OGH 9ObA58/23d

OGH9ObA58/23d27.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende,die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauerund Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Karl Reiff (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Stepanowsky (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. H*, geboren am *, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei E* AG, FN *, vertreten durch Jank Weiler Operenyi Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Anfechtung einer Entlassung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Mai 2023, GZ 10 Ra 110/22b‑42, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00058.23D.0927.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Unter den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 Fall 3 AngG fällt jede Handlung oder Unterlassung eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen lässt, weil dieser befürchten muss, dass der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, sodass dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet sind (RS0029547). Bei der Beurteilung der Vertrauensunwürdigkeit kommt es vor allem darauf an, ob für ihn vom Standpunkt vernünftigen kaufmännischen Ermessens die gerechtfertigte Befürchtung besteht, dass seine Belange durch den Angestellten gefährdet seien (RS0029652; RS0029833). Dafür ist nicht das subjektive Empfinden des Dienstgebers entscheidend, sondern es ist an das Gesamtverhalten des Angestellten ein objektiver Maßstab anzulegen, der nach den Begleitumständen des einzelnen Falls und nach der gewöhnlichen Verkehrsauffassung angewendet zu werden pflegt (RS0029833; RS0029733). Maßgebend ist, ob das Verhalten des Angestellten das Vertrauen des Arbeitgebers so schwer erschüttert hat, dass diesem die Fortsetzung des Dienstverhältnisses (auch nur bis zum nächsten Kündigungstermin oder bis zum Ablauf der Vertragszeit) nicht mehr zugemutet werden kann (RS0029652[T24]; RS0029323; RS0029095; vgl RS0029009). Die Frage, ob durch das Verhalten des Arbeitnehmers tatsächlich ein Schaden verursacht wurde, ist hingegen nicht Tatbestandsmerkmal des Entlassungsgrundes der Vertrauensunwürdigkeit (RS0029833 [T18]); ein Schadenseintritt ist also nicht erforderlich, ebenso wenig eine Schädigungsabsicht (RS0029531; RS0029652 [T25, T35]).

[2] 2. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0106298; RS0103201 [T1]; RS0105955 [T3]). Eine vom Obersten Gerichtshof aus dem Grunde der Rechtssicherheit zu korrigierende grobe Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zeigt die außerordentliche Revision des Klägers nicht auf.

[3] 3. Nach den Feststellungen ordnete die Beklagte am Freitag, den 13. 3. 2020, für den Kläger und andere Mitarbeiter Homeoffice an. Am 16. 3. 2020 flog der Kläger um ca 7:00 Uhr mit seiner Familie in seine Wohnung nach Teneriffa. Obwohl er dort erst ab ca 12:00 Uhr oder 12:30 Uhr zu arbeiten begann und er wusste, dass im Betrieb eine Sollarbeitszeit von 8:00 Uhr bis 16:12 Uhr für ihn als Vollzeitbeschäftigter galt, gab er wahrheitswidrig im Arbeitszeiterfassungssystem der Beklagten an, an diesem Tag von 9:00 Uhr bis 17:15 Uhr gearbeitet zu haben. Er war allerdings der Meinung, dass er dadurch keine Arbeitszeitverkürzung zu Lasten der Beklagten herbeiführte, weil er am 13. 3. 2020 von 7:00 Uhr bis etwa 22:30 Uhr gearbeitet hatte.

[4] 4. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass (schon alleine) die wahrheitswidrige Eingabe des Klägers in das Arbeitszeiterfassungssystem keine bloße Ordnungswidrigkeit darstellt, sondern einen schwerwiegenden Vertrauensbruch, der die Weiterbeschäftigung des Klägers unzumutbar erscheinen ließ und somit die Beklagte zur Entlassung des Klägers berechtigte, entspricht den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit.

[5] Bei Arbeitsleistungen im Homeoffice genießt der Arbeitnehmer eine besondere Vertrauensstellung, weil in diesen Fällen (vergleichbar mit Reisenden, RS0029453) weder eine exakte Überwachung der Arbeitszeit noch eine genaue Kontrolle der Tätigkeit möglich ist, sondern der Arbeitgeber im Wesentlichen auf die Richtigkeit der Berichte und Angaben des Arbeitnehmers angewiesen ist.

