OGH 9ObA46/13z

OGH9ObA46/13z24.7.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions‑ und Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner und Mag. Ernst Bassler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei I***** H*****, vertreten durch Dr. Stefan Offer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Oberhofer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 21.416,02 EUR sA, über die außerordentliche Revision (Revisionsinteresse 14.166,02 EUR) der klagenden Partei gegen das Teilurteil und den Rekurs (Revisionsinteresse 7.250 EUR) der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 30. Juli 2012, GZ 15 Ra 55/12v‑52, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 19. April 2012, GZ 47 Cga 154/09v‑47, über Berufung der klagenden Partei teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei und der Rekurs der beklagten Partei werden zurückgewiesen.

Die Rekursgegnerin hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Zur außerordentlichen Revision:

Die Klägerin macht als erhebliche Rechtsfrage geltend, dass das Berufungsgericht bei der Beurteilung, ob das Arbeitsverhältnis zwischen den Streitteilen als echter Arbeitsvertrag oder freier Dienstvertrag zu qualifizieren sei, einer rechtlichen Fehlbeurteilung unterlegen sei, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit zu korrigieren sei. Unter Beachtung der von der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen echtem Arbeitsvertrag und freiem Dienstvertrag und Abwägung aller Umstände hätten die Vorinstanzen das Vertragsverhältnis als echten Arbeitsvertrag qualifizieren müssen.

1.1 Der echte Arbeitsvertrag unterscheidet sich nach herrschender Lehre und Rechtsprechung vom freien Dienstvertrag durch die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber (9 ObA 53/13d; RIS‑Justiz RS0021518; RS0021332; RS0021306; RS0021284). Die Bestimmungsmerkmale der persönlichen Abhängigkeit ‑ dh die Unterworfenheit des Arbeitnehmers unter die funktionelle Autorität des Arbeitgebers, die sich in organisatorischer Gebundenheit, insbesondere an Arbeitszeit, Arbeitsort und Kontrolle äußert ‑ müssen nicht alle gemeinsam vorliegen, sondern können auch in unterschiedlich starker Ausprägung auftreten (RIS‑Justiz RS0021284 ua). Entscheidend ist, ob sie ihrem Gewicht und der Bedeutung nach bei der Anstellung einer Gesamtbetrachtung überwiegen (RIS‑Justiz RS0021332 [T15], zuletzt 9 ObA 53/13d). Die Frage, ob zwischen den Parteien ein echter Arbeitsvertrag oder ein freier Dienstvertrag bestand, kann immer nur anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden (RIS‑Justiz RS0111914 [T6] ua). Hat daher ‑ wie hier ‑ die zweite Instanz ihrer Entscheidung die vom Obersten Gerichtshof judizierten Abgrenzungskriterien zugrunde gelegt, verwirklicht die Anwendung dieser Kriterien auf den jeweiligen Einzelfall ‑ von unvertretbaren Fehlbeurteilungen abgesehen ‑ keine iSd § 502 Abs 1 ZPO qualifizierte Rechtsfrage.

Die Auffassung der Vorinstanzen, dass hier von einem freien Dienstvertrag auszugehen sei, weil die Elemente eines freien Dienstverhältnisses an Gewicht überwiegen, ist keineswegs unvertretbar: Die Klägerin war zwar sachlichen, aber keinen persönlichen Weisungen unterworfen und konnte sich die Arbeitszeit selbst einteilen. Bei den sogenannten „Montagsbesprechungen“ im Betrieb der Beklagten, an der die angestellten Mitarbeiter teilnehmen mussten, war auch die Klägerin fast immer anwesend. Dass sie dazu verpflichtet gewesen wäre, steht jedoch nicht fest. Die von ihr geführten Stundenaufzeichnungen wurden von der Beklagten deshalb überprüft, weil die Parteien zu Beginn ihres Vertragsverhältnisses vereinbart hatten, dass die Klägerin ihre Tätigkeit grundsätzlich projektbezogen und stundenweise (Stundenlohn zwischen 22 und 23 EUR) abrechnet. Die Klägerin hatte zwar im Betrieb der Beklagten ein Büro mit üblicher Ausstattung zur Verfügung, konnte ihre Arbeit aber auch zu Hause mit ihren eigenen Arbeitsmitteln erbringen. Ihre Urlaube stimmte sie zwar mit einer im Jahre 2008 bei der Beklagten angestellten Grafikerin ab und meldete größere Urlaube dem Geschäftsführer der Beklagten unter Verwendung von im Betrieb frei zugänglichen Urlaubszetteln, dass sie aber Urlaubsvereinbarungen treffen musste, konnte nicht festgestellt werden. Die Frage der Vertretung war nie Thema zwischen den Parteien; die Klägerin ließ sich auch nicht vertreten. Der Wohnort der Klägerin (hier in Österreich oder Deutschland) ist kein Qualifikationsmerkmal eines echten Arbeitsvertrags. Auch eine regelmäßige dauernde Dienstleistung steht für sich genommen der Annahme eines freien Dienstvertrags nicht entgegen (9 ObA 110/06a; RIS‑Justiz RS0021749). Dass die Klägerin bei Beginn ihrer Tätigkeit keinen Arbeitsvertrag als Angestellte mit der Beklagten abschließen, sondern nach Beratung mit ihrem Steuerberater auf selbständiger Basis für die Beklagte tätig sein wollte, sei nur am Rande erwähnt.

