OGH 4Ob73/09b

OGH4Ob73/09b14.7.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hubert Simon, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Ruggenthaler Rechtsanwalts KG in Wien, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei W*****, vertreten durch Dr. Stefan Lausegger, Rechtsanwalt in Graz, wegen Unterlassung (Streitwert 28.000 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 4.100 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 6. März 2009, GZ 3 R 59/08f-17, mit welchem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 25. März 2008, GZ 22 Cg 105/07w-11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs verworfen wird. Dem Erstgericht wird die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.668,75 EUR (darin 611,46 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Medieninhaberin der monatlich erscheinenden Wohnzeitschrift „H.*****", die Nebenintervenientin ist Medieninhaberin der ebenfalls monatlich erscheinenden Wohnzeitschrift „W*****". Beide sind Mitglieder des beklagten Vereins, dessen statutenmäßiger Zweck im Wesentlichen in der Durchführung von Reichweitenuntersuchungen von Werbeträgern wie Zeitschriften und Zeitungen besteht. Insbesondere führt er jährlich die „Media-Analyse" durch.

Die Klägerin beantragt, dem beklagten Verein zu verbieten,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs von ihm erhobene Leserzahlen der Druckschriften „W*****" und „S*****" zu verbreiten und/oder zu veröffentlichen,

hilfsweise mit der Einschränkung, sofern die unter Zugrundelegung dieser Leserzahlen errechneten Leser-pro-Exemplar-Werte (LpE) nicht nachweislich unter zehn Lesern pro verbreitetem Exemplar lägen;

hilfsweise mit der Einschränkung, sofern die Empfänger der Untersuchungsergebnisse keinen Zugriff auf geprüfte Zahlen der in Österreich verbreiteten Auflage dieser Medien hätten;

hilfsweise mit der Einschränkung, sofern die Empfänger der Untersuchungsergebnisse keinen Zugriff auf geprüfte Zahlen der in Österreich verbreiteten Auflage dieser Medien haben und die unter Zugrundelegung dieser Leserzahlen errechneten Leser-pro-Exemplar-Werte (LpE) nicht nachweislich unter zehn Lesern pro verbreitetem Exemplar lägen.

Weiters beantragt die Klägerin eine Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung. Der Beklagte weise aufgrund unzureichender Erhebungsmethoden unrealistisch hohe Reichweiten für die Kaufzeitschriften „W*****" und „S*****" aus, die auf Verwechslungen mit der in hoher Auflage erscheinenden Gratiszeitschrift „B*****" beruhten. Daher sei es erforderlich, die aufgrund einer Befragung erhobene Leserzahl dieser Zeitschriften mit deren verbreiteter Auflage zu vergleichen und so die Zahl der Leser pro Exemplar (LpE) zu ermitteln. Daraus ergäbe sich, dass die vom Beklagten erhobenen Leserzahlen der beiden Zeitschriften völlig unrealistisch seien. Mit der Veröffentlichung der methodisch fehlerhaft erhobenen Leserzahlen fördere der Beklagte bewusst den Wettbewerb der beiden Zeitschriften zu Lasten der Klägerin. Dabei handle es sich nicht um eine Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis nach § 8 Abs 1 VerG 2002, sondern um einen Anspruch nach dem UWG, der auch ohne Verbundenheit der Klägerin mit dem beklagten Verein ohne weiteres denkbar sei und auch jedem anderen Mitbewerber unabhängig davon zustünde, ob er dem Beklagten als Mitglied angehöre oder nicht. Die Klage sei daher zulässig, auch wenn die Klägerin das vereinsinterne Schiedsgericht nicht angerufen habe.

Der Beklagte beantragt die Abweisung, hilfsweise die Zurückweisung der Klage. Der Anspruch sei aus näher dargestellten Gründen sachlich nicht begründet. Zudem handle es sich um eine Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis. Das ordentliche Gericht könne daher erst nach Anrufung der Schlichtungsstelle angerufen werden. Die Klägerin habe die Erhebungsmethoden in einer „Verpflichtungserklärung" gegenüber dem Beklagten zur Kenntnis genommen.

Auch die Nebenintervenientin beantragt die Zurückweisung der Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs.

