OGH 11Os104/24i

OGH11Os104/24i22.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Oktober 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und die Hofrätinnen und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wachter als Schriftführerin in der Strafsache gegen * I* wegen Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 27. März 2024, GZ 28 Hv 5/24t‑28, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00104.24I.1022.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Schlepperei/FPG

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant wurde * I* mit dem angefochtenen Urteil der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG (I/1/ und 2/), (richtig [vgl RIS‑Justiz RS0130603]:) der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 2, Abs 4 erster Fall FPG ([richtig:] I/3/ bis I/6/) und der Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (II/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er – gekürzt wiedergegeben –

I/ teils gemeinsam mit abgesondert verfolgten Mittätern als Mitglied einer kriminellen Vereinigung die rechtswidrige Einreise oder Durchreise von aus der Türkei und anderen Nicht-EU-Staaten des asiatischen Kontinents stammenden Fremden, die durch Organisation und Unterstützung dieser kriminellen Vereinigung insbesondere über Slowenien aus Ungarn ins Burgenland kamen, in die Republik Österreich und durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, wobei er die Taten jeweils in Bezug auf zumindest drei Fremde und ab der dritten Schleppung gewerbsmäßig (§ 70 StGB) begangen hat, indem er die Fremden mit dem PKW nach Österreich und durch Österreich in die Bundesrepublik Deutschland bzw Frankreich transportierte und zu transportieren versuchte, und zwar

1/ am 5. September 2023 acht Fremde

2/ am 7. September 2023 dreizehn Fremde

3/ am 17. September 2023 zehn Fremde

4/ am 18. September 2023 dreizehn Fremde

5/ am 20. September 2023 fünfzehn Fremde

6/ am 16. Oktober 2023 acht Fremde;

II/ am 16. Oktober 2023 in Si* bzw S* in zwei Angriffen Polizeibeamte, die im Begriff waren, ihn zwecks Verkehrskontrolle bzw Festnahme zum Anhalten des von ihm gelenkten PKWs zu verhalten, mit Gewalt an Amtshandlungen gehindert und zu hindern versucht, indem er auf diese zufuhr.

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) kritisiert, die Tatrichter hätten sich mit einer – von der Beschwerde zudem bloß selektiv wiedergegebenen – Passage der Zeugenaussage des mit der Handyauswertung befassten Sachbearbeiters der Kriminalpolizei nicht auseinandergesetzt und behauptet, die angesprochene Textnachricht vom 19. September 2023 beziehe sich – dem Auswertungsbericht (ON 27.2.3, 4) zuwider – auf Rupien und nicht auf Euro. Mit der Einschätzung des – die Richtigkeit der Wiedergabe der Nachrichten im Auswertungsbericht betonenden (ON 48 S 38) – Zeugen, wonach die Währung „nicht in Stein gemeißelt“ sei (ON 48 S 40), musste sich das Erstgericht schon deshalb nicht befassen (Z 5 zweiter Fall), weil subjektive Meinungen, Ansichten, Wertungen, Schlussfolgerungen, rechtliche Beurteilungen und ähnliche intellektuelle Vorgänge nicht Gegenstand einer Zeugenaussage sein können, sondern nur die ihnen zugrunde liegenden tatsächlichen Prämissen (vgl RIS‑Justiz RS0097540).

[5] Die gegen den Schuldspruch zu I/3/ und I/5/ gerichtete Kritik der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall), dass es „rot-weiß-rote Schlagbäume überall auf der Welt zu kaufen“ gäbe und es sich bei den Ausführungen im Abschlussbericht vom 20. Dezember 2023 (ON 35) um eine „Mutmaßung der Polizei“ handle, erschöpft sich in einer Bekämpfung der Beweiswürdigung nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld. Die Tatrichter haben die Feststellung, wonach die Fremden nach Österreich gebracht wurden, ohne Verstoß gegen die Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze aus einer vernetzten Betrachtung der (in der Hauptverhandung erörterten und beschriebenen; ON 48 S 9 f, 12, 40; vgl auch ON 35.2) „Bestätigungsvideos“ mit den vorliegenden Chatnachrichten abgeleitet (US 14).

[6] Soweit sich die Beschwerde (nominell Z 5 vierter Fall) auf das Überraschungsverbot hinsichtlich der von den Tatrichtern bei der Beurteilung der Verantwortung des Angeklagten neben dessen Einkommensverhältnissen sowie der Handyauswertungen auch ins Kalkül gezogenen üblichen Entlohnung von Fahrzeugschleppern (US 15) beruft, übersieht sie, dass dieses allein im Umfang der Feststellung zu entscheidenden Tatsachen, nicht aber in Bezug auf bloß beweiswürdigende Erwägungen gilt (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 492; RIS‑Justiz RS0120025 [T3, T5]).