1.2 Auch was die Auslegung der Erklärungen des Geschäftsführers der Beklagten am 26. 5. 2009 betrifft, sei das Berufungsgericht nach Ansicht der Revisionswerberin zu einem unvertretbaren Auslegungsergebnis gelangt. Gemessen am objektiven Empfängerhorizont sei die Erklärung als Kündigung, jedenfalls aber als Änderungskündigung aufzufassen gewesen.

Eine rechtsgeschäftliche Erklärung ist so zu beurteilen, wie sie der Empfänger nach ihrem Wortlaut und dem Geschäftszweck unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände bei objektiver Betrachtungsweise verstehen konnte; auf eine davon abweichende subjektive Auffassung des Erklärenden kommt es nicht an. Ob die Erklärung eines Vertragsteils als Beendigungserklärung aufzufassen bzw welcher Erklärungswert ihr beizumessen ist, kann immer nur anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden (RIS‑Justiz RS0028612 [T9, T10] ua). Von Fällen unvertretbarer Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen, begründet eine derartige Beurteilung daher ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (9 ObA 56/12v ua).

Eine derartige krasse Fehlbeurteilung vermag die Revisionswerberin nicht aufzuzeigen. Auch unter Berücksichtigung, dass der Geschäftsführer der Beklagten der Klägerin zu Beginn des Verhältnisses zugesagt hatte, dass sie von einem jährlichen Rahmenauftragsvolumen von ca 40.000 EUR ausgehen könne, und die Klägerin mit ihrer Tätigkeit bei der Beklagten „voll ausgelastet“ war, ist das Auslegungsergebnis des Erstgerichts vertretbar: Die Mitteilung des Geschäftsführers, dass ab 15. 6. 2009 eine fest angestellte Grafikerin in seinem Betrieb zu arbeiten beginnen werde und dass damit der Jobumfang, den die Klägerin zu bedienen habe, weniger werden könnte, kann gemessen am objektiven Empfängerhorizont nur so verstanden werden, dass die Beklagte das Vertragsverhältnis mit der Klägerin auch nach dem 15. 6. 2009 fortsetzen werde, sich die einzelnen „Aufträge“ und damit allenfalls ihr Arbeitsumfang reduzieren könnten. Der Annahme einer Änderungskündigung steht die vorerst nur geäußerte Möglichkeit („könnte“) eines in Zukunft geringeren Arbeitsumfangs entgegen. Abgesehen davon erfolgt auch die Entlohnung eines freien Dienstverhältnisses, anders als bei einem Werkvertrag nicht auftragsbezogen. Die Zeit und nicht die Menge ist das Maß der vom Arbeitnehmer geschuldeten Leistung (RIS‑Justiz RS0021299).

Der geltend gemachte Feststellungsmangel aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung liegt nicht vor. Dieser Vorwurf kann nicht erfolgreich erhoben werden, wenn zu einem bestimmten Thema eine andere als vom Rechtsmittelwerber gewünschte Feststellung getroffen wurde (RIS‑Justiz RS0043480 [T15, T19]; RS0043320 [T18] ua).

Insgesamt vermag die Revision der Klägerin eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht darzustellen; sie ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

2. Zum Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss:

Das Berufungsgericht hat den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO mit der Begründung zugelassen, dass zur Frage, ob eine nicht dem Umsatzsteuergesetz entsprechende Rechnung den Eintritt der Fälligkeit verhindere, obwohl die Rechnung überprüfbar sei, eine jüngere Judikatur fehle.

Der Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 526 Abs 2 ZPO) mangels einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Die vom Berufungsgericht der Zulassung des Rekurses zugrundegelegte Frage ist zur Lösung des konkreten Falls nicht erforderlich und daher keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0088931). Wie beim Arbeitsvertrag begründet auch der freie Dienstvertrag ein Dauerschuldverhältnis, weil auch der freie Dienstnehmer dem Dienstgeber auf eine gewisse Zeit seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt (9 ObA 99/91; RIS‑Justiz RS0021740). Der Dienstgeber ist verpflichtet, dem freien Dienstnehmer das vereinbarte, mangels Vereinbarung das angemessene (§ 1152 ABGB) Entgelt zu bezahlen (vgl 8 ObA 95/01f). Der Anspruch auf laufendes Entgelt entsteht mit dem Erfüllen der Arbeitspflicht (9 ObA 70/12b; Rebhahn in ZellKomm² § 1152 ABGB Rz 70). Die Legung einer bestimmten ‑ insbesondere umsatzsteuerrechtlichen Modalitäten entsprechenden Rechnung durch die Klägerin war keine vereinbarte Fälligkeitsvoraussetzung. Wenn das Berufungsgericht zur Klärung einzelner Rechnungspositionen eine Verbreiterung der Tatsachengrundalge für notwendig gehalten hat, so kann dem der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (vgl Kodek in Rechberger, ZPO³ § 519 ZPO Rz 26 mwN).

Da es somit der Klärung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO auch hinsichtlich der Aufhebung nicht bedurfte, ist auch der Rekurs der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO (vgl RIS‑Justiz RS0123222). Die Rekursgegnerin hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses nicht hingewiesen (vgl RIS‑Justiz RS0035962).

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