung: 18.05.2021
Erläuterung
Bei der Erstellung der vorliegenden Länderinformation wurde die im § 3 Abs 4aAsylG festgeschriebene Aufgabe der Staatendokumentation zur Analyse „wesentlicher, dauerhafter Veränderungen der spezifischen, insbesondere politischen Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind", berücksichtigt. Hierbei wurden die in der vorliegenden Länderinformation verwendeten Informationen mit jenen in der vorhergehenden Länderinformation abgeglichen und auf relevante, im o.g. Gesetz definierte Verbesserungen hin untersucht.
Als den oben definierten Spezifikationen genügend eingeschätzte Verbesserungen wurden einer durch die Qualitätssicherung abgesicherten Methode zur Feststellung eines tatsächlichen Vorliegens einer maßgeblichen Verbesserung zugeführt (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt II). Wurde hernach ein tatsächliches Vorliegen einer Verbesserung i.S. des Gesetzes festgestellt, erfolgte zusätzlich die Erstellung einer entsprechenden Analyse der Staatendokumentation (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt IV) zur betroffenen Thematik.
Verbesserung i.S. § 3 Abs. 4a AsylG |
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Titel | Kapitel |
Ein Vergleich der Informationen zu asylrelevanten Themengebieten in der vorliegenden Länderinformation mit jenen der vormals aktuellen Länderinformation hat ergeben, dass es zu keinen wie im § 3 Abs. 4a AsylG beschriebenen Verbesserungen in der Russischen Föderation gekommen ist.
Covid-19-Situation
Letzte Änderung: 18.05.2021
Russland ist von Covid-19 landesweit stark betroffen. Regionale Schwerpunkte sind Moskau und St. Petersburg (AA 15.2.2021). Aktuelle und detaillierte Zahlen bietet unter anderem die Weltgesundheitsorganisation WHO ( https://covid19.who.int/region/euro/country/ru ). Die Regionalbehörden in der Russischen Föderation sind für Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 zuständig, beispielsweise betreffend Mobilitätseinschränkungen, medizinische Versorgung und soziale Maßnahmen (RAD 15.2.2021; vgl. CHRR 12.3.2021). Die Maßnahmen der Regionen sind unterschiedlich, richten sich nach der epidemiologischen Situation in der jeweiligen Region und ändern sich laufend (WKO 9.3.2021; vgl. AA 15.2.2021). Es herrscht eine soziale Distanzierungspflicht für öffentliche Plätze und öffentliche Verkehrsmittel. Der verpflichtende Mindestabstand zwischen Personen beträgt 1,5 Meter (WKO 9.3.2021).
Die regierungseigene Covid-19-Homepage gibt Auskunft über die vom russischen Gesundheitsministerium empfohlenen Covid-19-Medikamente, nämlich Favipiravir, Hydroxychloroquin, Mefloquin, Azithromycin, Lopinavir/Ritonavir, rekombinantes Interferon-beta-1b und Interferonalpha, Umifenovir, Tocilizumab, Sarilumab, Olokizumab, Canakinumab, Baricitinib und Tofaciti- nib. Der in Moskau entwickelte Covid-19-Krankenhausbehandlungsstandard umfasst folgende
vier Komponenten: Antivirale Therapie, Antithrombose-Medikation, Sauerstoffmangelbehebung und Prävention/Behandlung von Komplikationen. Auf Anordnung des Arztes wird Patienten ein Pulsoxymeter ausgehändigt (Gerät zur Messung des Blutsauerstoffsättigungsgrades). Die medizinische Covid-Versorgung erfolgt für die Bevölkerung kostenlos (CHRR o.D.a).
Folgende Impfstoffe wurden in der Russischen Föderation entwickelt: Gam-COVID-Vac (’Sputnik V’), EpiVacCorona, CoviVac und Ad5-nCoV (CHRR o.D.b). Mittlerweile sind in der Russischen Föderation drei heimische Impfstoffe zugelassen (Sputnik V, EpiVacCorona und CoviVac). Groß angelegte klinische Studien gibt es bisher nicht (DS 20.2.2021; vgl. RFE/RL 21.2.2021). Impfungen erfolgen kostenlos (Mos.ru o.D.). In Moskau wurden bisher mehr als 700.000 Personen geimpft (Mos.ru 8.3.2021). Obwohl Russland als weltweit erstes Land seinen Covid-Impfstoff Sputnik V registrierte, haben die Impfungen effizient gerade erst begonnen (DS 12.2.2021). Bisher wurden in der Russischen Föderation in etwa 2,2 Millionen Personen (ca. 1,5% der Bevölkerung) geimpft bzw. erhielten zumindest eine der zwei Teilimpfungen (RFE/RL 21.2.2021).
Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger müssen bei der Grenzkontrolle keinen COVID-Test vorlegen, dieser muss jedoch spätestens drei Tage nach der Einreise nachgeholt werden. Russische Staatsbürger, die nach der Einreise ein positives Testergebnis erhalten, müssen sich in Quarantäne begeben. Die Ausreise aus Russland ist bis auf unbestimmte Zeit eingeschränkt und nur in bestimmten Ausnahmefällen möglich. Die internationalen Flugverbindungen wurden teilweise wieder aufgenommen. Direktflüge zwischen Österreich und Russland werden derzeit ein- bis zweimal wöchentlich von Austrian Airlines und Aeroflot angeboten. Russische Inlandsflüge wurden während der ganzen Pandemiezeit aufrecht erhalten (WKO 9.3.2021). Der internationale Zugverkehr - mit Ausnahme der Strecke zwischen Russland und Belarus - und der Fährverkehr sind eingestellt (AA 15.2.2021).
Staatliche Unterstützungsmaßnahmen für die russische Wirtschaft sind unterschiedlich und an viele Bedingungen gebunden. Zu den ersten staatlichen Hilfsmaßnahmen zählten Kredit-, Miet- und Steuerstundungen (ausgenommen Mehrwertsteuer), Sozialabgabenreduktion sowie Kreditgarantien und zinslose Kredite. Später kamen Steuererleichterungen sowie direkte Zuschüsse dazu. Viele der Maßnahmen sind nur für kleine und mittlere Unternehmen oder bestimmte Branchen zugänglich und haben einen zweckgebundenen Charakter (beispielsweise gebunden an Gehaltszahlungen oder Arbeitsplatzerhalt) (WKO 9.3.2021). Die Regierung bietet Exporteuren Hilfe an, die Möglichkeit eines Konkursmoratoriums, zinslose Kredite für Gehaltsauszahlungen usw. (CHRR o.D.c). Jänner bis Oktober 2020 ist die Industrieproduktion pandemiebedingt um 3,1% zurückgegangen. Besonders die Rohstoffproduktion ist um 6,6% gefallen, während die verarbeitende Industrie mit 0,3% praktisch stagnierte. Die im Jahr 2020 sehr stark fallenden Ölpreise waren unter anderem eine Auswirkung der Covid-19-Pandemie und mit einem globalen Nachfragerückgang verbunden und führten zu einer Rubelabwertung von 25%. Nach leichter Erholung verlor der Rubel unter anderem wegen der anhaltenden geringen Rohstoffnachfrage Mitte 2020 erneut an Wert und lag Anfang Dezember bei ca. 90 Rubel je Euro (WKO 12.2020). Das Realwachstum des Bruttoinlandsprodukts betrug im Jahr 2020 -3,1%. Im Vergleich dazu betrug der entsprechende Wert im Jahr 2019 2%. Die öffentliche Verschuldung betrug im Jahr 2020 17,8% des Bruttoinlandsprodukts (2019: 12,4%) (WIIW o.D.).
Moskau:
In Moskau herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Das Tragen von Masken auf Straßen wird empfohlen. Kultur- und Bildungsveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 50% der Zuschauerplätze belegt sind. Bürgern über 65 Jahren und chronisch Kranken wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021; vgl. WKO 9.3.2021, AA 15.2.2021). Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Am Arbeitsplatz sind vorgeschriebene Hygienevorschriften (unter anderem Temperaturmessungen, Mund- und Handschutz, Desinfektionsmittel, Mindestabstand etc.) einzuhalten (WKO 9.3.2021). Gemäß dem Moskauer Bürgermeister verbessert sich die Pandemielage in Moskau. Ein Großteil der Einschränkungen wurde aufgehoben. Gastronomiebetriebe sind wieder geöffnet. Für Schüler höherer Klassen und Studierende findet nun wieder Präsenzunterricht statt (Mos.ru 7.3.2021; vgl. Mos.ru 8.3.2021, LM 8.2.2021, Russland Analysen 19.2.2021). In der Oblast [Gebiet] Moskau wurde die Mehrzahl der wegen Covid geltenden Einschränkungen zurückgenommen. Einzig Massenveranstaltungen bleiben fast ausnahmslos verboten (Russland Analysen 19.2.2021).
St. Petersburg:
Auch in St. Petersburg herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Die für gastronomische Betriebe geltenden Beschränkungen der Öffnungszeiten wurden aufgehoben. Kulturveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 75% der Zuschauerplätze belegt sind. Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke sind Selbstisolierung und Fernarbeit verpflichtend (CHRR 12.3.2021; vgl. Gov.spb
5.3.2021, WKO 9.3.2021, Russland Analysen 8.2.2021).
Tschetschenien:
An öffentlichen Orten wird das Tragen von Masken empfohlen. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke ist Selbstisolierung vorgesehen (CHRR 12.3.2021; vgl. Chechnya.gov 10.2.2021, Ria.ru 10.2.2021, KMS 10.2.2021). Bisher wurden mehr als 19.000 Personen geimpft (Chech- nya.gov 26.2.2021). Mitarbeitern staatlich finanzierter Organisationen in Tschetschenien wurde mit Entlassung gedroht, sollten sie die Covid-Impfung verweigern. Bewohner in Tschetschenien berichten, ihnen seien Sanktionen angedroht worden, sollten sie sich nicht impfen lassen (CK
23.1.2021) . Reisebeschränkungen wurden aufgehoben (Ria.ru 10.2.2021; vgl. Chechnya.gov
10.2.2021, KMS 10.2.2021).
Dagestan:
An öffentlichen Orten herrscht Maskenpflicht. Einstweilen dürfen keine Massenveranstaltungen stattfinden. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021). Es finden Massenimpfungen statt, und verwendet wird der Impfstoff Sputnik V (E-dag.ru 23.2.2021). Bisher wurden mehr als 18.000 Personen (2,4%) geimpft (E-dag.ru
12.3.2021) .
Quellen:
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• Chechnya.gov - rnaBa MeneHCKon Pecny6nMKM [Oberhaupt der Tschetschenischen Republik] [Russische Föderation] (26.2.2021): OTMeHa o6a3aTenbHoro MacoHHoro pewnMa b MeneHCKon Pecny6niMKe He cnpoBoginpoBana pocTa Hincna 3a6oneBwinx [Aufhebung der Maskenpflicht in der Tschetschenischen Republik provozierte nicht steigende Krankheitszahlen], http://chechnya.gov.r u/novosti/otmena-obyazatelnogo-masochnogo-rezhima-v-chechenskoj-respublike-ne-sprovotsirov ala-rosta-chisla-zabolevshih/ , Zugriff 12.3.2021
• CHRR - Covid-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (12.3.2021): KapTa gencTByw^nx orpaHMHeHMn b cba3m c COVID-19 [Landkarte bzgl. geltender Einschränkungen in Verbindung mit Covid-19], https://cTonKopoHaBMpyc.p $/information/, Zugriff 12.3.2021
• CHRR - Covid-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (o.D.a): MacTo 3agaBaeMbe Bonpocbi [FAQ], https://cTonKopoHaBMpyc.p $/faq/, Zugriff 12.3.2021
• CHRR - Covid-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (o.D.b): Bce o BaKpnHapnn npoTMB COVID-19 [Alles über die Covid-19-Impfung], https://BaKpnHa. cTonKopoHaBMpyc.p ^/, Zugriff 12.3.2021
• CHRR - Covid-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (o.D.c): Mepbi noggepwKin 6n3Heca [Unternehmensunterstützungsmaßnahmen], https://cTonKopoHaBinpyc.p $/wh at-to-do/business/, Zugriff 24.3.2021
• CK - Caucasian Knot (23.1.2021): Budget-funded Chechen employees complain about enforce- mentto vaccination, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/53468 , Zugriff 12.3.2021
• DS - Der Standard (12.2.2021): Russland könnte sich der Herdenimmunität nähern, https://ww w.derstandard.at/story/2000124129778/russland-waehnt-sich-nahe-an-der-herdenimmunitaet , Zugriff 12.3.2021
• DS - Der Standard (20.2.2021): Russland bringt dritten Covid-Impfstoff auf den Markt, https: //www.derstandard.at/jetzt/livebericht/2000124341360/redcontent/1000220229?responsive=false , Zugriff 12.3.2021
• E-dag.ru - Moj Dagestan [Mein Dagestan] / Offizielle Website Dagestans [Russische Föderation] (23.2.2021): B flarecTaHe BnepBbie 3a gonroe BpeMa MeHbme 50 HenoBeK, 3a6oneBwnx KopoHaBnpycoM 3a cyTKM [In Dagestan zum ersten Mal seit langer Zeit weniger als 50 am Coronavirus erkrankte Personen innerhalb 24 Stunden], https://mydagestan.e-dag.ru/coronavirus/v-dage stane-vpervye-za-dolgoe-vremya-menshe-50-chelovek-zabolevshikh-koronavirusom-za-sutki/ , Zugriff 12.3.2021
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• Gov.spb- AflMMHincTpai4Mfl CaHKT-neTep6ypra [St. Petersburger Verwaltung] [Russische Föderation] (5.3.2021): OTgenbHbie orpaHMHeHua npogneBaroTca go 28 MapTa [Einzelne Einschränkungen bis 28.3. verlängert], https://www.gov.spb.ru/press/governor/208547/ , Zugriff 12.3.2021
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• LM - Le Monde (8.2.2021): En Russie, le Covid-19 a alimente une hausse brutale de la mortalite en 2020 [In Russland hat Covid-19 für einen brutalen Anstieg der Sterberaten im Jahr 2020 gesorgt], https://www.lemonde.fr/international/article/2021/02/08/en-russie-le-covid-19-a-alimente-une-hau sse-brutale-de-la-mortalite-en-2020_6069228_3210.html , Zugriff 12.3.2021
• Mos.ru - Offizielle Webseite des Moskauer Bürgermeisters [Russische Föderation] (7.3.2021): Cepren Co6ahmh paccKa3an o cmyapnn c KopoHaBupycoM b MocKBe [Sergei Sobjanin sprach über die Coronavirussituation in Moskau], https://www.mos.ru/mayor/themes/18299/7190050/7o nsite_molding=2 , Zugriff 15.3.2021
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• Russland Analysen (19.2.2021): Covid-19-Chronik (1.-14.2.2021), (Nr. 398), https://www.laender- analysen.de/russland-analysen/398/RusslandAnalysen398.pdf , Zugriff 16.3.2021
• RAD - Russian Analytical Digest / Anna Tarasenko (Nr. 263) (15.2.2021): Mitigating the Social Consequences of the COVID-19 Pandemic: Russia's Social Policy Response, https://css.ethz.ch/co ntent/dam/ethz/special-interest/gess/cis/center-for-securities-studies/pdfs/RAD263.pdf#page=12 , Zugriff 16.3.2021
• RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (21.2.2021): Russia Approves CoviVac, Its Third Coronavirus Vaccine, https://www.rferl.org/a/russia-coronavirus-vaccine-covivac/31113697.html , Zugriff 12.3.2021
• Ria.ru - PMA Hoboctu [RIA Nowosti] (10.2.2021): KagbipoB oTMeHun o6fl3aTenbHoe HoweHue MacoK b MenHe [Kadyrow hob die Maskenpflicht in Tschetschenien auf], https://ria.ru/20210210/ maski-1596846521.html , Zugriff 12.3.2021
• WIIW - Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (o.D.): Russia - Overview, https: //wiiw.ac.at/russia-overview-ce-10.html, Zugriff 24.3.2021
• WKO - Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (12.2020): Wirtschaftsbericht Russische Föderation, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/russische-foederation-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff 24.3.2021
• WKO-Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (9.3.2021): Coronavirus: Situation in Russland, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-russland.html , Zugriff 16.3.2021
Politische Lage
Letzte Änderung: 26.05.2021
Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 1.2021c; vgl. CIA 5.2.2021). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017). Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017, AA 21.10.2020c). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 1.2021a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.3.2020). Die Wahlbeteiligung lag der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 3.3.2021). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018). Wahlbetrug ist weit verbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BTI 2020). Präsident Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).
Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischus- tin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden (GIZ 1.2021a). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren (GIZ 1.2021a; vgl. FH 3.3.2021), dies gilt aber nicht für weitere Präsidenten (FH 3.3.2021). Die Volksabstimmung über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der sogenannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 1.2021a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).
Der Föderationsrat ist als 'obere Parlamentskammer’ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten (GIZ 1.2021a): Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2021c). Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 1.2021a).
Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, welche die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern und die Partei der Volksfreiheit (PARNAS), eine demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 1.2021a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016, FH 3.3.2021). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die nächste Duma-Wahl steht im Herbst 2021 an (Standard.at 1.1.2021).
Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 1.2021a).
Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 1.2021a).
Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten Parteien waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer ’smartenAbstimmung’ aufgerufen. DieBürgersollten Jeden wählen - nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).
Neben den bis Juli 2021 verlängerten wirtschaftlichen Sanktionen wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes (Presse.com 10.12.2020) haben sich die EU-Außenminister wegen der Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny auf neue Russland-Sanktionen geeinigt. Die Strafmaßnahmen umfassen Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gegen Verantwortliche für die Inhaftierung Nawalnys (Cicero 22.2.2021).
Quellen:
• AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.10.2020c): Russische Föderation - Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches -portrait/201710 , Zugriff 16.2.2021
• BTI - Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report, Russia, https://bti-proj ect.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf , Zugriff 17.2.2021
• CIA - Central Intelligence Agency [USA] (5.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/russia/ , Zugriff 16.2.2021
• Cicero (22.2.2021): EU bringt wegen Nawalny neue Russland-Sanktionen auf den Weg, https: //www.cicero.de/aussenpolitik/vermoegenssperren-einreiseverbote-eu-alexej-nawalny-russland-s anktionen , Zugriff 24.2.2021
• EASO - European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-acto rs-of-protection.pdf , Zugriff 10.3.2020
• FH - Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html , Zugriff 16.2.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 16.2.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 16.2.2021
• Global Security (21.9.2016): Duma Election -18 September 2016, https://www.globalsecurity.org /military/world/russia/politics-2016.htm , Zugriff 10.3.2020
• Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kl einezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau , Zugriff 10.3.2020
• MDR - Mitteldeutscher Rundfunk (16.7.2020): Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-bei-protest -100.html , Zugriff 21.7.2020
• ORF - Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-556 03/ , Zugriff 10.3.2020
• OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true , Zugriff 10.3.2020
• Presse.com (19.3.2018): Putin: „Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen“, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst- sich-um-Machtzentrum-zusammen , Zugriff 10.3.2020
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• Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-w ahl-putin-101.html , Zugriff 10.3.2020
• Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/ politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau , Zugriff 10.3.2020
Tschetschenien
Letzte Änderung: 26.05.2021
Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramsan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben -die Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat ein Teil von ihnenTschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, beim anderen Teil handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 6.2020).
In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021, FH 3.3.2021). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Ramsan Kadyrow wurde bei den Wahlen vom 18. September 2016 laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau
6.2020) . In Tschetschenien regiert Kadyrow unangefochten autoritär. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 3.3.2021; vgl. AA 2.2.2021). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 3.3.2021).
Während der mittlerweile über zehn Jahre andauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramsan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute 'föderale Machtvertikale’ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum 'inneren Ausland’ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP
3.2018) .
Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von In- guschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 23.2.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 -Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html , Zugriff 3.3.2020
• NZZ - Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich- zerrissen-ld.1492435?reduced=true , Zugriff 11.3.2020
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_ÖB_Bericht_2019_12. pdf , Zugriff 10.3.2020
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 17.2.2021
• SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https: //www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf , Zugriff 10.3.2020
Dagestan
Letzte Änderung: 26.05.2021
Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 13.1.2020). Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten bessergestellt als Tschetschenien (AA 2.2.2021), bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands (AA 13.2.2019).
Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien (SWP
4.2015) und wird nicht ganz so ausgeprägt kontrolliert wie in Tschetschenien (AA 2.2.2021). Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht automatischen Herrschaftsverhältnissen entgegen (SWP 4.2015). Auch die Menschenrechtslage in Dagestan ist grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien (AA 2.2.2021), obwohl auch dort mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einhergehen (AA 2.2.2021; vgl. SWP
4.2015) . Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew wurde das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien ausgehebelt. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden; im Nordkaukasus hatte er davon jedoch Abstand genommen. Wassiljew ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan - und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht - Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll (NZZ 12.2.2018; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Die Änderung sollte der ’Clan-Aristokratie’ in der von korrupten Eliten geprägten Region entgegenwirken und war Teil einer breiteren Anstrengung zur Korruptionsbekämpfung. Problematisch stellt sich jedoch die fehlende Verbindung zwischen der nunmehrigen politischen Elite und der Bevölkerung dar (ÖB Moskau 6.2020). Der Nachfolger Wassilews ist seit Oktober 2020 Sergej Melikow. Dieser war davor Vertreter der Region Stawropol im Föderationsrat (Russland Analysen 5.10.2020).
Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef Abdussamad Gamidow, zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet, um die wirtschaftlich abgeschlagene und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängende NordkaukasusRepublik auszubeuten. Kurz zuvor waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018; vgl. Standard.at 5.2.2018).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 23.2.2021
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentati- on (13.1.2020): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen, https: //www.ecoi.net/de/dokument/2022550.html , Zugriff 17.2.2021
• Russland Analysen (5.10.2020): Chronik: 28. September - 10. Oktober 2020, https://www.laender- analysen.de/russland-analysen/chronik?c=russland&d1=2020-09-28&d2=2020-10-10&t=&o=50&l =50&x=0#eintraege , Zugriff 10.3.2021
• Dekoder (24.5.2016): Nicht-System-Opposition, https://www.dekoder.org/de/gnose/nicht-system- opposition , Zugriff 10.3.2020
• NZZ - Neue Zürcher Zeitung (12.2.2018): Durchgreifen in Dagestan: Moskau räumt im Nordkaukasus auf, https://www.nzz.ch/intemational/moskau-raeumt-im-nordkaukasus-auf-ld.13563517red uced=true , Zugriff 10.3.2020
• ÖB Moskau-Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020):AsyNänderbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 17.2.2021
• Standard.at (5.2.2018): Regierungsspitze in russischer Teilrepublik Dagestan festgenommen, https: //www.derstandard.at/story/2000073692298/regierungsspitze-in-russischer-teilrepublik-dagestan- festgenommen , Zugriff 10.3.2020
• SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 10.3.2020
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 26.05.2021
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 7.4.2021a; vgl. GIZ 1.2021d, EDA 7.4.2021). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 7.4.2021a; vgl. EDA
7.4.2021) . Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 7.4.2021).
Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern (SWP 4.2017). Seitdem war der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken sollte (SWP 4.2017; vgl. Deutschlandfunk 29.9.2020). Der Einsatz in Syrien ist der größte und längste Auslandseinsatz des russischen Militärs seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Zunächst sollten nur die Luftstreitkräfte die syrische Armee unterstützen. Bodentruppen wurden erst später und in geringerem Maße mobilisiert - in Form von Spezialeinheiten und schließlich am Ende des Feldzugs als Militärpolizei. Es gab auch Berichte über den Einsatz privater paramilitärischer Strukturen (DW 29.9.2020). Hier ist vor allem die 'Gruppe Wagner’ zu nennen. Es handelt sich hierbei um einen privaten russischen
Sicherheitsdienstleister, der nicht nur in Syrien, sondern auch in der Ukraine und in Afrika im Einsatz ist. Mithilfe solcher privaten Sicherheitsdienstleister lässt sich die Zahl von Verlusten des regulären russischen Militärs gering halten (BPB 8.2.2021), und der teure Einsatz sorgt dadurch in der russischen Bevölkerung kaum für Unmut (DW 29.9.2020).
In den letzten Jahren rückte eine weitere Tätergruppe in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpften, wurde auf einige Tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017). Erst im Oktober 2020 wurden bei Spezialoperationen zentralasiatische Dschihadisten in Südrussland getötet und weitere in Moskau und St. Petersburg festgenommen (SN 15.10.2020).
Quellen:
• AA- Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.4.2021a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/r ussischefoederationsicherheit/201536#content_0 , Zugriff 7.4.2021
• BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (8.2.2021): Analyse: Söldner im Dienst autoritärer Staaten: Russland und China im Vergleich, https://www.bpb.de/internationales/europa/ russland/analysen/327198/soeldner-im-dienst-autoritaerer-staaten , Zugriff 8.4.2021
• Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www. deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram: article_id=389824 , Zugriff 7.4.2021
• Deutschlandfunk (29.9.2020): An Russland kommt im Nahen Osten niemand mehr vorbei, https: //www.deutschlandfunk.de/fuenf-jahre-russischer-militaereinsatz-in-syrien-an.724.de.html?dram: article_id=484951, Zugriff 8.4.2021
• DW - Deutsche Welle (29.9.2020): Russland im Syrien-Krieg: Gekommen, um zu bleiben, https: //www.dw.com/de/russland-im-syrien-krieg-gekommen-um-zu-bleiben/a-55096554 , Zugriff
8.4.2021
• EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (7.4.2021): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweis e/russland/reisehinweise-fuerrussland.html#par_textimage , Zugriff 7.4.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170 , Zugriff 7.4.2021
• SN - Salzburger Nachrichten (15.10.2020): Terrorzelle in Russland ausgeschaltet, https://www.sn.at/politik/weltpolitik/terrorzelle-in-russland-ausgeschaltet-94250941 , Zugriff
8.4.2021
• SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb .pdf , Zugriff 7.4.2021
Nordkaukasus
Letzte Änderung: 26.05.2021
Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert, wenngleich das nicht mit einer nachhaltigen Stabilisierung gleichzusetzen ist (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff ’low level insurgency’ umschrieben (SWP 4.2017).
Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten Islamischen Staates (IS), der mittlerweile das
Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Dabei sorgen nicht nur Propaganda und Rekrutierung des sogenannten IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. 2018 wurde laut dem Inlandsgeheimdienst FSB die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen mehr als halbiert. Auch 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Jedoch stellt ein Sicherheitsrisiko für Russland die Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut diversen staatlichen und nicht-staatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere Tausend Personen umfasste. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten nach Russland zurückkehren, wird gerichtlich vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020).
Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpften Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl aufseiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der ’Tschetschenisierung’ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für eine nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).
Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem sog. Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden (Deutschlandfunk 28.6.2017). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung (ÖB Moskau 6.2020). Laut dem Leiter des dagestanischen Innenministeriums gab es bei der Bekämpfung des Aufstands in Dagestan einen Durchbruch. Die Aktivitäten der Gruppen, die in der Republik aktiv waren, sind seinen Angaben zufolge praktisch komplett unterbunden worden. Nach acht Mitgliedern des Untergrunds, die sich Berichten zufolge im Ausland verstecken, wird gefahndet. Trotzdem besteht laut Analysten und Journalisten weiterhin die Möglichkeit von Anschlägen durch einzelne Täter (ACCORD 13.1.2020).
[Anmerkung Staatendokumentation:] Bitte vergleichen Sie hierzu auch alle Kapitel zur Allgemeinen Menschenrechtslage (einschließlich der Kapitel zu Tschetschenien, Dagestan und Dschiha- distische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein).
Im Jahr 2020 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im gesamten Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller verfügbaren Quartals- und Monatsberichte von Caucasian Knot] bei 56 Personen, davon wurden 45 getötet und 11 verwundet. 42 der Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Tschetschenien sind im Jahr 2020 insgesamt 18 Personen getötet und zwei verwundet worden. 15 der Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Dagestan sind im Jahr 2020 insgesamt neun Personen getötet und eine verwundet worden. Alle Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, die verwundete Person ist den Exekutivkräften zuzurechnen. Drei Getötete gab es in Kabardino-Balkarien und einen Getöteten in Inguschetien (Caucasian Knot 2.7.2020a, Caucasian Knot 2.7.2020b, Caucasian Knot 27.10.2020, Caucasian Knot 24.12.2020, Caucasian Knot
20.2.2021) .
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation , https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärti- ges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_- Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff
8.4.2021
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (19.6.2019): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan, Zeitachse von Angriffen, https://ww w.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-in-dagestan-zeitach se-von-angriffen/#Toc489358424 , Zugriff 9.4.2021
• Caucasian Knot (2.7.2020a): In January 2020, there were no victims of armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/51356/ , Zugriff 8.4.2021
• Caucasian Knot (2.7.2020b): In February and March 2020, four people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/51357/ , Zugriff 8.4.2021
• Caucasian Knot (27.10.2020): In Quarter 2 of 2020,11 people suffered in armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/52582/ , Zugriff 8.4.2021
• Caucasian Knot (24.12.2020): 15 people suffered in armed conflict in Northern Caucasus in Q3 2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/53177/ , Zugriff 8.4.2021
• Caucasian Knot (20.2.2021): In Quarter 4 of 2020, 26 persons fell victim to armed conflict in North Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/53738/ , Zugriff 8.4.2021
• Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www. deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram: article_id=389824 , Zugriff 9.4.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 8.4.2021
• SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff
9.4.2021
• SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb .pdf , Zugriff 8.4.2021
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 26.05.2021
Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte für Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR - Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR - Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsperson, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 6.2020). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 3.3.2021). Auch Korruption ist im Justizsystem ein Problem (EASO 3.2017, BTI 2020)
Das russische Justizsystem ist institutionell abhängig von den Untersuchungsbeamten, die häufig die Urteile bestimmen. Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genug Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB Moskau 6.2020). Die Personalkommission des Präsidenten und die Vorsitzenden des Gerichts kontrollieren die Ernennung und Wiederernennung der Richter des Landes, die eher aus dem Justizsystem befördert werden, als unabhängige Erfahrungen als Anwälte zu sammeln. Änderungen der Verfassung, die im Jahr 2020 verabschiedet wurden, geben dem Präsidenten die Befugnis, mit Unterstützung des Föderationsrates, Richter am Verfassungsgericht und am Obersten Gerichtshof zu entfernen, was die ohnehin mangelnde Unabhängigkeit der Justiz weiter schädigt (FH 3.3.2021).
In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Be- rufungs-und Kassationsverfahren geschaffen wurden sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto „Schuldvermutung“ im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter etc.). Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen von Ende 2018, rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen, und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen. Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 6.2020).
2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das zur Untergrabung der Souveränität Russlands missbraucht werde (ÖB Moskau 6.2020). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021, USDOS 11.3.2020). Im Juli 2020 wurde diese Rechtsposition auch in der Verfassung verankert und dem russischen Verfassungsgerichtshof das Recht eingeräumt, Urteile zwischenstaatlicher Organe nicht umzusetzen, wenn diese in ihrer Auslegung der Bestimmungen zwischenstaatlicher Verträge nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). Die Venedig-Kommission des Europarates gab eine Stellungnahme zu den damaligen Entwürfen für Verfassungsänderungen ab. Die Kommission bekräftigte ihre Ansicht, dass die Befugnis des Verfassungsgerichts, ein Urteil des EGMR für nicht vollstreckbar zu erklären, den Verpflichtungen Russlands aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) widerspricht (HRW 13.1.2021). Mit Ende 2019 waren beim EGMR 15.050 Anträge aus Russland anhängig. Im Jahr 2019 wurde die Russische Föderation in 186 Fällen wegen Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verurteilt. Besonders zahlreich sind Konventionsverstöße gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Verfahren und wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (ÖB Moskau 6.2020).
Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer nicht genehmigten friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der „Absicht" angenommen haben, die 'Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen'. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018). Bei den Protesten im Zuge der Kommunal- und Regionalwahlen in Moskau im Juli und August 2019, bei denen mehr als 2.600 Menschen festgenommen wurden, wurde teils auf diesen Artikel (212.1) zurückgegriffen (AI 16.4.2020).
Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann (AA 2.2.2021).
Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die vonseiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 2.2.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärti- ges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_- Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff
23.3.2021
• AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World’s Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 23.3.2021
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 23.3.2021
• BTI - Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report - Russia, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf , Zugriff
17.5.2021
• EASO - European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-acto rs-of-protection.pdf , Zugriff 23.3.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 23.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 -Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 23.3.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf#p age=25&zoom=auto,-259,684 , Zugriff 23.3.2021
• US DOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff
23.3.2021
Tschetschenien und Dagestan
Letzte Änderung: 26.05.2021
Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetscheniens und Dagestans. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition (EASO 9.2014).
Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. DemAdat- Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt.
Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [Anm. d. Staatendokumentation: für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält unter anderem auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten (EASO 9.2014). Die Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art „alternative Justiz". Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für die Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015). Tendenzen zur verstärkten Verwendung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Somit herrscht in Tschetschenien ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellen Gewohnheitsrecht (Adat), einschließlich der Tradition der Blutrache, und SchariaRecht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen (AA 2.2.2021). Somit bewegt sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechtssysteme einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia (EASO 9.2014). Die Einwohner Tschetscheniens sagen jedoch, dass das fundamentale Gesetz in Tschetschenien ’Ramsan sagt’ lautet, was bedeutet, dass Kadyrows gesprochene Aussagen einflussreicher sind als die Rechtssysteme und ihnen möglicherweise sogar widersprechen (CSIS 1.2020).
Die Tradition der Blutrache hat sich im Nordkaukasus in den Clans zur Verteidigung von Ehre, Würde und Eigentum entwickelt. Dieser Brauch impliziert, dass Personen am Täter oder dessen Verwandten Rache für die Tötung eines ihrer eigenen Verwandten üben. Er kommt heutzutage noch vereinzelt vor. Die Blutrache ist durch gewisse traditionelle Regeln festgelegt und hat keine zeitliche Begrenzung (ÖB Moskau 6.2020). Nach wie vor gibt es Clans, die Blutrache praktizieren (AA 2.2.2021).
In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Föderationssubjektes zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz gegenüber dem tschetschenischen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechten und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten sowie Friedensgerichten, einem Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017). So musste zum Beispiel im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in die föderalen Kompetenzen fällt (ÖB Moskau
6.2020) . Die föderalen Behörden haben nur begrenzte Möglichkeiten, politische Entscheidungen in Tschetschenien zu treffen, wo das tschetschenische Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow im Gegenzug für das Halten der Republik in der Russischen Föderation unkontrollierte Macht erlangt hat (FH 3.3.2021).
Die Bekämpfung von Extremisten geht laut Aussagen von lokalen NGOs mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Es gibt ein Gesetz, das die Verwandten von Terroristen zur Zahlung für erfolgte Schäden bei Angriffen verpflichtet. Menschenrechtsanwälte kritisieren dieses Gesetz als kollektive Bestrafung. Angehörige von Terroristen können auch aus Tschetschenien vertrieben werden (USDOS 11.3.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Grundsätzlich können Tschetschenen an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens flüchten und dort leben, solange sie nicht neuerlich ins Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte rücken (ÖB Moskau 6.2020). Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; bestimmte Gruppen genießen keinen effektiven Rechtsschutz (AA2.2.2021), hierzu gehören neben Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (ÖB Moskau 6.2020) auch Oppositionelle, Regimekritiker und Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten, Angehörige der LGBTI-Gemeinschaft und diejenigen, die sich mit Republiksoberhaupt Kadyrow bzw. seinem Clan überworfen haben. Kadyrow äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppen mit einem Fadenkreuz überzogen und auf Instagram veröffentlicht, teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie Feinde des tschetschenischen Volkes seien, oder er ruft ganz unverhohlen dazu auf, sie umzubringen. Nach einem kritischen Artikel über mangelnde Hygiene-Vorkehrungen gegen COVID-19 drohte Kadyrow der Journalistin Elena Milaschina öffentlich (AA 2.2.2021). Kritik und Dissens werden nicht geduldet (HRW 13.1.2021).
In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige werden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).
Auch in Dagestan hat sich der Rechtspluralismus - das Nebeneinander von russischem Recht, Gewohnheitsrecht (Adat) und Scharia-Recht - bis heute erhalten. Mit der Ausbreitung des Salafismus im traditionell sufistisch geprägten Dagestan in den 1990er Jahren nahm auch die Einrichtung von Scharia-Gerichten zu. Grund für die zunehmende und inzwischen weit verbreitete Akzeptanz des Scharia-Rechts war bzw. ist u.a. das dysfunktionale und korrupte staatliche Justizwesen, das in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt ist. Die verschiedenen Rechtssphären durchdringen sich durchaus: Staatliche Rechtsschutzorgane und Scharia-Gerichte agieren nicht losgelöst voneinander, sondern nehmen aufeinander Bezug.
Auch die Blutrache wird im von traditionellen Clan-Strukturen geprägten Dagestan angewendet. Zwar geht die Regionalregierung dagegen vor, doch sind nicht alle Clans bereit, auf die Institution der Blutrache zu verzichten (AA 2.2.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärti ges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russi schen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 8.4.2021
• CSIS - Center for Strategic and International Studies (1.2020): Civil Society in the North Caucasus, https://csis-website-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/200124_North_Caucasus.pd f?jRQ1tgMAXDNlViIbws_LnEIEGLZPjfyX , Zugriff 8.4.2021
• DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, https://www.ecoi.net/en/file/local/1215362/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-fin ding-mission-report.pdf , Zugriff 8.4.2021
• EASO - European Asylum Support Office [EU] (9.2014): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautentführung; Waisenhäuser), https://www.ecoi.net/en/file/local/1154982/1830_1421055069_bz0414843den-pd f-web.pdf , Zugriff 8.4.2021
• EASO - European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, https://www.ecoi.net/en/file/local/1394622/1226_1489999668_easocoi-russi a-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 8.4.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 8.4.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 -Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 8.4.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 8.4.2021
• ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam [vergriffen; liegt in der Staatendokumentation auf]
• SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff
8.4.2021
• US DOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff
8.4.2021
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 28.05.2021
Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst (FSB), das Untersuchungskomitee und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und bekämpft Kriminalität. Die Aufgaben der Föderalen Nationalgarde sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache und dem FSB, die Administrierung von Waffenbesitz, der Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, der Schutz der öffentlichen Sicherheit und der Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen.
Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil. Zivile Behörden halten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aufrecht. Obwohl das Gesetz Mechanismen für Einzelpersonen vorsieht, um Klagen gegen Behörden wegen Menschenrechtsverletzungen einzureichen, funktionieren diese Mechanismen oft nicht gut. Gegen Beamte, die Missbräuche begangen haben, werden nur selten strafrechtliche Schritte unternommen, um sie zu verfolgen oder zu bestrafen, was zu einem Klima der Straflosigkeit führte (US DOS 11.3.2020), ebenso wendet die Polizei häufig übermäßige Gewalt an (FH 3.3.2021; vgl. AI 16.4.2020, HRW 13.1.2021).
Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden, und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Spätestens 12 Stunden nach der Inhaftierung muss die Polizei den Staatsanwalt benachrichtigen. Die Behörden müssen dem Inhaftierten auch die Möglichkeit geben, seine Angehörigen telefonisch zu benachrichtigen, es sei denn, ein Staatsanwalt stellt einen Haftbefehl aus, um die Inhaftierung geheim zu halten. Die Polizei ist verpflichtet, einen Häftling nach 48 Stunden gegen Kaution freizulassen, es sei denn, ein Gericht beschließt in einer Anhörung, den von der Polizei eingereichten Antrag mindestens acht Stunden vor Ablauf der 48-Stunden-Haft zu verlängern. Der Angeklagte und sein Anwalt müssen bei der Gerichtsverhandlung entweder persönlich oder über einen Videolink anwesend sein. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus (US DOS 11.3.2020).
Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen „fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt (AA 2.2.2021). Am 13.5.2020 wurde von der Regierung der Russischen Föderation ein Antrag auf Änderung des Polizeigesetzes in die russische Duma eingebracht, welche zu einer erheblichen Ausweitung von Polizeibefugnissen führt (Gebrauch der Schusswaffe bei einer Festnahme, Aufbrechen von Fahrzeugen, Absperren von Bereichen, etc.) (ÖB Moskau 6.2020).
Die zivilen Behörden auf nationaler Ebene haben bestenfalls eine begrenzte Kontrolle über die Sicherheitskräfte in der Republik Tschetschenien, die nur dem Republiksoberhaupt, Kadyrow, unterstellt sind (US DOS 11.3.2020). Kadyrows Macht wiederum gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen „Kadyrowzy". Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet; ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Rebellenkämpfern. Die Angaben zur zahlenmäßigen Stärke tschetschenischer Sicherheitskräfte fallen unterschiedlich aus. Aufseiten des tschetschenischen Innenministeriums sollen in der Tschetschenischen Republik rund 17.000 Mitarbeiter tätig sein. Diese Zahl dürfte jedoch nach der Gründung der Nationalgarde der Föderation im Oktober 2016 auf 11.000 gesunken sein. Die Polizei hat angeblich 9.000 Bedienstete. Die überwiegende Mehrheit von ihnen sind ethnische Tschetschenen. Nach Angaben des Carnegie Moscow Center wurden die Reihen von Polizei und anderen Sicherheitskräften mit ehemaligen tschetschenischen Separatisten aufgefüllt, die nach der Machtübernahme von Ramsan Kadyrow und dem Ende des Krieges in die Sicherheitskräfte integriert wurden. Bei der tschetschenischen Polizei grassieren Korruption und Missbrauch, weshalb die Menschen bei ihr nicht um Schutz ansuchen. Die Mitarbeiter des Untersuchungskomitees (SK) sind auch überwiegend Tschetschenen und stammen aus einem Pool von Bewerbern, die höher gebildet sind als die der Polizei. Einige Angehörige des Untersuchungskomitees versuchen, Beschwerden über tschetschenische Strafverfolgungsbeamte zu untersuchen, sind jedoch 'ohnmächtig, wenn sie es mit der tschetschenischen OMON [Spezialeinheit der Polizei] oder anderen, Kadyrow nahestehenden unantastbaren Polizeieinheiten‘ zu tun haben' (EASO 3.2017).
Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Sofern keine Strafanzeige vorliegt, kann versucht werden, Untergetauchte durch eine Vermisstenanzeige ausfindig zu machen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem 'langen Arm' des Regimes von Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow nicht sicher. Sicherheitskräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind nach Aussagen von NGOs etwa auch in Moskau präsent. Sie berichten von Einzelfällen aus Tschetschenien, in denen entweder die Familien der Betroffenen oder tschetschenische Behörden (welche Zugriff auf russlandweite Informationssysteme haben) Flüchtende in andere Landesteile verfolgen, sowie von LGBTI-Personen, die gegen ihren Willen nach Tschetschenien zurückgeholt worden sind (AA 2.2.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärti- ges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_- Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff
24.3.2021
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff 24.3.2021
• EASO - European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, https://www.ecoi.net/en/file/local/1394622/1226_1489999668_easocoi-russi a-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 24.3.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 24.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 -Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 24.3.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf#p age=25&zoom=auto,-259,684 , Zugriff 24.3.2021
• US DOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff
24.3.2021
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 28.05.2021
Im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von Art. 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamte gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt (ÖB Moskau 6.2020; vgl. EASO 3.2017). Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugsbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern häufig nur unzureichend untersucht (ÖB Moskau 6.2020; vgl. EASO 3.2017, AA 2.2.2021). Folter ist jedoch noch immer allgegenwärtig, und die Täter bleiben häufig straffrei (AI 16.4.2020; vgl. HRW 13.1.2021, AA
2.2.2021, US DOS 11.3.2020).
Immer wieder gibt es auch Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen und Hafteinrichtungen im gesamten Land (AI 16.4.2020). Laut Amnesty International und dem russischen 'Komitee gegen Folter’ kommt es vor allem in Polizeigewahrsam und in den Strafkolonien zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung. Momentan etabliert sich eine Tendenz, Betroffene, die vor Gericht Foltervorwürfe erheben, unter Druck zu setzen, z.B. durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig (AA 2.2.2021). Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Tagen nach der Inhaftierung (USDOS
11.3.2020) . Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtlichen Tötungen. Ramsan Kadyrow lässt solche Formen von Gewalt anwenden, um die Kontrolle über die Republik Tschetschenien zu behalten. Diese Aktivitäten finden manchmal über die Grenzen Russlands hinaus statt (FH 3.3.2021).
ImAugust 2018 veröffentlichte die unabhängige Zeitung Nowaja Gaseta Videos von Wachen, die in Jaroslawl Gefangene organisiert prügelten. Die Behörden verhafteten nach einem öffentlichen Aufschrei mindestens 12 Gefängniswachen, aber die NGO Public Verdict berichtete schon im Dezember 2018 über systematische Misshandlung in einem anderen Gefängnis in der Region. Im Juli 2019 veröffentlichte Public Verdict ein weiteres Video, das anhaltende Misshandlungen in Jaroslawl zeigt. Im November 2020 verurteilten Gerichte elf Gefängniswärter wegen Folter und verurteilten sie zu drei bis vier Jahren Haft. Die Gefängnisdirektoren wurden freigesprochen (FH 3.3.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bencht_über_die_asyl-jjnd_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 23.3.2021
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 23.3.2021
• EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/fileJupload/1226Jl489999668Jeasocoi-russia-state-actors-of- protection.pdf , Zugriff 23.3.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland , https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 23.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 -Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 23.3.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSSJÖBJBerichtJ2020J06.pdf#p age=25&zoom=auto,-259,684 , Zugriff 23.3.2021
• US DOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff
23.3.2021
Korruption
Letzte Änderung: 28.05.2021
Korruption gilt in Russland als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Systems. Obwohl Korruption in Russland endemisch ist, kann im Einzelfall nicht generalisiert werden. Zahlreiche persönliche Faktoren bezüglich Geber und Nehmer von informellen Zahlungen sind zu berücksichtigen, genauso wie strukturell vorgegebene Einflüsse der jeweiligen Region. Im alltäglichen Kontakt mit den Behörden fließen informelle Zahlungen, um widersprüchliche Bestimmungen zu umgehen und Dienstleistungen innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Korruption stellt eine zusätzliche Einnahmequelle von Staatsbeamten dar. Das Justizsystem und das Gesundheitswesen werden in der Bevölkerung als besonders korrupt wahrgenommen. Im Justizsystem ist zwischen stark politisierten Fällen, einschließlich solchen, die Geschäftsinteressen des Staates betreffen, und alltäglichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Nicht alle Rechtsinstitutionen sind gleich anfällig für Korruption. Im Gesundheitswesen gehören informelle Zahlungen für offiziell kostenlose Dienstleistungen zum Alltag. Bezahlt wird für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Es handelt sich generell um relativ kleine Beträge. Seit 2008 laufende Anti-Korruptionsmaßnahmen hatten bisher keinen Einfluss auf den endemischen Charakter der Korruption (SEM 15.7.2016).
Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet, und ein zunehmender Mangel an Rechenschaftspflicht ermöglicht es Bürokraten, ungestraft Straftaten zu begehen. Analysten bezeichnen das politische System als Kleptokratie, in der die regierende Elite das öffentliche Vermögen plündert (FH 3.3.2021). Obwohl das Gesetz Strafen für Behördenkorruption vorsieht, bestätigt die Regierung, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird und viele Beamte in korrupte Praktiken involviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. EASO 3.2017, BTI 2020). Korruption ist sowohl in der Exekutive als auch in der Legislative und Judikative auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet (USDOS 11.3.2020; vgl. EASO 3.2017, BTI 2020). Die meisten Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung sind oft nur symbolischer Natur. Korruptionsvorwürfe der politischen Elite gelten als Instrumente in Machtkämpfen (BTI 2020). Zu den Formen von Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Behördenkorruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen (USDOS 11.3.2020).
Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 6.2020; vgl. BTI 2020). Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny dokumentiert regelmäßig Korruptionsfälle auf höchster politischer Ebene, ohne dass die staatlichen Strukturen darauf reagieren (BTI 2020). Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats, um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung. 2020 nimmt Russland im Ranking des Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International den 129. Platz von 179 ein (GIZ 1.2021a).
Korruption ist auch in Tschetschenien nach wie vor weit verbreitet, und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Öffentliche Bedienstete müssen einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeich- nete die Zeitung ’Kommersant’ den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes. Der Fond soll Ende 2017 über 2,2 Mrd. Rubel (über 30 Mio. €) verfügt haben. Allein vom 30.11. bis 5.12.2019 berichteten tschetschenische Beamte über mindestens 12 Initiativen, die aus den Mitteln des Fonds finanziert wurden (ÖB Moskau 6.2020). Die Situation in Tschetschenien zeichnet sich dadurch aus, dass korrupte Praktiken erstens stärker verbreitet sind und zweitens offener ablaufen als im restlichen Russland (SEM 15.7.2016).
Dagestan ist eine der ärmsten Regionen Russlands, bis zu 70% des Budgets stammen aus Subventionen aus Moskau. Auch in Dagestan ist die Gesellschaft in Clans aufgebaut. Nirgendwo sonst in Russland ist der Clan so stark wie in Dagestan, weshalb systemische Korruption in dieser Republik nicht überrascht (WI 25.2.2018). Das staatliche Justizwesen ist in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt (AA 2.2.2021). Zum ersten Mal in der Geschichte der Russischen Föderation wurden Anfang 2018 der Premierminister Dagestans, seine Stellvertreter und der ehemalige Bildungsminister wegen schwerer Korruptionsvorwürfe festgenommen
und sofort nach Moskau ausgeflogen. Alle vier standen im Verdacht, Haushaltsmittel aus Sozialprogrammen in großem Umfang veruntreut zu haben (WI 25.2.2018). Wladimir Wassilews Ernennung [zum Republiksoberhaupt von 2018-2020] bekräftigt die Bedeutung von Dagestan für den russischen Staat und die Tatsache, dass Putin nicht länger bereit ist, die von den Subventionen abgezogenen Mittel zu ignorieren (PONARS Eurasia 11.2018). Der Nachfolger Wassilews ist Sergej Melikow. Dieser war davor Vertreter der Region Stawropol im Föderationsrat (BPB
26.10.2020) .
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 16.3.2021
• BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (26.10.2020): Chronik: 28. September - 10. Oktober 2020, https://www.bpb.de/internationales/europa/russland/analysen/317747/chronik -28-september-10-oktober-2020 , Zugriff 16.3.2021
• BTI - Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report - Russia, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf , Zugriff
16.3.2021
• EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of- protection.pdf , Zugriff 16.3.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 16.3.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 16.3.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf#p age=25&zoom=auto,-259,684 , Zugriff 16.3.2021
• PONARS Eurasia (11.2018): The Kremlin's New Man in Dagestan. Corruption Supplants Security as Moscow's Chief Concern, PONARS Eurasia Policy Memo No. 549, https://www.researchgate.n et/publication/337674069_The_Kremlin's_New_Man_in_Dagestan_Corruption_Supplants_S ecurity_as_Moscow's_Chief_Concern , Zugriff 16.3.2021
•
• SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (15.7.2016): Focus Russland. Korruption im Alltag, insbesondere in Tschetschenien, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkun ftslaender/europa-gus/rus/RUS-korruption-d.pdf , Zugriff 16.3.2021
• USDOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff
16.3.2021
• WI - Warsaw Institute (25.2.2019): Federal clean-up in Dagestan, https://warsawinstitute.org/fede ral-clean-dagestan/ , Zugriff 16.3.2021
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 28.05.2021
Der russische Staat wünscht sich, dass NGOs vor allem im sozialen Bereich tätig sind. Das Engagement in Bezug auf andere, politische Aktivitäten, wird mit Misstrauen betrachtet (BTI 2020). Somit geraten inländische und ausländische NGOs zunehmend unter Druck. Auf Basis des sog. NGO-Gesetzes aus 2012 werden russische NGOs, die politisch aktiv sind und aus dem Ausland Finanzmittel erhalten, in ein vom Justizministerium geführtes Register 'ausländischer Agenten' eingetragen. Die davon betroffenen NGOs haben verstärkte Berichtspflichten gegenüber dem Justizministerium und müssen alle Publikationen mit der Kennzeichnung 'ausländischer Agent’ markieren (ÖB Moskau 6.2020; vgl. GIZ 1.2021a, AA 2.2.2021, FH 3.3.2021, BTI 2020). Die Bezeichnung als 'Agent’ provoziert unter der russischen Bevölkerung eine negative Konnotation mit den Tätigkeiten dieser NGOs im Sinne von Spionagetätigkeiten (ÖB Moskau 6.2020; vgl. FH 3.3.2021). Organisationen, die sich nicht eintragen lassen, haben mit hohen Geldstrafen zu rechnen bzw. können aufgelöst werden. 2016 wurde die NGO Agora, eine Vereinigung von Menschenrechtsanwälten, als erste Organisation aufgrund von Nichtbefolgung des NGO-Gesetzes aufgelöst. Im Herbst 2019 wurden zwei NGOs (’Für Menschenrechte’ und 'Centre of Support for Indigenous Peoples of the North’) auf Antrag des Justizministeriums aufgelöst (ÖB Moskau
6.2020) . Derzeit ist die NGO Memorial, eine der ältesten NGOs in Russland, die sich vor allem mit der geschichtlichen Aufarbeitung der politischen Repressionen in der Sowjetunion befasst sowie der aktuellen Menschenrechtsarbeit widmet, mit Strafen von über 66.000 Euro konfrontiert (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AI 16.4.2020, HRW 13.1.2021). Dies, nachdem bei einer Überprüfung festgestellt wurde, dass der Hinweis darauf, dass Memorial seit 2016 vom russischen Justizministerium in das Register jener Organisationen eingetragen ist, welche die Funktion eines ’ausländischen Agenten’ erfüllen, nicht auf allen Webseiten/Kanälen der Organisation aufscheint. Seit März 2015 ist zudem eine Streichung aus dem Register gesetzlich möglich (ÖB Moskau
6.2020) . Mit Ende 2020 waren beim Justizministerium 75 NGOs als ausländische Agenten registriert (FH 3.3.2021). Ende 2019 wurde zudem die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, auch natürliche Personen als ’ausländische Agenten’ zu listen, sofern diese Medieninhalte von solchen verbreiten oder erarbeiten und dafür Geld erhalten (AA 2.2.2021; vgl. Standard Online
3.12.2019) .
Um der ausländischen Finanzierung russischer NGOs entgegenzuwirken, werden seit einigen Jahren sogenannte präsidentielle Subventionen vergeben. 2017 - 2019 wurden auf diesem Weg rund 22 Mrd. Rubel (ca. 308 Mio. Euro) für 10.558 Projekte an Organisationen verteilt, größtenteils an jene mit patriotischer bzw. sozialer Ausrichtung, in einigen Fällen erhielten auch als ’ausländische Agenten’ deklarierte Einrichtungen staatliche Zuwendungen. Die Kehrseite der staatlichen Unterstützung ist, dass die Empfänger sich im Gegenzug einer intensiven behördlichen Kontrolle ihrer Geschäftstätigkeit unterwerfen müssen (ÖB Moskau 6.2020). In einem Bereich hat der Staat Interesse an Zusammenarbeit und Beratung gezeigt, insbesondere in ländlichen Regionen: Wenn Aktivitäten auf Sozialpolitik ausgerichtet sind, nicht auf politisches Engagement (BTI 2020).
Im Mai 2015 wurde ein Gesetz angenommen, um die Tätigkeit von ausländischen oder internationalen Nichtregierungsorganisationen, die eine Bedrohung für die verfassungsmäßigen Grundlagen, für die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die Sicherheit des Staates darstellen, auf dem Territorium der Russischen Föderation für unerwünscht zu erklären (ÖB Moskau 6.2020; vgl. BTI 2020, FH 3.3.2021). Die Klassifizierung als unerwünschte Organisation zieht ein Verbot der Gründung bzw. die Liquidierung bereits bestehender Strukturen der ausländischen NGO in Russland nach sich, sowie ein Verbot der Verteilung von Informationsmaterialien bzw. der Durchführung von Projekten. Weiters ist es russischen Banken verboten, Finanzoperationen durchzuführen, wenn ein Kunde als unerwünschte NGO eingestuft wurde (ÖB Moskau 6.2020). Die Verbote betreffen nicht nur die NGO selbst, sondern auch Personen, die sich an ihrer Tätigkeit beteiligen (ÖB Moskau 6.2020; vgl. FH 3.3.2021). Das Gesetz sieht Geldstrafen sowie bei wiederholter Verletzung auch Freiheitsstrafen von mehreren Jahren vor (ÖB Moskau 6.2020). Mit Ende 2020 gelten 29 ausländische NGOs als unerwünschte Organisationen, da sie die nationale Sicherheit gefährden würden. Die Bezeichnung gibt den Behörden die Möglichkeit, eine Bandbreite an Sanktionen gegen diese Gruppierungen zu verhängen (FH 3.3.2021). Die erste Verurteilung gegen eine Person auf Basis des Gesetzes zu unerwünschten Organisationen traf im Februar 2020 den Journalisten Maksim Wernikow. Er wurde zu 300 Stunden Arbeitsleistung verurteilt (ÖB 6.2020; vgl. HRW 13.1.2021)
Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, 'Strategie 31’ setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Künstlergruppe ’Wojna’ setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen 'Initiativen von unten’ und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 1.2021a).
Die Gesetzeslage zu NGOs hat sich in den vergangenen Jahren signifikant verändert, mit dem Ergebnis, dass derzeit unpolitische bzw. Pro-Regierungs-NGOs, die etwa im sozialen Bereich tätig sind, eher unterstützt werden und im Gegensatz dazu kritische NGOs und Think Tanks, v.a. jene, die in den Bereichen Menschenrechte, Umweltschutz und dergleichen tätig sind, mit Einschränkungen konfrontiert sind. Mitunter wird in den Medien auch über konstruierte Kriminalfälle berichtet, die gegen regimekritische Dissidenten, Journalisten oder Aktivisten gerichtet sind (ÖB Moskau 6.2020). In Dagestan können NGOs tätig werden, sich mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen treffen, vor Ort recherchieren und sogar Verfahren gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte wegen Foltervorwürfen anstrengen. Die NGO 'Komitee zur Verhinderung von Folter’ arbeitet mit den Sicherheitsbehörden in Dagestan im Rahmen des Strafvollzugs zusammen (AA 2.2.2021). Gemeinnützige Stiftungen sind in Dagestan der am weitesten entwickelte Teil der Zivilgesellschaft. Dies sind die stärksten, stabilsten und zahlreichsten NGOs in der Republik und umfassen Stiftungen wie ’Hope and Pure Heart’. Diese Organisationen sind äußerst professionell, verfügen über gut entwickelte IT-Plattformen und verwenden eine gemeinsam nutzbare Datenbank aller Bedürftigen in Dagestan, Tschetschenien und Ingusche- tien. Die Zielgruppen ihrer Aktivitäten sind alleinerziehende Mütter, Waisen und Senioren, die alleine leben. Da sie sich nicht mit politischen und bürgerrechtlichenThemen befassen, passt ihre Tätigkeit in den aktuellen politischen Kontext und die konservative Wertebasis und wird von den Behörden nicht kontrolliert. Dagestan hat die am weitesten entwickelte, vielfältigste und unabhängigste Zivilgesellschaft der drei nordkaukasischen Republiken (Tschetschenien, Ingu- schetien, Dagestan). Dagestan unterliegt nicht der erhöhten staatlichen Kontrolle und dem Druck Tschetscheniens oder dem Konservativismus und der traditionellen Lebensweise Inguschetiens. Stattdessen gibt es viele verschiedene Gruppen, die sich aktiv für ihre zivilgesellschaftlichen Positionen einsetzen. Dagestan ist auch die erste Region, die die Umwelt aktiv auf die öffentliche
Tagesordnung setzt. Aufgrund regelmäßiger Machtwechsel auf Republiks- und lokaler Ebene hat sich in Dagestan kein ausschließliches Zentrum gebildet, das Unterdrückung und Kontrolle über NGOs und Basisinitiativen ausüben würde (CSIS 1.2020).
Unbestrafte und nicht untersuchte, grobe Menschenrechtsverletzungen und Druck auf Menschenrechtsorganisationen haben die Möglichkeiten für die Zivilgesellschaft in Tschetschenien stark eingeschränkt. Trotzdem konnten viele lokale NGOs dem Druck standhalten und sich an die neuen Regeln anpassen. Die Popularität von gemeinnützigen Aktivitäten und sozialen Projekten zur Unterstützung von einkommensschwachen und schutzbedürftigen Gruppen wächst, ebenso die Anzahl sozialer Initiativen für Kinder und Jugendliche. Auch das Thema Menschen mit Beeinträchtigungen wird de-stigmatisiert. Ein weiterer wichtiger positiver Trend ist, dass immer mehr junge Menschen an Freiwilligenarbeit interessiert sind. Die Reduzierung der Auslandsfinanzierung (nach Angaben des Justizministeriums erhalten derzeit nur 16 NGOs in Tschetschenien Geld aus dem Ausland) wird teilweise durch das Programm der Präsidentenzuschüsse kompensiert, von dem mehrere lokale NGOs profitieren. Insbesondere die Abteilungen für öffentliche Angelegenheiten und religiöse Organisationen arbeiten im Rahmen des Zuschussprogramms des Präsidenten eng zusammen (CSIS 1.2020).
Memorial zählte Ende 2020 349 Menschen als politische (61) oder religiöse Gefangene (288). Darunter waren Teilnehmer der Moskauer Wahlproteste 2019, Menschenrechtsaktivisten und Anwälte ethnischer Minderheiten (FH 3.3.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation ,https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 12.4.2021
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage 2019, https://www.ecoi.n et/de/dokument/2038587.html , Zugriff 12.4.2021
• BTI - Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report - Russia, https://bti-project.org/de/berichte/country-dashboard-RUS.html , Zugriff 12.4.2021
• CSIS - Center for Strategic and International Studies (1.2020): Civil Society in the North Caucasus, https://csis-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/200124_North_Caucasus.pdf7jRQ1t gMAXDNlViIbws_LnEIEGLZPjfyX , Zugriff 12.4.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 12.4.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 12.4.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 12.4.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 12.4.2021
• Standard Online (3.12.2019): Putin billigt Gesetz zu Journalisten als 'ausländische Agenten', https: //apps.derstandard.at/privacywall/story/2000111799282/putin-billigt-gesetz-zu-journalisten-als-a uslaendische-agenten , Zugriff 12.4.2021
Ombudsperson
Letzte Änderung: 28.05.2021
Für die Russische Föderation gibt es wie für jedes der Föderationssubjekte einen Menschenrechtsbeauftragten [Ombudsperson]. Die Amtsinhaberin Tatjana Moskalkowa (seit 2016), ehemalige Generalmajorin der Polizei, geht nicht ausreichend gegen die wichtigsten Fälle der Verletzung von Menschenrechten, insbesondere den Missbrauch staatlicher Macht, vor. In ihrem Jahresbericht vom April 2020 gibt sie gleichwohl an, dass die meisten Beschwerden das Verhalten von Polizei und Justiz betreffen. Andere wichtige Beschwerdegründe waren die Nicht-Genehmigung von Versammlungen und - mit großem Abstand - die Behandlung von Häftlingen (AA 2.2.2021). Die Effektivität der regionalen Ombudspersonen variiert erheblich, und lokale Behörden unterminieren manchmal die Unabhängigkeit (US DOS 11.3.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 26.3.2021
• US DOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff
26.3.2021
Wehrdienst und Rekrutierungen
Letzte Änderung: 28.05.2021
Alle männlichen russischen Staatsangehörigen im Alter zwischen 18 und 27 Jahren werden zur Stellung für den Pflichtdienst in der russischen Armee einberufen. Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). Der Präsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden. In der Regel liegt die Quote bei etwa einem Drittel bzw. rund 300.000 Rekruten (ÖB Moskau 6.2020). Es gibt in Russland zweimal im Jahr eine Stellung - eine im Frühling, eine im Herbst (Global Security 1.10.2020a). Über die regionale Aufteilung der Wehrpflichtigen entscheidet das Verteidigungsministerium, wobei die Anzahl der Wehrpflichtigen aus den jeweiligen Regionen stark variiert (ÖB Moskau
6.2020) . Im Jahr 2020 wurden russlandweit 263.000 Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen (Global Security 1.10.2020a).
Neben dem Grundwehrdienst gibt es auch die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen (dies steht auch weiblichen Staatsangehörigen offen). Nachdem vermehrtvertraglich verpflichtete Soldaten herangezogen werden (ÖB Moskau 6.2020), sinkt die Bedeutung der allgemeinen Wehrpflicht für die russischen Streitkräfte (ÖB Moskau 6.2020, vgl. Jamestown 10.4.2018). Mitte April 2019 sagte Präsident Putin, dass die Wehrpflicht in Russland allmählich der Vergangenheit angehören wird. 2019 dienen ca. 370.000 Kontraktniki (Vertragssoldaten) in den russischen Streitkräften, im Vergleich zu ca. 260.000 Wehrpflichtigen (WI 19.4.2019). Der Verteidigungsminister stellte die Aufgabe, die Zahl der Vertragssoldaten bis 2025 auf 475.000 zu erhöhen (RBTH 22.4.2019). Im Oktober 2020 äußerte sich der Generaloberst Jewgeni Burdinski, dass es derzeit wohl nicht notwendig sei, auf eine komplette Vertragsarmee umzusteigen, da dies - auch aufgrund der Corona-Pandemie - wohl zu teuer ist (Global Security 1.10.2020b).
Staatsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Wehrdienst geeignet sind, werden als 'untauglich’ von der Dienstpflicht befreit. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden, etwa durch Personen, die ein Studium absolvieren oder die einen nahen Verwandten pflegen müssen, oder durch Väter mehrerer Kinder. Versuche, sich dem Wehrdienst zu entziehen, sind verbreitet, aber rückläufig. Diese Versuche konzentrieren sich vor allem auf das Stadium vor der Einberufung, da nur ein Drittel der jungen Männer, die jährlich das wehrfähige Alter erreichen, tatsächlich eingezogen wird. Etwa ein Drittel ist untauglich, ein Drittel erhält keine Aufforderung, bei der Einberufungskommission vorstellig zu werden. Grundsätzlich gibt es aber keine Rekrutierungsprobleme, da genug junge Männer Grundwehrdienst leisten wollen. Neben einer patriotischen Gesinnung ist ein Grund dafür auch die Tatsache, dass die Ableistung des Grundwehrdienstes Voraussetzung für bestimmte (v.a. staatliche) berufliche Laufbahnen ist. Nichtsdestotrotz gibt es jedes Jahr einige hundert junge Männer, denen der Stellungsbefehl zugestellt wurde, welche die Stellungskommission durchlaufen, die Entscheidung der Stellungskommission zur Einberufung auch nicht beeinspruchen, aber dann dem Einberufungsbefehl nicht Folge geleistet haben. In diesen Fällen gibt es jährlich einige hundert strafrechtliche Verfahren bzw. Verurteilungen wegen Wehrdienstverweigerung (ÖB Moskau
6.2020) . Im Durchschnitt erhalten russische Wehrpflichtige ca. 2.000 Rubel (ca. 22€) pro Monat, während professionelle Vertragssoldaten ca. 25.000-35.000 Rubel (275-385€) erhalten. Letztere können auch noch mit einigen zusätzlichen Zahlungen rechnen (WI 19.4.2019).
Im Jahr 2015 wurde durch Staatspräsident Putin ein Dekret erlassen, das die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweiterte und seitdem ausdrücklich die Bekämpfung der Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade oder ältere Wehrpflichtige (’Dedowschtschina’) sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte umfasst. Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu ’Dedowschtschina’ kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit (AA2.2.2021). Nach grundlegenden Reformen im russischen Heer in den Jahren 2008-2012, die auch Maßnahmen zur Humanisierung des Wehrdienstes sowie einer Reduzierung des Grundwehrdienstes von zwei auf ein Jahr beinhalteten, hat sich die Zahl der Gewaltverbrechen im Heer deutlich reduziert. Offizielle Statistiken dazu werden nicht publiziert. NGOs gehen von ca. 100200 Todesfällen pro Jahr als Folge von Gewalt aus. Das Verteidigungsministerium kooperiert mit der Ombudsstelle für Menschenrechte und mit relevanten NGOs, um gegen Misshandlungsvorwürfe von Rekruten vorzugehen. In den vergangenen Jahren konnten gewisse Fortschritte erzielt werden. Im April 2017 erklärte Verteidigungsminister Sergej Schoigu, dass die Anzahl der gemeldeten Übergriffe von Armeeangehörigen gegenüber Untergebenen um 37,6% gesunken ist. NGOs wie das ’Komitee der Soldatenmütter’ betonen, dass trotz gewisser Fortschritte mehr Anstrengungen, insbesondere bei der Verurteilung von Schuldigen sowie bei der Prävention, notwendig sind (ÖB Moskau 6.2020).
Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die seit 1999 formal in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie Freiheitsstrafen aufgrund anderer Delikte in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch auch zur Verbüßung von Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 2.2.2021).
Bis ins Jahr 2014 wurden etwa aus Tschetschenien überhaupt keine Wehrpflichtigen eingezogen. Die Anzahl der aus dem Nordkaukasus rekrutierten Soldaten bleibt weiterhin niedrig. So wurden im Herbst 2017 aus der gesamten nordkaukasischen Region nur rund 6.000 Personen rekrutiert. Aus Tschetschenien werden nunmehr jährlich ein paar hundert Rekruten einberufen. Nachdem junge Männer aus der Region aber teilweise eine Einberufung anstreben, gibt es Fälle, in denen sie dies durch Anmeldung eines Wohnsitzes in einer anderen Region zu erreichen versuchen (ÖB Moskau 6.2020).
Bürger der ehemaligen Sowjetrepubliken können durch den Dienst in den Streitkräften der Russischen Föderation eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erlangen. Erstmalig können sich diese Personen dann nach drei Jahren um die Erteilung der russischen Staatsbürgerschaft bewerben (AA 2.2.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärti ges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russi schen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 7.4.2021
• Global Security (page last updated 1.10.2020a): Russian Military Personnel - Conscription, https: //www.globalsecurity.org/military/world/russia/personnel-draft.htm , Zugriff 7.4.2021
• Global Security (page last updated 1.10.2020b): Military Service - Contract Service, https://www.gl obalsecurity.org/military/world/russia/personnel-contract.htm , Zugriff 7.4.2021
• Jamestown Foundation (10.4.2018): 2018 Spring Draft Highlights Russia’s Demographic Decline, Eurasia Daily Monitor Volume: 15 Issue: 54, https://www.ecoi.net/de/dokument/1429303.html , Zugriff 7.4.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 7.4.2021
• RBTH - Russia beyond the Headlines (22.4.2019): Will Russia be able to win a war without conscripts?, https://www.rbth.com/lifestyle/330270-win-a-war-without-coscripts , Zugriff 7.4.2021
• WI - Warsaw Institute (19.4.2019): Putin (Again) Announces End of Compulsory Military Service in Russia, https://warsawinstitute.org/putin-announces-end-compulsory-military-service-russia/ , Zugriff 7.4.2021
Wehrersatzdienst
Letzte Änderung: 28.05.2021
Das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissens- oder religiösen Gründen wird durch Art. 59 Abs. 3 der Verfassung garantiert (AA 2.2.2021). Ein alternativer Zivildienst kann abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die persönliche (politische, pazifistische) Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person spricht, oder falls diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditionelle Lebensweise dem Wehrdienst widerspricht (ÖB Moskau 6.2020). Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate als ziviles Personal bei den russischen Streitkräften, was in der Praxis kaum vorkommt, bzw. 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). Der Zivildienst wird im Normalfall bei einem staatlichen Dienst, wiez.B. einer Klinik oder der Feuerwehr, abgeleistet. Die Anzahl der Berufe, in denen der Ersatzdienst geleistet werden kann, wurde 2019 von 114 auf 140 erhöht (AA 2.2.2021). Mit Stand vom Februar 2021 absolvierten laut Angaben der Föderalen Agentur für Arbeit und Beschäftigung 1.224 Personen in Russland einen alternativen Zivildienst (Rostrud 1.2.2021). Vereinzelt kommt es zu gerichtlichen Verfahren, etwa wenn die pazifistische Gesinnung eines Wehrpflichtigen in Zweifel steht (ÖB Moskau 6.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärti ges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russi schen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 7.4.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 7.4.2021
• Rostrud - OegepanbHas Gnywöa no Tpygy u 3aHSTOCTu (Föderale Agentur für Arbeit und Beschäftigung) (1.2.2021): MucneHHOCTb rpawgaH, npoxogs^ux anbrepHaTMBHyw rpawgaHCKyw onywöy (no coctoshuw Ha 01.02.2021 r.) (Anzahl von Bürgern, die alternativen Zivildienst leisten), https://rostrud.gov.ru/rostrud/deyatelnost/?CAT_ID=14516 , Zugriff 7.4.2021
Wehrdienstverweigerung
Letzte Änderung: 28.05.2021
Für Wehrdienstverweigerer sind folgende Strafen vorgesehen: Geldstrafen von bis zu 200.000 Rubel [ca. 2.700€] oder in der Höhe von 18 Monatslöhnen des Verurteilten sowie Freiheitsentzug von sechs Monaten bis zu zwei Jahren. Für die Weigerung, den alternativen Zivildienst zu absolvieren, ist eine Geldstrafe von bis zu 80.000 Rubel [ca. 1.100€] oder in der Höhe von sechs Monatslöhnen vorgesehen bzw. bis zu sechs Monate Haft. Laut offizieller Statistik des russischen Obersten Gerichtshofs wurden 314 Personen in der ersten Jahreshälfte 2017 wegen Wehrdienstverweigerung verurteilt, zwei weitere Personen wegen der Verweigerung des alternativen Zivildienstes. 2018 gab es bei 300.000 Einberufungen 624 Verurteilungen wegen Wehrdienstverweigerung und sieben wegen Zivildienstverweigerung. In den letzten Jahren wurden keine Haftstrafen, sondern in der Regel Geldstrafen in der Höhe von ca. 20.000-100.000 Rubel (ca. 300-1.500 Euro) verhängt (ÖB Moskau 6.2020). Seit einer gesetzlichen Neuregelung im Juli 2017 ist Wehrdienstverweigerern der Eintritt in den Staatsdienst für eine Dauer von zehn Jahren verboten (ÖB Moskau 6.2020; vgl. Jamestown 8.11.2017).
Die Zahl der Wehrdienstverweigerer hat sich von 2016 bis 2018 halbiert und lag laut offiziellen Angaben vom Oktober 2018 bei 1.600 Personen (Global Security 1.10.2020).
