OGH 4Ob69/24m

OGH4Ob69/24m26.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F* GmbH, *, vertreten durch Wallner Jorthan Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei * AG, *, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 66.136,69 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 2. Februar 2024, GZ 6 R 181/23i‑40, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 25. September 2023, GZ 14 Cg 125/19y‑36, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00069.24M.0426.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.265,90 EUR (darin enthalten 377,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die klagende Gesellschaft schloss am 5. 8. 2016 mit einer Kfz‑Händlerin einen Kaufvertrag über einen von der Beklagten hergestellten fabriksneuen Diesel‑Pkw zu einem Kaufpreis von 80.019,22 EUR, wobei ein Liefertermin für Oktober 2016 vereinbart wurde. Das Fahrzeug unterliegt unstrittig dem Anwendungsbereich der VO 715/2007/EG . Im Rahmen dieses Kaufvertrags wurde der Eintausch eines Altfahrzeugs gegen Anrechnung in Höhe von 35.581,25 EUR vereinbart. Zum Restkaufpreis wurde Folgendes vereinbart: „Der Restkaufpreis ist Zug um Zug mit Auslieferung des Fahrzeuges zur Zahlung fällig, bzw ist bis zu diesem Zeitpunkt eine allfällige Kredit- und Leasingfinanzierung durch eine verbindliche Finanzierungszusage nachzuweisen.

[2] Es steht nicht fest, ob die Verkäuferin das Altfahrzeug tatsächlich von der Klägerin übernommen hat bzw ob diesbezüglich eine Anrechnung auf den Kaufpreis erfolgte.

[3] Der gesamte Kaufpreis des Klagsfahrzeugs wurde über einen (Restwert‑)Leasingvertrag mit einer Leasinggesellschaft als Leasinggeberin fremdfinanziert, den die Klägerin am 3. 10. 2016 als Leasingnehmerin abschloss.

[4] Das Fahrzeug wurde mit einer Abschalteinrichtung ausgeliefert, die die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems reduzierte. Diese Einrichtung wurde vom deutschen Kraftfahrt‑Bundesamt (KBA) als unzulässig qualifiziert, weshalb die Abschalteinrichtung auf Veranlassung des KBA durch ein verpflichtendes Software‑Update im Juli 2019 beseitigt wurde.

[5] Das Klagsfahrzeug verfügt nach wie vor über eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführungsrate (so genanntes Thermofenster). Dieses Thermofenster führt dazu, dass außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs die Abgasreinigung abschaltet bzw „ausgerampt“ wird. Außerhalb dieses Temperaturbereichs wird eine vollständige Abgasreinigung verhindert und der Grenzwert von 80 mg NOx/km nicht eingehalten. Dieses Thermofenster kann durch ein Software‑Update nicht behoben werden. Aus technischer Sicht ist deshalb eine Wertminderung von 30 % angemessen.

[6] Der „Abgasskandal“ rund um das Unternehmen der Beklagten war dem Geschäftsführer der klagenden Partei im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags im Jahr 2016 nicht bekannt. Für ihn war damals von Bedeutung, dass das Klagsfahrzeug den gesetzlichen Vorgaben entspricht und emissionstechnisch im Vergleich zu anderen Fahrzeugen nicht schlechter abschneidet. Mit dem Wissen um den sogenannten „Abgasskandal“ und in Kenntnis davon, dass im Klagsfahrzeug (in rechtlicher Hinsicht) unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut sind bzw waren, hätte er das Fahrzeug im Namen der klagenden Partei nicht erworben.

[7] Die Klägerin macht die Rückabwicklung des Kaufvertrags geltend und begehrt Zahlung des (um ein Benützungsentgelt reduzierten) Kaufpreises Zug um Zug gegen die Rückgabe des Fahrzeugs. Hilfsweise stellt sie ein Feststellungsbegehren, dass ihr die Beklagte für jeden Schaden hafte, der ihr aus dem Kauf des Fahrzeugs entstehe. Nach einem weiteren Eventualbegehren beantragt sie als Schadenersatz die Zahlung von 30 % des Neukaufpreises.

[8] Die Beklagte habe verheimlicht, dass sie im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut habe, weshalb der Klägerin ein Schadenersatzanspruch infolge arglistiger Irreführung bzw sittenwidriger Schädigung zustehe. Das Fahrzeug verfüge nicht über die Voraussetzungen für die EG‑Typengenehmigung und habe einen erheblich höheren Schadstoffausstoß. Zudem werde die Abgasrückführung wegen des Thermofensters bei Temperaturen von etwa 15 Grad Celsius reduziert bzw ganz abgeschaltet, mit der Folge, dass die Stickoxidemission erheblich ansteigen würde.

