OGH 6Ob175/23p

OGH6Ob175/23p21.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und den Hofrat Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Dr. Thomas Kainz, LL.M. (London), Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. P*, vertreten durch Raits Dalus Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, 2. M*, Deutschland, vertreten durch Univ.‑Prof. Mag. Dr. Franz Pegger und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 52.682,77 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. Juni 2023, GZ 1 R 75/23i‑76, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 20. März 2023, GZ 45 Cg 21/20g‑68, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00175.23P.0221.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

I. Die Revision im Verfahren gegen die erstbeklagte Partei wird zurückgewiesen.

Die erstbeklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

II. Der Revision im Verfahren gegen die zweitbeklagte Partei wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb von der erstbeklagten KFZ‑Händlerin mit Kaufvertrag vom 19. 1. 2016 einen von der Zweitbeklagten hergestellten Mercedes GLC 220d 4MATIC (Neuwagen) um 52.682,77 EUR, der ihm am 12. 12. 2016 übergeben wurde.

[2] Die Erstbeklagte war nie Vertragshändlerin der Zweitbeklagten, sondern bezog die Fahrzeuge über einen Importeur, in concreto eine 100%ige Tochtergesellschaft der Zweitbeklagten.

[3] Das Fahrzeug ist mit einem 2,2 l‑Dieselmotor Typ OM651 und einem AdBlue‑Tank (als SCR‑Katalysator zur Abgasnachbehandlung) ausgestattet und wurde am 8. 6. 2016 gemäß Abgasklasse Euro 6b akkreditiert, wobei noch der Neue Europäische Fahrzyklus maßgeblich war (NEFZ). Der NEFZ‑Grenzwert für NOx betrug 80 mg/km, in den Originalpapieren ist der NOx‑Emissionswert mit 50,8 mg/km spezifiziert.

[4] Das Fahrzeug des Klägers war von einem Rückruf-Bescheid des deutschen Kraftfahrt‑Bundesamtes (KBA) vom 3. 8. 2018 betroffen, weswegen am 16. 11. 2018 in der Werkstatt der Erstbeklagten ein von der Zweitbeklagten entwickeltes und vom KBA freigegebenes Software‑Update aufgespielt wurde.

[5] Mit seiner Klage vom 14. 7. 2020 begehrt der Kläger die Aufhebung des mit der Erstbeklagten geschlossenen Kaufvertrags sowie beide Beklagten für schuldig zu erkennen, ihm den Kaufpreis von 52.682,77 EUR zuzüglich 4 % Zinsen seit Kaufvertragsabschluss Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs rückzuerstatten.

[6] Wie sich Ende des Jahres 2018 herausgestellt habe, sei sein Fahrzeug – entgegen anderslautender Zusagen der Erstbeklagten – ebenfalls vom sogenannten „Abgasskandal“ betroffen. Konkret habe dieses bei Auslieferung mehrere Systeme enthalten, die die NOx‑Emissionen beeinflussten, als unzulässige Abschalteinrichtungen iSd Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG zu qualifizieren seien und zu einem Entzug der Zulassung führen könnten. So sei auch hier eine Umschaltlogik vorhanden gewesen, die den NEFZ erkannt und einen Modus aktiviert habe, der im Verhältnis zum realen Straßenbetrieb zu einer deutlichen Schadstoffreduktion geführt habe. Aus dem gleichen Grund werde AdBlue im NEFZ und im Straßenbetrieb unterschiedlich dosiert. Schließlich liege ein Thermofenster in dem Sinne vor, dass die Abgasrückführung (AGR) nur bei Außentemperaturen von + 20 Grad Celsius bis + 30 Grad Celsius voll wirksam sei. All dies bezwecke, die NOx‑Grenzwerte am Prüfstand einzuhalten, während sie im Realbetrieb um ein Vielfaches überschritten würden. Daher habe auch das KBA einen verpflichtenden Rückruf wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen angeordnet (dessen näherer Inhalt von der Zweitbeklagten geheim gehalten werde).

[7] Das Software‑Update könne nicht als Verbesserung bzw Schadlosstellung verstanden werden, weil die NOx‑Grenz‑ und Herstellerwerte im realen Fahrbetrieb nach wie vor nicht eingehalten würden und das Abgasrückführsystem weiterhin Beschränkungen unterliege, wie etwa einem Thermofenster, die ebenso als unzulässige Abschalteinrichtungen zu qualifizieren seien. Die temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung sei unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres im Einsatz und damit jedenfalls unzulässig, zumal im Unionsgebiet Temperaturen bis zu - 7 Grad Celsius üblich seien. Auch könne die ausnahmsweise Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung nicht mit einem Schutz des Abgasrückführsystems vor Versottung und Verschleiß gerechtfertigt werden. Letztlich habe das Software‑Update zu anderen (näher spezifizierten) Nachteilen geführt.

[8] Gegenüber der Erstbeklagten stützte der Kläger seine Ansprüche auf Gewährleistung (Wandlung), Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums, Arglist und laesio enormis, Fehlen der Geschäftsgrundlage sowie auf vertraglichen Schadenersatz (Naturalrestitution). Der Erstbeklagten sei ein Verschulden anzulasten, weil ihr aufgrund der Abgasmanipulationen anderer Hersteller und eigener Prüfungen klar hätte sein müssen, dass auch im verkauften Fahrzeug Abschalteinrichtungen verbaut seien.

[9] Die Ansprüche seien nicht verjährt, weil sämtliche Fristen erst mit der Erkennbarkeit der Manipulationen zu laufen begonnen hätten, in concreto mit dem Rückrufschreiben vom 22. 10. 2018.