Quellen:
• Global Security (page last updated 1.10.2020): Russian Military Personnel - Conscription, https: //www.globalsecurity.org/military/world/russia/personnel-draft.htm , Zugriff 7.4.2021
• Jamestown Foundation (8.11.2017): How Many Soldiers Does Russia Have? in: Eurasia Daily Monitor Volume: 14 Issue: 144, https://jamestown.org/program/many-soldiers-russia/ , Zugriff
7.4.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 7.4.2021
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 28.05.2021
Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegende Zahl der anhängigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Stärkung des Gerichtshofs (GIZ 1.2021a). Die Verfassung postuliert die Russische Föderation als Rechtsstaat. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Für die Russische Föderation gibt es, wie für jedes der Föderationssubjekte, einen Menschenrechtsbeauftragten. Die Amtsinhaberin Moskalkowa (seit 2016), ehemalige Generalmajorin der Polizei, geht nicht ausreichend gegen die wichtigsten Fälle der Verletzung von Menschenrechten, insbesondere den Missbrauch staatlicher Macht, vor. Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Russland hat folgende UN-Übereinkommen ratifiziert (AA 2.2.2021):
• Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)
• Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)
• Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)
• Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)
• Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)
• Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)
• Behindertenrechtskonvention (AA 2.2.2021).
Der letzte Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates zu Russland fand im Rahmen des dritten Überprüfungszirkels 2018 statt. Dabei wurden insgesamt 309 Empfehlungen in allen Bereichen der Menschenrechtsarbeit ausgesprochen. Russland hat 94 dieser Empfehlu- gen nicht angenommen und weitere 34 lediglich teilweise angenommen. Die nächste Sitzung für Russland im UPR-Verfahren wird im Mai 2023 stattfinden. Russland ist zudem Mitglied des Europarates und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Russland setzt einige, aber nicht alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) um; insbesondere werden EGMR-Entscheidungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte im Nordkaukasus nur selektiv implementiert. Finanzielle Entschädigungen werden üblicherweise gewährt, dem vom EGMR monierten Umstand aber nicht abgeholfen [Anm.: Zur mangelhaften Umsetzung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 2.2.2021). Besorgnis wurde u.a. auch hinsichtlich der Missachtung der Urteile von internationalen Menschenrechtseinrichtungen (v.a. des EGMR), des fehlenden Zugangs von Menschenrechtsmechanismen zur Krim, der Medienfreiheit und des Schutzes von Journalisten, der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und ethnischer Herkunft geäußert (ÖB Moskau 6.2020).
Durch eine zunehmende Einschränkung der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Gesetzgebung und Praxis wurde die Menschenrechtsbilanz Russlands weiter verschlechtert. Wer versuchte, diese Rechte wahrzunehmen, musste mit Repressalien rechnen, die von Schikanierung bis hin zu Misshandlungen durch die Polizei, willkürlicher Festnahme, hohen Geldstrafen und in einigen Fällen auch Strafverfolgung und Inhaftierung reichten (AI 16.4.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden, aber gleichzeitig steigt der öffentliche Aktivismus deutlich. Hinzu kommt, dass sich mehr und mehr Menschen für wohltätige Projekte engagieren und Freiwilligenarbeit leisten. Zivile Kammern wurden als Dialogplattform zwischen der Bevölkerung und dem Staat eingerichtet (ÖB Moskau 6.2020). Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in Bezug auf die Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Die Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt (ÖB Moskau 6.2020) und sehen sich in manchen Fällen sogar Bedrohungen oder tätlichen Angriffen bzw. strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt (ÖB Moskau 6.2020; vgl. FH 3.3.2021, HRW 13.1.2021). Der Einfluss des konsultativen ’Rats beim Präsidenten der Russischen Föderation für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte’ unter dem Vorsitz von Waleri Fadejew ist begrenzt. Er befasst sich in der Regel nicht mit Einzelfällen, sondern mit grundsätzlichen Fragen wie Gesetzesentwürfen, und seine Stellungnahmen zu dem Verlauf von Demonstrationen im Sommer 2019 in Moskau blieben ohne Folge (AA 2.2.2021).
Die Annexion der Krim 2014 sowie das aus Moskauer Sicht erforderliche Eintreten für die Belange der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine führten vorübergehend zu einem starken Anstieg der patriotischen Gesinnung innerhalb der russischen Bevölkerung. In den vergangenen Jahren gingen die Behörden jedoch verstärkt gegen radikale Nationalisten vor. Dementsprechend sank die öffentliche Aktivität derartiger Gruppen seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine deutlich, wie die NGO Sova bestätigt. Gestiegen ist auch die Anzahl von Verurteilungen gegen nationalistische bzw. neofaschistische Gruppierungen. Vor diesem Hintergrund berichtete die NGO Sova in den vergangenen Jahren auch über sinkende Zahlen rassistischer Übergriffe. Die meisten Vorfälle gab es, wie in den Vorjahren, in den beiden Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Migranten aus Zentralasien, dem Nordkaukasus und dunkelhäutige Personen sind üblicherweise das Hauptziel dieser Übergriffe. Gleichzeitig ist aber im Vergleich zu den Jahren 2014-2017 ein gewisser Anstieg der fremdenfeindlichen Stimmung zu bemerken, der in Zusammenhang mit sozialen Problemen (Unzufriedenheit mit der Pensionsreform und sinkenden Reallöhnen) zu sehen ist. Wenngleich der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland seit 2013 weiterhin ausgesetzt bleibt, unterstützt die EU-Delegation in Moskau den Dialog zwischen den EU-Botschaften, mit NGOs, der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverteidigern (ÖB Moskau 6.2020).
Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Den Hintergrund bilden in ihrem Ausmaß weiter rückläufige bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien und Inguschetien (AA 2.2.2021). Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend 'Aufständische’ und Sicherheitskräfte (AA 13.2.2019). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten, soweit dies angesichts der bestehenden Einschränkungen möglich ist, aufmerksam beobachtet (ÖB Moskau 6.2020).
Quellen:
• AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.2.2019): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_155170162 3_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-fo ederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 12.3.2021
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-jjnd_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 12.3.2021
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 12.3.2021
• FH - Freedom House (3.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 12.3.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 12.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 12.3.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSSJÖBJBerichtJ2020J06.pdf , Zugriff 12.3.2021
Tschetschenien
Letzte Änderung: 28.05.2021
NGOs beklagen regelmäßig schwere Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen mitunter Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten, aber auch Einzelpersonen, die das Regime kritisieren (ÖB Moskau 6.2020). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien evakuiert werden. Das Republiksoberhaupt von Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppen mit einem Fadenkreuz überzogen und auf Instagram veröffentlicht, teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie Feinde des tschetschenischen Volkes seien, oder er ruft ganz unverhohlen dazu auf, sie umzubringen. Nach einem kritischen Artikel über mangelnde Hygiene-Vorkehrungen gegen COVID-19 drohte Kadyrow der Journalistin Jelena Milaschina öffentlich (AA 2.2.2021).
Tendenzen zur verstärkten Verwendung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Es herrscht ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellem Gewohnheitsrecht (adat) einschließlich der Tradition der Blutrache und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen. Nach wie vor gibt es Clans, welche Blutrache praktizieren (AA 2.2.2021). Anfang November 2018 wurde im Rahmen der OSZE der sog. Moskauer Mechanismus zur Überprüfung behaupteter Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aktiviert, der zu dem Schluss kam, dass in Tschetschenien das Recht de facto von den Machthabenden diktiert wird und die Rechtsstaatlichkeit nicht wirksam ist. Es scheint generell Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane zu herrschen (ÖB Moskau 6.2020; vgl. BAMF 11.2019).
2017 und laut der NGO LGBTI Network in geringem Ausmaß bis 2019 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2020, HRW 17.1.2019). Es gibt Berichte über Personen, die nach Folterungen gestorben sind [vgl. Kapitel Homosexuelle] (FH 3.3.2021). Die unabhängige Zeitung Nowaja Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angeblichen außergerichtlichen Tötungen von 27 Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten (ÖB Moskau 6.2020), die nicht im Zusammenhang mit der Verfolgung von LGBTI-Personen stehen sollen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AI 22.2.2018). Seitens Amnesty International wurde eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe durch die russischen Behörden gefordert. Die russische Menschenrechtsombudsperson wurde Berichten zufolge bei der Untersuchung dieser Vorgänge in Tschetschenien bewusst getäuscht (ÖB Moskau 6.2020).
Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Caucasian Knot auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von der unabhängigen Tageszeitung Nowaja Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen homosexuelle Männer berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Nowaja Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht (AI 22.2.2018). Auch 2019 blieben frühere gewalttätige Übergriffe gegen Menschenrechtsverteidiger ungeahndet (AI 16.4.2020). Im Februar 2020 wurden die bekannte Journalistin der Nowaja Gazeta, Jelena Milaschina, und eine Menschenrechtsanwältin angegriffen und mit Schlägen traktiert. Die Nowaja Gazeta verlangte eine Entschuldigung des Republiksoberhauptes von Tschetschenien. Die Union der russischen Journalisten und das Helsinki Komitee verurteilten diesen Vorfall aufs Schärfste. Auch die OSZE und die russische Menschenrechtsorganisation Komitee gegen Folter verlangen von den russischen Behörden eine Aufklärung des Vorfalls (Moscow Times 7.2.2020). In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte über Personen, die bloß aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten (ÖB Moskau 6.2020). [Bezüglich Morde bzw. Vorfälle gegen tschetschenische Kritiker in Europa und Russland siehe Kapitel Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein].
Die Sicherheitslage hat sich deutlich verbessert und kann als stabil, wenn auch volatil, bezeichnet werden. Die Stabilisierung erfolgte jedoch um den Preis gravierender Menschenrechtsverletzungen, das heißt menschen- und rechtsstaatswidriges Vorgehen der Behörden gegen Extremismusverdächtige und äußerst engmaschige Kontrolle der Zivilgesellschaft. Regimekritiker und Menschenrechtler müssen mit Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten und physischen Übergriffen bis hin zu Mord rechnen. Auch in diesen Fällen kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen (AA 2.2.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 12.3.2021
• AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World’s Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 11.3.2020
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 12.3.2021
• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (11.2019): Länderreport 21 Russische Föderation, LGBTI in Tschetschenien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/
683266/684671/685623/685628/6029277/21602088/Deutschland Bundesamt_f%C3%Bcr_M
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-2 , Zugriff 12.3.2020
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 12.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002220.html , Zugriff 11.3.2020
• Moscow Times (7.2.2020): Prominent Russian Journalist, Lawyer Attacked in Chechnya, https: //www.themoscowtimes.com/2020/02/07/prominent-russian-journalist-lawyer-attacked-in-chechn ya-a69199 , Zugriff 26.3.2020
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (ÖB Moskau 12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_ÖB_Bericht _2019_12.pdf , Zugriff 12.3.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf#p age=25&zoom=auto,-259,684 , Zugriff 12.3.2021
Dagestan
Letzte Änderung: 28.05.2021
Die Menschenrechtslage ist in Dagestan grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien. Die Kontrolle der Zivilgesellschaft ist weniger ausgeprägt, und die Bewohner Dagestans sind im direkten Vergleich hinsichtlich persönlicher Freiheit bessergestellt. Doch auch in Dagestan gehen mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einher, darunter Entführungen und Verschwindenlassen. Von dem Vorgehen der Sicherheitsbehörden wegen Verdachts auf Extremismus sind nicht nur Menschenrechtsorganisationen, sondern auch NGOs im sozialen/humanitären Bereich oder regierungskritische Journalisten betroffen. Im Gegensatz zu Tschetschenien können NGOs in Dagestan tätig werden, sich mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen treffen, vor Ort recherchieren und sogar Verfahren gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte wegen Foltervorwürfen anstrengen. Die NGO 'Komitee gegen Folter’ arbeitet mit den Sicherheitsbehörden in Dagestan im Rahmen des Strafvollzugs zusammen (AA 2.2.2021). Die Haltung der Behörden in Dagestan ist milder gegenüber der Presse und den Institutionen der Zivilgesellschaft, die auch ein höheres Maß an Protestaktivität aufweisen als andere russische Regionen. Darüber hinaus sind Regierungs- und regierungsnahe Strukturen in Dagestan gegenüber Aktivisten etwas toleranter als in anderen Teilen Russlands. Während Demonstrationen verboten und aufgelöst werden können, werden jedoch manche Demonstrationen toleriert. Wenn dies nicht der Fall ist, gibt es starken Widerstand von Aktivisten, welche die Entscheidungen der Behörden mit rechtlichen Schritten erfolgreich anfechten. Obwohl es registrierte NGOs und spezifische Projekte gibt, ist die Zivilgesellschaft eher durch soziale Bewegungen und Initiativen vertreten. Nur wenige Organisationen in Dagestan sind ausschließlich im Bereich der Menschenrechte tätig. Zu denen, die dies tun, gehört Memorial. Eine andere Menschenrechtsorganisation - ’Patienten- monitor’ - arbeitet daran, die Rechte von Patienten zu schützen, die in staatlichen Einrichtungen behandelt werden. Die Hauptschwierigkeiten der Menschen bestehen darin, ambulant kostenlose Medikamente zu erhalten, Medikamente und Dienstleistungen in stationären Einrichtungen zu erhalten sowie Analysen und diagnostische Tests durchführen zu lassen. ’Patientenmonitor’ bietet Menschen, deren Rechte nicht beachtet werden, kostenlose Rechtshilfe und bekämpft Korruption in medizinischen Einrichtungen. Auch Umweltaktivisten sind in Dagestan aktiv (CSIS
1.2020) .
Wenngleich von offizieller Seite im Jänner 2019 die praktisch vollständige Liquidierung des bewaffneten Widerstands in Dagestan verkündet wurde, kommt es immer wieder zu bewaffneten Zwischenfällen. Nach Einschätzung von Experten hat sich die Struktur des bewaffneten Widerstands geändert. Es soll keine Lager in den Wäldern mehr geben, stattdessen werden Anschläge von Personen, die nach außen hin ein normales Leben führen, vorbereitet. Bewaffnete Gruppen stehen offiziellen Sicherheitsorganen gegenüber, dem Partisanenkrieg auf der einen Seite wird mit Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung auf der anderen Seite begegnet. Im Fokus der Sicherheitsbehörden stehen mutmaßliche Terroristen bzw. Anhänger extremistischer Überzeugungen. Entführungen und Fälle von Verschwindenlassen, Folter und außergerichtliche Tötungen kommen ebenso vor. Bei der Vorgehensweise bei Verhaftungen von Verdächtigen im Zuge der Terrorbekämpfung sind mitunter auch Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste gekoppelt mit der noch immer instabilen sozio- ökonomischen Lage in Dagestan schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung. Es kommt nach wie vor zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Extremisten (ÖB Moskau 6.2020).
In Bezug auf Beobachtungslisten von Salafisten ist zu sagen, dass derzeit keine Hinweise auf die Weiterführung dieser Listen zu finden sind [vgl. dazu Kapitel Religionsfreiheit/Dagestan] (HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021, AI 16.4.2020, ÖB Moskau 6.2020, AA 2.2.2021). Es gibt jedoch Berichte über Kontrollpunkte vor Moscheen, bei denen die persönlichen Daten derjenigen, die den Gottesdienst verlassen hatten, aufgenommen wurden. Lokale Muslime beschreiben solche Operationen als typisch, und sie dienen der Einschüchterung der Bevölkerung (USCIRF 4.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 12.3.2021
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff 12.3.2021
• CSIS - Center for Strategic and International Studies (1.2020): Civil Society in the North Caucasus, https://csis-website-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/200124_North_Caucasus.pd f?jRQ1tgMAXDNlViIbws_LnEIEGLZPjfyX , Zugriff 12.3.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 12.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 12.3.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf#p age=25&zoom=auto,-259,684 , Zugriff 12.3.2021
• USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2020): 2020 Annual Report, Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028973/Russia.pdf , Zugriff 12.3.2021Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein
Letzte Änderung: 28.05.2021
Die tschetschenische Führung setzt ihren Angriff auf alle Formen von abweichender Meinung und Kritik fort (HRW 13.1.2021). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen Kritiker und Journalisten, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020). Ramsan Kadyrow versucht, dem Terrorismus und möglicher Rebellion in Tschetschenien unter anderem durch Methoden der Kollektivverantwortung zu begegnen (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA
2.2.2021) . Die Bekämpfung von Extremisten geht mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher (AA 2.2.2021; vgl. FH 3.3.2021). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 2.2.2021). Auch Familienangehörige, Freunde und Bekannte oder andere mutmaßliche Unterstützer von Untergrundkämpfern können zur Verantwortung gezogen und bestraft werden (ÖB Moskau 6.2020). Verwandte von terroristischen Kämpfern stehen häufig unter dem Verdacht, diese zu unterstützen, und sind daher von Grund auf eher der Gefahr öffentlicher Demütigungen, Entführungen, Misshandlungen und Folter ausgesetzt (sog. Sippenhaft). Die Mitverantwortung wurde sogar durch Bundesgesetze festgelegt, so z.B. ein 2013 verabschiedetes Gesetz, das Familienangehörige von Terrorverdächtigen verpflichtet, für Schäden, die durch einenAnschlag entstanden sind, aufzukommen, und die Behörden in diesem Zusammenhang auch zur Beschlagnahmung von Vermögenswerten der Familien ermächtigt. Es kommt vor, dass Personen, welchen die Unterstützung von Terroristen vorgeworfen wird, von Sicherheitskräften drangsaliert werden. Familienangehörige von mutmaßlichen Terroristen können ihre Arbeitsstelle verlieren, Kinder können Schwierigkeiten bei der Aufnahme in die Schule haben, jugendliche und erwachsene Söhne können Schwierigkeiten mit den tschetschenischen Sicherheitsorganen bekommen (inkl. unrechtmäßiger Festnahmen, Prügel, etc.) (ÖB Moskau
6.2020) . Weiters hat Ramsan Kadyrow im Jänner 2017 die Sicherheitskräfte angewiesen, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in ’die Irre geführt wurden’ (Caucasian Knot 25.1.2017).
Angehörigen von Aufständischen bleiben laut Tanja Lokschina von Human Rights Watch in Russland nicht viele Möglichkeiten, um Kontrollen oder Druckausübung durch Behörden zu entkommen. Eine Möglichkeit ist es, die Republik Tschetschenien zu verlassen, was sich jedoch nicht jeder leisten kann, oder man sagt sich öffentlich vom aufständischen Familienmitglied los. Vertreibungen von Familien von Aufständischen kommen vor (Meduza 31.10.2017). Ausgewiesene Familien können sich grundsätzlich in einer anderen Region der Russischen Föderation niederlassen und dort leben, solange sie nicht neuerlich ins Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte rücken. Die freie Wahl des Wohnorts gilt für alle Einwohner der Russischen Föderation, auch für jene des Nordkaukasus. Wird jemand allerdings offiziell von der Polizei gesucht, so ist es den Sicherheitsorganen möglich, diesen zu finden. Dies gilt nach Einschätzung von Experten auch für Flüchtlinge in Europa, der Türkei und so weiter, falls das Interesse an der Person groß genug ist. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Aus menschenrechtlicher Perspektive herrscht die Einschätzung vor, dass tatsächlich Verfolgte sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können. Auf das Potential zur Instrumentalisierung dieser im Einzelfall bestehenden Gefährdungslage wird allerdings auch dann zurückgegriffen, wenn sozio-ökonomische Motive hinter dem Versuch der Migration nach Westeuropa stehen, wie auch von menschenrechtlicher Seite eingeräumt wird. Analysten weisen überdies auf den dynamischen Wandel des politischen Machtgefüges in Tschetschenien sowie gegenüber dem Kreml hin. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow-Clan selbst, der im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen- zum Vasallentum wechselte (ÖB Moskau
6.2020) .
Salafisten werden als aktive oder potenzielle Extremisten und Terroristen wahrgenommen. Die Verfolgung von Salafisten passiert zu einem großen Teil über außergesetzliche Mechanismen, vor allem in Tschetschenien, wo seit Anfang der 2000er Jahre zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen und außergerichtlichen Hinrichtungen von Vertretern eines 'nicht traditionellen Islam’ stattfanden, der jedoch oft keine Verbindung zum terroristischen Untergrund hatte (Memorial
10.2020) . Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer als jene z.B. in Dagestan, wo der isla- mistische Widerstand sein Zentrum hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens und bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Von tschetschenischen Sicherheitskräften werden Entführungen begangen. In Tschetschenien selbst ist der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan. Die Kämpfer würden im Allgemeinen auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).
Nach dem terroristischen Anschlag auf Grosny am 4.12.2014 nahm Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft. Kadyrow verlautbarte auf Insta- gram kurz nach der Tat, dass, wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des 'Komitees gegen Folter’, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden sind (Standard.at 14.12.2014; vgl. Meduza 31.10.2017). Es handelte sich um 15 niedergebrannte Häuser (The Telegraph 17.1.2015; vgl. Meduza 31.10.2017). Ein weiterer Fall ist das 2016 niedergebrannte Haus von Ramasan Dschalaldinow. Er hatte sich in einem Internetvideo bei Präsident Putin über Behördenkorruption und Bestechungsgelder beschwert (RFE/RL 18.5.2016; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Ebenso wurden im Jahr 2016 nach einem Angriff von zwei Aufständischen auf einen Checkpoint in der Nähe von Grosny die Häuser ihrer Familien niedergebrannt (US DOS 3.3.2017). Auch Human Rights Watch berichtet im Jahresbericht 2016, dass Häuser niedergebrannt wurden [damit sind wohl die eben angeführten Fälle gemeint] (HRW 12.1.2017). Die Jahresberichte für das Jahr 2014 von Amnesty International (AI), US Department of States (US DOS), Human Rights Watch (HRW) und Freedom House (FH) berichten vom Niederbrennen von Häusern als Vergeltung für die oben genannte Terrorattacke auf Grosny vom Dezember 2014. 2017, 2018, 2019 und 2020 gab es in den einschlägigen Berichten keine Hinweise auf das Niederbrennen von Häusern (AI 22.2.2018, US DOS 20.4.2018, HRW 18.1.2018, FH 1.2018, US DOS 13.3.2019, HRW 17.1.2019, FH 4.2.2019, HRW 14.1.2020, FH 4.3.2020, US DOS 11.3.2020, HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021, AI 16.4.2020, AA 2.2.2021).
Von einer Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges einzig und allein aufgrund ihrer Teilnahme an Kriegshandlungen ist heute im Allgemeinen nicht mehr auszugehen. Laut einer Analyse des Journalisten Vadim Dubow aus dem Jahr 2016 emigrierten die meisten Tschetschenen aus rein ökonomischen Gründen: Tschetschenien ist zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht erstreckt sich allerdings nicht über die Grenzen Tschetscheniens hinaus. Dieser Analyse wird von anderen Experten widersprochen. Wirtschaftliche Gründe spielten demnach eine untergeordnete Rolle bei der Entscheidung, Tschetschenien zu verlassen. Andere Kommentatoren verweisen wiederum auf die Rivalität zwischen verschiedenen islamischen Strömungen in Tschetschenien, insbesondere zwischen dem traditionellen Sufismus und dem als Fremdkörper kritisierten Salafismus. Menschenrechtsaktivisten wiederum sehen in der Darstellung von Asylwerbern aus Tschetschenien als Wirtschaftsflüchtlinge eine Strategie des regionalen Oberhaupts Kadyrow (ÖB Moskau 6.2020). Aktuelle Beispiele zeigen jedoch, dass Kadyrow gegen bekannte Kritiker, die manchmal auch der Republik Itschkeria zuzurechnen sind, auch im Ausland vorgeht (CACI 25.2.2020). Beispielsweise wurde im August 2019 der ethnische Tschetschene Selimchan Changoschwili aus dem georgischen Pankisi-Tal in Berlin auf offener Straße ermordet. Er hat im zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft und dürfte nicht, wie teilweise in den Medien kolportiert, Islamist gewesen sein, sondern ein Kämpfer in der Tradition der Republik Itschkeria. Auch soll er damals enge Verbindungen zu dem damaligen moderaten Präsidenten Aslan Maschadow gehabt haben (Tagesschau.de 28.8.2019). Der sehr prominente tschetschenische Separatistenpolitiker im Exil, Achmad Sakaew [Ministerpräsident der tschetschenischen Exilregierung und Vertreter von Itschkeria], gab 2020 eine Erklärung ab, in der er Folterungen in Tschetschenien verurteilte. Die tschetschenischen Behörden zwangen Sakaews Verwandte sofort, sich öffentlich von ihm loszusagen (HRW 13.1.2021).
Ramsan Kadyrow droht öffentlich und ungestraft damit, Bloggerwegen der Verbreitung von 'Zwietracht und Klatsch’ einzuschüchtern, ins Gefängnis zu stecken und zu töten (AI 16.4.2020). Ein Beispiel hierfür ist der wohl populärste Kritiker Kadyrows. Der Blogger Tumso Abdurach- manow wird häufig von hochrangigen Leuten aus Kadyrows Umfeld bedroht und angegriffen (Deutschlandfunk.de 11.3.2019). Mitte 2019 erklärte der Vorsitzende des tschetschenischen Parlaments und enger Vertrauter von Ramsan Kadyrow, Magomed Daudov (auch bekannt als ’Lord’), dem Blogger die Blutfehde (BBC 27.2.2020), nachdem Abdurachmanow den verstorbenen Vater von Ramsan Kadyrow, Achmad Kadyrow, als Verräter bezeichnet hatte (RFE/RL
27.2.2020) . Im Februar 2020 wurde Abdurachmanow in seiner Wohnung von einem mit einem Hammer bewaffneten Mann angegriffen. Er konnte den Angreifer abwehren und hat überlebt (BBC 27.2.2020; vgl. RFE/RL 27.2.2020). Ein anderer Blogger wurde Anfang des Jahres 2020 mit 135 Stichwunden tot in einem Hotel im französischen Lille gefunden (SZ 4.2.2020; vgl. Zeit.de 5.7.2020). Der aus Tschetschenien stammende Imran Aliew war als Blogger unter dem Namen ’Mansur Stary’ bekannt (Caucasian Knot 28.5.2020). Nach einem Bericht des kaukasischen Internetportals Caucasian Knot hatte der Blogger sich in seiner früheren Heimat unbeliebt gemacht. Auf Youtube hatte der Tschetschene Ramsan Kadyrow und dessen Familie scharf kritisiert (Kleine Zeitung 3.2.2020). Im Juli 2020 wurde in Gerasdorf bei Wien ein weiterer politischer Blogger getötet. Der Mann, der sich Ansur aus Wien nannte, hat auf Youtube mehrere Videos veröffentlicht, in denen er den tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow kritisierte. Die Angehörigen in Tschetschenien haben sich - vermutlich unter Druck - in einem Video von ihrem Verwandten distanziert. Gleichzeitig haben sie die Verantwortung für seine Tötung übernommen (Kurier.at 23.7.2020). Im September 2020 wurde Salman Tepsurkaew, Moderator eines Tschetschenien-kritischen Telegram-Kanals aus der Region Krasnodar vermutlich gewaltsam nach Tschetschenien verbracht. Anschließend wurde im Internet ein Video zirkuliert, auf dem er sich - offenbar unter Zwang - selbst sexuell erniedrigt. Er ist seitdem verschwunden, und tschetschenische Behörden verweigern bislang eine Aufklärung des Falls (AA 2.2.2021). Ein weiteres Beispiel ist der prominente Menschenrechtsaktivist und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien, Ojub Titiew, der nach Protesten aus dem In- und Ausland inzwischen unter Auflagen aus der Haft entlassen wurde. Er war wegen (wahrscheinlich fingierten) Drogenbesitzes im März
2019 zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Er selbst und Familienangehörige haben nach Angaben von Memorial Tschetschenien verlassen (AA 2.2.2021).
Ein Sicherheitsrisiko für Russland stellt die Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut diversen staatlichen und nicht-staatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere Tausend Personen umfasste. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten nach Russland zurückkehren, wird gerichtlich vorgegangen. Der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB informierte im Dezember 2019, dass ca. 5.500 russische Bürger sich im Ausland einer terroristischen Organisation angeschlossen und an Kriegshandlungen teilgenommen haben und dass gegenüber 4.000 in Russland eine Strafverfolgung eingeleitet wurde. Von 337 zurückgekehrten Kämpfern sind 224 bereits verurteilt und 32 festgenommen worden. Etwa 3.000 der insgesamt 5.000 Kämpfer stammten aus dem Nordkaukasus. Laut einem Bericht des Conflict Analysis & Prevention Center vom März
2020 wurde von den Tausenden Kämpfern, die aus dem Nordkaukasus nach Syrien oder in den Irak zogen, der Großteil getötet. In den letzten Jahren repatriiert Russland aktiv die Kinder und zum Teil auch die Ehefrauen dieser Kämpfer zurück nach Russland. Laut einer Pressemeldung vom August 2020 wurden bisher 122 russische Kinder aus dem Irak und 35 aus Syrien nach Russland zurückgebracht, die Rückholung weiterer Kinder ist geplant. Der Umgang mit Familienangehörigen von (ehemaligen) Kämpfern variiert von Region zu Region. Die Maßnahmen reichen von Beobachtung, über soziale Diskriminierung bis zu strafrechtlichen Verurteilungen (ÖB Moskau 6.2020).
Laut einem Experten für den Kaukasus kehren nur sehr wenige IS-Anhänger nach Russland zurück. Bei einer Rückkehr aus Gebieten, die unter Kontrolle des sogenannten IS stehen, werden sie strafrechtlich verfolgt. Nachdem der sogenannte IS im Nahen Osten weitgehend bezwungen wurde, besteht die Möglichkeit, dass überlebende IS-Kämpfer nordkaukasischer Provenienz abgesehen von einer Rückkehr nach Russland entweder in andere Konfliktgebiete weiterziehen oder sich der Diaspora in Drittländern anschließen könnten. Daraus kann sich auch ein entsprechendes Sicherheitsrisiko für Länder mit umfangreichen tschetschenischen Bevölkerungsanteilen ergeben (ÖB Moskau 6.2020).
Quellen:
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• AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff 15.3.2021
• BBC (27.2.2020): Chechen blogger Tumso Abdurakhmanov ’survives hammer attack’, https://ww w.bbc.com/news/world-europe-51656571 , Zugriff 15.3.2021
• CACI - Central Asia-Caucasus Analyst (25.2.2020): Kadyrov Continues to Target Enemies Abroad, http://www.cacianalyst.org/publications/analytical-articles/item/13605-kadyrov-continues-to-target- enemies-abroad.html , Zugriff 15.3.2021
• Caucasian Knot (28.5.2020): Ramzan Kadyrov offers forgiveness to Ichkeria supporters amid killings in Europe, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/51025/ , Zugriff 15.3.2021
• Caucasian Knot (25.1.2017): KagbipoB pa3pewun neneHCKUM cunoBMKaM CTpeasTb 6e3 npeflynpewfleHus [Kadyrow hat den tschetschenischen Sicherheitskräften erlaubt, ohne Vorwarnung zu schießen], zitiert nach: ACCORD (7.7.2017): a-10223, https://www.ecoi.net/de/dokument /1406510.html , Zugriff 15.3.2021
• Deutschlandfunk.de (11.3.2019): Youtube-Blogger Abdurachmanov droht Abschiebung, https://ww w.deutschlandfunk.de/kadyrow-kritiker-in-polen-youtube-blogger-abdurachmanov.795.de.html?d ram:article_id=442725 , Zugriff 15.3.2021
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Meinungs- und Pressefreiheit, Internet
Letzte Änderung: 28.05.2021
Meinungs- und Pressefreiheit sind zwar verfassungsrechtlich garantiert (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2020), die Wahrnehmung ist in der Praxis jedoch durch ein ständig dichter werdendes Netz einschränkender und bestrafender Vorschriften begrenzt (AA 2.2.2021). Das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde 2019 in Gesetz und Praxis weiter eingeschränkt, unter anderem durch zusätzliche Restriktionen im Internet und neue Repressalien gegen Online-Dissidenten. Die Anwendung der Rechtsvorschriften zur Meinungsäußerung auf staatliche Medien und Behörden unterschied sich immer stärker von ihrer Anwendung auf kritische Medien, die abweichende Meinungen äußerten. Während die 'Aufstachelung zu Hass und Feindschaft' (Paragraf 282 des Strafgesetzbuches) im Januar 2019 teilweise entkriminalisiert wurde, erfolgte bei anderen strafrechtlichen Bestimmungen, darunter Paragraf 280 (öffentliches Anstiften zu 'extremistischen'
Handlungen), weiterhin eine selektiveAnwendung gegenAndersdenkende. Nach einem im März 2019 verabschiedeten neuen Gesetz wurden die 'Verbreitung von Falschnachrichten’ und die 'Beleidigung’ des Staates, seiner Symbole und Organe im Internet zu Ordnungswidrigkeiten, die mit hohen Geldbußen geahndet werden. In der Folge wurden bis Dezember 2019 über 20 Personen mit Geldbußen belegt, vor allem wegen Kritik am Präsidenten. Dagegen waren die Verleumdung von Regierungskritikern und die Verbreitung von ’Falschnachrichten’ über sie in den staatlich kontrollierten Medien an der Tagesordnung (AI 16.4.2020). Ein weiteres Mittel der staatlichen Behörden, gegen kritische Stimmen in der Medienlandschaft vorzugehen, ist die 2012 verabschiedete Gesetzgebung zum Extremismus (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021, AI 16.4.2020). Sie sollte ursprünglich dabei helfen, rassistische und terroristische Straftaten im Land einzudämmen, wird von den Behörden jedoch aufgrund ihrer vagen Formulierung häufig überschießend angewendet. Diese Einschränkung der Grundrechte führt zu einem schwindenden Raum für eine unabhängige Zivilgesellschaft und ist durch ein hartes Durchgreifen gegen unabhängige politische Stimmen gekennzeichnet (ÖB Moskau 6.2020). Auch die 'Bedrohung der nationalen Sicherheit’ dient regelmäßig als Rechtfertigung für Eingriffe in die Pressefreiheit und andere Grundrechte. Selbst ein schlichtes ’liken’ oder ’retweeten’ eines Beitrags, den die Behörden als ’extremistisch’ einstufen, kann zu Strafen führen (AA 2.2.2021), darunter z.B. Kommentare über die Illegalität der Annexion der Krim (ÖB Moskau 6.2020). Das oben erwähnte Gesetz zur ’Verbreitung von Falschnachrichten’ sanktioniert die Verbreitung von ’fake news’, die eine Gefährdung für Leib und Leben der Bevölkerung darstellen. Es wurden zahlreiche Strafen verhängt und der Strafrahmen im März 2020 erhöht (höhere Geldstrafen; bis zu fünf Jahre Haft). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurde diese Gesetzgebung noch ausgedehnt. Seit April 2020 ist auch die Verbreitung von ’fake news’ zur Pandemie strafbar (AA 2.2.2021; vgl. HRW 13.1.2021, FH 14.10.2020). Nach einer Schätzung haben die Behörden innerhalb von drei Monaten mindestens 170 Verwaltungs- und 42 Strafverfahren wegen angeblicher Online-Ver- breitung von Falschinformationen über Covid-19 eingeleitet (HRW 13.1.2021). Im Frühjahr 2020 setzte die Regierung auch Überwachungssysteme ein, angeblich um das COVID-19-Quaran- täneregime durchzusetzen (FH 14.10.2020). Die staatliche Kontrolle von Internet und sozialen Medien wird zunehmend verschärft (AA 2.2.2021; vgl. HRW 13.1.2021, FH 14.10.2020).
Ein Großteil der staatlichen Fernseh- und Printmedien steht unter staatlicher oder staatsnaher Kontrolle (ÖB Moskau 6.2020; vgl. GIZ 1.2021a, FH 3.3.2021). Die wenigen unabhängigen bzw. kritischen Medien (z.B. TV-Sender Doschd, Radiosender Echo Moskwy, Zeitung Nowaja Gazeta) werden mit administrativen und finanziellen Mitteln unter Druck gesetzt (ÖB Moskau 6.2020; vgl. GIZ 1.2021a, FH 3.3.2021). Kritische Journalisten sind in Russland mit Drohungen, physischer Gewalt und Verhaftungen konfrontiert (ÖB Moskau 6.2020; vgl. GIZ 1.2021a, FH 3.3.2021). Insbesondere kommt es auch im Nordkaukasus mitunter zu physischen Attacken und Verfolgung von Journalisten. Der Großteil dieser Fälle bleibt ungeklärt (ÖB Moskau
6.2020) . Angriffe, Verhaftungen, Razzien in Büros und Drohungen gegen Journalisten sind weit verbreitet, und die Behörden richteten sich 2020 aktiv gegen Journalisten außerhalb Moskaus (FH 3.3.2021). Immer wieder gibt es Berichte über Angriffe auf Journalisten oder Todesfälle unter gewaltsamen Umständen. Journalisten werden manchmal auch infolge ihrer beruflichen Tätigkeit verhaftet und z.B. wegen angeblicher Drogenvergehen oder terrorismusbezogener
Anklagen strafrechtlich verfolgt. Gegen die auf Tschetschenien spezialisierte Journalistin Jelena Milaschina wurden vonseiten des tschetschenischen Oberhaupts Ramsan Kadyrow im April 2020 Morddrohungen ausgesprochen (ÖB Moskau 6.2020).
Im Herbst 2017 wurde eine gesetzliche Grundlage zur Listung gewisser ausländischer Medien als ausländische Agenten geschaffen. Eine im November 2019 beschlossene Gesetzesnovelle ermöglicht es, auch natürliche Personen, die Nachrichten von Medien, welche bereits als ausländische Agenten eingetragen sind, verbreiten (z.B. Journalisten, Blogger, etc.), als ausländische Agenten zu qualifizieren. Ausländischen Personen bzw. Unternehmen ist es nach Änderungen im Gesetz über die Massenmedien seit 2014 verboten, mehr als 20% der Anteile an russischen Medien zu halten. Zahlreiche Internetseiten wurden aufgrund des Verdachts extremistischer Inhalte ohne vorhergehenden Gerichtsbeschluss von der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor gesperrt (ÖB Moskau 6.2020). Im November 2020 wurde dem Parlament ein neuer Gesetzentwurf vorgelegt, der den Behörden die Befugnis geben soll, Webseiten zu blockieren, die russische staatliche Medieninhalte zensiert haben. Zu den genannten Webseiten zählen Twitter, Facebook und YouTube (HRW 13.1.2021). Auch verschlüsselte E-Mail-Dienste wurden blockiert (FH 14.10.2020).
