AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:L518.1438446.3.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Markus STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde des (1.) XXXX alias XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Armenien, der (2.) XXXX alias XXXX , XXXX , Staatsangehörigkeit Armenien, des (3.) XXXX alias XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Armenien, des (4.) XXXX alias XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Armenien und der (5.) XXXX alias XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Armenien, alle vertreten durch die RAin Mag. Susanne SINGER, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.04.2022, (1.) Zl. XXXX , (2.) Zl. XXXX , (3.) Zl. XXXX , (4.) Zl. XXXX und (5.) Zl. XXXX wegen § 68 Abs 1 AVG, §§ 10 Abs 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 46, 52, 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 und 55 Abs 1a FPG Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), zu Recht:
A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) ist mit der Zweitbeschwerdeführerin (BF2) in aufrechter Ehe verheiratet, der minderjährige Drittbeschwerdeführer (BF3), der minderjährige Viertbeschwerdeführer (BF4) und die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin (BF5) sind die leiblichen Kinder des BF1 und der BF2. Sämtliche Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Armenien, der jesidischen Volksgruppe zugehörig und gehören dem islamischen Shafadin an.
I.2. Die BF1 bis BF4 reisten erstmals am 05.01.2013 illegal in das Bundesgebiet ein. Sie stellten im Gefolge ihrer illegalen Einreise am 05.01.2013 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz. Für die minderjährigen BF3 und BF4 stellte die BF2 als gesetzliche Vertreterin am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren. Der BF1 führte damals aus, dass er XXXX heißen und aus Syrien stammen würde. Er hätte als Schafhirte gearbeitet, in Syrien herrsche Krieg und er wäre von Soldaten bedroht worden. Sie sei Schafhirte gewesen, die Soldaten hätten sie bedroht und ihr Schafe gestohlen. Die syrischen Soldaten hätten auch einen Cousin des BF1 getötet und seien generell viele Verwandte im Krieg ums Leben gekommen. Die BF2, BF3 und BF4 hatten keine eigenen Fluchtgründe.
I.3. Im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge BFA) am 13.06.2013 wurde mit dem BF1 eine telefonische Sprachanalyse samt Kenntniskontrolle zu Syrien mit dem Sprachinstitut SPRAKAB von 10.50 Uhr bis 11.15 Uhr durchgeführt. Das Ergebnis der Sprachanalyse (Herkunftsstaat Syrien: nicht wahrscheinlich; Herkunftsstaat Armenien: sehr wahrscheinlich) wurde dem BF1 im Rahmen der zweiten Einvernahme am 27.09.2013 vorgehalten und wurde dem BF1 die Analyse vorgelegt und erklärt. Der BF1 blieb jedoch dabei, aus Syrien zu stammen und daher keine Angaben zu Armenien bzw. zu den vorgehaltenen armenischen Länderfeststellungen machen zu können.
Die BF2 gab im Rahmen ihrer zweiten Einvernahme vor dem BFA an, im dritten Monat schwanger zu sein und legte einen Mutter Kind Pass (voraussichtlicher Geburtstermin 17.03.2014) vor. Weiter führte sie zum Sprachgutachten des BF1, welches ihr erklärt wurde aus, dass es einige Iraker gäbe, welche sich hier als Syrer ausgegeben und Asyl erhalten hätten. Sie seien aber Syrer und blieb auch die BF2 im weiteren Verlauf der Befragung bei dieser Angabe, ohne irgendwelche Fluchtgründe zu konkretisieren oder auf die vorgehaltenen armenischen Länderfeststellungen einzugehen. Zusätzlich wurden der BF2 allgemeine Fragen zu Syrien gestellt.
Den BF wurde im Rahmen der zweiten Einvernahme am 27.09.2013 mitgeteilt, dass sie im weiteren Verfahren als armenische Staatsbürger geführt werden.
I.4. Die Anträge auf internationalen Schutz der BF1 bis BF4 wurden folglich mit Bescheiden der belangten Behörde vom 07.10.2013 gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den angenommenen Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in den angenommenen Herkunftsstaat Armenien verfügt (Spruchpunkt III.).
I.5. Am XXXX wurde der BF5 geboren und von seiner Mutter ein Antrag auf internationalen Schutz eingebracht.
I.6. Nach Beschwerdeerhebung wurden die Bescheide vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 22.04.2014 gemäß § 28 Abs 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt zurückverwiesen.
I.7. Die von den BF1 und BF2 am 24.02.2015 vorgelegte syrischen Führerscheine wurden bei einer am 19.03.2015 durchführten Untersuchung durch die LPD als Totalfälschungen erkannt.
I.8. Mit Eingabe vom 27.07.2015 teilte die PI Silian mit, dass der BF1 am 04.05.2015 wegen Urkundenfälschung zur Anzeige gebracht wurde.
I.9. Die Anträge der BF auf internationalen Schutz wurden folglich mit Bescheiden der belangten Behörde vom 26.11.2015 neuerlich gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55, 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die BF Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 4 FPG werde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt. Gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 wurde der Beschwerde gegen die Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Begründend wurde ausgeführt, dass das Vorbringen nicht glaubwürdig sei. Rechtlich führte das BFA aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55 und 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK (§§ 55, 10 Abs. 2 AsylG 2005) dar.
I.10. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt. Im Wesentlichen wurde nach Darlegung allgemeiner rechtlicher und sonstiger Ausführungen vorgebracht, dass die belangte Behörde zu Unrecht Armenien als Herkunftsstaat angenommen und daher die auf Syrien bezogenen Fluchtgründe nicht berücksichtigt habe.
Der syrische Führerschein der bP 1 sei nicht auf seine Echtheit überprüft worden, die Verwandten der BF in der Türkei wären nicht befragt worden, es sei keine Stellungnahme der Botschaft in Damaskus eingeholt worden, ein in Österreich aufhältiger Bekannter sei entgegen dem Antrag der BF nicht zur Staatsangehörigkeit der BF einvernommen worden und schließlich seien nach wie vor die Sprachgutachten nicht nachvollziehbar und überprüfbar. Es werde die Richtigkeit sowie die fachliche Eignung der angestellten, das Gutachten erstellenden Person sowie des Sprachinstitutes an sich bezweifelt. Beantragt wurde, unabhängige sowie qualifizierte Sprachgutachten einzuholen und Ermittlungen zur Verfolgung der BF in Syrien zu tätigen.
I.11. Mit Beschluss vom 18.12.2015 wurde den Beschwerden gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
I.12. Am 11.01.2026 langte über Anfrage des BVwG die kriminaltechnische Untersuchung der von den BF vorgelegten Führerscheine ein. In der entsprechenden Stellungnahme des LPD Tirol vom 07.01.2016 ist festgehalten, welche Referenzunterlagen herangezogen wurden, in welche Datenbanken Einsicht genommen wurde und welche Geräte zur Überprüfung verwendet wurden. Anhand von nachweislich echten syrischen Führerscheinen konnte die vorgelegten Führerscheine aufgrund diverser Nichtübereinstimmungen (Untergrunddruck nicht gerastert, Lichtbildsicherung mit Druckfarbe aufgebracht und nicht Goldfolienprägung, Ausfüllschrift nicht maschinengeschrieben, sondern mit Fotodruck, Feinzeichnung des Staatswappens abweichend) eindeutig als Totalfälschung beurteilt werden.
I.13. Mit Schreiben vom 12.01.2016 wurde eine Anfrage an die Staatendokumentation mit Sprachanalyseauftrag vom BFA gestellt. Dies unter Angabe diverser Hintergrundinformationen zu den BF und Hinweis darauf, eine Sprach- und Herkunftsanalyse gemäß Anfrage des BVwG durch die Firma LINGUA durchzuführen.
I.14. Mit Schreiben des BVwG vom 21.07.2016 wurden den BF Länderfeststellungen sowie die Anfragebeantwortung aus Armenien vom April 2016 zur Stellungnahme übermittelt. Ebenso wurden sie – in Ergänzung bzw. Wiederholung zu den bereits beim BFA stattgefundenen Belehrungen – ua. hinsichtlich ihrer Obliegenheit zur Mitwirkung im Verfahren manuduziert und aufgefordert, Bescheinigungsmittel vorzulegen.
Für den Fall, dass den BF gegenwärtig Bescheinigungsmittel nicht zugänglich wären, weil sie sich beispielsweise noch im Herkunftsstaat befinden, wurde die BF eingeladen, ehestmöglich die erforderlichen Schritte zu setzen, damit ihr diese zugänglich werden und sie im Anschluss daran vorzulegen. In diesem Fall wurden sie auch ersucht, dem erkennenden Gericht bekannt zu geben, welche Bescheinigungsmittel sie beabsichtigt vorzulegen, wo sich diese gegenwärtig befinden und wann mit deren Vorlage gerechnet werden kann.
Sollte die Existenz von Bescheinigungsmitteln bekannt sein, sie darauf aber keinen Zugriff haben, wurden sie aufgefordert innerhalb der oa. Frist bekannt zu geben, um welche Bescheinigungsmittel es sich handelt, wo sich diese befinden und warum sie hierauf keinen Zugriff haben.
I.15. Am 24.08.2016 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein der BF samt ihrer rechtsfreundlichen Vertretung und einer Dolmetscherin für die armenische Sprache durchgeführt. Die BF bekräftigten dabei, bisher wahrheitsgemäße Aussagen gemacht zu haben und wurde auch ein von den BF benannter Zeuge, sowie deren Unterkunftgeberin einvernommen.
I.16. Nach zahlreichen Urgenzen langten die zweiten Sprachgutachten über LINGUA am 02.02.2017 ein. Auch dieses Gutachten kommt zum Schluss, dass es sich beim Herkunftsland des BF1 und der BF2 sehr wahrscheinlich nicht um Syrien handelt.
I.17. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.06.2017 wurden die Beschwerden gegen die Bescheide als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung wurde am 22.06.2017 rechtskräftig.
I.18. Gegen das Erkenntnis brachten die BF am 09.08.2017 eine außerordentliche Revision ein.
I.19. Mit Beschluss des VwGH vom 14.11.2017, XXXX bis XXXX , wurde diese außerordentliche Revision zurückgewiesen.
I.20. Am 13.06.2019 wurden die BF von der armenischen Botschaft als armenische Staatsbürger identifiziert. Bezüglich dem BF1 wurde weiters festgestellt, dass es sich um XXXX , am XXXX geboren, handelt. Die BF2 wurde als XXXX , am XXXX geboren identifiziert. Die minderjährigen BF konnten als XXXX , am XXXX geboren, XXXX , am XXXX geboren und XXXX , am XXXX geboren, identifiziert werden und wurden in weiterer Folge Heimreisezertifikate ausgestellt.
I.21. Am 17.06.2019 stellten die BF Anträge auf Genehmigung von Übernahme der Heimreisekosten für die freiwillige Rückkehr. Diese wurden mit 26.06.2019 genehmigt.
I.22. Mit Eingabe des VMÖ vom 19.08.2019 wurde die freiwillige Rückkehr widerrufen, weil der VMÖ keinen Kontakt mehr zu den BF hatte und deren Aufenthaltsort unbekannt war. Aus diesem Grund wurden die BF am 01.09.2019 amtlich abgemeldet.
I.23. Die BF reisten rechtswidrig nach Deutschland und stellten dort am 11.01.2021 abermals Anträge auf internationalen Schutz.
I.24. Die BF wurden am 30.06.2021 im Rahmen der Dublin-III Verordnung von Deutschland nach Österreich überstellt. Nach Ankunft im Bundesgebiet stellten die BF einen Folgeantrag.
I.25. Vor Organen der PI Schwechat führte der BF1 zum Fluchtgrund befragt aus, dass er in Armenien Probleme mit dem Schwiegervater hätte. Dieser hätte ihm und seiner Familie Blutrache geschworen, weil er 2007 dessen Tochter, die BF2, entführt und geehelicht hätte. Auch die BF2 führte aus, dass sie 2007 vom BF1 mit ihrer Einwilligung entführt worden sei. Auch sie werde deswegen von ihrem Vater verfolgt. Hinsichtlich der minderjährigen BF3 bis BF5 teilte die BF2 mit, dass diese keine eigenen Gründe hätten.
I.26. Den BF wurde am 07.07.2021 vom Bundesamt mit schriftlicher Mitteilung zur Kenntnis gebracht, dass gemäß § 29 Abs 3 Z 4 und 6 AsylG beabsichtigt ist, die Anträge wegen entschiedener Sache zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben.
I.27. Am 17.08.2021 wurden die BF1 und BF2 vom Bundesamt, EAST Ost, niederschriftlich einvernommen. Vom BF1 wurde hinsichtlich des Fluchtgrundes nun ausgeführt, dass der Neffe seines Schwiegervaters vor 15 Jahren den Neffen seines Vaters getötet hätte. Es hätte mit Blutrache zu tun. Er hätte dann seine jetzige Gattin entführt und geheiratet. Um das Kriegsbeil zu begraben, müsste er sterben. Auch hätten seine Eltern den Kontakt zu ihm abgebrochen, weil er seine Frau entführt und geheiratet hat.
Von der BF2 wurde diesbezüglich ausgeführt, dass sie ihre Gründe schon genannt hätte. Auf Nachfrage gibt sie bekannt, dass zwischen ihrer Familie und der Familie ihres Gatten immer diesen Konflikt gegeben hätte. Sie hätte deswegen in Armenien kein normales Leben führen können.
Bezüglich den minderjährigen BF gab die BF2 als gesetzliche Vertreterin bekannt, dass diese keine eigenen Gründe haben.
I.28. Der BF1 und die BF2 wurden am 04.11.2021 (rk. 09.11.2021) vom LG Klagenfurt, XXXX wegen §§ 223 Abs 2 und 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt, Probezeit drei Jahre, verurteilt. Sie wiesen sich dabei bei verschiedenen Stellen als griechische Staatsbürger aus. Die griechischen Reisepässe wurden von den BF1 und BF2 käuflich erworben, auch drei solcher Pässe für die minderjährigen BF.
I.29. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes vom 08.04.2022 wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status der Asylberechtigten wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG zurückgewiesen (Spruchpunkt I.), hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) Gem § 55 Absatz 1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
Begründend wurde ausgeführt, dass die BF im neuerlichen Asylverfahren keine neuen asylrelevanten Gründe vorbrachten, bzw. kein neuer Sachverhalt vorgebracht wurde, welcher nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens entstanden ist. Zudem weise das Vorbringen hinsichtlich der Feindschaft zwischen den Familien des BF1 und der BF2 keinen glaubhaften Kern auf.
I.30. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Armenien traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.
I.31. Gegen die zugestellten Bescheide wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.
In der Beschwerde wird moniert, dass die psychischen Probleme der BF2 derart markant wären, dass eine Rückführung eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde. Auch wäre nicht berücksichtigt worden, dass sich die BF2 in stationärer Behandlung im XXXX befunden hat. Zudem werde in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die Situation in Armenien für Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht zufriedenstellen und auch in den letzten Jahren von Menschenrechtsorganisationen massiv kritisiert worden sei. Auch sei die Situation der minderjährigen Kinder nicht ausreichend berücksichtigt worden. Ferner sei das Fluchtvorbringen der BF glaubwürdig und könne nicht nachvollzogen werden, dass das Bundesamt von der Unglaubwürdigkeit ausgeht.
Es werde eine mündliche Beschwerdeverhandlung beantragt, weiters mögen die Bescheide dahingehend abgeändert werden, dass die Anträgen nicht wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückgewiesen werden, sondern inhaltlich entschieden werden, in eventu subsidiärer Schutz gewährt wird; in eventu ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG zu erteilen, sowie festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und das erlassene Einreiseverbot ersatzlos zu beheben, in eventu die Dauer herabzusetzen, sowie die Entscheidungen aufzuheben und an die Erstinstanz zurückzuverweisen.
I.32. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
Der BF1 führt den im Spruch genannten Namen, er ist Staatsangehöriger von Armenien, Angehöriger der yezidischen Volksgruppe und gehört den islamischen Shafadin an. Der BF1 wurde am XXXX in XXXX geboren und lebte dort gemeinsam mit seiner Gattin (BF2) und den minderjährigen BF3 und BF4 bis zur Ausreise. Der BF1 besuchte sieben Jahre lang die Schule und war danach als Landwirt im elterlichen Betrieb beschäftigt.
Die Identität des BF1 steht fest, weil er am 13.06.2019 von der armenischen Botschaft als Staatsbürger von Armenien identifiziert wurde. Bis dahin verschleierte der BF1 seine wahre Identität und gab sich als Staatsbürger von Syrien aus.
Der BF1 ist der Gatte der BF2 und Vater der minderjährigen BF.
Der BF1 ist gesund, benötigt keine Medikamente und gehört keiner COVID-19 Risikogruppe an.
Im Herkunftsland begründen noch die Eltern, eine Schwester und ein Bruder ihren Wohnsitz. Die Eltern besitzen ein eigenes Haus und Ländereien und betreiben eine Landwirtschaft mit eigenen Tieren.
Die BF2 führt den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehörige von Armenien, Angehörige der yezidischen Volksgruppe und gehört den islamischen Shafadin an. Die BF2 wurde am XXXX in XXXX geboren. Vor der Ausreise lebte sie mit dem BF1 und den minderjährigen BF3 und BF4 im Haus der Schwiegereltern. Die BF2 besuchte acht Jahre lang die Schule und absolvierte keine Berufsausbildung. Sie führte den Haushalt und kümmerte sich um die Kinder.
Die Identität der BF2 steht fest, weil sie am 13.06.2019 von der armenischen Botschaft als Staatsbürgerin von Armenien identifiziert wurde. Bis dahin verschleierte die BF2 ihre wahre Identität und gab sich als Staatsbürgerin von Syrien aus.
Die BF2 leidet unter einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradig depressive Episode ohne psychotische Symptome und ohne Somatisierung Neigung ICD-10: F33.10. Sie steht in medizinischer Behandlung. Die ausreichende medizinische Behandlung in Armenien ist gewährleistet.
Im Herkunftsstaat leben noch die Eltern, eine Schwester und zwei Brüder.
Der BF3 führt den Namen XXXX alias XXXX und ist am XXXX in Armenien geboren, der BF4 den Namen XXXX alias XXXX und ist am XXXX in Armenien geboren und die am XXXX geborene BF5 den Namen XXXX alias XXXX . Die minderjährigen BF sind Staatsangehörige von Armenien, Angehörige der armenischen Volksgruppe und gehören dem islamischen Shafadin an. Die Identitäten der BF3 bis BF5 stehen aufgrund der Identifizierung durch die armenische Botschaft fest.
Die minderjährigen BF sind gesund und stehen nicht in medizinischer Behandlung.
In Armenien leben noch die bei den Eltern angeführten Verwandten.
Die BF1 bis BF4 reisten rechtswidrig am 05.01.2013 in das Bundesgebiet ein, wo sie die ersten Anträge auf internationalen Schutz stellten. Die BF5 wurde am XXXX geboren und stellte die BF2 für sie einen Antrag auf internationalen Schutz.
Die BF hielten sich von Anfang August 2019 bis 30.06.2021 rechtswidrig in Deutschland auf und stellten dort am 11.01.2021 neuerlich Anträge auf internationalen Schutz.
Die BF1 und BF2 wurden in Österreich wegen Urkundenfälschung und Fälschung besonders geschützter Urkunden gemäß §§ 223 und 224 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt auf drei Jahre, verurteilt.
Der Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet war und ist nicht nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG 2005 geduldet. Ihr Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Sie wurden nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.
Die BF gehörten keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in ihrem Herkunftsstaat vor der Ausreise keine Schwierigkeiten mit staatlichen Organen, Sicherheitskräften oder Justizbehörden zu gewärtigen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer vor der Ausreise Schwierigkeiten aufgrund ihres religiösen Bekenntnisses bzw. ethnischen Zugehörigkeit zu gewärtigen hatten.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.
Eine Feindschaft zwischen den Familien des BF1 und der BF2, welche als Blutrache vorgebracht wurde, konnte nicht festgestellt werden.
Die BF verfügen über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage in ihrem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft.
Die BF1 und BF2 haben Deutsch- und Integrationskurse besucht, die BF2 brachte ein B1-Zertifikat in Vorlage. Die BF beziehen Grundversorgung. Der BF1 und die BF2 waren in Lienz gemeinnützig tätig. Einstellungszusagen wurden nicht vorgelegt. Die minderjährigen BF besuchen die dem Alter entsprechenden Schulstufen. Die BF sind in keinem Verein oder Organisation tätig.
Die BF haben in Österreich keine Verwandten und sind außerhalb der Familie für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig.
Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung bzw. Verschlechterung in Bezug auf die die BF betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person der BF gelegenen Umständen.
Ebenso ergab sich keine sonstige aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation des BF. Eine relevante Änderung der Rechtslage konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.
In Bezug auf die individuelle Lage der BF im Falle einer Rückkehr nach Armenien konnte keine im Hinblick auf den Zeitpunkt, an dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich geänderte oder gar verschlechterte Situation festgestellt werden.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass den BF eine aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Gefährdung oder Verfolgung in ihrem Heimatland Armenien droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wären.
Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Armenien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ nicht vor.
Weitere Ausreisegründe und/oder Rückkehrhindernisse kamen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht hervor.
II.1.2. Zum Vorverfahren:
Der erste Antrag auf internationalen Schutz wurde rechtskräftig negativ entschieden. Dem Vorbringen des BF1, er hätte als Schafhirte gearbeitet und wäre von Soldaten bedroht worden, bzw. die vorgebrachte syrische Herkunft der BF, wurde vom Bundesamt kein Glauben geschenkt, was durch die Analyse des Sprachinstituts SPRAKAB untermauert wurde. Die BF2, BF3 und BF4 hatten zudem keine eigenen Fluchtgründe. Nach Beschwerdeerhebung wurden die Bescheide vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 22.04.2014 gemäß § 28 Abs 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt zurückverwiesen.
Die Anträge der BF auf internationalen Schutz wurden folglich mit im Spruch genannten Bescheiden vollinhaltlich abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55, 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die BF Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 4 FPG werde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt. Gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 wurde der Beschwerde gegen die Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt. Begründend wurde ausgeführt, dass das Vorbringen nicht glaubwürdig sei.
In der am 02.02.2017 einlangenden Sprach- und Herkunftsanalyse der Fa. LINGUA wurde abermals festgestellt, dass es sich beim Herkunftsland des BF1 und der BF2 sehr wahrscheinlich nicht um Syrien handelt.
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.08.2016 wurden die Beschwerden der BF mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.06.2017 als unbegründet abgewiesen. Eine dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des VwGH vom 14.11.2017, Ra XXXX , zurückgewiesen. Die Entscheidung des BVwG wurde somit am 22.06.2017 rechtskräftig.
Am 13.06.2019 wurden die BF von der armenischen Botschaft als armenische Staatsbürger identifiziert. Bezüglich dem BF1 wurde festgestellt, dass es sich um XXXX , am XXXX geboren, handelt. Die BF2 wurde als XXXX , am XXXX geboren identifiziert. Die minderjährigen BF konnten als XXXX , am XXXX geboren, XXXX , am XXXX geboren und XXXX , am XXXX geboren, identifiziert werden und wurden in weiterer Folge Heimreisezertifikate ausgestellt.
Die BF reisten nachweislich spätestens am 19.08.2019 rechtswidrig nach Deutschland, wo sie abermals Anträge auf internationalen Schutz stellten. Am 30.06.2021 wurden die BF im Rahmen der Dublin-III Verordnung von Deutschland nach Österreich überstellt. Nach Ankunft im Bundesgebiet stellten die BF gegenständlichen Folgeantrag.
II.1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass es sich bei Armenien um einen sicheren Herkunftsstaat gem. § 19 BFA-VG handelt.
Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat werden folgende Feststellungen getroffen:
• Länderspezifische Anmerkungen
Letzte Änderung: 13.11.2020
Sofern nicht anders angegeben, schließen die Themenbereiche des LIB Armenien die Situation in der separatistischen Entität Bergkarabach (Republik Arzach / Nagorny Karabach), die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, nicht ein.
• COVID-19
Letzte Änderung: 05.10.2021
Informationen zur COVID-19-Situation inArmenien werden hauptsächlich in diesem Kapitel ihren Eingang finden. Vereinzelte Informationen finden sich jedoch auch in den nachfolgenden Kapiteln.
Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://ww w.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der John Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/i ndex.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Der Ausnahmezustand wurde seit März 2020 insgesamt fünf Mal verlängert und anschließend durch die Nationale Quarantäne ersetzt (vom 11. September 2020 bis 11. Juli 2021). Der Lockdown für armenische Unternehmen wurde bereits im Mai 2020 aufgehoben, um den wirtschaftlichen Zusammenbruch abzuwehren. Kindergärten wurden im Mai 2020 und Schulen im September 2020 wieder geöffnet (WKO 14.7.2021).
Die Einreise nachArmenien ist mit einem imAusland durchgeführten negativen PCR-Test erlaubt, der bei Einreise nicht älter als 72 Stunden sein darf. Das Ergebnis des ausländischen Tests muss auf Englisch, Russisch oder Armenisch vorliegen. Anstelle des PCR-Tests kann auch ein vollständiger Impfnachweis gegen COVID-19 vorgelegt werden, dessen zweite Impfung spätestens 14 Tage vor Einreise erfolgt ist. Für Kinder unter einem Jahr ist kein PCR-Test erforderlich. Ohne Nachweis eines solchen ausländischen Tests müssen sich Reisende einem kostenpflichtigen Test am Flughafen in Eriwan unterziehen und sich bis zur Vorlage eines negativen Testergebnisses in Selbstisolation begeben. Entsprechende Teststellen sind in der Ankunftshalle eingerichtet. Eine Einreise nach Armenien ohne Test ist nicht gestattet. Bei der Einreise müssen Reisende eine Erklärung zu ihrem Gesundheitsstatus vorlegen bzw. ausfüllen (AA 28.9.2021; vgl WKO 14.7.2021).
Die Ergebnisse dieser PCR-Tests werden im ARMED-System registriert und der getesteten Person innerhalb von 48 Stunden zur Verfügung gestellt. Für Reisende, die im ARMED-System registriert sind, kann das Impfzertifikat über die App „ArmedeHealth“ bereitgestellt werden. Es gibt keine Einreiseerleichterungen Genesene. Erleichterungen gibt es für Geimpfte und Getestete (WKO 14.7.2021).
Die internationalen regulären Flugverbindungen nach/von Jerewan sind wieder möglich (WKO 14.7.2021; vgl AA 28.9.2021).
Am 19. März 2020 haben die armenischen Behörden ein vorübergehendes Ausfuhr-Verbot für bestimmte medizinische Waren erlassen, um die Versorgung des Landes sicherzustellen. Das betrifft solche Güter wie medizinische Schutzausrüstung, Beatmungsgeräte, COVID-19Test Kits, Atemschutzmasken, medizinische Masken, Desinfektionsmittel auf Alkoholbasis und andere Artikel (WKO 14.7.2021).
Anfang Mai 2020 wurden die Ausgangsbeschränkungen und Reisebeschränkungen innerhalb
Armeniens aufgehoben. Home-Office-Empfehlung und die obligatorische Maskenpflicht wurden am 1. Juli 2021 aufgehoben. Wer möchte, kann natürlich auch weiterhin eine Maske tragen. Das Versammlungsverbot wurde aufgehoben. Erlaubt sind nun öffentliche und private Versammlungen bei Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern (WKO 14.7.2021).
Die Regierung hat verschiedene finanzielle Hilfspakete für sozial gefährdete Haushalte und Privatpersonen und wirtschaftlich betroffene KMUs, Freizeit- und Tourismusunternehmen, landwirtschaftliche Betriebe, etc. bereitgestellt. Dazu zählen zinsfreie Kredite und staatliche Garantien, Stundungen für Kreditrückzahlungen, Subventionen für Gas- und Stromkosten (WKO 14.7.2021).
Es bestehen aufgrund der Pandemie keine besonderen Beschränkungen innerhalb des Landes (AA 28.9.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2021): Armenien: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/armenien-node/armen iensicherheit/201872 , Zugriff 28.9.2021
• WKO – Wirtschaftskammer Österreich (14.7.2021): Coronavirus: Situation in Armenien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-armenien.html , Zugriff 1.10.2021
• Politische Lage
Letzte Änderung: 05.10.2021
Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 findet in Armenien ein umfangreicher Reformprozess auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene hin zu einem demokratisch und marktwirtschaftlich strukturierten Staat statt. Die im Dezember 2015 per Referendum gebilligte Verfassungsreform zielte auf den Umbau von einer semi-präsidialen in eine parlamentarische Demokratie ab (USDOS 30.3.201; vgl. FH 3.3.2021, AA 20.6.2021). Die Änderungen betreffen u.a. eine Ausweitung des Grundrechtekatalogs sowie die weitere Stärkung des Parlaments (auch der Opposition). Das Amt des Staatspräsidenten wurde im Wesentlichen auf repräsentative Aufgaben reduziert, gleichzeitig die Rolle des Premierministers und des Parlaments gestärkt
(AA 20.6.2021). Der Premierminister und der Präsident werden vom Parlament gewählt. Der Premierminister steht an der Spitze der Regierung, während der Präsident vorwiegend repräsentative Funktionen ausübt (USDOS 30.3.2021).