[10] Die Zweitbeklagte, die die verbotenen Abschalteinrichtungen aus reinem Gewinnstreben unter Täuschung von Aufsichtsbehörden und der Öffentlichkeit zum Nachteil ihrer Kunden bewusst verbaut und verschwiegen habe, hafte wegen sittenwidriger Schädigung iSd § 1295 Abs 2 ABGB und Schutzgesetzverletzungen (§ 146 StGB, § 2 UWG sowie der VO 715/2007/EG ). Zudem entfalte der Liefervertrag Schutzwirkungen zugunsten des Klägers.

[11] Ein Benützungsentgelt könne die arglistig handelnde Zweitbeklagte nicht verlangen. Wenn doch, dann müsste dieses linear berechnet werden, sodass sich – ausgehend von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km und 101.000 gefahrenen Kilometern bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung – eine Gegenforderung von lediglich 17.736,53 EUR ergebe. Im Gegenzug stünden dem Kläger bereicherungsrechtliche Vergütungszinsen von 4 % seit dem Zahlungstag zu.

[12] Die Erstbeklagte bestritt, dass sie neben dem schriftlichen Kaufvertrag weitere Zusagen gemacht hätte und ein wesentlicher Geschäftsirrtum, Mangel oder Schaden vorliege, und wandte überdies Verjährung ein. Zudem fehle es am Verschulden: Weder könnten ihr eigene Sorgfaltswidrigkeiten angelastet noch Kenntnisse und Handlungen der Zweitbeklagten zugerechnet werden.

[13] DieZweitbeklagte bestritt eine Manipulation und Täuschung und brachte vor, dass das Fahrzeug stets voll funktionstauglich gewesen sei, im Straßenbetrieb kein anderes Emissionsverhalten zeige als am Prüfstand und alle vorgeschriebenen NOx‑Grenzwerte einhalte, sodass auch kein Entzug der Zulassung drohe. Der – von ihr im Übrigen angefochtene – Rückruf sei keineswegs wegen einer Umschaltlogik und Prüfstandserkennung wie bei Motoren anderer Hersteller erfolgt. Bei diesem sei es lediglich um eine „optimierte Aussteuerung der Funktionsweise des Emissionskontrollsystems“ gegangen.

[14] Den Kläger treffe daher die volle Beweislast für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die Kausalität und ein Verschulden. Eine Beweislastumkehr komme ihm nicht zugute, sie habe weder gegen Schutzgesetze verstoßen noch entfalte der Liefervertrag Schutzwirkungen zugunsten des Klägers. Von einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung könne keine Rede sein.

[15] Selbst wenn man einen ursprünglichen Schaden bejahe, sei der Kläger durch das mit dem KBA abgestimmte Software-Update klaglos gestellt worden. Damit sei die AdBlue-Abgasnachbehandlung optimiert worden.

[16] Zuletzt präzisierte die Beklagte ihr Vorbringen dahin, dass das KBA unter der Bezeichnung „Strategie A“ bzw „Strategie A in vergleichbarer Ausformung“ einen bestimmten, im Detail näher dargelegten Aspekt beim Wechsel zwischen den Dosiermodi im SCR-System beanstandet habe, der jedoch nicht als – noch dazu unzulässige – Abschalteinrichtung verstanden werden könne. Ungeachtet dessen habe sie aufgrund des zwischenzeitigen Erkenntnisgewinns und technischen Fortschritts mit dem Update die Bedingungen für den Wechsel optimieren und daher sämtlichen Forderungen des KBA entsprechen können.

[17] Seit dem Update sei die Abgasrückführung in einem Bereich von - 10 Grad Celsius bis + 40 Grad Celsius uneingeschränkt aktiv, sodass auch keine Abschalteinrichtung im Sinne eines (zu engen) Thermofensters vorliege. Eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung habe zudem dem Stand der Technik entsprochen und sei dem KBA offengelegt und von diesem stets für zulässig erachtet worden, zumal für die Emissionen die Abgasnachbehandlung, also der SCR‑Katalysator, maßgeblich sei. Wegen der drohenden Versottung, die zu dauerhaften Schädigungen bis hin zu einem totalen Motorausfall führen könne, würde zudem die Ausnahme nach Art 5 Abs 2 lit a der VO 715/2007/EG greifen. Zumindest sei ihre Rechtsauffassung vertretbar, sodass sie kein Verschulden treffe.

[18] Mangels Nutzungseinschränkung oder Wertverlusts komme weder eine Naturalrestitution in Betracht noch Geldersatz. Keinesfalls stünden Zinsen seit Vertragsabschluss zu. Für den Fall der Rückabwicklung müsste sich der Kläger ein Benützungsentgelt anrechnen lassen, das – mangels näherer Informationen – mit 35.000 EUR angesetzt und als Gegenforderung eingewandt werde.

[19] Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stellte fest, dass der Kläger wieder ein Mercedes‑Dieselfahrzeug gewollt und die Erstbeklagte auf Fahrverbote in Deutschland angesprochen habe; darauf sei er mehrfach auf die Euro 6 verwiesen worden als neueste Technologie und dass es mit Fahrverboten keine Probleme geben werde. Nicht festgestellt werden könne, dass der Kläger das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn er damals gewusst hätte, dass das KBA in der Zukunft ein Software‑Update fordern werde.

[20] Hardwaremäßig sei im klägerischen Fahrzeug die neueste Fahrzeugtechnik verbaut gewesen. Zum Zeitpunkt der Akkreditierungsei es weiters Stand der Technik gewesen, dass alle Fahrzeuge eine stark temperaturabhängige Emission gehabt hätten. Alle Fahrzeughersteller würden Thermofenster verwenden. Vor dem Software‑Updatesei beim klägerischen Fahrzeug eine „temperaturabhängige Emission zwischen 5 und 20 Grad Celsius“ vorhanden gewesen, wobei beim Durchfahren des WLTC [Anm: Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedure, Typprüfung ab 1. 9. 2017] NOx‑Emissionswerte von fast 300 mg/km vorgelegen seien.

