OGH 1Ob187/17g

OGH1Ob187/17g27.2.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F* GmbH, *, vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, gegen die beklagte Partei Mag. E* G*, vertreten durch Dr. Eva Schneider, Rechtsanwältin in Bludenz, wegen Unterlassung und Duldung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 23. Juni 2017, GZ 1 R 132/17w‑51, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Feldkirch vom 15. März 2017, GZ 8 C 124/14z‑39, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E121003

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Aus Anlass der Revision werden die Entscheidungen der Vorinstanzen einschließlich des durchgeführten Verfahrens als nichtig aufgehoben.

Die Klage ist vom Erstgericht als Antrag im Außerstreitverfahren zu behandeln.

Die Kosten des für nichtig erklärten Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

 

Begründung:

Mit den jeweils im Alleineigentum der Streitteile stehenden Liegenschaften sowie einer weiteren ist das Miteigentum an einem näher bezeichneten Grundstück (Straße, 93 m²) „realrechtlich“ verbunden.

Die klagende GmbH trug in ihrer Klage vor, sie sei „aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichts Feldkirch“ [gemeint offenbar des Zuschlags vom 17. 10. 2013] Alleineigentümerin ihrer Liegenschaft und zu 3/10 Miteigentümerin des Straßengrundstücks. Die Beklagte sei in der Vergangenheit dazu übergegangen, ihr Kraftfahrzeug so auf dem Weggrundstück abzustellen, dass der Weg nicht in der vollen Breite befahrbar sei. Sie könne mit größeren Fahrzeugen, insbesondere Traktoren und LKW, nicht (zu ihren Grundstücken) zufahren, weil die Beklagte ihr Fahrzeug ca 70 cm in den Weg hineinragen lasse. Trotz Aufforderung das Fahrzeug wegzustellen, habe diese erklärt, ihr Verhalten beizubehalten. Mangels Einigung in Güte begehre sie, die Beklagte schuldig zu erkennen, das Abstellen von Fahrzeugen auf dem Weggrundstück zu unterlassen und das Befahren in der vollen Breite des Wegs zu dulden.

Die Beklagte wendete Ersitzung jener Teilfläche ein und brachte vor, es wäre eine gravierende Veränderung, wenn sie den Weg nicht mehr wie bisher als Parkplatz benützen könnte. Sie selbst sei zu 5/10, ein am Rechtsstreit nicht beteiligtes Ehepaar zu 2/10 Miteigentümer des Weggrundstücks. Die „Rechtsvorgänger“ der Klägerin, die ihre Liegenschaft ersteigert habe, hätten den Weg nur begangen oder zu landwirtschaftlichen Zwecken mit Handkarren befahren, dessen ungeachtet begehre sie nunmehr, das Grundstück in voller Breite mit Fahrzeugen aller Art befahren zu dürfen, um die Liegenschaft bebauen zu können, was – zumal die bestehenden Häuser direkt an den Weg grenzten – zu ihrer Beeinträchtigung führe.

Das Erstgericht traf ua umfangreiche Feststellungen zur Benützung des Weggrundstücks bis in die Gegenwart und wies das Klagebegehren zur Gänze ab.

Das Berufungsgericht änderte dessen Entscheidung in ein stattgebendes Urteil ab. Es verneinte anders als das Erstgericht die Ersitzung einer Teilfläche durch die Rechtsvorgänger der Beklagten und sah in der Sachwidmung des Grundes als Wegparzelle eine Benützungsvereinbarung. Es stünden den Miteigentümern alle darin nicht geregelten und nicht ausdrücklich untersagten Gebrauchsmöglichkeiten zu. Bei einer – wie in diesem Fall – unbeschränkten Gebrauchsmöglichkeit dürfe daher jeder Miteigentümer „die Sache“ auch ohne vorherige Absprache mit den anderen Teilhabern benützen, soweit er den konkreten Gebrauch der anderen nicht beeinträchtige. In der Entscheidung 1 Ob 145/12y habe der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass auf den im Miteigentum stehenden Weggrundstücken ein unbeschränkter Gebrauch durch die einzelnen Teilhaber möglich sei, weil durch die allfällige intensivere Nutzung des Zufahrens und Zugehens infolge der beabsichtigten Errichtung eines Neubaus deren Nutzungsrecht zumindest nicht gravierend eingeschränkt werde. Für den vorliegenden Fall bedeute dies, dass schon aus der Sachwidmung des Grundstücks als Weg das uneingeschränkte Recht der Miteigentümer und damit auch der Klägerin resultiere, diesen Weg zu befahren.