Die Nationalversammlung besteht aus mindestens 101 Mitgliedern, die für eine fünfjährige
Amtszeit durch eine Kombination aus nationalem und bezirksbezogenem Verhältniswahlrecht gewählt werden. Bis zu vier zusätzliche Sitze sind für Vertreter ethnischer Minderheiten reserviert. Weitere Sitze können hinzugefügt werden, um sicherzustellen, dass die Oppositionsparteien mindestens 30 Prozent der Sitze halten (FH 3.3.2021).
Neue Rahmenbedingungen haben sich zunächst durch die friedlich verlaufende sog. „Samtene Revolution“ im April/Mai 2018 ergeben, die von einer autokratischen Regierung unter dem ehemaligen Staatspräsidenten Serzh Sargsyan zu einer demokratisch legitimierten Regierung unter Premierminister Nikol Pashinyan führte. Die Niederlage im Berg-Karabach-Krieg (27. September –9. November 2020) und eine für Armenien schmerzhafte Waffenstillstandsvereinbarung werden in weiten Teilen der armenischen Bevölkerung Pashinyan angelastet. Obwohl seine Popularität in der Bevölkerung stark abgenommen hat, konnte die Opposition im Lande ihre Forderung nach Rücktritt von PM Pashinyan zunächst nicht durchsetzen. Ende März 2021 hat PM Pashinyan dann aber doch vorgezogene Neuwahlen für den 20. Juni 2021 angekündigt und am 25. April seinen Rücktritt eingereicht, um Neuwahlen zu ermöglichen (AA 20.6.2021).
Die internationalen Beobachter der OSZE haben die vorgezogene Parlamentswahl in Armenien am 20.06.21 als demokratisch, fair und frei eingestuft. Den Wählern seien eine breite Palette von Möglichkeiten geboten, die freiheitlichen Grundrechte seien respektiert worden und die Kandidaten konnten einen freien Wahlkampf führen. Die Partei des bisherigen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan hatte die Parlamentswahl mit rund 54 Prozent der Stimmen gewonnen (BAMF 28.6.2021; vgl EurasiaNet 21.6.2021). Nach dem vorläufigen Wahlergebnis könnten daneben nur die Parteienbündnisse von Ex-Präsident Robert Kotscharjan mit rund 21 Prozent und des früheren Präsidenten Sersch Sargsjan und des ehemaligen Geheimdienstchefs Artur Wanezjan mit 5,2 Prozent der Stimmen in das Parlament einziehen (BAMF 28.6.2021).
Sechs Wochen nach der Parlamentswahl in Armenien ist Nikol Paschinjan am 02.08.21 für eine neue Amtszeit zum Ministerpräsidenten der Südkaukasus-Republik ernannt worden. Paschinjans Partei Bürgervertrag war bei der vorgezogenen Parlamentswahl am 20.06.21 auf knapp 54 Prozent der Stimmen gekommen BMAF 16.8.2021).
Die Republikanische Partei (HHK) und ihre Verbündeten nutzten in der Vergangenheit Stimmenkauf, Wählereinschüchterung und den Missbrauch von Verwaltungsressourcen, um den Volkswillen zu verzerren, aber das Parlament verabschiedete 2018 ein Gesetz, das verschiedene Handlungen im Zusammenhang mit dem Stimmenkauf unter Strafe stellte. Bei den vorgezogenen Wahlen und den Kommunalwahlen 2018 und 2019 gingen diese Praktiken zurück (FH
3.3.2021).
Armenien befindet sich nach den Massenprotesten gegen die Regierung und den Wahlen im Jahr 2018, die eine etablierte politische Elite vertrieben, inmitten eines bedeutenden Übergangs. Die neue Regierung hat versprochen, sich mit langjährigen Problemen wie systemischer Korruption, undurchsichtiger Politikgestaltung, einem fehlerhaften Wahlsystem und schwacher Rechtsstaatlichkeit zu befassen. Die Politik des Landes wurde ernsthaft destabilisiert und mehr als 2.400 Soldaten wurden 2020 getötet, als Kämpfe mit Aserbaidschan über die Kontrolle des Territoriums von Berg-Karabach ausbrachen (FH 3.3.2021).
Seit Paschinjans Machtübernahme hat sich das innenpolitische Klima deutlich verbessert und dessen Regierung geht bestehende Menschenrechts-Defizite weitaus engagierter als die Vorgängerregierungen an, auch wenn immer noch Defizite bei der konsequenten Umsetzung der Gesetze bestehen (AA 20.6.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2021), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2
0.06.2021.pdf Zugriff 20.7.2021
• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (16.8.2021): Briefing Notes, Armenien, Zugriff 19.8.2021
• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (28.6.2021): Briefing Notes, Armenien, Zugriff 29.6.2021
• EurasiaNet (21.6.2021): Armenia’s Pashinyan wins reelection in landslide, https://www.ec oi.net/de/dokument/2054242.html, Zugriff 2.7.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Armenia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2048576.html, Zugriff 13.4.2021
• RFE/RL– Radio Free Europe/ Radio Liberty (14.1.2019): Pashinian ReappointedArmenian PM After Securing Parliament Majority, https://www.rferl.org/a/pashinian-reappointed-ar menian-pm-after-securing-parliament-majority/29708811.html , Zugriff 21.3.2019
• USDOS – U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
7.4.2021
• Sicherheitslage
Letzte Änderung: 06.10.2021
Im Ende September 2020 aufgeflammten Konflikt um die vonArmenien kontrollierte Region Bergkarabach gelang es, unter Vermittlung Russlands, einen Waffenstillstand zu erreichen.Armenien, das als Schutzmacht für Bergkarabach agiert, stimmte unter massivem Druck der Neun-PunkteErklärung zu. In der Erklärung verpflichteten sich die Parteien zu einem vollständigen Einstellen aller Kampfhandlungen auf den zuletzt gehaltenen Positionen. Darüber hinaus werden die von Armenien im ersten Karabach-Krieg Anfang der 1990er Jahre eroberten sieben aserbaidschanische Bezirke rund um Bergkarabach schrittweise an Baku zurückgegeben. Vier davon gingen bereits im Zuge der Kampfhandlungen seit September weitgehend an Aserbaidschan verloren. Mit der Erklärung wurde ebenso eine russische Friedensmission etabliert, die den Waffenstillstand entlang der Kontaktlinie auf Seiten Bergkarabachs sichern soll. Neben den Peacekeepern soll auch ein außerhalb Karabachs befindliches Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe entstehen. Ebenso vereinbart wurde ein Austausch der Kriegsgefangenen und gefallenen Soldaten.
Der letzte Punkt der Vereinbarung weist auf die Öffnung aller Wirtschafts- und Transportwege in der Region hin. Demzufolge muss Armenien Verkehrsverbindungen zwischen den westlichen Regionen der Republik Aserbaidschan und der südwestlich von Armenien gelegenen und an die Türkei grenzenden aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan sicherstellen. Der Status von Bergkarabach wurde in der Erklärung offen gelassen (IFK 11.2020).
In einer gemeinsamen Erklärung haben sich Russlands Präsident Wladimir Putin, sein aserbaidschanischer Amtskollege Ilham Alijew und der armenische Regierungschef Nikol Paschinian auf eine neue Grenzziehung und die Stationierung eines russischen Militärkontingents zur Sicherung des neuen Status quo im Konflikt um Berg-Karabach geeinigt. Aserbaidschan übernimmt rund die Hälfte des abtrünnigen Gebiets, darunter die zweitgrößte Stadt Schuscha, die strategisch von immenser Bedeutung ist (DerStandard 10.11.2020).
Unter Vermittlung von Russlands Präsident Wladimir Putin haben die verfeindeten Nachbarn
Aserbaidschan und Armenien bei einem ersten gemeinsamen Treffen in Moskau am 11.01.21 neue Schritte für einen Wiederaufbau der umkämpften Südkaukasusregion Berg-Karabach vereinbart. Rund zwei Monate nach dem Ende der Kampfhandlungen um Berg-Karabach betonten die drei Spitzenpolitiker im Kreml, dass das Waffenstillstandsabkommen weitgehend eingehalten werde. Es seien aber noch nicht alle Punkte umgesetzt, so Paschinian. Zugleich betonte er, dass der Konflikt um Berg-Karabach nicht endgültig beigelegt sei. Insbesondere sei der politische Status ungeklärt. Die nun getroffenen Vereinbarungen für eine Entwicklung der Wirtschaft und Infrastruktur Berg-Karabachs sollen zu noch verlässlicheren Sicherheitsgarantien für beide Seiten führen. Die Vize-Regierungschefs von Aserbaidschan und Armenien sowie Russlands würden nun eine Arbeitsgruppe bilden, um konkrete Projekte bei der Wiederherstellung der Wirtschafts- und Verkehrsverbindungen umzusetzen (BAMF 18.1.2021).
Die militärische Niederlage löste eine scharfe politische Krise in Armenien aus, in der die Opposition gegen Premierminister Nikol Pashinian seinen Rücktritt forderte (HRW 13.1.2021; vgl. DerStandard 10.11.2020). Tausende Menschen demonstrierten in Jerewan gegen die Waffenruhe. Sie beschimpften Paschinian als „Verräter“ und forderten seinen Rücktritt. Hunderte der Demonstranten stürmten den Regierungssitz und das Parlamentsgebäude (Krone 10.11.2020). Die Polizei ging mit Gewalt gegen Demonstranten vor. Es gab dutzende Festnahmen. Unter den Festgenommenen waren auch mehrere Parlamentsabgeordnete (DerStandard 11.11.2020; vgl. ZeitOnline 11.11.2020).
Bei Zusammenstößen mit aserbaidschanischen Streitkräften sind drei armenische Soldaten an der Grenze zwischen den beiden Ländern getötet worden. Wie das armenische Verteidigungsministerium am Mittwoch mitteilte, habe Jerewan nach einem aserbaidschanischen „Angriff“ eine „bewaffnete Aktion“ eingeleitet. Zwei weitere Menschen wurden demnach bei den Zusammenstößen im nordöstlichen Grenzgebiet verletzt. Beide Seiten gaben sich gegenseitig die Verantwortung für die Eskalation (DerStandard 28.7.2021).
Quellen:
• BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (18.1.2021): Briefing Notes, Armenien, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Information szentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw03-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4 , Zugriff 22.1.2021
• DerStandard (28.7.2021): Drei armenische Soldaten bei Zusammenstößen getötet, https: //www.derstandard.at/story/2000128514406/drei-armenische-soldaten-bei-zusammenst oessen-getoetet, Zugriff 28.7.2021
• DerStandard (10.11.2020): Umstrittener Waffenstillstand in Bergkarabach, https://www.de rstandard.at/story/2000121604696/umstrittener-waffenstillstand-in-bergkarabach , Zugriff
12.11.2020
• DerStandard (11.11.2020): Erdogan verkündet Einigung auf Überwachung der Feuerpause in Bergkarabach, https://www.derstandard.at/story/2000121627117/erdogan-verku endet-vereinbarung-zur-ueberwachung-der-waffenruhe-massenproteste-in-armenien , Zugriff 12.11.2020
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Armenia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2043515.html , Zugriff 22.1.2021
• IFK – Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement [Österreich] (11.2020): Bergkarabach: Neuordnung der regionalen Machtverhältnisse, https://www.bundesheer.at/ph p_docs/download_file.php?adresse=/pdf_pool/publikationen/ifk_monitor_65_lampalzer_b ergkarabach_nov_20_web.pdf , Zugriff 27.11.2020
• Krone (10.11.2020): Einigung auf Waffenruhe in Berg-Karabach, https://www.krone.at/2 272372 , Zugriff 12.11.2020
• ZeitOnline (11.11.2020): Tausende Armenier protestieren gegen Abkommen mit Aserbaidschan, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-11/bergkarabach-konflikt-armenien-ase rbaidschan-abkommen-massenproteste-nikol-paschinjan , Zugriff 12.11.2020
• Regionale Problemzone: Berg-Karabach (Nagorny Karabach)
Letzte Änderung: 06.10.2021
Das Gebiet von Bergkarabach (russ.: Nagorno-Karabakh oder auch Nagorny-Karabakh; in Armenien überwiegend „Artsakh“ genannt) ist zwischen Aserbaidschan und Armenien unverändert umstritten. International wird die sogenannte „Republik Bergkarabach“ („RBK“) von keinem Staat völkerrechtlich anerkannt. Insbesondere die Statusfrage des hauptsächlich von Armenier*innen bewohnten Gebiets von Bergkarabach bleibt offen. Auch Armenien erkennt die ’Republik Berg-
Karabach’ offiziell nicht an, praktisch sind beide aber wirtschaftlich und rechtlich stark verflochten. Die Bewohner von Berg-Karabach erhalten neben ihrem RBK-Pass auch armenische Pässe. Die meisten Gesetzesinitiativen im Rahmen der Anpassung an das EU-Recht werden auch von der Republik Bergkarabach übernommen. In Eriwan gibt es eine bergkarabachische Vertretung, und auf armenischen Landkarten erscheint die „RBK“, einschließlich der besetzten Gebiete, als unabhängiger Staat. Bergkarabach hat einen eigenen Verteidigungsminister und eine Armee, die aber sicherheits-politisch eng mit den armenischen Streitkräften zusammenarbeitet. Die „RBK“ verfügt über eigene staatliche Strukturen. Zum Teil gelten eigene Gesetze, zum Teil werden die armenischen Gesetze angewendet. Die eigenständigen Verwaltungsstrukturen der „RBK“ sind eng an die Armeniens gebunden (AA 20.6.2021). Armenien finanziert 55 Prozent des Budgets der Republik Arzach (ChH 4.6.2020). Nach der Verfassung ist der Präsident sowohl Staats- als auch Regierungschef und hat die volle Autorität, Kabinettsmitglieder zu ernennen und zu entlassen. Im September 2017 wurde das Amt des Premierministers abgeschafft (FH 4.3.2020k). Am 31.3.2020 fanden in Berg-Karabach - international nicht anerkannte - Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt (HBS 2.4.2020). Die Partei des Freien Vaterlandes von Harutjunyan gewann bei den Parlamentswahlen mehr als 40 Prozent der Stimmen und wird
16 der 33 Sitze kontrollieren, während die größte Oppositionskraft, die Partei der Vereinigten Heimat von Samvel Babajan, neun Sitze erhielt (CW 16.4.2020).
Armenische Wahlbeobachter berichten von weitverbreiteten Verletzungen des Wahlgeheimnisses (EN 1.4.2020). Kritisiert wurde weiters, dass wegen COVID-19 kein Wahlkampf geführt werden konnte wie in „normalen“ Zeiten – und zudem der Urnengang selbst das Risiko einer weiteren Ausbreitung des Virus deutlich erhöht habe (HBS 2.4.2020; vgl. EN 1.4.2020). Der im zweiten Wahlgang unterlegene Präsidentschaftskandidat Masis Mailjan forderte die Wähler auf, wegen der Pandemie nicht an den Wahlen teilzunehmen und weigerte sich auch, an Fernsehdebatten teilzunehmen (CW 16.4.2020).
Die Republik Arzach wurde bis zu den Wahlen von Verbündeten der 2018 von Paschinjan gestürzten armenischen Regierung regiert. Die Führer des ehemaligen armenischen Regimes, darunter die ehemaligen Präsidenten Serzh Sargsyan und Robert Kocharyan, unternahmen einige vage Anstrengungen, um über Berg-Karabach als letzte Bastion die Macht in Armenien
wiederzugewinnen. Ihr favorisierter Kandidat, Vitaliy Balasanyan, versäumte bei den Präsidentenwahlen am 31.3.2020 den Einzug in den zweiten Wahlgang (EN 1.4.2020).
Die Justiz ist in der Praxis nicht unabhängig und die Gerichte werden von der Exekutive sowie von mächtigen politischen, wirtschaftlichen und kriminellen Gruppen beeinflusst. Die Verfassung garantiert grundlegende Verfahrensrechte, aber Polizei und Gerichte halten diese in der Praxis nicht immer ein. Die Regierung kontrolliert viele der Medien. Im Jahr 2019 wurden Veränderungen durch die politische Öffnung in Armenien im Jahr 2018 mitbewirkt. Politische Kritiker der Führung, denen zuvor selbst kurze Auftritte verboten waren, wurden zu regelmäßigen Gästen in Sendungen zu aktuellen Themen. Darüber hinaus werden nun regelmäßig Debatten organisiert, um wichtige Themen des lokalen öffentlichen Lebens anzusprechen. Oppositionspolitiker haben auch gute Verbindungen zu unabhängigen Medien in Armenien, wodurch deren Ansichten auch in Berg-Karabach vermittelt werden. Dennoch praktizieren viele Journalisten Selbstzensur, insbesondere bei Themen im Zusammenhang mit dem Friedensprozess. Die Verfassung garantiert die Religionsfreiheit, lässt aber Einschränkungen im Namen der Sicherheit, der öffentlichen Ordnung und anderer staatlicher Interessen zu. In der Verfassung ist die Armenische Apostolische Kirche als ’nationale Kirche’ des armenischen Volkes verankert. Die Religionsfreiheit anderer Gruppen wird in der Praxis eingeschränkt. Proteste sind in der Praxis relativ selten. Die Behörden blockieren Versammlungen und Demonstrationen, wenn sie diese als Bedrohung der öffentlichen Ordnung wahrnehmen (FH 4.3.2020).
Es gibt keine Erkenntnisse, wonach Personen bei Bekanntwerden einer (auch) aserbaidschanischen Herkunft mit staatlichen Übergriffen zu rechnen hätten. In Berg-Karabach gelten den armenischen Regelungen vergleichbare Vorschriften zur kostenlosen medizinischen Behandlung. Im Sozialwesen gibt es ’behördliche’ Unterstützung (AA 20.6.2021).
Ein gemeinsames türkisch-russisches Beobachtungszentrum zur Überwachung des Waffenstillstands zwischen Armenien und Aserbaidschan in der Region Berg-Karabach hat am 30.1.2021 seinen Betrieb aufgenommen. Die Türkei war einer der Hauptunterstützer Aserbaidschans in dem Konflikt. Im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens wurden ein Teil des aserbaidschanischen Territoriums von Berg-Karabach und alle umliegenden sieben Bezirke unter aserbaidschanische Verwaltung gestellt, nachdem sie fast 30 Jahre lang von ethnischen Armeniern kontrolliert wurden. Rund 2.000 russische Friedenssoldaten sind auch entlang der Frontlinie und zum Schutz einer Landverbindung zwischen Berg-Karabach und Armenien im Einsatz (RFE/RL
30.1.2021).
Armenien und Aserbaidschan hatten sich seit dem 27.09.2020 sechs Wochen lang schwere Kämpfe um Berg-Karabach geliefert. Dabei starben auf armenischer Seite nach offiziellen Angaben 3.773 Soldaten, auf aserbaidschanischer Seite 2.783 Soldaten. Hinzu kommen noch insgesamt etwa 200 getötete Zivilisten auf beiden Seiten. Erst ein unter Vermittlung des russischen Präsidenten Putin vereinbarter Waffenstillstand am 09.11.2020 beendete den kriegerischen Konflikt. Teil des Übereinkommens ist auch, dass Russland mit eigenen Friedenstruppen die Vereinbarung militärisch absichert. Mittlerweile sind rund 2.000 russische Soldaten entlang der Waffenstillstandslinie stationiert worden. Des Weiteren sind russische Friedenstruppen zu dessen Sicherung im Latschin-Korridor postiert, der Armenien mit Berg-Karabach verbindet. Auch wenn der Waffenstillstand überwiegend eingehalten wird, kommt es vereinzelt immer wieder zu Grenzzwischenfällen, wodurch es bereits Tote und Verletzte auf beiden Seiten gegeben haben soll. Armeniens Ministerpräsident Paschinjan sprach sich deshalb für eine Ausweitung des Einsatzes russischer Grenzschützer aus, um die Festlegung einer Demarkationslinie ohne militärische Zusammenstöße zu ermöglichen. Im Zusammenhang mit dem Berg- Karabach-Konflikt soll es vereinzelt auch zu Misshandlungen und Kriegsverbrechen gegenüber armenischen Volkszugehörigen in Berg-Karabach gekommen sein. Insgesamt bleibt die humanitäre und wirtschaftliche Lage dort schwierig. Die Infrastruktur, insbesondere in mehreren Grenzdörfern, ist zum Teil komplett zerstört worden und die Versorgung der Menschen problematisch. Schätzungen gehen davon aus, dass von den bislang rund 150.000 in Berg-Karabach lebenden Menschen bis Ende 2020 rund 100.000 nach Armenien geflüchtet waren. Inzwischen sollen davon rund 50.000 Menschen wieder nach Berg-Karabach zurückgekehrt sein, insbesondere in die Hauptstadt Stepanakert. Mehrere armenische und ausländische Hilfsorganisationen sind in Berg-Karabach für den Wiederaufbau unterstützend tätig (BAMF 30.8.2021; vgl. USDOS
30.3.2021, AI 7.4.2021, ICG 9.6.2021).
Während des jüngsten 6-wöchigen Krieges wurden über 3.900 armenische und 2.900 aserbaidschanische Soldaten getötet oder vermisst, und es gab viele Opfer unter der Zivilbevölkerung. Über 91.000 Armenier und 84.000 Aserbaidschaner wurden zunächst vertrieben (CoE-PACE
13.9.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• AI - Amnesty International (7.4.2021): Aserbaidschan 2020, https://www.amnesty.de/infor mieren/amnesty-report/aserbaidschan-2020, Zugriff 25.5.2021
• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (30.8.2021): Briefing Notes, Armenien/Aserbaidschan, Zugriff 31.8.2021
• ChH – Chatham House (4.6.2020): South Caucasus States Set to Diverge Further due to COVID-19, https://www.chathamhouse.org/expert/comment/south-caucasus-states-set-di verge-further-due-covid-19 , Zugriff 5.6.2020
• CoE-PACE - Council of Europe - Parliamentary Assembly (13.9.2021): Humanitarian consequences of the conflict between Armenia and Azerbaijan [Doc. 15363], https://www.ec oi.net/en/file/local/2060650/doc.+15363.pdf , Zugriff 1.10.2021
• CW – Caucasus Watch (16.4.2020): Zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in Bergkarabach wurde trotz des erklärten Ausnahmezustands abgehalten, https://caucasuswatc h.de/news/2623.html , Zugriff 23.4.2020
• EN – Eurasianet (1.4.2020): Karabakh elections to go to a second round, https://eurasian et.org/karabakh-elections-to-go-to-a-second-round , Zugriff 23.4.2020
• FH-Freedom House (4.3.2020k): Freedom in the World 2020 – Nagorno Karabakh,https://freedomhouse.org/country/nagorno-karabakh/freedom-world/2020 , Zugriff
5.6.2020
• HBS – Henirich-Böll-Stiftung / Stefan Meister (2.4.2020): Covid-19 im Südkaukasus – Schnelle Reaktionen und autoritäre Reflexe, https://www.boell.de/de/2020/04/02/covid-1
9-im-suedkaukasus-schnelle-reaktionen-und-autoritaere-reflexe , Zugriff 23.4.2020
• ICG - International Crisis Group (9.6.2021): Post-war Prospects for Nagorno-Karabakh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053478/264-nagorno-karabakh.pdf , Zugriff 22.6.2021
• RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (30.1.2021): Turkish-Russian Center Begins Monitoring Nagorno-Karabakh Truce, https://www.ecoi.net/de/dokument/2044432.html , Zugriff 15.2.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human
Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
7.4.2021
• Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 06.10.2021
Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter ist inArt. 162 und 164 der Verfassung verankert. Die Verfassung von 2015 hat die bisher weitreichenden Kompetenzen des Staatspräsidenten bei der Ernennung von Richtern reduziert. Das Vertrauen in das Justizsystem ist allerdings weiterhin schwach, da die Mehrzahl der Richter ihre Ämter unter der Vorgängerregierung erlangt hat. Die im Oktober 2019 verabschiedete Reform zur Justizstrategie zielt auf einen personellen Wechsel im Justizapparat ab. Verfahrensgrundrechte, wie rechtliches Gehör, faires Gerichtsverfahren und Rechtshilfe werden laut Verfassung gewährt. In Bezug auf den Zugang zur Justiz gab es in den letzten Jahren bereits Fortschritte, die Zahl der Pflichtverteidiger wurde erhöht und kostenlose Rechtshilfe kommt einer breiteren Bevölkerung zugute. Die Einflussnahme durch Machthaber auf laufende Verfahren war in der Vergangenheit in politisch heiklen Fällen verbreitet. Die derzeitige Regierung unter Premierminister Paschinjan hat sich von solchen Praktiken distanziert (AA 20.6.2021; vgl. USDOS 30.3.2021).
Das zivil- und strafrechtliche Gerichtssystem besteht aus drei Instanzen; daneben existieren eine Verwaltungsgerichtsbarkeit und das Verfassungsgericht. Die Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis hat sich seit Mitte 2018 verbessert. Die Regierung treibt eine Justizreform mit dem Ziel größerer Effizienz der Justiz voran, die allerdings seit 2020 ins Stocken geraten ist (AA 20.6.2021).
Die Verfassung und das Gesetz verbieten willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen und sehen das Recht jeder Person vor, die Rechtmäßigkeit ihrer Festnahme oder Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Nach Angaben von Rechtsexperten hatten Verdächtige keine praktischen Möglichkeiten, die Rechtmäßigkeit ihrer Festnahme anzufechten (USDOS 30.3.2021).
Nach dem Gesetz muss eine Ermittlungsbehörde Personen innerhalb von drei Stunden nach der Ingewahrsamnahme entweder festnehmen oder freilassen. Innerhalb von 72 Stunden muss die Ermittlungsbehörde die festgenommene Person freilassen oder Anklage erheben und einen Haftbefehl von einem Richter einholen. Das Gesetz schreibt vor, dass die Polizei die Festgenommenen über die Gründe für ihre Festnahme oder Inhaftierung sowie über ihre Rechte zu schweigen, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen und ein Telefonat zu führen, informieren muss. Nach Angaben von Menschenrechtsbeobachtern waren sich nur wenige Inhaftierte ihres Rechts auf rechtliche Vertretung bewusst. Beobachter wiesen darauf hin, dass die Polizei es manchmal vermied, Personen ihr Recht auf ein ordentliches Verfahren zu gewähren, indem sie sie unter dem Vorwand, sie seien keine Verdächtigen, sondern wichtige Zeugen, vorlud und festhielt, anstatt sie formell zu verhaften. Auf diese Weise war die Polizei in der Lage, Personen zu befragen, ohne ihnen einen Verteidiger zur Seite zu stellen (USDOS 30.3.2021).
Langwierige Untersuchungshaft blieb ein Problem (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Einige Beobachter sahen in der exzessiven Untersuchungshaft ein Mittel der Ermittler, um Angeklagte zu Geständnissen oder zur Offenlegung von selbstbelastenden Beweisen zu bewegen. Obwohl das Gesetz von den Staatsanwälten verlangt, alle zwei Monate eine gut begründete Begründung für die Verlängerung der Untersuchungshaft vorzulegen, verlängerten Richter routinemäßig die Haft aus unklaren Gründen. Die Behörden hielten sich in der Regel an die Sechs-Monats-Grenze in gewöhnlichen Fällen und eine 12-Monats-Grenze für schwere Verbrechen als Gesamtdauer der Untersuchungshaft. (USDOS 30.3.2021).
Die Gerichte sind einer systemischen politischen Einflussnahme ausgesetzt, und die gerichtlichen Institutionen werden durch Korruption unterminiert. Richter fühlen sich Berichten zufolge unter Druck gesetzt, mit Staatsanwälten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen. Der Anteil an Freisprüchen ist extrem niedrig. Die Behörden wenden das Gesetz selektiv an, und ein ordnungsgemäßes Verfahren ist weder in Zivil- noch in Strafsachen garantiert (FH 3.3.2021).
Das Gesetz sieht vor, dass Angeklagte Zeugen konfrontieren, Beweise vorlegen und den Behördenakt im Vorfeld eines Prozesses einsehen können, aber Angeklagte und ihre Anwälte hatten nur sehr wenige Möglichkeiten, Behördenzeugen oder die Polizei anzufechten, während die Gerichte dazu neigten, das Beweismaterial der Staatsanwaltschaft routinemäßig zu akzeptieren. Insbesondere verbietet das Gesetz Polizeibeamten, in ihrer offiziellen Funktion auszusagen, es sei denn, sie waren Zeugen oder Opfer in einem Fall. Angeklagte, Staatsanwälte und Geschädigte haben das Recht, gegen ein Gerichtsurteil Berufung einzulegen. Die Organe der Strafjustiz verließen sich weiterhin auf Geständnisse und Informationen, die bei Vernehmungen erlangt wurden, um Verurteilungen zu erreichen (USDOS 30.3.2021).