[21] Hintergrund des Rückrufs auch des klägerischen Fahrzeugs sei gewesen, dass im Bescheid des KBA vom 3. 8. 2018 auf Basis der Einlassungen des Fahrzeugherstellers festgestellt worden sei, dass im Emissionskontrollsystem eine Strategie verwendet werde, mit der die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in unzulässiger Weise reduziert werde, obwohl normale Betriebsbedingungen vorlägen. Konkret habe das Fahrzeug für die Abgasnachbehandlung per SCR‑Katalysator zwei unterschiedliche Regelstrategien (Modi) hinsichtlich der Eindüsung von AdBlue gewählt, welches die Stickoxide reduziert. Dies sei grundsätzlich nicht unzulässig und von vielen Herstellern angewendet worden. Während unter Bedingungen, wie sie auch für die Typprüfung vorgegeben gewesen seien, nach Motorstart ein vergleichsweise effektiver Modus genutzt worden sei, sei nach dem Erreichen einer bestimmten Stickoxidmasse nach Ablauf des Prüfzyklus dauerhaft ein weniger effektiver Modus genutzt worden. Eine Nutzung des effektiveren Modus sei danach nicht mehr erfolgt, sondern erst nach Motorneustart. Dies sei vom KBA als unzulässige Abschalteinrichtung bewertet worden. Hierbei habe es sich aber nicht um eine Prüfstandserkennung gehandelt, weil die Funktion sowohl bei Vorliegen der Typprüfbedingungen als auch im Straßenbetrieb aktiv gewesen sei. Das „aktive Bit 13“ in der Motorsteuerungssoftware sei zunächst im Bescheid des KBA vom 23. 5. 2018 bei einem anderen Fahrzeugtyp festgestellt und als „Strategie A“ bezeichnet worden. Grund für den Rückruf des Klagsfahrzeugs sei das Vorliegen der „Strategie A in vergleichbarer Ausprägung“ gewesen, nachdem der Hersteller angegeben gehabt habe, dass die beanstandete „Strategie A“ auch in diesem Typ verbaut sei. Da die Zweitbeklagte gegen diesen Bescheid „Klage“ erhoben habe, sei die Unzulässigkeit dieser Abschalteinrichtung noch nicht rechtskräftig festgestellt.

[22] Weitere Funktionen/Strategien seien vom KBA beim Klagsfahrzeug nicht beanstandet worden. Mit dem ursprünglichen Thermofenster habe die Ansteuerung der AdBlue‑Einspritzung bzw der Rückruf nichts zu tun.

[23] Der Erstbeklagten sei die ursprüngliche Programmierung weder in Bezug auf das Thermofenster noch auf die Ansteuerung der AdBlue‑Einspritzung bekannt gewesen noch hätte eine allfällige Abschalteinrichtung für sie überhaupt erkennbar sein können.

[24] Die Ansteuerung der AdBlue‑Einspritzungsei aufgrund der zwischenzeitigen Erfahrungen und besseren Kenntnisse mit dem Software‑Update beim Klagsfahrzeug „eliminiert“ worden. Zusätzlich seien noch das SCR-System und die Ansteuerung des Abgasrückführsystems optimiert worden, wodurch es zu weiteren Reduktionen der NOx‑Emissionen gekommen sei.

[25] Das Software‑Update sei durch das KBA in Kenntnis seiner Funktionsweise, nachdem alle Unterlagen betreffend die Motordaten und Ansteuerungscharakteristiken übermittelt worden seien, freigegeben worden. Das Fahrzeug habe auch eine neue allgemeine Betriebserlaubnisnummer erhalten. Ein konkreter Typengenehmigungsentzug sei nie bevorgestanden. Das Fahrzeug erfülle im „upgedateten“ Zustand jedenfalls die Vorschriften hinsichtlich NOx‑Emissionen und auch alle anderen Vorschriften, die zum Akkreditierungszeitpunkt gültig gewesen seien, und hätte mit dem Software‑Update auch schon gemäß Euro 6d temp akkreditiert werden können. Ein künftiger Entzug der Typengenehmigung könne für das klägerische Fahrzeug genauso ausgeschlossen werden wie, dass es von einem Fahrverbot betroffen wäre.

[26] Mit dem Software‑Updatesei beim klägerischen Fahrzeug in einem Temperaturbereich zwischen [gemeint:] + 5  Grad Celsius und + 30 Grad Celsius „kein Thermofenster mehr enthalten“. Es liege also in diesem Temperaturbereich keine temperaturabhängige Emissionsveränderung hinsichtlich der NO x ‑Werte mehr vor. Das klägerische Fahrzeug erfülle im „upgedateten“ Zustand umfassend im gesamten Temperaturbereich von + 5 Grad Celsius bis + 30 Grad Celsius alle Grenzwerte. Auch bei 0 Grad Celsius oder auch bei - 5 Grad Celsius liege mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kein relevanter Anstieg der NO x ‑Werte vor.

[27] Das ursprüngliche Thermofenster, aber auch das Thermofenster, das seit dem Software‑Update nur mehr außerhalb des Temperaturbereichs zwischen - 5 Grad Celsius und + 30 Grad Celsius zu einer Verminderung der Abgasrückführung führe, sei in erster Linie dafür da (gewesen), das AGR‑Ventil und den AGR‑Kühler davor zu schützen, dass sie versotten und damit ausfallen. Die AGR‑Komponenten könnten nicht in die Wartung eingebracht werden, weil der Verschleiß dieser Komponenten extrem stark davon abhänge, wie das Fahrzeug betrieben werde. Insofern könne keine Wartungsvorhersage oder ein Wartungsintervall festgelegt werden. Die Dauerhaltbarkeit dieser AGR‑Bauteile wäre ohne Thermofenster nicht garantiert. Das Thermofenster sei implementiert worden, um die Dauerhaltbarkeit, insbesondere des AGR‑Ventils, zu garantieren. Dies sei zum damaligen Zeitpunkt Stand der Technik gewesen.

