European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00058.23D.0723.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
I. Dem Rekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben.
Der Beschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:
1. Die Klageforderung besteht mit 15.574,68 EUR zu Recht.
2. Die Gegenforderung besteht nicht zu Recht.
3. Die beklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 15.574,68 EUR samt 4 % Zinsen ab 8. 9. 2020 Zug um Zug gegen Rückgabe des VW Golf Sky BlueMotion Technology TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer *, zu zahlen.
4. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren wird abgewiesen.
5. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.943,88 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin 533,48 EUR an USt und 743 EUR an Barauslagen), die mit 1.827,12 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten 304,52 EUR an USt), und die mit 3.220,40 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin enthalten 282,40 EUR an USt und 1.526 EUR an Pauschalgebühr) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
II. Der Rekurs der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.694,40 EUR (darin 282,49 EUR an USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründungund
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger schloss am 27. 5. 2011 mit einer Kfz‑Händlerin einen Kaufvertrag über einen von der Beklagten hergestellten VW Golf Sky BlueMotion Technology TDI um einen Kaufpreis von 28.824 EUR;am 29. 6. 2011 erwarb er ergänzend ein Komfortpaket um 197,15 EUR. Das Fahrzeug, das mit einemDieselmotor Typ EA189 Euro 5 der Beklagten ausgerüstet ist, wurde dem Kläger am 8. 11. 2011 übergeben.
[2] Am 6. 11. 2011 stellte der Kläger an eine Finanzierungsgesellschaft einen Antrag auf Abschluss eines Leasingvertrags über den Pkw zum Gesamtanschaffungswert von 29.021,15 EUR, der am 24. 11. 2011 angenommen wurde. Der Kläger übte sein Ankaufsrecht nach Ablauf des Leasingvertrags im November 2016 aus und erwarb den Pkw.
[3] Das Fahrzeug wurde an den Kläger mit einer Software („Umschaltlogik“) ausgeliefert, aufgrund derer es erkannte, ob es auf einem Motorprüfstand bewegt wird. Diesfalls schaltete es in den Modus 1, einen NOx‑optimierten Modus. Bei diesem war eine hohe Abgasrückführungsrate programmiert, sodass auf dem Prüfstand der NOx‑Grenzwert eingehalten wurde. Im Straßenverkehr gelangte ausschließlich der Modus 0 zur Anwendung, bei dem der NOx‑Grenzwert von 180 mg/km nicht eingehalten wurde. Mit Bescheid des deutschen Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) vom 15. 10. 2015 wurde diese „Umschaltlogik“ als unzulässige Abschalteinrichtung qualifiziert und der Beklagten deren Entfernung aufgetragen.
[4] Aufgrund dieses Auftrags entwickelte die Beklagte ein Software‑Update, mit dem die zwei unterschiedlichen Modi entfernt wurden und eine neue Software aufgespielt wurde. Dieses Software‑Update führte nach den hier getroffenen Feststellungen dazu, dass im Bereich einer Außentemperatur von ca +10°C bis ca +45°C in Abhängigkeit von der Außentemperatur keine Veränderung der Abgasrückführrate stattfindet und somit in diesem Temperaturbereich eine 100%-ige AGR-Rate eingeregelt ist. Ab einer Außentemperatur von niedriger als ca +10°C findet eine graduelle Reduzierung der AGR-Rate statt. Bei einer Umgebungslufttemperatur unterhalb von ca -12°C und oberhalb von ca +55°C wird das AGR-Ventil vollständig abgeriegelt, sodass keine Abgasrückführung stattfindet. Der NOx-Grenzwert in Höhe von 180 mg/km kann auch nach diesem Software‑Update im realen Straßenverkehr nur bei einer 100%-igen AGR-Rate eingehalten werden.
[5] Der in Wien lebende Kläger verwendete das Fahrzeug überwiegend in der Nacht. Das Erstgericht traf Feststellungen zu Durchschnittstemperaturen an der Messtation Wien Hohe Warte, die den durchschnittlichen Temperaturen in Österreich in Nichtgebirgsregionen entsprechen; in Gebirgsregionen liegen siedarunter.
