European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00113.16T.0706.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft. Die Zweitbeklagte ist Eigentümerin der von dieser Liegenschaft durch eine Straße getrennten Liegenschaft. Im Zuge von zum Ausbau und zur Sanierung ihres Hauses von der Zweitbeklagten beauftragten Bauarbeiten stürzte der auf dem Straßengrundstück aufgestellte Turm‑Dreh‑Kran auf das Haus der Klägerin und beschädigte dieses. Die Erstbeklagte ist die Subunternehmerin der mit den Generalunternehmerleistungen von der Zweitbeklagten beauftragten Erstnebenintervenientin.
Rechtliche Beurteilung
1. Die ständige Rechtsprechung billigt einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch auch dann zu, wenn sich aus der Interessenlage ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364a ABGB ergeben. Eine § 364a ABGB analoge Situation wird in Fällen angenommen, in denen durch die Baubewilligung der Anschein der Gefahrlosigkeit und damit der Rechtmäßigkeit der bewilligten Maßnahme hervorgerufen und dadurch die Abwehr zwar nicht rechtlich ausgeschlossen, aber faktisch derart erschwert wird, dass der Nachbar die Maßnahme praktisch hinnehmen muss (RIS‑Justiz RS0010668), so vor allem bei behördlich genehmigten Bau‑ und Abbrucharbeiten oder Aufgrabungen in öffentlichen Verkehrsflächen und Erholungsflächen (RIS‑Justiz RS0010668 [T2]; vgl auch RIS‑Justiz RS0106324).
2. Nachbar im Sinn der Bestimmung des § 364a ABGB ist auch der mittelbare Nachbar, in dessen Umkreis sich die Einwirkungen äußern (RIS‑Justiz RS0010489).
3. Der Ausgleichsanspruch gegenüber dem Grundeigentümer kommt nur bei solchen Störungen in Betracht, die in irgendeiner Weise mit seiner Verfügungsmacht zusammenhängen, sei es, dass dieser die Liegenschaft in einen den Schaden hervorrufenden Zustand versetzt oder in einem solchen belässt, sei es, dass er auf seiner Liegenschaft eine schadenstiftende Tätigkeit verrichtet oder deren Verrichtung durch Dritte duldet (RIS‑Justiz RS0010448). Der Ausgleichsanspruch kann gegen den Liegenschaftseigentümer auch dann erhoben werden, wenn die Einwirkung nicht durch ihn selbst, sondern durch eine Person verursacht wurde, von der er die Unterlassung des die Beeinträchtigung verursachenden schädigenden Verhaltens erwirken konnte (RIS‑Justiz RS0010648). Seine Dispositionsbefugnis in Form eines effektiven Hinderungsrechts wird dann zugrunde gelegt, wenn er zum Schädiger in einem sich darauf beziehenden Rechtsverhältnis steht. In diesem Zusammenhang wird die nachbarrechtliche Haftung des Grundeigentümers für von ihm beauftragte schadenstiftende Baumaßnahmen und Arbeiten bejaht. Ihm ist das schädigende Verhalten des beauftragten Bauunternehmers und seiner Leute zuzurechnen (5 Ob 190/11v mwN).
4. Es haftet aber nicht nur der Eigentümer des Nachbargrundstücks für die durch Immissionen der in § 364a ABGB umschriebenen Art verursachten Schaden, sondern jeder, der die Beeinträchtigung durch eine, wenn auch behördlich genehmigte Anlage herbeiführt (RIS‑Justiz RS0010519). Der Anspruch besteht nicht nur gegen den Grundeigentümer, sondern gegen jeden, der das Grundstück für seine Zwecke nutzt (RIS‑Justiz RS0010519 [T2]; RS0010654 [T1, T17]). So hat auch der Störer schädigendes Verhalten des von ihm mit der Bauführung beauftragten Baumeisters und dessen Leute zu vertreten (RIS‑Justiz RS0010519 [T3]).