[6] Dass der Kläger, wie er in seiner außerordentlichen Revision betont, mangels Vereinbarung einer „Kernzeit“ ohnehin berechtigt gewesen wäre, am 16. 3. 2020 bis Mittag privaten Verpflichtungen nachzugehen, ändert nichts daran, dass er durch seinen wahrheitswidrigen Eintrag der Arbeitszeit im Arbeitszeiterfassungssystem an diesem Tag nicht erbrachte Arbeitsleistungen vortäuschte (vgl 8 ObA 116/20x Rz 4).Auch das Argument des Klägers, er hätte sich durch diesen Eintrag wegen seiner am 13. 3. 2020 geleisteten, aber nicht erfassten Überstunden keinen finanziellen Vorteil verschafft, rechtfertigt seine bewusste Täuschungshandlung nicht. Eine Schädigungsabsicht ist keine Tatbestandsvoraussetzung für den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit. Ebenso kann er sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es im Betrieb der Beklagten vorgekommen sei, dass manche Mitarbeiter eine Arbeitszeit, die sie wegen des Tagesmaximums nicht im System einpflegen hätten können, bei einem anderen Arbeitstag, bei dem das Tagesmaximum noch nicht erreicht gewesen sei, verzeichneten. Dass die Beklagte von diesem Fehlverhalten anderer Mitarbeiter in Kenntnis gewesen wäre und dieses geduldet oder sogar angeordnet hätte, steht nicht fest und wurde vom Kläger auch nicht behauptet.

[7] 5. Die Frage, ob der Kläger auch dadurch einen Entlassungsgrund verwirklicht hat, weil er dem ihm bekannten Verbot der Beklagten von Homeoffice im Ausland gerade in Anbetracht des Beginns der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Unsicherheiten von Reise- und Rückkehrbeschränkungen zuwider gehandelt hat, bedarf daher keiner weiteren Prüfung. Insofern stellt sich auch die in der außerordentlichen Revision aufgeworfene Rechtsfrage, ob ein Verbot von Homeoffice von einem im EU-Ausland gelegenen Zweitwohnsitz aus im Hinblick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit zulässig ist, nicht.

[8] 6. Gründe für die vorzeitige Lösung eines Dienstverhältnisses sind unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, geltend zu machen (RS0028965). Der Arbeitgeber muss die Entlassung also ohne Verzug, sohin sofort nachdem ihm der Entlassungsgrund bekannt geworden ist, aussprechen (RS0029131). Er darf damit nicht wider Treu und Glauben so lange warten, dass der Arbeitnehmer aus diesem Zögern auf einen Verzicht des Arbeitgebers auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe schließen muss; der Arbeitnehmer, dem ein pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen wird, soll darüber hinaus nicht ungebührlich lange über sein weiteres dienstrechtliches Schicksal im Unklaren gelassen werden (RS0031799).

[9] Der Unverzüglichkeitsgrundsatz darf dabei nicht überspannt werden (RS0031587 [T1]). Dem Arbeitgeber muss zwischen dem Bekanntwerden des Entlassungsgrundes und dem Ausspruch der Entlassung eine angemessene Überlegungsfrist gewährt und ihm Gelegenheit gegeben werden, sich über die Rechtslage zu informieren (RS0031587 [T3, T5]; RS0031789 [T2]). Es muss dabei den Erfordernissen des Wirtschaftslebens und den Betriebsverhältnissen, insbesondere der Organisationsform des Unternehmens Rechnung getragen werden (RS0031587; RS0029328).

[10] Ob eine Entlassung rechtzeitig oder verspätet vorgenommen wurde, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen (RS0031571; RS0029249 [T17]). Dieser Frage kommt daher – von Fällen krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen – keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu (RS0031571 [T9]).

[11] Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung ist dem Berufungsgericht in der Bejahung der Rechtzeitigkeit des am Tag nach dem entlassungsbegründenden Vorfall erfolgten Entlassungsausspruchs nicht unterlaufen. Nach den Feststellungen war der Beklagten der (geklärte) Sachverhalt am Nachmittag des 17. 3. 2020 bekannt geworden. Mit dem Ausspruch der Entlassung am Folgetag nach rechtlicher, mehrere Stunden dauernder Prüfung und anschließender Besprechung mit den entscheidungsbefugten Personen der Beklagten, wurde der Grundsatz der Unverzüglichkeit gewahrt.

[12] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

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