[6] Der Kläger erhielt im Oktober 2015 ein Schreiben der Generalimporteurin, in dem mitgeteilt wurde, dass am Fahrzeug Nacharbeiten erforderlich seien. Im September 2016 erhielt der Kläger ein Schreiben, wonach ein Software‑Update durchzuführen sei. Er ging davon aus, dass das Fahrzeug danach sämtliche Abgasvorschriften erfülle. Das Software‑Update wurde sodann am 4. 1. 2017 durchgeführt. Der Kläger erfuhr erstmals im Jahr 2020 aus den Medien, dass trotz Software‑Update die NOx-Grenzwerte nicht eingehalten werden.
[7] Der Kläger ging im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags im Jahr 2011 davon aus, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Vorschriften entspricht. Hätte er damals gewusst, wie die Motorsteuerungssoftware funktioniert und hätte er zum Zeitpunkt des Ablaufs des Leasingvertrags die Funktionsweise des aufzuspielenden Software‑Updates und die dadurch bedingte Nichteinhaltung der NOx-Grenzwerte gekannt, hätte er weder den Kaufvertrag vom 27. 5. 2011 abgeschlossen noch das Fahrzeug nach Ablauf des Leasingvertrags erworben.
[8] Das Fahrzeug hatte zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz einen Kilometerstand von rund 139.000 km. Vergleichbare Fahrzeuge erreichen in der Regel eine Laufleistung von 300.000 km.
[9] Der Kläger begehrte mit seiner Klage vom 1. 9. 2020 die Beklagte für schuldig zu erkennen, ihm 20.411,54 EUR samt 4 % Zinsen ab Klagszustellung Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu zahlen. Hilfsweise verlangte er den Ersatz eines Minderwerts von 8.706,34 EUR und erhob ein Feststellungsbegehren. In der Folge dehnte er sein Zinsenbegehren auf 4 % Zinsen seit Kaufvertragsabschluss aus.
[10] Er habe das Fahrzeug in der Annahme erworben, dass es den gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere der VO 715/2007/EG entspreche. Tatsächlich sei es von der Beklagten als Herstellerin mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet und daher in einem gesetzwidrigen, nicht zulassungsfähigen und überteuerten Zustand ausgeliefert worden; dies vorsätzlich und in Täuschungs- und Bereicherungsabsicht. Wenn er gewusst hätte, dass das Fahrzeug nicht der Euroabgasnorm 5 entspricht und der beworbene Technologievorsprung gar nicht besteht, hätte er es nicht erworben.
[11] Die Beklagte hafte ihm auch als nicht am Vertrag Beteiligte wegen listiger Irreführung nach § 874 ABGB im Wege der Naturalrestitution. Weiters stützte sich der Kläger auf deliktischen Schadenersatz nach § 1295 Abs 2 iVm § 1323 ABGB, eine Schutzgesetzverletzung nach § 2 UWG iVm § 1311 ABGB sowie § 879 Abs 1 ABGB und eine Ungültigkeit der von der Beklagten ausgestellten Übereinstimmungsbescheinigung.
[12] Das am 4. 1. 2017 durchgeführte Software‑Update, das auch nicht als Mängelbehebung, sondern als „technische Maßnahme“ angekündigt worden sei, habe nichts an der Haftung geändert, weil damit eine temperaturabhängige, ebenfalls unzulässige Abschalteinrichtung implementiert worden sei.
[13] Selbst wenn man nicht von einem Betrug und damit der langen Verjährungsfrist ausgehe, sei keine Verjährung eingetreten, weil er erst im Zuge des Erstgesprächs mit seinem Anwalt am 27. 7. 2020 erfahren habe, dass der Mangel nicht durch das Software‑Update beseitigt worden sei. „Verdichtete Medieninformationen“ darüber habe es erst ab dem Jahr 2019 gegeben. Im Übrigen sei er durch die Beschwichtigungen der Beklagten, laut denen die „Dieselthematik“ mit dem Software‑Update bereinigt worden sei, von einer Klagsführung bewusst abgehalten worden. Nach der „Trennungsthese“ löse schließlich jede eigenständige rechtswidrige Handlung eine eigene Verjährungsfrist aus.
[14] Das (zwischenzeitliche) Leasing nehme ihm weder die Aktivlegitimation, noch führe es zur Unschlüssigkeit der Klage. Dabei habe es sich um ein Restwert- bzw Finanzierungsleasing gehandelt. Aufgrund der konkreten Vertragsgestaltung sei der Schaden bereits im Erwerbszeitpunkt unmittelbar bei ihm eingetreten, weil er zunächst nur einen Kaufvertrag geschlossen habe.