[7] Die auf hier nicht in Rede stehende Taxi- und Fuhrlöhne bezogene höchstgerichtliche Rechtsprechung (11 Os 125/15i) gestützte Kritik unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) nimmt nicht die Gesamtheit der Entscheidungsgründe in den Blick (RIS‑Justiz RS0119370), wonach die Feststellungen zur entgeltlichen Durchführung der Schlepperfahrten (US 7) auch auf den prekären Einkommensverhältnissen des Angeklagten in Zusammenhalt mit den bei Standortmitteilungen genannten Geldbeträgen und Angaben der Zeugin A* fußen (US 15).

[8] Der weiteren Rüge zuwider sind die Konstatierungen zur Gewerbsmäßigkeit (US 10) nicht offenbar unzureichend begründet. Denn die Ableitung der entsprechenden Absicht aus den „Tatumständen“, insbesondere aus der „mehrfachen Tatwiederholung in einem Zeitraum von mehreren Wochen […] unter Berücksichtigung der angespannten finanziellen Verhältnisse […] und eines Entgelts von mehreren hundert Euro pro Schleppung (US 16), widerspricht nicht den Denkgesetzen oder logischen Erfahrungssätzen (RIS‑Justiz RS0118317, RS0098671, RS0116882). Soweit die Mängelrüge eine einzelne im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Urteilserwägung als Scheinbegründung bekämpft (wonach dem Angeklagten zudem vor der letzten Fahrt 300 Euro zur Abdeckung seiner Spesen im Voraus übergeben wurden), vernachlässigt sie erneut die gebotene Bedachtnahme auf die Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS‑Justiz RS0119370).

[9] Die Tatsachenrüge (Z 5a) soll nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Rügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).

[10] Indem der Beschwerdeführer unter Berufung auf seine von den Tatrichtern verworfene Verantwortung (US 12 ff) erhebliche Bedenken gegen die Zuordnung von Schleppungen aufgrund von Bestätigungsvideos behauptet und seine anhand der Stimme durch den Dolmetsch erfolgte Identifizierung weitwendig in Zweifel zieht („kein besonderer Beweiswert“) sowie zu dem bei Schlepperfahrten verwendeten Mobiltelefon Spekulationen über die Nutzung auch durch andere Schlepper anstellt, wird die Nichtigkeitsbeschwerde den erwähnten Anforderungen nicht gerecht.

[11] Soweit er die Vernehmung des der Handyauswertung beigezogenen Dolmetsch als Zeugen vermisst (Z 5a als Aufklärungsrüge), erklärt der Nichtigkeitswerber nicht, weshalb er an einer entsprechenden Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert gewesen wäre (RIS‑Justiz RS0115823, RS0114036).

[12] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet einen substanzlosen Gebrauch der verba legalia, legt jedoch nicht dar, weshalb es den Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 9 f) am gebotenen Sachverhaltsbezug fehlen sollte (RIS‑Justiz RS0119090 [T2 und T3]; RS0098664).

[13] Soweit der Beschwerdeführer fehlende Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der geschleppten Personen und zum „Ausgangspunkt“ der inkriminierten Schleppungen behauptet, übergeht er prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810) die Konstatierung, wonach es sich um aus der Türkei und anderen Nicht-EU-Staaten des asiatischen Kontinents stammende Fremde ohne Einreise- oder Aufenthaltsberechtigung für den Schengenraum handelte, die der Angeklagte und dessen Mittäter in Ungarn abholten und nach Österreich brachten (US 6 iVm US 2; zur Heranziehung des Urteilsspruchs zur Verdeutlichung siehe RIS‑Justiz RS0114639 [T6]).

[14] Der Sanktionsrüge (Z 11) zuwider verstößt die Wertung der „riskante[n] Fahrweise mit Gefährdung der Fremden und Polizisten sowie Rammen von Zivilfahrzeugen und eines Polizeifahrzeugs“ als erschwerend (US 19) nicht gegen das Doppelverwertungsverbot, weil die Gefährdung der Polizisten kein Tatbestandselement des Widerstands gegen die Staatsgewalt darstellt (RIS‑Justiz RS0130193).

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[16] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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