Mehrere Personen, von denen viele politisch nicht aktiv waren, wurden unter der erwähnten Anti-Extremismus-Gesetzgebung verurteilt, beispielsweise weil sie in sozialen Medien Kommentare anderer Nutzer befürwortet hatten. Im Jänner 2019 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, mit welcher der Paragraf 282 des Strafgesetzbuches über die Erregung von Hass aufgrund der Rasse, Religion oder anderer Merkmale (Volksverhetzung) abgeschwächt wurde. Nur wenn jemand innerhalb eines Jahres mehrmals 'extremistischen Inhalt’ veröffentlicht oder verbreitet hat, kann ein Strafverfahren eröffnet werden. Passiert das zum ersten Mal, drohen statt mehrjähriger Gefängnisstrafen lediglich Bußgelder oder Arrest. Im Mai 2020 wurde eine neue Strategie zur Extremismusbekämpfung bis 2025 unterzeichnet. Darin wird Extremismus als eine der Hauptgefahren für die verfassungsmäßige Ordnung des Staates bezeichnet. Als Gefährdung der Stabilität der russischen Gesellschaft wird auch die Tätigkeit einzelner ausländischer NGOs im Zusammenhang mit der Verbreitung extremistischer Ideologien bezeichnet (ÖB Moskau 6.2020). Im November 2019 trat das Gesetz über das 'Souveräne RuNet’ in Kraft, das es den russischen Behörden ermöglichen soll, in Krisensituationen die Nachrichtenströme im Internet vollständig zu kontrollieren. Im Dezember 2019 unterzeichnete Präsident Wladimir Putin ein neues Gesetz, nach dem sich alle Bürger als 'ausländischer Agent’ registrieren lassen müssen, die Informationen ausländischer Medien oder 'Agenten’ weiterverbreiten und Gelder aus dem Ausland erhalten. Verstöße gegen diese Bestimmung werden mit Geldstrafen von bis zu 5.000.000 Rubel (etwa 80.000 Euro) geahndet (AI 16.4.2020).
In den Internetmedien, die weiterhin beträchtliche Wachstumsraten aufweisen, hat sich eine erhebliche Dynamik entfaltet. 78% der erwachsenen russischen Bevölkerung nutzt das Internet. Die IT-Versorgung des Landes ist eine der Prioritäten der Regierung. Dennoch bleibt es vorerst ein großstädtisches Phänomen. Der Einfluss der Internetmedien und der Blogger-Szene (wie z.B. Projekt Snob, Alexej Nawalny), als Ventil für unabhängige und kritische Meinungsäußerungen, wächst (GIZ 1.2021a). Die Medienbehörde Roskomnadzor stellte ihre Bemühungen zur Schließung des verschlüsselten Nachrichtendienstes Telegram ein und hob das zwei Jahre alte Verbot der Plattform im Juni 2020 auf. Die Aufhebung des Verbotes hängt mit der Zusammenarbeit des Unternehmens in Terrorismusfällen zusammen (FH 3.3.2021).
In einem weltweiten Ranking zur Pressefreiheit 2020 nimmt die Russische Föderation derzeit den 149. Platz von 180 Ländern und Territorien ein (RoG 2020). Reporter ohne Grenzen veröffentlichte seine Liste der 20 schlimmsten 'digitalen Raubtiere’ der Pressefreiheit im Jahr 2020 - 'Unternehmen und Regierungsbehörden, die digitale Technologie einsetzen, um Journalisten auszuspionieren und zu belästigen und damit unsere Fähigkeit zu gefährden, Nachrichten und Informationen zu erhalten’. Russland findet sich auf dieser Liste (RoG 12.3.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.3.2021
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 24.3.2021
• FH - Freedom House (14.10.2020): Bericht zur Freiheit digitaler Medien und des Internet (Berichtszeitraum Juni 2019 - Mai 2020) - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2039111.html , Zugriff 24.3.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 24.3.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 24.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 -Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 24.3.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf#p age=25&zoom=auto,-259,684 , Zugriff 24.3.2021
• RoG - Reporter ohne Grenzen (2020): 2020 World Press Freedom Index, https://rsf.org/en/ranki ng_table , Zugriff 24.3.2021
• RoG - Reporter ohne Grenzen (12.3.2020): RSF unveils 20/2020 list of press freedom’s digital predators, https://rsf.org/en/news/rsf-unveils-202020-list-press-freedoms-digital-predators , Zugriff
24.3.2021
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung: 28.05.2021
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind verfassungsrechtlich garantiert, werden durch lokale Behörden in der Praxis jedoch häufig eingeschränkt (US DOS 11.3.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2020, FH 3.3.2021). Die Organisation ungenehmigter Protestveranstaltungen zieht regelmäßig die Verhaftung der Organisatoren und die Verhängung von Geld- oder mehrwöchigen administrativen Arreststrafen nach sich (AA 2.2.2021). Das Gesetz sieht harte Strafen für nicht genehmigte Proteste und andere Verstöße gegen das öffentliche Versammlungsrecht vor - bis zu 300.000 Rubel (ca. 4.000€) für Einzelpersonen, 600.000 Rubel (8.000€) für Veranstalter und eine Million Rubel (13.600€) für Gruppen oder Unternehmen. Demonstranten mit mehreren Verstößen innerhalb von sechs Monaten können mit einer Geldstrafe von bis zu einer Million Rubel (13.600€) belegt oder für bis zu fünf Jahre inhaftiert werden (USDOS 11.3.2020). Ausnahmen wie die Demonstrationen gegen die Festnahme und Amtsenthebung eines Provinzgouverneurs in Chabarowsk, gegen die im Sommer 2020 lange nicht eingeschritten wurde, bestätigen diese Regel. Wiederholte Verstöße gegen die Vorschriften zur Organisation oder Durchführung von Versammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen, Märschen oder auch Mahnwachen können strafrechtlich geahndet werden (bis zu drei Jahre Lagerhaft). Zudem kam es 2019/2020 zu Verurteilungen von Demonstranten wegen angeblicher Gewalt gegen Polizeibeamte, von denen einige nach öffentlichen Protesten und der Veröffentlichung von Videos aufgehoben wurden (AA 2.2.2021). Im Dezember 2020 verabschiedete die Duma zwei neue Gesetze, die Mahnwachen für Einzelpersonen verbieten und die Protestorganisatoren dazu auffordern, umfangreiche Unterlagen auszufüllen (FH 3.3.2021).
Kundgebungen und Demonstrationen von oppositionellen Gruppen werden entweder nicht genehmigt oder müssen abseits zentraler Plätze stattfinden. Gleichzeitig zeigen die Behörden eine zunehmende Intoleranz gegenüber nicht genehmigten Demonstrationen (ÖB Moskau 6.2020; FH 3.3.2021). Im Sommer 2019 kam es in Moskau zu einer Reihe von - zum Teil nicht genehmigten - Protestaktionen mit bis zu 60.000 Teilnehmern, nachdem zahlreiche oppositionelle Kandidaten nicht zur Wahl zum Moskauer Stadtparlament am 8. September zugelassen worden waren. Mehr als tausend Personen wurden festgenommen, gegen einige wurde ein Strafverfahren eröffnet. Mehrere Angeklagte wurden zu Haftstrafen verurteilt, darunter Personen, welche die Menschenrechtsorganisation Memorial zu politischen Gefangenen erklärt hat. Kreml-freundliche Gruppierungen hingegen berichten nicht über Probleme, entsprechende Genehmigungen der Moskauer Stadtverwaltung für Demonstrationen an zentralen Plätzen der Stadt zu erhalten (ÖB Moskau 6.2020; vgl. Zeit Online 2.8.2019).
Aufgrund der zunehmenden Entfremdung der Bevölkerung von den Behörden nahm die Zahl der Straßenproteste zu. Dabei geht es neben politischen Themen immer öfter auch um lokale wirtschaftliche, soziale oder ökologische Fragen wie z.B. die Abfallentsorgung. Es wurden jedoch auch allgemeinere politische Forderungen gestellt. Die Behörden reagieren darauf oft mit der Verweigerung der (im Gesetz verbindlich vorgeschriebenen) Genehmigung für öffentliche Versammlungen, der Auflösung friedlicher Versammlungen und der administrativen und strafrechtlichen Verfolgung der Organisatoren und Teilnehmenden. Diese Behandlung friedlich demonstrierender Menschen löste wiederum eine große öffentliche Solidarität mit ihnen aus (AI
16.4.2020) .
In Bezug auf die Vereinigungsfreiheit ist zu sagen, dass öffentliche Organisationen ihre Statuten und die Namen ihrer Leiter beim Justizministerium registrieren müssen. Die Finanzen der registrierten Organisationen werden von den Steuerbehörden überprüft, und ausländische Gelder müssen registriert werden [bez. Organisationen siehe auch Kapitel NGOs und Menschenrechtsaktivisten] (US DOS 11.3.2020). Obwohl Gewerkschaftsrechte rechtlich geschützt sind, sind sie in der Praxis eingeschränkt. In führenden Branchen, einschließlich der Automobilherstellung, kam es zu Streiks und Protesten der Arbeiter, aber gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung und Repressalien sind weit verbreitet. Arbeitgeber ignorieren häufig Kollektivverhandlungsrechte.
Der größte Gewerkschaftsverband arbeitet eng mit dem Kreml zusammen, obwohl in einigen Industriesektoren und Regionen unabhängige Gewerkschaften tätig sind (FH 3.3.2021).
Oppositionspolitiker und -aktivisten werden häufig mitfabriziertenAnklagen und anderen Formen administrativer Belästigung konfrontiert, die ihre Teilnahme am politischen Leben verhindern sollen. Alexej Nawalny wurde im August 2020 mit einem Nervengift vergiftet, als er Korruption und Kampagnen in Sibirien untersuchte. Später gab es Beweise dafür, dass der Anschlag vom Inlandsgeheimdienst FSB durchgeführt worden war. Nawalny musste nach Deutschland evakuiert werden, um zu verhindern, dass die Behörden in seine Behandlung eingreifen (FH
3.3.2021) . Die Vergiftung Nawalnys führte zu einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen Russlands zur Europäischen Union (HRW 13.1.2021). Als Nawalny in seine Heimat im Jänner 2021 zurückkehrte, wurde er festgenommen, weil er während seiner Abwesenheit gegen Bewährungsauflagen aus einer früheren Verurteilung wegen Untreue verstoßen haben soll. Ein Gericht wandelte die frühere Bewährungsstrafe in eine Haftstrafe um. Die Verurteilung wurde international scharf kritisiert und wird auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als ungerechtfertigt angesehen. Alexej Nawalny wurde zu mehr als zweieinhalb Jahren Haft in einem Straflager verurteilt (Standard.at 28.2.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 26.3.2021
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 26.3.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 26.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 -Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 26.3.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf#p age=25&zoom=auto,-259,684 , Zugriff 26.3.2021
• Standard.at (28.2.2021): Regierungskritiker Nawalny in russisches Straflager überstellt, https: //www.derstandard.at/story/2000124540577/regierungskritiker-nawalny-in-russisches-straflager-u eberstellt, Zugriff 26.3.2021
• US DOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff
26.3.2021
• Zeit Online (2.8.2019): Moskau genehmigt zwei Großkundgebungen, https://www.zeit.de/politik/ ausland/2019-08/russland-moskau-proteste-kundgebungen-demonstrationen-polizei , Zugriff
26.3.2021
Haftbedingungen
Letzte Änderung: 08.06.2021
Straftäter werden entweder in sogenannten Ansiedlungskolonien (ähnelt dem freien Vollzug), Erziehungskolonien, Besserungsheileinrichtungen, Strafkolonien mit allgemeinem, strengem oder besonderem Regime (hier sitzt der ganz überwiegende Anteil der Häftlinge ein), oder in einem Gefängnis untergebracht (AA 2.2.2021). Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 1990er Jahre langsam, aber kontinuierlich verbessert. Die Haftbedingungen entsprechen aber zum Teil noch immer nicht den allgemein anerkannten Mindeststandards. Im Piloturteil-Verfahren des EGMR zum Fall ’Ananjew und andere gegen Russland’ hat das Gericht festgestellt, dass die Bedingungen in den Untersuchungsgefängnissen (russ. SIZO) einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung gemäß Art. 3 EMRK entsprechen und das Problem systemischer Natur ist. Im März 2017 veröffentlichte die Föderale Strafvollzugsbehörde (FSIN) einen Bericht, laut welchem die Zahl der Selbstmorde und der Erkrankungen mit direkter Todesfolge aufgrund verbesserter Bedingungen im Jahr 2016 um 12% bzw. 13% gesunken ist. Menschenrechtsverteidiger äußerten jedoch Zweifel an diesen Zahlen (ÖB Moskau 6.2020). Gefangene können Beschwerden bei öffentlichen Aufsichtskommissionen oder beim Büro der Ombudsperson einreichen. Aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen wird diese Option aber nicht immer genutzt. Aktivisten berichten, dass nur Gefangene, die glauben, keine andere Option zu haben, die Konsequenzen einer Beschwerde riskieren. Beschwerden, die bei den Aufsichtskommissionen eingingen, konzentrierten sich häufig auf geringfügige persönliche Anfragen. Die Behörden gestatten Vertretern der öffentlichen Aufsichtskommissionen regelmäßig, Gefängnisse zu besuchen, um die Haftbedingungen zu überwachen. Es gibt in fast allen Regionen öffentliche Aufsichtskommissionen. Menschenrechtsaktivisten äußern sich besorgt darüber, dass einige Mitglieder der Kommissionen behördennahe Personen sind und Personen, die in der Strafverfolgung arbeiten. Laut Gesetz haben Mitglieder von Aufsichtskommissionen das Recht, Insassen in Haftanstalten und Gefängnissen mit ihrer schriftlichen Genehmigung auf Video aufzunehmen und zu fotografieren. Mitglieder der Kommission können auch Luftproben sammeln, andere Umweltinspektionen durchführen, Sicherheitsbewertungen durchführen und Zugang zu psychiatrischen Einrichtungen in Gefängnissen erhalten. Es gibt Berichte, dass die Gefängnisbehörden die Mitglieder der Aufsichtskommissionen daran hindern, Beschwerden von Gefangenen entgegenzunehmen (US DOS 11.3.2020).
Die häufigsten Vorwürfe betreffen die schlechten hygienischen Zustände, den Mangel an medizinischer Betreuung, den akuten Platzmangel (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021, FH
3.3.2021, US DOS 11.3.2020), Misshandlungen durch Aufsichtspersonen (ÖB Moskau 6.2020; vgl. FH 3.3.2021, US DOS 11.3.2020), Korruption und fehlende Resozialisierungsmaßnahmen (ÖB Moskau 6.2020). Bei einem Haftbesuch der österreichischen Botschaft in einem Untersuchungsgefängnis in Moskau im Dezember 2019 wurden etwa die beengten Verhältnisse, die fehlende Privatsphäre, schleppende medizinische Betreuung und die unzureichenden Besuchsmöglichkeiten auch für den Rechtsbeistand moniert (ÖB Moskau 6.2020). Kritisiert werden auch die Bedingungen bei der Verbringung von Häftlingen in oft weit entfernte Strafkolonien (ÖB Moskau 6.2020). 2020 ist eine Gesetzesnovelle, gemäß dieser Häftlinge in Russland ihre Haftstrafe in der Nähe ihres Wohnorts oder in der Nähe des Wohnorts ihrer Angehörigen verbüßen sollen, in Kraft getreten (ÖB Moskau 6.2020).
Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Häftlinge stetig gesunken, von über 1 Mio. auf ca. 520.000 im Februar 2020. Dennoch ist Russland mit 360 Häftlingen auf 100.000 Einwohner in Europa immer noch führend. Ca. 18% der Häftlinge befinden sich in Untersuchungshaftanstalten (ÖB Moskau 6.2020). In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der Häftlinge kontinuierlich um durchschnittlich 32.000 pro Jahr gesunken (WPB 8.3.2019). Die Regierung ist bestrebt, die Anzahl der Gefängnisinsassen weiter zu verringern. So gibt es Ansätze, vermehrt alternative Sanktionen (wie beispielsweise im Bereich der Drogendelikte einen Gesetzesentwurf zu freiwilliger Entziehungstherapie oder Arbeitseinsätze statt Freiheitsstrafen) zu verhängen, um die Anzahl der Strafgefangenen zu verringern. Die Lage in den Strafkolonien ist sehr unterschiedlich; sie reicht von Strafkolonien mit annehmbaren Haftbedingungen bis zu solchen, die laut NGOs als ’Folterkolonien’ berüchtigt sind. Hauptprobleme sind Überbelegung (in Moskau, weniger in den Regionen), qualitativ schlechtes Essen und veraltete Anlagen mit den einhergehenden hygienischen Problemen. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen. In den Strafkolonien schützt die Unterbringung in Gruppen den einzelnen Häftling am ehesten vor schikanöser Behandlung durch das Gefängnispersonal. Laut Menschenrechtsorganisationen kann jedoch in allen Strafkolonien gegen Häftlinge, denen Verstöße gegen die Anstaltsregeln vorgeworfen werden, sogenannte Strafisolierhaft (Schiso) angeordnet werden. Häftlinge sind in dieser Isolationshaft oft besonders üblen Haftbedingungen und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt (AA2.2.2021). Vorwürfe in Bezug auf Folter und andere Misshandlungen in den Haftanstalten werden weiterhin gemeldet. Täter werden so gut wie nie zur Verantwortung gezogen. Aus ganz Russland trafen unzählige Foltervorwürfe ein. Im Dezember 2019 erhielt die gemeinnützige Stiftung ’Nuschna Pomosch’ (Nötige Hilfe) von der Ermittlungsbehörde Statistiken über Folterungen in Haftanstalten. Demzufolge wurden von 2015 bis 2018 jährlich zwischen
I. 590 und 1.881 Beschwerden wegen ’Amtsmissbrauchs’ durch Strafvollzugsbeamte verzeichnet. Nur bei 1,7 - 3,2% dieser Beschwerden wurden Ermittlungen durchgeführt (AI 16.4.2020).
Die medizinische Versorgung ist nicht überall befriedigend (AA 2.2.2021; vgl. US DOS
II. 3.2020). Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. Todesfälle wegen unterlassener medizinischer Hilfeleistung kommen laut NGOs vor. Die COVID-19-Prävention und die medizinische Versorgung Infizierter richten sich nach den Vorgaben des russischen Föderalen Strafvollzugsdienstes und denihm unmittelbar unterstellten Einrichtungen. Die Haftbedingungen in den Untersuchungshaftanstalten sind laut NGOs deutlich besser als in den Strafkolonien (qualitativ besseres Essen, frische Luft, wenig Foltervorwürfe). Hauptproblem ist auch hier die Überbelegung. Trotz rechtlich vorgesehener Höchstdauer verlängerten Gerichte die Haft in Einzelfällen über Jahre (AA 2.2.2021). Der Chef der föderalen Strafvollzugsbehörde (FSIN) behauptete, dass es an Personal fehle, um Menschen mit Beeinträchtigungen in Haftanstalten zu betreuen (ÖB Moskau 6.2020).
Im Allgemeinen sind die Haftbedingungen in Frauengefängnissen besser als in Männergefängnissen, aber auch diese bleiben unter dem Standard (US DOS 11.3.2020).
Russland erweiterte Anfang 2017 seinen Strafkatalog. Somit können Richter bei einigen Vergehen statt einer Haftstrafe Zwangsarbeit anordnen. Die russische Gefängnisbehörde FSIN eröffnete im Jänner 2017 vier ’Besserungszentren’ - in Sibirien, Russlands Fernost, im Kaukasus und im Wolgagebiet - und sieben Aufnahmepunkte für Zwangsarbeiter. Insgesamt bieten sie zunächst 900 Verurteilten Platz. Im Gegensatz zur Haftstrafe sind die Täter 'nicht von der Gesellschaft isoliert’. Sie können Telefon und Internet benutzen, einen Teil des verdienten Geldes behalten, einen Arzt aufsuchen und nach Verbüßung eines Drittels der Strafe auch außerhalb der Zentren mit ihren Familien zusammenleben - vorausgesetzt, sie verstoßen weder gegen ihre Arbeitspflicht noch gegen andere Auflagen. Der Konsum von Alkohol und Drogen zieht die Umwandlung der Zwangsarbeit in Haft nach sich (Handelsblatt 2.1.2017; vgl. auch Standard.at 10.1.2017).
Im Juli 2018 veröffentlichte die unabhängige Zeitung Nowaja Gazeta ein durchgesickertes Video von Strafvollzugspersonal in Jaroslawl, das einen Gefangenen brutal schlägt. Als Reaktion auf die öffentliche Empörung verhaftete die russische Kriminalpolizei bis November 15 Verdächtige. Die schnelle und effektive Untersuchung war beispiellos in Russland, wo die Behörden typischerweise Beschwerden von Gefangenen über Misshandlungen ablehnen (HRW 17.1.2019, FH 4.2.2019). Laut Freedom House veröffentlichte die NGO Public Verdict ein Video, das den anhaltenden Missbrauch in Jaroslawl zeigt. Im November 2020 verurteilten Gerichte elf Gefängniswärter wegen Folter zu drei bis vier Jahren Haft. Die Gefängnisdirektoren wurden freigesprochen (FH 3.3.2021).
Laut Berichten des 'Komitees Ziviler Beistand’ müssen Nordkaukasier in Haftanstalten außerhalb des Nordkaukasus mit Diskriminierung rechnen, was sich zum einen aus einer grundsätzlich negativen Einstellung gegenüber Nordkaukasiern speist, zum anderen darin begründet ist, dass russische Veteranen des Tschetschenienkrieges überproportional im Strafvollzug beschäftigt sind. Laut den Moskauer Vertretern des 'Komitees gegen Folter’ gibt es hingegen keine gezielte staatliche Diskriminierung. Es ist flächendeckend sichergestellt, dass muslimische Strafgefangene Zugang zu Gebetsräumen und Imamen haben. Allerdings werden außer medizinisch indizierten Ernährungsvorgaben keine anderen Speisevorschriften, seien sie religiöser oder sonstiger Art, beachtet (AA 2.2.2021).
In denjenige Fällen, in welchen die Strafverfolgung nicht sachfremd motiviert ist, oder die Sicherheitsbehörden kein besonderes Interesse haben, d.h. im Bereich 'normaler’ Kriminalität, kann davon ausgegangen werden, dass Strafverfahren in nordkaukasischen Regionen mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung (Karatschai-Tscherkessien, Kabardino-Balkarien, Inguschetien, Tschetschenien, Dagestan) ähnlich wie im Rest der Russischen Föderation verlaufen. Für muslimische Inhaftierte gestalten sich die Haftbedingungen im Nordkaukasus besser als im Rest Russlands, die Möglichkeit zur freien Religionsausübung ist für Muslime im Gegensatz zum (christlichen) Rest der Russischen Föderation gewährleistet. Zudem gelten die materiellen Bedingungen in den offiziellen Haftanstalten in Tschetschenien in der Regel als besser als in vielen sonstigen russischen Haftanstalten. Für tschetschenische Straftäter, an denen die Sicherheitsbehörden kein besonderes ’sachfremdes’ Interesse haben, dürften sich ein Gerichtsstand und eine Haftverbüßung in Tschetschenien in der Regel eher günstig auswirken, da sie neben den besseren materiellen Bedingungen auch auf den Schutz der in Tschetschenien prägenden Clanstrukturen setzen können. Dementsprechend haben tschetschenische Straftäter in der Vergangenheit wiederholt ihre Überstellung nach Tschetschenien betrieben (AA 2.2.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärti ges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russi schen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 1.3.2021
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Amnesty International Report 2019 - The State of the World’s Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff 1.3.2021
• FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html , Zugriff 11.3.2020
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
• Handelsblatt (2.1.2017): Zwangsarbeit statt Knast, https://www.handelsblatt.com/politik/internati onal/russlands-neuer-strafenkatalog-zwangsarbeit-statt-knast/19195230.html?ticket=ST-8052534 -klHgWpsWYfm2euFZS9La-ap6 , Zugriff 11.3.2020
• HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002220.html , Zugriff 11.3.2020
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 1.3.2021
• Standard.at (10.1.2017): Zwangsarbeit statt Haft in Russland, https://www.derstandard.at/story/2 000050437057/zwangsarbeit-statt-knast-in-russland , Zugriff 11.3.2020
• US DOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff
12.3.2020
• WPB - World Prison Brief (8.3.2019): Russia’s falling prison population , https://www.prisonstudie s.org/news/russia’s-falling-prison-population , Zugriff 11.3.2020
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 08.06.2021
Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit (AA 2.2.2021). Christentum, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei als 'traditionelle Religionen’ de facto eine herausgehobene Stellung (AA 2.2.2021), die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) spielt allerdings eine zentrale Rolle (AA 2.2.2021; vgl. FH 3.3.2021). Die ROK arbeitet bei bestimmten Themen eng mit der Regierung zusammen (FH 3.3.2021). Rund 68% identifizieren sich als russischorthodoxe Christen, 7% als Muslime, und 25% gehören religiösen Minderheiten an, darunter Protestanten, Katholiken, Zeugen Jehovas, Buddhisten, Juden und Baha’i (USCIRF 4.2020). Der Islam ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben zwischen 14 und 20 Millionen Muslime (ÖB Moskau 6.2020; vgl. GIZ 1.2021c). 2015 wurde von Präsident Putin in Moskau die größte Moschee Europas eröffnet, 2019 folgte eine noch größere Moschee in der tschetschenischen Stadt Schali (ÖB Moskau 6.2020).
Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die 'Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens’ sowie die 'Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus’ vertreten. Darüber hinaus sind zahlreiche andere Konfessionen, wie der Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen -, das Judentum (ca. 200.000 Gläubige) sowie von den christlichen Kirchen die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche und eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 1.2021c). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen (GIZ 1.2021c; vgl. USCIRF 4.2020). Die russische Regierung betrachtet unabhängige religiöse Aktivitäten als eine Bedrohung für die soziale und politische Stabilität des Landes und pflegt gleichzeitig bedeutende Beziehungen zu den sogenannten ’traditionellen’ Religionen des Landes. Die Regierung aktualisiert regelmäßig Gesetze, welche die Religionsfreiheit einschränken, darunter ein Religionsgesetz von 1996, ein Gesetz zur Bekämpfung des Extremismus von 2002 und neuere Gesetze über Gotteslästerung, wie beispielsweise ’Schüren von religiösem Hass’ und ’Missionstätigkeit’. Diese vagen Gesetze geben den russischen Behörden weitreichende Befugnisse, religiöse Reden oder Aktivitäten zu definieren und zu verfolgen oder religiöse Literatur zu verbieten, die sie für schädlich halten. Das Religionsgesetz legt strenge Registrierungsanforderungen an religiöse Gruppen fest und ermächtigt Staatsbeamte, die Tätigkeit der Gruppierungen zu behindern (USCIRF 4.2020).
Seit Ende der Achtzigerjahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer ’religiösen Renaissance’ bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als nicht gläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung von Kirche und Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein ’kanonisches Territorium’ verfügt. Über die Zahl der Angehörigen der ROK gibt es nur Schätzungen, die zwischen 50 und 135 Millionen Gläubigen schwanken. Wer heute in Russland seine Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche herausstellt, macht damit deutlich, dass er zur russischen Tradition steht. Das Wiedererwachen des religiösen Lebens in Russland gibt regelmäßig Anlass zu Diskussionen um die Rolle der ROK in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat (GIZ 1.2021c).
Seit einer Änderung des Anti-Extremismus-Gesetzes im Jahr 2007 gerieten bestimmte religiöse Gruppen ins Visier der russischen Behörden, vor allem die Zeugen Jehovas und islamische Gruppierungen wie Hizb ut-Tahrir, aber auch Falun Gong, Scientology, und andere. Im Zuge einer Verschärfung der anti-extremistischen Gesetzgebung im Jahr 2016 wurden die Auflagen für Missionarstätigkeiten neu geregelt (ÖB Moskau 6.2020; vgl. USCIRF 4.2020). Das AntiExtremismus-Gesetz wird auch genutzt, um Muslime - insbesondere Anhänger der islamischen
Missionsbewegung Tablighi Jamaat und Leser des türkischen Theologen Said Nursi - wegen friedlicher religiöser Aktivitäten zu verfolgen (USCIRF 4.2020).
Am 20.4.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, welche die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Im Jahr 2020 erließen russische Gerichte Dutzende Schuldsprüche gegen Zeugen Jehovas (HRW 13.1.2021). Im Laufe des Jahres 2019 wurden mindestens 17 Zeugen Jehovas verurteilt, sieben von ihnen zu Freiheitsstrafen. Viele Weitere wurden zum Beispiel mit Hausdurchsuchungen schikaniert. Einige von ihnen erklärten, während der Vernehmung gefoltert oder misshandelt worden zu sein (AI 16.4.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärti ges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russi schen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 5.3.2021
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 5.3.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 5.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 5.3.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 5.3.2021
• USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2020): 2020 Annual Report, Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028973/Russia.pdf , Zugriff 5.3.2021
Tschetschenien
Letzte Änderung: 08.06.2021
Die tschetschenische Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weitverbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islams. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013).
In Tschetschenien setzt Ramsan Kadyrow seine eigenen Ansichten bezüglich des Islams durch. Dieser soll moderat, aber streng kontrolliert sein. Salafismus und Wahhabismus duldet er nicht (USCIRF 4.2019). Die Autorität der Kadyrow-Regierung beruht auf der Wirkungskraft einer spezifischen islamischen Ideologie, die als Gegenentwurf zu den Lehren des Wahhabismus bzw. Salafismus konzipiert ist und die Gesellschaft gegen den Einfluss erstarkender fundamentalistischer Kräfte stabilisieren soll (Russland Analysen 21.9.2018). Gegen vermeintliche Extremis-
ten und deren Angehörige wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020). Die Bekämpfung von Extremisten geht laut glaubhaften Aussagen von lokalen NGOs einher mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert werden soll (AA 2.2.2021). Die strafrechtliche Verfolgung dieser Art von Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 2.2.2021; vgl. USCIRF 4.2020). Auch Verwandte, Freunde und Bekannte können ins Visier der Behörden geraten (ÖB Moskau 6.2020). Belästigungen von Muslimen bei Gottesdiensten kommen vor, ebenso wie Entführungen zur 'Kontrolle der religiösen Überzeugungen'. Dies dient der Einschüchterung der Bevölkerung (USCIRF 4.2020).
Frauen müssen sich islamisch kleiden und können in polygame Ehen gezwungen werden (USCIRF 4.2019). Polygamie kam schon in der Sowjetunion vor, allerdings nur heimlich. Nun wird sie durch die Scharia legitimiert (Welt.de 14.2.2017). Polygamie ist zwar offiziell nicht zulässig, aber durch die Parallelität von staatlich anerkannter und inoffizieller islamischer Ehe faktisch möglich (AA 2.2.2021). Die Religion verdrängt die alten Werte der traditionellen Dorfgemeinde. Der Islam wird dabei in unterschiedlichsten Formen gelebt und dient oft den Männern dazu, ihre Frauen zu unterdrücken (Welt.de 14.2.2017).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärti ges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russi schen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 9.3.2021
• BAMF-Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 9.3.2021
• ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam, S. 111-113 [vergriffen; liegt in der Staatendokumentation auf]
• Russland Analysen (21.9.2018): Der Islam als multifunktionaler Stabilitätsregulator des tschetschenischen Sozialgefüges - ein theoretisches Modell zur Wirkungsweise der Religion in Tschetschenien, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/359/der-islam-als-multifunktionaler-st abilitaetsregulator-des-tschetschenischen-sozialgefueges-ein-theoretisches-modell-zur/ , Zugriff 9.3.2021
• USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2019): 2018 Annual Report, Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008198/Tier1_RUSSIA_2019.pdf , Zugriff 20.3.2020
• USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2020): 2019 Annual Report, Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028973/Russia.pdf , Zugriff 9.3.2021
• Welt.de (14.2.2017): Immer ein echter Mann zu sein - das ist eine Last, https://www.welt.de/po litik/ausland/article161562501/Immer-ein-echter-Mann-zu-sein-das-ist-eine-Last.html , Zugriff
20.3.2020
Dagestan
Letzte Änderung: 08.06.2021
Die meisten Muslime Dagestans gehören dem Sufismus an, einer gemäßigt-mystischen Richtung im Islam. Sie hören auf Scheichs, religiöse Führer, die zwischen Gott und den Menschen vermitteln. Die Scheichs treten auch als Fürsprecher der Gläubigen vor Politikern auf. Der Sufismus ist seit vielen Jahrhunderten in Dagestan vorherrschend. Die zweitgrößte Gruppe der Muslime in Dagestan sind die Salafisten. Diese ultrakonservative Strömung breitet sich seit den 1990er-Jahren in der Region aus. Zunächst wurden sie als Wahhabiten bezeichnet. In Dagestan gibt es Schätzungen zufolge Zehntausende Salafisten, und sie haben ihre eigenen Moscheen. Die Salafisten wollen ein Kalifat bzw. einen Gottesstaat errichten. Die Sufis hingegen haben sich mit dem russischen Staat arrangiert. Die Radikalen unter den Salafisten wollen das Kalifat mit Gewalt durchsetzen und kämpfen dafür. In Dagestan gibt es einen bewaffneten islamistischen Untergrund. Seit Jahren verüben die Terroristen Anschläge gegen russische Sicherheitskräfte, es gab Hunderte Todesopfer. Sie ermordeten auch mehrere geistliche Führer der Sufis, die sich offen gegen die Ideologie der Salafisten aussprachen. Viele Salafisten in Dagestan fühlen sich zu Unrecht von den Behörden verdächtigt. Salafisten werden oft mit den Terror-Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates gleichgesetzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).
In den Republiken Inguschetien und Dagestan wurde in der Vergangenheit versucht, einen Dialog zwischen Regierung und offizieller Geistlichkeit auf der einen Seite und islamistischer Opposition auf der Gegenseite zu führen. Derzeit befindet sich die Regierung in Dagestan aber wieder in Konfrontation mit salafistischen Gemeinden. Der 'Krieg gegen Wahhabiten’, der dort schon 1999 ausgerufen worden war, hat allerdings dazu geführt, dass sich immer mehr junge Menschen zu einem puristischen, streng konservativen Islam bekennen (SWP 4.2017). Wenngleich von offizieller Seite im Jänner 2019 die praktisch vollständige Liquidierung des bewaffneten Widerstands in Dagestan verkündet wurde, kommt es immer wieder zu bewaffneten Zwischenfällen. Nach Einschätzung von Experten hat sich die Struktur des bewaffneten Widerstands geändert. Es gebe keine Lager in den Wäldern mehr, stattdessen würden Anschläge von Personen, die nach außen hin ein normales Leben führen, vorbereitet. Bewaffnete Gruppen stehen offiziellen Sicherheitsorganen gegenüber, dem Partisanenkrieg auf der einen Seite wird mit Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung auf der anderen Seite begegnet. Im Fokus der Sicherheitsbehörden stehen mutmaßliche Terroristen bzw. Anhänger extremistischer Überzeugungen (dazu zählen auch in Dagestan Zeugen Jehovas). Entführungen und Fälle plötzlichen Verschwindenlassens von Personen, Folter und außergerichtliche Tötungen kommen in Dagestan ebenso vor. Bei der Vorgehensweise bei Verhaftungen von Verdächtigen im Zuge der Terrorbekämpfung sind mitunter auch Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung. Es kommt nach wie vor zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Extremisten (ÖB Moskau 6.2020).
In Bezug auf Beobachtungslisten von Salafisten ist zu sagen, dass weder in den jüngsten Berichten der NGOs Human Rights Watch, Freedom House und Amnesty International, noch in den staatlichen Berichten der österreichischen Botschaft oder des deutschen Auswärtigen Amtes Hinweise auf die Weiterführung dieser Listen zu finden sind (HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021, AI 16.4.2020, ÖB Moskau 6.2020, AA 2.2.2021). Es gibt jedoch Berichte über Kontrollpunkte vor Moscheen, bei denen die persönlichen Daten derjenigen, die den Gottesdienst verlassen hatten, aufgenommen werden. Lokale Muslime beschreiben solche Operationen als typisch.
Diese dienen der Einschüchterung der Bevölkerung (USCIRF 4.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärti ges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russi schen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 9.3.2021
• Deutschlandfunk (28.6.2017): Salafisten contra Sufis, https://www.deutschlandfunk.de/die-religio ese-landschaft-dagestans-salafisten-contra-sufis.886.de.html?dram:article_id=389688 , Zugriff
20.3.2020
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 9.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 -Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 9.3.2021
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff 9.3.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 9.3.2021
• SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb .pdf , Zugriff 20.3.2020
• USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2020): 2020 Annual Report, Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028973/Russia.pdf , Zugriff 9.3.2021
Zeugen Jehovas
Letzte Änderung: 08.06.2021
Am 20.04.2017 billigte der Oberste Gerichtshof Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde (AA2.2.2021; vgl. AI 16.4.2020, FH 3.3.2021, USCIRF 11.2020), welche die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Die russischen Behörden gehen auch gegen Einzelpersonen und deren Religionsausübung vor (AA 2.2.2021). Bei einer Verurteilung drohen Freiheitsstrafen von zwei bis zu zehn Jahren (AA
13.2.2019) . Das Verbot der Organisation und die Folgen für die Mitglieder variieren von Region zu Region (ÖB Moskau 6.2020).