5. Die Haftung aufgrund analoger Anwendung des § 364a ABGB wird auch bei grob körperlichen Einwirkungen bejaht (5 Ob 190/11v; vgl RIS‑Justiz RS0030294).
6. Die Haftung nach § 364a ABGB setzt weiters voraus, dass von der Anlage Einwirkungen auf den Nachbargrund ausgehen, die für deren Betrieb „typisch“ sind (RIS‑Justiz RS0010670; RS0106324 [T2]; RS0010668 [T10]), mit solcherart „betriebstypischen“ Schäden sind adäquat verursachte Folgen gemeint (RIS‑Justiz RS0010668 [T18]; so insb 5 Ob 190/11v [Umstürzen eines Krans bei bedenklicher Bodenbeschaffenheit]). Dabei ist maßgebend, ob für den Haftpflichtigen der Eintritt des Schadens ein kalkulierbares oder gar kalkuliertes Risiko bildete, das er zu seinem Nutzen eingegangen ist (RIS‑Justiz RS0106324 [T4]). Die Adäquanz fehlt, wenn das schädigende Ereignis für den eingetretenen Schaden nach allgemeiner Lebenserfahrung gleichgültig ist und nur eine außergewöhnliche Verkettung der Umstände vorliegt (RIS‑Justiz RS0098939).
7. Der Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB (analog) ist verschuldensunabhängig (vgl RIS‑Justiz RS0010449 [T15]). Auf die Erkennbarkeit einer Gefährdung durch die Bauführung (vgl RIS‑Justiz RS0010705 [T4]), kommt es dabei ebenso wenig an, wie darauf, ob die Arbeiten fachgerecht durchgeführt wurden (RIS‑Justiz RS0126490).
8. Das Berufungsgericht bejahte die Haftung der Zweitbeklagten analog § 364a ABGB: Sie habe als Bauherrin das Straßengrundstück – bewilligt durch den Straßenerhalter – für ihre Zwecke genutzt, indem sie das für die Durchführung der Bauarbeiten am Haus erforderliche Aufstellen eines Krans durch die von ihr beauftragte Generalunternehmerin veranlasst habe; durch das Aufstellen eines Krans auf öffentlichem Grund in dicht besiedeltem Stadtgebiet sei eine besondere Gefahrensituation geschaffen worden. Keine der beiden bisher genannten Schadensursachen (bedenkliche Bodenbeschaffenheit oder mangelhafte Fundamentierung durch die Erstbeklagte) würden ein für das Umstürzen eines Krans untypisches Risiko darstellen. Die Beklagte habe als Störerin zu gelten und sich die Leute der Generalunternehmerin zurechnen zu lassen.
Im Gegensatz zu der in der Revision vertretenen Rechtsmeinung ist es im Sinn der dargelegten Judikatur für die Haftung der Zweitbeklagten für die durch die Errichtung einer Anlage (Bautätigkeit) auf ihrer Liegenschaft an Nachbarliegenschaften verursachte Schäden unerheblich, ob man sie aus ihrem Eigentum an der Liegenschaft, auf der sie die Anlage errichtet, ableitet oder daraus, dass sie (bloß) ein fremdes Grundstück für ihre Zwecke (zum Aufstellen des Krans für ihre Bautätigkeit) benutzt und so mittelbarer Störer ist. Ihr Zitat aus der Entscheidung 6 Ob 216/13b (Notwendigkeit einer Rechtsbeziehung zwischen Störer und Liegenschaftseigentümer) bezieht sich auf den hier nicht vorliegenden Fall, dass der unmittelbare Störer nicht Liegenschaftseigentümer ist. Die Auffassung, dass die Zweitbeklagte als Bauherrin unabhängig von den konkret erteilten Aufträgen an ihre Generalunternehmerin in der Lage war, auf die Art der Bauführung Einfluss zu nehmen, ist nicht zu beanstanden.
Diese Rechtsansicht findet Deckung in der bereits bestehenden umfangreichen Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu § 364a ABGB.
9. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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