OGH 8ObA5/24d

OGH8ObA5/24d15.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat MMag. Matzka als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch die Paya & Paya Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei Dr. E*, vertreten durch Hon.‑Prof. Dr. Bernhard Fink und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 5.037,87 EUR brutto und 1.431,36 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. Dezember 2023, GZ 6 Ra 27/23x‑46, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00005.24D.0215.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1. Für die Mitteilung der Arbeitsverhinderung ist keine besondere Form vorgesehen (RIS‑Justiz RS0119372). Es gilt die in § 862a erster Satz ABGB statuierte Empfangs- oder Zugangstheorie. Danach ist eine Erklärung dem Adressaten dann zugekommen, wenn er in eine solche Situation gebracht wurde, dass seine Kenntnisnahme unter normalen Umständen erwartet werden kann, und Störungen, die sich ihr entgegenstellen sollten, nur mehr in seinem Lebensbereich möglich sind (RS0014071). Es reicht dafür aus, wenn Willenserklärungen in den Machtbereich des Adressaten gelangt sind, selbst wenn sie dieser persönlich nicht erhalten hat; es genügt, dass der Adressat die Möglichkeit hatte, die Erklärung zur Kenntnis zu nehmen (vgl RS0014076). Von Unternehmern ist dabei etwa grundsätzlich zu erwarten, dass sie stets Empfangsvorkehrungen treffen, weil sie mit dem Eingang rechtsgeschäftlicher Erklärungen zu rechnen haben (vgl 9 ObA 51/10f; 7 Ob 199/14m = RS0014076 [T8]; vgl RS0116337).

[2] Für die Beurteilung, ob im dargelegten Sinn objektiv mit einer Kenntnisnahme durch den Empfänger gerechnet werden kann, sind immer die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (vgl RS0014089).

[3] 1.2. Auch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung eines Dienstverhältnisses kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und begründet keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (vgl RS0106298; RS0105987 [T2, T3]).

[4] 1.3. Die Mitverschuldensregel des § 32 AngG kommt zwar „ausnahmsweise“ auch dann zur Anwendung, wenn sich die von einem Teil erklärte vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses zwar als ungerechtfertigt erweist, der Erklärungsempfänger aber ein schuldhaftes Verhalten an den Tag gelegt hat, das im Zusammenwirken mit einem ebenfalls schuldhaften Verhalten des Erklärenden für die Auflösung ursächlich war. Die Mitverschuldensregel kann bei ungerechtfertigter vorzeitiger Auflösung demnach aber nur dort greifen, wo der Erklärungsempfänger ein Verhalten gesetzt hat, das zusätzlich bzw unabhängig von dem für die vorzeitige Auflösung nicht ausreichenden Verhalten für die Auflösung kausal im Sinne der Verursachung eines Informationsmangels des die Auflösung unberechtigt Erklärenden war; Tatbestände, die sich nicht als taugliche Auflösungsgründe erwiesen haben, müssen daher für die Beurteilung eines allfälligen Mitverschuldens außer Betracht bleiben (vgl RS0124568; RS0028246 [insb T3]; RS0116864 [T5]; RS0101991 [T5, T9]; RS0021719 [T2, T3]; RS0028239; RS0028224 [T1]; 9 ObA 39/14x mwN).

[5] Auch dabei stellen sich die Zulässigkeit der Anrufung des Obersten Gerichtshofs regelmäßig nicht begründende Fragen des Einzelfalls (vgl RS0028217 [T5]).