[15] Ausgehend von einer Laufleistung von 89.000 km und einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km berücksichtigte der Kläger bei Klagseinbringung ein Benützungsentgelt von 8.609,61 EUR.
[16] Die Beklagte beantragte die Klage abzuweisen.
[17] Sie sei nicht Vertragspartnerin des Klägers und habe ihnweder getäuscht noch Aufklärungspflichten oder Schutzgesetze verletzt. Es fehle zudem an einem Schaden und einer Kausalität, jedenfalls sei der Kläger durch das Software‑Update klaglos gestellt. Das Fahrzeug sei stets betriebssicher, verkehrstauglich und fahrbereit gewesen, könne uneingeschränkt im Straßenverkehr genutzt werden und verfüge über alle erforderlichen Genehmigungen.
[18] Eine temperaturabhängige Abgasrückführung, das sogenannte Thermofenster, sei stets Stand der Technik gewesen, standardmäßig in Dieselfahrzeugen enthalten und vom KBA gebilligt worden. Daher könne ihr insoweit nicht einmal Fahrlässigkeit angelastet werden. Eine temperaturabhängige Abgasrückführung sei – aus näher dargelegten Gründen – nämlich unverzichtbar, um den Motor vor plötzlichen und unvorhersehbaren Schäden zu schützen und einen sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, sodass der Ausnahmetatbestand nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG greife. Derartige Schäden hätten durch eine andere Technik oder Konstruktion, insbesondere einen SCR-Katalysator zur Abgasnachbehandlung (AdBlue), nicht verhindert werden können.
[19] Während die Beklagte zunächst noch vorbrachte, dass eine volle Abgasrückführung (auch) nach dem Software‑Update lediglich zwischen +15°C und +33°C stattfinde, behauptete sie nachfolgend, dass beim Fahrzeug des Klägers bei Außentemperaturen zwischen ca +10°C und +45°C eine vollständige Abgasrückführung erfolge, sodann komme es zu einer sukzessiven Reduktion (Abrampung). Erst bei einer Umgebungslufttemperatur unterhalb von ca -12°C und oberhalb von ca +55°C werde das Ventil vollständig geschlossen. Da die Jahresdurchschnittstemperatur in Europa deutlich über +10°C liege, komme es während des überwiegenden Teil des Jahres nicht zu einer Abschaltung der Abgasrückführung.
[20] Auf all das komme es jedoch nicht an, weil der Kläger bereits mit Schreiben vom 8. 10. 2015 davon in Kenntnis gesetzt worden sei, dass sein Fahrzeug vom sogenannten Abgasskandal betroffen sei, und mit diesem Zeitpunkt daher die Verjährungsfrist nach § 1489 Satz 1 ABGB zu laufen begonnen habe. Bei dem Schreiben aus Oktober 2015 handle es sich aber nicht um ein Anerkenntnis. Die 30‑jährige Frist komme mangels tatbestandsmäßigen und zurechenbaren Handelns nicht zur Anwendung.
[21] Tatsächlich sei dem Kläger aber schon deswegen kein Schaden entstanden, weil er bloß Leasingnehmer sei und die Klage insofern unschlüssig. Nach den Entscheidungen 9 Ob 53/20i und 3 Ob 189/22y könne der Leasingnehmer selbst beim Restwertleasing lediglich einen Schaden aus dem Leasing- und nicht dem (ursprünglichen) Kaufvertrag geltend machen. Auch hier habe die Leasinggeberin den Kaufpreis bezahlt und sei durch Eintritt in den Kaufvertrag Eigentümerin des Fahrzeugs geworden.
[22] Eine Rückabwicklung komme ihr gegenüber keinesfalls in Betracht; wenn, dann müsste sich der Kläger ein höheres Benützungsentgelt anrechnen lassen, das sie zuletzt mit (weiteren) 14.172,88 EUR einredeweise einwandte. Schließlich stünden dem Kläger nur Verzugszinsen ab Klagszustellung zu.
[23] Das Erstgericht sprach aus, dass das Klagebegehren mit 20.411,54 EUR und die Gegenforderung mit 4.836,86 EUR zu Recht bestehe, sprach dem Kläger 15.574,68 EUR samt 4 % Zinsen seit 8. 9. 2020 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu und wies das Mehrbegehren – rechtskräftig – ab.
