OGH 8Ob31/24b

OGH8Ob31/24b25.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U*, vertreten durch Mag. Alexander Tupy, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei E* Limited, *, Malta, vertreten durch Mag. Marcus Marakovics, Rechtsanwalt in Wien, wegen 18.842,85 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Dezember 2023, GZ 11 R 284/23z‑19, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 16. Oktober 2023, GZ 17 Cg 26/23b‑11, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00031.24B.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte bietet von ihrem Sitz in Malta aus über die von ihr betriebene Website in Österreich Dienstleistungen im Bereich des Glücksspiels an. Sie verfügt jedoch über keine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielrecht.

[2] Die Klägerin verlor im Zeitraum 21. 6. 2019 bis 29. 4. 2023 durch Online-Glücksspiel bei der Beklagten insgesamt 18.842,85 EUR.

[3] Die Vorinstanzen verpflichteten die Beklagte zur Rückzahlung des verspielten Betrags.

[4] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht dazu Stellung genommen habe, ob das beim EuGH zu C‑440/23 anhängige Vorabentscheidungsverfahren geeignet sei, das Vorliegen einer „Acte‑clair“-Situation in Rückforderungsprozessen wie dem gegenständlichen in Frage zu stellen.

[5] Mit ihrer ordentlichen Revision strebt die Beklagte die Klagsabweisung an. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[7] 2. Das Vorliegen einer Rechtsfrage erheblicher Bedeutung ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112769; RS0112921).

[8] 3.1. Zu den Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit eines Glücksspielmonopols sowie der dadurch bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit liegt bereits umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vor (siehe insbesondere C‑390/12 , Pfleger ;C‑79/17 , Gmalieva;C‑545/18 , DP/Finanzamt Linz, C‑920/19 , Fluctus und Fluentum; vgl weiters die Hinweise in 5 Ob 30/21d).

[9] 3.2. Dementsprechend hat der Oberste Gerichtshof mittlerweile mehrfach ausgesprochen, dass die im Vorabentscheidungsersuchen des Prim’Awla tal‑Qorti Ċivili (Malta) zu C‑440/23 des EuGH gestellten unionsrechtlichen Fragen – soweit sie nicht ohnehin die spezifisch deutsche Situation betreffen – bereits geklärt sind (7 Ob 204/23k; 7 Ob 203/23p; 7 Ob 202/23s; 7 Ob 199/23z; 9 Ob 72/23p; 4 Ob 219/23v).

[10] 3.3. Entgegen der in der Revision vertretenen Rechtsansicht schließt der Umstand eines anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens die Annahme des Vorliegens einer eindeutigen Rechtsprechung des EuGH im Sinne der „acte clair“‑Theorie (RS0082949) nicht aus. Eine Bindung an die von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats vertretene Ansicht, eine Rechtsfrage des Unionsrechts wäre noch klärungsbedürftig, besteht nämlich nicht. Das Ersuchen eines Gerichts um Vorabentscheidung des EuGH nach Art 267 AEUV begründet keine Unterbrechungs- oder Aussetzungspflicht eines anderen Gerichts, das dieselbe Rechtsfrage wie das Anfragegericht zu beurteilen hat. Für eine derart weitreichende Unterbrechungswirkung fehlt jede Rechtsgrundlage im Unionsrecht, in der Judikatur des EuGH und im nationalen österreichischen Recht (RS0114648).

[11] Daran kann auch die hier gegebene Parteienidentität auf Beklagtenseite nichts ändern.

[12] 3.4.1. Die Frage 7 des beim EuGH zu C‑440/23 anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens lautet:

„Sind Art. 56 AEUV und das Verbot des Rechtsmissbrauchs (Rechtssache Niels Kratzer [C‑423/15 1]) dahin auszulegen, dass sie einer auf die Erstattung verlorener Einsätze gerichteten Forderung entgegenstehen, die auf das Fehlen einer deutschen Lizenz und auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützt wird, wenn der Veranstalter von den Behörden in einem anderen Mitgliedstaat lizenziert ist und überwacht wird und die Mittel des Spielers sowie seine Zahlungsansprüche durch das Recht des Mitgliedstaats, in dem der Veranstalter niedergelassen ist, gesichert werden?“

[13] Der Vorlagebegründung des maltesischen Gerichts ist zu entnehmen, dass dieses von der Unionsrechtswidrigkeit der deutschen Glücksspielregelung ausgeht. Dennoch enthält die zitierte Frage keine Einschränkung auf unionsrechtswidrige Regelungen. Warum bei Unionsrechtskonformität des nationalen Glücksspielrechts (wie hier der österreichischen Normen; siehe ErwGr 3.4.3.) die daraus resultierende zivilrechtliche Konsequenz der Rückforderbarkeit von Spielverlusten gegen Art 56 AEUV oder das Verbot des Rechtsmissbrauchs verstoßen soll, ist nicht ersichtlich.

[14] 3.4.2. Die Situation ist nicht einer bloßen Werbung für in einem anderen Mitgliedstaat legal veranstaltetes Glücksspiel vergleichbar, wie es der Entscheidung des EuGH vom 2. 3. 2023, C‑695/21 ,Recreatieprojecten Zeeland BV, zugrunde lag.

