OGH 5Ob205/22s

OGH5Ob205/22s17.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U* AG, *, vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. D* Gesellschaft m.b.H., *, 2. H*gesellschaft m.b.H., *, beide vertreten durch Mag. Dr. Dirk Just, Rechtsanwalt in Wien, wegen (zuletzt) 2.115.397,24 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien (Revisionsinteresse 769.867,12 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. September 2022, GZ 1 R 191/21x‑147, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00205.22S.0817.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagten bildeten für ein Bauvorhaben eine Arbeitsgemeinschaft. Sie beauftragten ein Drittunternehmen mit der Durchführung von Fassadenarbeiten. Dieses Drittunternehmen trat seine Rechte und Ansprüche aus diesem Werkvertrag an die Klägerin ab.

[2] Mit Teilurteil gab das Erstgericht dem auf eine „Massenmehrung“ der Fassadenfläche gegründeten und mit 769.867,12 EUR bezifferten Teil des Klagebegehrens statt, und zwar in Höhe von 731.373,76 EUR samt Zinsen in Höhe von 9,2 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 16. 8. 2017 zuzüglich 4 % Zinseszinsen seit 23. 8. 2018 und in Höhe von 38.493,36 EUR Zug um Zug gegen Übergabe einer Bankgarantie.

[3] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[5] 1. Ein Irrtum über die Kalkulation ist grundsätzlich ein unbeachtlicher Motivirrtum. Anderes gilt, wenn die Kalkulation als solche zum entscheidenden Gegenstand der Vertragsverhandlung oder Inhalt des Geschäfts gemacht wurde, was die Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen und das Einvernehmen darüber voraussetzt, dass das Geschäft zu diesen Bedingungen auf der Basis dieser Kalkulation abgeschlossen wurde (8 Ob 58/22w; RIS‑Justiz RS0014904; RS0014894; RS0014927). Diese Erwägungen zum „externen Kalkulationsirrtum“ sind unter bestimmten Voraussetzungen auch auf den Kalkulationsirrtum bei einer Pauschalpreisvereinbarung anwendbar (RS0014894 [T5, T6]; RS0014927 [T1]).

[6] Ob ein Umstand in diesem Sinn zum Gegenstand des Geschäfts gehörte, ist durch Vertragsauslegung zu ermitteln (RS0014902 [T2, T3]). Rechtsgeschäftliche Erklärungen sind stets unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls auszulegen, was damit in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufwirft. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, ist nur dann eine solche Rechtsfrage, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (vgl RS0044358; RS0042936; RS0042776; RS0044298; RS0042555).

[7] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Auftragnehmerin habe hier „offen“ kalkuliert und ihre Kalkulation damit in den Vertrag eingeführt, sodass deren Kalkulationsirrtum als Geschäftsirrtum anzusehen sei, ist keine solche zu korrigierende Fehlbeurteilung. Die von den Beklagten mit der Einladung zur Angebotslegung übermittelten Leistungsverzeichnisse waren konstruktive Leistungsbeschreibungen mit sehr detailliert beschriebenen Einzelpositionen. Die Mengen je Position waren konkret vorgegeben und die Bieter hatten ihre Einheitspreise je Position einzusetzen. Die Auftragnehmerin hat ihre Angebote auch unter Zugrundelegung dieser Leistungsverzeichnisse erstellt. Daraus hat sich letztlich durch weitere Abzüge – nach den Feststellungen rechnerisch nachvollziehbar – der angebotene Pauschalpreis ergeben. Damit ist die Kalkulation (auf Basis der letztlich unrichtigen Flächenangaben) zum Inhalt des Vertrags geworden.

[8] 2. Ein Geschäftsirrtum berechtigt gemäß § 871 Abs 1 ABGB (ua) dann zur Anfechtung des Vertrags, wenn der Irrtum durch den anderen veranlasst war. Veranlassung ist dabei jedes für die Entstehung des Irrtums adäquat ursächliche, wenn auch nicht schuldhafte Verhalten (RS0016195; RS0016188; RS0014921).