Das Berufungsgericht sprach aus, die Revision sei zulässig, weil nicht mit hinreichender Sicherheit geklärt sei, ob die Entscheidung 1 Ob 145/12y, an der es sich orientiert habe, auch auf den vorliegenden Fall „übertragbar“ sei.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer auf die Wiederherstellung des Ersturteils gerichteten Revision. Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, jene als verspätet und unzulässig zurückzuweisen sowie das Urteil des Berufungsgerichts zu bestätigen.

Rechtliche Beurteilung

1. Aus Anlass der – entgegen dem überhaupt nicht begründeten ersten Revisionsantrag – sehr wohl rechtzeitigen Revision der Beklagten ist, da in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft der Entscheidung (auch) von Amts wegen wahrzunehmen (RIS-Justiz RS0046861 [T5]; RS0046245; Garber in Fasching/Konecny³ I § 42 JN Rz 15), das Fehlen der Prozessvoraussetzung der Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs aufzugreifen. Die bloß implizite Bejahung in Form meritorischer Behandlung durch die Vorinstanzen reicht für eine bindende Bejahung der Zulässigkeit des (streitigen) Rechtswegs nicht aus (RIS-Justiz RS0039857 [T1]).

Ob das Außerstreitverfahren oder der Zivilprozess zur Verfügung steht, ist anhand der Behauptungen und des Begehrens im verfahrenseinleitenden Schriftsatz zu beurteilen (1 Ob 40/94 [Rechtsweg]; 1 Ob 2/95; 3 Ob 229/07h = iFamZ 2008/86, 167 [zust Fucik]; RIS-Justiz RS0045584; RS0013639 [T23]; 5 Ob 41/09d = RS0045718 [T26] uva), wobei vor allem der innere Sachzusammenhang des jeweils geltend gemachten Anspruchs mit einer entweder in die streitige Gerichtsbarkeit oder in das Außerstreitverfahren verwiesenen Materie von Bedeutung ist (RIS-Justiz RS0013639 [T15]). Ohne Einfluss für diese Frage ist, was der Gegner einwendet oder ob der behauptete Anspruch begründet ist (RIS-Justiz RS0005861 [T1, T3]; RS0013639 [T5, T8, T9, T18, T21]; RS0045584).

2. Die in diesem Fall vorliegende realrechtliche Verknüpfung der Miteigentumsrechte am Weggrundstück mit dem (Allein‑)Eigentum an bestimmten berechtigten Grundstücken solcherart, dass sie nur kraft dieses Eigentumsrechts an jenen Grundstücken ausgeübt werden können, also nach Art eines Zubehörs mit bestimmten berechtigten Grundstücken verbunden sind und davon weder gelöst noch selbständig veräußert werden können (1 Ob 128/06i = wobl 2007/31, 84 [zust Call]; 5 Ob 100/15i; RIS-Justiz RS0013354 [T1] ua, je mwN; vgl § 442 Satz 2 ABGB; dazu Eccher/Riss in KBB5 § 442 Rz 1), ändert nichts daran, dass die Rechtsbeziehungen zwischen den Miteigentümern betreffend den Gebrauch und die Nutzung der gemeinsamen Sache (vgl aber zu § 830 ABGB RIS-Justiz RS0013354) – unter Berücksichtigung der zuvor dargelegten Besonderheit der Unmöglichkeit der abgesonderten Verfügung  – den für die Eigentumsgemeinschaft geltenden Regeln der §§ 825 ff ABGB unterworfen sind (vgl nur 1 Ob 128/06i; 9 Ob 77/16p = RIS-Justiz RS0131573).

