OGH 2Ob105/11x

OGH2Ob105/11x10.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei I*****ges.m.b.H, K*****, als Masseverwalterin im Konkurs über das Vermögen des A*****, Landesorganisation K*****, vertreten durch Dr. Gerhard Brandl, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 52.772,23 EUR sA, über den (richtig) außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 8. April 2011, GZ 2 R 36/11y-13, womit der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 13. Oktober 2010, GZ 21 Cg 91/10g-8, abgeändert und das Urteil vom 13. Oktober 2010, GZ 21 Cg 91/10g-8, als nichtig aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Begründung

Mit Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 15. 7. 2008 wurde über das Vermögen des A*****, Landesorganisation *****, der Anschlusskonkurs eröffnet und die beklagte Partei zur Masseverwalterin bestellt. Die A*****-Organisation besteht aus der klagenden Partei als Bundesorganisation (Dachverein) sowie den neun Landesorganisationen, die als Zweigvereine der klagenden Partei organisiert sind. Auch die Gemeinschuldnerin ist Zweigverein der klagenden Partei.

Das Statut der klagenden Partei enthält in dessen § 14 („Schiedsgericht“) folgende - in ihrem Wortlaut unstrittige - Klausel:

Zur Schlichtung von allen aus dem Vereinsverhältnis entstehenden Streitigkeiten ist das vereinsinterne Schiedsgericht berufen. Es entscheidet über Streitigkeiten innerhalb der Bundesorganisation sowie über Streitigkeiten, die sich aus dem Verhältnis der Bundesorganisation zu ihren Zweigvereinen ergeben. Es handelt sich hierbei um eine 'Schlichtungseinrichtung' im Sinne des Vereinsgesetzes 2002 und nicht um ein Schiedsgericht nach den §§ 577 ff ZPO.“

Mit der am 5. 5. 2010 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte die klagende Partei von der Masseverwalterin 52.772,23 EUR sA. Sie brachte vor, als Hauptverein alle früheren Aufgaben ihres Zweigvereins nach der Konkurseröffnung über dessen Vermögen übernommen zu haben. Die Betreuungseinrichtungen für die Mitglieder der Gemeinschuldnerin befänden sich nunmehr im Eigentum der klagenden Partei, die auch Dienstverhältnisse mit den früheren Mitarbeitern der Gemeinschuldnerin begründet habe. Um der beklagten Partei während des Konkurses eine Fortführung des Betriebs zu ermöglichen, habe die klagende Partei umfangreiche Hilfestellungen geleistet und zwar sowohl in finanzieller Hinsicht als auch durch logistische Unterstützung. Im Laufe des Jahres 2009 sei eine Endabrechnung aus dieser Betriebsfortführung vorgenommen worden, über die zwischen der klagenden Partei und der Masseverwalterin nach längerer Korrespondenz Übereinstimmung erzielt worden sei. Danach schulde die beklagte Partei der klagenden Partei den von ihr anerkannten Klagsbetrag. Die Klageforderung wurzle nicht im Vereinsverhältnis, sondern in der Betriebsfortführung durch die beklagte Partei „gemäß den Bestimmungen der Konkursordnung“.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren nur dem Grunde nach und wendete aufrechnungsweise mehrere Gegenforderungen ein. Sollte - wider Erwarten - der Rechtsweg für die Geltendmachung der Gegenforderungen unzulässig sein, müsse dies auch für die Klageforderung selbst gelten, weil diese ebenfalls aus einer Streitigkeit zwischen Bundes- und Landesorganisation resultiere.

In seiner am 13. 10. 2010 verkündeten und am 22. 12. 2010 ausgefertigten Entscheidung verwarf das Erstgericht mit Beschluss die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs in Ansehung der Klageforderung (Spruchpunkt I.), gab mit Urteil dem Klagebegehren statt und wies die von der Beklagten eingewendeten Gegenforderungen (im Urteil) wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück (Spruchpunkt II.). Das Erstgericht erörterte rechtlich, infolge Anerkennung der Klageforderung liege keine „Streitigkeit“ vor, sodass keine Schlichtung notwendig sei. Die Forderung der klagenden Partei wurzle auch nicht im Vereinsverhältnis. Derartige Forderungen seien bei jedem beliebigen Konkurs denkbar. Die Vereinszugehörigkeit sei nicht denknotwendige Voraussetzung für die Betriebsfortführung durch den Masseverwalter. Im Gegensatz dazu handle es sich bei den eingewendeten Gegenforderungen um typische vereinsinterne Angelegenheiten zwischen dem Haupt- und dem Zweigverein, für welche das Schiedsgericht anzurufen sei.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es die Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs hinsichtlich der Klageforderung aussprach, das erstinstanzliche Urteil und das diesem vorangegangene Verfahren für nichtig erklärte und die Klage zurückwies. Zur Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses äußerte sich das Berufungsgericht nicht.

Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, die Schiedsklausel könne nur im Sinne einer umfassenden Zuständigkeit für Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis verstanden werden. Ein konstitutives Anerkenntnis liege nicht vor und sei von der klagenden Partei auch gar nicht behauptet worden. Das Verfahren über die Klage sei daher als „Streitigkeit“ zu beurteilen, für die zunächst das vereinsinterne Schiedsgericht zur Entscheidung berufen sei. Der Klageforderung stehe somit das Prozesshindernis der Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich das als „Rekurs“ bezeichnete Rechtsmittel der klagenden Partei, in welchem sie auch die Anfechtbarkeit wegen Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO geltend macht. Mit ihrem Rechtsmittelantrag strebt sie (implizit) die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Verwerfung der Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs hinsichtlich der Klageforderung, die Aufhebung der Nichtigerklärung des erstinstanzlichen Urteils und des diesem vorangegangenen Verfahrens sowie der Zurückweisung der Klage und schließlich die Rückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei an.

I. Zur Anfechtbarkeit:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kommt der „Vollrekurs“ gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO dann nicht in Betracht, wenn die Frage des Vorliegens eines bestimmten Prozesshindernisses bereits Gegenstand des erstgerichtlichen Verfahrens und der erstgerichtlichen Entscheidung war. In diesen Fällen wird das Gericht zweiter Instanz, das sich mit dem Prozesshindernis befasst, funktionell als Rekursgericht tätig. Ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof unterliegt daher den Beschränkungen des § 528 Abs 2 ZPO (vgl 10 Ob 35/07f; 5 Ob 275/08i; 4 Ob 99/11d mwN; RIS-Justiz RS0116348).

2. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Richtigerweise hätte daher das Berufungsgericht gemäß § 526 Abs 3 iVm § 500 Abs 2 Z 3 ZPO aussprechen müssen, ob der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist (vgl 4 Ob 99/11d). Im Hinblick auf den 30.000 EUR übersteigenden Entscheidungsgegenstand bedarf es aber keiner Ergänzung der zweitinstanzlichen Entscheidung, weil in einem solchen Fall ohnehin stets ein außerordentliches Rechtsmittel möglich ist (2 Ob 191/07p; 4 Ob 189/10p; RIS-Justiz RS0042510, RS0002488 [T10, T11]). Dessen Zulässigkeit hängt vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (hier) iSd § 528 Abs 1 ZPO ab.

II. Zur Zulässigkeit des als außerordentlicher Revisionsrekurs zu behandelnden „Rekurses“:

Das Rechtsmittel ist unzulässig. Weder das Berufungsgericht noch die klagende Partei zeigen eine über den Einzelfall hinaus bedeutsame Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO auf. Im Einzelnen ist auszuführen:

1. Einer Klage steht das gemäß § 42 Abs 1 JN in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmende Prozesshindernis der Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen, wenn sie in einer Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis nach § 8 Abs 1 VerG vor dem Verstreichen von 6 Monaten seit Anrufung der vereinsinternen Schlichtungseinrichtung eingebracht worden ist, außer das Schlichtungsverfahren endete bereits vor der Klageeinbringung (RIS-Justiz RS0122426).

Der Begriff der „Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis“ ist auf alle privatrechtlichen Streitigkeiten zwischen Vereinsmitgliedern und dem Verein oder Vereinsmitgliedern untereinander auszudehnen, sofern sie ihre Wurzel in einer Vereinsmitgliedschaft haben. Dazu gehören etwa Streitigkeiten über die Zahlung der Mitgliedsbeiträge und auf Erbringung anderer - mit der Mitgliedschaft verknüpfter - vermögenswerter Leistungen für den Zeitraum der Vereinsmitgliedschaft, gleichviel, ob das Mitgliedsverhältnis bei Entstehen des Streitfalls noch besteht oder bereits beendet wurde (vgl 4 Ob 146/07k; 6 Ob 117/09p; 8 Ob 66/11f; RIS-Justiz RS0122425).

