BVwG W211 2129040-2

BVwGW211 2129040-223.7.2018

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §32

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W211.2129040.2.00

 

Spruch:

W211 2129040-2/4E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a SIMMA LL.M. als Einzelrichterin über den Antrag von XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zu Recht erkannt:

 

A) Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom XXXX 2018 wird

abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

Die beschwerdeführende Partei, eine weibliche Staatsangehörige der Russischen Föderation, stellte am XXXX 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

 

Die beschwerdeführende Partei wurde am XXXX 2014 durch Organe des Sicherheitsdienstes erstbefragt und am XXXX 2016 sowie am XXXX 2016 durch die belangte Behörde einvernommen.

 

Mit Bescheid vom XXXX 2016 wies die belangte Behörde den Antrag der beschwerdeführenden Partei bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die beschwerdeführende Partei eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 und 6 die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).

 

Gegen diesen Bescheid wurde rechtzeitig Beschwerde eingebracht. Mit Beschluss vom XXXX 2016 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

Am XXXX 2016 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache und in Anwesenheit der beschwerdeführenden Partei und ihrer Rechtsberatung eine mündliche Verhandlung durch, in der die beschwerdeführende Partei im Detail zu ihren Fluchtgründen, zu ihrem Leben in Dagestan und in Österreich befragt wurde.

 

Mit Beschluss vom XXXX 2016 wurde die Erstellung eines medizinischen Gutachtens beauftragt, welches am XXXX 2016 beim BVwG einlangte. Das Gutachten wurde der beschwerdeführenden Partei zur Stellungnahme zugeschickt. Eine solche Stellungnahme langte innerhalb der erteilten Frist nicht ein.

 

Mit Erkenntnis vom XXXX 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab.

 

Gegen dieses Erkenntnis wurde außerordentliche Revision erhoben, die mit Beschluss des VwGH vom XXXX 2017 zurückgewiesen wurde.

 

Des weiteren wurde eine Beschwerde an den VfGH erhoben. Mit Erkenntnis vom XXXX 2017 hob der VfGH das Erkenntnis des BVwG vom XXXX 2016 auf.

 

Am XXXX 2017 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache und in Anwesenheit der beschwerdeführenden Partei und ihrer Vertretung eine weitere mündliche Verhandlung durch. Am 16.01.2018 langten eine schriftliche Stellungnahme und ärztliche Unterlagen ein.

 

Mit Erkenntnis vom XXXX 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab.

 

Am XXXX 2018 wurde der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG gestellt.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2016 über den Antrag auf internationalen Schutz vom XXXX 2014 wurde mit Erkenntnis des BVwG vom XXXX 2018 abgewiesen. Die Antragstellerin brachte dagegen keine außerordentliche Revision beim VwGH und keine Beschwerde beim VfGH ein.

 

Am XXXX 2018 wurde ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt.

 

Die Antragstellerin erhielt am XXXX 2018 ein sms von " XXXX " (in Folge: X.), in dem darüber berichtet wird, dass der Sohn der Antragstellerin bereits im Jahr 2015 getötet wurde.

 

Die Telefonnummer von X. erhielt die Antragstellerin im Jahr 2014 von ihrem Sohn, der ihr die Nummer "für alle Fälle" gegeben hat. Ihr Sohn schickte ihr die Nummer mit einem Brief und der Geburtsurkunde.

 

Die Antragstellerin hätte bereits während des laufenden Verfahrens über ihre Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2016 Kontakt zu X. aufnehmen können, um sich über den Verbleib oder das Schicksal ihres Sohnes zu informieren.

 

2. Beweiswürdigung:

 

Die Feststellungen zu den Verfahren und zur Antragstellung auf Wiederaufnahme des Verfahrens beruhen auf dem Verwaltungsakt und sind nicht strittig.

 

Die Feststellung betreffend das sms von X. basiert auf den Angaben, die die Antragstellerin bei einer Einvernahme beim BFA am XXXX 2018 tätigte und die dort in einer Niederschrift protokolliert wurden. Diese Niederschrift wurde teilweise mit dem Antrag auf Wiederaufnahme mitübersendet; sie wurde zur Gänze beim BFA durch die zuständige Gerichtsabteilung angefordert und langte vollständig am XXXX 2018 beim BVwG ein.