Eine Reihe von Zeugen Jehovas wurde zu Geld- und Haftstrafen verurteilt (ÖB Moskau 6.2020). Derzeit verbüßen mindestens 10 Personen Haftstrafen von bis zu sechs Jahren, in 417 Fällen wird noch strafrechtlich ermittelt, und 35 Personen befinden sich in Untersuchungshaft. In diesen Zahlen sind Personen enthalten, die auf der von Russland besetzten Krim festgenommen wurden (HRW 13.1.2021). Es gibt Berichte über Hausdurchsuchungen (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AI 16.4.2020, FH 3.3.2021, USCIRF 11.2020) und über Folter und Misshandlungen während der Vernehmung (AI 16.4.2020). Seit dem Verbot sollen über 1.000 Hausdurchsuchungen durchgeführt worden sein (ÖB Moskau 6.2020; vgl. USCIRF 11.2020). Die Behörden entzogen 2020 zwei Zeugen Jehovas die Staatsbürgerschaft, weil sie wegen Extremismus zu Haftstrafen verurteilt wurden. Sie sind nun staatenlos (HRW 13.1.2021). Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft hat wenige Tage nach einer Entscheidung des Plenums des Obersten Gerichtshofs vom November 2017, nach der Gerichte Eltern das Sorgerecht entziehen können, wenn sie ihre Kinder in die Aktivitäten einer extremistischen Organisation einbeziehen, empfohlen, Kinder, die religiös-extremistischer Ideologie ausgesetzt wurden, zu 'resozialisieren’. Das Ministerium erwähnt nur zwei Gruppen, nämlich Kinder von IS-Angehörigen und Zeugen Jehovas. Bisher ist es allerdings noch zu keinem derartigen Fall gekommen (AA 2.2.2021).
Die EU hat Russland aufgerufen, das in der Verfassung garantierte Recht auf Religionsfreiheit zu achten und den Zeugen Jehovas, genauso wie auch anderen Religionsgemeinschaften, die friedliche Religionsausübung zu ermöglichen (ÖB Moskau 6.2020).
Quellen:
• AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.2.2019): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation ,https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_155170162 3_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-fo ederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 11.3.2021
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-jjnd_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 11.3.2021
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Amnesty International Report 2019 - The State of the World’s Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff 11.3.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 11.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 11.3.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSSJÖBJBerichtJ2020J06.pdf , Zugriff 11.3.2021
• USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (11.2020): The Global Persecution of Jehovah’s Witnesses, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045309/2020 Is sue Update - Jehovahs Witnesses.pdf , Zugriff 11.3.2021
Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung: 08.06.2021
Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als 160 Völkern leben. Die Russen stellen mit 79,8% die Mehrheit der Bevölkerung. Größere Minderheiten sind Tataren (4,0%), Ukrainer (2,2%), Armenier (1,9%), Tschuwaschen (1,5%), Baschkiren (1,4%), Tschetschenen (0,9%), Deutsche (0,8%), Weißrussen und Mordwinen (je 0,6%), Udmurten (0,4%), Burjaten (0,3%) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nicht-russischen und russischen Bevölkerungsteilen durch interethnische Ehen und Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenigeGebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt. Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache. Parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet. Die Sprachen der kleinen indigenen Völker stehen unter gesetzlichem Schutz (GIZ 1.2021c). Minderheiten sind in der Regel politisch und gesellschaftlich gut integriert (AA 2.2.2021).
Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem (AA
21.5.2018) . Trotzdem werden Rechte von Minderheiten nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert, wobei etwa bei der Eintragung des Wohnsitzes und bei den Minderheitenmedien Fortschritte festzustellen sind (ÖB Moskau 6.2020). Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2020, FH 3.3.2021, BTI 2020). ’Racial profiling’ ist bei den Behörden verbreitet. Minderheiten ohne anerkannten Rechtsstatus wie z.B. Sinti und Roma sind immer wieder Opfer von Diskriminierungen auch durch staatliche Organe (AA 2.2.2021). Die Annexion der Krim 2014 sowie das aus Moskauer Sicht erforderliche Eintreten für die Belange der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine haben zu einem starken Anstieg der patriotischen Gesinnung innerhalb der russischen Bevölkerung geführt. In den vergangenen Jahren gingen die Behörden daher verstärkt gegen radikale Nationalisten vor. Dementsprechend sank auch die öffentliche Aktivität derartiger Gruppen, wie die NGO Sova bestätigt. Gestiegen ist ebenfalls die Anzahl von Verurteilungen gegen nationalistische bzw. neofaschistische Gruppierungen wie etwa die Organisation BORN (ÖB Moskau 6.2020). Vor diesem Hintergrund berichtete die NGO Sova in den vergangenen Jahren über sinkende Zahlen rassistischer Übergriffe (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). Die meisten Vorfälle gab es wie in den Vorjahren in den beiden Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Migranten aus Zentralasien, dem Nordkaukasus und dunkelhäutige Personen sind üblicherweise das Hauptziel dieser Übergriffe. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarats stellte in ihrem Bericht vom März 2019 betreffend die Situation in der Russischen Föderation fest, dass die Zahl rassistischer Morde und Gewaltverbrechen in den vergangenen Jahren gesunken ist und insbesondere Angriffe durch Neonazi-Gruppierungen stark zurückgegangen sind (ÖB Moskau 6.2020).
Im Jänner 2019 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, mit welcher der Paragraf 282 des Strafgesetzbuches über die Erregung von Hass aufgrund der Rasse, der Religion oder anderer Merkmale (Volksverhetzung), der von den Behörden zum Teil überschießend angewandt worden war (z.B. für Likes und Re-Posts auf sozialen Medien), abgeschwächt wurde. Seither ist die Zahl der Verurteilungen wegen ’Anstiftung von Hass’ deutlich zurückgegangen. Die Zahlen von strafrechtlicher Verfolgung wegen ’Aufruf zu und Rechtfertigung von Terrorismus’ und wegen ’Organisation der Tätigkeit einer extremistischen Organisation’ sind aber gestiegen (ÖB Moskau
6.2020) .
Quellen:
• AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.5.2018): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434107/4598_152811914 9_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation- stand-april-2018-21-05-2018.pdf , Zugriff 11.3.2020
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bencht_über_die_asyl-jjnd_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 23.2.2021
• BTI - Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report, Russia, https://bti-proj ect.org/content/en/downloads/reports/countryJreportJ2020JRUS.pdf , Zugriff 17.2.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 17.2.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSSJÖBJBerichtJ2020J06.pdf , Zugriff 17.2.2021
Relevante Bevölkerungsgruppen Frauen
Letzte Änderung: 08.06.2021
Artikel 19 der russischen Verfassung garantiert die Gleichstellung von Mann und Frau (ÖB Moskau 6.2020; vgl. GIZ 1.2021c). Zudem hat die Russische Föderation mehrere internationale und regionale Konventionen ratifiziert, die diese Gleichstellung festschreiben, darunter die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und ihr Zusatzprotokoll. Grundsätzlich gibt es in der Russischen Föderation keine systematische Diskriminierung von Frauen (ÖB Moskau 6.2020).
Frauen stellen in Russland traditionell die Mehrheit der Bevölkerung. Der weibliche Bevölkerungsanteil beträgt seit den 1920er Jahren zwischen 53% und 55% der Gesamtbevölkerung. Durch die Transformationsprozesse und den Übergang zur Marktwirtschaft sind die Frauen in besonderer Weise betroffen. Davon zeugt der erhebliche Rückgang der Geburtenrate. Die Veränderungen in den Lebensverhältnissen von Frauen betreffen auch den Arbeitsmarkt, denn das Risiko von Ausfallzeiten durch Schwangerschaft, Erziehungsurlaub und Pflege von Angehörigen führt oft dazu, dass Frauen trotz besserer Ausbildung seltener als Männer eingestellt werden. Das im Durchschnitt deutlich geringere Einkommen von Frauen bedeutet niedrigere Pensionen für ältere Frauen, die damit ein hohes Risiko der Altersarmut tragen (GIZ 1.2021c). Frauen mit kleinen Kindern gehören einer sozialen Gruppe an, die besonders von sozialer Unterstützung wie Lohnfortzahlung während des Mutterschutzes und dem sogenannten ’Mutterschaftskapital’ Nutzen ziehen (vgl. Kapitel Sozialbeihilfen) (Russland Analysen 21.2.2020a).
Die politische Sphäre in Russland ist von Männern dominiert (GIZ 1.2021c). Frauen sind in Politik und Regierung unterrepräsentiert. Sie halten weniger als ein Fünftel der Sitze in der Duma und im Föderationsrat. Nur drei von 31 Kabinettsmitgliedern sind Frauen (FH 3.3.2021). In Russland herrscht noch immer ein konservatives Familienbild vor - die Frau als Hausfrau und Mutter. Jedoch sind Frauen in der Realität gezwungen, auch (Vollzeit) erwerbstätig zu sein, schon allein aufgrund der hohen Scheidungsrate. Daraus folgt logischerweise auch eine große Anzahl von alleinerziehenden Frauen (Russland Analysen 21.2.2020b).
Ein ernstes Problem, das von Politik und Gesellschaft weitgehend ausgeblendet wird, stellt die häusliche Gewalt dar (ÖB Moskau 6.2020; vgl. FH 3.3.2021, HRW 10.2018). Häusliche Gewalt wird von den Behörden kaum beachtet, stattdessen werden Opfer häuslicher Gewalt, die zur Selbstverteidigung den Täter töten, häufig inhaftiert. Bis zu 80% der in Russland inhaftierten Frauen dürften unter diese Kategorie fallen (FH 3.3.2021). Es gibt in Russland sowohl staatliche Krisenzentren (Frauenhäuser) als auch gesellschaftliche Organisationen und Privatinitiativen zur Unterstützung und Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt. Das Zentrum ANNA etwa koordiniert ein informelles Netzwerk von Organisationen zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und Kinder. Darin sind über 150 regionale und lokale NGOs aktiv. Es wurde auch eine interaktive Karte mit Zentren, die betroffene Frauen in den meisten Regionen Russlands unterstützen, erstellt (ÖB Moskau 6.2020). Offizielle Studien legen nahe, dass mindestens jede fünfte Frau in Russland irgendwann in ihrem Leben körperliche Gewalt durch ihren Ehemann oder Partner erlebt hat (HRW 10.2018). Nach offiziellen Statistiken ereignen sich 40% aller schweren Gewaltdelikte innerhalb der Familien. Es gibt kein System zur Prävention und es gibt zu wenig Einrichtungen, in denen Frauen mit Kindern vorübergehend Zuflucht suchen können. Die Polizei bleibt oft passiv und geht z.B. Anzeigen nicht mit genügend Nachdruck oder zuweilen gar nicht nach (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2020, US DOS 11.3.2020, HRW 10.2018). Experten schätzen, dass 60% bis 70% der Fälle von häuslicher Gewalt nicht gemeldet werden (US DOS
11.3.2020) . Trotz der weiten Verbreitung des Problems gibt es grobe Mängel bei der Bewusstseinsbildung darüber, auch innerhalb der politischen Elite. Durch eine Gesetzesänderung im Jänner 2017, wurde häusliche Gewalt im Erstfall zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021), wenn sie zu keinen dauerhaften körperlichen Schäden führt (FH 3.3.2021). 2017 wurde die Kampagne ’We demand to adopt the domestic violence law’ gestartet, die über 900.000 Unterstützer fand. Ende 2019 wurde ein neuer Gesetzesentwurf zur Vorbeugung von häuslicher Gewalt ins russische Parlament eingebracht, dessen Behandlung bis zum Ende der Coronavirus-Epidemie aber ausgesetzt wurde. Im Jänner 2019 wurde ein EU-finanziertes Projekt des Europarats und der Russischen Föderation zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen lanciert, das auch von der russischen Ombudsfrau für Menschenrechte begrüßt wurde (ÖB Moskau 6.2020). Häusliche Gewalt bleibt lückenhaft dokumentiert und die Dienste für Überlebende sind unzureichend (HRW 13.1.2021). Mehrere Politiker und Experten, die sich für ein robustes Gesetz gegen häusliche Gewalt einsetzen, berichteten von Drohungen gegen sie und ihre Familien, unter anderem durch diejenigen, die behaupten, ’traditionelle’ oder ’familiäre’ Werte zu fördern (HRW 13.1.2021; vgl. AI 16.4.2020). Russlands Ombudsperson stellte fest, dass die häusliche Gewalt während der Covid-19-Pandemie zugenommen hat und sich die gemeldeten Fälle während des Lockdowns im Frühjahr 2020 mehr als verdoppelt haben (HRW 13.1.2021).
Vergewaltigung ist illegal und das Gesetz sieht dieselbe Strafe für einen Täter vor, egal ob er aus der Familie stammt oder nicht. Das Strafmaß für Vergewaltigung sind drei bis sechs Jahre Haft für einen Einzeltäter mit zusätzlicher Haft bei erschwerenden Umständen. Laut NGOs würden Exekutivbeamte und Staatsanwälte Vergewaltigung durch Ehemänner bzw. durch Bekannte keine Priorität einräumen (US DOS 11.3.2020). NGOs berichten außerdem, dass lokale Polizisten sich weigern würden, auf Anrufe in Bezug auf Vergewaltigung und häusliche Gewalt zu reagieren, solange sich das Opfer nicht in einer lebensbedrohlichen Situation befindet (US DOS 11.3.2020; vgl. EASO 3.2017).
NGOs stellten fest, dass der Zugang zu Notunterkünften oft kompliziert ist, da sie einen Wohnsitznachweis in dieser bestimmten Gemeinde sowie einen Nachweis über den Status eines Niedrigeinkommens benötigen. In vielen Fällen werden diese Dokumente von den Tätern verwaltet und stehen den Opfern deshalb nicht zur Verfügung (US DOS 11.3.2020). Krisenzentren und Notunterkünfte von NGOs spielen eine entscheidende Rolle bei der Erbringung von Dienstleistungen für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen. Diese sind auf staatlicher Ebene oft nicht verfügbar und es gibt Fälle, in denen Frauen, bevor sie in NGO-Einrichtungen kamen, von staatlichen Einrichtungen abgewiesen wurden (HRW 10.2018). Aufgrund finanzieller Engpässe und staatlicher Beschränkungen bei der Beschaffung ausländischer Mittel haben NGOs Schwierigkeiten, ausreichend viele Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. In Großstädten gibt es staatliche Unterkünfte, die dringende Hilfe, wie zum Beispiel ’Krisenwohnungen’ zur Verfügung stellen können. Neben staatlichen und NGO-Einrichtungen gibt es auch religiöse Einrichtungen der Russisch-Orthodoxen, der Katholischen und der Baptisten-Kirche, die Opfern von häuslicher Gewalt Hilfe bereitstellen. Um in eine staatliche Einrichtung aufgenommen zu werden, müssen Frauen oft eine ganze Reihe von Dokumenten mitbringen, wie beispielsweise Meldezettel, Reisepass, eine Überweisung von Sozial- oder Kinderschutzdiensten, eine persönliche schriftliche Erklärung, warum die Person Hilfe benötigt, ärztliche Atteste mit Angaben zu allen Impfungen und in einigen Fällen sogar Röntgenaufnahmen. Wenn eine Frau Kinder hat, muss sie auch für jedes ihrer Kinder Gesundheitsunterlagen vorlegen. Der Prozess der Beschaffung all dieser Dokumente kann bis zu zwei Wochen dauern, in einigen Fällen auch länger (HRW 10.2018).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff 19.2.2021
• EASO - European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-acto rs-of-protection.pdf , Zugriff 24.2.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 19.2.2021
• HRW - Human Rights Watch (11.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 19.2.2021
• HRW - Human Rights Watch (10.2018): ’I Could Kill You and No One Would Stop Me’ Weak State Response to Domestic Violence in Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1447924/3175_- 1540546740_russia1018-web3.pdf , Zugriff 5.3.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 19.2.2021
• Russland Analysen/ Brand, Martin (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen38 2.pdf , Zugriff 5.3.2021
• Russland Analysen/ Hornke, Theresa (21.2.2020b): Russlands Familienpolitik, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff 5.3.2021
• US DOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 5.3.2021
Frauen im Nordkaukasus, insbesondere in Tschetschenien
Letzte Änderung: 28.05.2021
Die Situation von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich zum Teil von der in anderen Regionen Russlands. Fälle von Ehrenmorden, häuslicher Gewalt, Entführungen und Zwangsverheiratungen sind laut NGOs nach wie vor ein Problem in Tschetschenien (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA2.2.2021), aber auch in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan. Verlässliche Statistiken dazu gibt es kaum. Die Gewalt gegen Frauen bleibt in der Region ein Thema, dem von Seiten der Regional- und Zentralbehörden zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Erschwert wird die Situation durch die Koexistenz dreier Rechtssysteme in der Region - dem russischen Recht, dem Gewohnheitsrecht (Adat) und der Scharia. Gerichtsentscheidungen werden häufig nicht umgesetzt, lokale Behörden richten sich mehr nach Traditionen als nach den russischen Rechtsvorschriften. Insbesondere der Fokus auf traditionelle Werte und Moralvorstellungen, die in der Republik Tschetschenien unter Ramsan Kadyrow propagiert werden, schränkt die Rolle der Frau in der Gesellschaft ein. Das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sprach im Rahmen seiner Empfehlungen an die Russische Föderation in diesem Zusammenhang von einer 'Kultur des Schweigens und der Straflosigkeit’ (ÖB Moskau 6.2020). Die Heirat einer 17-jährigen Tschetschenin mit einem 47-jährigen örtlichen Polizeichef im Frühjahr 2015 gilt als Beispiel für die verbreitete Praxis von Zwangsehen. Außerdem weist sie auf eine Form der Polygamie hin, die zwar offiziell nicht zulässig, aber durch die Parallelität von staatlich anerkannter und inoffizieller islamischer Ehe faktisch möglich ist (AA 13.2.2019).
Unter sowjetischer Herrschaft waren tschetschenische Frauen durch die russische Gesetzgebung geschützt. Polygamie, Brautentführungen und Ehrenmorde wurden bestraft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich der Schutz durch russisches Recht für Frauen allmählich auf, gleichzeitig kam es zu einem stärkeren Einfluss von Adat und Scharia. Unter Republiksoberhaupt Kadyrow ist die tschetschenische Gesellschaft traditioneller geworden. Nach Aussagen eines tschetschenischen Rechtsanwalts werden Frauen sowohl nach islamischem als auch nach dem Adatrecht hoch geschätzt. Die Wirklichkeit im Tschetschenien von heute sieht jedoch so aus, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet ist und sich die Lage für Frauen äußerst schwierig gestaltet (EASO 9.2014; vgl. Welt.de 14.2.2017, openDemocracy 7.8.2020). Gewalttätige Ehemänner werden selten bestraft, die Schuld wird üblicherweise der Frau zugeschoben (openDemocracy 7.8.2020). Auch die Religion ist ein Rückschlag für die Frauen und stellt sie in eine den Männern untergeordnete Position (EASO 9.2014; vgl. Welt.de 14.2.2017).Es ist nicht klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft sind. Jedoch kann nur das russische Recht Frauen effektiv schützen. Es wird berichtet, dass die Scharia immer wichtiger wird, und auch Kadyrow selbst - obwohl er sowohl Adat als auch Scharia betont - sich eher auf die Scharia bezieht. Das Adat-Recht dürfte aber besonders bei Hochzeitstraditionen eine dominante Rolle spielen (EASO 9.2014).
Häusliche Gewalt, die überall in Russland ein großes Problem darstellt, gehört in den nordkaukasischen Republiken zum Alltag (Welt.de 14.2.2017; vgl. openDemocracy 7.8.2020). Zivilgesellschaftliche Initiativen widmen sich der Unterstützung nordkaukasischer Frauen und bieten etwa psychologische, rechtliche und medizinische Hilfe an: z.B. die Organisationen ’Women for Development’ und ’SINTEM’ in Tschetschenien und ’Mat‘ i Ditja’ (Mutter und Kind) in Dagestan (ÖB Moskau 6.2020). Im Jahr 2019 eröffnete in Tschetschenien die Organisation Women for Development - eine der ältesten und angesehensten Organisationen in Tschetschenien - mit Unterstützung des Zuschussprogramms für NGOs ein Krisenzentrum für Frauen. Es gab auch Pläne, ein Frauenhaus zu eröffnen; aufgrund der engen familiären Bindungen, die in der Republik herrschen, wäre es aber schwierig gewesen, die Einrichtung vor Männern und ihren Familien geheim zu halten, darum scheiterte dieses Vorhaben. Beamte haben das hohe Maß an Scheidung und häuslicher Gewalt anerkannt und ein Komitee zur Verhütung von Familienkonflikten unter dem Spirituellen Ausschuss der Muslime der Republik Tschetschenien eingerichtet. Mehrere NGOs, die Teil der Koalition der Frauen-NGOs im Nordkaukasus sind, arbeiten an den Themen häusliche Gewalt und Unterstützung für Frauen. ’Zulässige’ Themen müssen jedoch in die allgemeine Logik traditioneller, kultureller, spiritueller, religiöser und nationaler Bräuche und Werte passen. Es ist auch wichtig anzumerken, dass die Mehrheit der NGO-Direktoren und Mitarbeiter in Tschetschenien Frauen sind. Der Ausweg aus der humanitären Nachkriegskrise lag direkt auf den Schultern der Frauen, da sich die Mehrheit der männlichen Bevölkerung nicht frei bewegen konnte und ständigen Bedrohungen und Kontrollen ausgesetzt war. Da Frauen in Tschetschenien, als Folge der lokalen traditionellen Kultur, als verantwortlich für Empathie und Fürsorge angesehen werden, sind sie diejenigen, die die meisten gemeinnützigen und sozialen Projekte zusammenstellen, als Psychologinnen arbeiten, sich freiwillig für Kinder engagieren und sich mit den Themen von Familien mit niedrigem Einkommen und Menschen mit Behinderungen beschäftigen (CSIS 1.2020).
In Dagestan werden Geschlechterfragen und Frauenrechte in der Arbeit von Malikat Jabirowas Organisation ’Mat i Ditja’ (Mutter und Kind) sowie von der unabhängigen Journalistin Swetlana Anochina mit ihrem ’Daptar’-Projekt und ihrer Gruppe ’Väter und Töchter’ behandelt, obwohl diese Initiativen nicht die einzigen sind, die in diesem Bereich aktiv sind (CSIS 1.2020).
Vergewaltigung ist laut Artikel 131 des russischen Strafgesetzbuches ein Straftatbestand. Das Ausmaß von Vergewaltigungen in Tschetschenien und anderen Teilen der Region ist unklar, da es im Allgemeinen so gut wie keine Anzeigen gibt, trotzdem ist davon auszugehen, dass Vergewaltigung in Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus weit verbreitet ist. Vergewaltigung in der Ehe wird nicht als Vergewaltigung angesehen. Vergewaltigungen passieren auch in Polizeistationen. Es handelt sich um ein Tabuthema in Tschetschenien. Einer vergewaltigten Frau haftet ein Stigma an. Sie wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wenn die Vergewaltigung publik wird. Auch die Familie wird isoliert und stigmatisiert, und es ist nicht unüblich, dass die Familie eine vergewaltigte Frau wegschickt. Die vorherrschende Einstellung ist, dass eine Frau selbst schuld an einer Vergewaltigung sei. Bei Vergewaltigung von Minderjährigen gestaltet sich die Situation etwas anders. Hier wird die Minderjährige eher nicht als an der Vergewaltigung schuldig angesehen, wie es einer erwachsenen Frau passieren würde. Insofern ist die Schande für die Familie auch nicht so groß (EASO 9.2014). Die Täter werden oft nicht bestraft (openDemocracy 7.8.2020).
Es ist in Tschetschenien üblich, die Ehe auf muslimische Art - durch einen Imam - zu schließen. Solch eine Hochzeit ist jedoch nach russischem Recht nicht legal, da sie weder vor einem Standesbeamten geschlossen noch registriert ist. Nach russischem Recht wird sie erst nach der Registrierung bei der Behörde ZAGS legal, die nicht nur Eheschließungen registriert, sondern auch Geburten, Todesfälle, Adoptionen usw. Da die Registrierung mühsam ist und auch eine Scheidung verkompliziert, sind viele Ehen im Nordkaukasus nicht registriert. Eine Registrierung wird oft nur aus praktischen Gründen vorgenommen, beispielsweise in Verbindung mit dem ersten Kind. Der Imam kann eine muslimische Hochzeit auch ohne Anwesenheit des Bräutigams schließen, jedoch ist laut Scharia die Anwesenheit der Frau nötig (EASO 9.2014).
In den letzten Jahren repatriierte Russland aktiv die Kinder und zum Teil auch die Ehefrauen von Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates zurück nach Russland. Laut einer Pressemeldung vom August 2020 wurden bisher 122 russische Kinder aus dem Irak und 35 aus Syrien nach Russland zurückgebracht, die Rückholung weitere Kinder sei geplant (ÖB Moskau
6.2020) . In Tschetschenien war es weiblichen Rückkehrerinnen gestattet, nach Hause zurückzukehren, in Dagestan wurden Frauen, angesichts aktiver weiblicher Beteiligung im Aufstand, als Sicherheitsrisiko wahrgenommen und zu ca. sieben Jahren Haft verurteilt, wobei die Haftstrafe aufgrund Fürsorgepflichten für kleine Kinder aufgeschoben wurde, bis die Kinder 14 Jahre alt sind (ÖB Moskau 6.2020; vgl. The Guardian 2.3.2019).
Weibliche Beschneidung kommt in Teilen von Dagestan vor. Etwa 1240 Mädchen werden jährlich einer Genitalverstümmelung unterzogen (Human Rights Center 'Memorial’; OVD-Info; Stichting Justice Initiative; et al. 6.2020; vgl. Caucasian Knot 19.6.2020). In Tschetschenien wurden ältere Frauen einer weiblichen Beschneidung unterzogen (Caucasian Knot 19.6.2020).
Quellen:
• AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.2.2019): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_155170162 3_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-fo ederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 24.2.2021
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-jjnd_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
• Caucasian Knot (19.6.2020): Dagestan becomes centre of female circumcision problem in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/51240/ , Zugriff 9.4.2021
• CSIS - Center for Strategic and International Studies (1.2020): Civil Society in the North Caucasus, https://www.csis.org/analysis/civil-society-north-caucasus , Zugriff 24.2.2021
• EASO - European Asylum Support Office (9.2014): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautenführung; Waisenhäuser), https://www.ecoi.net/en/file/local/1154982/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-we b.pdf , Zugriff 24.2.2021
• Human Rights Center 'Memorial’; OVD-Info; Stichting Justice Initiative; et al. (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee (6.2020): Russia’s Compliance with the International Covenant on Civil and Political Rights; Suggested List of Issues; Submitted for the consideration of the 8th periodic report by the Russian Federation for the 129th Session of the Human Rights Committee, https://tbintemet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared Documents/RUS/INT_CCPR_ICO_RUS_4 2488_E.pdf , Zugriff 9.4.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 19.2.2021
• openDemocracy (7.8.2020): After a Chechen woman died, a journalist was targeted with death threats. Here’s why, https://www.opendemocracy.net/en/odr/after-a-chechen-woman-died-a-jour nalist-was-targeted-with-death-threats-heres-why/ , Zugriff 30.3.2021
• The Guardian (2.3.2019): ’We aren’t dangerous’: Why Chechnya has welcomed women who joined Isis, https://www.theguardian.com/world/2019/mar/02/we-arent-dangerous-why-chechnya- has-welcomed-women-who-joined-isis , Zugriff 19.2.2021
• Welt.de (14.2.2017): Immer ein echter Mann zu sein - das ist eine Last, https://www.welt.de/po litik/ausland/article161562501/Immer-ein-echter-Mann-zu-sein-das-ist-eine-Last.html , Zugriff
19.2.2021
Scheidung und Obsorge
Letzte Änderung: 10.06.2021
Fragen der Obsorge für minderjährige Kinder sind in der Russischen Föderation grundsätzlich im Familienkodex von 1995 geregelt. Gemäß Art. 61 haben die Eltern eines Kindes die gleichen Rechte und Pflichten in Bezug auf ihre Kinder. Die elterlichen Rechte erlöschen mit der Volljährigkeit des Kindes, also mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Gemäß Art. 18 sind grundsätzlich die russischen Personenstandsbehörden (ZAGS) für die Durchführung von Scheidungsverfahren zuständig, in den Fällen der Art. 21 bis 23 die Gerichte. Gemäß Art. 21 hat eine Scheidung gerichtlich zu erfolgen, falls gemeinsame minderjährige Kinder existieren, es sei denn, der Ehepartner ist verschollen, geschäftsunfähig oder zu einer drei Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe verurteilt worden. Gemäß Art. 24 Z 1 können die Ehegatten dem Gericht im Scheidungsverfahren eine Vereinbarung vorlegen, in der sie unter anderem regeln, bei welchem Elternteil die Kinder leben werden und wie hoch die Alimentationszahlungen für die Kinder sein sollen. Fehlt eine solche Vereinbarung der Eltern oder verletzt sie die Interessen der Kinder oder eines Elternteils, so ist das Gericht verpflichtet, diese Fragen zu entscheiden. Gemäß Art. 66 Z 1 hat derjenige Elternteil, der nicht beim Kind lebt, das Recht auf Kontakt mit diesem, auf Teilhabe an der Erziehung und auf Entscheidung von Ausbildungsfragen. Gemäß Z 3 sind bei Nichterfüllung der Gerichtsentscheidung die Maßnahmen des Kodex über Verwaltungsübertretungen zu setzen. Bei böswilliger Nichterfüllung der Gerichtsentscheidung kann das Gericht auf Antrag des nicht beim Kind lebenden Elternteils die Entscheidung fällen, diesem das Kind zuzusprechen, falls dies im Interesse des Kindes liegt. Dabei ist dessen Meinung zu beachten. Art. 57 bestimmt generell, dass ein Kind das Recht hat, seine Meinung zu beliebigen familienrechtlichen Fragen, die seine Interessen berühren, auszudrücken und im Zuge von Gerichts- oder Verwaltungsverfahren angehört zu werden. Die Berücksichtigung der Meinung des Kindes ist verpflichtend, wenn es älter als zehn Jahre ist, es sei denn, sie widerspräche seinen Interessen. Die Nichterfüllung einer Gerichtsentscheidung über die Ausübung elterlicher Rechte (z.B. Besuchsrechte) kann eine Verwaltungsübertretung gemäß Art. 5.35 des Kodex über Verwaltungsübertretungen darstellen und Geldstrafen von 2.000 bis 3.000 Rubel [ca. 28 - 42€] nach sich ziehen, im Wiederholungsfall 4.000 bis 5.000 Rubel [ca. 56 - 70€] oder bis zu fünf Tage Verwaltungshaft. Theoretisch möglich ist auch die Durchsetzung der elterlichen Rechte mithilfe eines Gerichtsvollziehers. Prinzipiell wird der Gerichtsvollzieher in der Praxis zunächst das Gespräch mit beiden Elternteilen suchen, um die Gründe der Nichterfüllung des Gerichtsurteils zu ergründen. Gelingt es im Rahmen des Gesprächs nicht, die Erfüllung der Gerichtsentscheidung herbeizuführen, müsste der Gerichtsvollzieher diese theoretisch zwangsweise durchsetzen. Dies geschieht in der Praxis aber äußerst selten, weil offensichtlich ist, dass sich eine Zwangsabnahme des Kindes äußerst negativ auf dessen psychischen Zustand auswirken würde und somit nicht im Interesse des Kindes läge. Die Praxis in der Russischen Föderation sieht so aus, dass bei Scheidungen minderjährige Kinder zu 99% bei der Mutter bleiben (KAder ÖB Moskau 12.7.2018).
Obsorge in der Republik Tschetschenien:
Da die Republik Tschetschenien Teil der Russischen Föderation ist, gelten die russischen Gesetze auch dort und sind anzuwenden. In der Praxis spielen neben dem russischen Recht traditionell aber auch das islamische Recht und das Gewohnheitsrecht (Adat) eine Rolle. In Tschetschenien ist es traditionell üblich, dass die Kinder nach einer Scheidung in der Familie des Vaters bleiben (KA der ÖB Moskau 12.7.2018). Manchmal beschränken der Ex-Mann und seine Verwandten, ungeachtet ihrer gesetzlichen Rechte, den Umgang der Mutter mit dem Kind. Gemäß dem Islam werden die Kinder nach der Scheidung der Eltern bis zu einem bestimmten Alter von der Mutter erzogen,falls sie nicht nochmals geheiratet hat: Buben bis sieben Jahre, Mädchen bis zum Erreichen der Volljährigkeit. Erst danach werden die Kinder dem Vater übergeben. Der Apparat des Bevollmächtigten für Menschenrechtsfragen in Tschetschenien versucht, Hilfestellungen in diversen Fragen zu geben, insbesondere in Familienfragen, wenn geschiedenen Frauen der Kontakt mit ihren Kindern verwehrt wird. Außerdem gibt es bei der geistlichen Führung der Muslime der tschetschenischen Republik noch die 'Kommission zur Regulierung familiärer Konflikte', deren Mitarbeiter sich bemühen, Konflikte friedlich zu regeln und es nicht zu Gerichtsverfahren kommen zu lassen. Das Arbeitsspektrum umfasst die ganze Bandbreite familienrechtlicher Probleme, insbesondere Konfliktsituationen zwischen den Eltern, die mit den Kindern zusammenhängen. Seit der Gründung im März 2012 sind 3.164 Ansuchen um Hilfeleistung an die Kommission gerichtet worden, von denen zu 2.963 Anträgen eine Entscheidung ergangen ist (KAder ÖB Moskau 12.7.2018). Die weitverbreitete tschetschenische Tradition, nach der Kinder nach einer Scheidung bei ihrem Vater bleiben (oder genauer gesagt von Frauen in der Familie ihres Vaters erzogen werden), wurde jahrelang infrage gestellt, da gewisse Männer ihre Ehepartnerinnen erpressen und sie daran hindern konnten, ihre Kinder zu sehen. Die Praxis von Gerichtsverhandlungen zur Vormundschaft und ein Pool von Mediatoren, die auch mit dem Muftiat zusammenarbeiten, sind zu erfolgreichen Methoden geworden, um dieses Problem zu lösen (CSIS 1.2020).
Nach Meinung russischer Beamter würden die örtlichen Gerichte im Nordkaukasus auch die örtlichen Traditionen bei ihren Entscheidungen beachten. Sie entscheiden zwar oft im Sinne der Mutter, die Entscheidung wird von den Verwandten des Vaters aber oft ignoriert. Im Nordkaukasus sollen Kinder nach der Scheidung immer in der Familie des Vaters bleiben - selbst nach dessen Tod -, und ein Gerichtsurteil bedeutet nichts. Nach Erfahrung tschetschenischer Gerichtsvollzieher leben die Kinder oft bei den Verwandten des Vaters, die das Kind dem behördlichen Zugriff entziehen würden, indem der Wohnort des (nicht gemeldeten) Kindes oft gewechselt wird. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass tschetschenische Gerichte offenbar nur selten mit Familienrechts- und Obsorgefragen befasst werden und außergerichtliche Lösungswege in der Praxis eine bedeutendere Rolle spielen. Selbst wenn Frauen vor Gericht Recht bekommen, ist eine Umsetzung des Urteils oft nicht möglich (KAder ÖB Moskau 12.7.2018).
Ein Artikel vom 10.1.2012 über die Erziehung der Kinder nach der Scheidung besagt, dass, wenn die Eltern des Kindes zusammenleben, die materiellen Aufwendungen vom Vater getragen und die Kinder von der Mutter erzogen werden. Falls sich die Eltern scheiden lassen und die Kinder das Alter von 7-8 Jahren noch nicht erreicht haben, wird es vorgezogen, die Kinder an Frauen zu geben, vorzugsweise an die Mutter. Damit die Mutter das Recht hat, die Kinder zu erziehen, muss sie a) islamischen Glaubens, b) vernünftig (im Sinne von nicht psychisch erkrankt), c) Vertrauen erweckend (nicht sündhaft im Sinne des Islam) und darf d) nicht verheiratet sein. Falls die Mutter stirbt oder psychisch krank wird, geht das Recht der Erziehung auf die Großmutter mütterlicherseits über, danach auf die Großmutter väterlicherseits, danach auf die Schwester, schließlich auf nahe männliche Verwandte. Falls das Kind das Alter von 7-8 Jahren erreicht hat und die Eltern sich scheiden lassen, lässt man das Kind bei demjenigen Elternteil, welchen das Kind wählt. Dieses Wahlrecht steht Mädchen wie Buben gleichermaßen zu. Falls das Kind keinen Vater hat, wählt es zwischen der Mutter und dem Großvater väterlicherseits. Falls ein Sohn die Mutter wählt, bleibt er nachts bei der Mutter und tagsüber beim Vater. Falls der Sohn den Vater wählt, hat dieser nicht das Recht, jenem Besuche bei der Mutter zu verbieten. Falls die Mutter den Sohn besuchen will, hat der Vater nicht das Recht, ihr dies zu verbieten. Falls die Tochter den Vater wählt, hat er das Recht, ihr Besuche bei der Mutter zu verbieten, nicht jedoch, der Mutter Besuche bei der Tochter. Falls die Tochter die Mutter wählt, bleibt sie Tag und Nacht bei ihr, und der Vater hat das Recht, sie zu besuchen. Falls das Kind beide wählt, entscheidet das Los. Falls das Kind keinen Elternteil wählt, kommt es zur Mutter. Wenn ein Sohn volljährig wird, trägt er für sich selbst die Verantwortung. Wenn die Tochter volljährig und verheiratet ist, muss sie beim Ehemann leben. Falls sie nicht verheiratet ist und nie verheiratet war, wählt sie, bei wem sie leben möchte. Falls sie ohne Eltern leben möchte und man ihr das nicht gestattet, muss sie einen der Beiden wählen. Falls sie keine Eltern mehr hat, geht das Recht, sich um sie zu kümmern, auf den Bruder über, danach auf den Onkel väterlicherseits. Falls sie verheiratet war, soll sie mit den Eltern leben. Falls diese geschieden sind, wählt sie einen Elternteil, aber man verpflichtet sie nicht dazu. All das ist möglich, falls es keine Befürchtung gibt, dass sie sich unsittlich benehmen könnte. Falls eine solche Befürchtung besteht, haben der Vater, Großvater, Bruder oder Onkel das Recht, ihr zu verbieten, dass sie selbstständig lebt (KAder ÖB Moskau
12.7.2018) .