[28] Wenn die AGR‑Bauteile nicht als Teil des Motors im Sinne der VO 715/2007/EG anzusehen seien, sei die Gefahr von Motorschäden auch dann gegeben, wenn das AGR‑Ventil ausfalle, sich zB verklemme, und nicht mehr ordnungsgemäß funktioniere. Das Fahrzeug habe nur mehr einen Bruchteil der Motorleistung zur Verfügung, womit zwar das Risiko einer zu großen Hitzeentwicklung und Schädigung des Motors verhindert werde, der Wechsel in den Notlauf jedoch plötzlich geschehe, innerhalb von Sekundenbruchteilen und ohne Vorankündigung. Im Notlauf könne dann das Fahrzeug nur mehr praktisch bis zur nächsten Werkstätte betrieben werden, teilweise auch nur mehr bis zum nächsten Abstellplatz. Durch den Übergang in das Notlaufprogramm könnten unter Umständen Probleme beim Fahren entstehen, etwa wenn im Zuge eines Überholmanövers das Fahrzeug in den Notlauf übergeführt werde und dann keine Beschleunigungsleistung mehr zur Verfügung stehe. Der Grund dafür, dass das Fahrzeug in den Notlauf übergeführt werde, sei, dass dadurch echte Motorschäden, die im normalen Weiterbetrieb entstehen könnten, weitestgehend vermieden werden könnten. Die Überleitung in das Notlaufprogramm sei Stand der Technik und werde nicht nur bei einem Versagen des AGR durchgeführt, sondern auch wenn andere Probleme am Motor, die ein Risiko für den Motor bieten, auftreten würden.

[29] In Mitteleuropa würden die Durchschnitts-temperaturen zwischen + 7 Grad Celsius und + 11 Grad Celsius betragen, in Österreich lägen sie in den letzten Jahren zwischen + 7 Grad Celsius und + 9 Grad Celsius. In Europa sei das kälteste Land Finnland, wobei die Durchschnittstemperatur am Tag bei + 6,5 Grad Celsius liege und in der Nacht bei - 0,8 Grad Celsius. Das wärmste Land Europas sei Zypern, das im Sommer eine Durchschnittstemperatur von + 26,1 Grad Celsius am Tag und + 13,3 Grad Celsius in der Nacht aufweise.

[30] In rechtlicher Hinsicht hielt das Erstgericht fest, dass allfällige bei Übergabe vorhandene Mängel bzw Schäden durch das Software‑Update behoben worden seien. Ob ein Sachmangel oder vielmehr ein Rechtsmangel vorgelegen sei, bei dem die Verjährungsfrist erst mit Kenntniserlangung zu laufen beginne, sei daher irrelevant. Mittlerweile liege keinesfalls mehr eine verbotene Abschalteinrichtung vor, weil der emissionsmindernde Betriebsmodus der neu installierten Software auch im Fahrbetrieb, und zwar bei Außentemperaturen zwischen - 5 Grad Celsius und + 30 Grad Celsius, voll wirksam sei. Das Fahrzeug erfülle im „upgedateten“ Zustand alle Grenzwerte und decke den Durchschnittstemperaturbereich in Europa ab, „die Abgasrückführung sei den überwiegenden Teil des Jahres im EU‑Gebiet voll aktiv“. Selbst wenn die Abgasrückführung durch das Thermofenster bei Temperaturen von weniger als - 5 Grad Celsius reduziert werde, wäre dies nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 lit a der VO 715/2007/EG zulässig, weil dies erforderlich sei, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Der Kläger sei sohin klaglos gestellt und könne keine Rückabwicklung verlangen. Ansprüche aus einer Irrtumsanfechtung seien zudem verjährt, und arglistiges Verhalten einer der beiden Beklagten habe sich nicht ergeben.

[31] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Zwar qualifizierte es die ursprüngliche AdBlue‑Eindüsung als unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ; dieser Mangel sei durch das Software‑Update jedoch vollständig behoben worden. Ebenso sei das nach wie vor vorhandene Thermofenster eine Abschalteinrichtung und nicht zum Motorschutz notwendig iSd lit a des Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG . Auf die Frage, ob die Abschalteinrichtung aufgrund der vorherrschenden Außentemperaturen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet seien, komme es daher hier nicht an, sodass es auch keiner (weiteren) Feststellungen zu den (Durchschnitts‑)Temperaturen in der Europäischen Union bedürfe. Allerdings halte das Fahrzeug nunmehr sogar im realen Fahrbetrieb sämtliche NOx‑Grenzwerte ein und erfülle damit alle gesetzlichen Voraussetzungen. Daher sei auch insoweit von einer erfolgreichen Behebung auszugehen.

[32] Die Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine Abschalteinrichtung unabhängig davon, wie oft sie greife, dann nicht mehr als unzulässig iSd Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren sei, wenn das Fahrzeug im realen Fahrbetrieb die geltenden NOx‑Grenzwerte einhalte.

[33] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 2 ZPO) – Zulassungsausspruch ist dieRevision des Klägers im Verfahren gegen die Erstbeklagte mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[34] Im Verfahren gegen die Zweitbeklagte ist sie zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

I. Verfahren gegen die Erstbeklagte (Händlerin)

[35] I.1 Der Kläger begründet die Zulässigkeit und Berechtigung seiner Revision mit dem nach wie vor temperaturabhängigen Emissionsverhalten, das als unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG zu qualifizieren sei, weswegen nicht von einer erfolgreichen Verbesserung bzw Klaglosstellung ausgegangen werden könne.