 

Aus dieser Niederschrift geht im Wortlaut und soweit wesentlich hervor:

 

" [...] AW zeigt die SMS (Datum: XXXX 2018 Anfrage) am Handy; DM liest vor:

 

DM: Anfrage an X. Tel. Nr. XXXXXXX, Hallo. Entschuldigen Sie meine Belästigung mein Sohn hat Ihre Nummer gegeben und sagte mir in einer schweren Situation sie um Hilfe zu bitten. Mir wurde ein negativer Bescheid zugestellt, ich habe keinen Ausweg, ich muss zurück nach Russland. Könnten Sie mich bitte am Flughaben abholen und meinen Sohn benachrichtigen. Es sind fast drei Jahre her, dass er mich nicht anruft. Ich werde ihnen das Datum und die Zeit mitteilen.

 

Antwort von X. (Datum XXXX 2018) Hallo, sehr geehrte XXXX, XXXX sagte dass er meine Nummer Ihnen gegeben hat, sie dürfen auf keine Fall zurück nach Russland, sie können nicht begreifen was sie riskieren. Leider ist ihr Sohn zu Schaden gekommen im Kampf für die Gerechtigkeit, er konnte aus Russland nicht fliehen, XXXX, er ist nicht mehr am Leben. Er wurde im Jahr 2015 kaltblütig getötet und wurde wie ein Hund begraben. Niemand aus seinem Freundeskreis hat es nicht gewagt, nach seiner Leiche zu fragen und ihn zu begraben, alle haben Angst um sich und um ihre Familie. Es geht darum, dass sie lebendige Zeugin sind, es ist nicht wichtig, dass sie keine Beweise haben, sie stellen trotzdem Gefahr für sie dar. Ich würde ihnen sehr gerne helfen aber ich kann nicht. Entschuldigen sie mich und auf Wiedersehen. Hochachtungsvoll X..

 

VP: Es gibt noch ein SMS:

 

DM: Von derselben Nummer und vom XXXX 2018. Ich bitte sie meine SMS zu löschen ich brauche keine Schwierigkeiten.

 

LA: Wer ist dieser X.?

 

VP: Das ist ein Freund meines Sohnes dem er vertraut hat, der auch den Vater meines Sohnes der Journalist XXXXXXX der auch getötet worden ist, gekannt hat.

 

LA: Haben Sie den X. gekannt?

 

VP: Nein.

 

LA: Wann haben Sie diese Telefonnummer von Ihrem Sohn bekommen?

 

VP: Ich war bereits in Österreich und er war in Moskau. Im Jahr 2014 hat er mir diese Nummer gegeben für alle Fälle. Er hat mir einen Brief geschickt mit seiner Geburtsurkunde und in dem Kuvert war auch diese Nummer. Er hat damals in Moskau gearbeitet und er hat auch an der Universität studiert.

 

[...]

 

LA: Wann hatten Sie zuletzt Kontakt zu Ihrem Sohn in Russland?

 

VP: Im September 2015.

 

LA: Wie war der Kontakt?

 

VP: Telefonisch, mein Sohn sagte, Mama ich finde dich, ich werde kommen, jetzt kann ich nicht, sobald ich kann komme ich.

 

LA: Wie oft hatten Sie Kontakt zu Ihrem Sohn?

 

VP: Nicht oft. Nachgefragt gebe ich an so ungefähr einmal im Monat oder einmal in zwei Monaten.

 

LA: Worüber haben sie dann so gesprochen?

 

VP: Ich habe ihn gefragt, wie es ihm geht und wir haben unser zukünftiges Treffen besprochen, es gab nicht viel zu besprechen, ich wollte nur seine Stimme hören. [...]"

 

Aus dieser Niederschrift geht weiter hervor, dass die Antragstellerin die Telefonnummer von X. bereits seit dem Jahr 2014 hatte und offenbar seit diesem Zeitpunkt, bzw. nach dem letzten Gespräch mit ihrem Sohn im September 2015, Kontakt zu X. hätte aufnehmen können, um sich nach dem Verbleib ihres Sohnes zu erkundigen.