[9] Die Klägerin habe das Fahrzeug eigenständig mit Kaufvertrag erworben. Der geltend gemachte Schaden sei bereits mit Abschluss des Kaufvertrags entstanden, sie mache keinen Ersatzanspruch des Leasinggebers geltend, zumal der Leasingvertrag erst zwei Monate nach dem Kaufvertrag abgeschlossen worden sei. Im Sinne der vorrangigen Naturalrestitution habe sie Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags zur Wiederherstellung des zuvor bestehenden Zustands.

[10] Die Beklagte wies darauf hin, dass die EG‑Typengenehmigung beim Klagsfahrzeug nicht widerrufen worden sei. Die Klägerin habe den Pkw ohne Einschränkung nutzen können. Das vorhandene Thermofenster sei mit Blick auf Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG keine unzulässige Abschalteinrichtung, sodass die geltend gemachten Ansprüche nicht bestünden. Das Thermofenster im gegenständlichen Fahrzeug setze erst unterhalb einer Außentemperatur von 0C Celsius und über 38C  Celsius ein.

[11] Für einen allfälligen Schadenersatzanspruch sei die Klägerin zudem nicht legitimiert, weil die Leasinggeberin den gesamten Kaufpreis gezahlt habe. Allfällige Ansprüche stünden nur der Leasinggeberin zu. Der Leasingnehmer könne nur Ansprüche aus dem Leasingvertrag geltend machen. Das Klagebegehren sei daher unschlüssig.

[12] Schließlich sei der Beklagten kein Verschulden vorzuwerfen, selbst wenn das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung sein solle. Die Beklagte durfte sich auf die Beurteilung der Zulässigkeit durch die zuständige Behörde (KBA) verlassen. Ein allfälliger Rechtsirrtum sei daher entschuldbar.

[13] Das Erstgericht wies die Klage ab.

[14] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück.

[15] Es bejahte die Aktivlegitimation der Klägerin. Auch wenn diese keine Anzahlung auf den Kaufpreis geleistet habe, habe der Kaufvertrag nicht ausschließlich der Spezifikation des Fahrzeugs für den Abschluss eines (Finanzierungs‑)Leasingvertrags gedient. Die Klägerin habe einen zivilrechtlich wirksamen Kaufvertrag mit der Kfz‑Händlerin zu einem um 30 % überhöhten Preis abgeschlossen. Der nachfolgende Abschluss des Leasingvertrags ändere nichts daran, dass der Klägerin bereits durch den Kauf des Fahrzeugs zu einem überhöhten Preis ein Schaden entstanden sei.

[16] Die Sache sei noch nicht entscheidungsreif, weil nicht abschließend beurteilt werden könne, ob die Beklagte im Hinblick auf die Zulässigkeit des Thermofensters einem entschuldbaren Rechtsirrtum unterlegen sei.

[17] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs zur Frage zuzulassen sei, ob eine Schadenersatzklage des Leasingnehmers im Zusammenhang mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung auch dann schlüssig sei, wenn der mit dem Händler abgeschlossene Kaufvertrag zwar nicht ausschließlich der Spezifikation des Fahrzeugs (für den Leasingvertrag) gedient habe, der Kaufpreis aber zur Gänze leasingfinanziert worden sei.

[18] Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten, mit dem sie eine abweisende Entscheidung anstrebt. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[19] Die Klägerin beantragt, den Rekurs mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[20] Der Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[21] 1.1 Die Beklagte stützt die Zulässigkeit ihres Rechtsmittels ausschließlich auf die von ihr geltend gemachte Unschlüssigkeit der Klage und vertritt dabei den Standpunkt, dass die Klägerin als Leasingnehmerin nicht aktivlegitimiert sei, einen Schaden aufgrund eines überhöhten Kaufpreises geltend zu machen.

[22] 1.2 Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden; ob eine Klage schlüssig ist, sich also der Anspruch aus dem behaupteten Sachverhalt ergibt, wirft daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0037780; RS0116144; jüngst [zum Dieselskandal] zB 7 Ob 74/23t und 5 Ob 118/23y). Nur eine krasse Fehlbeurteilung könnte die Zulässigkeit der Revision begründen (RS0037780 [T5]). Eine solche Fehlbeurteilung ist dem Berufungsgericht nicht unterlaufen.

[23] 2. Der Oberste Gerichtshof unterscheidet in vergleichbaren Fällen im Zusammenhang mit der Finanzierung des Erwerbs eines mit einer Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs durch Leasing danach (vgl 10 Ob 53/23a; 3 Ob 226/23s), ob ein Kaufvertrag des Leasingnehmers mit dem Fahrzeughändler nur der Spezifikation des Fahrzeugs diente (sodass die Leasinggeberin unmittelbar in den Kaufvertrag eintrat) oder ob der Leasingvertrag erst nach dem Erwerb des Fahrzeugs abgeschlossen wurde.