3. Nach § 838a ABGB sind Streitigkeiten zwischen den Teilhabern über die mit der Verwaltung und Benützung der gemeinschaftlichen Sache unmittelbar zusammenhängenden Rechte und Pflichten im Verfahren außer Streitsachen zu entscheiden. Das von der Klägerin nur auf das Miteigentum am Weggrundstück (vgl dazu Sailer in KBB5 § 838a ABGB Rz 2 f mwN) gestützte Begehren auf Unterlassung des Abstellens von Kraftfahrzeugen und Dulden des Befahrens in voller Breite gerichtete Begehren mit dem Zweck, auch mit breiteren Fahrzeugen und Traktoren zufahren zu können, weil eine Einigung in Güte nicht erreicht werden konnte, beide also uneinig iSd § 828 Abs 1 ABGB sind, ist eine Streitigkeit nach § 838a ABGB. Ziel der Klägerin, die in der „Klage“ nicht behauptet hatte, die Beklagte habe mit ihrem Verhalten in eine zuvor bestehende Nutzung durch sie eingegriffen, ist es, die Mitbenützung der gemeinsamen Sache zu erlangen nämlich durch Befahren in voller Breite, insbesondere auch mit Traktoren oder LKW. Das kollidiert mit dem von der Beklagten – auch nach ihrem Vorbringen im verfahrenseinleitenden Schriftsatz – schon in der Vergangenheit geübten Gebrauch in Form des in den Weg hineinragenden Abstellens von Fahrzeugen. Damit liegt ein auf die Mitbenützung der gemeinsamen Sache gerichteter Anspruch vor. Solche gehören in das Verfahren außer Streitsachen (Sailer, aaO; Egglmeier-Schmolke in Schwimann, Ta-Komm4 § 838a ABGB Rz 1 f; Gruber/Sprohar-Heimlich in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 838a ABGB Rz 1;Tanczos/Eliskases in Rummel/Lukas, ABGB4 § 838a Rz 2; 2 Ob 71/12y = SZ 2012/84 = immolex 2013/26, 84 [zust Limberg,der überhaupt für einen Vorrang des Außerstreitverfahrens eintritt] = EvBl 2013/38, 265 [Schwab] = wobl 2013/89, 239 [zust Etzersdorfer]; ebenso wohl ErläutRV 471 BlgNR 22. GP  33; aA Böhm/Palma, Neuere Judikatur zu § 838a ABGB – ein kritischer Überblick, wobl 2017, 211 [215] und Vonkilch, Zur [Un‑]Rechtmäßigkeit übermäßigen Gebrauchs der gemeinsamen Sache durch einen Miteigentümer, wobl 2006, 138 [145 f]; anders auch noch zur früheren Rechtslage 5 Ob 146, 147/95; in Wahrheit wohl nicht ggt 5 Ob 275/08i), wenn sie – wie im vorliegenden Fall – als mit der Verwaltung und Benützung der gemeinschaftlichen Sache unmittelbar zusammenhängende Rechte und Pflichten der Miteigentümer „den Kern des Begehrens“ bilden (5 Ob 106/14w = immolex 2015/32, 121 [Hagen] = RIS‑Justiz RS0013639 [T29] = RS0013563 [T17]; RS0128260 [T3]; RS0013622 [T10]).

4. Demnach ist gemäß § 40a JN auszusprechen, dass die Klage als Antrag (und zwar auf Benützungsregelung; vgl Sailer, aaO § 835 Rz 6 f) im Außerstreitverfahren beim auch in diesem Verfahren zuständigen Erstgericht zu behandeln ist.

5. Die Kostenentscheidung, die nach den Regeln derjenigen Verfahrensart zu ergehen hat, die der das Hauptverfahren Einleitende in seinem Rechtsschutzantrag gewählt hat (RIS-Justiz RS0046245), beruht auf § 51 Abs 2 ZPO. Die Parteien, von denen keine auf die vorliegende Nichtigkeit hingewiesen hat, haben die ihnen im für nichtig erklärten Verfahren entstandenen Kosten selbst zu tragen.

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