Obwohl die Bürger Zugang zu Gerichten hatten, um Schadensersatz für angebliche Menschenrechtsverletzungen einzuklagen, wurden die Gerichte weithin als korrupt wahrgenommen. Die Bürger hatten auch die Möglichkeit, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Rechtsakten, die ihre Grundrechte und -freiheiten verletzten, vor dem Verfassungsgericht anzufechten. Bürger, die den innerstaatlichen Rechtsweg ausgeschöpft haben, können bei angeblichen Verstößen der Regierung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention den EGMR anrufen. Die Regierung hielt sich im Allgemeinen an die vom EGMR ausgesprochenen Entschädigungszahlungen (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf, Zugriff 20.7.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Armenia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2048576.html, Zugriff 13.4.2021
• USDOS – U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
7.4.2021
• Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 06.10.2021
Die nationale Polizei ist für die innere Sicherheit zuständig, während der Nationale Sicherheitsdienst für die nationale Sicherheit, nachrichtendienstliche Aktivitäten und den Grenzschutz verantwortlich ist. Der Special Investigative Service (SIS) ist eine separate Behörde, die sich auf die Voruntersuchung von Fällen spezialisiert hat, in denen es um mutmaßliche Missbräuche von Amtsträgern geht. Das Untersuchungskomitee ist für die Durchführung von Voruntersuchungen in allgemeinen zivilen und militärischen Strafsachen zuständig und umfasst die Ermittlungsdienste. Der Nationale Sicherheitsdienst und die Polizeichefs sind direkt dem Premierminister unterstellt und werden vom Präsidenten auf Vorschlag des Premierministers ernannt. Das Kabinett ernennt die Leiter des Sonderermittlungsdienstes und des Ermittlungsausschusses auf Empfehlung des Premierministers. Die zivilen Behörden hatten eine effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 30.3.2021, vgl. AA 27.4.2020).
Ein eigenes Innenministerium gibt es nicht. Die Beamten des NSD (Nationaler Sicherheitsdienst) dürfen auch Verhaftungen durchführen. Hin und wieder treten Kompetenzstreitigkeiten auf, z.B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird (AA
20.6.2021).
Im April verabschiedete die Regierung eine Strategie und einen Aktionsplan zur Polizeireform für 2020-2022. Der Plan beinhaltet die Wiedereinführung eines Innenministeriums und die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle über die Polizei. Die Reformen sehen auch die Schaffung einer neuen Patrouillenpolizei und die Gewährung von Ermittlungsbefugnissen für die Polizei vor (HRW 13.1.2021).
Es gab Berichte über Misshandlungen in Polizeistationen, die im Gegensatz zu Gefängnissen und polizeilichen Gewahrsamseinrichtungen keiner öffentlichen Überwachung unterlagen. Die Organe der Strafjustiz verließen sich weiterhin auf Geständnisse und Informationen, die bei Vernehmungen erlangt wurden, um Verurteilungen zu erreichen. Nach Angaben von Menschenrechtsanwälten waren die verfahrensrechtlichen Schutzmaßnahmen gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie die Unzulässigkeit von durch Gewalt oder Verfahrensverstöße erlangten Beweisen, unzureichend. Laut Menschenrechtsanwälten war die Videoaufzeichnung in den Polizeistationen kein wirksamer Schutz gegen Missbrauch, da dieselben Polizeistationen die Kontrolle über die Server hatten, auf denen die Aufnahmen gespeichert waren, und diese manipulieren konnten. Die Polizei vermeidet es oft, betroffene Personen über ihre Rechte aufzuklären. Statt Personen formell zu verhaften, werden diese vorgeladen und unter dem Vorwand festgehalten, eher wichtige Zeugen denn Verdächtige zu sein. Hierdurch ist die Polizei in der Lage, Personen zu befragen, ohne das das Recht auf einen Anwalt eingeräumt wird (USDOS
11.3.2020).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 – Armenia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2043515.html , Zugriff 22.1.2021
• SIS - Special Investigation Service of Republic of Armenia (o.D.): History http://www.ccc. am/en/1428926241 , Zugriff 24.6.2020
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
7.4.2021
• Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 06.10.2021
Die Verfassung und das Gesetz verbieten solche Praktiken. Dennoch gab es Berichte, dass Mitglieder der Sicherheitskräfte weiterhin Personen in ihrem Gewahrsam folterten oder anderweitig misshandelten. Nach Angaben von Menschenrechtsanwälten definiert und kriminalisiert das Strafgesetzbuch zwar Folter, nicht aber andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung (USDOS 30.3.2021). Menschenrechtsorganisationen haben bis zur „Samtenen Revolution“ immer wieder glaubwürdig von Fällen berichtet, in denen es bei Verhaftungen oder
Verhören zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung gekommen sein soll. Auch nach der „Samtenen Revolution“ sollen körperliche Misshandlungen vereinzelt vorkommen. Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden (AA 20.6.2021). Laut Menschenrechtsaktivisten trug die Straffreiheit für frühere Fälle von Missbrauch durch die Strafverfolgungsbehörden weiterhin zum Fortbestehen des Problems bei (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 20.6.2021).
Es gab Berichte über Misshandlungen in Polizeistationen, die im Gegensatz zu Gefängnissen und polizeilichen Gewahrsamseinrichtungen keiner öffentlichen Überwachung unterlagen. Die Organe der Strafjustiz verließen sich weiterhin auf Geständnisse und Informationen, die bei Vernehmungen erlangt wurden, um Verurteilungen zu erreichen. Nach Angaben von Menschenrechtsanwälten waren die verfahrensrechtlichen Schutzmaßnahmen gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie die Unzulässigkeit von durch Gewalt oder Verfahrensverstöße erlangten Beweisen, unzureichend (USDOS 30.3.2021). In einem Antwortschreiben an das Helsinki Komitee Armeniens bezifferte der Special Investigation Service (SIS) die Anzahl der strafrechtlichen Untersuchungen bezüglich des Vorwurfes von Folter im Zeitraum zwischen dem 1.1. und dem 23.12.2019 auf 4 (HCA 25.2.2020).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• HCA – Helsinki Committee of Armenia (25.2.2020): Human Rights in Armenia – 2019 Report, http://armhels.com/wp-content/uploads/2020/02/Ditord-2020Eng_Ditord-2019ar m-2.pdf , Zugriff 24.6.2020
• USDOS – U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
7.4.2021
• Korruption
Letzte Änderung: 06.10.2021
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen bei behördlicher Korruption vor. Das Land hat ein Erbe von systemischer Korruption in vielen Bereichen. Die Bekämpfung der Korruption hatte für die Regierung weiterhin oberste Priorität, und die Regierung ergriff im Laufe des Jahres weitere Maßnahmen zur Beseitigung der Korruption. Die Behörden verabschiedeten weiterhin gesetzliche Maßnahmen um Antikorruptionsmaßnahmen zu institutionalisieren (USDOS 30.3.2021).
Im April 2020 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Möglichkeiten der Staatsanwälte erweitert, korrupte Handlungen ehemaliger Beamter zu untersuchen. Nach dem neuen Gesetz können Staatsanwälte leichter die Beschlagnahme unrechtmäßig erworbener Vermögenswerte beantragen, wenn deren Status vor Gericht bewiesen wird, und sie dürfen Taten untersuchen, die zehn Jahre zurückliegen. Anfang Dezember legte das Kabinett einen Gesetzesentwurf vor, der die Einrichtung des Anti-Korruptionskomitees (ACC) abschließt, das ursprünglich für 2019 als Teil eines Dreijahresplans zur Korruptionsbekämpfung vorgesehen war. Das ACC sowie ein spezialisiertes Anti-Korruptionsgericht sollen 2021 ihre Arbeit aufnehmen (FH 3.3.2021).
Das Gesetz verlangt von hochrangigen Beamten und ihren Familien, jährliche Vermögenserklärungen abzugeben, die teilweise im Internet öffentlich zugänglich waren. Die Kommission zur Verhinderung von Korruption (CPC), die im November 2019 die Ethikkommission für hochrangige Beamte ersetzt hat, führt die Analyse der Vermögenserklärung durch (USDOS 30.3.2021).
Die Korruption ist nach den politischen Ereignissen im Jahr 2018 deutlich zurückgegangen. Die
Regierung unternimmt Schritte zur Beseitigung von oligarchischen Strukturen und Hindernissen. 2014 wurden eine Ethik-Kommission für hochrangige Regierungsmitglieder und Beamte sowie eine Kommission zur Bekämpfung der Korruption unter Vorsitz des Premierministers eingerichtet. Im November 2019 wurde vom Parlament eine neue Kommission zur Vorbeugung von Korruption gewählt. Die Regierung plant im Jahr 2021 die Gründung einer Sonderermittlungsbehörde für Korruptionsbekämpfung (AA 20.6.2021).
Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2020 von Transparency International belegte Armenien Rang 60 von 180 untersuchten Ländern (TI 28.1.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Armenia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2048576.html, Zugriff 13.4.2021
• TI - Transparency International (28.1.2021): Corruption Perceptions Index 2020, https: //images.transparencycdn.org/images/2020_Report_CPI_EN.pdf , Zugriff 29.1.2021
• USDOS – U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
8.4.2021
• NGOs und Menschrechtsaktvisten
Letzte Änderung: 06.10.2021
Es gab keine starke Unterstützung der Regierung für die Rolle von Menschenrechtsverteidigern und der Zivilgesellschaft im weiteren Sinne, aber es gab gelegentliche Bemühungen der Regierung, sich gegen Angriffe auf die Zivilgesellschaft zu wehren. Im Dezember stellte der Ombudsmann die Zunahme von „Beleidigungen“ gegen die Zivilgesellschaft insgesamt fest und forderte die Regierung auf, sie zu schützen. Aktivisten und NGOs, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzten, waren häufig Ziel von Hassreden (USDOS 30.3.2021).
Die Tätigkeit von Menschenrechtsorganisationen ist nach der „Samtenen Revolution“ 2018 wirksamer geworden. Die Regierung Pashinyan bezieht die NROs in die Entscheidungsprozesse mit ein, auch wenn sich einige NROs, z. B. im Umweltbereich, eine noch stärkere Wahrnehmung wünschen. Angehörige von NROs wurden bei den Wahlen im Dezember 2018 erstmals in größerer Zahl zu Abgeordneten gewählt (AA 20.6.2021).
Die Zivilgesellschaft ist in Armenien aktiv und weitgehend in der Lage, frei zu agieren. Das Gesetz über öffentliche Unternehmen und das Stiftungsrecht wurden kürzlich mit einer Reihe positiver Änderungen verabschiedet, darunter die Möglichkeit, direkt einkommensschaffende oder unternehmerische Aktivitäten durchzuführen; weiters die Möglichkeit von Freiwilligenarbeit sowie die Möglichkeit für Umweltorganisationen, die Interessen ihrer Mitglieder in Umweltfragen vor Gerichten zu vertreten. Es gibt jedoch noch eine Reihe von Herausforderungen. Zum Beispiel die gesetzlichen Bestimmungen in Bezug auf Steuerverpflichtungen im Zusammenhang mit der Erzielung von Einnahmen, das Fehlen klarer Regeln für den Zugang zu öffentlichen Mitteln sowie klarer Regelung für die Verwendung privater Daten. Einschränkungen gibt es für zivilgesellschaftliche Organisationen, die mit sensiblen Themen wie den Rechten von Minderheiten und einigen Gender-spezifischen Fragen arbeiten (OHCHR 16.11.2018). Nichtregierungsorganisationen (NGOs) fehlen lokale Mittel und sind weitgehend auf ausländische Geber angewiesen (FH 4.3.2020).
Trotz der Einschränkungen war die Zivilgesellschaft bei den Protesten im Jahr 2018 aktiv und wurde im Jahr 2019 aktive Teilnehmerin an den von der Regierung geführten Reformbemühungen, insbesondere im Bereich der Wahlreform. Armenische NGOs machen seither bedeutende Fortschritte bei der Stärkung ihrer organisatorischen Kapazitäten und operieren mit weniger Einmischung der Behörden (FH 4.3.2020).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Armenia, https://freedomh ouse.org/country/armenia/freedom-world/2020 , Zugriff 24.4.2020
• OHCHR – UN Office of the High Commissioner for Human Rights (16.11.2018): Statement by the United Nations Special Rapporteur on the rights to freedom of peaceful assembly and of association, Clément Nyaletsossi VOULE, at the conclusion of his visit to the Republic of Armenia, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?New sID=23882&LangID=E , Zugriff 29.3.2019
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff 8.4.2021
• Ombudsperson
Letzte Änderung: 06.10.2021
Die vom Parlament gewählte und als unabhängige Institution in der Verfassung verankerte
„Ombudsperson für Menschenrechte“ muss einen schwierigen Spagat zwischen Exekutive und den Rechtsschutz suchenden Bürgern vollziehen. Die Kompetenzen der Ombudsperson wurden im Jahr 2016 durch ein eigenes Gesetz erweitert (AA 20.6.2021).
Das Büro des Menschenrechtsverteidigers (die Ombudsperson) hat das Mandat, Menschenrechte und Grundfreiheiten vor Missbrauch auf allen Ebenen der Regierung zu schützen. Das Büro verbesserte seine Reichweite in den Regionen und die Zusammenarbeit mit regionalen
Menschenrechtsschutzorganisationen. Das Büro meldete weiterhin einen deutlichen Anstieg der Anzahl von Bürgerbeschwerden und Besuchen, was es auf die gestiegenen Erwartungen der Öffentlichkeit und das Vertrauen in die Institution zurückführte. Im Dezember 2019 verabschiedete die Regierung die Nationale Strategie für den Menschenrechtsschutz 2020-22 und den dazugehörigen Aktionsplan und startete das Portal e-rights.am als öffentliches Kontrollinstrument (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• USDOS – U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
8.4.2021
• Wehrdienst und Rekrutierungen
Letzte Änderung: 06.10.2021
Männer armenischer Staatsangehörigkeit unterliegen vom 18. bis zum 27. Lebensjahr der allgemeinen Wehrpflicht (24 Monate). Auf Antrag besteht die Möglichkeit der Befreiung oder Zurückstellung vom Wehrdienst sowie der Ableistung eines militärischen oder zivilen Ersatzdienstes. Bei der Zurückstellung vom Militärdienst aus sozialen Gründen (z.B. pflegebedürftige Eltern, zwei oder mehr Kinder) muss bei Wegfall der Gründe der Betreffende bis zum 27. Lebensjahr noch einrücken. Wenn die Gründe nach dem 27. Lebensjahr noch bestehen, ist eine Einrückung in Friedenszeiten nicht mehr vorgesehen. Derjenige muss sich allerdings als Reservist zur Verfügung stellen. Eine Zurückstellung aus Gesundheitsgründen ist ebenfalls möglich (AA
20.6.2021).
Armenische Rekruten werden auch an der Waffenstillstandslinie um Bergkarabach eingesetzt. Nach dem verlorenen Krieg von 2020 werden sie auch an der Grenze zu Aserbaidschan eingesetzt. Männliche Armenier ab 16 Jahren sind zur Wehrregistrierung verpflichtet. Sofern sie sich im Ausland aufhalten und sich nicht vor dem Erreichen des 16. Lebensjahres aus Armenien abgemeldet haben, müssen sie zur Musterung nach Armenien zurückkehren; andernfalls darf ihnen kein Reisepass ausgestellt werden. Nach der Musterung kann die Rückkehr ins Ausland erfolgen (AA 20.6.2021).
Mit der Ende 2017 erfolgten Novellierung des Wehrpflichtgesetzes bietet das armenische Verteidigungsministerium im Rahmen des Konzepts „Armee-Nation“ zwei neue Optionen für den Wehrdienst. Das Programm „Jawohl“ ermöglicht den Rekruten einen flexiblen Wehrdienst von insgesamt drei Jahren mit mehrmonatigen Unterbrechungen. Man wird u.a. auch an der Frontlinie eingesetzt. Im Anschluss erhalten die Rekruten ca. 9.000 Euro für eine Existenzgründung sowie einen Wohnungskredit. Diese Regelung ist seit Dezember 2017 in Kraft. Das Programm „Es ist mir eine Ehre“ erlaubt Hochschulstudenten das Studium abzuschließen und erst dann als Offizier ihren Wehrdienst abzuleisten. Im Laufe des Studiums werden für diese Studenten Pflichtveranstaltungen im Militärinstitut organisiert. Diese Regelung trat im Mai 2018 in Kraft (AA
20.6.2021).
Laut Auskunft eines lokalen Anwaltes verleiht ein Aufenthaltsstatus im Ausland der betroffenen Person keine Privilegien in Bezug auf die Befreiung vom Militärdienst (VP 6.2.2020).
Es besteht ein komplexes System von gesetzlichen Garantien und Schutzmechanismen sowie interne wie externe Mechanismen, damit die Rechte des Personals, inklusive der Rekruten, in den Streitkräften geschützt werden. Auch bestehen externe und alternative Mechanismen zum Schutz der Rechte des Militärpersonals, so etwa der Rechtsschutz oder Beschwerden, die sowohl an den armenischen Ombudsmann als auch den „Public Council“ des Verteidigungsministeriums gerichtet werden können, welcher aus Vertretern von lokalen NGOs besteht, und sich mit Beschwerden zu Menschenrechtsverletzungen, speziell während der Einberufung, auseinandersetzt (OSCE 13.4.2018).
Es gab keine Berichte über das Ausmaß der militärischen Schikanen in der Armee und darüber, ob es sich dabei um Folter handelt. Laut der NGO Peace Dialogue ermöglichte die fehlende gesetzliche Klarheit bezüglich der Funktionen und Befugnisse der Militärpolizei sowie das Fehlen ziviler Aufsichtsmechanismen der Militärpolizei, Folter und andere Formen der Misshandlung sowohl gegen Zeugen als auch gegen Verdächtige in Strafverfahren anzuwenden (USDOS
30.3.2021).
Misshandlungen unter Soldaten oder durch Vorgesetzte kommen weiterhin vor (AA 20.6.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• OSCE – Organization for Security and Co-operation in Europe (15.4.2019): Response by the Delegation of Armenia to the Questionnaire on the Code of Conduct on Politico-Military Aspects of Security, https://www.osce.org/forum-for-security-cooperation/418040?downl oad=true , Zugriff 7.5.2019
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.201): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
7.4.2021
• VP – Vertrauensperson des BFA in Armenien (6.2.2020): Auskunft per E-Mail.
• Wehrersatzdienst, Wehrdienstverweigerung / Desertion
Letzte Änderung: 06.10.2021
Auf Antrag besteht die Möglichkeit der Befreiung oder Zurückstellung vom Wehrdienst sowie der Ableistung eines militärischen oder zivilen Ersatzdienstes. Wehrpflichtige, die sich ihrer Wehrpflicht entzogen haben, werden strafrechtlich belangt. Nach der Vollendung des 27. Lebensjahres wurde früher ein faktischer Freikauf vom Wehrdienst über eine Ersatzzahlung durch das sogenannte „Freikaufsgesetz“ der Republik Armenien vom 17.12.2003 ermöglicht. Dieses Gesetz trat am 31.12.2019 außer Kraft (AA 20.6.2021).
Es gibt einen Ersatzdienst, der sich in einen innerhalb der Streitkräfte zu leistenden alternativen
Wehrdienst und einen außerhalb der Streitkräfte zu leistenden alternativen Arbeitsdienst gliedert.
Man ist berechtigt, einen alternativen Dienst zu leisten, wenn die Leistung des obligatorischen Militärdienstes in militärischen Einheiten sowie das Tragen, Halten,Aufbewahrung und die Benutzung von Waffen der Konfession oder den religiösen Überzeugungen des Wehrdienstpflichtigen widersprechen. Der alternative Wehrdienst dauert 30 Monate, der alternative Arbeitsdienst 36 Monate. Die Anzahl derjenigen, die den Ersatzdienst beantragen, ist sehr gering (AA 20.6.2021; vgl. USDOS 12.5.2021).
Das armenische Parlament beschloss am 28. Oktober 2020 eine drastische Erhöhung der Haftstrafen bei Militärdienstentziehung oder Desertion im Kriegsfall. Bei Nichtbefolgung der Einberufung oder Mobilisierung in Kriegszeiten ist nun eine Haftstrafe von sechs bis zwölf Jahren möglich. Zuvor war diese Straftat mit vier bis acht Jahren Haft bewehrt. Militärdienstentziehung unter Kriegsrecht oder Nichtzahlung der Steuer während eines Krieges kann mit einer Haftstrafe von eins bis fünf Jahren verfolgt werden. Zuvor waren es bis zu vier Jahre. Desertion unter Kriegsrecht oder aus dem Kampfgebiet soll nun mit acht bis 15 Jahren Haft verfolgt werden, statt sechs bis zwölf Jahren (Connection e.V. 1.11.2020).
Zu Fällen von Misshandlung von Ersatzdienstleistenden durch Vorgesetzte liegen keine Erkenntnisse vor (AA 20.6.2021).
Offen homosexuelle Männer fürchten um ihre körperliche Sicherheit beim Militär und einige versuchen, sich von der Wehrpflicht befreien zu lassen (HRW 13.1.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• Connection e.V. - Internationale Arbeit für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure (1.11.2020): Armenien, Aserbaidschan und Nagorny-Karabach: Zu Kriegsdienstverweigerung und Desertion, https://de.connection-ev.org/article:armenien-aserbaidschan-und-n agorny-karabach-zu-kriegsdienstverweigerung-und-desertion, Zugriff 25.5.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Armenia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2043515.html, Zugriff 15.2.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051506.html , Zugriff 18.5.2021
• Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 06.10.2021
Die Verfassung enthält einen ausführlichen Grundrechtsteil modernen Zuschnitts, der auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte mit einschließt. Durch Verfassungsänderungen im Jahr 2015 wurde der Grundrechtekatalog noch einmal erheblich ausgebaut. Ein Teil der Grundrechte können im Ausnahmezustand oder im Kriegsrecht zeitweise ausgesetzt oder mit Restriktionen belegt werden. Gemäß Verfassung ist der Kern der Bestimmungen über Grundrechte und
–freiheiten unantastbar. Extralegale Tötungen, Fälle von Verschwindenlassen, unmenschliche, erniedrigende oder extrem unverhältnismäßige Strafen, übermäßig lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteil bzw. Verurteilungen wegen konstruierter oder vorgeschobener Straftaten sind nicht bekannt (AA 20.6.2021; vgl. USDOS 30.3.2021).
Die Regierung Pashinyan geht bestehende Menschenrechts-Defizite weitaus engagierter als die Vorgängerregierungen an. Die Menschenrechtslage hat sich insgesamt verbessert. Mängel bestehen jedoch nach wie vor bei der konsequenten Umsetzung der Gesetze. Vor allem im Kampf gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität und beim Aufbrechen der alten verkrusteten Strukturen hat Premierminister Pashinyan sichtbare Erfolge erzielt (AA 20.6.2021).
Zu den bedeutenden Menschenrechtsproblemen gehörten: Folter, willkürliche Inhaftierung, wenn auch mit weniger Berichten als 2019, harte und potenziell lebensbedrohliche Haftbedingungen, ernsthafte Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre, Menschenhandel, Gewaltverbrechen oder Gewaltandrohungen gegen Personen der Zivilgesellschaft und sexueller Minderheiten sowie Kinderarbeit. Die Regierung unternahm Schritte zur Untersuchung und Bestrafung mutmaßlicher Verstöße durch ehemalige und aktuelle Regierungsbeamte und Strafverfolgungsbehörden (USDOS 30.3.2021).
Die Verfassung verbieten Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion, der politischen Meinung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögensstatus, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder anderer persönlicher oder sozialer Umstände. Andere Gesetze und Vorschriften verbieten ausdrücklich die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf aufgrund des Geschlechts. Die Regierung setzte die geltenden Gesetze nicht effektiv durch, und es gab keine wirksamen rechtlichen Mechanismen zur Umsetzung der geltenden Vorschriften (USDOS 30.3.2021).
Laut Menschenrechtsaktivisten trug die Straflosigkeit für frühere Fälle von Missbrauch durch die Strafverfolgungsbehörden weiterhin zum Fortbestehen des Problems bei. Darüber hinaus behaupteten Beobachter, dass das Versäumnis, vergangene Fälle strafrechtlich zu verfolgen, mit der mangelnden Veränderung in der Zusammensetzung der Strafverfolgungsbehörden seit dem politischen Übergang 2018 zusammenhängt (USDOS 30.3.2021).
Die RegierungArmeniens erfüllt die Mindeststandards für die Beseitigung des Menschenhandels nicht vollständig, unternimmt aber erhebliche Anstrengungen, um dies zu erreichen. Sie nahm Gesetzesänderungen und Verordnungen zur Stärkung der Gesundheits- und Arbeitsaufsichtsbehörde vor und führte Schulungen für Strafverfolgungsbeamte durch. Die Behörden erhöhten die Zahl der Ermittlungen und Strafverfolgungen, und die Kommission zur Identifizierung von Opfern funktionierte weiterhin gut. Die Regierung hat seit 2014 keine Verurteilung wegen Zwangsarbeit mehr erhalten. Es fehlt an proaktiven Identifizierungsbemühungen, wie z.B. Standardindikatoren zur Überprüfung gefährdeter Bevölkerungsgruppen. Die Opfer von Menschenhandel sahen sich, wie die Opfer anderer Verbrechen, mit einem eingeschränkten Zugang zur Justiz konfrontiert, u.a. aufgrund fehlender opferorientierter Verfahren und formeller Maßnahmen zum Schutz der Opfer und Zeugen (USDOS 25.6.2020).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• USDOS – U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
7.4.2021
• USDOS – US Department of State [USA] (25.6.2020): 2020 Trafficking in Persons Report: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2036210.html , Zugriff 28.9.2020
• Meinungs- und Pressefreiheit
Letzte Änderung: 06.10.2021
Verfassung und Gesetz sehen Meinungsfreiheit vor, auch für die Presse; während die Regierung dieses Recht im Allgemeinen respektierte, schränkte sie es durch den COVID-19-bedingten Ausnahmezustand und die kriegsbedingte Ausrufung des Kriegsrechts ein (USDOS 30.3.2021; vgl. AI 7.4.2021). Einzelpersonen durften die Regierung kritisieren, ohne Repressalien befürchten zu müssen (USDOS 30.3.2021).
Die private Diskussion ist relativ frei und lebendig. Das Gesetz verbietet das Abhören oder andere elektronische Überwachungen ohne richterliche Genehmigung, obwohl es der Justiz an Unabhängigkeit mangelt und ihr vorgeworfen wurde, Strafverfolgungsbehörden, die um Zustimmung bitten, übermäßig zu bevorzugen (FH 3.3.2021).
Den Medien fehlte es im Allgemeinen an politischer Meinungsvielfalt und objektiver Berichterstattung. Privatpersonen oder Gruppen, von denen die meisten Berichten zufolge mit den früheren Behörden oder der größten parlamentarischen Oppositionspartei verbunden waren, besaßen die meisten Rundfunkmedien und Zeitungen, die tendenziell die politischen Neigungen und finanziellen Interessen ihrer Eigentümer widerspiegelten. Die Rundfunkmedien, insbesondere das öffentliche Fernsehen, blieben für die Mehrheit der Bevölkerung eine der wichtigsten Quellen für Nachrichten und Informationen. Das öffentliche Fernsehen war weitgehend ausgewogen und offen und zugänglich für oppositionelle Stimmen und berichtete weiterhin über vielfältigere Themen von öffentlichem Interesse als vor der Revolution 2018 (USDOS 30.3.2021).
JournalistInnen sind, außer in Fällen schwerer Straftaten, nicht verpflichtet, vertrauliche Quellen offen zu legen. Das Fernsehen ist nach wie vor das am weitesten verbreitete Informationsmedium. Zahlreiche TV-Medien werden von alten Einflussgruppen kontrolliert und versuchen gezielt, die öffentliche Meinung zu manipulieren bzw. Stimmung gegen die Regierung zu machen. Die Vergabe der (befristeten) Sendelizenzen ist weiterhin problematisch. Die Printmedien genießen große Unabhängigkeit, haben jedoch – insbesondere außerhalb der Hauptstadt – ein wesentlich kleineres Publikum als die elektronischen Medien. Internetseiten, sind frei zugänglich (AA
20.6.2021).
Das lokale NGO-Komitee zum Schutz der Meinungsfreiheit berichtete von zwei Fällen von Gewalt gegen Reporter in den ersten neun Monaten des Jahres. Es gab Fälle, in denen Beamte oder ehemalige Beamte die Arbeit von Journalisten behinderten oder dies versuchten. Es gab auch Berichte über die Einschüchterung von Journalisten durch Strafverfolgungsbehörden (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021).
Die Gewalt gegen Journalisten ist seit 2018 zurückgegangen, kommt aber immer noch vor (FH
3.3.2021). Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2020 befindet sich Armenien auf Platz 61 von 180 gelisteten Ländern (RSF 21.4.2020).
Unabhängige und investigative Medien arbeiten in Armenien relativ frei. Ihre Produkte sind in der Regel online zu finden. Kleine unabhängige Zeitungen und Zeitschriften lieferten eine solide Berichterstattung über die Proteste im Jahr 2018 und stellten die Erzählungen der staatlichen Sender und anderer etablierter Medien in Frage (FH 3.3.2021).