[24] Die Klage sei schlüssig, weil der Leasinggeber hier erst nach Übergabe des Fahrzeugs den Antrag angenommen habe und in den Vertrag eingetreten sei, sodass dem Kläger die einem Käufer zustehenden Rechte zukämen.
[25] Der Oberste Gerichtshof judiziere in mittlerweile ständiger Rechtsprechung, dass es sich nicht nur bei der im Fahrzeug des Klägers bei Übergabe vorhandenen „Umschaltlogik“ um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG gehandelt habe, sondern auch beim nach dem Software‑Update vorhandenen Thermofenster, das ebenso wenigdurch den Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG gerechtfertigt werden könne.
[26] Daran ändere auch der von der Beklagten behauptete erweiterte Temperaturbereich nichts. Einerseits liege die monatliche Durchschnittstemperatur am Wohnort des Klägers nach den Feststellungen jedenfalls in fünf Monaten unter +10°C und um sieben Uhr morgens (entsprechend der überwiegenden Nutzung des Klägers nachts) in sechs Monaten, andererseits würden Außentemperaturen unter +10°C nicht nur in Österreich, sondern in weiten Teilen der Europäischen Union übliche Betriebstemperaturen darstellen.
[27] Dem Kläger sei daher ein ersatzfähiger Schaden entstanden, weil sein Fahrzeug weiterhin mit einer nach Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sei, und die Frage, ob aufgrund der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung latent die Gefahr einer Betriebsuntersagung drohe, an der objektiven Rechtslage zu messen sei.
[28] Die Schadenersatzansprüche des Klägers seien auch nicht verjährt. Dass der Kläger nach Bekanntwerden der „Umschaltlogik“ die fehlende Rechtsbeständigkeit des Software‑Updates als künftigen Schaden objektiv vorhersehen hätte können, habe die Beklagte – zu Recht – nicht behauptet.
[29] Da Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG nach ebenfalls gefestigter Rechtsprechung als Schutzgesetz im Sinn des § 1311 ABGB zugunsten von Fahrzeugkäufern zu verstehen sei und der Beklagten als Herstellerin zumindest Fahrlässigkeit angelastet werden könne, habe der Kläger einen auf Naturalrestitution gerichteten Ersatzanspruch. Sein Gebrauchsnutzen sei anhand der gefahrenen Kilometer linear zu berechnen. Dies ergebe zum Schluss der Verhandlung ein Benützungsentgelt von 13.446,47 EUR abzüglich der vom Kläger bereits mit Klage anerkannten 8.609,61 EUR.
[30] Das Berufungsgericht hob dieses Urteil über Berufung der Beklagten zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.
[31] Die Leasingfinanzierung führe nicht zur Unschlüssigkeit der Klage, weil der Kläger das Fahrzeug zunächst im eigenen Namen erworben und erst nachträglich einen Leasingvertrag geschlossen habe.
[32] Der Beklagten könne hinsichtlich des Thermofensters aber kein Verschulden angelastet werden, und Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit der „Umschaltlogik“ seien dem Kläger bereits seit Oktober 2015 bekannt und bei Klagseinbringung gemäß § 1489 Satz 1 ABGB verjährt gewesen. Daher müsse geklärt werden, ob eine der Beklagten zurechenbare Straftat im Sinn des zweiten Satzes des § 1489 ABGB iVm § 146 StGB vorliege.
[33] Schließlich sei auch das Vorbringen und Beweisverfahren zum Thermofenster und dessen behaupteter Zulässigkeit erörterungs- und ergänzungsbedürftig.
[34] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil noch nicht geklärt sei, (a) ob einem Fahrzeugkäufer, der vom Bestehen der „Abgasthematik“ Kenntnis erlangt habe, auch die für die Erhebung von Schadenersatzansprüchen erforderliche Kenntnis von der mangelnden Rechtsbeständigkeit der Typgenehmigung zuzumuten sei; (b) ob die 30‑jährige Verjährungsfrist des § 1489 Satz 2 2. Fall ABGB auch dann zur Anwendung komme, wenn vom Ausland aus gesetzte betrugsspezifische Tathandlungen (nur) im Ausland qualifiziert strafbar seien; (c) welcher Sorgfaltsmaßstab für Automobilhersteller im Hinblick auf (Detail-)Fragen der Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen – insbesondere der konkret (noch) zulässigen Ausgestaltung eines Thermofensters – anzulegen sei; und (d) welche Temperaturen für die Prüfung der vom Europäischen Gerichtshof zur (ausnahmsweisen) Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen angenommenen Gegenausnahme maßgeblich seien.