 

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Antragstellerin im Zuge der ersten mündlichen Verhandlung in ihrem Beschwerdeverfahren von der erkennenden Richterin nach dem Verbleib ihres Sohnes gefragt wurde. Sie gab damals an, keinen Kontakt mehr zu diesem zu haben und sich Sorgen zu machen (Seiten 9 und 10 des Verhandlungsprotokolls vom XXXX 2016). Auch im Rahmen der zweiten mündlichen Verhandlung im zweiten Rechtsgang wurde die Antragstellerin von der erkennenden Richterin gefragt, ob es Neuigkeiten von ihrem Sohn gebe, worauf diese antwortete, dass sie nach wie vor keinen Kontakt habe (Seite 9 des Verhandlungsprotokolls vom XXXX 2017).

 

Die Feststellung dazu, dass die Antragstellerin auch bereits während des laufenden Beschwerdeverfahrens Kontakt zu X. aufnehmen hätte können und damit Informationen zum Verbleib ihres Sohnes erlangen hätte können, beruhen daher auf ihren Angaben dazu, dass sie die Telefonnummer X. bereits seit 2014 gehabt hat sowie das Faktum, dass der Verbleib ihres Sohnes in beiden Verhandlungen im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht thematisiert wurde. Ganz abseits ihres eigenen Interesses daran, den Verbleib ihres Sohnes zu eruieren, war die Bedeutung desselben auch konkret im Beschwerdeverfahren angesprochen.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A)

 

3.1. Die relevante Rechtsgrundlage des § 32 VwGVG lautet:

 

Wiederaufnahme des Verfahrens

 

§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn [...]

 

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, [...].

 

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

 

3.2. Gegenständlich steht der Wiederaufnahme des Verfahrens wegen des Hervorkommens einer neuen Tatsache - nämlich der vorgebrachten Tötung des Sohnes der Antragstellerin im Jahr 2015 - entgegen, dass diese Tatsache nicht ohne Verschulden der Antragstellerin nicht bereits im Beschwerdeverfahren geltend gemacht worden ist.

 

Eine Antragstellerin des Wiederaufnahmeverfahrens nach Abs. 2 Z 2 des § 32 VwGVG darf kein Verschulden (auch keine leichte Fahrlässigkeit wie bei der Wiedereinsetzung) daran treffen, dass sie die Tatsachen und Beweismittel nicht im ersten Verfahren einbringen konnte (vgl. Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2. Auflage, NWV, § 32 VwGVG, K15, S. 262; siehe auch zur vergleichbaren Rechtslage des § 69 AVG VwGH, 19.03.2003, 2000/08/0105).

 

Die Antragstellerin gab im Laufe ihres Beschwerdeverfahrens und auch bei der Einvernahme am XXXX 2018 an, seit September 2015 keinen Kontakt mehr mit ihrem Sohn zu haben. Die Kontakttelefonnummer zu jenem X., der ihr schließlich auch im Juni 2018 Auskunft über den Verbleib ihres Sohnes gegeben haben soll, bekam die Antragstellerin von ihrem Sohn bereits im Jahr 2014 "für alle Fälle". Der Verbleib des Sohnes wurde in beiden Verhandlungen im Beschwerdeverfahren am XXXX 2016 und am XXXX 2017 thematisiert und seitens der erkennenden Richterin nachgefragt, ob Kontakt zum Sohn der Antragstellerin besteht, was jeweils verneint wurde. Die Antragstellerin gab aber im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht bekannt, über eine mögliche Kontaktnummer zu verfügen bzw. über eine Kontaktnummer zu jenem X. zu verfügen und daher eventuell eine Information über den Verbleib ihres Sohnes erlangen zu können.

 

Damit muss gegenständlich davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin daran, dass sie Informationen jenes X. über den Verbleib ihres Sohnes bzw. das Vorbringen des Todes ihres Sohnes im Jahr 2015 nicht bereits ins laufende Beschwerdeverfahren über ihren Antrag auf internationalen Schutz eingebracht hat, ein Verschulden trifft, was die Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund des nunmehrigen Hervorkommens dieser "Tatsache" ausschließt.

 

Damit muss in weiterer Folge nicht mehr darauf eingegangen werden, ob diese neue "Tatsache" geeignet wäre, eine andere Entscheidung, als sie mit Erkenntnis vom XXXX 2018 getroffen wurde, zu begründen.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. VwGH, 19.03.2003, 2000/08/0105), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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