Im März 2020 nutzte die Regierung die COVID-19-Notstandsbefugnisse, um die Medien daran zu hindern, über Informationen aus inoffiziellen Quellen zu berichten, und mehrere Medien und Journalisten wurden in diesem Monat gezwungen, Artikel und Beiträge in sozialen Medien zu bearbeiten (FH 3.3.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• AI - Amnesty International (7.4.2021): Armenien 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument /2048848.html, Zugriff 9.4.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Armenia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2048576.html, Zugriff 13.4.2021
• RSF - Reporter ohne Grenzen (21.4.2020): Rangliste der Pressefreiheit 2020, https://ww
w.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2020/ Rangliste_der_Pressefreiheit_2020_-_RSF.pdf, Zugriff 8.4.2021
• USDOS – U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
8.4.2021
• Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung: 06.10.2021
Die Verfassung und das Gesetz sehen die Freiheit der friedlichen Versammlung und der Vereinigung vor. Die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen, schränkte aber die Versammlungsfreiheit unter dem mit COVID-19 verbundenen Ausnahmezustand und der konfliktbedingten Verhängung des Kriegsrechts ein (USDOS 30.3.2021; vgl. AI 7.4.2021, FH 3.3.2021). Die Verfassung (Art. 44) garantiert das Recht auf Organisation von und Teilnahme an „friedlichenund nicht bewaffneten“ Versammlungen. Das Versammlungsgesetz entspricht EU-und anderen internationalen Standards. Die Versammlungsfreiheit wird durch die Polizei respektiert. Die Massendemonstrationen im April/Mai 2018 (sog. „Samtene Revolutiuon“) verliefen friedlich.
Beide Seiten –Demonstranten wie Sicherheitskräfte –zeigten große Zurückhaltung und Verantwortungsbewusstsein, damit die Lage nicht eskaliere. Nur in wenigen Fällen wurde der Polizei von den Demonstranten vorgeworfen, in unangemessener Weise gegen sie vorgegangen zu sein (AA 20.6.2021).
Vom 11. November bis zum Jahresende hielt die Opposition in ganz Eriwan Kundgebungen und andere Protestaktionen ab und forderte den Rücktritt von Premierminister Pashinyan. Vor der Aufhebung des Versammlungsverbots am 2. Dezember nahm die Polizei gelegentlich Oppositionsführer und Kundgebungsteilnehmer wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen des Kriegsrechts fest. Während einige behaupteten, die Verhaftungen seien politisch motiviert, wiesen Menschenrechtsorganisationen diese Behauptungen weitgehend zurück (USDOS 30.3.2021).
Der Schutz und die Zugänglichkeit des Rechts auf Versammlungsfreiheit haben sich durch die politischen Veränderungen der imApril 2018 abgehaltenen Versammlungen erheblich verbessert (HCA 1.2019). Die 194 im Jahr 2019 durchgeführten Versammlungen in Jerewan waren ihrer Natur nach extrem divers, jedoch wurde die Versammlungsfreiheit durch Polizeiinterventionen öfters gestört (HCA 25.2.2020).
Versammlungen können ohne vorherige Genehmigung, aber nach Benachrichtigung der Behörden abgehalten werden. Darüber hinaus sieht dieses Gesetz vor, dass die Polizei unabhängig von der Art der Versammlung verpflichtet ist, für Sicherheit zu sorgen und Demonstrationen zu ermöglichen, solange sie friedlich sind. Einige problematische Gesetzesbestimmungen schränken die Versammlungsfreiheit jedoch ein. So erlaubt das Gesetz beispielsweise nicht, dass sich Menschen vor dem Eingang bestimmter öffentlicher Gebäude versammeln (OHCHR 16.11.2018).
Die Vereinigungsfreiheit hat Verfassungsrang. Die Gesetzgebung entspricht im Wesentlichen internationalen Standards, weist aber in der Umsetzung Defizite auf (AA 20.6.2021). Das Gesetz schützt das Recht der Arbeitnehmer, unabhängige Gewerkschaften zu gründen und ihnen beizutreten, zu streiken und Tarifverhandlungen zu führen. Dieser Schutz wird jedoch nicht gut durchgesetzt, und die Arbeitgeber sind in der Regel in der Lage, Gewerkschaftsaktivitäten in der Praxis zu blockieren (FH 3.3.2021).
Kleine politische Parteien waren besonders aktiv in ihrem öffentlichen Widerstand gegen das
Waffenstillstandsabkommen vom November 2020, das den Konflikt in Berg-Karabach beendete. Ende Dezember 2020 wurden Änderungen des Parteiengesetzes im Parlament verabschiedet. Die Änderungen binden die öffentliche Finanzierung politischer Parteien an die weibliche und landesweite Repräsentation und begrenzen individuelle Spenden (FH 3.3.2021).
Das Gesetz schränkt weder die Registrierung noch die Tätigkeit von politischen Parteien ein (USDOS 30.3.2021).
Es gibt keine Berichte darüber, dass Personen, die im Ausland politisch aktiv waren, nach ihrer Rückkehr nach Armenien Repressionen erfahren hätten (AA 20.6.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2
0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• AI - Amnesty International (7.4.2021): Armenien 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048848.html , Zugriff 9.4.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Armenia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2048576.html, Zugriff 13.4.2021
• HCA – Helsinki Committee of Armenia (1.2019): Human Rights in Armenia 2018 Report, Ditord Observer #1 (73), http://armhels.com/wp-content/uploads/2019/03/Ditord-2019En gl_Ditord-2019arm-1.pdf , Zugriff 24.6.2020
• HCA – Helsinki Committee of Armenia (25.2.2020): Human Rights in Armenia – 2019 Report, http://armhels.com/wp-content/uploads/2020/02/Ditord-2020Eng_Ditord-2019ar m-2.pdf , Zugriff 24.6.2020
• OHCHR – UN Office of the High Commissioner for Human Rights (16.11.2018): Statement by the United Nations Special Rapporteur on the rights to freedom of peaceful assembly and of association, Clément Nyaletsossi VOULE, at the conclusion of his visit to the Republic of Armenia, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?New sID=23882&LangID=E , Zugriff 27.3.2019
• USDOS – U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
8.4.2021
• Haftbedingungen
Letzte Änderung: 06.10.2021
Die Haftbedingungen waren geprägt von schlechten sanitären Verhältnissen, unzureichender medizinischer Versorgung, Ausbeutung durch hierarchische kriminelle Strukturen und waren in einigen Fällen hart und potenziell lebensbedrohlich. Insbesondere traf dies bei Angehörigen sexueller Minderheiten zu. Überbelegung war grundsätzlich kein Problem mehr. In den meisten Gefängnissen fehlte es weiterhin an Unterbringungsmöglichkeiten für Insassen mit Behinderungen (USDOS 30.3.2021).
Laut dem Ombudsmann und der PMG (Prison Monitoring Group) waren die Straflosigkeit im Zusammenhang mit dem Tod von Insassen und das Fehlen eines systemischen Ansatzes zu deren Verhinderung weiterhin eines der größten Menschenrechtsprobleme im Gefängnis. Es gab keine Untersuchungen über die Umstände von Todesfällen aufgrund von Krankheiten. Das Büro des Ombudsmanns und die PMG wiesen weiterhin auf die Notwendigkeit einer besseren psychologischen Betreuung in den Gefängnissen hin (USDOS 30.3.2021).
Es existieren in Armenien 12 Haftanstalten, darunter ein Krankenhausgefängnis. Drei Haftanstalten befinden sich in Jerewan, die übrigen in den Provinzen. Die Haftanstalt Abovyan ist für die Unterbringung von Frauen und Jugendlichen vorgesehen. Der bauliche Zustand der Haftanstalten unterscheidet sich erheblich. Am besten sind die Haftbedingungen in der Anstalt Armavir. Häftlinge aus anderen Anstalten, insbesondere zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte, werden vermehrt nach Armavir verlegt. Die Zellen sind ausreichend groß und beleuchtet. Ausreichende Belüftung ist zum Teil, Heizung stets sichergestellt. Die hygienischen Verhältnisse sind insgesamt zufriedenstellend. Die Sicherstellung einer regelmäßigen Versorgung mit
Nahrung ist aufgrund bestehender Regulierungen des staatlichen Beschaffungswesens zum
Teil problematisch. Spezielle Angebote für Sport/Freizeitaktivitäten existieren in der Regel nicht. Fälle von willkürlicher Gewalt durch Gefängnispersonal stellen die Ausnahme dar. Allerdings ist der Schutz vor Gewalt von Insassen untereinander nicht immer gewährleistet. Probleme bereitet die gesundheitliche Versorgung. So gibt es zu wenig medizinisches Personal in den Krankenstationen. Ein Projekt des Europarats hat durch die Bereitstellung medizinischer Geräte sowie entsprechende Schulung des Gefängnispersonals zur deutlichen Verbesserung der Bedingungen in elf Gefängnissen geführt. Die Situation der Überbelegung hat sich, mit Ausnahme der Haftanstalt Nurbarashen, verbessert (AA 20.6.2021).
Die Regierung bekräftigte ihre Null-Toleranz-Politik gegenüber Korruption in den Gefängnissen und drückte ihre Entschlossenheit aus, die organisierte hierarchische kriminelle Struktur, die das Gefängnisleben beherrschte, aufzulösen, in der ausgewählte Insassen (sogenannte „Beobachter“) an der Spitze der informellen Gefängnishierarchie die Insassenpopulation und das Gefängnisleben kontrollierten. Um der Korruption sowie dem Personalmangel in den Gefängnissen zu begegnen, erhöhte die Regierung im Januar die Gehälter der Strafvollzugsbeamten um 30 Prozent (USDOS 30.3.2021).
Die Behörden führten keine zeitnahen Untersuchungen zu glaubwürdigen Misshandlungsvorwürfen durch. Verurteilte und Inhaftierte hatten nicht immer angemessenen Zugang zu Besuchern, da es an geeigneten Räumlichkeiten für Besuche fehlte. Besuche waren im Laufe des Jahres auch wegen der COVID-19-Pandemie eingeschränkt. Die Regierung erlaubte in der Regel inländischen und internationalen Menschenrechtsgruppen, einschließlich des Komitees zur Verhütung von Folter des Europarats, die Bedingungen in Gefängnissen und Haftanstalten zu überwachen, und sie taten dies regelmäßig. Die Behörden erlaubten den Beobachtern, privat mit Gefangenen zu sprechen, und erlaubten dem IKRK, Gefängnisse und Untersuchungshaftanstalten zu besuchen (USDOS 30.3.2021).
Im Laufe des Jahres wurde das Pilotprogramm zur Gefängnisverpflegung, das zunächst in zwei Justizvollzugsanstalten gestartet wurde, auf alle 12 Justizvollzugsanstalten des Landes ausgeweitet. Nach Angaben der PMG verbesserte sich die Qualität der Verpflegung der Gefangenen. Beobachter berichteten über signifikante Verbesserungen während des Jahres bei der vorzeitigen Entlassung und Entlassung auf Bewährung von Gefangenen, die zu lebenslanger Haft verurteilt wurden (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• USDOS – U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
7.4.2021
• Todesstrafe
Letzte Änderung: 06.10.2021
Armenien hat im September 2003 die Todesstrafe abgeschafft; dies ist in Artikel 24 der Verfassung verankert (AA 20.6.2021 vgl. AI 21.4.2020, Standard 19.4.2003).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2
0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• AI – Amnesty International (21.4.2020): Death Sentences and Executions 2019, https:
//www.amnesty.org/download/Documents/ACT5018472020ENGLISH.PDF , Zugriff 24.4.2020
• Standard, der (19.4.2003): Armenien schafft Todesstrafe ab, https://derstandard.at/12762
61/Armenien-schafft-Todesstrafe-ab , Zugriff 7.4.2021
• Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 06.10.2021
Die Verfassung besagt, dass jeder die Freiheit des Denkens, des Gewissens und der Religion hat. Sie erkennt die Armenische Apostolische Kirche (AAK) als Nationalkirche und Bewahrer der nationalen Identität an, legt aber auch die Trennung von „religiösen Organisationen“ und dem Staat fest (USDOS 12.5.2021).
Die Religionsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert und darf nur durch Gesetze und nur soweit eingeschränkt werden, wie dies für den Schutz der staatlichen und öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral notwendig ist. Gemäß Verfassung wird zudem die Freiheit der Tätigkeit von religiösen Organisationen garantiert. Es gibt keine verlässlichen Angaben zum Anteil religiöser Minderheiten an der Gesamtbevölkerung; Schätzungen zufolge machen sie weniger als 5% aus. Auch in den 2015 beschlossenen Verfassungsänderungen genießt die Armenisch-Apostolische Kirche (AAK) nach wie vor Privilegien, die anderen Religionsgemeinschaften nicht zuerkannt werden (Zulässigkeit der Eröffnung von Schulen, Herausgabe kirchengeschichtlicher Lehrbücher, Steuervorteile u. a. bei Importen, Wehrdienstbefreiung von Geistlichen, Kirchenbau). Bei der Diskussion über ein überfälliges und erst Ende 2017 verabschiedetes Gesetz gegen häusliche Gewalt spielte die Kirche eine konstruktive Rolle. Zunehmend nimmt die Kirche ihre soziale Verantwortung wahr (etwa durch Aufbau von Jugendzentren). Religionsgemeinschaften sind nicht verpflichtet, sich registrieren zu lassen. Religiöse Organisationen mit mindestens 200 Anhängern können sich jedoch amtlich registrieren lassen und dürfen dann Zeitungen und Zeitschriften mit einer Auflage von mehr als 1.000 Exemplaren veröffentlichen, regierungseigene Gelände nutzen, Fernseh- oder Radioprogramme senden und als Organisation Besucher aus dem Ausland einladen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Religionsgemeinschaften die Registrierung verweigert wurde bzw. wird. Bekehrungen durch religiöse Minderheiten sind zwar gesetzlich verboten; missionarisch aktive Glaubensgemeinschaften wie die Zeugen Jehovas oder die Mormonen sind jedoch tätig und werden staatlich nicht behindert. Dies wird von offiziellen Vertretern der Zeugen Jehovas bestätigt (AA 20.6.2021).
Artikel 18 der Verfassung erkennt die armenisch-apostolische Kirche als „Nationalkirche“ an, die für die Erhaltung der armenischen nationalen Identität verantwortlich ist. 94 Prozent der Bevölkerung identifizieren sich als armenisch-apostolisch. Religiöse Minderheiten haben in der Vergangenheit über Diskriminierungen berichtet. Ein Tempel für Jesiden, eine der wichtigsten religiösen Minderheiten des Landes, wurde 2019 eröffnet (FH 3.3.2021). Mitglieder religiöser Minderheiten werden bei der Beschäftigung im öffentlichen Dienst diskriminiert (USDOS 30.3.2021).
Laut der Volkszählung von 2011 identifizieren sich etwa 92 Prozent der Bevölkerung als armenisch-apostolisch.Andere religiöse Gruppen umfassen römische Katholiken, armenische unierte (mekhitaristische) Katholiken, orthodoxe Christen und evangelikale Christen, einschließlich Anhänger der Armenischen Evangelischen Kirche, Angehörige der Pfingstkirche, Siebenten-TagsAdventisten, Baptisten, charismatische Christen und Zeugen Jehovas. Es gibt auch Anhänger der Kirche Jesu Christi und der Heiligen Apostolischen Katholischen Assyrischen Kirche des Ostens, Molokan-Christen, Yeziden, Juden, Baha’is, schiitische Muslime, sunnitische Muslime und Heiden, die Anhänger eines vorchristlichen Glaubens sind. Nach Angaben von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde gibt es etwa 800 bis 1.000 Juden im Land (USDOS 12.5.2021; vgl. CIA
10.5.2021).
Religiöse Minderheiten gaben an, dass sie weiterhin mit Hassreden und negativen Darstellungen ihrer Gemeinschaften konfrontiert sind, insbesondere in den sozialen Medien, obwohl viele von einem Rückgang der negativen Kommentare nach dem Ende der Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan berichteten. Beobachtern zufolge nahm der Antisemitismus im Land zu, nachdem von Israel gelieferte Waffen von Aserbaidschan während des Konflikts eingesetzt wurden. NachAngaben der Zeugen Jehovas gab es während des Jahres keine Fälle von verbaler Belästigung gegenüber den Mitgliedern der Gruppe. Gesellschaftlicher und familiärer Druck war weiterhin eine große Abschreckung für ethnische Armenier, eine andere Religion als den armenisch-apostolischen Glauben zu praktizieren (USDOS 12.5.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• CIA - Central Intelligence Agency (10.5.2021): The World Factbook, Armenia, People and Society, Religion, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/armenia/ , Zugriff 18.5.2021
• FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Armenia, https://freedomh ouse.org/country/armenia/freedom-world/2020 , Zugriff 24.4.2020
• USDOS – U.S. Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051506.html , Zugriff 18.5.2021
• USDOS – U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
9.4.2021
• Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung: 06.10.2021
Die Bevölkerung setzt sich aus ca. 96 Prozent armenischen Volkszugehörigen und ca. 4 Prozent
Angehörigen von Minderheiten (vor allem Jesiden, Russen, Kurden und Assyrer, denen nach der Verfassung bzw dem Wahlgesetz als den vier größten Minderheitengruppen jeweils ein Parlamentssitz zusteht) zusammen. Die Volkszugehörigkeit wird in armenischen Reisepässen nur eingetragen, wenn der Passinhaber dies beantragt. Die Verfassung garantiert nationalen Minderheiten das Recht, ihre kulturellen Traditionen und ihre Sprache zu bewahren, in der sie u.a. studieren und veröffentlichen dürfen. Zugleich verpflichtet ein Gesetz alle Kinder zu einer Schulausbildung in armenischer Sprache. Dennoch wird an einigen armenischen Schulen in
Gegenden mit jesidischer Bevölkerung (derzeit in 23 Dörfern) auch Unterricht in Jesidisch erteilt. Angehörige der jesidischen Minderheit berichten zwar immer wieder über Diskriminierungen, aber weder Jesiden noch andere Minderheiten sind Ziel systematischer und zielgerichteter staatlicher Repressionen (AA 20.6.2021).
Die größte Herausforderung für Minderheiten in Armenien ist ihre schiere Unsichtbarkeit in der Gesellschaft. Alle Minderheitengruppen zusammen machen weniger als 2 Prozent der armenischen Bevölkerung aus. Hinzu kommt, dass keine Minderheit in irgendeinem Teil des Landes die Mehrheit ausmacht und stattdessen in ganz Armenien verstreut lebt. Während die jüngsten Verfassungsänderungen dazu geführt haben, dass 2017 vier Minderheitenvertreter in das Parlament gewählt wurden, werden alle Regierungsgeschäfte weiterhin auf Armenisch geführt. Infolgedessen stehen Minderheiten nach wie vor Schwierigkeiten gegenüber, an Entscheidungen teilzunehmen, die ihr tägliches Leben betreffen, zumindest auf nationaler Ebene. Sie sind
weiterhin größtenteils nur auf lokaler Regierungsebene vertreten (MRGI 2019).
Für die vier größten ethnischen Minderheiten des Landes gibt es von der Regierung zugewiesene Sitze im Parlament: Jesiden, Kurden, die assyrische und die russische Gemeinschaft (USDOS 30.3.2021). Bis zu vier zusätzliche Sitze sind für Vertreter ethnischer Minderheiten reserviert, und weitere Sitze können hinzugefügt werden, um sicherzustellen, dass die Oppositionsparteien mindestens 30 Prozent der Sitze halten (FH 3.3.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Armenia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2048576.html, Zugriff 13.4.2021
• MRGI - Minority Rights Group International (2019): Armenia, https://minorityrights.org/cou ntry/armenia/ , Zugriff 24.6.2020
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
8.4.2021
• Relevante Bevölkerungsgruppen
• Frauen
Letzte Änderung: 06.10.2021
Männer und Frauen sind rechtlich gleichgestellt, aber Diskriminierung aufgrund des Geschlechts war sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor ein anhaltendes Problem. Sozioökonomische Faktoren, die Verantwortung von Frauen im Haushalt sowie fehlende Möglichkeiten für Frauen, Führungsqualitäten zu erwerben, spielten eine Rolle bei der Begrenzung der politischen Beteiligung von Frauen, ebenso wie ihr fehlender Zugang zu den informellen, von Männern dominierten Kommunikationsnetzwerken, die die Grundlage der Politik des Landes bilden. Auch fehlten den Frauen die notwendigen Förderungen und Mittel, um eine politische Karriere aufzubauen (USDOS 30.3.2021).
Es gibt keine Gesetze, die die Beteiligung von Frauen und Angehörigen von Minderheitengruppen am politischen Prozess einschränken, aber der patriarchalische Charakter der Gesellschaft verhinderte eine umfassende Beteiligung von Frauen am politischen und wirtschaftlichen Leben und an Entscheidungspositionen im öffentlichen Sektor. Weibliche Parlamentarier und andere weibliche Funktionäre sahen sich oft eher geschlechtsbezogenen Beleidigungen als inhaltlicher Kritik ausgesetzt (USDOS 30.3.2021).
Frauen sind in der Politik und der Regierung nach wie vor unterrepräsentiert und die meisten Parteien tun wenig, um die Interessen von Frauen zu berücksichtigen, abgesehen von der Erfüllung der Geschlechterquote auf den Kandidatenlisten. Berichten zufolge werden Frauen in der Arbeitswelt und im Bildungswesen diskriminiert, obwohl sie gesetzlich geschützt sind (FH
3.3.2021).
Glaubhafte Berichte über Zwangsheiraten liegen nicht vor (AA 20.6.2021).
Frauen genossen im Allgemeinen nicht die gleichen beruflichen Möglichkeiten oder Löhne wie
Männer, und die Arbeitgeber verwiesen sie oft auf niedere oder schlechter bezahlte Tätigkeiten. Das Arbeitsgesetz sieht zwar die „rechtliche Gleichstellung“ aller Parteien in einem Arbeitsverhältnis vor, verlangt aber nicht ausdrücklich gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Einem Bericht der Asiatischen Entwicklungsbank aus dem Jahr 2019 zufolge war die Erwerbsquote von Frauen niedriger als die von Männern, und Frauen arbeiteten häufiger in Teilzeitstellen. Der Bericht stellte auch fest, dass berufliche Stereotypen die Wahlmöglichkeiten von Frauen einschränkten und mehr als 60 Prozent der Frauen in nur drei Sektoren arbeiteten: Landwirtschaft, Bildung und Gesundheit. Frauen waren in Führungspositionen unterrepräsentiert, und nur eines von fünf kleinen oder mittleren Unternehmen hatte eine weibliche Inhaberin (USDOS 30.3.2021).
Vergewaltigung ist eine Straftat. Die Höchststrafe beträgt 15 Jahre. Allgemeine gesetzliche Bestimmungen zur Vergewaltigung gelten für die Verfolgung von Vergewaltigungen in der Ehe. Häusliche Gewalt wurde nach den allgemeinen Gesetzen, die sich mit Gewalt befassen, strafrechtlich verfolgt und führte je nach Anklage zu unterschiedlichen Strafen (Mord, Körperverletzung, leichte Körperverletzung, Vergewaltigung usw.). Die Strafverfolgungsbehörden untersuchten oder verfolgten die meisten Vorwürfe häuslicher Gewalt nicht effektiv. Häusliche Gewalt gegen Frauen war weit verbreitet und wurde durch die COVID-19-Beschränkungen der Bewegungsfreiheit noch verschärft. Einigen Beamten zufolge behinderte das Fehlen einer Definition von häuslicher Gewalt im Strafgesetzbuch ihre Fähigkeit, häusliche Gewalt zu bekämpfen (USDOS 30.3.2021).
Häusliche Gewalt ist weder ein eigenständiges Verbrechen noch ein erschwerender Umstand im Strafgesetzbuch und die armenische Gesetzgebung schützt die Opfer häuslicher Gewalt nicht effektiv (HRW 13.1.2021; vgl. USDOS 30.3.2021, FH 3.3.2021). Es gibt Berichte, dass die Polizei, insbesondere außerhalb von Jerewan, in Fällen häuslicher Gewalt nur ungern tätig wird und Frauen davon abhält, Anzeige zu erstatten. Die meisten Fälle häuslicher Gewalt werden per Gesetz als Vergehen von geringer oder mittlerer Schwere betrachtet und die Regierung stellt nicht genügend weibliche Polizeibeamte und Ermittlerinnen für die Arbeit vor Ort ein, um diese Verbrechen angemessen zu untersuchen. Die engen Definitionen im Gesetz zur Bekämpfung von Gewalt in der Familie verhinderten, dass Missbrauchsüberlebende, die nicht verheiratet waren oder in einer eheähnlichen Beziehung mit ihrem Partner lebten, Schutz und Unterstützung durch das Gesetz erhielten. Im Laufe des Jahres unterstützte die Regierung weiterhin Unterstützungszentren für Opfer häuslicher Gewalt im ganzen Land (USDOS 30.3.2021).
Das überfällige Gesetz gegen häusliche Gewalt wurde Ende 2017 vom Parlament verabschiedet. Die armenische Regierung hat im Januar 2018 das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert (AA 20.6.2021).
In Armenien gibt es nur ein (AA 20.6.2021) bzw. zwei Frauenhäuser für Opfer häuslicher Gewalt, die vom Women’s Rights Center betrieben werden und insgesamt Platz für 17 bis 20 Personen bieten (HRW 13.1.2021).
Trotzdem hat Armenien seit 2015 bedeutende Fortschritte bei der Schaffung und Verbesserung des Rechtsrahmens zur Bekämpfung häuslicher Gewalt gemacht. Wichtige gesetzgeberische Maßnahmen wurden von Sensibilisierungskampagnen begleitet, die zu einer öffentlichen Debatte und einem spürbaren Einstellungswandel zum Thema häusliche Gewalt führen. Trotz dieser begrüßenswerten Entwicklungen und sehr lobenswerten Bemühungen bleibt die häusliche Ge-
walt in Armenien ein schwerwiegendes, weit verbreitetes und teilweise noch unterschätztes Phänomen (CoE-CommDH 29.1.2019). Das neue Gesetz über häusliche Gewalt hat einige Elemente und Normen des Istanbuler Übereinkommens übernommen, verschiedene Formen häuslicher Gewalt definiert und den staatlichen Behörden eine positive Verpflichtung auferlegt, solche Gewalt zu verhindern und ihre Opfer zu schützen. Es verpflichtet die Behörden auch, eine nationale Strategie zur Bekämpfung häuslicher Gewalt zu entwickeln und umzusetzen, Unterkünfte für Opfer von Gewalt einzurichten, ihnen kostenlose medizinische Versorgung zu bieten und regelmäßige Schulungen für alle in diesem Bereich tätigen Fachleute durchzuführen (CoE-CommDH 29.1.2019).
Das Gesetz verlangt, dass bestimmte Dienstleistungen für diejenigen erbracht werden, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, es sieht aber keine Maßnahmen für monetäre Entschädigungen der Opfer vor. Die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen - Verwarnungen und Schutzanordnungen - reichen möglicherweise nicht aus, um die Menschenrechtsverpflichtungen des Landes zum Schutz der Betroffenen von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt zu erfüllen, dies infolge des Umfanges des Ermessensspielraum für die Strafverfolgungsbehörden und Richter, der vorgesehenen limitierten Fristen (z.B. Wegweisung) sowie der schwachen Konsequenzen, die Täter häuslicher Gewalt zu erwarten haben. Das Gesetz enthält zudem keine Details hinsichtlich der Beweislast, die für die Erlangung von Verwarnungen oder Schutzanordnungen oder für die strafrechtliche Verfolgung von Tätern häuslicher Gewalt erforderlich ist. Es ist letztendlich nicht klar, ob das Gesetz für alle Paare gilt, oder nicht registrierte Ehen bzw. Lebensgemeinschaften ausnimmt (OHCHR 29.3.2018).
Die Tatsache, dass die Zahl der von der Polizei registrierten Vorfälle häuslicher Gewalt hoch ist, ist auf die gesetzlichen Anforderungen zurückzuführen, die 2017 verabschiedet wurden. Die Polizei ist nun verpflichtet, alle Aussagen in Bezug auf häusliche Gewalt zu registrieren, auch wenn das Opfer die Beschwerde zurückzieht. Es ist nicht bekannt, in wie vielen von der Polizei registrierten Fällen es einen positiven Ausgang gegeben hat und wie viele Opfer tatsächlich Unterstützung erhielten. Das Gesetz regelt nicht effektiv schnelle Reaktion und Schutzmaßnahmen, die nach der Erklärung über häusliche Gewalt zu ergreifen sind. Ernsthafte Probleme entstehen nach der polizeilichen Verwarnung nach der ersten Anzeige, wenn sich die Situation in der Familie weiter verschärft. Ein klarer Mechanismus für weiteren Schutz wird jedoch nicht vorgegeben. Die Mechanismen zur Verhinderung der Verletzung von Schutzmaßnahmen durch den Täter und die Sanktionen, die im Falle solcher Verletzungen angewendet werden, sind nicht effizient. Im Hinblick auf die Sicherung eines gesetzlich vorgeschriebenen Präventions- und Schutzmechanismus wurden im ersten Quartal 2019 in Armenien soziale Unterstützungszentren eingerichtet: drei in Jerewan und weitere in Vanadzor, Gjumri und Kapan. Diese Zentren haben die Aufgabe, Familien durch Sozialarbeiter zu unterstützen, sobald Fälle von häuslicher Gewalt bekannt werden. Allerdings haben die Zentren bisher wenig Vertrauen genossen, und ihre Funktionen sind noch nicht vollständig geklärt. Gewaltopfer weigern sich aus verschiedenen Gründen, die Zentren zu besuchen; z.B. weil das Zentrum zu weit von ihnen entfernt liegt, oder weil die Opfer nicht über ihre häuslichen Probleme sprechen möchten (HCA 25.2.2020).