[35] Gegen diese Entscheidung erhoben sowohl der Kläger, als auch die Beklagte Rekurse, wobei der Kläger eine „Klagsstattgabe“ (erkennbar gemeint im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils) anstrebt und die Beklagte eine (vollständige) Klagsabweisung. Hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.
[36] In ihren Rekursbeantwortungen beantragen die Streitteile jeweils, den Rekurs der Gegenseite als unzulässig zurück-, in eventu abzuweisen.
I. Zum Rekurs des Klägers:
Rechtliche Beurteilung
[37] Der Rekurs des Klägers ist wegen eines Abweichens der Berufungsentscheidung von mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zulässig und berechtigt.
[38] I.1 In dritter Instanz ist nicht mehr strittig, dass es sich bei der im Fahrzeug des Klägers bei Auslieferung vorhandenen „Umschaltlogik“ um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG gehandelt hat und die Beklagte als dessen Herstellerin auch Fahrzeugkäufern wie dem Kläger, mit denen sie in keinem Vertragsverhältnis steht, Schadenersatz zu leisten hat (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG; C-145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen; 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023).
[39] I.2 Wird schuldhaft eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut – was auch hier hinsichtlich der „Umschaltlogik“ nicht angezweifelt werden kann – und liegt nach dem Software‑Update weiterhin eine (wenn auch andere) unzulässige Abschalteinrichtung vor, haftet die Beklagte als Fahrzeugherstellerin für den dadurch verursachten Schaden. Ob der Versuch der Schadensbeseitigung verschuldet oder unverschuldet fehlschlägt, ist unbeachtlich (vgl RS0134560 [insb T1]; 6 Ob 149/23i [Rz 16]).
[40] Auf ein Verschulden und einen Rechtsirrtum im Zusammenhang mit dem Software‑Update und dem Thermofenster kommt es beim vorliegenden, mit einer „Umschaltlogik“ ausgelieferten Motor EA189 entgegen der Rechtsansicht der Beklagten und des Berufungsgerichts daher nicht an.
[41] I.3.1 Im Übrigen reichen Vorbringen und Feststellungen für die Beurteilung der Frage aus, ob die Beklagte durch das Software‑Update bereits Naturalersatz im Sinne einer Freiheit des Fahrzeugs von unzulässigen Abschalteinrichtungen geleistet hat.
[42] I.3.2 Gemäß der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der Kläger für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung im Sinn von Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG nach allgemeinen Regeln behauptungs- und beweispflichtig. Hingegen trifft den Übergeber die Beweislast dafür, dass eine grundsätzlich verbotene Abschalteinrichtung unter die Verbotsausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG fällt (vgl 1 Ob 149/22a [Rz 46]; RS0134458).
[43] I.3.3 Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das ua die Temperatur ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
[44] Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig.
[45] Dieses Verbot wird – nur (vgl 10 Ob 31/23s [Rz 41]) – von drei Ausnahmen durchbrochen.
[46] Gemäß der Verbotsausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG , auf die sich die Beklagte beruft, ist eine Abschalteinrichtung zulässig, wenn sie notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
[47] Der EuGH hat allerdings mehrfach klargestellt, dass – ungeachtet des Vorliegens der in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG normierten Voraussetzungen – eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fällt (6 Ob 155/22w [Rz 41, 67]).
[48] In Anbetracht der Tatsache, dass die Ausnahme eng auszulegen ist, könnte eine Abschalteinrichtung zudem nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinn des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG , wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (10 Ob 31/23s [Rz 27 f]; 2 Ob 5/23h [Rz 26 f]).
[49] Der EuGH hielt schließlich bereits zu C‑128/20 , GSMB Invest, Rn 52, 54, fest, dass es sich beim AGR-Ventil, dem AGR-Kühler und dem Dieselpartikelfilter um vom Motor getrennte Bauteile handelt und die Verschmutzung und der Verschleiß des Motors nicht als „Beschädigung“ oder „Unfall“ im Sinne der genannten Bestimmung angesehen werden können (6 Ob 175/23p [Rz 65]).