[24] 2.1 Der ersten Fallgruppe liegt zugrunde, dass der Leasingnehmer von Anfang an beabsichtigte, den Erwerb des Fahrzeugs über Leasing zu finanzieren (7 Ob 88/23a; 7 Ob 192/23w; 7 Ob 128/23h). Der Leasingvertrag bildet hier mit dem Kaufvertrag eine vertragliche Einheit und wird in der Regel gleichzeitig abgeschlossen (vgl 10 Ob 53/23a).

[25] 2.2 Die zweite Fallgruppe ist dadurch geprägt, dass der Kaufvertrag nicht ausschließlich der Spezifikation des Fahrzeugs für den Abschluss eines Finanzierungsleasingvertrags diente, sondern zunächst ein zivilrechtlich voll wirksamer Kaufvertrag zwischen dem Händler und dem späteren Leasingnehmer zustande kam und erst in der Folge zur Finanzierung des Kaufpreises ein Leasingvertrag (einschließlich Übertragung des Eigentums am Fahrzeug vom Leasingnehmer an den Leasinggeber) zustande kam (vgl zB 8 Ob 22/22a; 8 Ob 109/23x; 6 Ob 23/24m). Aus der zu dieser Variante ergangenen Rechtsprechung ist nicht abzuleiten, dass vom Leasingnehmer zwingend eine Anzahlung an den Verkäufer zu erfolgen hat (arg „insbesondere“: 3 Ob 226/23s).

[26] 2.3 Im Anlassfall liegen zwischen dem Kaufvertrag und dem Leasingvertrag zwei Monate (vgl 8 Ob 109/23x [ein Monat]). Im Kaufvertrag wurde der Klägerin freigestellt, ob sie den (Rest‑)Kaufpreis aus Eigenmitteln zahlt oder diesen allenfalls durch einen Kredit oder über Leasing finanziert.

[27] 2.4 Wenn das Berufungsgericht daran anknüpfend eine Einheit des Kauf‑ und Leasingvertrags verneinte, einen unmittelbaren Schadenseintritt bei der Klägerin hingegen bejahte und auch davon ausging, dass die Klägerin nicht von Anfang an beabsichtigt habe, den Erwerb des Fahrzeugs über Leasing zu finanzieren, bewegt sich diese Ansicht im Rahmen des erforderlichen Beurteilungsspielraums im Einzelfall. Das Ergebnis des Berufungsgerichts deckt sich mit den zu vergleichbaren Konstellationen ergangenen höchst-gerichtlichen Entscheidungen (8 Ob 22/22a; 8 Ob 109/23x; 6 Ob 23/24m).

[28] 3. Auch aus den sonstigen Ausführungen im Rechtsmittel kann dessen Zulässigkeit nicht abgeleitet werden.

[29] 3.1 Nach gesicherter Rechtsprechung ist der geschädigte Käufer für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung iSv Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG beweispflichtig. Hingegen trifft den Schädiger die Beweislast dafür, dass eine grundsätzlich verbotene Abschalteinrichtung unter die Verbotsausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 der VO 715/2007/EG fällt (vgl 1 Ob 149/22a [Rz 46]; RS0134458). Bei Vorliegen eines Thermofensters trifft die Beweislast für die Zulässigkeit einer darin gelegenen Abschalteinrichtung ebenfalls den Schädiger (1 Ob 150/22y, Rz 49; 6 Ob 122/23v, Rz 23). Bereits das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass das Vorbringen der Beklagten zur erstmals in der Berufung behaupteten Abgasnachbehandlung und zur Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems als Gesamtheit gegen das Neuerungsverbot verstößt. Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung.

[30] 3.2 Zu beachten ist, dass von der Beklagten der Einsatz eines Thermofensters zugestanden wurde, wobei sie eine volle Abgasrückführung im Bereich zwischen 0o Celsius und über 38o Celsius behauptete. Ungeachtet des Umstands, dass die exakten Temperaturen von den Tatsacheninstanzen nicht feststellbar waren, ist schon angesichts der von der Beklagten angeführten Temperaturen von einer (unzulässigen) Abschalteinrichtung auszugehen (idS zB 6 Ob 177/23g [Bereich zwischen ‑10o Celsius und über 40o Celsius]).

[31] 3.3 Die von der Beklagten herangezogenen Entscheidungen 8 Ob 116/23a und 4 Ob 17/24i werfen keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil dort das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung bzw eines Thermofensters gerade nicht feststand.

[32] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen (RS0123222 [T8, T14]).

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