Im Global Gender Gap Index 2020 nahm Armenien Rang 98 von 153 Ländern ein. In den Unterkategorien Gesundheit Rang 148 und politische Teilhabe Rang 114 (von 152) sowie in der Unterkategorie „Teilhabe an der Bildung“ Rang 45 (WEF 2020).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• CoE-CommDH – Council of Europe - Commissioner for Human Rights (29.1.2019): Report on the Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Dunja Mijatović following her visit to Armenia from 16 to 20 September 2018 [CommDH(2019)1], https://www.ecoi.n et/en/file/local/2002632/CommDH%282019%291+-+Report+on+Armenia_EN.docx.pdf , Zugriff 26.3.2019
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Armenia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2048576.html, Zugriff 13.4.2021
• HCA – Helsinki Committee of Armenia (25.2.2020): Human Rights in Armenia – 2019 Report, http://armhels.com/wp-content/uploads/2020/02/Ditord-2020Eng_Ditord-2019ar m-2.pdf , Zugriff 24.6.2020
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Armenia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2043515.html, Zugriff 15.2.2021
• OHCHR – UN Office of the High Commissioner for Human Rights (29.3.2018): Mandates of the Special Rapporteur in the field of cultural rights; the Special Rapporteur on violence against women, its causes and consequences; and the Working Group on the issue of discriminationagainst women in law and in practice [OL ARM 1/2018] https://spcommrepo rts.ohchr.org/TMResultsBase/DownLoadPublicCommunicationFile?gId=23666 , Zugriff 26.3.2019
• USDOS – U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff 8.4.2021
• WEF – World Economic Forum (2020): Gender Gap Index 2020 – Armenia, https://report s.weforum.org/global-gender-gap-report-2020/the-global-gender-gap-index-2020/results -and-analysis/, Zugriff 24.2.2021
• Sexuelle Minderheiten
Letzte Änderung: 06.10.2021
Die Antidiskriminierungsgesetze bieten keinen Schutz für LGBTI-Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. Es gab keine Gesetze gegen Hassverbrechen oder andere strafrechtliche Mechanismen, die bei der Verfolgung von Verbrechen gegen Mitglieder der LGBTI-Community helfen. Gesellschaftliche Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität wirkte sich negativ auf alle Lebensbereiche aus, einschließlich Beschäftigung, Wohnen, Familienbeziehungen und Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Anti-LGBTI-Stimmungen und Aufrufe zur Gewalt eskalierten in Zeiten des politischen Aktivismus. Viele Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, insbesondere Anhänger der früheren Regierung, bedienten sich einer Anti-LGBTI-Rhetorik und positionierten LGBTI-Personen oft als „Bedrohung für die nationale Sicherheit“. Transgender-Personen waren besonders gefährdet, physisch und psychisch misshandelt und belästigt zu werden (USDOS 30.3.2021).
Obwohl gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten im Jahr 2003 entkriminalisiert wurden, sind LGBT+-Personen weiterhin mit Gewalt und Misshandlung durch Polizei und Zivilisten konfrontiert, und es gibt keine Antidiskriminierungsgesetze zugunsten dieser Gruppe. Keine offen lebenden LGBT+-Personen haben an Wahlen teilgenommen oder wurden in ein öffentliches Amt in Armenien berufen (FH 3.3.2021). Die COVID-19-Krise verschärfte die rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten, denen LGBTI-Personen ausgesetzt sind (USDOS 30.3.2021).
Armenien rangiert 2020 unter 49 europäischen Ländern auf dem drittletzten Platz in Bezug auf die Gleichberechtigung sexueller Minderheiten (ILGA o.D.).
Das Strafgesetzbuch erkennt Homophobie und Transphobie nicht als erschwerende strafrechtliche Umstände bei Hassverbrechen an. Die öffentliche Debatte um die Ratifizierung der Istanbul-Konvention artete in hasserfüllte und abfällige Äußerungen gegen LGBT-Menschen durch einige öffentliche Vertreter aus (HRW 13.1.2021).
PINK Armenia, eine LGBT-Rechtsgruppe, dokumentierte 12 Vorfälle von körperlichen Angriffen aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität von Januar bis Juli 2020 und 10 Fälle von Drohungen und Aufrufen zu physischer und psychischer Gewalt (HRW 13.1.2021).
Die Angst vor Diskriminierung und die öffentliche Offenlegung ihrer sexuellen Orientierung hindert viele Angehörige sexueller Minderheiten, Verbrechen anzuzeigen (HRW 13.1.2021).
Offen schwule Männer sind vom Militärdienst befreit. Für eine Befreiung ist jedoch ein medizinischer Befund auf der Grundlage einer psychologischen Untersuchung erforderlich (USDOS 30.3.2021; vgl. HRW 14.1.2020), der auf eine psychische Störung hinweist; diese Information erscheint in den persönlichen Ausweispapieren der Person und ist ein Hindernis für die Beschäftigung und den Erhalt eines Führerscheins. Schwule Männer, die in der Armee dienten, waren Berichten zufolge physischem und psychischem Missbrauch sowie Erpressung durch Mitsoldaten und das Kommando ausgesetzt (USDOS 30.3.2021).
Einverständliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen sind seit der Strafrechtsreform von 2003 nicht mehr strafbar (AA 20.6.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World - Armenia, https://www.ecoi.net/d e/dokument/2048576.html, Zugriff 14.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Armenia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2043515.html , Zugriff 22.1.2021
• HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Armenia, https://www.hr
w.org/world-report/2020/country-chapters/armenia , Zugriff 16.1.2020
• ILGA-Europe - the European Region of the International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (o.D.): Rainbow Map – Counrty Ranking, https://rainbow-europe .org/country-ranking , Zugriff 24.6.2020
• USDOS – U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
9.4.2021
• Kinder
Letzte Änderung: 06.10.2021
Das ständige Gremium im Parlament, das Büro des Ombudsmannes und die Kommission zum Schutz der Rechte des Kindes sind mit der Umsetzung der relevanten Politiken und Gesetze beauftragt. Die Kommission sorgt auch für die Einbindung der Vertreter der Zivilgesellschaft in die Ausarbeitung und Umsetzung der nationalen Politik. Die Kinderschutzstrategie 20172021 unterstreicht die Notwendigkeit verbesserter Prinzipien und Kriterien für die Bereitstellung alternativer Betreuung (Implementierung und Ausbau von Pflegefamilien), Veranstaltungen zum Kapazitätsaufbau für Sozialarbeiter im Rahmen der Implementierung des integrierten sozialen Dienstleistungssystems (Muradyan 2019).
Kinder leiten die Staatsbürgerschaft von einem oder beiden Elternteilen ab. Ein zentralisiertes System erstellte eine ärztliche Geburtsbescheinigung, um die Umgehung der Geburtsregistrierung fast unmöglich zu machen. Obwohl Bildung bis zur 12. Klasse kostenlos und verpflichtend ist, war sie in der Praxis nicht universell. Kinder aus benachteiligten Familien und Gemeinschaften sowie Kinder mit Behinderungen hatten trotz der Bemühungen der Regierung, die Zahl der Vorschulkinder zu erhöhen, keinen Zugang zu Vorschulprogrammen. Etwas mehr als die Hälfte der Kinder zwischen drei und fünf Jahren profitierte von der Vorschulerziehung, in ländlichen Gegenden waren es weit weniger (USDOS 30.3.2021).
Die Einschulungs- und Anwesenheitsquoten von Kindern aus ethnischen Minderheitengruppen, insbesondere Yeziden, Kurden und Molokanern, lagen deutlich unter dem Durchschnitt, und die Abbrecherquoten nach der neunten Klasse waren höher. Nur wenige Schulen im ganzen Land boten jesidischen, assyrischen, kurdischen oder griechischen Sprachunterricht in der Primar- und Sekundarstufe an. Die globale Pandemie COVID-19 verringerte den Zugang zu Bildung und verschärfte die bestehenden Ungleichheiten. Die öffentliche Kritik richtete sich an die Regierung, weil sie nicht genügend Online-Unterricht oder virtuelle Lernalternativen anbot und es versäumte, alle Schüler gleichermaßen in den Bildungsprozess einzubeziehen, insbesondere Schüler mit Behinderungen. Die Regierung versuchte, die Lücken zu schließen, indem sie Fortbildungen für Lehrer anbot, Ressourcen für die technischeAusstattung bereitstellte und zusätzlichen Unterricht während des Sommers anbot (USDOS 30.3.2021).
Das gesetzliche Mindestalter für die Heirat liegt bei 18 Jahren. Berichten zufolge war die frühe
Verheiratung von Mädchen in den jesidischen Gemeinden weit verbreitet, was dazu führte, dass die Mädchen die Schule verließen. Die Regierung hat keine Maßnahmen ergriffen, um das Ausmaß des Problems zu dokumentieren oder gegen die Praxis vorzugehen. Das Gesetz verbietet die sexuelle Ausbeutung von Kindern und sieht Freiheitsstrafen von sieben bis 15 Jahren für die Verurteilung von Verstößen vor. Eine Verurteilung wegen Kinderpornografie wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren geahndet. Das Mindestalter für einvernehmlichen Sex liegt bei 16 Jahren (USDOS 30.3.2021).
In den meisten Fällen liegt das Mindestalter für die Beschäftigung bei 16 Jahren, aber Kinder dürfen mit Erlaubnis eines Elternteils oder eines Vormunds ab 14 Jahren arbeiten. Die maximale Dauer der Arbeitswoche beträgt 24 Stunden für Kinder, die 14 bis 16 Jahre alt sind und 36 Stunden für Kinder, die 16 bis 18 Jahre alt sind. Personen, die jünger als 18 Jahre sind, dürfen nicht in Überstunden, unter schädlichen, anstrengenden oder gefährlichen Bedingungen, in der Nacht oder an Feiertagen arbeiten. Die Behörden setzten die geltenden Gesetze nicht effektiv durch. Die Strafen für Verstöße entsprachen denen für andere schwere Straftaten, reichten aber nicht aus, um die Einhaltung zu erzwingen. Kinder, die jünger als 14 Jahre waren, arbeiteten in einer Vielzahl von Branchen, darunter in der Landwirtschaft, auf dem Bau und beim Betteln (USDOS 30.3.2021).
Kinder, die in Pflegeeinrichtungen untergebracht sind, sind einem besonders hohen Risiko des Menschenhandels ausgesetzt (FH 3.3.2021). Physische und psychische Gewalt gegen Kinder sowie entwürdigende Strafen sollen in Schulen, Internaten sowie Kinderheimen und
Waisenhäusern weiterhin verbreitet sein. Die Regierung versucht neue Ansätze beim Schutz der Kinderrechte zu finden. Es gibt keine Zwangsrekrutierung von Kindern (AA 20.6.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Armenia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2048576.html , Zugriff 13.4.2021
• Muradyan, Mariam (2019): Child protection and EU cooperation between Eastern Partnership countries during 2018, with a focus on Armenia, Georgia and Ukraine, https://repository.gchumanrights.org/bitstream/handle/20.500.11825/1571/12.Global%20 recent%20develop%20CES_2_2019.pdf?sequence=4&isAllowed=y, ZUgriff 25.5.2021
• USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
15.4.2021
• Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 06.10.2021
Das Gesetz sieht garantierte Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen, schränkte sie aber als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie ein (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021).
Aufgrund des zentralistischen Staatsaufbaus und der geringen territorialen Ausdehnung gibt es kaum Ausweichmöglichkeiten gegenüber zentralen Behörden. Bei Problemen mit lokalen Behörden oder mit Dritten kann jedoch ein Umzug Abhilfe schaffen (AA 20.6.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Armenia, https://www.ecoi .net/de/dokument/2048576.html, Zugriff 13.4.2021
• USDOS – U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
7.4.2021
• IDPs und Flüchtlinge
Letzte Änderung: 06.10.2021
Seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien kamen über 20.000 Flüchtlinge nach Armenien (99
Prozent armenisch-stämmige Christen), davon wurde ein Großteil aufgrund des gegenüber Immigranten armenischer Abstammung liberalen armenischen Staatsangehörigkeitsrechts mittlerweile eingebürgert. In kleinerem Maße treffen noch immer Flüchtlinge aus Syrien in Armenien ein. Die Integration ist aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage schwierig, auch wenn gerade die Flüchtlinge aus Syrien gut ausgebildet sind und oft unternehmerische Erfahrung sowie ein gutes Integrationspotential haben (AA 20.6.2021).
Der Krieg um Berg-Karabach führte nach armenischen Angaben zu ca. 90.000 Zufluchtsuchenden aus Berg-Karabach nach Armenien. Dabei handelt es sich überwiegend um Frauen und Kinder sowie Ältere. Etwas mehr als die Hälfte davon soll nach russischen Angaben – humanitäre Angelegenheiten in Berg-Karabach werden von einem russischen Büro in Berg-Karabach kontrolliert – inzwischen wieder in ihre Heimat, insbesondere nach Stepanakert, zurückgekehrt sein. Das Gros der Flüchtlinge sind bei Bekannten und Verwandten v. a. im Großraum Eriwan untergekommen. „Flüchtlingscamps“ existieren nach nicht. Die Versorgung der Flüchtlinge durch die Regierung ist unzureichend, die Flüchtlinge sind insoweit auf die Unterstützung durch ihre Netzwerke angewiesen (AA 20.6.2021).
Die Nationalversammlung hat den Aktionsplan der neuen Regierung gebilligt, der erstmals wesentliche Verweise auf Flüchtlinge und Migration enthält. Unzureichende Aufnahmekapazitäten, die Bestrafung von Asylbewerbern wegen illegaler Einreise und nationale Sicherheitserwägungen können einen wirksamen Flüchtlingsschutz behindern, obgleich Armenien Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention ist (UNHCR 2.2019).
Die Behörden boten ethnischen Armeniern aus Syrien, die im Land geblieben waren, weiterhin eine Reihe von Schutzoptionen an, darunter die beschleunigte Einbürgerung, eine Aufenthaltsgenehmigung oder den Flüchtlingsstatus. Die schnelle Einbürgerung gab den aus Syrien vertriebenen Personen den gleichen Rechtsanspruch auf Gesundheitsversorgung und die meisten anderen sozialen Dienste wie anderen Bürgern. Viele der landesweiten Reformen wie die Bereitstellung von mehr Sozialleistungen, höheren Renten und einer besser zugänglichen Gesundheitsversorgung kamen auch den Flüchtlingen zugute, die eingebürgert wurden (USDOS 30.3.2021).
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) leistet humanitäre Hilfe in Form von Bargeld und anderer Unterstützung für einige der am stärksten gefährdeten Personen. Die
Unterstützung umfasst Berufsausbildung, Mikrokredite, Instrumente zur Einkommenserzielung,
Ausbildung im lokalen Marketing sowie Beratung und Coaching. Während der COVID-19-Pandemie wird auch psychosoziale Unterstützung und Beratung angeboten. Darüber hinaus setzt sich das UNHCR auch für die sozialen und wirtschaftlichen Rechte von Syrern und anderen Vertriebenen ein und fördert ihre gleichberechtigte Einbeziehung in staatliche Programme und Entwicklungsprogramme mit Einheimischen (UNHCR 3.6.2020).
Laut dem Internal Displacement Monitoring Center lebten mit Stand Dezember 2018 etwa 8.400 Binnenvertriebene der geschätzten 65.000 Haushalte, die [im Zuge des Bergkarabach-Konfliktes] 1988-94 evakuiert wurden, noch in der Vertreibung. Einige der Binnenvertriebenen und ehemaligen Flüchtlinge des Landes haben keine angemessene Unterkunft und nur begrenzte wirtschaftliche Möglichkeiten. Die Regierung verfügte über keine spezifischen Programme und Strategien zur Förderung der sicheren, freiwilligen und würdigen Rückkehr, der Wiederansiedlung oder der lokalen Integration von Binnenvertriebenen. Nach Angaben der Regierung wurden durch die Kämpfe im Herbst ca. 100.000 Menschen vertrieben, obwohl Berichten zufolge einige von ihnen zurückkehrten (USDOS 30.3.2021).
Die Behörden arbeiteten mit dem Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen, Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen, Asylbewerbern, Staatenlosen oder anderen betroffenen Personen Schutz und Hilfe zu bieten. Es gab Berichte über nicht systembedingte Diskriminierung bei der Annahme von Anträgen und bei der Inhaftierung von Asylbewerbern aufgrund des Herkunftslandes, der Rasse oder der Religion des Asylbewerbers sowie über Schwierigkeiten bei der Integration. Kontaktpersonen aus der Zivilgesellschaft berichteten von diskriminierenden Haltungen und Misstrauen gegenüber ausländischen Migranten, die Arbeit suchen (USDOS 30.3.2021).
Das Gesetz sieht die Gewährung des Asyl- oder Flüchtlingsstatus vor, und die Regierung hat ein System zur Gewährung von Schutz für Flüchtlinge eingerichtet. Während des Ausnahmezustands von COVID-19 wurde ein elektronisches Asylsystem eingeführt. Ferndolmetscher (teilweise finanziert vom UNHCR) wurden bei Bedarf zur Verfügung gestellt, und die Prüfung der meisten Asylanträge wurde als fair bezeichnet. Das Gesetz berücksichtigt die besonderen Bedürfnisse von Kindern, Menschen mit geistigen Behinderungen und Traumaüberlebenden und erlaubt Haftanstalten, Asylanträge entgegenzunehmen. Das Gesetz wurde im Allgemeinen in dem Maße durchgesetzt, wie es die Ressourcen zuließen. Flüchtlinge, die keine ethnischen Armenier sind, können eine erleichterte Einbürgerung beantragen (USDOS 30.3.2021).
Das Gesetz sieht die Verleihung der Staatsbürgerschaft an staatenlose Kinder vor, die auf dem Territorium des Landes geboren wurden (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2
0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (2.2019): Fact Sheet Armenia, http://www.un.am/up/file/UNHCR%20Armenia%20Factsheet%20ENG%20as%20of%20 Feb%202019.pdf , Zugriff 25.3.2019
• UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (3.6.2020): UNHCR helps displaced Syrian-Armenians facing hardship amid pandemic, https://www.unhcr.org/ph /19353-unhcr-helps-displaced-syrian-armenians-facing-hardship-amid-pandemic.html , Zugriff 25.6.2020
• USDOS – U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048138.html , Zugriff
8.4.2021
• Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 06.10.2021
In Armenien ist ein breites Warenangebot in- und ausländischer Herkunft vorhanden. Auch umfangreiche ausländische Hilfsprogramme tragen zur Verbesserung der Lebenssituation von benachteiligten Gruppen bei. Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung ist nach wie vor finanziell nicht in der Lage, seine Versorgung mit den zum Leben notwendigen Gütern ohne Unterstützung durch humanitäre Organisationen sicherzustellen. Nach Schätzungen der Weltbank für 2019 leben 22,2 Prozent der Armenier unterhalb der Armutsgrenze. Ein Großteil der Bevölkerung
wird finanziell und durch Warensendungen von Verwandten im Ausland unterstützt. Das die Armutsgrenze bestimmende Existenzminimum beträgt in Armenien ca. 60.000 armenische Dram (AMD) im Monat, der offizielle Mindestlohn 55.000 AMD (= ca. 90 Euro). Das durchschnittliche Familieneinkommen ist mangels zuverlässiger Daten schwer einzuschätzen. Der Großteil der Armenier geht mehreren Erwerbstätigkeiten und darüber hinaus privaten Geschäften und Gelegenheitstätigkeiten nach (AA 20.6.2021). Das Durchschnittseinkommen beträgt AMD 192.450 pro Monat (IOM 2020). Trotz relativ günstiger Wachstumsraten ist es nicht gelungen, den Lebensstandard für breite Bevölkerungsteile spürbar zu erhöhen. Wegen der Corona-Krise 2020 ist er nun massiv bedroht (SWP 5.2020).
Der UNDP Human Development Index, ein Messwert zur Beurteilung der Humanentwicklung und der Ungleichheit, und ergab 2019 für Armenien einen Wert von 0.776 [Statistischer Bestwert ist 1] (zum Vergleich: der HDI von Österreich beträgt 0.922, Platz 18). Damit belegte Armenien Platz 81 von 189 Staaten (UNDP 2020).
Rohstoffgewinnung und deren Verarbeitung dominieren die armenische Industrie. Armenien hat über 480 bekannte Vorkommen mineralischer Rohstoffe und es gibt bedeutende Reserven von Metallen. Auch der Landwirtschaftssektor spielt eine wichtige Rolle. Das Wirtschaftswachstum konzentrierte sich bislang primär auf die Hauptstadt Jerewan. Das Entwicklungsgefälle zwischen der Hauptstadt und den übrigen Regionen des Landes bleibt groß. Die ländlichen Regionen haben eine hohe Unterbeschäftigung und niedriges Einkommen (WKO 1.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• IOM – Internationale Organisation für Migration (2020): Länderinformationsblatt Armenien
2020, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2020_Armenia_DE.pdf , Zugriff 16.2.2021
• SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (5.2020): Korruption und Korruptionsbekämpfung im Südkaukasus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2020S 08_suedkaukasus.pdf , Zugriff 12.6.2020
• UNDP - United Nations Development Programme (2021): Bericht über die menschliche Entwicklung 2020, http://hdr.undp.org/sites/default/files/hdr_2020_overview_german.pdf , Zugriff 26.5.2021
• WKO – Wirtschftskammer Österreich (1.2021): Wirtschaftsbericht Armenien, https://www. wko.at/service/aussenwirtschaft/armenien-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff 26.5.2021
• Sozialbeihilfen
Letzte Änderung: 02.06.2021
Das Ministerium für Arbeit und soziale Angelegenheiten verwaltet das Sozialschutzsystem in Armenien. Zu den wichtigsten Arten staatlicher Sozialleistungen in Armenien gehören: Familienbeihilfe, Sozialleistungen, dringende Unterstützungen, pauschales Kindergeld, Kinderbetreuungsgeld bis zum Alter von zwei Jahren, Leistungen bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit, Mutterschaftsgeld, Altersbeihilfe, Invaliditätsleistungen, Leistungen bei Verlust der geldverdienenden Person, Bestattungsgeld (IOM 2020).
Personen, die das 63. Lebensjahr vollendet und mindestens 10 Jahre Berufserfahrung haben, haben Anspruch auf eine arbeitsbedingte Rente. Personen, die keinen Anspruch auf eine arbeitsbedingte Rente haben, haben mit 65 Jahren Anspruch auf eine altersbedingte Rente. In Armenien gibt es zwei Kategorien von Renten: Arbeitsrenten umfassen Altersrenten, privilegierte Renten, Renten für langjährige Betriebszugehörigkeit, Invalidenrenten und Hinterbliebenenrenten. Militärrenten umfassen Renten für Langzeitdienstleistern, Invaliditätsrenten und Hinterbliebenenrenten (IOM 2020).
Der Pensionsanspruch gilt ab einem Alter von 63 mit mindestens 25 Jahren abgeschlossener Beschäftigung; ab einem Alter von 59 mit mindestens 25 Jahren Beschäftigung, wobei mindestens 20 Jahre erschwerte oder gefährlicher Arbeit vor dem 1. Januar 2014 oder mindestens 10 Jahre derartiger Arbeit nach dem 1. Januar 2014 verrichtet wurde; oder ab einem Alter von 55 mit mindestens 25 Jahren Beschäftigung, einschließlich mindestens 15 Jahre in Schwerst- oder gefährlicher Arbeit vor dem 1. Januar 2014 bzw. mindestens 7,5 Jahre in einer solchen nach dem 1. Januar 2014. Eine verringerte Pension steht nach mindestens zehnjähriger Anstellung, jedoch erst ab 65 zu. Bei Invalidität im Rahmen der Sozialversicherung sind zwischen zwei und zehn Jahre Anstellung Grundvoraussetzung, abhängig vom Alter des Versicherten beim Auftreten der Invalidität. Die Invaliditätspension hängt vom Grade der Invalidität ab. Unterhalb der erforderlichen Zeiten für eine Invaliditätspension besteht die Möglichkeit einer Sozialrente für Invalide in Form einer Sozialhilfe. Zur Pensionsberechnung werden die Studienjahre, die Wehrdienstzeit, die Zeit der Kinderbetreuung und die Arbeitslosenzeiten herangezogen. Die Alterspension im Rahmen der Sozialversicherung beträgt 100% der Basispension von AMD 16.000 monatlich zuzüglich eines variablen Bonus. Die Bonuspension macht AMD 500 monatlich für jedes Kalenderjahr ab dem elften Beschäftigungsjahr multipliziert mit einem personenspezifischen Koeffizienten, basierend auf der Länge der Dienstzeit (USSSA 3.2019).
Das Ministerium für Arbeit und Soziales (MLSA) implementiert Programme zur Unterstützung von schutzbedürftigen Personen: Behinderte, ältere Personen, RentnerInnen, Waisen, Opfer von Menschenhandel, Frauen und Kinder. Der Zugang zu diesen Leistungen erfolgt über die 51 Büros des staatlichen Sozialversicherungsservice (IOM 2020).
Die staatliche Arbeitsagentur bietet im Rahmen der Arbeitslosenunterstützung folgende Dienstleistungen an: Beratung und Information über die von der Agentur angebotenen Dienstleistungen, Beratung zur beruflichen Orientierung, Antrag auf freie Mitarbeit, Teilnahme an staatlichen Beschäftigungsprogrammen und -veranstaltungen, Berufsausbildung und Umschulung (IOM 2020).
Arbeitslosenunterstützung
2015 wurde die Arbeitslosenunterstützung zugunsten einer Einstellungsförderung eingestellt.
Zu dieser Förderung gehört auch die monetäre Unterstützung für Personen die am regulären Arbeitsmarkt nicht wettbewerbsfähig sind. Das Arbeitsgesetz von 2004 sieht ein Abfertigungssystem seitens der Arbeitgeber vor. Bei Betriebsauflösung oder Stellenabbau beträgt die Abfertigung ein durchschnittliches Monatssalär, bei anderen Gründen hängt die Entschädigung von der Dienstzeit ab, jedoch maximal 44 Tage im Falle von 15 Anstellungsjahren (USSSA 3.2019).
Quellen:
• IOM – Internationale Organisation für Migration (2020): Länderinformationsblatt Armenien
2020, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2020_Armenia_DE.pdf , Zugriff 16.2.2021
• USSSA – U.S. Social Security Administration [USA] (3.2019): Social Security Programs Throughout the World: Asia and the Pacific, 2018 – Armenia, https://www.ssa.gov/policy/d ocs/progdesc/ssptw/2018-2019/asia/armenia.pdf , Zugriff 18.5.2021
• Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 06.10.2021
Die medizinische Grundversorgung ist flächendeckend gewährleistet (AA 20.6.2021). Das Gesundheitssystem besteht aus einer staatlich garantierten und kostenlosen Absicherung sowie einer individuellen und freiwilligen Krankenversicherung. Jeder Mensch in der Republik Armenien hat Anspruch auf medizinische Hilfe und Dienstleistungen unabhängig von Nationalität, Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, Alter, politischen und sonstigen Überzeugungen, sozialer Herkunft, Eigentum oder sonstigem Status (IOM 2020). Die primäre medizinische Versorgung wird in der Regel entweder durch regionale Polikliniken oder ländliche Behandlungszentren erbracht. Die sekundäre medizinische Versorgung wird von regionalen Krankenhäusern und einigen der größeren Polikliniken mit speziellen ambulanten Diensten übernommen, während die tertiäre medizinische Versorgung größtenteils den staatlichen Krankenhäusern und einzelnen Spezialeinrichtungen in Jerewan vorbehalten ist (AA 20.6.2021).
Die primäre medizinische Versorgung ist grundsätzlich kostenfrei. Kostenlose medizinische
Versorgung gilt nur noch eingeschränkt für die sekundäre und die tertiäre Ebene. Das Fehlen einer staatlichen Krankenversicherung erschwert den Zugang zur medizinischen Versorgung insoweit, als für einen großen Teil der Bevölkerung die Finanzierung der kostenpflichtigen ärztlichen Behandlung extrem schwierig geworden ist. Viele Menschen sind nicht in der Lage, die Gesundheitsdienste aus eigener Tasche zu bezahlen. Der Abschluss einer privaten Krankenversicherung übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der meisten Familien bei weitem (AA
20.6.2021).
Armeniens Gesundheitssystem ist durch den Staat stark unterfinanziert; weniger als 1,6% des BIP werden für Gesundheitsausgaben aufgewendet (einer der niedrigsten Werte weltweit) und mehr als 50% aller Gesundheitsausgaben entfallen auf Direktzahlungen von Patienten (einer der höchsten Werte weltweit). Dies führt zu erheblichen Problemen beim Zugang, der Steuerung und der Qualität der Versorgung (EVN 22.3.2020). Die COVID-19-Pandemie im ersten Halbjahr 2020 hat das Gesundheitssystem noch weiter unter Druck gesetzt (ChH 4.6.2020) Das Gesundheitssystem leidet nicht unter einem Ärztemangel. Es besteht jedoch ein ernstes Missverhältnis zwischen ländlichen Gebieten und der Hauptstadt: Eriwan weist im Vergleich zum Rest des Landes eine übermäßige Konzentration von Ärzten auf. Im internationalen Vergleich gibt es in Armenien eine große Zahl von Fachärzten im Vergleich zu Allgemeinmedizinern (EVN
22.3.2020).