[9] Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, dass Umstände, die ein Verschulden des Irrenden begründen, die Annahme ausschließen, dass der Irrtum durch den anderen veranlasst wurde (RS0016205; vgl auch RS0016213 [T1]). Dabei handelte es sich allerdings um Fälle, in denen ganz offensichtlich unrichtige Angaben eines Vertragspartners, deren Überprüfung dem anderen Teil offen stand und leicht möglich war, nicht als zur Täuschung geeignete Irreführungshandlungen angesehen wurden. Hatte sie der Erklärungsempfänger dennoch als wahr hingenommen, wurde sein Irrtum als nicht durch den anderen Teil veranlasst angesehen (RS0016205 [T1]; 8 Ob 25/10z). In solchen Fällen liegt schon deshalb kein Geschäftsirrtum vor, weil der Vertrag unter Bedachtnahme auf den objektiven Empfängerhorizont ohnehin nicht im Sinn der unrichtigen Angabe zustande kam (5 Ob 207/14y).

[10] (Auch) Die Frage, ob die für einen Geschäftsirrtum ursächlichen Angaben eines Vertragspartners im Sinn dieser Rechtsprechung offensichtlich unrichtig und leicht überprüfbar gewesen sind, kann nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden, sodass die Bedeutung dieser Frage in der Regel nicht über eben diesen Einzelfall hinausgeht. Das gilt auch, wenn es sich bei der anfechtenden Vertragspartei um ein Unternehmen handelt, bei dem – so die Argumentation der Beklagten hier – aufgrund seiner Eigenschaft als Fachunternehmen und dem Bestehen vorvertraglicher Prüfpflichten ein höherer Sorgfaltsmaßstab vorauszusetzen sein mag. Mit den ihrem Standpunkt folgenden gegenteiligen Ausführungen zeigen die Beklagten daher auch kein Abgehen des Berufungsgerichts von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auf.

[11] Das Berufungsgericht verneinte eine solche ganz offensichtliche Unrichtigkeit, die es rechtfertige, den Irrtum als vom Gegner „nicht veranlasst“ anzusehen. Zwar habe die Auftragnehmerin das ihr mögliche Nachrechnen anhand der Planunterlagen unterlassen und insoweit ihre vorvertragliche Pflicht zur Überprüfung der Massen vernachlässigt. Nach der ausdrücklichen klarstellenden Bestätigung der (falschen) Flächenangabe habe sie aber davon ausgehen dürfen, dass sie diese Mengen ohne weiteres Nachrechnen auch ihrem Letztangebot zugrunde legen könne. Das eigene Verschulden der Irrenden trete hier weit hinter jenes der Anfechtungsgegner zurück.

[12] (Auch) Diese Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ist keine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung. Die Veranlassung des Irrtums durch die Beklagten bestand nicht nur in der Übermittlung von Leistungsverzeichnissen mit falschen Mengenangaben, sondern auch in der Erteilung einer falschen Auskunft auf eine explizite Nachfrage. Die irrende Auftragnehmerin hat ihre vorvertragliche Prüfobliegenheit hinsichtlich der Mengenangaben also zumindest insoweit wahrgenommen, als sie die Beklagten umgehend um Aufklärung ersuchte.

[13] An dieser Beurteilung der Veranlassung änderte sich auch nichts, wenn man die Richtigkeit der von den Beklagten in ihrer Berufung begehrten ergänzenden Feststellungen zur Tatsache der Übermittlung und zum Inhalt der nach der Falschauskunft übermittelten, wiederum widersprüchlichen Kurz-Leistungsverzeichnisse unterstellt. Insofern maß das Berufungsgericht den begehrten Zusatzfeststellungen also zu Recht keine Relevanz bei.

[14] 3. Auf die Anfechtung eines Vertrags wegen Irrtums kann – außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG – im Vorhinein verzichtet werden, wenn der Irrtum nicht grob fahrlässig veranlasst wurde (RS0016245).

[15] Nach Auffassung des Berufungsgerichts wurden hier die „Auftragsbedingungen für Professionistenleistungen“ der Beklagten zwar wirksam in den Vertrag einbezogen, deren Klausel Punkt 2.3 beinhalte jedoch – entgegen der Behauptung der Beklagten – keinen solchen Verzicht auf jegliche Irrtumsanfechtung. Die Klausel, wonach „nachträglich festgestellte Rechenfehler, Massenmehrungen, sonstige Irrtümer etc. [...] keine Erhöhung des Pauschalpreises zur Folge“ haben sollten, findet sich im Regelungsbereich „Gesamtpreis/Auftragssumme“ und zielt auf die Vereinbarung eines Pauschalpreises sowie die Verteilung des Mengen- und Vollständigkeitsrisikos ab. Dass das Berufungsgericht daraus keinen grundsätzlichen Ausschluss der Irrtumsanfechtung abgeleitet hat, ist kein unvertretbares und daher korrekturbedürftiges Auslegungsergebnis. Ein (unentgeltlicher) Verzicht auf Rechtsausübung ist nur anzunehmen, wenn sich der Verzicht aus der Erklärung unzweifelhaft ergibt (RS0014205 [T1]).

[16] 4. Im Fall eines nach § 871 ABGB beachtlichen wesentlichen Irrtums hat der Irregeführte die Wahl, einen objektiv vorhandenen wesentlichen Irrtum wie einen unwesentlichen zu behandeln und an der Stelle der Aufhebung des Vertrags nach § 872 ABGB vom Urheber des Irrtums eine angemessene Vergütung zu verlangen (RS0014770).

[17] Diese Vertragsanpassung nach § 872 ABGB setzt allerdings voraus, dass auch der Vertragspartner im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hypothetisch den Willen gehabt hätte, den Vertrag zu den Bedingungen abzuschließen, an die der Irrende nunmehr den Vertrag angepasst haben will (RS0016237; vgl RS0014770 [T5]). Kann der hypothetische Parteiwille nicht ermittelt werden, ist danach zu fragen, wie redliche Parteien gehandelt hätten (RS0016237 [T2]).

[18] Die Behauptungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 872 ABGB trifft zwar die Vertragsanpassung begehrende Partei (RS0016262; RS0014792 [T4]). Aber nur wenn positiv feststeht, dass der Vertragspartner nicht zu den geänderten Bedingungen abgeschlossen hätte, ist die Vertragsanpassung abzulehnen. Andernfalls ist darauf abzustellen, mit welchem Inhalt redliche, nicht in einem Irrtum verfangene Parteien den Vertrag abgeschlossen hätten (5 Ob 60/23v; RS0016262 [T7]).

[19] Das Erstgericht traf hier nicht nur eine Negativfeststellung zum hypothetischen Parteiwillen, es zog aus der von den Parteien im Streit um das Nachtragsangebot zufolge Mengenmehrung vereinbarten Vorgangsweise, zunächst die gesamte Fassade auszuführen und die Frage der Entlohnung einer späteren Einigung oder einer gerichtlichen Klärung zuzuführen, einen entsprechenden Rückschluss auf den seinerzeitigen Geschäftswillen (auch) der Beklagten.

[20] Die in diesem Zusammenhang gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Nur wenn sich das Berufungsgericht mit dieser Beweisfrage überhaupt nicht befasst hätte, wäre sein Verfahren mangelhaft (RS0043371). Davon kann hier jedoch keine Rede sein.

[21] 5. Die Klausel 6.7 der Auftragsbedingungen, wonach sich im Insolvenzfall der Haftrücklass auf 25 % erhöht, wurde in einemVerhandlungsgespräch ausdrücklich gestrichen. Die Auffassung des Berufungsgerichts, damit sei diese Erhöhung des Haftrücklasses zwischen den Vertragsparteien nicht wirksam vereinbart worden, ist keine vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung; das auch nicht angesichts des von den Beklagten für ihren gegenteiligen Standpunkt ins Treffen geführten Umstands, dass in einem späteren Verhandlungsgespräch zwar neuerlich die Geltung der Auftragsbestimmungen festgehalten, diese Einschränkung aber nicht mehr ausdrücklich wiederholt worden sei.

[22] 6. Der Anspruch auf Verzugszinsen, den die Beklagten nach dem nicht zu beanstandenden Verständnis des Berufungsgerichts (vgl RS0042828) in ihrer Berufung nicht ausdrücklich angesprochen haben, ist ein selbständiger Streitpunkt, der mangels Behandlung in der Berufung im Revisionsverfahren nicht aufzugreifen ist (RS0043338; RS0043573; RS0043352 [T27, T33, T34]).

[23] 7. Die Revision war damit mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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