[36] Weiters argumentiert er damit, dass seine auf Gewährleistung, Irrtumsrecht und laesio enormis gestützten Ansprüche ungeachtet des Vertragsabschlusses am 19. 1. 2016 und der Übergabe des Fahrzeugs am 12. 12. 2016 bei Klagseinbringung am 14. 7. 2020 noch nicht verjährt gewesen seien, weil er einen Mangel bzw Irrtum erst mit dem Zugang des Rückrufschreibens erkennen habe können.

[37] I.2 Die – wie hier – bei Übergabe bloß befürchtete mangelnde Rechtsbeständigkeit der EG‑Typengenehmigung bzw die bloß befürchtete, also nicht konkret drohende Aufhebung der Zulassung, ist jedoch kein Rechtsmangel, und bei Sachmängeln beginnt die Gewährleistungsfrist mit der körperlichen Übergabe zu laufen. Deren Beginn wird nicht dadurch hinausgeschoben, dass der Mangel bei Ablieferung noch nicht entdeckt werden konnte. Das Nichtvorhandensein einer Abschalteinrichtung ist grundsätzlich auch keine zugesicherte, sondern eine gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft (vgl 3 Ob 40/23p [Rz 20 ff]; 6 Ob 116/23m [Rz 10]).

[38] Auf die noch in der Klage behaupteten besonderen Zusicherungen kommt der Kläger nicht mehr zurück, und seinem erstmals in der Revision erhobenen Vorbringen, dass das Software-Update als Verbesserungsversuch der (welcher?) Beklagten zu werten sei, der die Gewährleistungsfrist unterbrochen habe, steht das Neuerungsverbot der §§ 482, 504 ZPO entgegen.

[39] Nach ständiger Rechtsprechung beginnt auch die dreijährige Verjährungsfrist des § 1487 ABGB für die Vertragsanfechtung wegen eines Irrtums mit dem Vertragsabschluss zu laufen (vgl RS0034350), und zwar unabhängig davon, wann der Anfechtende seinen Irrtum entdeckt hat bzw dieser aufgeklärt wurde (RS0034419 [T6]). Ebenso muss laesio enormis innerhalb von drei Jahren nach Vertragsabschluss geltend gemacht werden (vgl RS0018798).

[40] Für ein Verschulden oder gar List der Erstbeklagten bieten die Feststellungen keine Anhaltspunkte. Ein arglistiges Verhalten der Herstellerin – das hier ebenso wenig feststeht – wäre der Erstbeklagten auch nicht zuzurechnen, weil sich nach der Rechtsprechung nicht einmal Vertragshändler beim Verkauf eines Fahrzeugs der Herstellerin bedienen (9 Ob 21/22m [Rz 30 ff]).

[41] I.3 Der Revision gelingt es somit nicht, betreffend die Erstbeklagte eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, weswegen sie insoweit zurückzuweisen war.

[42] Die Abweisung des – erkennbar nur die Erstbeklagte betreffenden – ersten Klagebegehrens auf Aufhebung des Kaufvertrags sowie ihrer – unechten – Solidarhaftung (vgl 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 [Rz 42, 45]) für die Rückerstattung des Kaufpreises zuzüglich Vergütungszinsen ist damit rechtskräftig.

[43] I.4 Die Kostenentscheidung beruht gegenüber der Erstbeklagten auf §§ 40, 50 ZPO.

[44] Für die Revisionsbeantwortung steht kein Kostenersatz zu, weil die Erstbeklagte die Unzulässigkeit der Revision lediglich mit anderen – und wie im Folgenden aufzuzeigen sein wird unzutreffenden – Argumenten begründete (vgl RS0035962, RS0035979).

II. Verfahren gegen die Zweitbeklagte (Herstellerin)

[45] II.1  Der Oberste Gerichtshof hielt bereits in seinem Urteil vom 25. 4. 2023 zu 10 Ob 2/23a unter Verweis auf die Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) C‑100/21 (QB gegen Mercedes‑Benz Group AG) und C‑145/20 (Porsche Inter Auto und Volkswagen) fest, dass ein individueller Käufer, der ein Fahrzeug erwirbt, das zur Serie eines genehmigten Fahrzeugtyps gehört und somit mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, vernünftigerweise erwarten kann, dass die VO 715/2007/EG und insbesondere deren Art 5 bei diesem Fahrzeug eingehalten werden. Diese ursprünglich für das Vertragsverhältnis zwischen Fahrzeugkäufer und Händler konstatierte berechtigte Verkehrserwartung ist auch für das außervertragliche Verhältnis zwischen einem Fahrzeugerwerber und dem Fahrzeughersteller relevant. Ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs hat daher gegen den Hersteller einen Anspruch darauf, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSv Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestattet ist. Daher kann ein Verstoß gegen Art 5 der VO 715/2007/EG den Hersteller auch dann ersatzpflichtig machen, wenn er in keinem Vertragsverhältnis zum Käufer steht (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 [Rz 12 ff]).

[46] Da ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs einen Anspruch gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs darauf hat, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSv Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestattet ist, ist im Rahmen der Naturalrestitution nach § 1323 ABGB primär an eine Beseitigung dieser unzulässigen Abschalteinrichtung zu denken (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 [Rz 33 f]; vgl auch 6 Ob 177/23g [ErwGr II.1.2 f]).

[47] II.2.1  Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

[48] II.2.2  Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig.