Trotz des grundsätzlich weiten Verständnisses des Begriffs der „Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis“ sind aber nicht schlechthin alle privatrechtlichen Ansprüche eines Vereinsmitglieds gegen den Verein (und umgekehrt) oder ein anderes Vereinsmitglied erfasst. Beruht der Anspruch auf einem selbständigen Schuldverhältnis, für dessen Zustandekommen das Vereinsverhältnis nicht denknotwendige Voraussetzung ist, liegt seine Grundlage nicht im Vereinsverhältnis, sondern in dem zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Vertrag (2 Ob 273/06w; 4 Ob 73/09b; 6 Ob 117/09p; 8 Ob 66/11f; RIS-Justiz RS0122425 [T9]).

2. Die anhand dieser Kriterien vorzunehmende Beurteilung, ob ein geltend gemachter Anspruch einer „Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis“ entspringt, bestimmt sich ganz typischerweise nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls und begründet daher - von einer gravierenden Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen abgesehen - keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO.

Im vorliegenden Fall ist dem Berufungsgericht keine Fehlbeurteilung unterlaufen, die ein korrigierendes Eingreifen des Obersten Gerichtshofs erfordern würde. Da die Schlichtungseinrichtung auch für Streitigkeiten vorgesehen ist, die sich aus dem Verhältnis der Bundesorganisation zu ihren Zweigvereinen ergeben, stellt sich in sinngemäßer Anwendung obiger Grundsätze die Frage, ob der Anspruch der klagenden Partei in diesem Verhältnis „wurzelt“, ob er also seine Grundlage „denknotwendig“ in der vereinsrechtlichen Beziehung der klagenden Partei und der durch die Masseverwalterin repräsentierten (RIS-Justiz RS0106041) Gemeinschuldnerin hat.

3. Nach dem für die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs allein maßgeblichen Inhalt der Klage (vgl 4 Ob 73/09b mwN; RIS-Justiz RS0005896) hat die klagende Partei als Hauptverein alle früheren Aufgaben der Gemeinschuldnerin übernommen und durch finanzielle und logistische Hilfestellungen die „Betriebsfortführung“ durch die beklagte Masseverwalterin ermöglicht (laut Insolvenzdatei wurde freilich bereits am 29. 8. 2008 die Schließung des Unternehmens angeordnet). Alle Betreuungseinrichtungen für die Mitglieder der Gemeinschuldnerin befänden sich nun im Eigentum des Hauptvereins, der auch Dienstverhältnisse zu den ehemaligen Mitarbeitern der Gemeinschuldnerin begründet habe.

Aus diesen Formulierungen wird deutlich, dass die klagende Partei in Erfüllung der ihr als Hauptverein gegenüber den Zweigvereinen obliegenden Pflichten tätig wurde, um weiterhin die Interessen der (gemeinsamen) Vereinsmitglieder durch die Zurverfügungstellung der gewohnten Leistungen zu wahren. Es handelte sich somit um Hilfestellungen für eine „Betriebsfortführung“, die ausschließlich den Zwecken beider Vereine und ihrer Mitglieder dienten. Ein besonderes Vertragsverhältnis zur Masseverwalterin wurde in erster Instanz nicht behauptet, die gegenteilige Annahme im Revisionsrekurs stimmt mit dem Inhalt der Klage nicht überein. Davon abgesehen bleibt auch die Ansicht des Berufungsgerichts, dem Prozessvorbringen der klagenden Partei könne die Behauptung eines konstitutiven Anerkenntnisses nicht entnommen werden, unwidersprochen. Allfällige konkursrechtliche Aspekte (vgl dazu die jüngst in einem weiteren Rechtsstreit zwischen den Streitteilen ergangene Entscheidung 7 Ob 172/11m) werden im Rechtsmittel nicht berührt.

4. Unter diesen konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls hält sich die Auffassung des Berufungsgerichts, es liege eine zunächst vor die vereinsinterne Schlichtungseinrichtung zu bringende Streitigkeit aus dem Verhältnis zwischen Haupt- und Zweigverein vor, im Rahmen der erörterten Rechtsprechung und wirft keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO auf.

Der außerordentliche Revisionrekurs ist daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 521a Abs 2 iVm § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO.

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