Informationen über soziale Bevölkerungsgruppen, die berechtigt sind, kostenlose Medikamente durch lokale Polikliniken zu erhalten, sind verfügbar unter: www.moh.am (IOM 2020).
Die Einfuhr von Medikamenten zum persönlichen Gebrauch ist auf 10 Arzneimittel, je 3 Packungen, beschränkt (IOM 2020).
Die armenische Verfassung von 1995 garantiert den universellen Anspruch auf medizinische Leistungen, die vom Staat finanziert werden sollten. Ab 1997 wurden aufgrund der Finanzierungsnöte die Ansprüche durch die Einführung des Basis-Leistungspakets (BBP) begrenzt, bei dem es sich um ein öffentlich finanziertes Paket handelt, das eine Liste von Dienstleistungen festlegt, die für die gesamte Bevölkerung kostenlos sind (weitgehend Grundversorgung, sanitärepidemiologische Dienstleistungen und Behandlung von rund 200 gesellschaftlich bedeutsamen Krankheiten) und die diejenigen Gruppen festlegt, die alle Dienstleistungen kostenlos erhalten sollten. Die unter den BBP fallenden Dienstleistungen und Bevölkerungsgruppen werden jährlich seitens der Regierung überprüft. Zu den Kategorien von Menschen, die nach dem BBP Anspruch auf kostenlose Gesundheitsleistungen haben, gehören Menschen mit Behinderungen, die je nach Schweregrad in die Gruppen I, II oder III eingeteilt sind; Kriegsveteranen; Hinterbliebene von Gefallenen, aktive Soldaten und ihre Familienmitglieder; generell Kindern unter sieben Jahren, unter 18 Jahren mit Behinderung, Kinder von vulnerablen Bevölkerungsgruppen oder Familien mit vier oder mehr Minderjährigen, von minderjährigen Elternteilen, Kindern ohne elterliches Sorgerecht oder aus Familien mit Menschen mit Behinderungen, Kinder in Pflegeheimen; alte Menschen in Pflegeheimen, Häftlinge, Opfer von Menschenhandel, Schutzsuchende und deren Familienmitglieder. D.h., wenn ein Patient unter das BBP fällt, ist die Behandlung kostenlos. Auch private medizinische Einrichtungen müssen kostenlose Dienstleistungen für die unter das BBP fallenden Personengruppen erbringen. Die Kosten übernimmt das Gesundheitsministerium. Gehört jedoch der Patient nicht zu einer der sozial schwachen oder besonderen Bevölkerungsgruppen, ist er nicht versichert oder fällt nicht unter ein „spezielles Krankheitsprogramm“ (z.B. AIDS, Tuberkulose, Psychiatrie, etc. sowie die teilweise Abdeckung anderer Erkrankungen, wie Krebs), so muss er für die erhaltene Behandlung bezahlen (MedCOI 2.2018; vgl. MedCOI 12.11.2019).
Für die stationäre Behandlung zahlreicher Erkrankungen und Leiden besteht ein komplexes System des Selbstbehalts (Co-Payment System), wodurch nicht die gesamten Kosten beim Patienten liegen. Ausgenommen sind wiederum Minderjährige und Personen, die unter das BBP hinsichtlich der Hospitalsbetreuung fallen, für die die gesamten Kosten übernommen werden. Wenn ein Patient eine Krankenhausbehandlung benötigt, nimmt die primäre medizinische Einrichtung (z.B. Poliklinik) eine Überweisung an den entsprechenden Krankenhausdienst vor. Die Hausärzte informieren die Patienten in der Regel über ihre Chance auf kostenlose Behandlung oder Zuzahlung in Krankenhäusern, die Dienstleistungen im Rahmen des BBP anbieten. Nach der Anmeldung hat der Patient oder sein gesetzlicher Vertreter den ersten erforderlichen Betrag seines Anteils an der Zuzahlung zu begleichen. Der Selbstbehalt (Zuzahlungsbetrag) kann vollständig oder schrittweise bezahlt werden, spätestens jedoch mit der Entlassung des Patienten aus dem Krankenhaus. Die staatliche Gesundheitsbehörde übernimmt den Rest der
Gesamtkosten nach der Analyse der monatlichen Finanzberichte der Krankenhäuser. Es gibt keine Rückerstattung und beide Parteien (Patient und Staat) zahlen ihren eigenen Anteil. Der Betrag, den jede Partei innerhalb des Zuzahlungssystems zahlen muss, ist kein fester Prozentsatz für alle betroffenen Krankheiten (MedCOI 2.2018; vgl. MedCOI 12.11.2019).
Ein Grundproblem der staatlichen medizinischen Fürsorge ist die schlechte Bezahlung des medizinischen Personals (für einen allgemein praktizierenden Arzt ca. EUR 250/Monat). Hochqualifizierte und motivierte Mediziner wandern in den privatärztlichen Bereich ab, wo Arbeitsbedingungen und Gehälter deutlich besser sind. Der Ausbildungsstand des medizinischen Personals ist zufriedenstellend. Die Ausstattung der staatlichen medizinischen Einrichtungen mit technischem Gerät ist dagegen teilweise mangelhaft. In einzelnen klinischen Einrichtungen – meist Privatkliniken – stehen hingegen moderne Untersuchungsmethoden wie Ultraschall, Mammographie sowie Computer- und Kernspintomographie zur Verfügung (AA 20.6.2021).
Die größeren Krankenhäuser in Eriwan sowie einige Krankenhäuser in den Regionen verfügen über psychiatrische Abteilungen und Fachpersonal. Die technischen Untersuchungsmöglichkeiten haben sich durch neue Geräte verbessert. Die Behandlung von posttraumatischem Belastungssyndrom (PTBS) und Depressionen ist auf gutem Standard gewährleistet und erfolgt kostenlos. Die Anzahl der kostenlosen Behandlungsplätze für Dialyse ist begrenzt, aber gegen Bezahlung von ca USD 100 jederzeit möglich. Selbst Inhaber kostenloser Behandlungsplätze müssen aber noch in geringem Umfang zuzahlen. Derzeit ist die Dialysebehandlung in fünf Krankenhäusern in Eriwan möglich, auch in den Städten Armavir, Gjumri, Kapan, Noyemberyan und Vanadsor sind die Krankenhäuser entsprechend ausgestattet (AA 20.6.2021).
Problematisch ist die Verfügbarkeit von Medikamenten, da nicht immer alle Präparate vorhanden sind (AA 20.6.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• ChH – Chatham House (4.6.2020): South Caucasus States Set to Diverge Further due to COVID-19, https://www.chathamhouse.org/expert/comment/south-caucasus-states-set-di verge-further-due-covid-19 , Zugriff 5.6.2020
• EVN Report / Shant Shekherdimian, Nerses Kopalyan (22.3.2020): Armenia Combats the Coronavirus: State Capacity and the Diaspora, https://www.evnreport.com/readers-forum/ armenia-combats-the-coronavirus-state-capacity-and-the-diaspora , Zugriff 24.4.2020
• IOM – International Organization for Migration (2020): Länderinformationsblatt Armenien
2020, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2020_Armenia_DE.pdf , Zugriff 16.2.2021
• MedCOI - Medical Country of Origin Information (2.2018) : Country Fact Sheet Access to Healthcare: Armenia, MedCOI-Datenbank, Zugriff 25.3.2019
• MedCOI - Medical Country of Origin Information / Belgian Desk onAccessibility (12.11.2019):
BDA 7075, Zugriff 24.6.2020
• Rückkehr
Letzte Änderung: 06.10.2021
Rückkehrende werden grundsätzlich nach Ankunft in die Gesellschaft integriert. Sie haben Zugang zu allen Berufsgruppen, auch im Staatsdienst, und überdurchschnittlich gute Chancen, Arbeit zu finden. Für rückkehrende Migranten wurde ein Beratungszentrum geschaffen; es handelt sich um ein Projekt der französischen Büros für Einwanderung und Migration. Rückkehrer können sich auch an den armenischen Migrationsdienst wenden, der ihnen mit vorübergehender Unterkunft und Beratung zur Seite steht. Fälle, in denen Rückkehrer festgenommen oder misshandelt wurden, sind nicht bekannt (AA 20.6.2021).
Seit 2019 führ der Migrationsdienst der Republik Armenien das „Staatliche Programm zur primären Unterstützung der Wiedereingliederung von zurückgekehrten (einschließlich unfreiwillig zurückgekehrten) StaatsbürgerInnen in die Republik Armenien“ durch. Das Programm bietet armenischen StaatsbürgerInnen, die nach Armenien zurückkehren primäre Unterstützung, um ihre vollständige und nachhaltige Wiedereingliederung zu gewährleisten (IOM 2020).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2021): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: 4.2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2056110/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_absch iebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_April_2021%29%2C_2 0.06.2021.pdf , Zugriff 20.7.2021
• IOM – International Organization for Migration (2020): Länderinformationsblatt Armenien
2020, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2020_Armenia_DE.pdf , Zugriff 18.5.2021
II.2. Beweiswürdigung:
II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
II.2.2. Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich der BF ergeben sich aus ihren in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben sowie den Sprach- und Ortskenntnissen und der Identifizierung durch die Botschaft von Armenien, welche die Heimreisezertifikate ausstellte.
II.2.3. Die Feststellungen betreffend die von der BF in Anspruch genommenen Leistungen der Grundversorgung ergeben sich zweifelsfrei aus dem amtswegig angefertigten Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich.
Der BF1 und die BF2 wurden am 04.11.2021 (rk. 09.11.2021) vom LG Klagenfurt, XXXX wegen §§ 223 Abs 2 und 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt, Probezeit drei Jahre, verurteilt.
Den Daten des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister kann schließlich entnommen werden, dass der Aufenthalt der BF im Bundesgebiet nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG 2005 geduldet war. Hinweise darauf, dass sein weiterer Aufenthalt zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig wäre oder der Beschwerdeführer im Bundesgebiet Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO wurde, kamen im Verfahren nicht hervor und es wurde auch kein dahingehendes Vorbringen erstattet, sodass keine dahingehenden positiven Feststellungen getroffen werden können.
II.2.4. Zu der getroffenen Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges- handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu.
Die BF traten auch den Quellen und deren Kernaussagen nicht konkret und substantiiert entgegen.
II.2.5. In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene freie Beweiswürdigung (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305) im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze im Wesentlichen von ihrem objektiven Aussagekern her in sich schlüssig und stimmig ist.
II.2.6. Zum Erstverfahren und dem nunmehrigen Fluchtvorbringen:
Vom BF1 wurde seinerzeit ausgeführt, „dass er als Schafhirte gearbeitet hätte, in Syrien herrsche Krieg und er wäre von Soldaten bedroht worden. Auch hätten ihm die Soldaten Schafe gestohlen und seinen Cousin getötet. Es wären aber auch generell viele Verwandte im Krieg ums Leben gekommen.“ Die BF2, BF3 und BF4 hatten keine eigenen Fluchtgründe und bezogen sich auf die Gründe des BF1. Auch für die am XXXX geborene BF5 wurden von der BF2 keine eigenen Gründe vorgebracht. Andere bzw. weitere Gründe wurden von den BF zu keiner Zeit vorgebracht. Die Anträge auf internationalen Schutz der BF1 bis BF4 wurden aufgrund der Unglaubwürdigkeit folglich mit Bescheiden der belangten Behörde vom 07.10.2013 gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den angenommenen Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in den angenommenen Herkunftsstaat Armenien verfügt (Spruchpunkt III.).
Nach Beschwerdeerhebung wurden die Bescheide vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 22.04.2014 gemäß § 28 Abs 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt zurückverwiesen. Die Anträge der BF auf internationalen Schutz wurden folglich mit Bescheiden der belangten Behörde vom 26.11.2015 neuerlich gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55, 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die BF Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 4 FPG werde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt. Gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 wurde der Beschwerde gegen die Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Eine dagegen gerichtete Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht als unbegründet abgewiesen. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde vom VwGH mit Beschluss zurückgewiesen. Die Erkenntnisse des BVwG erwuchsen sohin mit 19.10.2021 in Rechtskraft und kamen die BF der Ausreiseverpflichtung beharrlich nicht nach.
Seit dem ersten Antrag am 05.01.2013 bis zum 13.06.2019 täuschten die BF wissentlich und absichtlich über ihre wahre Identität und führten aus, dass sie aus Syrien stammen würden. Mehrere Sprachgutachten zum Trotz blieben sie beharrlich dabei, nicht aus Armenien, sondern aus Syrien zu stammen. Erst nachdem sie am 13.06.2019 von der armenischen Botschaft als Staatsangehörige von Armenien identifiziert wurden, konnten sie ihre wahre Identität nicht mehr leugnen. Nachdem ihre wahre Identität nun feststand, flüchteten die BF nachweislich spätestens am 19.08.2019 rechtswidrig nach Deutschland, wo sie abermals Anträge auf internationalen Schutz stellten. Am 30.06.2021 wurden die BF im Rahmen der Dublin-III Verordnung von Deutschland nach Österreich überstellt. Nach Ankunft im Bundesgebiet stellten die BF gegenständlichen Folgeantrag.
II.2.7. Den Folgeantrag begründete der BF1 damit, dass er in Armenien Probleme mit dem Schwiegervater hätte. Dieser hätte ihm und seiner Familie Blutrache geschworen, weil er 2007 dessen Tochter, die BF2, entführt und geehelicht habe. In der Einvernahme vor dem Bundesamt führte er dann aus, dass der Neffe seines Vaters vom Neffen des Schwiegervaters getötet worden sei. Dies dürfte der Grund für die Streitigkeiten sein. Er hätte dann die BF2 entführt und geheiratet. Aufgrund er Hochzeit hätten auch seine Eltern den Kontakt zu ihm abgebrochen. Diese Umstände hätten auch schon im Vorverfahren Bestand gehabt, er hätte jedoch aus Angst um sich und seine Familie darüber geschwiegen. Zum Tod des Neffen ist es dem BF1 lediglich möglich bekannt zu geben, dass sich der Vorfall vor ca. 15 Jahren ereignet hätte und in einem Streit zweier Personen eine dritte Person hinzugekommen wäre. Mit einem dumpfen Gegenstand hätte dann eine Person dem anderen auf den Kopf geschlagen und diese Person sei dann verblutet.
Auch die BF2 führte aus, dass sie 2007 vom BF1 mit ihrer Einwilligung entführt worden sei. Auch sie werde deswegen von ihrem Vater verfolgt. In der Einvernahme teilte sie dann mit, dass es zwischen ihrer Familie und der Familie ihres Gatten immer diesen Konflikt gegeben hätte. Sie hätte kein normales Leben in Armenien führen können. Konkret zu diesem Vorfall befragt, teilte sie vage und mit, dass es zu einem Mord gekommen wäre. An Details könne sie sich jedoch nicht erinnern. Zudem hätten die Eltern beider Familien eine Heirat zwischen ihr und dem BF1 nicht zugestimmt, weswegen sie heimlich geheiratet hätten. Dabei führt sie noch annähernd gleichlautend und genau so vage wie der BF1 aus, dass einer Person mit einem Gegenstand auf den Kopf geschlagen worden wäre und schlussendlich verblutete. Massiv auffällig zum BF1 gibt sie jedoch bekannt, dass es sich beim Opfer um einen Neffen ihres Vaters und beim Täter um einen Verwandten ihres Schwiegervaters gehandelt hätte. In der Version des BF1 handelte es sich beim Opfer ja um den Neffen seines Vaters und beim Täter um den Neffen des Schwiegervaters. Auch teilte der BF1 in seiner Einvernahme mit, dass der Tätet verurteilt wurde und in das Gefängnis musste. Die BF2 konnte dies so nicht bestätigen und gab auf die Frage, ob der Täter angezeigt wurde zur Antwort „Nein, ich glaube nicht.“ Auch auf die Fragen nach Zeugen konnte sie nur ausweichend bekannt geben, dass es die Dorfbewohner mitbekommen hätten. Zudem gäbe es im Spital Todesbücher, mehr wisse sie nicht. Die BF bringen demnach eine Geschichte vor, die ihnen seit 15 Jahren bekannt ist und welche zur Ausreise und der Aufgabe des bis dahin in Armenien stattfindenden Lebens sorgte. Trotz dieses einschneidenden Erlebnisses ist es ihnen nicht möglich, gleichlautende und nachvollziehbare Angaben zu machen. Dieses Vorbringen ist deswegen aufgrund der mehr als bescheidenen Angaben und der massiven Widersprüche hinsichtlich des Opfers absolut unglaubwürdig. So wäre einmal der Neffe des Vaters des BF1 das Opfer, einmal der Neffe des Vaters der BF2 und umgekehrt würde es sich bei den Tätern ebenfalls um Verwandte des Vaters des BF1 oder der BF2 handeln. Auch beschreibt der BF1 die Tat damit, dass zwei Personen eine verbale Auseinandersetzung gehabt hätten und eine dritte Person dazugekommen sei, welche einem der beiden Kontrahenten einen Schlag mit einem dumpfen Gegenstand auf den Kopf versetzte.
Zudem führt der BF1 aus, dass er den Kontakt zu seinen Eltern abbrach, weil seine Gattin die Tochter eines Feindes wäre. Die BF2 führt dessen ungeachtet aus, dass sie seit 2007 mit dem BF1 eine Beziehung und ihn in weiterer Folge geehelicht hätte. Die letzten sechs Jahre vor der Ausreise hätte sie deswegen mit ihrem Gatten bei dessen Eltern auf deren Landwirtschaft gelebt. Sie hätte dort sowohl im Haus als auch in der Landwirtschaft mitgeholfen. Dieses Vorbringen ist in logischer Konsequenz nicht mit den Angaben des BF1 vereinbar. Dieser führte ja aus, dass er wegen seiner Frau, die Tochter eines Feindes seiner Eltern, sogar den Kontakt zu seinen Eltern abbrach. Dennoch hätten sie sechs Jahre lang bis zum Tag der Ausreise bei den Eltern des BF1 gelebt und gearbeitet. Im – neuerlichen – Vorbringen der BF ist demnach nicht einmal ansatzweise ein glaubhafter Kern ersichtlich.
Hinsichtlich der minderjährigen BF3 bis BF5 teilte die BF2 mit, dass diese keine eigenen Gründe hätten.
Das Bundesamt gelangte vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis, dass es den BF nicht gelungen sei, eine Verfolgung sowie neue Fluchtgründe glaubhaft zu machen, dem neuen Vorbringen zudem kein glaubhafter Kern zukomme, sich weder bezüglich individueller Verfolgungsgründe noch hinsichtlich der Lage im Herkunftsstaat ein neuer objektiver Sachverhalt ergeben habe und somit kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt vorliege. Daher sei der nunmehr vorgebrachte Sachverhalt auch von der Rechtskraft des Vorverfahrens umfasst.
Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich diesen Ausführungen an und geht in logischer Konsequenz vielmehr davon aus, dass der Folgeantrag einzig auf die Verzögerung der Vollstreckung der rechtskräftigen aufenthaltsbeendenden Maßnahme abzielte. Dies wird noch dadurch gefestigt, dass die BF nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Verfahrens am 22.06.2017 sich beharrlich weigerten, der Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Nachdem sie am 13.06.2019 von der armenischen Botschaft als armenische Staatsbürger identifiziert und Heimreisezertifikate ausgestellt wurden, flüchteten sie – spätestens – am 19.08.2019 nach Deutschland, wo sie neuerlich Anträge auf internationalen Schutz stellten, um so der Abschiebung zu entgehen.
Auch ist die Unglaubwürdigkeit der BF1 und BF2 daran ersichtlich, dass der BF1 vor dem Bundesamt am 17.08.2021 ausführte, dass er nur deswegen bekannt gab aus Syrien zu stammen, weil er Angst hatte, dass er bzw. seine Familie nach Armenien zurückgeschickt werden könnte, was jedoch auch nicht der Wahrheit entspricht. Wie jedoch dem Urteil des LG Klagenfurt zu entnehmen ist, haben der BF1 und die BF2 für sich und ihre Kinder von einem unbekannten Mann in einem Restaurant in Lienz gefälschte griechische Reisepässe erworben. Diese Reisepässe wurden von ihnen im August 2019 bei der Anmeldung des Wohnsitzes, der Aufnahme einer Arbeit und der Vorlage in einer Bank zur Illusion einer – weiteren – falschen Identität verwendet. Nachdem die erste – syrische – falsche Identität nach Anfertigung mehrerer Gutachten widerlegt werden konnte, wollten sich die BF nun offensichtlich als griechische Staatsbürger ausgeben und somit abermals in voller Absicht ihre wahre Identität verschleiern. Ein Wohlverhalten oder eine innere Umkehr, ein redliches Leben mit der tatsächlichen Identität zu führen, kann darin zweifelsfrei nicht erkannt werden. Die BF flüchteten jedenfalls nach dem misslungenen Vorhaben nach Deutschland, wie bereits erörtert wurde.
Auch gab der BF1 bei der Einvernahme vor dem Bundesamt an, als Arbeiter auf einer Baustelle tätig sein zu wollen, weil er dies auch ein Jahr und acht Monate in Deutschland ausübte. Der BF1 gibt sohin bekannt, dass er in Deutschland annähernd zwei Jahre illegal beruflich tätig war.
Aufgrund der eindeutigen Aktenlage in welcher die BF nicht glaubhaft machen konnten, dass ihnen im Herkunftsstaat seitens der Familien Verfolgung im Sinne der GFK droht und es in ihrem Fall mangels glaubhaften Kern des neuen Vorbringens auch zu keiner entscheidungsrelevanten Sachverhaltsänderung gekommen ist, ging das Bundesamt auch zu Recht davon aus, keine weiteren Ermittlungsschritte mehr zu setzen. Diesbezüglich wurde von der rechtlichen Vertretung moniert, dass vom Bundesamt keine genauen Umstände, wie etwa die Entfernung der beiden Dörfer der Familien, die Wohnsituation und die jeweiligen Lebensumstände der BF bzw. deren Familien erhoben worden wären. Dessen ungeachtet ist dem Vorbringen der BF auch bei Wahrheitsunterstellung keine Asylrelevanz beizumessen. Private Schwierigkeiten bzw. Probleme mit der Familie sind nicht geeignet, den Schutzstatus iSd asyl- und fremdenrechtlichen Vorschriften zu begründen.
Obwohl das Bundesamt in der Beweiswürdigung darauf hinwies, dass die BF keine näheren Angaben zu den in den Raum gestellten Streitigkeiten der Familien gemacht hatten, unterließ es die Beschwerde vielmehr, zum bisherigen Vorbringen der BF individuelle, nähere und präzisere Angaben zu machen oder die Beweiswürdigung konkret zu bekämpfen. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass die BF diesbezüglich tatsächlich kein verfahrensrelevantes Vorbringen mehr zu erstatten haben, andernfalls dies wohl in der Beschwerde erstattet worden wäre, sowie dass sowohl das Ermittlungsverfahren vom Bundesamt im vorliegenden Fall insofern ausreichend korrekt durchgeführt als auch der entscheidungsrelevante Sachverhalt vollständig erhoben wurde. Auch hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass mit der amtswegigen Pflicht zur Sachverhaltsfeststellung die Pflicht der Parteien, an der Ermittlung des Sachverhaltes mitzuwirken, korrespondiert. Die Offizialmaxime entbindet daher die Parteien nicht davon, durch substantiiertes Vorbringen zur Ermittlung des Sachverhaltes beizutragen, wenn es einer solchen Mitwirkung bedarf. Den Ausführungen in der Beschwerde, wonach das BFA seinen Ermittlungspflichten nicht in einem ausreichenden Maß nachgekommen sei bzw. auf das individuelle Vorbringen nicht eingegangen wäre, kann nicht gefolgt werden.
II.2.8. Sofern in der Beschwerde seitens des BF moniert wird, dass die Beweiswürdigung der belangten Behörde mangelhaft sei, wird festgestellt, dass nach Ansicht des ho. Gerichts die belangte Behörde ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst hat. Den BF ist es nicht gelungen, der Beweiswürdigung der belangten Behörde dermaßen konkret und substantiiert entgegen zu treten, dass Zweifel an der Beweiswürdigung der belangten Behörde aufgekommen wären. Von den BF wurde es unterlassen, durch klare, konkrete und substantiierte Ausführungen darzulegen, warum sie vom Vorliegen einer mangelhaften Ermittlungstätigkeit durch die belangte Behörde ausgeht. Da somit weder aus dem amtswegigen Ermittlungsergebnis im Beschwerdeverfahren noch aus den Ausführungen der BF ein substantiierter Hinweis auf einen derartigen Mangel vorliegt, kann ein solcher nicht festgestellt werden.
Sofern in der Beschwerde in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung des BFA zum Einreiseverbot vorgebracht wird, die belangte Behörde habe nicht dargelegt, warum dieses erlassen wurde bzw. dass das Verhalten der Eltern den Kindern nicht zuzurechnen ist, wird darauf verwiesen, dass im Bescheid dargelegt wurde, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes auf die abermalige Stellung eines unbegründeten und missbräuchlichen Asylantrages sowie die Nichtbefolgung der Ausreiseverpflichtung gestützt wurde. Zudem stelle die Mittellosigkeit im Hinblick auf die daraus resultierende Gefahr der illegalen Beschaffung der Mittel zum Unterhalt eine ausreichende Grundlage für die Annahme dar, dass der Aufenthalt der BF die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Zudem ist den minderjährigen BF das Verhalten der Eltern selbstverständlich zuzurechnen, obliegt diesen doch die Obsorge über ihre Kinder.
II.2.9. Zu den bekannt gegebenen Krankheiten der BF2 bleibt festzuhalten, dass diese unter einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradig depressive Episode ohne psychotische Symptome und ohne Somatisierung Neigung ICD-10: F33.10 leide. Dem psychiatrischen Gutachten der Dr. GRÄSER-LANG vom 04.10.2021 ist zwar zu entnehmen, dass die BF2 gegenwärtig eine schwere Episode mit suizidaler Einengung aufweise und aufgrund ihrer Erkrankung ernstlich und erheblich selbstgefährdend ist. Zudem würde außerhalb des Schutzes, den das Unterbringungsgesetz bietet, keine alternative Behandlungsmöglichkeit bestehen.
Die BF2 befand sich von 27.09.2021 bis 22.10.2021 in stationärer Behandlung in der Klinik Penzing und konnte in psychisch gebessertem und klinisch stabilen Zustand ohne Hinweise auf akute Selbst- oder Fremdgefährdung entlassen werden. Die im Entlassungsbrief genannte Medikation (QUETIAPIN RTP FTBL 25 mg, QUETIAPIN SAN FTBL 100mg und DULOXETIN GEN MSR HKPS 60 mg) ist laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 08.06.2018 jedenfalls in Armenien erhältlich. Zudem wird im Entlassungsbrief darauf verwiesen, dass es sich dabei um einen Therapievorschlag handle und es im Ermessen des weiterbehandelnden Arztes liege, wirkstoffgleiche Arzneimittel zu verschreiben.
Dem letzten Gutachten des Zentrums für Rechtspsychologie Graz vom 30.12.2021 ist schließlich zu entnehmen, dass ein derartiger Leidenszustand relativ gut behandelbar ist und mit den entsprechenden Medikamenten therapiert werden kann. Unter stabilen Rahmenbedingungen zweigen sich bei derartigen Störungen mit der entsprechenden Medikation Verbesserungen des körperlichen und psychischen Allgemeinzustandes bereits nach sechs Monaten. Gehe man von den Gesundheitsvorsorgen in Armenien aus, ist diese zwar grundsätzlich vorhanden, jedoch ist die Qualität anhand zahlreicher Internetrecherchen zweifelhaft. Eine neuerliche suizidale Krise könne im Falle einer Überstellung nach Armenien nicht ausgeschlossen werden. Dem Bundesverwaltungsgericht erhellt sich zum einen nicht, aufgrund welcher Recherchen das Zentrum für Rechtspsychologie Graz zu der Erkenntnis kommt, dass die Qualität der medizinischen Behandlung in Armenien zweifelhaft ist. Zum anderen muss festgehalten werden, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind.
Auch ist dem Länderinformationsblatt zu entnehmen, dass die größeren Krankenhäuser in Erewan sowie einige Krankenhäuser in den Regionen über psychiatrische Abteilungen und Fachpersonal verfügen. Die technischen Untersuchungsmöglichkeiten haben sich durch neue Geräte verbessert. Die Behandlung von posttraumatischem Belastungssyndrom (PTBS) und Depressionen ist auf gutem Standard gewährleistet und erfolgt kostenlos.
Von der BF2 selbst wurde sowohl bei der Erstbefragung des Folgeantrages als auch bei der Einvernahme vor dem Bundesamt mitgeteilt, dass es ihr gut gehe.
II.2.10. Schließlich ist im vorliegenden Beschwerdefall zu beachten, dass es sich bei den beschwerdeführenden Parteien um Eltern mit drei minderjährigeren Kindern und damit um besonders vulnerable und besonders schutzbedürftige Personen handelt. Diese besondere Vulnerabilität ist bei der Beurteilung, ob den beschwerdeführenden Parteien bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besonders zu berücksichtigen. Dies erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation die BF tatsächlich vorfinden (siehe dazu statt aller VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0336 mwN; VfGH 11.12.2018, E 2025/2018).
Im gegenständlichen Fall ist festzuhalten, dass die minderjährigen BF keiner besonders gefährdeten Gruppe angehören und ist auch von einer Rückkehr der minderjährigen BF gemeinsam mit ihren Eltern davon auszugehen, sodass die Betreuung, Erziehung und Beaufsichtigung des Minderjährigen sichergestellt ist.
Das Bundesverwaltungsgericht kann außerdem in Ansehung der minderjährigen BF nicht die reale Gefahr erkennen, im Rückkehrfall von häuslicher Gewalt betroffen zu sein. Die Eltern vermittelten den Eindruck, am Wohlergehen ihrer Kinder sehr interessiert zu sein. Hinweise auf gewalttätige Übergriffe auf die Minderjährigen im Bundesgebiet liegen nicht vor. Ausgehend davon ist auch nicht zu besorgen, dass die minderjährigen BF im Rückkehrfall einem davon abgeleiteten Risiko ausgesetzt wären oder sie sonst von häuslicher Gewalt betroffen wären.
Aufgrund der oben dargelegten Erwägungen zur sozioökonomischen Lage kann schließlich nicht die reale Gefahr erkannt werden, dass die BF im Rückkehrfall von einer unzureichenden Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern oder von Unterernährung betroffen wären. Hinweise auf Versorgungsengpässe bzw. Engpässe bei der Versorgung mit Gütern, die Kinder für ihre Bedürfnisse benötigen, liegen ausweislich der Feststellungen nicht vor.
Ausgehend von den persönlichen Profilen der BF und den Erwägungen zur Lebensgrundlage im Herkunftsstaat geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass den minderjährigen BF im Wege der Versorgung durch die Eltern und das verwandtschaftliche Auffangnetz in Armenien nicht nur eine hinreichende Absicherung im Hinblick auf die Güter des täglichen Bedarfs, sondern insbesondere auch im Hinblick auf ihre altersgerechten Bedürfnisse erfahren werden.
II.2.11. Abschließend bleibt festzuhalten, dass es den BF zumutbar gewesen wäre, nach Rechtskraft des ersten Verfahrens mit 22.06.2017 sogleich einen neuen – begründeten – Asylantrag zu stellen. Dies allein schon ob des Umstandes, dass der im Folgeantrag behauptete Fluchtgrund seit 15 Jahren bekannt sein soll. Es ist den BF dessen ungeachtet auch im Folgeverfahren nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass ihnen in Armenien Verfolgung iSd GFK droht. Zudem ist es mangels glaubhaftem Kern im Rahmen des neuen Vorbringens auch zu keiner entscheidungsrelevanten und zu berücksichtigender Sachverhaltsänderung gekommen. Ein neuer objektiver asylrelevanter Sachverhalt liegt aus diesem Grund folgerichtig nicht vor.
II.2.12. Die BF sind aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes in der Lage, ihr Auskommen im Herkunftsstaat zu bestreiten, so wie sie das bereits vor der Ausreise taten. Dass die Wirtschaftslage in Armenien derzeit unzureichend sein mag, stellt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes in Anbetracht des persönlichen Profils der BF keine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK dar. Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet auch nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH 17.09.2019, Ra 2019/14/0160).
Die Sicherheitslage in Armenien kann, von der Problemzone Nagorny-Karabach abgesehen, als unbedenklich bezeichnet werden. Zudem ist die Republik Armenien sicherer Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG und der Herkunftsstaaten-Verordnung.
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der Feststellungen zur Sicherheitslage in Armenien nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz der BF dort davon ausgegangen werden muss, dass sie wahrscheinlich Opfer eines terroristischen Anschlages, krimineller Aktivtäten oder sonstiger Gewalt, wie etwa einem Ehrenmord oder Blutrache, würde.
II.2.13. Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die BF, welche zu einer im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten oder kriminelle Aktivtäten hindeuten würden, kamen im Verfahren nicht hervor. Eine dahingehende darstellbare Gefährdung im Rückkehrfall kann sohin ausgeschlossen werden.
Die BF1 und BF2 sind bis auf die angeführten Erkrankungen arbeitsfähig und können so auch für ihren und den Unterhalt der minderjährigen BF aufkommen. In Armenien wohnen zumindest noch die Kernfamilien des BF1 und der BF2. Dass die BF keinen Kontakt zu der in Armenien aufhältigen Verwandtschaft unterhält, bzw. die Familien untereinander zerstritten wären, ist nicht glaubwürdig, wie bereits ausgeführt wurde. Zudem steht der armenische Migrationsdienst den Rückkehrern mit vorübergehender Unterkunft und Beratung zur Seite. Die BF haben Zugang zu allen Berufsgruppen und werden in Armenien in die Gesellschaft integriert. Die Chancen eine Arbeit zu finden, sind als überdurchschnittlich gut zu bezeichnen. Den erwachsenen BF ist somit die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit möglich und zumutbar. Zudem ist es den BF zumutbar, das – wenn auch nicht sonderlich leistungsfähige – Sozialsystem (vgl. Länderinformationen) des armenischen Staates oder karitativer Einrichtungen in Anspruch zu nehmen.
II.2.14. Die Außerlandesschaffung von Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn die Betroffenen dort keine Lebensgrundlage vorfinden, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 MRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 21.02.2017, Ro 2016/18/0005).
In Ansehung der BF und den bereits getätigten Ausführungen sind folgende Erwägungen zu im Rückkehrfall zu erwartenden sozioökonomischen Lage maßgeblich:
Die sozioökonomische Lage in Armenien spricht gegen exzeptionelle Umstände. Den eingesehenen Länderberichten lässt sich nicht entnehmen, dass diese von Massenarbeitslosigkeit, Not oder Elend in großem Ausmaß geprägt wäre. Im gegeben Kontext ist von Bedeutung, dass nach der Rechtsprechung das Vorliegen exzeptioneller Umstände detailliert und konkret darzulegen ist, umso mehr als in Armenien Familien leben, was dafür spricht, dass zumindest im Regelfall sehr wohl eine Lebensgrundlage im Herkunftsstaat besteht. Eine glaubhafte Darstellung exzeptioneller Umstände im Sinn der eingangs zitieren Rechtsprechung erfolgte im Verfahren nicht.
Aufgrund der oben dargelegten Erwägungen zur sozioökonomischen Lage kann schließlich nicht die reale Gefahr erkannt werden, dass der BF im Rückkehrfall von einer unzureichenden Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern oder von Unterernährung betroffen wäre. Hinweise auf Versorgungsengpässe bzw. Engpässe bei der Versorgung mit Gütern, liegen ausweislich der Feststellungen nicht vor.
Im Hinblick auf die zur Zeit vorherrschende Pandemie wegen des Corona Virus, der daraus resultierenden Krankheit COVID-19 und der Situation in Armenien kann aufgrund des typischen Krankheitsverlaufes und der persönlichen Situation der BF (aus den Altersangaben und den Angaben der BF zu ihrem Gesundheitszustand kann nicht geschlossen werden, dass die BF zur Gruppe der von COVID-19 besonders Gefährdeten gehört) und des Umstandes, dass der armenische Staat, wie sich aus allgemein zugänglichen Quellen ergibt, auf die Situation bisher angemessen reagierte, nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr iSd Art. 2 bzw. 3 EMRK ausgesetzt wären. Ebenfalls kann dies nicht aus der Verpflichtung, sich anlässlich der Einreise einer Untersuchung zu unterziehen, bzw. sich in Quarantäne zu begeben, abgeleitet werden.
II.3. Rechtliche Beurteilung:
II.3.1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
Dass Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idgF geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
II.3.1.2. Familienverfahren gemäß § 34 AsylG:
Stellt ein Familienangehöriger von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist (Z 1); einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist (Z 2) oder einem Asylwerber (Z 3) einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt gemäß § 34 Abs. 1 AsylG dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
Der BF1 ist der Ehegatte der BF2 und sind beide die leiblichen Eltern der minderjährigen BF3 bis BF5. Hinsichtlich der Beschwerdeführer liegt daher ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor.
Zu A)
II.3.2. Zu Spruchpunkt I: Abweisung der Beschwerde gem. § 68 AVG
II.3.2.1 Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.9.1994, 94/08/0183; 30.5.1995, 93/08/0207; 9.9.1999, 97/21/0913; 7.6.2000, 99/01/0321).
„Entschiedene Sache“ iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 9.9.1999, 97/21/0913; 27.9.2000, 98/12/0057; 25.4.2002, 2000/07/0235).
Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.6.1998, 96/20/0266). Selbiges gilt, wenn sich das neue Parteibegehren mit dem früheren deckt (etwa das Begehren der Gewährung von internationalem Schutz), die Partei dieses Begehren bei gleich gebliebener Sach- und Rechtslage jedoch anders begründet (vgl. ho. Erk. v. 6.10.2011, Zl. E10 417.640-2/2011/3E, E10 417.639-2/2011/3E, Zl. E10 417.641-2/2011/3E).
Ob der nunmehr vorgetragene Sachverhalt, der sich vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag zugetragen haben soll, im Erstverfahren auch vorgetragen wurde oder nicht, ist im Folgeverfahren bei der Prüfung der Rechtskraft ohne belange. Auch ein Sachverhalt, der nicht vorgetragen wurde, ist von der Rechtskraftwirkung des Vorbescheides mitumfasst (vgl. auch Erk. d. VwGH vom 17.9.2008, 2008/23/0684, ho. Erk. vom 17.4.2009, GZ. E10 316.192-2/2009-8E).
„Sache" des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, die Rechtsmittelbehörde darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder – falls entschiedene Sache vorliegt – das Rechtsmittel abzuweisen oder – falls dies nicht zutrifft – den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Die Rechtsmittelbehörde darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (VwGH 30.5.1995, 93/08/0207).
Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrecht erhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein „Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl. VwGH 20.3.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit dem zweiten Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 7.6.2000, 99/01/0321).
Ob ein neuerlicher Antrag wegen geänderten Sachverhaltes zulässig ist, darf nur anhand jener Gründe geprüft werden, welche die Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht hat (bzw. welche als allgemein bekannt anzusehen sind, vgl. z.B. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321); in der Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid dürfen derartige Gründe nicht neu vorgetragen werden (vgl. zB VwSlg. 5642 A/1961; 23.05.1995, 94/04/0081; 15.10.1999, 96/21/0097; 04.04.2001, 98/09/0041; 25.04.2002, 2000/07/0235), wobei für die Prüfung der Zulässigkeit des Zweitantrages von der Rechtsanschauung auszugehen ist, auf die sich die rechtskräftige Erledigung des Erstantrages gründete (VwGH 16.7.2003, 2000/01/0237, mwN).
Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen (Hinweis EB E 26.4.1995, 92/07/0197, VwSlg 14248 A/1995); die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Entschiedene Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Eine neue Sachentscheidung ist nicht nur bei identem Begehren auf Grund desselben Sachverhaltes, sondern, wie sich aus § 69 Abs 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens auf Grund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben, ausgeschlossen. Der Begriff "Identität der Sache" muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, was bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss. Erk. d. VwGH v.26.2.2004, 2004/07/0014; 12.12.2002, 2002/07/0016; 15.10.1999; 9621/9997). Identität der Sache i.S.d. § 68 Abs. 1 AVG liegt selbst dann vor, wenn die Behörde in einem bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren etwa eine Rechtsfrage auf Grund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens oder einer unvollständigen oder unrichtigen rechtlichen Beurteilung entschieden hätte (vgl. etwa das Erkenntnis des VwGH vom 08.04.1992, Zl. 88/12/0169, ebenso Erk. d. VwGH v. 15.11.2000, 2000/01/0184).
Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat – von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen – im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (VwGH 24.6.2014, Ra 2014/19/0018). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht somit nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0198).
Ein Folgeantrag ist wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn der Asylwerber an seinem (rechtskräftig) nicht geglaubten Fluchtvorbringen unverändert festhält und sich auch in der notorischen Lage im Herkunftsstaat keine – für den internationalen Schutz relevante – Änderung ergeben hat. Werden aber beispielsweise neue (für den internationalen Schutz relevante) Geschehnisse geltend gemacht, die sich nach dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet haben sollen, ist es nicht rechtens, die Prüfung dieses geänderten Vorbringens bloß unter Hinweis darauf abzulehnen, dass es auf dem nicht geglaubten Fluchtvorbringen des ersten Asylverfahrens fuße. Das neue Vorbringen muss vielmehr daraufhin geprüft werden, ob es einen „glaubhaften Kern“ aufweist. Könnten die behaupteten neuen Tatsachen zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, bedarf es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubhaftigkeit (VwGH 31.08.2020, Ra 2020/18/0102).
Eine Begründung, mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens seien im Sinn des Art. 40 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) keine „neuen Elemente oder Erkenntnisse“ zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden, ermöglicht auch nach der jüngsten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Zurückweisung des Folgeantrages wegen entschiedener Sache (VwGH 27.01.2022, Ra 2021/01/0417). Das gilt auch dann, wenn zwar neue Elemente oder Erkenntnisse vorliegen, die Änderungen aber lediglich Umstände betreffen, die von vornherein zu keiner anderen Entscheidung in Bezug auf die Frage der Zuerkennung eines Schutzstatus führen können. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt hat nämlich in diesen Konstellationen keine Änderung erfahren (VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006).
II.3.2.2. Entschiedene Sache in Bezug auf den asylrelevanten Sachverhalt
Das Verfahren hinsichtlich des ersten Antrages der BF wurde mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes unter anderem gemäß § 3 AsylG 2005 rechtskräftig negativ abgeschlossen und wurde das Vorbringen der BF als nicht asylrelevant bzw. als unglaubwürdig beurteilt. Eine dagegen außerordentliche Revision wurde vom VwGH zurückgewiesen.
Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich der Würdigung des Bundesamtes im gegenständlichen Verfahren an, dass die BF nunmehr keinen Sachverhalt vorgebracht haben, welcher die Führung eines neuerlichen inhaltlichen Asylverfahrens erforderlich machen würde.
Der Akteninhalt bzw. die Protokolle der Einvernahmen zeigen, dass die belangte Behörde bemüht war, den Sachverhalt zu ermitteln und die wesentlichen Elemente zu erfragen.
Im Detail darf darauf hingewiesen werden, dass die belangte Behörde hinsichtlich der Begründung des Bescheides, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst hat. Der festgestellte Sachverhalt, dessen Beweiswürdigung und rechtliche Subsumtion finden ihren Niederschlag im angefochtenen Bescheid.
Von einer relevanten, wesentlichen Änderung des Sachverhaltes seit der rechtskräftigen Entscheidung über den ersten Asylantrag kann daher diesbezüglich nicht gesprochen werden. Wie auch bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt, brachten die BF in Bezug auf ihr Vorbringen im Vorverfahren keine neuen Elemente oder Erkenntnisse vor. Dieses Vorbringen ist zudem nicht glaubhaft, bzw. weist dieses keinen glaubhaften Kern auf.
Wenn sich der BF1 und die BF2 im gegenständlichen Verfahren jetzt darauf stützen, dass zwischen den Familien seit 2007 eine derartige Feindschaft bestanden hätte, dass sie von der Familie der BF2 verfolgt worden wären und der BF1 deswegen den Kontakt mit seinen Eltern abbrach, obwohl er mit seiner Gattin bis zur Ausreise im Haus der Eltern wohnte und die BF2 sich dort an der Arbeit im Haus und in der Landwirtschaft beteiligte, ist Folgendes in Betracht zu ziehen:
Es handelt sich hierbei um neue Sachverhaltselemente. Das von den BF erstattete Vorbringen ist jedoch als nicht glaubhaft zu werten und weist in logischer Konsequenz keinen glaubhaften Kern auf. Mit der hypothetisch vorgebrachten Feindschaft zwischen den Familien, die von den BF unter dem Aspekt einer Blutrache vorgetragen wurden, liegen zwar neue Elemente oder Erkenntnisse vor, diese betreffen aber, wie ebenfalls bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert, lediglich Umstände, die von vornherein zu keiner anderen Entscheidung führen können. Zudem war dieses Vorbringen schon vor Abschluss des ersten, rechtskräftig negativen Verfahren bekannt. Selbst bei Wahrheitsunterstellung ist diesem vagen und nicht plausiblen Vorbringen keine Asylrelevanz beizumessen. Private Schwierigkeiten sind nicht geeignet, den Schutzstatus iSd asyl- und fremdenrechtlichen Vorschriften zu begründen. Auch muss festgehalten werden, dass es sich bei Armenien um einen sicheren Herkunftsstaat gemäß der Herkunftsstaaten-Verordnung handelt, der dementsprechend schutzfähig und schutzwillig ist.
Im gegenständlichen Fall ist es den BF im Ergebnis nicht gelungen, zulässige neue individuelle Gründe darzutun, welche eine allenfalls in ihrer Person gelegenen neue individuelle Bedrohung begründen könnten. Es liegt in Bezug auf dieses Vorbringen kein "glaubhafter Kern" vor, dem für die Entscheidung Relevanz zukommt und an eine positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344).
Es liegt damit schlussendlich entschiedene Sache“ iSd § 68 Abs. 1 AVG vor, da sich gegenüber der Entscheidung im Vorverfahren weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben.
II.3.3. Entschiedene Sache in Bezug auf den zur Prüfung der Voraussetzung der Zuerkennung des Statuts des subsidiär Schutzberechtigten relevanten Sachverhalts
„§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. | der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder |
2. | … |
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 … zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.…“
Bereits § 8 AsylG 1997 beschränkte den Prüfungsrahmen auf den „Herkunftsstaat“ des Asylwerbers. Dies war dahin gehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen war, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 20.5.1999, 98/20/0300). Diese Grundsätze sind auf die hier anzuwendende Rechtsmaterie insoweit zu übertragen, als dass auch hier der Prüfungsmaßstab hinsichtlich des Bestehend der Voraussetzungen, welche allenfalls zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führen, sich auf den Herkunftsstaat beschränken.
Art. 2 EMRK lautet:
„(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.
(2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:
a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen;
b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern;
c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken.“
Während das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.
Art. 3 EMRK lautet: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“
Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).
Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).
Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).
Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.
Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffene Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).
Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat des BF zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein „ausreichend reales Risiko“ für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes („high threshold“) dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex „Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in „Dublin-Verfahren““, derselbe in Migralex: „Abschiebeschutz von Traumatisieren“; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.
Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).
Gem. der Judikatur des EGMR muss der BF die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 – Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller „Beweise“ zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt -so weit als möglich- Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht ( z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)
Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle (vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).
Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).
Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten somit aus.
II.3.3.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall werden im Lichte der dargestellten nationalen und internationalen Rechtsprechung folgende Überlegungen angestellt:
Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.
Da sich der Herkunftsstaat der BF nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.
Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.
Weitere, in der Person der BF begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.
Zur individuellen Versorgungssituation der BF wird weiters festgestellt, dass diese im Herkunftsstaat über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügt. Beim BF1 und der BF2 handelt es sich um arbeitsfähige Personen. Einerseits stammen die BF aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehören die BF keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf ihre individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann.
Darüber hinaus ist es den BF unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden. Zudem verfügen die BF in Armenien noch über ein große Anzahlt an Verwandten. Auch ist eine medizinische Grundversorgung in Armenien gewährleistet.
II.3.3.3. In der Beschwerde wurde von den BF kein substantiiertes bzw. glaubhaftes Vorbringen zu einer etwaig geänderten Lage im Herkunftsstaat erstattet. Weder aus dem Vorbringen der BF, noch aus dem sonstigen Ermittlungsergebnis ergaben sich Hinweise, dass sich neue subsidiäre Schutzgründe ergeben hätten.
Aufgrund dessen, dass auch im zweiten Asylverfahren kein glaubwürdiges konkretes Vorbringen im Hinblick auf eine Bedrohung im Sinne des § 8 AsylG 2005 erbracht wurde, ist demnach wiederum nur die allgemeine Situation in Armenien zu betrachten. Von Amts wegen sind seit dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens keine Änderungen der allgemeinen Situation in Armenien notorisch, welche die Annahme einer allgemeinen extremen Gefährdungslage gerechtfertigt erscheinen lassen würden.
Da sohin auch keine Anhaltspunkte für eine Änderung des Sachverhalts im Hinblick auf allgemein bekannte Tatsachen, die vom Bundesamt von Amts wegen zu berücksichtigen wären, vorliegen, da sich die allgemeine Situation in Armenien in der Zeit, bis der nunmehr angefochtene Bescheid erlassen wurde, und sich auch die Rechtslage in der Zwischenzeit nicht entscheidungswesentlich geändert hat, ist das Bundesamt im Ergebnis daher zu Recht davon ausgegangen, dass der Behandlung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegensteht.
II.3.3.4. Zu den bekannt gegebenen Krankheiten der BF2 bleibt festzuhalten, dass diese unter einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradig depressive Episode ohne psychotische Symptome und ohne Somatisierung Neigung ICD-10: F33.10, leidet.
Dem letzten Gutachten des Zentrums für Rechtspsychologie Graz vom 30.12.2021 ist zu entnehmen, dass ein derartiger Leidenszustand relativ gut behandelbar ist und mit den entsprechenden Medikamenten therapiert werden kann. Unter stabilen Rahmenbedingungen zweigen sich bei derartigen Störungen mit der entsprechenden Medikation Verbesserungen des körperlichen und psychischen Allgemeinzustandes bereits nach sechs Monaten. Gehe man von den Gesundheitsvorsorgen in Armenien aus, ist diese zwar grundsätzlich vorhanden, jedoch ist die Qualität anhand zahlreicher Internetrecherchen zweifelhaft. Eine neuerliche suizidale Krise könne im Falle einer Überstellung nach Armenien nicht ausgeschlossen werden. Dem Bundesverwaltungsgericht erhellt sich nicht, aufgrund welcher Recherchen das Zentrum für Rechtspsychologie Graz zu der Erkenntnis kommt, dass die Qualität der medizinischen Behandlung in Armenien zweifelhaft ist. Auch muss den Monierungen der rechtlichen Vertretung, dass der Gesundheitszustand der BF2 nicht berücksichtigt worden wäre, entgegengehalten werden, dass das Bundesamt sich ausreichend damit auseinandergesetzt hat und neben den Länderinformationen auch Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation einholte, welche beispielsweise die Erhältlichkeit der von der BF2 benötigten Medikation bestätigt.
Zum anderen muss festgehalten werden, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind.
Auch ist dem Länderinformationsblatt zu entnehmen, dass die größeren Krankenhäuser in Erewan sowie einige Krankenhäuser in den Regionen über psychiatrische Abteilungen und Fachpersonal verfügen. Die technischen Untersuchungsmöglichkeiten haben sich durch neue Geräte verbessert. Die Behandlung von posttraumatischem Belastungssyndrom (PTBS) und Depressionen ist auf gutem Standard gewährleistet und erfolgt kostenlos.
Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. die Beschlüsse des VwGH vom 21. Februar 2017, Ro 2016/18/0005 und Ra 2017/18/0008 bis 0009, unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien; auch Beschluss des VwGH vom 23.3.2017, Ra 2017/20/0038; siehe auch Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“]; Erk. d. VfGH 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9).
Bloß spekulative Überlegungen über einen fehlenden Zugang zu medizinischer Versorgung sind ebenso unbeachtlich wie eine bloße Minderung der Lebensqualität (Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 27. Mai 2008, N. v. The United Kingdom, Nr. 26.565/05).
Gerade im Fall des BF2 liegen keine außergewöhnlichen Umstände vor, welche im Zusammenhang mit einer Abschiebung eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten.
Im gegenständlichen Fall besteht im Lichte der Berichtslage kein Hinweis, dass die BF2 vom Zugang zu medizinischer Versorgung in Armenien ausgeschlossen wäre und bestehen auch keine Hinweise, dass die seitens der BF2 bestehenden psychischen Leiden nicht behandelbar wäre. Auch faktische Hindernisse, welche das Fehlen eines Zugangs zur medizinischen Versorgung aus in der Person der BF2 gelegenen Umständen belegen würden, kamen nicht hervor.
Ebenso ist davon auszugehen, dass Österreich in der Lage ist, im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausreichende medizinische Begleitmaßnahmen zu setzen (VwGH 25.4.2008, 2007/20/0720 bis 0723, VfGH v. 12.6.2010, Gz. U 613/10-10 und die bereits zitierte Judikatur; ebenso
II.3.3.5. Aufgrund der getroffenen Ausführungen ist davon auszugehen, dass die BF nicht vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen müssen, in ihrem Herkunftsstaat mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt zu sein, weshalb die Gewährung von subsidiären Schutz ausscheidet.
Im Hinblick auf die zur Zeit vorherrschende Pandemie wegen des Corona Virus, der daraus resultierenden Krankheit COVID-19 und der Situation in Armenien kann aufgrund des typischen Krankheitsverlaufes und der persönlichen Situation der BF und des Umstandes, dass Armenien, wie sich aus allgemein zugänglichen Quellen ergibt, auf die Situation bisher angemessen reagierte, nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr iSd Art. 2 bzw. 3 EMRK ausgesetzt wären. Ebenfalls kann dies nicht aus der Verpflichtung, sich anlässlich der Einreise einer Untersuchung zu unterziehen, bzw. sich in Quarantäne zu begeben, abgeleitet werden.
Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, dass der BF detailliert und konkret darlegt, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Dies wurde von den BF nicht dargelegt (vgl. VwGH 12.6.2018, Ra 2018/20/0250, mwN).
Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat die dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht über eine allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende dauerhaft aussichtslose Lage geraten.
II.3.4 Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung
II.3.4.1. Gesetzliche Grundlagen:
§ 10 AsylG 2005, Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme:
§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.“
§ 57 AsylG 2005, Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz:
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.
(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.
(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.“
§ 9 BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn
1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder
2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“
§ 58 AsylG 2005, Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln:
§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,
4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder
5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
(2) Das Bundesamt hat einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt.
(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
(4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.
(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.
(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.
(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.
(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige
1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,
2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder
3. gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist
soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.
(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.
(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist
1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder
2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.
Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.
(12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.
(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn
1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und
2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben.“
(14) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche Urkunden und Nachweise allgemein und für den jeweiligen Aufenthaltstitel dem Antrag jedenfalls anzuschließen sind. Diese Verordnung kann auch Form und Art einer Antragstellung, einschließlich bestimmter, ausschließlich zu verwendender Antragsformulare, enthalten.
§ 52 FPG, Rückkehrentscheidung:
„§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,
2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder
5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I. Nr. 68/2017 aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.
Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel “Daueraufenthalt – EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.
(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.
(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.
(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“
§ 55 FPG, Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.
(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.
Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“
II.3.4.2. Die gegenständlich in Österreich gestellten Folgeanträge auf internationalen Schutz waren abzuweisen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt) im Bundesgebiet mehr vor und fallen die BF nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.
Es liegen keine Umstände vor, dass den BF allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargelegt.
Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
II.3.4.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.
II.3.4.4. Die BF haben in Österreich keine Verwandten und leben auch sonst mit keiner ihnen nahestehenden Person zusammen. Die BF hielten sich von 05.01.2013 bis 19.08.2019 im Bundesgebiet auf. Nach rechtswidrigem Aufenthalt und Stellung weiterer Anträge auf internationalen Schutz in Deutschland, wurden die BF am 30.06.2021 nach Österreich rücküberstellt und stellten gegenständlichen Folgeantrag. Die BF1 und BF2 haben Deutsch- und Integrationskurse besucht, die BF2 brachte ein B1-Zertifikat in Vorlage. Die BF beziehen Grundversorgung. Der BF1 und die BF2 waren in Lienz gemeinnützig tätig. Einstellungszusagen wurden nicht vorgelegt. Die minderjährigen BF besuchen die dem Alter entsprechenden Schulstufen. Die BF sind in keinem Verein oder Organisation tätig.
Der BF1 und die BF2 wurden am 04.11.2021 (rk. 09.11.2021) vom LG Klagenfurt, XXXX wegen §§ 223 Abs 2 und 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt, Probezeit drei Jahre, verurteilt. Sie wiesen sich dabei bei verschiedenen Stellen als griechische Staatsbürger aus und versuchten so abermals ihre wahre Identität zu verschleiern. Die griechischen Reisepässe wurden von den BF1 und BF2 käuflich erworben, auch drei solcher Pässe für die minderjährigen BF.
Die Rückkehrentscheidung stellt somit keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar, sondern allenfalls einen solchen in das Privatleben.
II.3.4.5. Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Zweifellos handelt es sich sowohl beim BFA als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.
Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens des BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 (2) EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.
Im Einzelnen ergibt sich aus einer Zusammenschau der oben genannten Determinanten im Lichte der geltenden Judikatur Folgendes:
- Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:
Die BF hielten sich von 05.01.2013 bis 19.08.2019 im Bundesgebiet auf. Nach rechtswidrigem Aufenthalt und Stellung weiterer Anträge auf internationalen Schutz in Deutschland, wurden die BF am 30.06.2021 iSd Dublin-III-Verordnung nach Österreich rücküberstellt und stellten gegenständlichen Folgeanträge. Die BF konnten ihren Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages und Folgeantrages vorübergehend legalisieren. Hätten sie diesen unbegründeten Asylantrag (Folgeantrag) nicht gestellt, wären sie rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig bzw. wäre davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würden.