Das Erstgericht wies die Klage zurück. Sowohl die Klägerin als auch die Herausgeber der beiden im Urteilsbegehren genannten Printmedien seien Mitglieder des beklagten Vereins. Die Klägerin behaupte, der von ihr erhobene Anspruch folge aus ihrer Diskriminierung durch den Beklagten gegenüber anderen Vereinsmitgliedern. Damit habe der Rechtsstreit seine Wurzel in der Vereinsmitgliedschaft; es liege daher eine Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis vor. Mangels Anrufung der vereinsinternen Schlichtungsstelle stehe der Klage das Prozesshindernis der Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis im Sinn des § 8 VerG 2002 seien nach der Rechtsprechung solche, die mit dem Vereinsverhältnis „in Zusammenhang stünden", „typischerweise ohne Verbundenheit der Klägerin mit dem beklagten Verein nicht denkbar wären" bzw „in der Vereinsmitgliedschaft wurzelten". Die Klägerin behaupte die unlautere Förderung des Wettbewerbs zweier anderer Vereinsmitglieder durch Veröffentlichung von methodisch nicht einwandfrei erhobenen Reichweitenzahlen. Die Reichenweitenuntersuchungen des Beklagten beruhten auf der in den Statuten geregelten Teilnahme von Vereinsmitgliedern; die Durchführung der Erhebung sei nach den Statuten eine vereinsinterne Angelegenheit. Der Anspruch könne daher nicht als von der Vereinsmitgliedschaft der Klägerin losgelöster, bloß auf dem UWG beruhender Anspruch angesehen werden. Darauf, ob die Mitgliedschaft der Klägerin denknotwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch sei, komme es bei dieser Sachlage nicht an.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig, weil das Rekursgericht im Ergebnis von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 8 VerG 2002 abgewichen ist; er ist aus diesem Grund auch berechtigt.

1. Nach § 8 Abs 1 VerG 2002 haben die Statuten eines Vereins vorzusehen, dass Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis vor einer Schlichtungseinrichtung auszutragen sind. Sofern das Verfahren vor der Schlichtungseinrichtung nicht früher beendet ist, steht für Rechtsstreitigkeiten nach Ablauf von sechs Monaten ab Anrufung der Schlichtungseinrichtung der ordentliche Rechtsweg offen.

Mit dieser Bestimmung wird nach nunmehr einhelliger Rechtsprechung (4 Ob 146/07k = JBl 2008, 51; RIS-Justiz RS0122426; zuletzt etwa 6 Ob 280/08g; Mayr, Vereinsstreitigkeiten zwischen Schlichtungseinrichtung, Gericht und Schiedsgericht, ÖJZ 2009, 539 [542] mwN) eine Prozessvoraussetzung angeordnet: Wird eine Klage in einer Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis vor dem Verstreichen von sechs Monaten seit Anrufung der vereinsinternen Schlichtungseinrichtung eingebracht, so steht ihr - außer das Schlichtungsverfahren endete bereits vor der Klagseinbringung - das gemäß § 42 Abs 1 JN in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmende Prozesshindernis der Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen.

2. „Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis" im Sinn des § 8 VerG 2002 sind nach der vom Rekursgericht an sich richtig dargestellten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs solche, die mit dem Vereinsverhältnis „in Zusammenhang stehen" (6 Ob 219/04f = SZ 2005/41), „typischerweise ohne Verbundenheit der Klägerin mit dem beklagten Verein nicht denkbar wären" (5 Ob 60/05t = ecolex 2005, 843) oder „in der Vereinsmitgliedschaft wurzeln" (4 Ob 146/07k = JBl 2008, 51; 4 Ob 168/07w = EvBl 2008/96). Anderes gilt aber (jedenfalls) dann, wenn der geltend gemachte Anspruch auf einem selbständigen (im konkreten Fall vertraglich begründeten) Schuldverhältnis beruht, für dessen Zustandekommen die Vereinszugehörigkeit nicht denknotwendige Voraussetzung ist; nicht jede Streitigkeit zwischen einem Verein und seinem Mitglied fällt unter § 8 VerG 2003 (2 Ob 273/06w = EvBl 2008/34).

3. Für die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs ist nach allgemeinen Grundsätzen in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagesachverhalt (die Klagebehauptungen) maßgebend. Es kommt auf die Natur und das Wesen des geltend gemachten Anspruchs an, wofür wiederum der geltend gemachte Rechtsgrund von ausschlaggebender Bedeutung ist. Ohne Einfluss ist es, was der Beklagte einwendet oder ob der behauptete Anspruch begründet ist (stRsp, RIS-Justiz RS0045539; RS0045584; RS0045644; RS0045718; zuletzt etwa 7 Ob 110/08i; Mayr in Rechberger, ZPO3 vor § 1 JN Rz 6; Ballon in Fasching/Konecny2 I § 1 JN Rz 72).