[6] 2. Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren auf Kündigungsentschädigung überwiegend statt. Die als zahnärztliche Assistentin des beklagten Zahnarztes angestellte Klägerin habe insgesamt keinen wichtigen Grund zur vorzeitigen Entlassung verwirklicht. Nachdem der Beklagte sie mit Dienstanweisung ermahnt hätte, sei sie stets pünktlich zur Arbeit erschienen. Eine vom Beklagten geforderte Arbeitsunfähigkeitsbestätigung habe sie fristgerecht vorgelegt; eine ihr gesetzte Nachfrist zur Nachreichung fehlender PCR-Tests sei am Tag der Entlassung noch offen gewesen. Ein ungebührliches und ehrverletzendes Verhalten liege der Klägerin nicht zur Last, weil nicht feststehe, ob sie im Zuge einer Auseinandersetzung mit der Gattin des Beklagten beleidigende Äußerungen getätigt und wie sich die Klägerin nach dem Verlassen der Ordination an diesem dem Entlassungstag vorangehenden Tag verhalten habe. Ein Mitverschulden der Klägerin könne aus dem Sachverhalt nicht abgeleitet werden.

[7] 3.1. Der Beklagte macht als erhebliche Rechtsfrage und als unrichtige rechtliche Beurteilung geltend, die Vorinstanzen hätten sich in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung gesetzt, indem sie das Hinlegen einer Krankenstandsbestätigung der Klägerin an der Rezeption im Bereich der Patientenannahme der Ordination des Beklagten, in der sich noch eine Mitarbeiterin befunden habe, als ausreichend für den Zugang angesehen hätten.

[8] 3.2. Die Revision zeigt damit keine erhebliche Rechtsfrage auf, zumal es auf die objektive Möglichkeit der Kenntnisnahme des Beklagten ankommt, und nicht darauf, ob er andere Übermittlungswege bevorzugt hätte; schon die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die Rezeption einer Zahnarztordination nicht von vornherein – wie die Revision nunmehr vermeint – als „irgendwo“ oder „ungewöhnlicher Ort im Betrieb“ anzusehen wäre, bei dem eine Kenntnisnahme von der Nachricht nicht zu erwarten sei (vgl RS0014104), ist zumindest vertretbar. Soweit die Revision mehrmals darauf verweist, die Klägerin habe ihm die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sowie ihr abverlangte Corona-Tests „nicht gezeigt“, geht dies daher ins Leere, zumal auch feststeht, dass die Klägerin Tests „in die dafür in der Ordination aufgelegte Mappe“ einlegte.

[9] 4.1. Wie bereits in der Berufung versucht der Beklagte auch in der Revision tatsächliche Umstände, die von den Vorinstanzen als nicht ausreichende Auflösungsgründe qualifiziert wurden, zur Begründung von Mitverschulden der Klägerin ins Spiel zu bringen. Mit der sich im Rahmen der Rechtsprechung haltenden Begründung des Berufungsgerichts, dass Tatbestände, die sich nicht als taugliche Auflösungsgründe erwiesen haben, für die Beurteilung eines allfälligen Mitverschuldens außer Betracht bleiben, setzt sich die Revision nicht auseinander (vgl auch RS0042736 [insb T2]); auf die in der Revision angedeutete Frage, ob dem Beklagten in diesem Zusammenhang ein Verstoß gegen das Neuerungsverbot anzulasten wäre, kommt es nicht an.

[10] 4.2. Mit hypothetischen Überlegungen, welchen Aufträgen die Klägerin ohne Ausspruch der Entlassung noch hätte nachkommen können oder nicht, wird keine sich zur Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Frist zum Nachbringen von Testergebnissen sei bei Ausspruch der Entlassung noch offen gewesen, stellende erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt. Die Frage, ob im hier fraglichen Zeitraum (zwei Wochen im September 2021) in der Abgabe von (jeweils negativen) Antigentests pro Woche (statt der vom Beklagten geforderten und nachträglich abverlangten zwei PCR-Tests pro Woche) überhaupt ein die Entlassung rechtfertigendes nachhaltiges, unnachgiebiges oder hartnäckiges Verweigern des Dienstes (vgl RS0029746; RS0133973) erblickt werden könnte, kann daher (zumal angesichts der Absolvierung eines ebenfalls negativen PCR‑Tests am Tag vor der Entlassung) dahingestellt bleiben.

[11] 5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

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