OGH 6Ob23/24m

OGH6Ob23/24m21.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. R* G*, 2. C* G*, beide *, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, wider die beklagte Partei V* AG, *, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 11.224,37 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 23. November 2023, GZ 1 R 215/23v‑13, womit das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Murau vom 20. September 2023, GZ 2 C 80/23g‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00023.24M.0221.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 1.343,78 EUR (darin 223,96 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Kläger erwarben mit Kaufvertrag vom 20. 9. 2013 bei einem Fahrzeughändler einen „Vorführwagen“ der Marke VW Tiguan. Die Beklagte ist die Fahrzeugherstellerin dieses PKW, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet ist.

[2] Im Oktober 2015 erhielten die Kläger ein Schreiben der P* GmbH & Co OG, dass ein Software-Update am Fahrzeug der Kläger durchzuführen sei, weil etwas mangelhaft sei. Es wurde mitgeteilt, dass die Kläger nur in die Werkstatt kommen müssten, ein Update erhielten und dann wieder losfahren könnten; dann sei das Thema für sie erledigt. Am 3. 11. 2016 wurde das Software-Update am Fahrzeug der Kläger durchgeführt. In weiterer Folge fuhren die Kläger problemlos mit dem Auto weiter und waren im Glauben, es sei wieder alles in Ordnung. Sie waren mit dem Fahrzeug zufrieden, weshalb sie es 2018 aus dem 5‑Jahres-Leasing-Vertrag herauskauften. 2021 recherchierte der Erstkläger sein Fahrzeug betreffend im Internet, weil er zuvor über die Medien gehört hatte, dass gegen die Beklagte Vorwürfe im Zusammenhang mit den Abgaswerten der Fahrzeuge und dem Software-Update erhoben worden seien. Er vermutete, auch beim Kauf seines eigenen Fahrzeugs getäuscht worden zu sein, und informierte auch die Zweitklägerin darüber. Im Sommer/Herbst 2021 sprach der Erstkläger mit einem Freund, der ihn einerseits darüber aufklärte, dass er einen Schaden erlitten habe, und andererseits, dass es möglich sei, klageweise gegen den Hersteller vorzugehen und diesen erlittenen Schaden geltend zu machen. So stieß der Erstkläger im Internet auf die Klagevertretung, welche er schlussendlich im Herbst 2021 erstmalig kontaktierte.

[3] Die Kläger begehren mit ihrer am 7. 3. 2023 eingebrachten Klage Schadenersatz und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden aus dem Kauf des Fahrzeugs. Sie hätten das Fahrzeug angekauft. Erst nachträglich hätten sie zur Finanzierung des Kaufpreises den Leasingvertrag abgeschlossen, was daher (unter Verweis auf die Entscheidung 8 Ob 22/22a [Rz 11]) für den Schaden der Kläger irrelevant sei. Das von ihnen gekaufte Fahrzeug sei vom „Abgasmanipulationsskandal“ betroffen, weil es mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung – sohin in einem gesetzwidrigen und überteuerten Zustand – ausgeliefert worden sei. In Kenntnis, dass ihr Fahrzeug nicht der Abgasnorm entspreche, hätten es die Kläger nicht um den von ihnen aufgewendeten Kaufpreis erworben. Es ergebe sich ein Schaden in Höhe von 30 % des ursprünglichen Kaufpreises. Die von der Beklagten durchgeführte Verbesserung (Software-Update) habe die Rechtswidrigkeit der Motorsteuerung nicht beseitigt. Den Klägern sei erst im Zuge des Erstgesprächs mit dem Rechtsvertreter im Oktober 2021 klar geworden, dass das Fahrzeug nach wie vor nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspreche. Den Schadenersatzanspruch stützten die Kläger auf die Verletzung der VO 715/2007/EG und insbesondere auf §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB.

[4] Die Beklagte erhob (unter anderem) den Einwand der Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB habe spätestens mit Durchführung der „technischen Maßnahme“, welche zur Entfernung der in Rede stehenden Umschaltlogik geführt habe, sohin am 3. 11. 2016, zu laufen begonnen. Die 30‑jährige Verjährungsfrist gemäß § 1489 2. Satz ABGB komme nicht zur Anwendung, weil von einer vorsätzlichen „Täuschung über Tatsachen“ durch ein Organ der Beklagten keine Rede sein könne.

[5] Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil nach § 393a ZPO aus, dass die Klagsforderung nicht verjährt sei. Die Kläger seien im Glauben gewesen, das im Jahr 2016 durchgeführte Software-Update habe ihr Fahrzeug wieder in einen vertragskonformen Zustand versetzt. Dass mittels Einsatzes eines Thermofensters weiterhin ein nicht gesetzeskonformer Zustand hergestellt worden sei, sei ihnen erst im Rahmen weiterer Recherchen im Jahr 2021 bewusst geworden. Die Verjährungsfrist habe somit frühestens im Jahr 2021 begonnen.

[6] Das Berufungsgerichtbestätigte diese Entscheidung.Die Kläger seien nach dem durchgeführten Software-Update mit dem Fahrzeug problemlos weiter gefahren und im Glauben gewesen, es sei wieder alles in Ordnung. Im Hinblick darauf, dass die Erkundigungsobliegenheit nicht überspannt werden dürfe, sei es zu verneinen, dass für sie vor 2021 deutliche Anhaltspunkte für einen Schadenseintritt im Sinn konkreter Verdachtsmomente vorgelegen seien, aus denen sie schließen hätten können, dass Verhaltenspflichten nicht eingehalten worden seien.

[7] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil derzeit zahlreiche Parallelfälle bei österreichischen Gerichten anhängig seien, hinsichtlich der Differenzierung zwischen Sachmangel und Rechtsmangel bei der Verjährungsfrist noch keine gesicherte Rechtsprechung vorliege und sich aus der Entscheidung 6 Ob 160/21d allenfalls ein gegenteiliger Standpunkt ergeben könnte.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:

[9] 1.1. Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden; ob eine Klage schlüssig ist, sich also der Anspruch aus dem behaupteten Sachverhalt ergibt, wirft daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0037780; RS0116144; zum Dieselskandal etwa 5 Ob 118/23y [ErwGr 1.]; 8 Ob 22/22a [ErwGr 4.]). Nur eine krasse Fehlbeurteilung könnte die Zulässigkeit der Revision begründen (RS0037780 [T5]). Eine solche liegt gegenständlich nicht vor.

[10] 1.2. Nach den insoweit von der Beklagten nicht bestrittenen Klagsbehauptungen erwarben die Kläger das Fahrzeug im eigenen Namen als „Erstkäufer“ und schlossen erst danach einen Leasingvertrag zur Finanzierung des Kaufpreises ab. Dem folgten erkennbar auch die unbekämpft gebliebenen erstgerichtlichen Feststellungen.

[11] 1.3. Ein auf einen vergleichbaren Sachverhalt gestützter Schadenersatzanspruch gegen die Beklagte wurde vom Obersten Gerichtshof bereits wiederholt als schlüssig qualifiziert und dazu ausgesprochen, dass ein Kläger durch sein Vorbringen, er hätte bei Kenntnis der behaupteten Manipulationen für das Fahrzeug 30 % weniger bezahlt, auch wenn der Kaufpreis über einen Leasingvertrag finanziert wurde, einen eigenen Schaden behauptet, der Grundlage eines Ersatzanspruchs sein kann (8 Ob 109/23x [ErwGr II.3. ff]; 8 Ob 22/22a [ErwGr 4. f]).

[12] 1.4. Die Beurteilung der Vorinstanzen, die erkennbar von einer Schlüssigkeit des Klagebegehrens ausgegangen sind, findet Deckung in der erörterten Judikatur des Obersten Gerichtshofs.

[13] 1.5. Mit ihrem – überdies erstmals in der Revision erhobenen – Einwand der Unschlüssigkeit, weil der geltend gemachte Schaden beim Leasinggeber und nicht bei dem Klägern eingetreten sei, zeigt die Beklagte daher keine aufzugreifende Fehlbeurteilung auf (vgl 8 Ob 109/23x [ErwGr II.3.3. ff]).

[14] 2. Die in der Zulassungsbegründung und der Revision aufgeworfene Rechtsfrage zur Verjährung ist mittlerweile geklärt:

[15] 2.1. Bei Inanspruchnahme der Beklagten als Fahrzeug‑ oder Motorenherstellerin (auch) aufgrund deliktischen Schadenersatzes nach §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB hat der Oberste Gerichtshof zu den Fällen der vorgeblichen Schadensbehebung durch das Software‑Update jüngst wiederholt dargelegt, dass dann, wenn der Geschädigte annehmen darf, dass der aufgetretene Schaden (durch das von der Beklagten entwickelte Software‑Update) behoben ist, für ihn nicht der geringste Anlass zur Verfolgung von – für ihn rein hypothetischen – weiteren Ersatzansprüchen besteht, und zwar auch nicht in Form einer Feststellungsklage. Die Sachlage ist dann nicht anders, als wenn der Betroffene von einem – an sich vorhandenen – Schaden bisher überhaupt noch nicht Kenntnis erlangt hat. Es wäre nicht sinnvoll, dem Geschädigten zur Wahrung seiner Interessen die Klagserhebung aufzuerlegen, obwohl weitere Schadensfolgen nicht vorhersehbar sind und daher die Überzeugung gerechtfertigt erscheint, dass die Geltendmachung weiterer Ansprüche nicht in Betracht komme. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Geschädigte mit gutem Grund annehmen darf, dass der aufgetretene Schaden – wie die Beklagte unter Verweis auf ihr Software‑Update auch bis zuletzt noch im Verfahren meint – zur Gänze behoben ist. Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginnt in solchen Fällen zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger davon Kenntnis erlangte, dass trotz des Software-Updates nach wie vor vom Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist (6 Ob 181/23w [ErwGr II.2.2.]; 6 Ob 122/23v [ErwGr 6.2.]; 9 Ob 33/23b [ErwGr 7 f]; 10 Ob 31/23s [ErwGr 4.1.3. f]). Soweit aus dem zu 6 Ob 160/21d entschiedenen Fall von der Beklagten Gegenteiliges abgeleitet wird, wurde dem nicht beigetreten (6 Ob 181/23w [ErwGr II.2.2.]; 6 Ob 122/23v [ErwGr 6.2.]).

[16] 2.2. Die Auffassung des Berufungsgerichts entspricht dieser Rechtsprechung.

[17] 3. Der von den Vorinstanzen zum Zwischenurteil ausgesprochene Vorbehalt der Kostenentscheidung steht einer Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Rechtsmittels in dritter Instanz nicht entgegen (vgl 6 Ob 181/23w [ErwGr II.2.2.]; RS0123222). Die Kläger haben Anspruch auf Kostenersatz nach § 41 iVm § 50 ZPO für die Revisionsbeantwortung.

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