4. Diese Grundsätze sind für die Beurteilung der Frage heranzuziehen, ob eine Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis vorliegt. Zu prüfen ist daher, ob die Klägerin ihren Anspruch auf die Verletzung von Pflichten aus dem Vereinsverhältnis stützt, ihre Mitgliedschaft im Verein daher denknotwendige Voraussetzung für das Bestehen des Anspruchs ist, oder sie nicht vielmehr einen vom Vereinsverhältnis unabhängigen Anspruch geltend macht, der in gleicher Weise auch von einem Nichtmitglied erhoben werden könnte.

5. Die Klägerin beanstandet ein methodisch angeblich fehlerhaftes Vorgehen des Beklagten, das zu unrichtigen Ergebnissen für die Medien zweier Mitbewerber geführt habe. Darin liege eine unlautere Förderung von deren Wettbewerb, die der Beklagte zu unterlassen habe. Dieser Anspruch ist völlig unabhängig davon, ob die Klägerin selbst Mitglied des beklagten Vereins ist oder nicht. Zwar hätte sie ihren Anspruch möglicherweise auch auf die Verletzung von Pflichten aus dem Vereinsverhältnis stützen können. Das hat sie aber nicht getan; sie hat vielmehr ausdrücklich und ausschließlich einen jedem Mitbewerber zustehenden lauterkeitsrechtlichen Anspruch geltend gemacht und sich damit auf ein vom Vereinsverhältnis verschiedenes Rechtsverhältnis (Wettbewerbsverhältnis) gestützt. Damit liegt nach dem allein maßgebenden Klagevorbringen keine Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis vor.

6. Soweit sich der Beklagte auf eine „Verpflichtungserklärung" der Beklagten und einzelne Bestimmungen seiner Statuten beruft, handelt es sich um einen Einwand aus dem Vereinsverhältnis, der nach der oben dargestellten Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0045584) nicht zur Unzulässigkeit des Rechtswegs führt. Vielmehr ist dieser Einwand aus einer rechtlichen Sonderbeziehung bei der Prüfung des außervertraglichen Anspruchs der Klägerin meritorisch zu behandeln. Die Klägerin mag zwar aufgrund ihrer Vereinsmitgliedschaft mehr dulden müssen als ein außenstehender Dritter. Das betrifft aber nur die sachliche Berechtigung ihres Anspruchs, die Zulässigkeit des Rechtswegs wird davon nicht berührt.

7. Die vom Rekursgericht zitierte Entscheidung 4 Ob 168/07w (= EvBl 2008/96) steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Denn dort hatte die Klägerin ihr Begehren darauf gestützt, dass eine vom dort beklagten Verein beschlossene Übergangsregelung „diskriminierend" sei, dh die Klägerin anders behandle als die übrigen Vereinsmitglieder; durch die Nichtveröffentlichung ihrer Daten werde ein unzutreffender Eindruck über die (Nicht-)Mitgliedschaft der Klägerin beim Beklagten erweckt. Grundlage („Wurzel") des Anspruchs war daher zweifellos die Vereinsmitgliedschaft und die sich daraus ergebenden Pflichten des beklagten Vereins; ohne solche (behauptete) Mitgliedschaft wäre die Klage nicht „denkbar" (schlüssig begründbar) gewesen. Darin liegt ein entscheidender Unterschied zum hier (ausschließlich) geltend gemachten lauterkeitsrechtlichen Anspruch auf Unterlassung der Förderung fremden Wettbewerbs.

8. Aufgrund dieser Erwägungen sind die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs verworfen wird. Das Erstgericht wird über den geltend gemachten Anspruch und die (auch) im Vereinsverhältnis begründeten Einwände des Beklagten inhaltlich zu entscheiden haben.

9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 50 ZPO iVm § 52 Abs 1 Satz 2 und § 41 ZPO. Der Beklagte ist im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Rechtswegs unterlegen; er hat der Klägerin daher deren Kosten zu ersetzen (RIS-Justiz RS0035955). Solche Kosten sind nur im Rechtsmittelverfahren angefallen. Hingegen bezogen sich die erstinstanzlichen Prozesshandlungen der Klägerin nicht ausschließlich auf den Zwischenstreit. Diese Prozesshandlungen können daher im fortgesetzten (Haupt-)Verfahren verwertet werden; ihre Kosten sind aus diesem Grund nicht zuzusprechen (9 Ob 104/04s = SZ 2005/72). Eine Kostenersatzpflicht der Nebenintervenientin besteht nicht (RIS-Justiz RS0035816).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte