European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB00166.14M.1021.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Begründung:
Die am ***** verstorbene H***** D***** war bei ihrem Tod (bücherliche) Eigentümerin der Liegenschaft GB ***** EZ ***** mit dem von ihr bewohnten Einfamilienhaus *****. Sie hatte diese Liegenschaft mit Vertrag vom 30. November 2000 ihren Söhnen Dr. H***** und E***** D***** geschenkt. Die Punkte V. und X. des nicht in Notariatsaktsform errichteten Vertrags lauteten wie folgt:
„V. Wohnrechtseinräumung.
Hiermit räumten Herr Dr. H***** und Herr E***** D***** H***** D***** das lebenslange unentgeltliche Wohnungsgebrauchsrecht hinsichtlich der gesamten Liegenschaft ein. Dieses Recht umfasst somit die Berechtigung, sämtliche Teile der Liegenschaft unter Ausschluss Dritter zu bewohnen und zu benützen, nicht jedoch diese entgeltlich oder unentgeltlich Dritten zu überlassen oder zu vermieten.“
„X. Übergabe.
Die Übergabe der vertragsgegenständlichen Liegenschaft erfolgte am 1. 11. 2000 an Ort und Stelle.“
Der Vertrag enthielt Aufsandungserklärungen für die Einverleibung des Eigentumsrechts der Geschenknehmer und des Wohnrechts der Geschenkgeberin; die Unterschriften der Parteien wurden notariell beglaubigt.
Im Verlassenschaftsverfahren gaben die Geschenknehmer sowie drei weitere Kinder der Verstorbenen zu je einem Fünftel bedingte Erbantrittserklärungen ab, unter ihnen der Rechtsmittelwerber E***** D*****. Dieser beantragte die Aufnahme der Liegenschaft in das Inventar. Der Schenkungsvertrag sei ungültig, weil tatsächlich keine Übergabe erfolgt sei. Die Verstorbene habe aufgrund des ihr eingeräumten Wohnrechts bis zu ihrem Tod auf der Liegenschaft gewohnt, was im Gegensatz zur im Vertrag beurkundeten Übergabe stehe. Der Vertrag sei daher keine unbedenkliche Urkunde iSv § 166 Abs 2 AußStrG. Die Geschenknehmer traten dem erkennbar entgegen.
Während des Verlassenschaftsverfahrens wurde bei der Liegenschaft nach § 22 GBG das Eigentum dritter Erwerber einverleibt.
Das Erstgericht verfügte die Aufnahme der Liegenschaft in das Inventar. Habe sich eine Sache zuletzt im Besitz des Verstorbenen befunden, sei sie nur dann nicht in das Inventar aufzunehmen, wenn durch unbedenkliche Urkunden bewiesen werde, dass sie nicht zum Verlassenschaftsvermögen gehöre. Das treffe hier nicht zu, weil der Vertrag ein Wohnrecht der Verstorbenen vorgesehen habe. Deswegen könne in der darin enthaltenen Erklärung zur Übergabe keine „Absicht zur tatsächlichen Übertragung der Gewahrsame oder des Besitzes“ erblickt werden. Es liege ein Schenkungsvertrag ohne wirkliche Übergabe vor, für dessen Gültigkeit ein Notariatsakt erforderlich gewesen wäre. Der Vertrag sei daher keine unbedenkliche Urkunde iSv § 166 Abs 2 AußStrG.
Das von den Geschenknehmern angerufene Rekursgericht sprach aus, dass die Liegenschaft nicht in das Inventar aufgenommen werde, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu.
Der Schenkungsvertrag sei wegen der notariellen Beglaubigung der Unterschriften eine unbedenkliche Urkunde. Darin sei festgehalten, dass die Übergabe an einem bestimmten Tag an Ort und Stelle erfolgt sei, was die Verbücherung ermögliche. Das genüge für die Nichtaufnahme ins Inventar. Werde die tatsächliche Übergabe bestritten, sei das nicht im Verlassenschaftsverfahren, sondern im Prozessweg zu klären. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob auch die nicht näher konkretisierte Beurkundung einer „Übergabe“ für die Annahme einer wirksamen Schenkung ausreiche.
Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs des E***** D***** ist zulässig, weil die Voraussetzungen für die Inventarisierung einer unter Vorbehalt eines Wohnrechts verschenkten Liegenschaft einer Klarstellung bedürfen; er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Ob eine Sache in das Inventar aufzunehmen ist, ergibt sich aus § 166 AußStrG. Diese Bestimmung lautet wie folgt:
(1) Das Inventar dient als vollständiges Verzeichnis der Verlassenschaft (§ 531 ABGB), nämlich aller körperlichen Sachen und aller vererblichen Rechte und Verbindlichkeiten des Verstorbenen und ihres Wertes im Zeitpunkt seines Todes.
(2) Wird die Behauptung bestritten, dass eine Sache zum Verlassenschaftsvermögen zählt, so hat das Gericht darüber zu entscheiden, ob diese Sache in das Inventar aufgenommen beziehungsweise ausgeschieden wird. Befand sich die Sache zuletzt im Besitz des Verstorbenen, so ist sie nur dann auszuscheiden, wenn durch unbedenkliche Urkunden bewiesen wird, dass sie nicht zum Verlassenschaftsvermögen zählt.
(3) Zur Feststellung der Nachlasszugehörigkeit sind Dritte verpflichtet, Zutritt zu den strittigen Gegenständen zu gewähren und deren Besichtigung und Beschreibung zu gestatten.
2. Aus dem Wortlaut der Absätze 1 und 2 folgt, dass entscheidendes Kriterium für die Aufnahme einer Sache in das Inventar deren „Zugehörigkeit zum Nachlass“ ist. Darunter ist bei körperlichen Sachen grundsätzlich die sachenrechtliche Zuordnung zum Vermögen des Erblassers ‑ also das Eigentum ‑ zu verstehen. Denn nur eine im Eigentum des Verstorbenen stehende Sache kann als „körperliche Sache […] des Verstorbenen“ verstanden werden; nur in diesem Fall kann ein „Recht“ des Verstorbenen iSd § 531 ABGB vorliegen. Der Besitz begründet nach der klaren Regel des § 166 Abs 2 AußStrG nur eine Vermutung der Nachlasszugehörigkeit, die durch unbedenkliche Urkunden widerlegt werden kann. In diesem Sinn formulieren die EB zur RV des AußStrG 2005 (224 BlgNR 22. GP 107 f), dass der Besitz „nur eines von mehreren Indizien“ - gemeint: für die Nachlasszugehörigkeit - sei; die Aufnahme in das Inventar solle „auch in anderen Fällen möglich sein, in denen die Nachlasszugehörigkeit ebenso klar ist wie in den durch den Besitz offenkundig gewordenen“.
3. Auf dieser Grundlage sind Formulierungen der Rechtsprechung, für die Inventarisierung komme es nur auf den Besitz, nicht aber auf das Eigentum an (RIS-Justiz RS0007860, RS0007816; zuletzt etwa 3 Ob 124/10x, 1 Ob 92/12d, 1 Ob 29/12i, 5 Ob 36/12y, 6 Ob 5/13y ua) in ihrem jeweiligen Kontext zu verstehen. Sie gehen auf die Rechtslage nach § 97 Abs 1 AußStrG 1854 zurück, wonach der Besitz tatsächlich schon für sich allein ‑ und nicht bloß aufgrund seiner Indizfunktion ‑ Grundlage für die Inventarisierung war. Nach geltendem Recht drücken sie entweder aus, dass der Besitz nach § 166 Abs 2 AußStrG für die Inventarisierung genügt, weil er die Vermutung der Nachlasszugehörigkeit begründet und damit die Frage des Eigentums unerheblich werden lässt. Oder sie beziehen sich auf die (noch zu erörternde und auch für den vorliegenden Fall relevante) Rechtsprechung, wonach Liegenschaften, die aufgrund einer verbücherungsfähigen Urkunde „naturaliter“ übergeben wurden, auch bei noch nicht erfolgter Durchführung im Grundbuch und daher weiter bestehendem Eigentum der Verlassenschaft nicht in das Inventar aufzunehmen sind (RIS-Justiz RS0007872, RS0007860). Einen darüber hinausgehenden ‑ mit § 166 Abs 1 AußStrG iVm § 531 ABGB unvereinbaren ‑ Grundsatz, wonach das Eigentum (oder eine sonstige Berechtigung) von vornherein unerheblich wäre, drücken diese Entscheidungen nicht aus.
4. Dementsprechend hat der auch hier erkennende Senat ausgesprochen, dass dem Erblasser „gehörige“ ‑ also in seinem Eigentum stehende ‑ Sachen auch dann zu inventarisieren sind, wenn er sie nicht besessen hat (4 Ob 143/13b); der 1. Senat ist dem (obiter) mit der Formulierung gefolgt, dass sich die Inventarisierung auf jene Vermögensgegenstände zu beschränken habe, „die im Zeitpunkt des Ablebens im Eigentum bzw in der Gewahrsame (nunmehr nach § 166 Abs 2 Satz 2 AußStrG 'Besitz') des Erblassers standen“ (1 Ob 124/14p). Im Ergebnis ‑ allerdings nicht in der Systematik der Regelung ‑ stimmt das mit der Rechtslage nach dem AußStrG 1854 überein. Denn auch danach waren Sachen, „welche dem Erblasser gehören, sich aber in Händen dritter Personen befinden“, in das Inventar einzubeziehen (§ 104 Abs 3 AußStrG 1854); der in § 97 Abs 1 AußStrG 1854 genannte Besitz diente daher letztlich ebenfalls nur der „primären Orientierung“ ( Rabl , Das Nachlassinventar - Inhalt und Zweck, NZ 1999, 129 [132 ff] mwN).
5. Schon nach altem Recht hatte der Oberste Gerichtshof eine Inventarisierung allerdings abgelehnt, wenn der Erblasser eine ihm gehörende Liegenschaft mit verbücherungsfähiger Urkunde veräußert und den Besitz an den Erwerber übertragen hatte (3 Ob 250/49 = SZ 22/152; RIS-Justiz RS0007872, RS0007860). Anders entschied er nur in 8 Ob 644/91, und zwar mit der Begründung, dass der mit einem Anspruch auf Eigentumsübertragung verbundene Naturalbesitz nicht „ausreiche“, um die für das Inventar „maßgeblichen“ Besitzverhältnisse zu verändern. Diese Entscheidung blieb jedoch vereinzelt; schon in 3 Ob 542/94 kehrte der Oberste Gerichtshof zur früheren Rechtsprechung zurück, und er hielt daran auch nach dem neuen Außerstreitgesetz fest (2 Ob 153/07z; zuletzt etwa 2 Ob 189/11z, 2 Ob 154/11b, 1 Ob 92/12d). Dabei ließ er (noch nach altem Recht) bei einem in Notariatsaktform geschlossenen Schenkungsvertrag auch ein Besitzkonstitut für den Besitzerwerb ausreichen (8 Ob 10/99z).
6. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.
6.1. Zwar spricht der Umstand, dass der Erblasser im Todeszeitpunkt noch als Eigentümer einer Liegenschaft eingetragen ist, wegen der damit sachenrechtlich zweifellos bestehenden Nachlasszugehörigkeit formal für die Aufnahme in das Inventar. Eine Unterscheidung zwischen „bücherlichem“ und „außerbücherlichem“ Eigentum hilft in diesem Zusammenhang nicht weiter. Denn der zweitgenannte Begriff wird zwar gelegentlich auch für Fälle verwendet, in denen eine Liegenschaft aufgrund einer verbücherungsfähigen Urkunde übergeben wurde; richtigerweise ist er aber - da es nur ein Eigentum an einer Liegenschaft geben kann - auf Fälle zu beschränken, in denen der Eintragungsgrundsatz durchbrochen ist (zB Ersitzung, Einantwortung). Das trifft in der hier zu beurteilenden Fallgestaltung nicht zu.
6.2. Der Aufnahme der Liegenschaft als Aktivum müsste allerdings bei Vorliegen eines gültigen Veräußerungsvertrags der Anspruch des Erwerbers auf dessen Erfüllung als Passivum gegenüber gestellt werden. Diesen Anspruch hatte der Erblasser aber bereits erfüllt, wenn er die Liegenschaft tatsächlich übergeben und eine grundbuchsfähige Urkunde unterfertigt hatte. In diesem Fall konnte der Erwerber den Eigentumsübergang schon bei Lebzeiten des Veräußerers ohne dessen weitere Mitwirkung herbeiführen; der Erbfall änderte daran nichts. Der Eigentumserwerb lag daher grundsätzlich in der Hand des Erwerbers; scheitern konnte er damit nur dann, wenn ihm im Fall einer Doppelveräußerung ein zweiter Erwerber zuvorkam. Unter diesen Umständen wäre die Inventarisierung der Liegenschaft aber ein bloßer Formalismus, deren Anordnung auch dem Gesetzgeber des neuen Außerstreitgesetzes - der die dargestellte Rechtsprechung zweifellos kannte - nicht unterstellt werden kann. Maßgebend für die Inventarisierung ist daher in solchen Fällen nicht die formale Nachlasszugehörigkeit, sondern der Umstand, dass der Erblasser bereits zu Lebzeiten alle Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Veräußerung der Liegenschaft erfüllt hatte, sodass diese im Zeitpunkt seines Todes materiell aus seinem Vermögen ausgeschieden war. Das trifft bei vollständig erfüllten Kauf-, Übergabe- oder Schenkungsverträgen zu (RIS-Justiz RS0007872, RS0007860); nicht aber bei einer Schenkung auf den Todesfall (RIS-Justiz RS0007843, RS0007872 [T13]; zuletzt etwa 10 Ob 58/08i und 2 Ob 154/11b) oder bei Vereinbarung einer bloßen Erfüllungsfiktion (2 Ob 154/11b: „Übergabe um null Uhr des Todestages“).
7. Voraussetzung für ein Unterbleiben der Inventarisierung einer im Todeszeitpunkt noch dem Erblasser gehörenden Liegenschaft ist daher, dass (a) ein schuldrechtlich gültiger Vertrag über deren Veräußerung vorliegt, den (b) der Erblasser schon zu Lebzeiten durch Übertragung des Besitzes und Abgabe der für die Einverleibung erforderlichen Erklärungen vollständig erfüllt hat.
7.1. Beides ist nach der Wertung des § 166 Abs 2 AußStrG durch unbedenkliche Urkunden nachzuweisen. Denn wenn schon der Besitz als Indiz für die Nachlasszugehörigkeit - also für das Eigentum des Erblassers im Todesfall - nur durch unbedenkliche Urkunden widerlegt werden kann, dann muss das umso mehr gelten, wenn die formale Nachlasszugehörigkeit, die sich aus dem Grundbuchstand im Zeitpunkt des Todes ergibt, aufgrund einer faktisch bereits erfolgten Veräußerung bei der Erstellung des Inventars unberücksichtigt bleiben soll.
7.2. Für den Begriff der unbedenklichen Urkunde ist auf die Rechtsprechung zu § 40 EO zurückzugreifen (EB zur RV des AußStrG 2005, (224 BlgNR 22. GP 108; RIS‑Justiz RS0121985 [T7]; zuletzt etwa 2 Ob 178/13k). Es genügt nicht, dass Urkunden frei von besonderen, ihre Glaubwürdigkeit beeinträchtigenden Mängeln sind (§ 27 GBG); vielmehr muss es sich um Schriftstücke handeln, denen besondere Glaubwürdigkeit zukommt (RIS-Justiz RS0001391, vgl auch RS0001395; zuletzt etwa 6 Ob 5/13y). Dies setzt bei Privaturkunden insbesondere voraus, dass keine Zweifel daran bestehen, dass sie von jener Person stammen, die darin eine sie belastende Erklärung abgegeben hat (3 Ob 16/84; 3 Ob 85/84 [jeweils Bestätigung der betreibenden Partei]).
7.3. Auf dieser Grundlage wird für die hier zu beurteilende Fallgestaltung eine ‑ nach dem oben Gesagten jedenfalls erforderliche - einverleibungsfähige Urkunde über die Veräußerung der Liegenschaft regelmäßig auch genügen, wenn darin der Besitzübergang beurkundet ist. Denn Einverleibungsfähigkeit setzt bei Privaturkunden Formgültigkeit (§ 26 Abs 1 GBG) und die Aufnahme eines gültigen Titel (§ 26 Abs 2 GBG) voraus, woraus auf das Vorliegen eines schuldrechtlich gültigen Vertrags geschlossen werden kann. Die Beglaubigung der Unterschriften (§ 31 GBG) stellt sicher, dass die Urkunde vom Erblasser stammt, die Aufsandungserklärung (§ 32 Abs 1 Z 2 GBG) ermöglicht die Einverleibung ohne weiteres Zutun des Veräußerers. Im Regelfall wird auch kein Zweifel bestehen, dass eine in der Urkunde abgegebene Wissenserklärung über die Übergabe der Liegenschaft den Tatsachen entspricht.
7.4. Darüber hinaus wird im Allgemeinen auch ein in die Urkunde aufgenommenes Besitzkonstitut (oder eine Besitzanweisung) für die Nichtaufnahme in das Inventar ausreichen (8 Ob 10/99z). Denn es ist kein Grund erkennbar, weshalb die verschiedenen nach dem ABGB möglichen Arten des Besitzerwerbs unterschiedlich behandelt werden sollten. Anderes gilt nur bei einem nicht in Notariatsaktform errichteten Schenkungsvertrag. Denn hier reicht das Besitzkonstitut nach ständiger Rechtsprechung für die wirkliche Übergabe iSv § 943 ABGB nicht aus (RIS-Justiz RS0011143), sodass bei Nichteinhaltung der Notariatsaktsform schon kein gültiger schuldrechtlicher Vertrag vorliegt. In diesem Fall muss also tatsächlich die wirksame Übergabe in unbedenklicher Weise beurkundet sein.
8. Diese Erwägungen helfen den Geschenknehmern allerdings nicht weiter. Denn im konkreten Fall liegt keine unbedenkliche Urkunde vor.
8.1. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 9 Ob 149/04h aus dem im Übereilungsschutz liegenden Formzweck der Notariatsaktpflicht abgeleitet, dass eine wirkliche Übergabe iSv § 943 ABGB nur vorliegt, wenn der Geschenkgeber die Sache nicht bloß symbolisch oder durch Erklärung, sondern „real“ aus der Hand gegeben hat. Das trifft nach dieser Entscheidung nicht zu, wenn der Geschenkgeber die Liegenschaft aufgrund eines bücherlich einzuverleibenden Wohnrechts bis zu seinem Tod weiter allein nutzen sollte. Unter diesen Umständen sei auch ein gemeinsames Begehen und Besichtigen der Liegenschaft einschließlich der Übergabe von „Verwaltungsunterlagen" keine „wirkliche Übergabe" iSd § 943 ABGB.
8.2. Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Erblasserin ließ sich im Schenkungsvertrag ein lebenslängliches ausschließliches Wohnungsgebrauchsrecht für die gesamte Liegenschaft einräumen; und sie bewohnte die Liegenschaft tatsächlich bis zu ihrem Tod. Unter diesen Umständen kann der Formulierung des Schenkungsvertrags, wonach die „Übergabe der vertragsgegenständlichen Liegenschaft […] am 1. 11. 2000 an Ort und Stelle“ erfolgt sei, nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden, dass die Erblasserin die Liegenschaft zu diesem Zeitpunkt tatsächlich „real“ aus der Hand gegeben hätte (9 Ob 149/04h). Damit ist der Bestand eines (formgültigen) Schenkungsvertrags zweifelhaft. Zwar ist eine „wirkliche Übergabe“ iSv § 943 ABGB auch bei gleichzeitiger Einräumung eines Nutzungsrechts nicht ausgeschlossen (vgl 4 Ob 189/12s: Übersendung des Schlüssels und Auftrag an den Notar, einen Schenkungsvertrag zu verfassen). Solche Umstände ergeben sich hier aber nicht aus der für die Inventarisierung allein maßgebenden Urkunde. Auch die inzwischen anscheinend erfolgte (Sprung-)Eintragung dritter Erwerber kann daran nichts ändern, weil ein allfälliger Mangel des Grundgeschäfts dadurch nicht geheilt würde (9 Ob 149/04h).
9. Im Ergebnis bestehen somit Zweifel am Vorliegen eines schuldrechtlich gültigen Schenkungsvertrags, den der Erblasser schon zu Lebzeiten vollständig erfüllt hätte. Aus diesem Grund hat der Revisionsrekurs Erfolg; die Liegenschaft ist in das Inventar aufzunehmen. Zur Klarstellung ist jedoch festzuhalten, dass diese Entscheidung keine über das Verlassenschaftsverfahren hinausreichenden Wirkungen hat (RIS-Justiz RS0006465). Über das Eigentum an der Liegenschaft wird letztlich nur in einem Zivilprozess entschieden werden können, an dem der Nachlass (oder nach Einantwortung die Erben) und die inzwischen eingetragenen dritten Erwerber beteiligt sind (§§ 61 ff GBG).
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