In Tschetschenien wurde im Juni 2017 ein Rat von Beamten und religiösen Autoritäten eingerichtet, der geschiedene Ehepaare wieder zusammenbringen soll (HRW 18.1.2018; vgl. FH
4.3.2020) . Personen, die zögerten zu kooperieren, einschließlich Frauen aus gewalttätigen Ehen, wurden angeblich unter Druck gesetzt (HRW 18.1.2018).
Quellen:
• CSIS - Center for Strategic and International Studies (1.2020): Civil Society in the North Caucasus, https://csis-website-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/200124_North_Caucasus.pd f?jRQ1tgMAXDNlViIbws_LnEIEGLZPjfyX , Zugriff 9.3.2020
• KA der ÖB Moskau - Konsularabteilung der Österreichischen Botschaft Moskau [Österreich] (12.7.2018): Information, per E-Mail
• FH - Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html , Zugriff 5.3.2020
• HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/do kument/1422501.html , Zugriff 12.3.2020
Sexuelle Minderheiten
Letzte Änderung: 10.06.2021
Homosexualität ist in Russland seit 1993 nicht mehr strafbar. Seit 2013 gilt in Russland das Gesetz zum Verbot der an Minderjährige gerichteten Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen. Als Sanktionen sieht das Gesetz Geldstrafen sowie die temporäre Schließung von Medien, die diese Propaganda verbreiten, vor (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). Geldstrafen werden allerdings in der Praxis nur selten verhängt (AA 2.2.2021). Das Gesetz wird wiederholt zur Unterdrückung der freien Meinungsäußerung von LGBTI-Personen eingesetzt (AI 16.4.2020). Im September 2014 entschied der russische Verfassungsgerichtshof, dass das Gesetz nicht gegen die russische Verfassung verstößt. In einem Bericht von Human Rights Watch vom Dezember 2014 stellt die Organisation fest, dass das Gesetz zu einem Anstieg von Gewalt und Belästigung von LGBTI-Personen geführt hat. Die russischen Behörden kommen ihrer Verpflichtung, gegen homophobe Gewalt vorzugehen und diese zu ahnden, nicht nach. Russische LGBTI-Organisationen registrieren jährlich ca. 70 Fälle von Hassverbrechen auf Grundlage der sexuellen Orientierung oder Genderidentität, davon wird nur ein Bruchteil zur Anzeige gebracht und wiederum nur in einem Bruchteil davon ein Strafverfahren eingeleitet. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beurteilte das oben genannte Gesetz in einem Urteil vom Juni 2017 als willkürlich und diskriminierend. In einer besonders gefährdeten Situation sind LGBTI-Eltern, vor allem von angenommenen/adoptierten Kindern, da es in der Vergangenheit zum Entzug des Sorgerechts kam (ÖB Moskau 6.2020). Mit einer Verfassungsänderung im Juli 2020 wurde die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau in der russischen Verfassung festgeschrieben (ÖB Moskau 6.2020; vgl. HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021). Die Situation für Homosexuelle ist regional sehr unterschiedlich. In St. Petersburg findet jährlich ein ’Queerfest’ statt. 2019 gelang es seinen Organisatoren erstmals, Sponsoren aus der Privatwirtschaft zu gewinnen; die örtliche Ombudsperson für Menschenrechte unterstützte den Dialog der Organisatoren mit den Sicherheitsbehörden zur Gewährleistung der Sicherheit der Teilnehmer. Gegen das jährliche LGBTI-Filmfestival ’Side by Side’ in St. Petersburg richteten sich jedoch zu Beginn Bombendrohungen, die den Verlauf erheblich beeinträchtigten. 2020 fand das Festival wegen der Pandemie online statt (AA 2.2.2021).
Bei einer Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Levada Zentrum vom April 2019 gaben 3% der Befragten an, sie hätten eine positive Einstellung zu Homosexuellen, 39% äußerten eine neutrale Einstellung und 56% eine negative. 47% der Befragten befürworteten eine Gleichstellung Homosexueller mit anderen Bürgern (zum Vergleich: 2013: 39%, 2012: 46%, 2010: 45%, 2005: 51%). Bei der Anzahl von Gewaltverbrechen gegen Homosexuelle verzeichnet die Menschenrechtsorganisation Sova für das Jahr 2019 einen leichten Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Von einer hohen Dunkelziffer ist jedoch auszugehen. LGBTI-Personen können im Alltag Diskriminierungen ausgesetzt sein, angefangen von sogenannten Mikro-Aggressionen bis hin zu physischen Übergriffen. Am stärksten gefährdet sind Transgender-Personen, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes von der Öffentlichkeit als männlich wahrgenommen werden, sich aber entsprechend ihrer sexuellen Identität feminin kleiden und z.B. schminken, und Personen, die sich öffentlich für Rechte von LGBTI-Personen einsetzen. 2019 zirkulierten im Internet erneut Listen von LGBTI-Aktivisten, gegen die homophobe Gruppierungen Drohungen aussprachen. Im Juli 2019 wurde die Aktivistin Jelena Grigorjewa, die auf einer solchen Liste stand, getötet. Die Strafverfolgungsbehörden gehen nicht von einem homophoben Motiv aus (AA 13.2.2019).
Der staatliche Schutz vor solchen Übergriffen Dritter ist unzureichend. Homosexuelle können sich nicht überall darauf verlassen, dass Polizeikräfte sie bei Veranstaltungen oder Demonstration vor Übergriffen Dritter schützen. Laut glaubhaften Aussagen von NGOs bringen Opfer von homophoben Straftaten diese häufig nicht zur Anzeige. Wird dennoch Anzeige erstattet, weigert sich die Polizei häufig diese aufzunehmen, wenn das Opfer den homophoben Hintergrund der Tat benennt. Eine Ahndung der Tat durch die Justiz ist dann nur möglich, wenn das Tatopfer Beschwerde bei der vorgesetzten Polizeidienststelle, der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht einlegt (AA 2.2.2021).
Als besonders gravierend gilt die Lage sexueller Minderheiten im Nordkaukasus (ÖB Moskau 6.2020; vgl. FH 3.3.2021). Homosexuelle müssen mit Verfolgung durch lokale Behörden rechnen (AA 2.2.2021). Im April 2017 berichtete die Nowaja Gazeta über die massive Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien, die von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wurde (ÖB Moskau 6.2020; vgl. BAMF 11.2019). Über 100 Homosexuelle wurden durch tschetschenische Sicherheitskräfte festgenommen und gefoltert. In mindestens sechs Fällen sind die Opfer ermordet worden. Andere haben nach ihrer Freilassung Tschetschenien verlassen. Mehrere NGOs berichteten, dass homosexuelle Frauen und Männer bei ihnen in anderen Landesteilen Schutz gesucht haben. Als Reaktion auf die Berichte haben mehrere Staaten Opfer aufgenommen, die über die Menschenrechtsorganisation LGBTI-Netzwerk vermittelt wurden. Staatspräsident Putin hat eine Untersuchung der Vorfälle angeordnet, die bisher zu keinen Ergebnissen geführt hat. Eine Mitte September 2018 durchgeführte Reise der Ombudsfrau Tatjana Moskalkowa nach Grosny versuchten tschetschenische Behörden zu nutzen, (Presse-)Berichte über verschollene Personen als falsch darzustellen (AA 2.2.2021). Nachdem die russischen Behörden im Rahmen der OSZE keine substanzielle Antwort gegeben hatten, wurde der 'Moskauer Mechanismus’ ausgelöst (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Im diesbezüglichen Bericht vom Dezember 2018 werden die Vorwürfe weitgehend bestätigt bzw. als glaubhaft bezeichnet. Bisher ist Russland nicht substanziell auf die Empfehlungen des OSZE-Berichts eingegangen (AA 2.2.2021).
Medienberichte, denen zufolge in Tschetschenien Anfang 2019 über 40 LGBTI-Personen (AA 2.2.2021; vgl. FH 3.3.2021, BAMF 11.2019) festgenommen und zwei zu Tode gefoltert worden seien (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2020), wurden von russischen Behörden dementiert. Lokale Behördenvertreter sagten einem Beauftragten der Parlamentarischen Versammlung des Europarats 2019 (AA2.2.2021), dass in Tschetschenien (sinngemäß) weder Homosexuelle noch Menschenrechtsverletzungen existieren. Nach glaubhaften NGO-Berichten wurden 2018/2019 auch lesbische Frauen Ziel von Verfolgung. Anders als bei homosexuellen Männern spielt hier jedoch nicht primär die staatliche Verfolgung, sondern Zwangsverheiratung und andere Maßnahmen durch das familiäre Umfeld eine Rolle (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2020). 2018 hat es beinahe monatlich einzelne Fälle von Gewalt und Anhaltungen von LGBTI-Vertretern durch die Polizei gegeben. Ein mögliches Motiv für die Anhaltungen könnte auch in der Erpressung von Lösegeld (es werden Summen in der Höhe von 13.000€ genannt) liegen (ÖB Moskau 6.2020). Die sich häufenden Beweise für die Entführung, Folterung und Tötung homosexueller Männer in Tschetschenien durch die Polizei in den vergangenen Jahren werden von den Behörden der Russischen Föderation ignoriert (AI 16.4.2020).
Seit der Veröffentlichung des Zeitungsberichtes zur Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien im April 2017 durch die Zeitung Nowaja Gazeta konnte das russische LGBT-Netzwerk mehr als 150 Personen aus Tschetschenien evakuieren. Davon sind mehr als 140 LGBTI-Personen in europäische Länder und nach Kanada emigriert. Der Menschenrechtsorganisation zufolge waren die Evakuierungen schwierig, da sie hierbei teilweise von den Behörden und Familien der Betroffenen behindert wurden. Auch in anderen Teilen Russlands außerhalb Tschetscheniens waren die Betroffenen teilweise nicht in Sicherheit, in einigen Fällen kam es zu Entführungen, bei denen die Geflüchteten zu ihren Familien nach Tschetschenien zurückgebracht wurden (BAMF
11.2019) .
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 25.2.2021
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 25.2.2021
• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (11.2019): Länderreport 21 Russische Föderation, LGBTI in Tschetschenien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/
683266/684671/685623/685628/6029277/21602088/Deutschland Bundesamt_f%C3%Bcr_M
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ration_%28Stand_November_2019%29%2C November_2019.pdf?nodeid=21601757&vernum=
-2 , Zugriff 12.3.2020
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 -Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 25.2.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 25.2.2021
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 10.06.2021
In der Russischen Föderation herrscht laut Gesetz Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 11.3.2020). In einigen Fällen schränkten die Behörden diese Rechte jedoch ein. Die meisten Russen können jederzeit insAusland reisen, aber ca. vier Millionen Mitarbeiter des Militär- und Sicherheitsdiensts wurden nach den im Jahr 2014 erlassenen Regeln vom Auslandsreiseverkehr ausgeschlossen (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 3.3.2021).
Tschetschenen steht, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagesta- nern etc.], das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürgerden örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses. Wer über Immobilienbesitz verfügt, bleibt dort ständig registriert, mit Eintragung im Inlandspass. Wer zur Miete wohnt, benötigt eine Bescheinigung seines Vermieters und wird damit vorläufig registriert.In diesen Fällen erfolgt keine Eintragung in den Inlandspass (AA
2.2.2021) . Einige regionale Behörden schränken die Registrierung vor allem von ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein [bez. Registrierung vgl. Kapitel Meldewesen] (FH 3.3.2021).
Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist stark angewachsen; 200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben. Sie treffen allerdings immer noch auf anti-kaukasische Einstellungen (AA 2.2.2021; vgl. ADC Memorial, CrimeaSOS, Sova Center for Information and Analysis, FIDH 2017).
Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 2.2.2021). Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihren Inlandsreisepass mit sich führen (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 3.3.2021). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.5.2018; vgl. FH 3.3.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärti
ges_Amt%2C_Bencht_%C3%BCber_die_asyl-jjnd_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Russi schen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf, Zugriff 6.4.2021
• AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.2.2019): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_155170162 3JaJSwaertiges-amt-bericht-Jeber-die-asyl-Jnd-abschiebJngsrelevante-lage-in-der-rJSsischen-fo ederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 6.4.2021
• ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against Extremism in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf , Zugriff 6.4.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 6.4.2021
• US DOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2020- Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff
6.4.2021
Meldewesen
Letzte Änderung: 10.06.2021
Laut Gesetz müssen sich Bürger der Russischen Föderation an ihrem permanenten und temporären Wohnort registrieren (EASO 8.2018; vgl. AA 2.2.2021, US DOS 11.3.2020). Die Registrierung ist nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde, wo eine Person wohnt, und funktioniert relativ problemlos (DIS 1.2015; vgl. EASO 8.2018). Die Registrierung des Wohnsitzes erfolgt entweder in einer lokalen Niederlassung des Innenministeriums (MVD), über das Onlineportal für öffentliche Dienstleistungen Gosuslugi oder per E-Mail (nur für die temporäre Registrierung). Man kann neben einer permanenten Registrierung auch eine temporäre Registrierung haben, z.B. in einem Hotel, in einer medizinischen Einrichtung, in einem Gefängnis, in einer Wohnung, etc. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, den Hauptwohnsitz zu ändern. Hierzu muss man die permanente Registrierung innerhalb von sieben Tagen ändern. Um sich zu registrieren, braucht man einen Pass, einen Antrag auf Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man berechtigt ist, sich an einer bestimmten Adresse zu registrieren, wie z.B. einen Mietvertrag. Die permanente Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. Die Beendigung einer permanenten Registrierung muss von der jeweiligen Person veranlasst werden. Dies muss aber nicht bei den Behörden an der alten Adresse geschehen, sondern kann von der neuen Adresse aus beantragt werden. Auch die Beendigung einer Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt (EASO 8.2018).
Wenn eine Person vorübergehend an einer anderen Adresse als dem Hauptwohnsitz (permanente Registrierung) wohnt, muss eine temporäre Registrierung vorgenommen werden, wenn der Aufenthalt länger als 90 Tage dauert. Die Registrierung einer temporären Adresse beeinflusst die permanente Registrierung nicht. Für die temporäre Registrierung braucht man einen Pass, einen Antrag auf temporäre Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man zur Registrierung berechtigt ist. Nach der Registrierung bekommt man ein Dokument, das die temporäre Registrierung bestätigt. Die temporäre Registrierung endet automatisch mit dem Datum, das man bei der Registrierung angegeben hat. Eine temporäre Registrierung in Hotels, auf Camping-Plätzen und in medizinischen Einrichtungen endet automatisch, wenn die Person die
Einrichtung verlässt. Wenn eine Person früher als geplant den temporären Wohnsitz verlässt, sollten die Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden (EASO 8.2018).
Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe (Arbeitslosengeld, Pension, etc.) und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (BAA 12 .2011; vgl. ÖB Moskau 6.2020).
Es kann für alle Bürger der Russischen Föderation zu Problemen beim Registrierungsprozess kommen. Es ist möglich, dass Migranten aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden (ADC Memorial, CrimeaSOS, Sova Center for Information and Analysis, FIDH 2017). In der Regel ist die Registrierung aber auch für Tschetschenen kein Problem, auch wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korruptem Verhalten seitens der Beamten kommen kann. Im Endeffekt bekommen sie die Registrierung (DIS 1.2015; vgl. EASO 8.2018).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärti ges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russi schen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 6.4.2021
• ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against Extremism in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf , Zugriff 6.4.2021
• BAA Staatendokumentation [Österreich] (12.2011): Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation. Bericht zum Forschungsaufenthalt Russische Föderation - Republik Tschetschenien
• DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, https://www.ecoi.net/en/file/local/1215362/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-fin ding-mission-report.pdf , Zugriff 6.4.2021
• EASO - European Asylum Support Office [EU] (8.2018): Country of Origin Information Report Russian Federation. The situation for Chechens in Russia, https://coi.easo.europa.eu/administrat ion/easo/Plib/Chechens_in_RF.pdf , Zugriff 6.4.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 6.4.2021
• US DOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff
6.4.2021
Tschetschenen innerhalb der Russischen Föderation und Westeuropas
Letzte Änderung: 10.06.2021
Die Bevölkerung in Tschetschenien ist inzwischen laut offiziellen Zahlen auf 1,5 Millionen angewachsen. Laut Aussagen des Republiksoberhaupts Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in Russland, die andere Hälfte im Ausland. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau
6.2020) . Zwischen 2008 und 2015 haben laut offiziellen Zahlen 150.000 Tschetschenen die Republik verlassen. Sie zogen sowohl in andere Regionen in der Russischen Föderation als auch ins Ausland. Als Gründe für die Abwanderung werden ökonomische, menschenrechtliche und gesundheitliche Gründe genannt. In Tschetschenien arbeiten viele Personen im informellen Sektor und gehen daher zum Arbeiten in andere Regionen, um Geld nach Hause schicken zu können. Tschetschenen leben überall in der Russischen Föderation (EASO 8.2018). Laut der letzten Volkszählung von 2010 leben die meisten Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens, z.B. in Moskau (über 14.000 Personen), in Inguschetien (knapp 19.000 Personen), in der Region Rostow (über 11.000 Personen), in der Region Stawropol (knapp 12.000 Personen), in Dagestan (über 93.000 Personen), in der Region Wolgograd (knapp 10.000 Personen) und in der Region Astrachan (über 7.000 Personen) (EASO 8.2018; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Die Zahlen sind aber nicht sehr verlässlich, da bei der Volkszählung ein großer Teil der Bevölkerung die ethnische Zugehörigkeit nicht angab. Beispielsweise soll die tschetschenische Bevölkerung in der Region Wolgograd um das doppelte höher sein, als die offiziellen Zahlen belegen. Viele Tschetschenen leben dort seit 30 Jahren und sind in unterschiedlichsten Bereichen tätig. In St. Petersburg beispielsweise sollen laut Volkszählung knapp 1.500 Tschetschenen leben, aber allein während des zweiten Tschetschenienkrieges (1999-2009) kamen 10.000 Tschetschenen aufgrund des Mangels an Arbeitsplätzen in Tschetschenien in die Stadt, um in St. Petersburg zu leben und zu arbeiten. Die soziale Zusammensetzung der tschetschenischen Bevölkerung dort ist unterschiedlich, aber die meisten sprechen ihre Landessprache und halten die nationalen Traditionen hoch. Tschetschenen in St. Petersburg sehen sich selbst nicht unbedingt als eine engmaschige Diaspora. Sie werden eher durch kulturelle Aktivitäten, die beispielsweise durch die offizielle Vertretung der tschetschenischen Republik oder den sogenannten „Wajnach-Kongress" (eine Organisation, die oft auch als 'tschetschenische Diaspora’ bezeichnet wird) veranstaltet werden, zusammengebracht. Auch in Moskau ist die Anzahl der Tschetschenen um einiges höher, als die offiziellen Zahlen zeigen. Gründe hierfür sind, dass viele Tschetschenen nicht an Volkszählungen teilnehmen wollen, oder auch, dass viele Tschetschenen zwar in Moskau leben, aber in Tschetschenien ihren Hauptwohnsitz registriert haben [vgl. hierzu Kapitel Bewegungsfreiheit, bzw. Meldewesen] (EASO 8.2018). In vielen Regionen gibt es offizielle Vertretungen der tschetschenischen Republik, die kulturelle und sprachliche Programme organisieren und auch die Rechte von einzelnen Personen schützen (Telegraph 24.2.2016; vgl. EASO 8.2018). Diese kleinen Büros versuchen auch, den Handel zwischen den Regionen zu fördern. In ganz Russland gibt es ein Netz von 50 dieser offiziellen Vertretungen der tschetschenischen Republik. Obwohl es den Büros prinzipiell möglich wäre, Informationen zu einer bestimmten Person nach Grosny weiterzuleiten, können diese Vertretungen nicht als Knotenpunkt für das Sammeln von Informationen angesehen werden. Sie tätigen auch sonst keine weiteren, direkteren Aktionen. Obwohl die tschetschenischen Gemeinden in Russland Kadyrow teilweise behilflich bei der Ausübung von Druck auf hochrangige/bekannte Kritiker sind, scheint es keine Beweise zu geben, dass sie Informationen weitergeben (Galeotti 2019).
Laut einer Analyse der Jamestown Foundation soll die tschetschenische Diaspora in Europa rund 150.000 Personen umfassen, die tschetschenische Diaspora in Österreich zählt rund 35.000
Personen. Das tschetschenische Republiksoberhaupt hat verlautbart, die Bande zu den tschetschenischen Gemeinschaften außerhalb der Teilrepublik aufrechterhalten zu wollen, wobei unabhängigen Medien zufolge auch Familienmitglieder in Tschetschenien für als ungebührlich empfundenes Verhalten Angehöriger im Ausland gemaßregelt bzw. unter Druck gesetzt werden. Abgesehen davon sind auch vereinzelte Fälle gezielter Tötungen politischer Gegner im Ausland bekannt geworden. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Aus menschenrechtlicher Perspektive herrscht die Einschätzung vor, dass tatsächlich Verfolgte sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können (ÖB Moskau
6.2020) . Viele Personen innerhalb der Elite, einschließlich der meisten Leiter des Sicherheitsapparates, misstrauen und verachten Kadyrow (Al Jazeera 28.11.2017). Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gelten dessen Möglichkeiten zur Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht ausgeschlossen werden (ÖB Moskau 6.2020).
Grundsätzlich können Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens an einen anderen Ort in der Russischen Föderation flüchten und dort leben. Dies gilt für alle Einwohner des Nordkaukasus. Wird jemand allerdings offiziell von der Polizei gesucht, so ist es für die Behörden möglich, diesen aufzufinden und zurück in den Nordkaukasus zu bringen. Dies gilt nach Einschätzung von Experten aber auch für Flüchtlinge in Europa, der Türkei und so weiter, falls das Interesse an der Person groß genug ist (ÖB Moskau 6.2020). Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Sofern keine Strafanzeige vorliegt, kann versucht werden, Untergetauchte durch eine Vermisstenanzeige ausfindig zu machen (AA 2.2.2021). Es kann sein, dass die tschetschenischen Behörden nicht auf diese offiziellen Wege zurückgreifen, da diese häufig lang dauern und so ein Fall auch schlüssig begründet sein muss (DIS 1.2015). Trotz der Rolle nationaler Datenbanken und Registrierungsgesetze, die eine Rückverfolgung von Personen ermöglichen, besteht für betroffene Personen ein gewisser Spielraum, Anonymität und Sicherheit in Russland zu finden, allerdings abhängig von den spezifischen Umständen. Die russischen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden sind im Allgemeinen oft nicht bereit, als tschetschenische Vollstrecker aufzutreten, da sie oft skeptisch gegenüber Forderungen aus Grosny sind. Die föderalen Sicherheitsbehörden machen einen deutlichen Unterschied zwischen der Behandlung von Personen, die wegen Verbrechen in Tschetschenien gerichtlich verurteilt wurden, und von jenen, welchen nur vorgeworfen wird, Verbrechen begangen zu haben. Insofern ist es eher unwahrscheinlich, dass ein Tschetschene, der von Tschetschenien aus verfolgt wird, anderswo in Russland aktiv misshandelt wird, wenn nicht bereits ein Gerichtsurteil ergangen ist oder andere Behörden - im Wesentlichen der Inlandsgeheimdienst FSB, Generalstaatsanwaltschaft, Untersuchungskommission- davon überzeugt sind, dass ein substanzielles politisches
Fehlverhalten oder ein Fall von organisierter Kriminalität vorliegt (Galeotti 2019). Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich aber häufig auch in russischen Großstädten vor Ramsan Kadyrow nicht sicher (AA 2.2.2021), da bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, auch in Moskau präsent sind (AA 2.2.2021; vgl. EASO 8.2018, New York Times 17.8.2017). Wie viele bewaffnete tschetschenische Kräfte es in Moskau gibt, ist schwer zu sagen. Jedenfalls ist immer wieder die Rede davon, dass Kadyrow tausend, wenn nicht sogar Tausende Loyalisten aufbringen kann, die fähig und bereit sind, gegen das Gesetz zu handeln. Dies scheint jedoch höchst fragwürdig. Es gibt auch weniger als hundert Beamte, die offiziell bei den tschetschenischen Sicherheitskräften akkreditiert sind und berechtigt sind, in Moskau zu operieren (Galeotti 2019).
Relative Anonymität und Sicherheit bieten russische Städte, die groß genug sind, um als Neuankömmling nicht aufzufallen, und die weniger stark polizeilich überwacht sind als beispielsweise Moskau und St. Petersburg. Moskau und St. Petersburg sind insofern 'gefährlicher’, als sie tendenziell dichter kontrolliert werden, ihre Kommunikationsinfrastruktur moderner ist und die Behörden wachsamer sind. Viel schwieriger ist es, sich in Moskau versteckt zu halten, da hier zum Beispiel viele Dokumentenkontrollen durchgeführt werden, routinemäßig bei Benutzung der U-Bahn die Registrierungen von Mobiltelefonen überprüft und neue Gesichtserkennungssysteme erprobt werden, die mit Straßenkameras verbunden sind. In geringerem Maße gilt vieles davon auch für St. Petersburg (Galeotti 2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärti ges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russi schen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 6.4.2021
• Al Jazeera (28.11.2017): Is Chechnya’s Kadyrov really ’dreaming’ of quitting? https://www.aljazeer a.com/opinions/2017/11/28/is-chechnyas-kadyrov-really-dreaming-of-quitting , Zugriff 6.4.2021
• EASO - European Asylum Support Office [EU] (8.2018): Country of Origin Information Report Russian Federation. The situation for Chechens in Russia, https://coi.easo.europa.eu/administrat ion/easo/Plib/Chechens_in_RF.pdf , Zugriff 6.4.2021
• Galeotti, Mark (2019): License to kill? The riskto Chechens inside Russia, https://www.ecoi.net/e n/file/local/2012286/Galeotti-Mayak-RUF-2019-06-License to Kill - Chechens in the RF 2 019.pdf , Zugriff 6.4.2021
• DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, https://www.ecoi.net/en/file/local/1215362/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-fin ding-mission-report.pdf , Zugriff 6.4.2021
• New York Times (17.8.2017): Is Chechnya Taking Over Russia?, https://www.nytimes.com/2017/0 8/17/opinion/chechnya-ramzan-kadyrov-russia.html?ref=opinion , Zugriff 6.4.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 6.4.2021
• Telegraph (24.2.2016): Ramzan Kadyrov: Putin’s ’sniper’ in Chechnya, http://s.telegraph.co.uk/gr aphics/projects/Putin-Ramzan-Kadyrov-Boris-Nemtsov-Chechnya-opposition-Kremlin/index.html , Zugriff 6.4.2021
Grundversorgung
Letzte Änderung: 10.06.2021
2019 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 73 Millionen, somit ungefähr 62% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49% (WKO 4.2021). Die Arbeitslosigkeit befindet sich im Landesdurchschnitt auf einem moderaten Niveau (GIZ 1.2021b) und wird für das Jahr 2021 auf 5,2% prognostiziert (Statista 19.10.2020). Sie kann regional jedoch stark abweichen. Russische Staatsbürger haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 2019). Das BIP lag 2020 bei ca. 1.474 Milliarden US-Dollar. Dies entspricht einem Rückgang um ca. 3%(WKO 4.2021).
Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der weltweiten Gasreserven (25,2%), circa 6,3% der weltweiten Ölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt jedoch zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 70% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2020 den 94. Platz [2019 Platz 98] unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen. Die Erhöhung des allgemeinen Satzes der Mehrwertsteuer von 18% auf 20% am Jahresanfang 2019 belastete die Verbrauchernachfrage. Das Wirtschaftsministerium prognostiziert für das Wirtschaftswachstum 2021 nur ein Plus von 2,8%. Langfristig befürchten Ökonomen und Behörden ein Erlahmen der Konjunktur, wenn strukturelle Reformen ausbleiben. Diese seien wegen des Rückgangs der erwerbstätigen Bevölkerung und der starken Abhängigkeit Russlands vom Öl- und Gasexport erforderlich (GIZ 1.2021b).
Die primäre Versorgungsquelle der Russen bleibt ihr Einkommen. Staatliche Hilfe können Menschen mit Beeinträchtigungen, Senioren und Kinder unter drei Jahren erwarten. Fast 14% der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze, die dem per Verordnung bestimmten monatlichen Existenzminimum von derzeit 12.130 Rubel [ca. 134 €] entspricht. Die russische Akademie der Wissenschaften veranschlagt das tatsächliche erforderliche Existenzminimum dagegen bei 33.000 Rubel [ca. 366 €]. Vollbeschäftigte erhalten den Mindestlohn (derzeit 12.130 Rubel [ca. 134€]), der jährlich zum 1.1. auf die Höhe des Existenzminimums im 2. Quartal des Vorjahres angehoben wird. Für Einkommen unter dem Existenzminimum besteht die Möglichkeit der Aufstockung bis zur Höhe des Existenzminimums. Trotz der wiederholten Anhebungen der durchschnittlichen Bruttolöhne sind die real zur Verfügung stehenden Einkommen seit sechs Jahren rückläufig. Expertenschätzungen zufolge gibt es derzeit mindestens 25 Mio. illegal Beschäftigte. Die Verarmungsentwicklung ist vorwiegend durch niedrige Löhne verursacht, die insbesondere eine Folge der auf die Schonung der öffentlichen Haushalte zielenden Lohnpolitik sind (zwei Drittel aller Einkommen werden von staatlichen Unternehmen oder vom Staat bezahlt, der die Löhne niedrig hält). Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15 - 20% für abhängig Beschäftigte ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen der Arbeitgeber aufgrund fehlender Fortbildungen als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote (21,6%) bei den über 50-Jährigen verstärkt. Auch Migranten verdienen oft nur den Mindestlohn (AA 2.2.2021).
Als besonders armutsgefährdet gelten Familien mit Kindern, vor allem Großfamilien, Alleinerziehende, Pensionisten und Menschen mit Beeinträchtigungen. Weiters gibt es regionale Unterschiede. In den wirtschaftlichen Zentren, wie beispielsweise Moskau oder St. Petersburg, ist die offizielle Armutsquote nur halb so hoch wie im Landesdurchschnitt (knapp 14%), wohingegen beispielsweise in Regionen des Nordkaukasus jeder fünfte mit weniger als dem Existenzminimum auskommen muss. Auch ist prinzipiell die Armutsgefährdung am Land höher als in den Städten. Die soziale Absicherung ist über Pensionen, monatliche Geldleistungen für bestimmte Personengruppen (beispielsweise Kriegsveteranen, Menschen mit Beeinträchtigungen, Veteranen der Arbeit) und Mutterschaftsbeihilfen organisiert [bitte vergleichen Sie hierzu Kapitel Sozialbeihilfen] (Russland Analysen 21.2.2020a).
Die EU hat die Verlängerung der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes bis Ende Juli 2021 beschlossen (Presse.com 10.12.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-jjnd_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021b): Russland, Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/russland/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 18.2.2021
• IOM - International Organisation for Migration (2019): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/ RusslandJ-JCountryJFactJSheetJ2019,Jdeutsch.pdf?nodeid=21860150&vemum=-2 , Zugriff 18.2.2021
• Presse.com (10.12.2020): EU verlängerte Wirtschaftssanktionen gegen Russland, https://www.di epresse.com/5909916/eu-verlangerte-wirtschaftssanktionen-gegen-russland , Zugriff 18.2.2021
• Russland Analysen/ Brand, Martin (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen38 2.pdf , Zugriff 4.2.2020
• Statista (19.10.2020): Russland: Arbeitslosenquote von 1992 bis 2019 und Prognosen bis 2025, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/17339/umfrage/arbeitslosenquote-in-russland/ , Zugriff 21.4.2021
• WKO - Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (4.2021): Länderprofil Russland, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-russland.pdf?_gl=1 *2opol5*_ga*MTMwODMzNzE3OC 4xNjE4OTg5NzU3*_ga_4YHGVSN5S4*MTYxODk4OTc1Ni4xLjEuMTYxODk4OTc1OS41Nw.. , Zugriff 21.4.2021
Nordkaukasus
Letzte Änderung: 10.06.2021
Die nordkaukasischen Republiken stechen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 1.2021a; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Die Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus ist laut Experten unter den höchsten in Russland. Im Zuge eines Austausches der österreichischen Botschaft mit dem Nordkaukasus-Ministerium im Oktober 2018 wurden von russischer Seite die umfassenden Anstrengungen zursozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus geschildert, insbesondere im Bereich der Landwirtschaft und des Tourismus. Bei einer Sitzung zur Entwicklung der Region Nordkaukasus im Juni 2020 gab der Vertreter der russischen Regierung allerdings an, dass trotz föderaler Programme zur Unterstützung der Region diese bisher zu keiner entscheidenden Veränderung der sozio-ökonomischen Entwicklung geführt haben (ÖB Moskau 6.2020). Trotzdem ist zu sagen, dass sich die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert haben (AA
2.2.2021) .
Der monatliche Durchschnittslohn lag in Tschetschenien mit September 2020 bei 23.783 Rubel [ca. 264 €], landesweit bei 49.516 Rubel [ca. 550 €] (Rosstat 19.11.2020).Die durchschnittliche Pensionshöhe lag in Tschetschenien im Februar 2021 bei 13.484 Rubel [ca. 150 €] (Chechenstat 2021), landesweit im ersten Quartal 2020 bei 14.924 Rubel [ca. 166 €] (GKS.ru 7.5.2020). Das durchschnittliche Existenzminimum für das vierte Quartal 2020 lag in Tschetschenien für die erwerbsfähige Bevölkerung bei 11.572 Rubel [ca. 129 €], für Pensionisten bei 9.196 Rubel [ca. 102 €] und für Kinder bei 11.294 Rubel [ca. 125 €] (Chechenstat 2021). Landesweit liegt das durchschnittliche Existenzminimum für das Jahr 2021 für die erwerbsfähige Bevölkerung bei 12.702 Rubel [ca. 141 €], für Pensionisten bei 10.022 Rubel [ca. 111 €] und für Kinder bei 11.303 Rubel [ca. 126 €] (RIA Nowosti 9.1.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärti ges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russi schen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 6.4.2021
• Chechenstat [Tschetschenien] (2021): OnepaTUBHbie noKa3aTe.au (Operative Indikatoren), https: //chechenstat.gks.ru/, Zugriff 6.4.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 6.4.2021
• GKS.ru [Russische Föderation] (7.5.2020): flwHaMUKa cpegHero pa3Mepa Ha3HaneHHbix neHCuü (Dynamik der durchschnittlichen Größe der zugewiesenen Pensionen), https://www.gks.ru/free_d oc/new_site/population/urov/doc3-1-1.htm , Zugriff 6.4.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 6.4.2021
• RIA Nowosti (9.1.2021): npowuTOHHbiü MUHUMyM b Poccuu b 2021 rogy cocTaBUT 11 653 pyöns (Existenzminimum in Russland im Jahr 2021 wird 11 653 Rubel betragen), https://ria.ru/2021010 9/minimum-1592375522.html , Zugriff 6.4.2021
• Rosstat [Russische Föderation] (19.11.2020): KBapTanbHas o^eHKa cpegHeMecsHHOÜ
HaHuoneHHofi 3apa6o™oü nna™ HaeMHbx paöoTHUKOB b opraHU3a^uflx, y MHgMBMgyanbHbix npegnpuHUMaTe^ew u $M3MHecKMx ^u^ (Vierteljährliche Schätzung des durchschnittlichen Monatslohns), https://rosstat.gov.ru/storage/mediabank/jI7yx5Pa/ozenka-zar.htm , Zugriff
6.4.2021
Sozialbeihilfen
Letzte Änderung: 10.06.2021
Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab; eine finanzielle Beteiligung der Profitierenden ist nicht notwendig. Alle Leistungen stehen auch Rückkehrern offen (IOM 2019).
Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Pensionsfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Pensionsfonds werden Arbeitsunfä- higkeits- und Alterspensionen gezahlt. Das Pensionsalter beträgt 60 Jahre bei Männern und 55 Jahre bei Frauen. Da dieses Modell aktuell die Pensionen nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Pensionsreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Die Regierung hat am 14.6.2018 einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Pensionseintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten fanden Demonstrationen gegen die geplante Pensionsreform statt. Präsident Putin reagierte auf die Proteste und gab eine Abschwächung der Reform bekannt. Das Pensionseintrittsalter für Frauen erhöht sich um fünf anstatt acht Jahre; Frauen mit drei oder mehr Kindern dürfen außerdem früher in Pension gehen (GIZ 1.2021c).
Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 1.2021c).
Vor allem auch zur Förderung einer stabileren demografischen Entwicklung gibt es ein umfangreiches Programm zur Unterstützung von Familien, vor allem mit Kindern unter drei Jahren: z.B. eine Aufstockung des Existenzminimums ab 2020 bis auf das Zweifache, das sogenannte
Mutterschaftskapital in Form einer bargeldlosen, zweckgebundenen Leistung sowie besondere Leistungen zur Corona-Krise wie etwa eine einmalige Auszahlung an Kinder im Alter von drei bis 16 Jahre in Höhe von 10.000 Rubel [ca. 111 €], monatliche Auszahlungen an Kinder bis drei Jahre in Höhe von 5.000 Rubel [ca. 55 €] (dreimal für April, Mai und Juni ausgezahlt), monatliche Auszahlungen in Höhe von 3.000 Rubel [ca. 33 €] an Kinder bis 18 Jahre, deren Eltern offiziell als arbeitslos gemeldet sind (AA 2.2.2021).
Personen im Pensionsalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Alterspension. Rückkehrende müssen für mindestens 10 Jahre Pensionsversicherungsbeiträge eingezahlt haben. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht erforderlich. Zu erhaltende Leistungen werden ebenfalls in der Erstberatung diskutiert (IOM 2019). Seit dem Jahr 2010 werden Pensionen, die geringer als das Existenzminimum für Pensionisten sind, aufgestockt - insofern sind sie vor existenzieller Armut geschützt (Russland Analysen 21.2.2020a). Die Pensionen der nicht arbeitenden Pensionisten werden seit 2019 vor der jährlichen Indexierung auf die Höhe des Existenzminimums angehoben. Zum 1. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension in Russland bei 14.904 Rubel [ca. 165 €] (AA 2.2.2021).
Zum Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie alte Menschen. Staatliche Zuschüsse werden durch die Pensionskasse bestimmt (IOM 2019). Das europäische Projekt MedCOl erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, welchen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:
• Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);
• Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten [Wasser, Gas, Elektrizität, etc.]);
• Familien mit geringem Einkommen;
• Studierende, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015). 2018 profitierten von diesen Leistungen für bestimmte Kategorien von Bürgern auf föderaler Ebene 15,2 Millionen Menschen. In den Regionen könnte die Zahl noch höher liegen, da die Föderationssubjekte für den größten Teil der monatlichen Geldleistungen aufkommen (Russland Analysen 21.2.2020a).
Familienbeihilfe
Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.142 Rubel (ca. 43 €). Beim zweiten Kind sowie bei weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.284 Rubel (ca. 86 €). Der maximale Betrag liegt bei 26.152 Rubel (ca. 358 €) (IOM 2019). Seit 2018 gibt es für einkommensschwache Familien für Kleinkinder (bis 1,5 Jahre) monetäre Unterstützung in Höhe des regionalen Existenzminimums (Russland Analysen 21.2.2020a).
Mutterschaft
Mutterschaftsurlaub kann für bis zu 140 Tage bei vollem Gehaltsbezug beantragt werden (70 Tage vor der Geburt, 70 Tage danach). Im Falle von Mehrlingsgeburten kann der Urlaub auf 194 Tage erhöht werden. Das Minimum der Mutterschaftshilfe liegt bei 100% des gesetzlichen Mindestlohns bis zu einem Maximum im Vergleich zu einem 40-Stunden-Vollzeitjob. Der Mindestbetrag der Mutterschutzhilfe liegt bei 9.489 Rubel (ca. 130 €) und der Maximalbetrag bei 61.327 Rubel (ca. 840 €) (IOM 2019). Weiters gibt es landesweite Pauschalzahlungen für die Geburt und die medizinische Registrierung vor der 12. Schwangerschaftswoche und seit 2020 Lohnersatzzahlungen von 40% in den ersten drei Jahren der Elternzeit. Mütter haben auch Anspruch auf zwei zusätzliche bezahlte Urlaubstage bis zum 14. Lebensjahr des Kindes. Bezüglich Betreuungseinrichtungen von Kindern ist zu sagen, dass die Gebühren dafür niedrig sind und hohe Vergünstigungen bei zunehmender Kinderanzahl bieten. Obwohl das Angebot von Betreuungseinrichtungen regional variiert, gibt es im Allgemeinen ein breites Versorgungsnetz (Russland Analysen 21.2.2020b).
Mutterschaftskapital
Zu den bedeutendsten Positionen der staatlichen Beihilfe zählt das Mutterschaftskapital, in dessen Genuss Mütter mit der Geburt ihres zweiten Kindes kommen. Dieses Programm wurde 2007 aufgelegt und wird russlandweit umgesetzt. Der Umfang der Leistungen ist beträchtlich (RBTH 22.4.2017). Ab dem 1.1.2020 wird das Mutterschaftskapital in Russland erhöht (Russland Capital 7.6.2019). Es beträgt derzeit 616.000 Rubel [ca. 6.835 €] (AA 2.2.2021). Man bekommt das Geld allerdings erst drei Jahre nach der Geburt ausgezahlt, und die Zuwendungen sind an bestimmte Zwecke gebunden. So etwa kann man von den Geldern Hypothekendarlehen tilgen, weil dies zur Verbesserung der Wohnsituation beiträgt. In einigen Regionen darf der gesamte Umfang des Mutterkapitals bis zu 70% der Wohnkosten decken. Aufgestockt werden die Leistungen durch Beihilfen in den Regionen (RBTH 22.4.2017). Die Höhe des Mutterschaftskapitals entspricht etwa einem durchschnittlichen Jahresgehalt, und bisher profitierten über fünf Millionen Familien davon. Das Mutterschaftskapital soll laut Putin bis Ende 2026 fortgeführt werden und auf die Geburt des ersten Kindes ausgeweitet werden (Russland Analysen 21.2.2020a). Das Mutterschaftskapital muss nicht versteuert werden und ist status- und einkommensunabhängig (Russland Analysen 21.2.2020b).
Behinderung
Arbeitnehmer mit einem Invalidenstatus haben das Recht auf eine Invaliditätspension. Dies gilt unabhängig von der Ursache der Behinderung. Die Invaliditätspension wird für die Dauer der Behinderung gewährt oder bis zum Erreichen des normalen Pensionsalters (IOM 2019). Zum 1. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension beeinträchtigter Menschen bei 9.823 Rubel [ca. 109 €]. Menschen mit Beeinträchtigungen können eine Pension in Höhe von bis zu 14.093 Rubel [ca. 156 €] monatlich erhalten (AA 2.2.2021).
Arbeitslosenunterstützung
Personen können sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin bietet die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz an. Sollten Bewerber diesen zurückweisen, werden sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Die Mindestarbeitslosenunterstützung pro Monat beträgt 1.500 Rubel (ca. 21 €) und die Maximalunterstützung 8.000 Rubel (ca. 111 €). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden. Arbeitssuchende, die sich bei der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung registriert haben, haben das Recht, an kostenlosen Fortbildungen teilzunehmen und so ihre Qualifikationen zu verbessern. Ebenfalls bieten private Schulen, Trainingszentren und Institute Schulungen an. Diese sind jedoch nicht kostenlos (IOM 2019).
Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen
Ein weiteres Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für große Teile der Bevölkerung unbezahlbar (AA 2.2.2021). Bürger ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbaren Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Informationen über die jeweiligen Kategorien zur Qualifizierung für eine kostenlose Unterkunft sowie die dazu notwendigen Dokumente erhält man bei den kommunalen Stadtverwaltungen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an. Junge Familien mit vielen Kindern können staatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Die Wohnungskosten sind regionenabhängig. Die durchschnittlichen monatlichen Nebenkosten liegen derzeit bei ca 3.200 Rubel (ca. 44 €) (IOM 2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
• BDA- Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOl
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 18.2.2021
• IOM - International Organisation for Migration (2019): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/ Russland_-_Country_Fact_Sheet_2019,_deutsch.pdf?nodeid=21860150&vernum=-2 , Zugriff 18.2.2021
• RBTH - Russia beyond the Headlines (22.4.2017): Gratis-Studium und Steuerbefreiung: Russlands Wege aus der Geburtenkrise, https://de.rbth.com/gesellschaft/2017/04/22/gratis-studium-und-ste uerbefreiung-russlands-wege-aus-der-geburtenkrise_747881 , Zugriff 18.3.2020
• Russland Analysen/ Brand, Martin (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen38 2.pdf , Zugriff 4.2.2020
• Russland Analysen/ Hornke, Theresa (21.2.2020b): Russlands Familienpolitik, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff 4.2.2020
• Russland Capital (7.6.2019): Das Mutterschaftskapital wird auf 470.000 Rubel erhöht, https://ww w.russland.capital/das-mutterschaftskapital-wird-auf-470-000-rubel-erhoeht , Zugriff 18.3.2020
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 10.06.2021
Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger der Russischen Föderation ist in der Verfassung verankert (GIZ 1.2021c; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Voraussetzung ist lediglich eine Registrierung des Wohnsitzes im Land [bitte vergleichen Sie hierzu die Kapitel zu Bewegungsfreiheit, insbesondere Meldewesen]. Am Meldeamt nur temporär registrierte Personen haben Zugang zu medizinischer Notversorgung, während eine permanente Registrierung stationäre medizinische Versorgung ermöglicht. Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß dem 'Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung' garantierten Umfang (ÖB Moskau 6.2020). Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der 'Nationalen Projekte', die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Seit 2002 ist die Lebenserwartung in Russland stetig gestiegen (GIZ 1.2021c).
Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung (IOM 2019; vgl. ÖB Moskau
6.2020) . Alle russischen Staatsbürger, egal ob sie einer Arbeit nachgehen oder nicht, sind von der Pflichtversicherung erfasst (ÖB Moskau 6.2020). Dies gilt somit auch für Rückkehrer, daher kann jeder russische Staatsbürger bei Vorlage eines Passes oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis 14) eine OMS-Karte erhalten. Diese muss bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden (IOM 2019). An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung - Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2019; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Durch die Zusatzversicherung sind einige gebührenpflichtige Leistungen in einigen staatlichen Krankenhäusern abgedeckt (ÖB Moskau 6.2020).
Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken, stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Behandlungen innerhalb der OMS sind kostenlos. Für die zahlungspflichtigen Dienstleistungen gibt es Preislisten auf den jeweiligen Webseiten der öffentlichen und privaten Kliniken (IOM 2019; vgl. ÖB Moskau 6.2020), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 27.11.2018). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 27.11.2018; vgl. Ostexperte 22.9.2017). Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig (GIZ 1.2021c). Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 1.2021c; vgl. AA 2.2.2021). Kostenpflichtig sind einerseits Sonderleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind) (ÖB Moskau 6.2020).
Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Einrichtung und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht, die medizinische Einrichtung nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Dies bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen als dem 'zuständigen’ Krankenhaus, bzw. bei einem anderen als dem 'zuständigen’Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Einrichtung können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Einrichtung durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Einrichtungen zur Auswahl stehen. Abgesehen von den oben stehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen (ÖB Moskau 6.2020).
Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 6.2020). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 1.2015). In Notfällen sind Medikamente in Kliniken, wie auch an Ambulanzstationen, kostenfrei erhältlich. Für gewöhnlich kaufen russische Staatsbürger ihre Medikamente jedoch selbst. Bürgern mit speziellen Krankheiten wird Unterstützung gewährt, u.a. durch kostenfreie Medikamente, Behandlung und Transport. Die Kosten für Medikamente variieren, feste Preise bestehen nicht (IOM 2019). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann. Der Staat hat viele Finanzierungspflichten auf die Regionen abgewälzt, die in manchen Fällen nicht ausreichend Budget haben, weshalb die Zustände in manchen Krankenhäusern schlecht sind, medizinische Ausrüstungen veraltet und die Ärzte überlastet und unterbezahlt. Probleme gibt es deshalb mitunter bei der Diagnose und Behandlung von Patienten mit besonders seltenen Krankheiten in der Russischen Föderation, da meist die finanziellen Mittel für die teuren Medikamente und Behandlungen in den Regionen nicht ausreichen (ÖB Moskau 6.2020). Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Die Wege zu einer medizinischen Einrichtung auf dem Land können mehrere Hundert Kilometer betragen. Hauptprobleme stellen jedoch die strukturelle Unterfinanzierung des Gesundheitssystems und die damit verbundenen schlechten Arbeitsbedingungen dar. Sie führen zu einem großen Mangel an Ärzten und Pflegekräften. Die vom Staat vorgegebenen Wartezeiten auf eine Behandlung werden um das Mehrfache überschritten und können sogar mehrere Monate betragen. In vielen Regionen wie bspw. Tschetschenien wurden
moderne Krankenhäuser und Behandlungszentren aufgebaut. Ihr Betrieb ist jedoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal oft erschwert (AA 2.2.2021).
Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu die Kapitel Bewegungsfreiheit und Meldewesen) (DIS 1.2015).
Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist (ÖB Moskau 6.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 17.2.2021
• GTAI - German Trade and Invest (27.11.2018): Russlands Privatkliniken glänzen mit hohem Wachstum, https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/suche ,t=russlands-privatkliniken-gla enzen-mit-hohem-wachstum,did=2183416.html , Zugriff 17.2.2021
• DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-missi on-report.pdf , Zugriff 17.2.2021
• IOM - International Organisation of Migration (2019): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/Russ land_-_Country_Fact_Sheet_2019,_deutsch.pdf?nodeid=21860150&vernum=-2 , Zugriff
17.2.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 17.2.2021
• Ostexperte.de (22.9.2017): Privatkliniken in Russland immer beliebter, https://ostexperte.de/russla nd-privatkliniken/ , Zugriff 17.2.2021
Tschetschenien
Letzte Änderung: 10.06.2021
Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Tschetschenien eine eigene öffentliche Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen wie z.B. regionale Spitäler (spezialisierte und zentrale), Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfalleinrichtungen leitet. Das Krankenversicherungssystem wird vom territorialen verpflichtenden Gesundheitsfonds geführt. Schon 2013 wurde eine dreistufige Roadmap eingeführt, mit dem Ziel, die Verfügbarkeit und Qualität des tschetschenischen Gesundheitssystems zu erhöhen. In der ersten Stufe wird die primäre Gesundheitsversorgung, inklusive Notfall- und spezialisierter
Gesundheitsversorgung, zur Verfügung gestellt. In der zweiten Stufe wird die multidisziplinäre spezialisierte Gesundheitsversorgung und in der dritten Stufe die spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt (BDA CFS 31.3.2015). Es sind somit in Tschetschenien sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitseinrichtungen verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele vor nicht allzu langer Zeit erbaut wurden (DIS 1.2015).
Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, Schwangere und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015). Weitere Krankheiten, für die Medikamente kostenlos abgegeben werden (innerhalb der obligatorischen Krankenversicherung), sind:
• infektiöse und parasitäre Krankheiten
• Tumore
• endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten
• Krankheiten des Nervensystems
• Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems
• Krankheiten des Auges und der Augenanhangsgebilde
• Krankheiten des Ohres und des Warzenfortsatzes
• Krankheiten des Kreislaufsystems
• Krankheiten des Atmungssystems
• Krankheiten des Verdauungssystems
• Krankheiten des Urogenitalsystems
• Schwangerschaft, Geburt, Abort und Wochenbett
• Krankheiten der Haut und der Unterhaut
• Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes
• Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen
• Geburtsfehler und Chromosomenfehler
• bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben
• Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die nicht in der Kategorie der Internationalen Klassifikation von Krankheiten gelistet sind (BDA CFS 31.3.2015).
Die obligatorische Krankenversicherung deckt unter anderem auch klinische Untersuchungen von bestimmten Personengruppen, wie Minderjährigen, Studierenden, Arbeitern usw., und medizinische Rehabilitation in Gesundheitseinrichtungen. Weiters werden zusätzliche Gebühren von Allgemeinmedizinern und Kinderärzten, Familienärzten, Krankenpflegern und Notfallmedizinern finanziert. Peritoneal- und Hämodialyse werden auch unterstützt (nach vorgegebenen Raten), einschließlich der Beschaffung von Materialien und Medikamenten. Die obligatorische Krankenversicherung in Tschetschenien ist von der föderalen obligatorischen Krankenversicherung subventioniert (BDA CFS 31.3.2015). Trotzdem muss angemerkt werden, dass auch hier aufgrund der niedrigen Löhne der Ärzte das System der Zuzahlung durch die Patienten existiert (BDA CFS 31.3.2015; vgl. GIZ 1.2021c, AA 2.2.2021). Es gibt dennoch medizinische Einrichtungen, wo die Versorgung kostenfrei bereitgestellt wird, beispielsweise im Distrikt von Gudermes [von hier stammt Ramsan Kadyrow]. In kleinen Dörfern sind die ärztlichen Leistungen günstiger (BDA CFS 31.3.2015).
In Tschetschenien gibt es nur einige private Gesundheitseinrichtungen, die normalerweise mit Fachärzten arbeiten, welche aus den Nachbarregionen eingeladen werden. Die Preise sind hier um einiges höher als in öffentlichen Institutionen, und zwar aufgrund von komfortableren Aufenthalten, besser qualifizierten Spezialisten und modernerer medizinischerAusstattung (BDA CFS 31.3.2015).
Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA CFS 31.3.2015).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
• BDA - Belgium Desk on Accessibility [EU] (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOl
• DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-missi on-report.pdf , Zugriff 18.3.2020
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 17.2.2021
Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien
Letzte Änderung: 10.06.2021
Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind:
'Achkhoy-Martan RCH' (regional central hospital), 'Vedenskaya RCH', 'Grozny RCH', 'Staro-Yurt RH' (regional hospital), 'Gudermessky RCH', 'Itum-Kalynskaya RCH', 'Kurchaloevskaja RCH', 'Nadterechnaye RCH', 'Znamenskaya RH', 'Goragorsky RH', 'Naurskaya RCH', 'Nozhai-Yurt
RCH', 'Sunzhensk RCH', Urus-Martan RCH', 'Sharoy RH', 'Shatoiski RCH', 'Shali RCH', 'Chiri- Yurt RCH', 'Shelkovskaya RCH', 'Argun municipal hospital N° 1' und 'Gvardeyskaya RH' (BDA CFS 31.3.2015).
Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind:
'The Republican hospital of emergency care' (former Regional Central Clinic No. 9), 'Republican Centre of prevention and fight against AIDS', 'The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova', 'Republican Oncological Dispensary', 'Republican Centre of blood transfusion', 'National Centre for medical and psychological rehabilitation of children', 'The Republican Hospital', 'Republican Psychiatric Hospital', 'National Drug Dispensary', 'The Republican Hospital of War Veterans', 'Republican TB Dispensary', 'Clinic of pedodontics', 'National Centre for Preventive Medicine', 'Republican Centre for Infectious Diseases', 'Republican Endocrino- logy Dispensary', 'National Centre of purulent-septic surgery', 'The Republican dental clinic', 'Republican Dispensary of skin and venereal diseases', 'Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation', 'Psychiatric Hospital ‘Samashki', 'Psychiatric Hospital ‘Darban- hi'', 'Regional Paediatric Clinic', 'National Centre for Emergency Medicine', 'The Republican Scientific Medical Centre', 'Republican Office for forensic examination', 'National Rehabilitation Centre', 'Medical Centre of Research and Information', 'National Centre for Family Planning', 'Medical Commission for driving licenses' und 'National Paediatric Sanatorium ‘Chishki'' (BDA CFS 31.3.2015).
Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind:
'Clinical Hospital N° 1 Grozny', 'Clinical Hospital for children N° 2 Grozny', 'Clinical Hospital N° 3 Grozny', 'Clinical Hospital N° 4 Grozny', 'Hospital N° 5 Grozny', 'Hospital N° 6 Grozny', 'Hospital N° 7 Grozny', 'Clinical Hospital N° 10 in Grozny', 'Maternity N° 2 in Grozny', 'Polyclinic N° 1 in Grozny', 'Polyclinic N° 2 in Grozny', 'Polyclinic N° 3 in Grozny', 'Polyclinic N° 4 in Grozny', 'Polyclinic N° 5 in Grozny', 'Polyclinic N° 6 in Grozny', 'Polyclinic N° 7 in Grozny', 'Polyclinic N° 8 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 1', 'Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 5', 'Dental complex in Grozny', 'Dental Clinic N° 1 in Grozny', 'Paediatric Psycho-Neurological Centre', 'Dental Clinic N° 2 in Grozny' und 'Paediatric Dental Clinic of Grozny' (BDA CFS 31.3.2015).
Quellen:
• BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
Dagestan
Letzte Änderung: 10.06.2021
Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Dagestan eine eigene Gesundheitsverwaltung, welche die regionalen Gesundheitseinrichtungen (spezialisierte und zentrale Krankenhäuser, Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfallambulanzen, etc.) umfasst. Auch in Dagestan gibt es sowohl öffentliche als auch private Gesundheitseinrichtungen. Öffentliche Einrichtungen haben keine offiziellen Preislisten ihrer Behandlungen, da prinzipiell Untersuchungen, Behandlungen und Konsultationen kostenfrei sind. Jedoch muss auf die informelle Zuzahlung hingewiesen werden (beispielsweise, um die Wartezeit zu verkürzen). Die Zahlungen sind jedoch geringer als in privaten Institutionen. Die Qualität der Behandlung ist in öffentlichen Einrichtungen nicht schlechter - viele Fachärzte arbeiten sowohl in öffentlichen als auch privaten Einrichtungen. Die Ausstattung und die Geräte sind meist in privaten Einrichtungen besser (BDACFS 25.3.2016).
Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA CFS 31.3.2015).
Quellen:
• BDA - Belgium Desk on Accessibility [EU] (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOl
• BDA - Belgium Desk on Accessibility [EU] (25.3.2016): Accessibility of healthcare: Dagestan, Country Fact Sheet via MedCOl
Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Krankheiten, z.B. Posttraumatisches Belastungssyndrom PTBS/PTSD, Depressionen, etc.
Letzte Änderung: 10.06.2021
Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Störungen und Krankheiten sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgefährdeten (BMA 12248).
Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind in der gesamten Russischen Föderation behandelbar (BMA 12248). Dies gilt auch für Tschetschenien (BMA 14483). Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (Kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen [EMDR] und Narrative Expositionstherapie), um PTBS zu behandeln (BMA 14271), gibt es in Tschetschenien eine begrenzte Anzahl von Psychiatern, die Psychotherapien wie kognitive Verhaltenstherapie und Narrative Expositionstherapie anbieten (BMA 14483). Diverse Antidepressiva sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 12132, BMA 14483).
Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien psychische Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Repu- blican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebenden Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischer Probleme zwischen 700-2.000 Rubel (ca. 8-24€). In diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).
Folgende häufig angefragte Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind verfügbar (v.a. auch in Tschetschenien):
Sertralin (BMA 12132, BMA 14483)
Escitalopran (BMA 12248, BMA 12977)
Paroxetin (BMA 12863, BMA 14483)
Citalopram (BMA 12977)
Fluoxetin (BMA 14483)
Quellen:
• BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOl
• International SOS via MedCOl (3.4.2019): BMA 12248
• International SOS via MedCOl (18.11.2019): BMA 12977
• International SOS via MedCOl (12.2.2021): BMA 14483
• International SOS via MedCOl (10.3.2020): BMA 12863
• International SOS via MedCOl (25.2.2019): BMA 12132
• International SOS via MedCOl (14.12.2020): BMA 14271
Behandlungsmöglichkeiten HIV/AIDS / Hepatitis / Tuberkulose
Letzte Änderung: 10.06.2021
Ein ernstes Problem bleibt die Bekämpfung von HIV/AIDS. Der Anteil der AIDS-Kranken an der Bevölkerung wächst in Russland schneller als im Rest der Welt. Bis zu 1,7% der Bevölkerung sind mit HIV infiziert. Bei den 35-39-Jährigen sind es sogar 3,2%. Die Zahl der Neuinfizierten steigt jährlich um mehr als 100.000. Die Krankheit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Eine 'Nationale Strategie der AIDS-Bekämpfung’ soll die Verbreitung eindämmen. Da jedoch ein korrespondierender Umsetzungsplan fehlt, bleibt die Lage weiterhin außer Kontrolle. Die Kosten der Behandlung werden nur für russische Bürger übernommen. Infizierte Migranten werden nicht behandelt (AA 2.2.2021). HIV/AIDS ist in der Russischen Föderation mittels bestimmter antiretroviraler Medikamente generell behandelbar (BMA 13876). Dies gilt auch für Tschetschenien (BDA 6757).
Hepatitis ist in der Russischen Föderation generell behandelbar (BMA 12364).
Tuberkulose ist beispielsweise im Central Scientific Research Institute of Tuberculosis in Moskau behandelbar (BMA 13699). In Tschetschenien beispielsweise ist Tuberkulose in jedem Teil der Republik generell behandelbar, z.B. in Gudermes, Naderetchnyj, Shali, Shelkovskyj und Grosny. Es gibt in Grosny auch eine eigene Tuberkulose-Abteilung für Kinder (BDA 31.3.2015).
In Moskau beispielsweise werden auch die Kosten für die Behandlung der häufig vorkommenden Krankheit Tuberkulose vom Moskauer Forschungs- und Klinikzentrum für Tuberkulosebekämpfung übernommen. Jeder, auch Migranten oder Obdachlose, haben Zugang zu diesen kostenlosen Gesundheitsleistungen (ÖB Moskau 6.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 25.2.2021
• International SOS via MedCOI (7.8.2020): BMA 13876
• International SOS via MedCOI (13.5.2019): BMA 12364
• International SOS via MedCOI (19.6.2020): BMA 13699
• Belgian Immigration Office (29.6.2018): Question & Answer, BDA6757
• BDA- Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 17.2.2021
Behandlungsmöglichkeiten Drogensucht
Letzte Änderung: 10.06.2021
Es gibt in der Russischen Föderation ein Drogenersatzprogramm, das zwar nicht mit Methadon erfolgt, sondern durch Alternativen wie beispielsweise Buprenorphin und Naloxon. Methadon ist in der Russischen Föderation nicht registriert. Es gibt Reha-Kliniken für Drogenabhängigkeit (BMA 12236).
Quellen:
• International SOS via MedCOI (29.3.2019): (BMA 12236)
Behandlungsmöglichkeiten Nierenerkrankungen, Dialyse, Lebertransplantationen, Diabetes
Letzte Änderung: 10.06.2021
Nierenerkrankungen und (Hämo-)Dialyse sind sowohl in der Russischen Föderation als auch in Tschetschenien behandelbar bzw. verfügbar (BMA 12506, BDA 31.3.2015). Auch Diabetes ist in der Russischen Föderation behandelbar (BMA 12353). Es werden in Russland auch prinzipiell Transplantationen durchgeführt, jedoch muss man sich auf eine Warteliste setzen lassen (BDA 31.3.2015). Leberfunktionstests sind in der RF generell verfügbar, Lebertransplantationen sind in Moskau grundsätzlich verfügbar (AVA 14382). Krankenhäuser haben bestimmte Quoten bezüglich der Behandlungen von Personen (z.B. Lebertransplantation) aus anderen Regionen oder Republiken der Russischen Föderation. Um solch eine Behandlung außerhalb der Region des permanenten Aufenthaltes zu erhalten, braucht die Person eine Garantie von der regionalen Gesundheitsbehörde, dass die Kosten für die Behandlung rückerstattet werden (BDA 31.3.2015).
Quellen:
• BDA- Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
• International SOS via MedCOI (12.7.2019): BMA 12506
• International SOS via MedCOI (8.5.2019): BMA 12353
• International SOS via MedCOI (7.1.2021): AVA 14382
Rückkehr
Letzte Änderung: 10.06.2021
Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über die Rückübernahme. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer am Ort ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren [vgl. Kapitel Bewegungsfreiheit und Meldewesen]. Dies gilt generell für alle russischen Staatsangehörigen, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach welchem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert, und diese Person kann, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 6.2020).
Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft etwa bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mithilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, vor allem für junge Mädchen, wenn diese in einem westlichen Umfeld aufgewachsen sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf eine mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt (ÖB Moskau 6.2020).
Nach einer aktuellen Auskunft eines Experten für den Kaukasus ist allein die Tatsache, dass im Ausland ein Asylantrag gestellt wurde, noch nicht mit Schwierigkeiten bei der Rückkehr verbunden (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien aber für jene ergeben, die schon vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB Moskau 6.2020).
Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten noch immer von willkürlichem Vorgehen der Polizei. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (auch ohne Durchsuchungsbefehle) finden bei diesen Personen häufiger statt (AA 2.2.2021).
Rückkehrende werden grundsätzlich nicht als eigene Kategorie oder schutzbedürftige Gruppe aufgefasst. Folglich gibt es keine individuelle Unterstützung durch den russischen Staat. Rückkehrende haben aber wie alle anderen russischen Staatsbürger Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen [vgl. Kapitel Sozialbeihilfen]. Es gibt auch finanzielle und administrative Unterstützung bei Existenzgründungen. Beispielsweise können Mikrokredite für Kleinunternehmen bei Banken beantragt werden. Einige Regionen bieten über ein Auswahlverfahren spezielle Zuschüsse zur Förderung von Unternehmensgründungen an. Programme zur Unterstützung kleiner Unternehmen werden auf regionaler Ebene implementiert, aber die verfügbaren Fördersummen sind begrenzt. Projekte und Kandidaten werden deshalb auf Basis eines Auswahlverfahrens der jeweiligen Businesspläne bestimmt. Die Förderung kann in Form eines Zuschusses oder eines Kredites erfolgen (IOM 2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 25.2.2021
• IOM - International Organisation for Migration (2019): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/ Russland_-_Country_Fact_Sheet_2019,_deutsch.pdf?nodeid=21860150&vernum=-2 , Zugriff 25.2.2021
• ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 25.2.2020
Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF)
Letzte Änderung: 10.06.2021
Zurückkehrende unbegleitete Minderjährige können in einem Kinderheim untergebracht werden, wenn sich keine Verwandten zur Aufnahme bereit erklären. Die Zuständigkeit liegt bei den Behörden des registrierten Wohnortes des Minderjährigen (AA 2.2.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtige s_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 25.2.2021
Dokumente
Letzte Änderung: 10.06.2021
Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. Gründe hierfür liegen häufig in mittelbarer Falschbeurkundung und unterschiedlichen Schreibweisen von beispielsweise Namen oder Orten. In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsnachweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle und Gerichtsurteile. Es gibt auch Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt werden (AA 13.2.2019). Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, wobei die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einen zeitaufwändigen Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte 'Vorladungen’ zur Polizei geben (DIS 1.2015).
Weder die Staatendokumentation, noch der Verbindungsbeamte oder die Österreichische Botschaft können die Bedeutung von Reisepassnummern, welche sich auf die ausstellenden Behörden beziehen, nachvollziehen (VB 4.3.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärti ges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russi schen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff 1.3.2021
• DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, https://www.ecoi.net/en/file/local/1215362/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-fin ding-mission-report.pdf , Zugriff 10.3.2020
• VB - Verbindungsbeamter für die Russische Föderation [Österreich] (4.3.2021): Auskunft per E-Mail
Rechtlich wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin keine Rückkehrgefährdung zu befürchten habe und die Sicherheitslage in der Russischen Föderation aktuell auch nicht so sei, dass jeder Zurückkehrende unabhängig von individuellen Gründen der konkreten Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK geschützen Rechte ausgesetzt wäre. Auch die humanitäre Situation in der Russischen Föderation bringe keine Verletzung von Art. 3 EMRK mit sich. Psychische Erkrankungen seien in der Russischen Föderation behandelbar und lägen bei ihr keine schwerwiegenden Erkrankungen vor. Für sie als arbeitsfähige Staatsbürgerin ihres Herkunftsstaates sei die Grundversorgung gewährleistet. Dass sie über (gar) keine familiären Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat verfüge, sei jedoch nicht glaubhaft. Mangels ersichtlicher Zugehörigkeit zu einer von Covid-19 besonders gefährdeten Personengruppe und die derzeitige Pandemiesituation sei eine Rückkehr in ihren Herkunftsstat möglich. Nach der Judikatur des EGMR (zB Applikation no. 7702/04 Salkic an Others against Sweden) resultiere aus Art. 3 EMRK kein Bleiberecht, wenn der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht so wie der aktuelle Aufenthaltsstaat biete. Außerordentliche Umstände, welche Art. 3 EMRK verletzen würden, lägen nicht vor (zu Spruchpunkt I.). Umstände, welche die Erteilung eines Aufenthaltsrechtes nach § 57 AsylG 2005 erforderten, seien nicht gegeben (zu Spruchpunkt II.) Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass die illegale Einreise strafbar sei und ihr im Ergebnis unberechtigter Asylantrag offenbar zwecks Umgehung der Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen gestellt worden sei. Ein Familienleben in Österreich betehe nicht. Infolge der wiederholten Asylantragstellung (nach rechtskräftiger Rückkehrentscheidung) würden ihre Integrationsschritte der letzten sechs Jahre erheblich relativiert. Unter Bedachtnahme auf die auszugsweise wiedergegebene Judikatur des EGMR und beider Höchstgerichte bedeute dies, dass sie bislang kaum Interesse an einer gesellschaftlichen Integration gezeigt habe und sich auch nicht um Arbeit bemüht habe., sodass insgesamt trotz ihres knapp sechsjährigen Aufenthalts keine besondere Integration ersichtlich sei. Da sie den Großteil ihres Lebens in der Russischen Föderation verbracht habe, die Landessprache beherrsche und mit den kulturellen Gepflogenheiten dort vertraut sei, sei davon auszugehen, dass diese Bindungen jene geringfügigen zu Österreich bei weitem überwiegen. Eine Reintegration in die dortige Gesellschaft erscheine möglich und ihr zumutbar. (zu Spruchpunkt III.) Ihre Abschiebung sei im Hinblick auf § 50 FPG auch zulässig (zu Spruchpunkt IV.). Unter Bedachtnahme auf die vorgebrachten Gründe sei die Frist für die freiwillige Ausreise mit 2 Wochen festzulegen gewesen (zu Spruchpunkt V.).
In der vom Vertreter der Beschwerdeführerin dagegen erhobenen vollumfänglichen Beschwerde vom 16.11.2020 brachte dieser vor, dass der erste Asylantrag mit Erkenntnis des BVwG vom 14.02.2018, Zl. W211 2129040-1/59E, rechtskräftig abgewiesen worden sei. Gegen die Abweisung des Folgeantrages vom 26.06.2018 (hinsichtlich subsidiären Schutz samt Rückkerentscheidung) mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.10.2020 richte sich die vorliegende Beschwerde. Hinsichtlich Asyl sei der Folgeantrag bereits mit Erkenntnis des BVwG vom 02.06.2020, Zl. W147 2129040-3/16E, rechtskräftig negativ entschieden worden. Die Behörde sei ihren Ermittlungspflichten nicht ausreichend nachgekommen und habe die vorgelegte psychotherapeutische Stellungnahme von XXXX (suizidale Krisen, intensive Trauerphase samt Diagnose) nicht berücksichtigt, sondern sich ausschließlich auf das Gutachten von XXXX vom „12.12.2018“ gestützt. Ferner stütze sich die Behörde auf unvollständige Länderberichte. Zudem habe die Behörde nicht begründet, weshalb die vorgebrachten Fluchtgründe nicht asylrelevant seien. Die alleinstehende Beschwerdeführerin könne als verfolgte und von der Omon gefolterte und vergewaltigte Frau im Herkunftsstaat keine Existenzgrundlage aufbauen. Eine medizinische Versorgung sei ohne erhebliche finanzielle Mittel nicht gegeben. Auch habe die Behörde verabsäumt, den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beurteilung nach Art. 8 EMRK zu berücksichtigen. (EGMR [GK] 13.12.2016, 41738/10 Paposhvili/Belgien). Bei Durchführung einer korrekten Beweiswürdigung wäre das Vorbringen der Beschwerdeführerin als glaubwürdig zu erachten gewesen. In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeührt, dass die Beschwerdeführerin über keine finanziellen Mittel zur Inanspruchnahme medizinischer Behandlung ihrer psychischen Leiden verfüge und ihre Familie Angst vor eigener Verfolgung im Fall ihrer Unterstützung habe. Zudem sei eine adäquate Behandlung ihrer Leiden in Dagestan bzw. Russland nicht möglich, weil dies mit sehr hohen Kosten verbunden sei. Die Länderberichte würden lediglich allgemeine Informationenen jedoch keine spezifischen über die Behandlungssmöglichkeit der Leiden der Beschwerdeführerin in Dagestan bzw. in Russland beinhalten und sei auch die Verfügbarkeit der Medikamente dort nicht überprüft worden. Es sei daher davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin binnen kurzer Zeit in eine hoffnungslose Notlage geraten würde. Außerdem bestehe die ernsthafte Gefahr, Opfer von Folter bzw. Vergewaltigung zu werden. Ihre Abschiebung würde daher eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK bedeuten, weshalb auch mangels Ausschlussgründen subsidiärer Schtutz zuzuerkennen sei (zu Spruchpunkt I.). Da der Aufenthalt der Beschwerdeführerin weder die öffentliche Ordnung oder nationale Sicherheit noch das wirtschaftliche Wohl gefährde, sei der Eingriff in ihr Privatleben zudem unverhältnismäßig und auf Dauer unzulässig. Sie habe bereits Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 erworben und könne sich vorstellen, in Österreich als Nageldesignerin oder Altenbetreuerin zu arbeiten. Sie habe viele österreichische Freunde, welchen sie auch gerne unentgeltlich helfe. Die Behörde hätte den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin im Rahmen der Prüfung nach Art. 8 EMRK ausführlich prüfen müssen (EGMR [GK] 13.12.2016, 41738/10, Paposhvili/Belgien). Der vorliegende Sachverhalt sei also so mangelhaft ermittelt, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich sei. Vorgelegt wurden (neben mehreren unaktuellen und bereits aktenkundigen mediznischen Unterlagen) ein aktuelles Begleitschreiben eines Facharztes für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin vom 11.11.2020, wonach die Beschwerdeführerin aktuell an „rezidivierend depressiver Störung, gegenwärtig schwer ohne psychotische Symptome ZB PTBS“ leidet, medikamentös behandelt wird und eine Betreuung über die Volkshilfe samt unterstützenden Gesprächen dringend empfohlen werden. Das in der Beschwerde genannte Schreiben der Volkshilfe vom 30.09.2019 von der Psychotherapeutin XXXX lag ebenfalls bei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation aus Dagestan, und gehört der jüdischen Volksgruppe an. Ihre Identität steht nicht fest. Sie ist unverheiratet. Der Vater ihres Sohnes war Journalist und wurde am 09.07.2013 in Dagestan erschossen. Ihr Sohn ist im Jahr 2015 im Herkunftsstaat in Moskau angeblich ebenfalls verstorben. Nähere Angaben kann die Beschwerdeführerin dazu aber nicht machen und behauptet, eine Sterbeurkunde für ihn nicht zu besitzen.
Sie hat ihre Schul- und Berufsausbildung (Grundschule, Ausbildung zur Maniküre) im Herkunftsstaat absolviert und dort auch bereits verschiedene Arbeitserfahrung (Arbeiterin, Maniküre) gesammelt. Sie besitzt in ihrem Heimatort in Dagestan, wo auch ihre verheiratete Freundin lebt, eine Eigentumswohnung. Darüber hinaus bestehende familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat bestreitet die Beschwerdefüherin.
Sie reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte erstmals im Oktober 2014 anlässlich ihrers Aufgriffs durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienesetes einen unberechtigten Asylantrag, welcher letztlich mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.02.2018, Zl. W211 2129040-1/59E, abgewiesen wurde.
Ihr Antrag vom 25.06.2018 auf Wiederaufnahme dieses Verfahrens wurde letztlich mit Erkenntnis des BVwG vom 23.07.2018, Zl. W211 2129040-2/4E, abgewiesen, da die Beschwerdeführerin den nun behaupteten Tod ihres Sohnes im Jahr 2015 bereits im ersten Asylverfahren hätte geltend machen können.
Am 26.06.2018 stellte sie den verfahrensgegenständlichen zweiten Asylantrag und machte erneut den Tod ihres Sohnes im Jahr 2015 in Moskau geltend. Dieser sei von den gleichen Männern wie sein Vater, der Journalist war und am 09.07.2013 erschossen wurde, getötet worden.
Ihr bisheriger Aufenthalt als Asylwerberin war ein bloß vorübergehender und der Beschwerdeführerin musste ihr unsicherer Aufenthalt spätestens seit der Rückkehrentscheidung im ersten angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.06.2016 auch bewusst sein.
Die Beschwerdeführerin hat im Bundesgebiet bisher nicht gearbeitet. Sie bestreitet ihren Lebensunterhalt und ihre Krankenbehandlung in Österreich aus der staatlichen Grundversorgung.
Sie leidet aktuell an „rezidivierend depressiver Störung, gegenwärtig mittelgradig (F33.1), Anpassungstörung mit einer leicht- bis mittelgradigen depressiven Reaktion (F43.2)“ und nimmt medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung in Anspruch. Die Einvernahmefähigkeit der Beschwerdführerin ist dadurch nicht vermindert. Sie ist körperlich nicht eingeschränkt und nach eigenen Angaben arbeitsfähig und arbeitswillig. Im Herkunftsstaat bestehen entsprechende Behandlungsmöglichkeiten. Dort bezahlen die Patienten ihre Medikamente üblicherweise selbst. Aktuell besteht kein akuter Behandlungsbedarf wegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Die Beschwerdeführerin gehört auch nicht zur Risikogruppe von Covid 19.
Ihre Eltern sind bereits verstorben. Sie verfügt jedoch über soziale Anknüpfungspunkte (verheiratete Freundin, Schulfreunde, ehemalige Kollegen, Nachbarn) im Herkunftsstaat.
Die Beschwerdeführerin hat ihren Lebensunterhalt dort bereits durch eigene Erwerbstätigkeiten sichern können, beherrscht die Landessprache Russisch und ist mit den kulutrellen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten sowie den örtlichen Gegebenheiten im Herkunftsstaat vertraut.
Eine aufrechte Lebensgemeinschaft der Beschwerdefüherin oder eine partnerschaftliche Beziehung besteht in Österreich nicht. Sie wird von österreichischen Bekannten und Freunden beim Erlernen der deutschen Sprache unterstützt und hilft diesen unentgeltlich.
Die Beschwerdeführerin ist bislang in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Sie konnte auch keine Einstellungszusagen vorlegen. Sie verfügt über ein Zertifikat zu ihren Deutschkenntnissen auf dem Niveau A2 vom 31.03.2017. Seither hat sie keine weitere Prüfung mehr abgelegt. Die Beschwerdeführerin ist im Bundesgebiet unbescholten. Künftig möchte sie nicht mehr als Maniküre arbeiten, sondern kann sich vorstellen, in Österreich als Nageldesignerin oder im Bereich der Altenbetreuung tätig zu sein.
Das nunmehrige Vorbringen der Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen - ihr Sohn sei 2015 von denselben Männern umgebracht worden wie dessen Vater im Jahr 2013 bzw. dass im Fall der Rückkehr befürchte, ebenfalls getötet zu werden - wurde bereits mit rechtskräftigem Erkenntnis des BVwG vom 20.06.2020, Zl W147 2129040-3/16E, wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Begründend wurde darin ua. ausgeführt, dass das Fluchtvorbringen im letzten inhaltlichen Rechtsgang wegen Unglaubwürdigkeit bzw. des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht asylrelevant gewesen sei. Im nunmehrigen Vorbringen wirke (lediglich) der bisher vorgebrachte Sacherhalt fort. Neue Ereignisse, welche sich nach der rechtskräftigen Entscheidung über den ersten Antrag ereignet hätten, habe sie nicht geltend gemacht.
Es liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass die Beschwerdeführerin konkret Gefahr liefe, im Herkunftsstaat aktuell der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.
1.2. Zur Situation im Herkunftsland wird von den im angefochtenen Bescheid getroffenen und im Verfahrensgang bereits dargestellten Länderfeststellungen zur Russischen Föderation bzw. Tschetschenien ausgegangen.
1.3. Im Übrigen wird der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang der Entscheidung zugrundgelegt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zum bisherigen Verfahrensgang, zur Person der Beschwerdeführerin und ihrer Identität, zu ihren persönlichen und familiären Verhältnissen im Inland sowie im Herkunftsstaat sowie ihren integrativen Leistungen ergeben sich auf Grundlage des Inhaltes der zur Beschwerde vorgelegten Akten des Bundesamtes, insbesondere ihren Angaben in den Einvernahmen beim Bundesamt, einer Abfrage beim Zentralen Melderegister und der Einsichtnahme in das österreichische Strafregister sowie den von der Beschwerdeführerin im Verfahren vorgelegten Unterlagen (ärztliche Bestätigungen, Deutschzertifikate, Unterstützungsschreiben, Gerichtsentscheidungen).
Es ist nicht glaubhaft, dass die Beschwerdeführerin keine näheren Angaben zum behaupteten Tod ihres Sohnes machen, seine Sterbeurkunde nicht vorlegen kann oder überhaupt keinen Kontakt mehr zu ihrer Freundin im Heimatort hat. Dass sie kein Interesse an einer Sterbeurkunde für ihren Sohn behauptet, erscheint angesichts ihrer im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten Fluchtgründe und ihrem Nachforschungsersuchen in der Stellungnahme vom 14.09.2018 nicht schlüssig nachvollziehbar. Nach den durchgeführten Recherchen handelte es sich bei den bisher von ihr vorgelegten Urkunden um Fälschungen und ist mangels Sterbeurkunde daher nicht belegt, dass ihr in Moskau aufhältig gewesener Sohn tatsächlich bereits verstorben ist. Diese Behauptung wird der Entscheidung jedoch als solche zu Grunde gelegt. Dass ihre Freundin noch im Heimatort lebt, hat die Beschwerdeführerin selbst vorgebracht und wird der Entscheidung dementsprechend ebenfalls zu Grunde gelegt, auch wenn die von der Beschwerdeführerin hiezu angegebenen Personalien in einer Recherche nicht bestätigt werden konnten. Da die Beschwerdefüherin auch für sich und ihren Sohn gefälschte Urkunden im Asylverfahren vorgelegt hat, ist davon auszugehen, dass sie zu ihrer Freundin und deren Ehemann ebenfalls falsche Personalien angegeben hat, was jedoch in keiner Weise ausschließt, dass ihre Freundin nach wie vor im Heimatort in Dagestan lebt und ein allenfalls unterbrochener Kontakt wieder aufgenommen werden kann. Da die Beschwerdeführerin nach eigenen Angaben in der Russischen Föderation aufgewachsen ist, hat sie dort auch jedenfalls soziale Kontakte (Schulfreunde, Arbeitskollegen und auch Nachbarn).
Ihr weiteres Vorbringen vom 14.09.2018, dass sie in der Russischen Föderation überhaupt keine Verwandten mehr habe, steht im Widerspruch zu den Angaben in der Beschwerde über „ihre Familie“, auch wenn detailliertere Angaben vermieden wurden, und ist daher - wie bereits im angefochtenen Bescheid ausgeführt -nicht glaubhaft. Es wird also festgestellt, dass die Beschwerdeführerin bestreitet, im Herkunftsstaat über Verwandte zu verfügen.
Angemerkt wird dazu außerdem, dass es der Beschwerdeführerin nach eigenen Angaben aber schon bisher gelungen ist, ihren Lebensunterhalt als alleinstehende Frau samt Kind selbst zu bestreiten, und sogar offenbar nicht unerhebliche Ersparnisse erzielen konnte. Dass sie ihre Eigentumswohnung nicht mehr besitzen würde, hat sie nicht vorgebracht. Es ist demnach nicht ersichtlich, wieso dies der Beschwerdfeührerin im Fall der Rückkehr nach Inanspruchnahme der in der gesamten Russischen Föderation für diverse psychische Leiden wie etwa PTBS/PTSD verfügbaren, bis auf die Medikamente kostenlosen und in Moskau verfügbaren psychotherapeutischen Krankenbehandlung samt der für russische Staatsbürger verfügbaren Sozialleistungen (zB. Behindertenrente) bzw. nach Abschluss ihrer Trauerphase sowie unter Zuhilfenahme einer allenfalls nötigen finanziellen und persönlichen Unterstützung durch ihre Freundin nicht wieder möglich sein sollte, zumal die Beschwerdeführerin bereits vor ihrer Ausreise ca. ein Jahr lang im Sommerhaus der Freundin gelebt hat (AS 1056 ff).
Eine Gefährdung der Beschwerdeführerin durch Sicherheitsbehörden der Regierungskräfte im Zusammenhang mit dem ermordeten Journalisten oder ihrer Volksgruppenzugehörigkeit im Fall ihrer Rückkehr wurden bereits im rechtskräftigem Erkenntnis vom 14.02.2018, Zl. W2112129040-1/59E, verneint. Ob und wie der Sohn der Beschwerdeführerin (2015) verstorben ist, konnte mangels näherer Angaben der Beschwerdeführerin dazu nicht geklärt werden, auch wenn nicht glaubwürdig ist, dass sie darüber keine Informationen hat - zum Erkenntnis des BVwG vom 20.06.2020, Zl. W147 2129040-3/16E, womit die Asylfrage samt dem Vorbringen zum Tod des Sohnes der Beschwerdeführerin und ihrer Befürchtung, im Fall der Rückkehr ebenfalls getötet zu werden, bereits wegen entschiedener Sache rechtskräftig zurückgewiesen wurde. Die rechtskräftige Abweisung des ersten Antrages ergibt sich aus dem Erkenntnis des BVwG vom 14.02.2018, Zl. 2129040-1/59/E. Die Abweisung ihres Antrages auf Wiederaunahme des Verfahrens aus jenem Erkenntnis des BVwG vom 23.07.2018, W211 2129040-2/4E.
Dass der Beschwerdeführerin ihr vorübergehend rechtmäßiger und unsicherer Aufenthalt als Asylwerberin bewusst war, ergibt sich jedenfalls aus den ihr zugegangenen negativen Entscheidungen samt Rückkehrentscheidungen im Zusammenhalt mit ihren wiederholten und unberechtigten Anträgen im Asylbereich.
Die Feststellungen zum aktuellen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin resultieren aus den zur Beschwerde vorgelegten Akten des Bundesamtes und den diesbezüglich von der Beschwerdefüherin beigebrachten (teilweise jedoch unvollständigen) medizinischen Unterlagen sowie dem eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten vom 26.08.2020 eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie, welches als aktuell und schlüssig erachtet wird und der Beschwerdeführerin im Verfahren auch zur Kenntnis gebracht wurde. Dieses wird der Entscheidung zu Grunde gelegt. Das Gutachten basiert auf den für die Beschwerdeführerin vorgelegten Befunden eines österreichischen Krankenhauses, an deren Richtigkeit kein Zweifel besteht, sowie der persönlichen Befragung der Beschwerdeführerin mittels Dolmetscher. Das in der Beschwerde thematisierte Schreiben einer Psychotherapeutin der Volkshilfe vom 30.09.2019 mag zutreffend sein, betrifft aber einen, bereits einige Zeit zurückliegenden Zustand der Beschwerdeführerin und ist daher nicht mehr als aktuell zu bewerten, weshalb eine inhaltliche Auseinandersetzung des BVwG mit den darin enthaltenen Angaben im Detail nicht erforderlich erscheint, zumal der gegenständlichen Entscheidung der aktuelle Sachverhalt zu Grunde zu legen ist. Dass die Beschwerdeführerin in Österreich bleiben möchte, wurde im Sachverständigengutachten vom 26.08.2020 auch berücksichtigt (Pkt. 4. Fragebeantwortung). Zum weiters mit der Beschwerde vorgelegten fachärtzlichen Begleitschreiben vom 11.11.2020 eines Facharztes für Psychiatrie und psychotherapeutsiche Medzin zwecks Vorlage bei der Volkshilfe ist darauf hinzuweisen, dass der Facharzt darin selbst eine erhebliche Sprachbarriere beschreibt, wohingegen der im eingeholten Sachverständigengutachten vom 26.08.2020 dargelegte Befund unter Beiziehung einer Dolmetscherin erhoben werden konnte. Ein Attest, dass die Beschwerdeführerin der Risikogruppe von Covid 19 angehören würde, hat sie nicht vorgelegt und Derartiges auch gar nicht behauptet. In der Russischen Föderation sind zufolge der oa. Länderberichte Behandlungsmöglichkeiten aller Leiden - wenn auch nicht gänzlich kostenlos – vorhanden und für russische Staatsbürger auch zugänglich. Ein Attest über eine allfällige Einschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit hat die Beschwerdeführerin ebenfalls nicht vorgelegt, weshalb auch angesichts ihres eigenen Vorbringens grundsätzlich von ihrer Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit ausgegangen wird.
Auch aktuell liegen keine Hinweise darauf vor, dass die Beschwerdeführerin nach ihrer Rückkehr von den Mördern des Vaters ihres Sohnes getötet werden würde, zumal weder geklärt werden konnte, ob oder wie ihr Sohn verstorben ist, und die Beschwerdeführerin auch keine Gründe geltend machen konnte, welche eine maßgebliche Änderung jener Umstände bedeuten würde, welche der negativen Entscheidung mit Erkenntnis des BVwG vom 14.02.2018 zu Grunde gelegt wurden. Danach konnte eine Gefährdung der Beschwerdeführerein im Fall der Rückkehr nicht erkannt werden, vor allem weil sie nach den Übergriffen vom 09.07.2013 noch mehr als ein Jahr ohne weitere Übergriffe im Herkunftsstaat verbringen konnte und in dieser Zeit auch Kontakt zu den Behörden aufgenommen hat (vgl. S 66-67 der Entscheidung des BVwG vom 14.02.2018).
2.2. Die zur Lage in der Russischen Föderation/Nordkaukasus bzw. Dagestan getroffenen Feststellungen sind dem angefochtenen Bescheid entnommen und basieren auf aktuellen Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen und stellen angesichts des bereits Ausgeführten im konkreten Fall eine hinreichende Basis zur Beurteilung des Vorbringens der Beschwerdeführerin dar. Diese wurden inhaltlich von der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Vertretung auch nicht substantiiert bestritten. Die aktuell bestehenden psychischen Leiden der Beschwerdeführerin sind nach den getroffenen Länderfeststellungen in der gesamten russischen Föderation behandelbar, gängige Medikamente wurden aufgelistet und sind allenfalls auch im benachbarten Tschetschenien verfügbar. Dass eine adäquate Behandlung der Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation nicht möglich wäre, ist demzufolge nicht ersichtlich. Auch dass sie ernsthaft gefährdet sei, Opfer von Folter bzw. Vergewaltigung zu werden, ist unter Hinweis auf die rechtskräftige Entscheidung über den ersten Antrag bzw. die vorstehenden Ausführungen nicht schlüssig nachvollziehbar. Aus den getroffenen Länderfeststellungen lässt sich keine derartige Situation im Herkunftsland ableiten, wonach der Beschwerdeführerin allein aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage ohne Hinzutreten individueller Faktoren in der Russischen Föderation bzw. Dagestan aktuell und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person drohen würde oder dass ihr im Falle einer Rückkehr ins Herkunftsland die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Dies entspricht im Übrigen auch der Einschätzung des Europäischen Gerichtshofes für Menschrechte, wobei etwa auf das Urteil vom 09.07.2016 im Fall R.K. gegen Frankreich, Zl. 61.264/11, verwiesen wird, wonach die Situation im Nordkaukasus (inklusive Tschetschenien) – trotz dort festzustellender schwerer Menschenrechtsverletzungen – nicht so geartet ist, dass die Abschiebung dorthin automatisch eine Verletzung nach Art. 3 EMRK darstellen würde (vgl. dazu auch EGMR 30.11.2017, Application no. 54646/17, X v. Germany).
Auch im Hinblick auf die weltweite Ausbreitung des COVID-19 Erregers kann unter Zugrundelegung der medial ausführlich kolportierten Entwicklungen - auch im Herkunftsland - bislang keine derartige Entwicklung erkannt werden, die im Hinblick auf eine Gefährdung nach Art. 3 EMRK eine entscheidungsrelevante Lageänderung erkennen lässt (zu den aktuellen Zahlen vgl. https://covid19.who.int/ ).
2.3. Die Aufnahme weiterer Beweise war wegen Entscheidungsreife nicht mehr erforderlich.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn (Z 1) der der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder (Z 2) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Letztere Variante traf unter Berücksichtigung der in ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG vertretenen Ansicht über den prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auf die gegenständliche Konstellation zu (vgl. dazu etwa VwGH 28.07.2016, Zl. Ra 2015/01/0123).
Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs.1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“
Zu Spruchteil A):
Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides -zur Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:
Über den verfahrensgegenständlichen Antrag wurde hinsichtlich der Asylfrage bereits rechtskräftig entschieden (Spruchpunkt I. des Erkennnisses des BVwG vom 20.06.2020, Zl. W147 2129040-3/16E).
Wird ein Asylantrag "in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" abgewiesen, so ist dem Asylwerber gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, "wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde". Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 zu verbinden.
Angesichts des im Wesentlichen identen Regelungsinhalts des bis 31.12.2005 in Kraft stehenden § 8 Abs. 1 AsylG 1997 im Verhältnis zum nunmehr in Geltung stehenden § 8 Abs. 1 AsylG 2005 – abgesehen vom im letzten Halbsatz des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nunmehr enthaltenen zusätzlichen Verweis auf eine eventuelle ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes als weitere mögliche Bedingung für eine Gewährung subsidiären Schutzes – lässt sich auch die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum § 8 AsylG 1997 auch auf die neue Rechtslage anwenden.
Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Letzteres wurde wiederum durch das Protokoll Nr. 6 beziehungsweise Nr. 13 zur Abschaffung der Todesstrafe hinfällig. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Gemäß § 8 Abs. 3 und 6 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich dieses Status abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann. Daraus und aus mehreren anderen Vorschriften (§ 2 Abs. 1 Z 13, § 10 Abs. 1 Z 2, § 27 Abs. 2 und 4 AsylG 2005) ergibt sich, dass dann, wenn dem Asylwerber kein subsidiärer Schutz gewährt wird, sein Antrag auf interanationalen Schutz auch in dieser Beziehung förmlich abzuweisen ist.
Somit ist zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).
Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird – auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören –, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).
Gemäß der Judikatur des EGMR muss der Antragsteller die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 – Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller "Beweise" zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005). Auch der Verwaltungsgerichtshof stellte wiederholt mit Verweis auf die ständige Judikatur des EGMR klar, dass – abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde – es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. etwa VwGH 13.09.2016, Zl. Ra 2016/01/0096, Rz 9-12, zur diesbezüglich nicht beanstandeten Rückkehrmöglichkeit eines gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerbers nach Kabul; VwGH 05.10.2016, Zl. Ra 2016/19/0158, Rz 13-14, zur Rückkehrmöglichkeit eines gesunden Revisionswerbers nach Mogadischu). Zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK ist es notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 25.05.2016, Zl. Ra 2016/19/0036). Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).
Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059).
Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 25.05.2016, Zl. Ra 2016/19/0036). Selbst wenn vor dem Hintergrund dessen der Beschwerdefüher bei einer Rückkehr in eine in materieller Hinsicht äußerst beschwerliche, von erheblicher Armut geprägten Lebenssituation gelangen könnte, wäre aus diesen Erwägungen nicht abzuleiten, dass im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen würden, die die hohe Schwelle eines Eingriffs iSv Art. 2 und 3 EMRK erreichen würden. Diesbezüglich ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach sich aus schlechten Lebensbedingungen keine Gefährdung bzw. Bedrohung ergibt, und äußerst schwierige und bescheidene Lebensverhältnisse hinzunehmen sind (vgl. dazu etwa VwGH 25.05.2016, Zl. Ra 2016/19/0036, wonach die Feststellung, dass ein gesunder, arbeitsfähiger und erwachsener Mann ohne Berufsausbildung und -erfahrung bei einer Rückkehr nach Kabul kein berufliches oder familiäres Netz mehr vorfinden würde, zwar geeignet war, eine schwierige Lebenssituation bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht darzutun, jedoch noch keine reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse; VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059, wonach die voraussichtliche Unterbringung eines Asylwerbers in einem notdürftig errichteten, beheizten, mit Stroh ausgelegten Zelt, das er sich mit mehreren Personen teilen hätte müssen, grundsätzlich einer Abschiebung nicht entgegenstand, VwGH 05.10.2016, Zl. Ra 2016/19/0158, Rz 13-14, zur Rückkehrmöglichkeit eines gesunden Revisionswerbers nach Mogadischu ohne familiäre Unterstützung). Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend.
Aus dem oben festgestellten Sachverhalt ergab sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im gegenständlichen Fall nicht vorliegen.
Vor dem Hintergrund der Feststellungen kann nicht gesagt werden, dass jene gemäß der Judikatur des EGMR geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen zu lassen (VwGH vom 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Es liegen keine begründeten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beschwerdeführerin mit der hier erforderlichen Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, im Herkunftsland Übergriffen von im gegebenen Zusammenhang ausreichender Intensität ausgesetzt zu sein.
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, die sich an der Judikatur des EGMR orientiert, hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland (einer Abschiebung oder Überstellung) nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 21.02.2017, Zl. Ra 2017/18/0008, Rz 7-8 mit Verweis auf EGMR, 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff). Derartige außergewöhnliche Umstände konnten von der Beschwerdeführerin nicht dargetan werden.
Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten kann auch nicht angenommen werden, dass die grundsätzlich arbeitsfähige Beschwerdeführerin mit Schul- und Berufsausbildung sowie Berufserfahrung, welche ihren Lebensunterhalt im Herkunftsland durch eigene Erwerbstätigkeit finanzieren konnte, eine Eigentumswohnung erlangte sowie Ersparnisse bilden konnte und im Heimatstaat zumindest über soziale Kontakte (Freundin, Schulkollegen, Arbeitskollegen, Nachbarn) verfügt, in der Russischen Föderation sozialisiert wurde und die Landessprache beherrscht, nach einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (etwa Nahrung, Unterkunft, medizinische Versorgung) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, zumal sie schon vor ihrer Ausreise nahezu ein Jahr lang im Sommerhaus ihrer Freundin gelebt hat. Dazu ist zu ergänzen, dass die Grundversorgung der russischen Bevölkerung - wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt - gesichert ist. Diesbezüglich ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach sich aus schlechten Lebensbedingungen keine Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des § 57 FrG ergibt (vgl. etwa VwGH 30.1.2001, Zl. 2001/01/0021). Selbst wenn vor dem Hintergrund dessen die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in eine in materieller Hinsicht beschwerliche Lebenssituation gelangen könnte, war aus diesen Erwägungen nicht abzuleiten, dass im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen würden, die die hohe Schwelle eines Eingriffs iSv Art. 2 und 3 EMRK erreichen würden.
Schließlich kann auch nicht gesagt werden, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführerin für diese als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. In der Russischen Föderaton ist eine Zivilperson nicht allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt.
Insoweit war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.
Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides - Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG:
§ 57 Abs. 1 AsylG lautet:
"Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist."
Die belangte Behörde hatte gemäß § 58 Abs. 1 Z. 4 AsylG die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, dabei jedoch im Rahmen der Prüfung festgehalten, dass keine der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz vorgelegen sind.
Auch aus den Beschwerdeausführungen kann unter Bedachtnahme auf die bweiswürdigenden Ausführungen nicht erkannt werden, dass die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 AsylG vorliegen würden.
Es war diesbezüglich die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.
Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. und IV. – Rückkehrentscheidung und Abschiebung:
Gemäß § 10. Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.
Die Beschwerdeführerin befindet sich nach seit zumindest Oktober 2014 im Bundesgebiet und ihr Aufenthalt ist nicht geduldet. Sie ist nicht Zeugin oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt.
Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher - wie bereits zu Spruchpunkt III. ausgeführt - nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde konkret behauptet wurde.
Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Die Beschwerdeführerin ist als Staatsangehörige der Russischen Föderation keine begünstigte Drittstaatsangehörige, es kommt ihr kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu und ihr vorläufiges Aufenthaltsrecht als Asylwerberin endet mit dem Abschluss des gegenständlichen Verfahrens (§ 13 AsylG 2005).
Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Art. 8 Abs. 2 EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07-9; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423).
Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer „Familie“ voraussetzt.
In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen neben den zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienleben bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Als Kriterien hiefür kommen in einer Gesamtbetrachtung etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Intensität und die Dauer des Zusammenlebens bzw. die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Sich bei der Prüfung allein auf das Kriterium der Abhängigkeit zu beschränken, greift jedenfalls zu kurz (vgl. VwGH vom 26.1.2006, Zl. 2002/20/0423).
Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Für den Aspekt des Privatlebens spielt auch die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung grundsätzlich keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852ff.). Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zukommt (vgl. dazu VwGH 30.07.2015, Zl. 2014/22/0055; VwGH 23.06.2015, Zl. 2015/22/0026; VwGH 10.11.2010, Zl. 2008/22/0777, VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479). Anders verhält es sich bei einem über zehnjährigen inländischen Aufenthalt; nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (VwGH 10.11.2015, Zl. 2015/19/0001; VwGH 26.03.2015, Zl. 2013/22/0303; VwGH 16.12.2014, Zl. 2012/22/0169; VwGH 19.11.2014, Zl. 2013/22/0270; VwGH 10.12.2013, Zl. 2013/22/0242). Diese Judikatur wurde auch auf Aufenthalte ausgedehnt, die beinahe zehn Jahre erreichen (vgl. etwa VwGH 09.09.2014, Zl. 2013/22/0247 zu einem Aufenthalt von über neuneinhalb Jahren).
Diese Rechtsprechung betraf allerdings nur Konstellationen, in denen sich aus dem Verhalten des Fremden -abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich- sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab. Demgegenüber hat der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale auch gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden können. Dazu zählen das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung (vgl. VwGH 30.06.2016, Zl. Ra 2016/21/0165; VwGH 10.11.2015, Zl. Ro 2015/19/0001; VwGH 03.09.2015, Zl. Ra 2015/21/0121; VwGH 25.04.2014, Zl. Ro 2014/21/0054), Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften (wie etwa das Ausländerbeschäftigungsgesetz; vgl. VwGH 16.10.2012, Zl. 2012/18/006; VwGH 25.04.2014, Zl. Ro 2014/21/0054), eine zweifache Asylantragstellung (vgl. VwGH B 20.07.2016, Zl. Ra 2016/22/0039; VwGH Ra 2014/22/0078), unrichtige Identitätsangaben, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren (vgl. VwGH 04.08.2016, Zl. Ra 2015/21/0249; VwGH 30.06.2016, Zl. Ra 2016/21/0165), sowie die Missachtung melderechtlicher Vorschriften (vgl. VwGH 31.01.2013, 2012/23/0006).
Die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, stellen keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale dar (Hinweis E 26. November 2009, 2008/18/0720). Vom Verwaltungsgerichtshof wurde im Ergebnis auch nicht beanstandet, dass in Sprachkenntnissen und einer Einstellungszusage keine solche maßgebliche Änderung des Sachverhalts gesehen wurde, die eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK erfordert hätte (vgl. VwGH 19.11.2014, Zl. 2012/22/0056; VwGH 19.11.2014, Zl. 2013/22/0017, VwGH 12.10.2015, Zl. Ra 2015/22/0074).
Nach der bisherigen Rechtsprechung ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal etwa das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt rechtswidrig oder lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VfGH 12.06.2007, B 2126/06; VfGH vom 29.09.2007, Zl. B 1150/07-9; VwGH 24.04.2007, 2007/18/0173; VwGH 15.05.2007, 2006/18/0107, und 2007/18/0226). Nach ständiger Rechtssprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).
Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. EGMR 8.3.2008, Nnyanzi v. The United Kingdom, Appl. 21.878/06; 04.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).
Bei dieser Interessenabwägung sind insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07; 12.06.2007, B 2126/06; VwGH 26.06.2007, 2007/01/479; 26.01.2006, 2002/20/0423; 17.12.2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 20053, S. 282ff).
Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und VfGH auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sind Beginn, Dauer und Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts, wobei bezüglich der Dauer vom EGMR keine fixen zeitlichen Vorgaben gemacht werden, zu berücksichtigen; das Ausmaß der Integration im Aufenthaltsstaat, die sich in intensiven Bindungen zu Dritten, in der Selbsterhaltungsfähigkeit, Schul- und Berufsausbildung, in der Teilnahme am sozialen Leben und der tatsächlichen beruflichen Beschäftigung; Bindung zum Heimatstaat; die strafrechtliche Unbescholtenheit bzw. bei strafrechtlichen Verurteilungen auch die Schwere der Delikte und die Perspektive einer Besserung/Resozialisierung des Betroffenen bzw. die durch die Aufenthaltsbeendigung erzielbare Abwehr neuerlicher Tatbegehungen; Verstöße gegen das Einwanderungsrecht.
Die Beschwerdefüherin hält sich jedenfalls seit Oktober 2014 im Bundesgebiet auf. Sie war bisher auf Grund von insgesamt drei unberechtigten (Asyl)Anträgen im Bundesgebiet aufhältig. Ihr nunmehriges und vorläufiges Aufenthaltsrecht (§13 AsylG 2005) als Asylwerberin nach illegaler Einreise endet mit dem Abschluss des gegenständlichen Verfahrens. Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer außergewöhnlichen Konstellation wurden weder im Verfahren beim Bundesamt noch im Beschwerdeverfahren behauptet.
Die Beschwerdeführerin hat ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK im Bundesgebiet nicht behauptet. Sie ist nicht verheiratet und lebt auch in keiner Beziehung. Ihre Familienangehörigen (Eltern, Sohn) sind ihrem Vorbringen nach verstorben und ihre Freundin und weitere Bekannte leben im Herkunftsstaat. Auch das Bestehen eines (wirtschaftlichen bzw. gesundheitlichen) Abhängigkeitsverhältnisses zu einer bestimmten Person in Österreich hat sie nicht konkret geltend gemacht.
Die jedenfalls im Herbst 2014 illegal ins Bundesgebiet eingereiste Beschwerdefüherin verfügt zwar nach dem Besuch von einigen Deutschkursen über ausreichende Detuschkenntnisse (Niveau A2) ist jedoch bislang im Bundesgebiet keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen und konnte weder Einstellungszusagen noch Bescheinigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten vorlegen. Sie ist auch nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation, unterstützt jedoch die Caritas und unterrichet Kinder in Zeichnen oder bäckt Kuchen, welcher für einen guten Zweck verkauft wird. Die Beschwerdeführerin hat laufend Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung (Unterkunft, Verpflegung, Krankenversicherung, Taschengeld) bezogen und die gesamte medizinische Behandlung ihrer vielfältigen Leiden in Österreich durchführen lassen. Sie bestreitet ihren Lebensunterhalt in Österreich demnach ausschließlich aus der staatlichen Grundversorgung und ist damit nicht selbsterhaltungsfähig. Einige Kontakte zu Österreichern bzw. Österreicherinnen hat sie bereits geknüpft.
Die Bindung der Beschwerdeführerin zum Herkunftsland, wo sie aufgewachsen ist, ihre Schul- und Berufsausbildung erhalten und Berufspraxis erlangt hat, sie sprachlich und kulturell sozialisiert wurde und sich noch ihre Freundin und anderen Bekannten aufhalten, überwiegt vor allem angesichts ihrer bisher nicht gelungenen wirtschaftlichen Integration in Österreich bei Weitem den Bezug zum Aufenthaltsland. Eine medizinische Behandlung ist auch in der Russischen Föderation möglich und für die Beschwerdeführerin zugänglich, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt keine Umstände vorliegen, welche einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstünden (zu VwGH 21.02.2017, Ro 2016/18/0005).
Den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt in Österreich steht somit das öffentliche Interesse an der Belastung der öffentlichen Hand sowie das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gegenüber; diesen gewichtigen öffentlichen Interessen kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. VwGH 12.03.2002, Zl. 98/18/0260, VwGH 18.01.2005, Zl. 2004/18/0365, VwGH, 03.05.2005, Zl. 2005/18/0076, VwGH 09.09.2014, Zl. 2013/22/0246).
In Anbetracht des zuvor Ausgeführten kann in der vorliegenden Konstellation im Rahmen einer Gesamtabwägung eine von Art. 8 EMRK geschützte "Aufenthaltsverfestigung" unter den gegebenen Umständen nicht angenommen werden. Anhaltspunkte für eine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation konnten schon angesichts der wiederholten und unberechtigten Asylanträge der Beschwerdeführerin nicht erkannt werden. Medizinische Behandlung steht der Beschwerdefüherin auch in der Russischen Föderation zur Verfügung.
Somit kann auch nicht festgestellt werden, dass dem subjektiven Interesse der Beshwerdeführerin am Verbleib im Inland Vorzug gegenüber den betroffenen, maßgeblichen öffentlichen Interessen an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften sowie der Belastung der öffentlichen Hand und Verhinderung von Straftaten und Verwaltungsdelikten, denen ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. VwGH 22.01.2013, Zl. 2011/18/0036; VwGH 10.05.2011, Zl. 2011/18/0100; VwGH 22.03.2011, Zl. 2007/18/0628;
Die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung fällt daher auch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts in Übereinstimmung mit dem Bundesamt, das die Interessenabwägung im Ergebnis zutreffend vorgenommen hat, zu Lasten der Beschwerdeführerin aus und stellt die Rückkehrentscheidung jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dar.
Zu Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides - Zulässigkeit der Abschiebung:
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.
Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Die Zulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Herkunftsstaat ist gegeben, da den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Feststellungen zufolge keine Gründe zur Annahme vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde. Gegenteiliges wurde auch in der Beschwerde nicht substantiiert behauptet und lässt sich auch aus den vom Bundesamt getroffenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsland nicht ableiten.
Da somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung vorliegen, war die Beschwerde gegen den Spruchpunkt IV. als unbegründet abzuweisen.
Zu Spruchpunkt V. – Frist für die freiwillige Ausreise:
Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin keine zu berücksichtigenden Gründe zur Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse geltend gemacht, weshalb eine Frist im Ausmaß von 14 Tagen angemessen erscheint.
Die Entscheidung des Bundesamtes für Femdenwesen und Asyl war daher nicht zu beanstanden.
Zur Abhaltung einer mündlichen Verhandlung
Die mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint.
Bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen der mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine generelle Pflicht abzuleiten (vgl. VwGH vom 28.02.2019, Ra 2019/01/0164, Rn. 14).
Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH kann von der Durchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung durch das BVwG jedoch abgesehen werden, wenn, in eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten der Fremden sprechenden Fakten auch dann für sie kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihnen einen (positiven) Eindruck verschafft (vgl. VwGH vom 28.02.2019, Ra 2019/01/0008-0010, Rn. 19).
Aufgrund der vom Bundesverwaltungsgericht geteilten Auffassung im angefochtenen Bescheid und dem Umstand, dass auch in der Beschwerde kein neues Vorbringen substantiiert erstattet wurde, konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das entscheidende Gericht abgesehen werden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs.1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Die Revision ist sohin gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
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