[15] Vielmehr geht es hier um von der Beklagten entgegen dem Glücksspielmonopol im Inland angebotenes Online‑Glücksspiel.

[16] 3.4.3. Der Oberste Gerichtshof hat – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – auf Basis der einschlägigen Judikatur des EuGH (siehe oben 3.1.) in mehreren aktuellen Entscheidungen neuerlich festgehalten, dass das österreichische System der Glücksspiel-Konzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre im hier relevanten Zeitraum nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (1 Ob 103/23p; 7 Ob 147/23b; 7 Ob 198/23b, jeweils mwN).

[17] 3.4.4. Daraus folgt die Unzulässigkeit des Angebots der Beklagten im Inland, was wiederum gemäß § 879 Abs 1 ABGB die Nichtigkeit der mit den Spielteilnehmern geschlossenen Verträge (6 Ob 50/22d mwN) samt der Rückforderbarkeit der Spielverluste (siehe unten 5.) nach sich zieht. Warum diese zivilrechtliche Konsequenz des unionsrechtskonformen Glücksspielmonopols gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art 56 AEUV) oder das unionsrechtliche Verbot des Rechtsmissbrauchs verstoßen könnte, ist nicht erkennbar. Auch die Revision vermag keine Argumente in diese Richtung aufzuzeigen.

[18] 3.4.5. Der erkennende Senat teilt die Auslegungszweifel des Prim’Awla tal‑Qorti Ċivili demnach nicht.

[19] 3.5. Das in der Revision außerdem genannte Vorabentscheidungsersuchen zu C‑429/22 , VK/N1 Interactive ltd., betrifft die Frage, ob das nach Art 6 Abs 1 Rom I‑VO anwendbare Recht selbst dann maßgeblich bleibt, wenn das nach Art 4 Rom I‑VO anwendbare Recht für den Verbraucher günstiger wäre. Diese – vom EuGH mit Beschluss vom 14. 3. 2024 bejahte – Frage stellt sich in der gegenständlichen Rechtssache nicht.

[20] 3.6. Für eine neuerliche Befassung des EuGH besteht deshalb kein Anlass (so auch 2 Ob 23/23f; 2 Ob 143/23b; 5 Ob 85/23w; 5 Ob 90/23f; 5 Ob 174/23h; 1 Ob 7/24x; 4 Ob 34/24i uva), ebenso wenig für eine Unterbrechung aufgrund des zu C‑440/23 beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsersuchens (7 Ob 204/23k; 7 Ob 203/23p; 7 Ob 202/23s; 7 Ob 199/23z; 9 Ob 72/23p; 4 Ob 219/23v).

[21] 4.1. Die Beklagte rügt die Abweisung ihres Antrags auf Unterbrechung wegen des zu C‑440/23 beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsersuchens durch das Berufungsgericht als Verfahrensmangel.

[22] Dazu ist sie darauf zu verweisen, dass gemäß § 192 Abs 2 ZPO die nach §§ 187 bis 191 ZPO erlassenen Anordnungen, soweit sie nicht eine Unterbrechung des Verfahrens verfügen, durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden können. Gegen einen die Unterbrechung abändernden oder ablehnenden Beschluss findet kein weiterer Rechtszug statt, in welcher Form immer die Ablehnung ausgesprochen wurde (RS0037071 [T2]; RS0037020).

[23] 4.2. Anderes würde nur dann gelten, wenn die Unterbrechung zwingend vorgeschrieben wäre (RS0037034; RS0037020). Dies trifft hier nicht zu: Zwar kann eine Unterbrechung aus Anlass eines in einem anderen Verfahren gestellten Vorabentscheidungsersuchens zweckmäßig sein (RS0110583), eine generelle Unterbrechungspflicht besteht aber nicht (RS0114648).

[24] 4.3. Die Ablehnung der Unterbrechung wegen eines anhängigen Vorabentscheidungsersuchens ist demnach unanfechtbar, sodass sie nicht erfolgreich als Verfahrensmangel geltend gemacht werden kann und auch im Weg der Revision nicht bekämpfbar ist (RS0037013; RS0037090).

[25] 5. Nach ständiger Rechtsprechung steht § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB einem (bereicherungsrechtlichen) Rückforderungsanspruch hinsichtlich der Spieleinsätze für ein (verbotenes) Online‑Glücksspiel nicht entgegen, weil die entsprechenden Einsätze nicht gegeben werden, um das verbotene Spiel zu bewirken, sondern um am Spiel teilzunehmen. Damit ist diese Bestimmung schon ihrem Wortlaut nach nicht anwendbar. Darauf, ob der Spieler durch die Teilnahme am verbotenen Spiel (selbst) gegen einen Verwaltungsstraftatbestand (konkret § 52 Abs 5 GSpG) verstoßen hat, kommt es daher nicht an. Gegenteiliges kann entgegen der Annahme der Beklagten in ihrem Rechtsmittel auch den Entscheidungen 5 Ob 506/96 und 10 Ob 2429/96w nicht entnommen werden (1 Ob 25/23t; 1 Ob 103/23p; 8 Ob 61/23p; 7 Ob 198/23b, jeweils mwN).

[26] 7. Die Revision der Beklagten ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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