[50] I.3.4 Hier soll das Software‑Update nach dem (korrigierten) Beklagtenvorbringen dazu geführt haben, dass bei einer Außentemperatur von ca +10°C bis ca +45°C eine vollständige Abgasrückführung stattfindet, bei niedrigeren und höheren Temperaturen wird sie hingegen graduell reduziert, bis sie bei einer Umgebungslufttemperatur unterhalb von ca -12°C und oberhalb von ca +55°C zur Gänze abgeschaltet wird.
[51] Damit liegt aber ein Konstruktionsteil vor, das die Temperatur ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems, nämlich des Abgasrückführsystems, zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, und derart die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert (zumal hier auch keine emissionsmindernde Abgasnachbehandlung behauptet wird).
[52] Bei Temperaturen unter +10°C handelt es sich zudem um Bedingungen, die im Sinne der Legaldefinition des Art 3 Z 10 der VO 715/2007/EG bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, zumal im Unionsgebiet (und auch in Österreich) regelmäßig tiefere Umgebungstemperaturenvorherrschen. Der Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ verweist auf die Verwendung dieses Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Unionsgebiet üblich sind (vgl C‑128/20 , GSMB Invest [Rn 40]). Für diese Betrachtung kommt es entgegen dem Vorbringen der Beklagten nicht auf einen – noch dazu europaweiten – Durchschnittswert an (vgl 6 Ob 175/23p [Rz 60], dort: -5°C bis +30°C; 6 Ob 177/23g [Rz 34], dort: ‑10°C bis +40°C; vgl auch 4 Ob 61/23h [Rz 31]; 3 Ob 40/23p [Rz 17]).
[53] I.3.5 Wie ausgeführt trifft die Beweislast für die ausnahmsweise Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung die Beklagte. Hier steht gerade nicht fest, dass es im Zeitpunkt des Software‑Updates keine andere technische Lösung als eine temperaturabhängige Abgasrückführung im konkret behaupteten Temperaturbereich gegeben hätte, um unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abzuwenden. Die Beklagte macht im Rechtsmittelverfahren lediglich geltend, dass die Abschalteinrichtung im überwiegenden Teil des Jahres inaktiv sei, worauf es hier aber mangels Nachweises der Notwendigkeit der temperaturabhängigen Abschalteinrichtung nicht ankommt.
[54] I.4 Entgegen der Ansicht der Beklagten und des Berufungsgerichts war die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB im Verhältnis zur Beklagten bei Klagseinbringung auch noch nicht abgelaufen.
[55] Erfuhr der Fahrzeughalter – wie hier – zwar durch ein Schreiben der Generalimporteurin vom „Abgasskandal“ und davon, dass sein Fahrzeug betroffen war, und wurde ihm gleichzeitig ein Software-Update angeboten, das eine „technische Lösung“ für das Problem bieten sollte und das auch vom Fahrzeughalter in Anspruch genommen wurde, durfte der Geschädigte annehmen, dass der aufgetretene Schaden behoben ist. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt damit zu dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem der Fahrzeughalter davon Kenntnis erlangte, dass trotz des Software‑Updates nach wie vor eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden ist (9 Ob 33/23b [Rz 23 f, 26]; 10 Ob 31/23s [Rz 62 ff]; RS0034951 [T42] ua).
[56] Die vom Berufungsgericht herangezogene Entscheidung 6 Ob 160/21d, die für den Beginn der Verjährung allein auf die Kenntnis der Betroffenheit vom Abgasskandal abstellte, ist insoweit überholt (vgl 2 Ob 3/24s [Rz 15]; 6 Ob 181/23w [Rz 15]).
[57] I.5 Der Rekurs des Klägers ist daher berechtigt.
[58] Da die Zulässigkeit des Zug-um-Zug-Begehrens, die Berechnung des Benützungsentgelts im Rahmen des Vorteilsausgleichs sowie das Zinsenbegehren in dritter Instanz nicht mehr strittig sind, war dem Rekurs Folge zu geben und das Ersturteil – einschließlich der Kostenentscheidung – wiederherzustellen (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO). Bei der Formulierung des Spruchs war lediglich zu berücksichtigen, dass der schadenersatzrechtliche Vorteilsausgleich durch Abzug des Benützungsentgelts vom Kaufpreis erfolgt und nicht mittels Gegenforderung geltend zu machen ist (vgl 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 [Rz 39]).