[49] Daher kommt es entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts nach der jüngeren Rechtsprechung (10 Ob 31/23s [Rz 40, 46]) auch nicht darauf an, ob die Emissionsgrenzwerte trotz Aktivität der Abschalteinrichtung „im realen Straßenverkehr“ eingehalten werden. Dem Risiko, dass die Emissionsgrenzwerte unter Prüfbedingungen eingehalten werden, die Wirkung des Emissionskontrollsystems jedoch ansonsten (unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind) verringert wird, begegnet die VO 715/2007/EG durch das grundsätzliche Verbot von Abschalteinrichtungen.

[50] II.2.3 Dieses Verbot wird – nur (vgl 10 Ob 31/23s [Rz 41]) – von drei Ausnahmen durchbrochen:

Gemäß der Verbotsausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG , auf die sich die Beklagten berufen, ist eine Abschalteinrichtung zulässig, wenn sie notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.

[51] Der EuGH hat allerdings mehrfach klargestellt, dass – ungeachtet des Vorliegens der in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG normierten Voraussetzungen – eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fällt. Eine Abschalteinrichtung ist daher jedenfalls unzulässig, wenn sie aufgrund der klimatischen Bedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist. (Nur) Wenn dies nicht der Fall ist, kann die Abschalteinrichtung bei Erfüllung der Voraussetzungen des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG zulässig sein (6 Ob 155/22w [Rz 41, 67]).

[52] Bereits zu C‑693/18 (CLCV) hielt der EuGH zudem fest, dass eine Abschalteinrichtung, deren einziger Zweck darin besteht, die Einhaltung der in der VO 715/2007/EG vorgesehenen Grenzwerte allein während der Zulassungstests sicherzustellen, der Verpflichtung zuwiderlaufe, bei normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs eine wirkungsvolle Begrenzung der Emissionen sicherzustellen. Daher kann auch eine Abschalteinrichtung, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Emissionskontrollsystems verbessert, damit die in der VO 715/2007/EG festgelegten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden können und so die Zulassung dieser Fahrzeuge erreicht wird, nicht unter die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fallen (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 48]).

[53] II.2.4  Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der (jeweilige) Kläger für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung iSv Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG nach allgemeinen Regeln behauptungs‑ und beweispflichtig. Hingegen trifft den Übergeber die Beweislast dafür, dass eine grundsätzlich verbotene Abschalteinrichtung unter die Verbotsausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG fällt (vgl 1 Ob 149/22a [Rz 46]; 6 Ob 155/22w [Rz 65 ff]).

[54] II.3.1  Aufgrund der hier getroffenen Feststellungen muss einerseits zwischen verschiedenen Arten von (möglichen) Abschalteinrichtungen und andererseits zwischen den Systemen zur Abgasrückführung und der Abgasnachbehandlung als unterschiedliche Bestandteile des Emissionskontrollsystems unterschieden werden.

[55] II.3.2 Für das Revisionsverfahren ist zunächst zu prüfen, ob der Zweitbeklagten durch das Software-Update im Sinne der Vorinstanzen eine vollständige Beseitigung aller unzulässigen Abschalteinrichtungen gelungen ist.

[56] Für diese Frage ist nicht relevant, ob es sich bei den bei Übergabe vorhandenen unterschiedlichen Regelstrategien (Modi) für die Eindüsung von AdBlue bei der Abgasnachbehandlung per SCR‑Katalysator („Strategie A in vergleichbarer Ausprägung“) um eine unzulässige Abschalteinrichtung, etwa im Sinn der Entscheidung C‑693/18 (CLCV), gehandelt hat, weil diese nach den Feststellungen durch das Software‑Update vollständig „eliminiert“ wurde und auch in keinem Zusammenhang mit dem im Revisionsverfahren noch strittigen temperaturabhängigen Emissionsverhalten steht.

[57] II.3.3 Ausgehend von den Feststellungen, wonach im Klagsfahrzeug zunächst eine „temperaturabhängige Emission zwischen 5 und 20 Grad Celsius“ bestand, wobei beim Durchfahren des WLTC NOx‑Emissionswerte von fast 300 mg/km vorlagen, ist dem Kläger der Nachweis einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung gelungen, die die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringerte.

[58] II.3.4 Entgegen der Ansicht der Beklagten und der Vorinstanzen wurde diese Abschalteinrichtung im Rahmen des Software-Updates auch nicht beseitigt.

[59] Dazu steht fest, dass beim klagsgegenständlichen Fahrzeug in einem Temperaturbereich zwischen + 5 Grad Celsius und + 30 Grad Celsius keine temperaturabhängige Emissionsveränderung hinsichtlich der NOx‑Werte mehr vorliegt, und das Fahrzeug in diesem Bereich alle Grenzwerte einhält. „Auch bei 0 Grad oder auch bei - 5 Grad Celsius liegt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kein relevanter Anstieg der NOx‑Werte vor.“

[60] Damit ist aber für das klägerische Fahrzeug davon auszugehen, dass – weiterhin – ein Konstruktionsteil vorliegt, das die Temperatur ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems, nämlich des Abgasrückführsystems, zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren. Weiters ist aus den Feststellungen abzuleiten, dass auch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems als solches (also unter Einschluss der Abgasnachbehandlung) unter - 5 Grad Celsius oder über + 30 Grad Celsius verringert wird.

Dabei handelt es sich aber sehr wohl noch um Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, zumal im gesamten Unionsgebiet (und auch in Österreich) regelmäßig sowohl höhere als auch tiefere Umgebungstemperaturenvorherrschen. Der Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ verweist auf die Verwendung dieses Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Unionsgebiet üblich sind (vgl C‑128/20 , GSMB Invest [Rn 40]). Anders als die Beklagten und die Vorinstanzen meinen, kommt es für diese Betrachtung nicht auf einen bloßen Durchschnittswert an (vgl 6 Ob 177/23g [ErwGr II.2.5]). Vielmehr kann aus den festgestellten Durchschnittswerten in der Union, die von - 0,8 Grad Celsius bis + 26,1 Grad Celsius reichen, der Rückschluss gezogen werden, dass vernünftigerweise auch (deutlich) tiefere und höhere Temperaturen zu erwarten sind.