[59] I.6 Die Kostenentscheidung im Berufungsverfahren sowie im Verfahren über den Rekurs des Klägers beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
[60] Der ERV-Zuschlag gemäß § 23a RATG beträgt im Rechtsmittelverfahren allerdings lediglich 2,60 EUR (RS0126594).
II. Zum Rekurs der Beklagten:
[61] Der Rekurs ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 526 Abs 2 ZPO), nicht zulässig und daher zurückzuweisen.
[62] II.1 Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen. Eine bei Einbringung eines Rechtsmittels tatsächlich vorliegende erhebliche Rechtsfrage fällt somit weg, wenn sie durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Zwischenzeit geklärt wird (RS0112769; RS0112921 [T5]).
[63] II.2 Soweit die Beklagte als erhebliche Rechtsfrage jene nach der Ermittlung der Umgebungstemperaturen ins Treffen führt, die für die Zulässigkeit ihrer temperaturabhängigen Abschalteinrichtung relevant sein sollen, wird auf die Ausführungen zum Rekurs des Klägers (Punkt I.3) und die dort zitierte, bereits zu dieser Frage ergangene Judikatur verwiesen. Das im Rekurs thematisierte „Überwiegenskriterium“ ist hier schon mangels Nachweises der Notwendigkeit der konkreten Abschalteinrichtung nicht relevant.
[64] II.3.1 Auch ob eine Klage schlüssig ist, sich also der Anspruch aus dem behaupteten Sachverhalt ergibt, wirft wegen der Einzelfallbezogenheit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn der §§ 502 Abs 1, 519 Abs 2 ZPO auf (vgl RS0037780).
[65] II.3.2 Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die konkrete, vom Kläger – anders als in 9 Ob 53/20i – nach dem Kaufvertrag geschlossene und nachgewiesene Finanzierungsvereinbarung hier nicht zu einer Unschlüssigkeit des Klagebegehrens führt, bewegt sich im Rahmen der bereits zum Leasing ergangenen Entscheidungen und ist jedenfalls vertretbar.
[66] Der Oberste Gerichtshof bejahte bereits mehrfach die Schlüssigkeit eines Schadenersatzbegehrens bzw die Aktivlegitimation eines Leasingnehmers, wenn der Kaufvertrag nicht ausschließlich der Spezifikation des Fahrzeugs für den Abschluss eines Finanzierungsleasingvertrags diente, sondern zunächst ein zivilrechtlich voll wirksamer Kaufvertrag zwischen dem Händler und dem späteren Leasingnehmer geschlossen wurde und erst in der Folge zur Finanzierung des Kaufpreises ein Leasingvertrag zustande kam (vgl 8 Ob 22/22a [Rz 14 f]; 8 Ob 109/23x [Rz 33 ff] uva). Ob der Käufer das Fahrzeug von Anfang an leasen wollte oder er es von der Leasinggeberin später zurückkauft, wirkt sich darauf nicht aus (vgl 10 Ob 7/24p [Rz 21]).
[67] Nach den unbekämpften Feststellungen wurden die Kaufverträge am 27. 5. und 29. 6. 2011 mit dem Kläger als Käufer geschlossen, dem das Fahrzeug am 8. 11. 2011 auch übergeben wurde; erst am 24. 11. 2011 wurde sein Leasingantrag vom 6. 10. 2011 von der Leasinggeberin angenommen. Dass die Vorinstanzen davon ausgehend eine Einheit des Kauf- und Leasingvertrags verneinten und einen unmittelbaren Schadenseintritt beim Kläger bejahten, bewegt sich innerhalb des ihnen notwendiger Weise zukommenden Beurteilungsspielraums im Einzelfall. Eine Unvertretbarkeit dieser Rechtsansicht zeigt die Rekurswerberin mit ihrem auf Urkundeninhalten beruhenden Argumenten, nach denen auch andere Feststellungen denkbar seien, nicht auf.
[68] Die von der Beklagten weiters ins Treffen geführte Entscheidung 3 Ob 189/22y hatte ein Begehren auf Ersatz der Leasingraten zum Gegenstand und ist schon deswegen nicht vergleichbar.
[69] II.4 Die Kostenentscheidung im Verfahren über den Rekurs der Beklagten beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
[70] Der Kläger hat auf dessen Unzulässigkeit hingewiesen.
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