[61] II.3.5 Daher ist weiters zu fragen, ob die Zweitbeklagte die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG für sich in Anspruch nehmen kann.

[62] Das Erstgericht ging erkennbar davon aus, dass die Abschalteinrichtung im Hinblick auf die Feststellungen zum konkreten Temperaturbereich und zu den europäischen Durchschnittstemperaturen nicht den überwiegenden Teil des Jahres aktiv und damit die Rechtfertigung mit dem Ausnahmetatbestand nicht ausgeschlossen sei. Das Berufungsgericht ließ diese Frage offen und die Berufungsausführungen dazu unerledigt.

[63] Unklarheiten in diesem Zusammenhang gehen grundsätzlich zu Lasten der Beklagten (vgl 10 Ob 31/23s [Rz 32]; 6 Ob 177/23g [ErwGr II.2.6]).

[64] In Anbetracht der Tatsache, dass die Ausnahme eng auszulegen ist, könnte eine Abschalteinrichtung zudem nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ iSd Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG , wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (10 Ob 31/23s [Rz 27]).

[65] Der EuGH hielt bereits zu C‑128/20 (GSMB Invest) fest, dass es sich beim AGR‑Ventil, dem AGR‑Kühler und dem Dieselpartikelfilter um vom Motor getrennte Bauteile handelt und die Verschmutzung und der Verschleiß des Motors nicht als „Beschädigung“ oder „Unfall“ im Sinne der genannten Bestimmung angesehen werden können (Rn 40, 51, 54).

[66] Nach den Feststellungen dienten die konkreten Thermofenster „in erster Linie“ dem Schutz des AGR‑Ventils und des AGR‑Kühlers vor Versottung und wurden implementiert, um die Dauerhaltbarkeit der AGR‑Bauteile zu garantieren. Wenn etwa das AGR‑Ventil blockiert, wechselt das Fahrzeug in den Notlauf. Das kann zwar unter Umständen plötzlich sein, dadurch soll aber gerade eine Motorschädigung vermieden werden. Dass das hier festgestellte Thermofenster von + 5 Grad Celsius (oder auch - 5) bis + 30 Grad Celsius im Zeitpunkt des Software‑Updates die einzige technische Lösung und dessen Einrichtung ausschließlich notwendig gewesen wäre, um unmittelbare Risiken für den Motor abzuwenden, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb darstellen, steht damit gerade nicht fest.

[67] Daher liegt – ausgehend von den hier getroffenen Feststellungen – auch nach dem Software‑Update noch eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG vor und insoweit ein abschließend erledigter Streitpunkt (RS0042031).

[68] II.4.1 Die Rechtssache ist allerdings noch nicht spruchreif, weil die Feststellungen nicht ausreichen, um ein Verschulden der Zweitbeklagten zu beurteilen.

[69] Zu einem möglichen Rechtsirrtum des Herstellers führte der Oberste Gerichtshof jüngst in 10 Ob 27/23b (Rz 32 ff) aus:„Eine Haftung wegen einer Schutzgesetzverletzung setzt ein 'Verschulden' im Sinn (zumindest) einer vorzuwerfenden Sorgfaltswidrigkeit voraus (RS0026351), es kommt aber zu einer Beweislastumkehr (RS0026351 [T7]): Der Schädiger hat nachzuweisen, dass ihn an der Übertretung kein 'Verschulden' trifft (RS0112234 [T1]; RS0026351 [T1]). Allfällige Negativfeststellungen gehen daher zu Lasten der Beklagten. […]

Nach § 2 ABGB kann sich niemand damit entschuldigen, dass ihm ein gehörig kundgemachtes Gesetz nicht bekannt sei. Das Gesetz ist daher ohne Rücksicht auf die Kenntnis der davon Betroffenen anzuwenden. Daraus ist aber nicht zu folgern, dass eine solche Unkenntnis für sich allein schon ein Verschulden bedeuten muss. Die Unkenntnis verwaltungsrechtlicher Vorschriften begründet ein Schadenersatzansprüche auslösendes Verschulden nur dann, wenn die im besonderen Fall gebotene Aufmerksamkeit außer Acht gelassen wurde (RS0008651). Zwar ist jedermann verpflichtet, sich Kenntnis von den ihn nach seinem Lebenskreis betreffenden Gesetzesvorschriften zu verschaffen. Die Verletzung dieser Pflicht führt aber nur dann zu einem Verschuldensvorwurf, wenn mindestens leichte Fahrlässigkeit vorliegt, wenn also bei Anwendung gehöriger Sorgfalt eines Durchschnittsmenschen die Rechtskenntnis in zumutbarer Weise erlangt hätte werden können (RS0013253). Ein Rechtsirrtum ist nach der Rechtsprechung dann nicht vorwerfbar, wenn eine Behörde demselben Rechtsirrtum unterlag und die Beteiligten auf Richtigkeit dieser Entscheidung vertrauen durften (RS0008651 [T9]). Im gegebenen Zusammenhang wäre überdies erforderlich, dass der relevante Sachverhalt (hier: die konkrete Abschalteinrichtung) der Behörde – aus der Sicht der Beklagten – bekannt war (vgl 2 Ob 152/21y Rz 57), und zwar ungeachtet allfälliger Offenlegungspflichten vor ihrer Entscheidung, weil nur dann ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Richtigkeit ihrer Entscheidung bestehen kann.

Zur Beurteilung, ob diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, bedarf es somit Feststellungen darüber, zu welchem Zeitpunkt (bis zum Inverkehrbringen des gegenständlichen Fahrzeugs) aufgrund welcher konkreten Prüfschritte und/oder Ereignisse welche der Beklagten zurechenbare Person darauf vertrauen durften und auch konkret darauf vertraut haben, dass und warum die verbaute Abschalteinrichtung nach den unionsrechtlichen Normen ausnahmsweise zulässig war.

Sollte sich dabei ergeben, dass die Beklagte einem Rechtsirrtum unterlag, der nicht durch ein Vertrauen auf eine behördliche Entscheidung gerechtfertigt war (etwa weil bis zum maßgeblichen Zeitpunkt keine Entscheidung ergangen ist oder der Behörde nicht die konkrete Abschalteinrichtung mit sämtlichen zur Beurteilung erforderlichen Parametern offengelegt worden war), wäre weiters zu prüfen, ob die Beklagte die Kenntnis der (richtigen) Rechtslage bei Anwendung gehöriger Sorgfalt überhaupt in zumutbarer Weise erlangen hätte können (vgl RS0013253). Das wäre etwa zu verneinen, wenn sie einem Rechtsirrtum unterlag und dieser auch bei hypothetischer Einholung einer behördlichen Entscheidung unter vollständiger und wahrheitsgemäßer Offenlegung des maßgeblichen Sachverhalts nicht ausgeräumt worden wäre, weil die Behörde die unrichtige Rechtsansicht der Beklagten geteilt hätte.“

[70] Diese Überlegungen können auch auf den vorliegenden Fall übertragen werden, in dem die Zweitbeklagte gleichermaßen ein fehlendes Verschulden, die Einhaltung des Standes der Technik und eine Information des KBA für sich ins Treffen führt.

[71] II.4.2 Insofern kommt es aber nicht auf das Software‑Update, sondern den Zustand bei Auslieferung an:

[72] Wird schuldhaft eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut und liegt auch nach dem Software‑Update weiterhin eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, haftet die den Kläger irreführende Beklagte als Fahrzeugherstellerin (auch wegen einer Schutzgesetzverletzung) für den dadurch verursachten Schaden. Dieser liegt schon im Erwerb des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs und der damit verbundenen latenten Unsicherheit in Bezug auf die Möglichkeit von dessen Anmeldung, Verkauf und Inbetriebnahme (6 Ob 84/23f [Rz 33]; RS0134560).

[73] Dies gilt auch für Fälle, in denen der Anspruch nur auf eine Schutzgesetzverletzung und nicht auf Arglist gestützt wird (vgl 6 Ob 197/23y [Rz 23]; RS0134560 [T1]). Ob der Versuch der Schadensbeseitigung verschuldet oder unverschuldet fehlschlägt, ist unbeachtlich (6 Ob 149/23i [Rz 16]).

[74] Da nach den obigen Ausführungen die Schadensbeseitigung nicht zur Gänze gelungen ist, weil das Fahrzeug weiterhin eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweist, ist auf das Verschulden am Erwerb eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs als solches abzustellen. Dabei ist nicht nur isoliert auf die festgestellte ursprüngliche „temperaturabhängige Emission zwischen 5 und 20 Grad Celsius“, sondern den Gesamtzustand des Fahrzeugs bei Ablieferung abzustellen, sodass insofern auch die vom KBA beanstandete „Strategie A in vergleichbarer Ausprägung“ eine Rolle spielen könnte, die erst durch das Software‑Update „eliminiert“ wurde. Gelänge der Zweitbeklagten der Nachweis eines fehlenden Verschuldens zur konkreten temperaturabhängigen Emission vor dem Software‑Update, müsste sohin auch die Rechtswidrigkeit der bei Auslieferung vorhandenen „Strategie A in vergleichbarer Ausprägung“ (im Sinne des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ) geklärt werden sowie, ob die Zweitbeklagte auf deren Zulässigkeit vertraute und welche Gründe sie hatte, um von der Richtigkeit dieser Annahme auszugehen.

[75] Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren diese Fragen sowie die Beweislast mit den Parteien zu erörtern und sein Beweisverfahren und seine Feststellungen in diesem Sinne zu ergänzen haben.

[76] II.5 Die erstinstanzliche Feststellung, wonach nicht festgestellt werden könne, „dass der Kläger das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn er damals gewusst hätte, dass das KBA in der Zukunft ein Software‑Update fordern werde“, führt entgegen der Argumentation der Zweitbeklagten nicht zu einer Klagsabweisung.

[77] Dies wäre dann der Fall, wenn das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach (vgl 10 Ob 16/23k [Rz 42, 45]). Auch insoweit werden die Feststellungen im fortgesetzten Verfahren zu konkretisieren sein.

[78] II.6 Da mit dem konkret festgestellten Thermofenster weiterhin eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG vorliegt und Naturalrestitution iSd § 1323 ABGB durch eine geeignete Beseitigung dieses Schadens (in Natura) von der Zweitbeklagten nicht angeboten wurde, könnte der Kläger bei Bejahung von Kausalität und Verschulden Ersatz in Form einer Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe des mit der unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs verlangen (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 [Rz 33 ff]).

[79] Der Kläger müsste sich aber auch gegenüber dem Hersteller ein – linear zu berechnendes – Benützungsentgelt im Rahmen des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 [Rz 38 f]).

[80] Schließlich hätte der Kläger sein Zinsenbegehren gegenüber der Zweitbeklagten schlüssig zu stellen (vgl (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 [Rz 43 f]).

[81] II.7 Der Kostenvorbehalt im Revisionsverfahren betreffend die Zweitbeklagte beruht auf § 52 ZPO.

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