- das tatsächliche Bestehen eines Privatlebens:
Die BF verfügen über keine relevanten privaten Anknüpfungspunkte.
- die Schutzwürdigkeit des Privatlebens
Die BF begründeten ihr Privatleben zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert war. Zudem verschwiegen die BF im gegenständlichen Fall jahrelang bewusst ihre wahre Identität und gaben sich als syrische Staatsbürger aus. Kurz vor der Flucht nach Deutschland versuchten sie erneut, sich mit falscher Identität im Bundesgebiet aufzuhalten, indem sie sich gefälschte griechische Reisepässe besorgten. Auch war der Aufenthalt der BF zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privatlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt.
Letztlich ist auch festzuhalten, dass die BF nicht gezwungen sind, nach einer Ausreise allenfalls bestehende Bindungen zur Gänze abzubrechen. So stünde es ihr frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN).
- Grad der Integration
Die BF befinden sich zwar seit 2013 im Bundesgebiet, haben hier dennoch keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und waren im Asylverfahren nicht in der Lage, ihren Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen. Wie bereits mehrfach erörtert verschwiegen sie zudem jahrelang ihre wahre Identität und gaben sich als syrische Staatsbürger, vor der Flucht nach Deutschland als griechische Staatsbürger aus. Die BF1 und BF2 haben Deutsch- und Integrationskurse besucht, die BF2 brachte ein B1-Zertifikat in Vorlage. Die BF beziehen Grundversorgung. Der BF1 und die BF2 waren in Lienz gemeinnützig tätig. Einstellungszusagen wurden nicht vorgelegt. Die minderjährigen BF besuchen die dem Alter entsprechenden Schulstufen. Die BF sind in keinem Verein oder Organisation tätig.
In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die –hier bei weitem nicht vorhandenen- Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).
- Bindungen zum Herkunftsstaat
Die erwachsenen BF verbrachten annähernd ihr gesamtes Leben in Armenien, wurde dort sozialisiert, bekennen sich zum dortigen Glauben und sprechen die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. Im Herkunftsstaat leben noch
Im Herkunftsland begründen noch die Eltern, eine Schwester und ein Bruder des BF1 ihren Wohnsitz. Die Eltern besitzen ein eigenes Haus und Ländereien und betreiben eine Landwirtschaft mit eigenen Tieren. Weiters leben noch die Eltern, eine Schwester und zwei Brüder der BF2 in Armenien. Aufgrund der Unglaubwürdigkeit der BF geht das BVwG sehr wohl davon aus, dass die BF noch immer Kontakt zu den in Armenien aufhältigen Verwandten unterhält. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es den BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.
Die minderjährigen BF befinden sich in einem Alter erhöhter Anpassungsfähigkeit (vgl. Dr. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN). Es kann daher angenommen werden, dass es ihnen unter Nutzung dieser Fähigkeiten gelingt, sich spiegelbildlich betrachtet, ebenso wie in die österreichische auch wieder in die Gesellschaft ihres Herkunftsstaats vollständig zu integrieren.
Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist gerade Kindern, welche noch im jungen Alter sind und die mit ihren Eltern gemeinsam ausreisen, die (Re-)Integration im Herkunftsstaat der Eltern zumutbar. So nahm der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 30.08.2011, Zl. 2009/21/0015 an, dass bei einem 6 Jahre und 3 Monate dauernden Aufenthalt in Österreich erwartet werden kann, die Kinder werden sich im Rahmen des gewohnten familiären Umfeldes an die neuen Begebenheiten im Herkunftsstaat der Eltern anpassen können (vgl. auch VwGH vom 19. Mai 2011, Zlen. 2009/21/0115, 116, mwN). Selbst Schwierigkeiten bei der (Re) Integration sind in derartigen Fällen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen in Kauf zu nehmen (vgl. VwGH vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0282).
- strafrechtliche Unbescholtenheit
Der BF1 und die BF2 wurden am 04.11.2021 (rk. 09.11.2021) vom LG Klagenfurt, XXXX wegen §§ 223 Abs 2 und 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt, Probezeit drei Jahre, verurteilt.
Diese Feststellung stellt laut Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.
- die Frage, ob das Privatleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren
Den BF musste bei der Antragstellung klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Asylantrages nur ein vorübergehender ist.
- mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer
Ein derartiges Verschulden kann der Aktenlage nicht entnommen werden.
- Kindeswohl
Allfällige ungünstigere Entwicklungsbedingungen im Ausland begründen für sich allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls, vor allem dann, wenn die Familie von dort stammt (OGH 08.07.2003, Zl. 4Ob146/03d unter Verweis auf Coester in Staudinger, BGB13 § 1666 Rz 82 mwN). Zudem gehören die Eltern und deren sozioökonomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (ebd.).
Bei der Beurteilung, ob im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Verletzung von durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten droht, ist nach der Judikatur des VwGH eine eventuelle besondere Vulnerabilität der Betroffenen im Speziellen zu berücksichtigen, wobei der VwGH auch auf die Definition schutzbedürftiger Personen in Art. 21. Der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) verweist (vgl. zuletzt VwGH vom 13.12.2018, Zl. Ra 2018/18/0336 sowie vom 30.08.2017, Zl. Ra 2017/18/0089 zum Irak sowie VwGH vom 06.09.2018, Ra 2018/18/0315 und diverse andere zu Afghanistan). Art. 21 der Aufnahmerichtlinie zählt als besonders schutzbedürftige Personen unter anderem Minderjährige auf.
Der Verfassungsgerichtshof hat - aufgrund der vom BVwG selbst herangezogenen UNHCR-Richtlinien- in seiner Entscheidung vom 12.12.2018, Zl E 667/2018 hinsichtlich einer Familie aus Kabul festgehalten, dass Familien mit besonderem Schutzbedarf - nach Ansicht des UNHCR - nur dann eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offensteht, wenn sie Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, die Zurückkehrenden tatsächlich zu unterstützen. Die zugrundeliegende Entscheidung des BVwG wurde behoben, da vom BVwG nicht näher begründet wurde, warum es davon ausging, dass der Bruder der Erstbeschwerdeführerin eine sechsköpfige Familie ausreichend unterstützen könne bzw wolle. Es sei verabsäumt worden, die Erstbeschwerdeführerin zur konkreten Lebenssituation ihres Bruders und ihrer Schwester zu befragen.
Demnach wird von der Judikatur – zuletzt auch in einer Einzelentscheidung hinsichtlich des sicheren Herkunftsstaates Georgien (VwGH vom 07.03.2019, Ra 2018/21/0216 bis 0217-13) - eine konkrete Auseinandersetzung damit gefordert, welche Rückkehrsituation eine Familie mit minderjährigen Kindern im Herkunftsstaat tatsächlich vorfindet, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479) sowie der Unterkunftsmöglichkeit (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).
Im vorliegenden Fall ist daher insbesondere zu berücksichtigen, dass die BF3 bis BF5 minderjährige Kinder – somit Angehöriger einer besonders vulnerablen und besonders schutzbedürftigen Personengruppe - sind. Daher ist eine konkrete Auseinandersetzung mit der Rückkehrsituation, die die minderjährigen BF bzw. die Eltern mit ihren minderjährigen Kindern im Heimatstaat tatsächlich vorfinden würden, erforderlich.
Im gegenständlichen Fall sind die Eltern und die Kinder armenische Staatsbürger und sind somit alle fünf BF im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen. Die BF3 bis BF5 teilen somit folgerichtig das sozioökonomische Schicksal der Eltern. Den BF stehen nach der Rückkehr sowohl private, karitative als auch bei Bedarf staatliche Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung. Es kann davon ausgegangen werden, dass sie Unterkunft finden werden – im konkreten Fall besitzen die Eltern des BF1 noch ein Haus und betreiben eine Landwirtschaft – und wird auch auf die Beweiswürdigung oben verwiesen. Eine Verletzung des Kindeswohles ist daher nicht ersichtlich.
- Zurechenbarkeit des Verhaltens der Eltern
Das ho. Gericht verkennt zwar nicht, dass sich die Kinder das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung gemäß Art. 8 EMRK nicht im vollen Umfang subjektiv verwerfen lassen müssen, doch ist dieses Verhalten dennoch nicht unbeachtlich.
Der Verfassungsgerichtshof hielt in seiner Entscheidung vom 10.03.2011, Zl. B1565/10 (betreffend einem im Alter von 8 Jahren mit seinen Eltern eingereisten, im Entscheidungszeitpunkt 17jährigen, welcher beinahe die gesamte Schullaufbahn in Österreich absolvierte und herausragende sportliche Leistungen für einen österreichischen Sportklub erbrachte) fest, dass es in der Verantwortung des Staates gelegen ist, Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass dem 17jährigen die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre, - neun Jahre verstreichen. Es sei die Aufenthaltsverfestigung des 17jährigen zwar überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgt, keine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung sei vorgelegen; jedoch sei ihm als Minderjährigem, der seine Eltern nach Österreich begleitete, dies nicht in jenem Maße zuzurechnen wie seinen Obsorgeberechtigten. In diesem Fall wurde festgehalten, dass keine Anpassungsfähigkeit des 17jährigen mehr vorliege, der wesentliche Teile seiner Kindheit und Jugend in Österreich verbrachte (im Gegensatz zu Kindern, die sich im Zeitpunkt ihrer Ausweisung noch in anpassungsfähigem Alter befinden; vgl EMRK 26.01.99, Fall Sarumi, Appl 43279/98) und wurden grundsätzliche Ausführungen zur herabgesetzten Verantwortlichkeit von Minderjährigen getroffen.
Auch in der Entscheidung des VfGH vom 07.10.2010, Zl. B 950-954/10-08 wurde unter Bezugnahme auf das mangelnde Verschulden der Beschwerdeführer an der 7jährigen Verfahrensdauer festgehalten, dass die belangte Behörde bei ihrer Interessenabwägung zusätzlich stärker gewichten hätte müssen, dass die minderjährigen Beschwerdeführer den Großteil ihres Lebens ins Österreich verbracht haben, sich mitten in ihrer Schulausbildung befanden und sich hier sowohl schulisch als auch gesellschaftlich sehr gut integriert haben.
Insbesondere hätte die belangte Behörde nicht berücksichtigt, dass - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte (vgl. zB VfGH 12.6.2010, U614/10) – in diesem Fall die Integration der BF1 während ihres einzigen Asylverfahrens, sieben Jahre (in denen keine einzige rechtskräftige Entscheidung ergangen ist) dauerte, erfolgte. Dass dies auf eine schuldhafte Verzögerung durch die Beschwerdeführer zurückzuführen wäre, wurde von der belangten Behörde weder dargestellt, noch war es aus den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Akten ersichtlich.
Obwohl der Verfassungsgerichtshof in diesen beiden Entscheidungen die den Beschwerdeführern nicht zurechenbarer Dauer der Asylverfahren als wesentliches Argument für eine Interessensabwägung zu Gunsten der Beschwerdeführer herangezogen hat, ist dennoch aus dem Beschluss des VfGH vom 12.6.2010, U614/10 ableitbar, dass in gewissen Fällen trotz fehlender subjektiver Vorwerfbarkeit des Verhaltens der Minderjährigen im Hinblick auf die Verfahrensdauer dennoch das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung in Bezug auf die minderjährigen Kinder eine Rolle spielt.
Es wird in diesem Zusammenhang auf die Erkenntnisse des VfGH vom 12.6.2010, erstens Zl. U 614/10 (Beschwerdeführerin wurde 1992 geboren, war zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich minderjährig, hatte zumindest am Anfang ihres Aufenthaltes in Österreich keinen Einfluss auf das bzw. die Asylverfahren, entzog sich aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Alter der mündigen Minderjährigkeit und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge), zweitens Zl. U613/10 (Beschwerdeführerin wurde 1962 geboren, war während des gesamten Verfahrens handlungsfähig und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge) und den Beschluss desselben Tages Zl. U615/10 ua (minderjährige Asylwerber während des gesamten Asylverfahrens, welche auf den Verlauf des Verfahrens bzw. der Verfahren keinen Einfluss hatten) hingewiesen. In diesen Verfahren stellte der VfGH in Bezug auf die 1962 geborene Beschwerdeführerin im vollen Umfang und in Bezug auf die 1992 geborene Beschwerdeführerin (Tochter der 1962 geborenen Beschwerdeführerin) in einem gewissen eingeschränkten Umfang fest, dass sich diese das Verhalten, welches zum langen Aufenthalt in Österreich führte, zurechnen lassen müssen und es daher nicht zu ihren Gunsten im Rahmen der Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK geltend machen können. Obwohl die minderjährigen Beschwerdeführer auf das Verhalten ihrer 1962 geborenen Mutter und 1992 geborenen Schwester keinerlei Einfluss hatten und ihnen deren Verhalten, insbesondere jenes der Mutter, nicht subjektiv vorgeworfen werden konnte, wurde die Behandlung derer Beschwerden dennoch mit Beschluss U615/10 ua. abgewiesen.
Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass dem Art. 8 EMRK innewohnenden Recht auf das Privat- und Familienleben auch ein Recht auf körperliche Unversehrtheit abzuleiten ist (vgl. etwa Erk. d. VwGH vom 28.6.2016, Ra 2015/21/0199-8). Vor diesem Hintergrund ist die Zulässigkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Lichte des Art. 8 EMRK auch vor dem Hintergrund der Lage im Herkunftsstaat, welche die bP im Falle einer Rückkehr vorfinden, zu prüfen, wobei bereits an dieser Stelle Art. 8 EMRK –anders als Art. 3 leg. cit.- einen Eingriffsvorbehalt kennt.
Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, uva).
Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine (damals) Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).
Ebenso wird durch die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung und das nur für die Dauer des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsrecht, das fremdenpolizeiliche Maßnahmen nach (negativer) Beendigung des Asylverfahrens vorhersehbar erscheinen lässt, die Interessensabwägung anders als in jenen Fällen, in welchen der Fremde aufgrund eines nach den Bestimmungen des NAG erteilten Aufenthaltstitels aufenthaltsberechtigt war, zu Lasten des (abgelehnten) Asylsuchenden beeinflusst (vgl. Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, Seite 348).
Es ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Notwendigkeit einer [damals] Ausweisung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren kann. Ist das nicht der Fall, könnte sich der Fremde bei der Abstandnahme von der [damals] Ausweisung unter Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den tatsächlichen (illegalen) Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenrechts zuwiderlaufen würde.
Gem. Art 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Privat- und/oder Familienleben zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Abs. 2 leg. cit. genannten Ziele notwendig ist. Die zitierte Vorschrift nennt als solches Ziel u.a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, worunter nach der Judikatur des VwGH auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist. Die für den Aufenthalt von Fremden maßgeblichen Vorschriften finden sich –abgesehen von den spezifischen Regelungen des AsylG- seit 1.1.2006 nunmehr im NAG bzw. FPG.
Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist für die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung und diese Wertung des Gesetzgebers geht auch aus dem Fremdenrechtspaket 2005 klar hervor. Demnach ist es gemäß den nun geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen für einen BF grundsätzlich nicht mehr möglich, den Aufenthalt vom Inland her auf Antrag zu legalisieren, da eine Erstantragsstellung für solche Fremde nur vom Ausland aus möglich ist. Wie aus dem 2. Hauptstück des NAG ersichtlich ist, sind auch Fremde, die Familienangehörige von in Österreich dauernd wohnhaften österreichischen Staatsbürgern sind, davon nicht ausgenommen. Im gegenständlichen Fall ist bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Sachverhalt ersichtlich, welcher die Annahme rechtfertigen würde, dass der BF gem. § 21 (2) und (3) NAG die Legalisierung ihres Aufenthaltes vom Inland aus offensteht, sodass sie mit rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine unbedingte Ausreiseverpflichtung trifft, zu deren Durchsetzung es einer Rückkehrentscheidung bedarf.
Bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens sind die BF somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.
Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der (damals) Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.
Der Rechtsprechung des EGMR folgend (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z. B. eine Ausweisung- bzw. Rückkehrentscheidung) aber auch in das nach Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).
Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zur Praxis hinsichtlich Rückkehrentscheidungen der Vertragsstaaten dürfte es für den Schutzbereich des Anspruches auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob der Aufenthalt des Ausländers - im Sinne einer Art „Handreichung des Staates“ - zumindest vorübergehend rechtmäßig war (vgl. Ghiban gg. Deutschland, 16.09.2004, 11103/03; Dragan gg. Deutschland, 07.10.2004, Bsw. Nr. 33743/03; SISOJEVA (aaO.)) bzw. inwieweit die Behörden durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben, dass der Aufenthalt des Betreffenden bislang nicht beendet wurde. Der EGMR hat diese Frage zwar noch nicht abschließend entschieden, jedoch in Fallkonstellationen das Recht auf Privatleben erörtert, in denen ein legaler Aufenthalt der Beschwerdeführer nicht vorlag. Hat er in der Rechtssache GHIBAN (aaO.) zu einem rumänischen Staatsangehörigen, der wegen Staatenlosigkeit nicht abgeschoben werden konnte, die Frage letztlich noch offen gelassen ("Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Aufenthalt des Bf. unter diesen Umständen eine ausreichende Grundlage für die Annahme eines Privatlebens war..."), so nahm er in der bereits mehrfach zitierten Rechtssache Sisojeva (aaO.) einen Eingriff in das Privatleben an, obwohl die Beschwerdeführer in Lettland keinen rechtmäßigen Aufenthalt hatten.
Wenn man – wie die Judikaturentwicklung des EGMR auch erkennen lässt – dem Aufenthaltsstatus des Fremden für die Beurteilung des Vorliegens eines Eingriffes in das durch Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben keine Relevanz beimisst, so wird die Frage der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Schrankenprüfung nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK Berücksichtigung zu finden haben.
Weiter wird hier auf das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06 verwiesen, wo dieser folgende Kernaussagen traf:
Im gegenständlichen Fall erachtete es der EGMR nicht erforderlich, sich mit der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Frage auseinanderzusetzen, ob durch das Studium der Beschwerdeführerin im UK, ihr Engagement in der Kirche sowie ihre Beziehung unbekannter Dauer zu einem Mann während ihres fast 10-jährigen Aufenthalts ein Privatleben iS von Art. 8 EMRK entstanden ist.
Dies wird damit begründet, dass im vorliegenden Fall auch das Bestehen eines Privatlebens ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Abschiebung wäre, da einerseits die beabsichtigte Abschiebung im Einklang mit dem Gesetz steht und das legitime Ziel der Aufrechterhaltung und Durchsetzung einer kontrollierten Zuwanderung verfolgt; und andererseits jegliches zwischenzeitlich etabliertes Privatleben im Rahmen einer Interessenabwägung gegen das legitime öffentliche Interesse an einer effektiven Einwanderungskontrolle nicht dazu führen könnte, dass ihre Abschiebung als unverhältnismäßiger Eingriff zu werten wäre.
Die zuständige Kammer merkt dazu an, dass es sich hier im Gegensatz zum Fall ÜNER gg. Niederlande (EGMR Urteil vom 05.07.2005, Nr. 46410/99) bei der Beschwerdeführerin um keinen niedergelassenen Zuwanderer handelt, sondern ihr niemals ein Aufenthaltsrecht erteilt wurde und ihr Aufenthalt im UK daher während der gesamten Dauer ihres Asylverfahrens und ihrer humanitären Anträge unsicher war.
II.3.4.6. Letztlich ist festzustellen, dass eine Gegenüberstellung der von den BF in ihrem Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnissen mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung zu keinem Überwiegen der privaten Interessen der BF am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes führen würde.
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die BF erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.
Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrag unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip [„no one can profit from his own wrongdoing“], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).
Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige Integration der BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht erkennbar. Die erwachsenen BF halten sich im Vergleich zu ihrem Lebensalter erst einen kurzen Zeitraum in Österreich auf. Eine über das normale Maß hinausgehende gesellschaftliche Integration ist nicht erkennbar. Die erwachsenen BF haben nahezu ihr gesamtes Leben in Armenien verbracht und wurden dort sozialisiert. Es ist daher davon auszugehen, dass auf Grund dieser engen Beziehungen zum Herkunftsstaat im Vergleich mit dem bisherigen Leben in Österreich die Beziehungen zu Armenien eine – wenn überhaupt vorhandene – Integration in Österreich bei weitem überwiegen.
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse der BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.
II.3.5. Abschiebung
II.3.5.1. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).
Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).
Im gegenständlichen Fall sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung nach Aserbaidschan unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlichen Beschwerden nicht schlüssig dargelegt und wurden bzw. werden hierzu bereits an entsprechend passenden Stellen des gegenständlichen Erkenntnisses Ausführungen getätigt, welche die in § 50 Abs. 1 und 2 FPG erforderlichen Subsumtionen bereits vorwegnehmen.
Eine im § 50 Abs. 3 FPG genannte Empfehlung des EGMR liegt ebenfalls nicht vor.
Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde in den angefochtenen Bescheiden gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung nach Aserbaidschan unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlichen Beschwerden nicht schlüssig dargelegt.
II.3.5.2. Gemäß § 55 Absatz 1 a FPG besteht eine Frist für die freiwillige Ausreise für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG nicht.
Da auch alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Rückkehrentscheidungen und keine Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, waren die Beschwerden auch gegen diese Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.
Die BF und der Ex-Gatte wurden am 15.02.2022 auf dem Luftweg von Wien-Schwechat nach Baku abgeschoben. Während des Transportes verhielten sich sowohl die BF als auch der Ex-Gatte ruhig.
II.3.6. Einreiseverbot:
II.3.6.1. Der mit „Einreiseverbot“ betitelte § 53 FPG lautet wie folgt:
§ 53 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.
(Anm.: Abs. 1a aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2013)
(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige
1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;
2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;
3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt;
4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;
5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;
6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;
7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;
8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder
9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.
(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.
(5) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.
(6) Einer Verurteilung nach Abs. 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.
Der mit „Einreiseverbot“ betitelte Artikel 11 der Rückführungsrichtlinie lautet:
(1) Rückkehrentscheidungen gehen mit einem Einreiseverbot einher,
a) falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder
b) falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde.
In anderen Fällen kann eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen.
(2) Die Dauer des Einreiseverbots wird in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt.
(3) Die Mitgliedstaaten prüfen die Aufhebung oder Aussetzung eines Einreiseverbots, wenn Drittstaatsangehörige, gegen die ein Einreiseverbot nach Absatz 1 Unterabsatz 2 verhängt wurde, nachweisen können, dass sie das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter uneingeschränkter Einhaltung einer Rückkehrentscheidung verlassen haben.
…
II.3.6.2. § 53 FPG idgF hat im Vergleich zur Rechtslage vor dem 01.01.2014 keine inhaltliche Änderung erfahren. Daraus ist zu schließen, dass auch in Bezug auf die vom VwGH statuierten Kriterien, die bei der Verhängung des Einreiseverbots und seiner Dauer zur Anwendung gelangen sollen, kein Wandel stattgefunden hat. Aus diesem Grund erachtet das Gericht die Judikatur zum Einreiseverbot auch nach wie vor als anwendbar.
Der Verwaltungsgerichtshof (im Folgenden VwGH) hat in seinem Erkenntnis vom 15.12.2011, Zahl 2011/21/0237 zur Rechtslage vor dem FPG idgF (in Kraft seit 01.01.2014) erwogen, dass bei der Festsetzung der Dauer des Einreiseverbotes nach dem FrÄG 2011 eine Einzelfallprüfung vorzunehmen (vgl ErläutRV, 1078 BlgNR 24. GP 29 ff und Art 11 Abs 2 Rückführungs-RL) sei. Dabei hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchen zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Eine derartige Gefährdung ist nach der Gesetzessystematik insbesondere in den Fällen der Z 1 bis 9 des § 53 Abs. 2 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 anzunehmen. In den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 ist das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit indiziert, was dann die Verhängung eines Einreiseverbotes in der Dauer von bis zu zehn Jahren und, liegt eine bestimmte Tatsache im Sinn der Z 5 bis 8 vor, von unbefristeter Dauer ermöglicht. Dass bei Vorliegen der letztgenannten Konstellation - wie die ErläutRV formulieren - "jedenfalls" ein unbefristetes Einreiseverbot zu erlassen ist, findet im Gesetz aber keine Deckung und stünde auch zu Art. 11 Abs. 2 der Rückführungs-RL (arg.: "kann") in Widerspruch. Dagegen ist festzuhalten, dass - wie schon nach bisheriger Rechtslage (vgl. E 20. November 2008, 2008/21/0603) - in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern immer auf das zugrunde liegende Verhalten (arg.: Einzelfallprüfung) abzustellen ist. Maßgeblich sind Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild; darauf kommt es bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots an.
Beim Erstellen der für ein Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs. 2 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es nicht auf die bloße Tatsache unter anderem von Bestrafungen nach den Verwaltungsgesetzen, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der Verwaltungsübertretungen und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (VwGH 19.02.2013, 2012/18/0230. Außerdem ist auf die persönlichen und familiären Interessen des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109).
II.3.6.3. Die belangte Behörde erließ über die BF ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot und stützte es auf § 53 Abs 2 Z 6 FPG. Die belangte Behörde führte dazu in der Begründung des angefochtenen Bescheides im Wesentlichen aus, dass der Frist für die freiwillige Ausreise nicht nachgekommen wurde, obwohl das erste Verfahren bereits am 22.06.2017 in II.Instanz rechtskräftig negativ entschieden wurde. Weiters können die BF die Mittel für ihren Unterhalt nicht nachweisen und leben von der Grundversorgung, sie durch den rechtswidrigen Aufenthalt in Deutschland in die Illegalität untertauchten und die erwachsenen BF rechtskräftig zu fünf Monaten Haft, bedingt auf drei Jahre, verurteilt wurden. Dieses Verhalten ist geeignet, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden und widerläuft auch den Interessen des Art. 8 EMRK. Auch sind die Mittel aus der Grundversorgung nicht geeignet, die in § 53 Abs 2 Z 6 FPG vorzuhaltende Mittellosigkeit, betreffend Begründung eines Einreiseverbotes, zu entkräften.
Die BF verblieben im Verfahren bezüglich ihres ersten Antrages auf internationalen Schutz trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung (22.06.2017) und Verstreichen der eingeräumten Frist zur freiwilligen Rückkehr bis 19.08.2019 unrechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet. Von 19.08.2019 bis zur Rückführung aus Deutschland am 30.06.2021 hielten sie sich rechtswidrig in Deutschland auf. Das illegale Verbleiben der BF nach Abschluss des Asylverfahrens und die Unwilligkeit, der Ausreiseverpflichtung nachzukommen, stellen eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen, sowie des Interesses einer demokratischen Gesellschaft an der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ruhe und Ordnung, des wirtschaftlichen Wohls des Landes, der Verteidigung der Ordnung, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer dar. Zudem begründen auch Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 AsylG, kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Auch zeitigt die Stellung des Folgeantrages am Tage der Rückführung aus Deutschland lediglich, dass dieser offensichtlich missbräuchlich in der Absicht gestellt wurde, die bereits bestehenden behördlichen und gerichtlichen Anweisungen zu umgehen. Dies demonstriert zudem, dass die BF nicht bereit sind, die österreichische Rechtsordnung und die aus dieser Rechtsordnung in Rechtskraft erwachsenen Entscheidungen der Behörde oder Gerichte zu achten und vor allem zu beachten. Im Hinblick auf dieses Gesamtverhalten kann sohin derzeit nicht von einer positiven Zukunftsprognose ausgegangen werden.
Entgegen der Ansicht der rechtlichen Vertretung, ist den minderjährigen BF zudem sehr wohl das Verhalten der Eltern zuzurechnen. Auch hat das Verhalten der Eltern im Familienverfahren letztendlich in Bezug auf sie und ihre minderjährigen Kinder eine gleichlautende Entscheidung zu beinhalten, selbst wenn die Anträge selbstverständlich gesondert zu prüfen sind.
Auch wurde auch kein relevanter familiärer oder sonstiger Bezug zu Österreich geltend gemacht. Es war der von den BF ausgehenden Gefährdung und den nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung des Einreiseverbotes auf Grund ihres bisherigen Fehlverhaltens größeres Gewicht beizumessen als seinen nicht ausgeprägten persönlichen Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet.
Aufgrund der aufgezeigten Umstände ist die Annahme der belangten Behörde gerechtfertigt, dass der Aufenthalt der BF die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet, weil sie den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachzuweisen vermögen.
Für das Bundesamt bestand auch kein Grund, im Rahmen der Ermessensübung gemäß § 53 Abs 1 FPG (arg: "kann") von der Erlassung des Einreiseverbotes Abstand zu nehmen, liegen doch die Voraussetzungen des § 53 Abs 2 FPG für die Erlassung eines Einreiseverbotes vor, sodass eine auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von der Verhängung eines Einreiseverbotes offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes (Art. 130 Abs 2 B-VG) liegen würde.
Die vom Bundesamt verhängte Dauer des Einreiseverbotes von zwei Jahren stellt sich angesichts der zulässigen Höchstdauer von fünf Jahren sowie den im gegenständlichen Fall vorliegenden Umständen als gerade noch ausreichend dar.
Abschließend darf ergänzend angefügt werden, dass eine Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK von der belangten Behörde durchgeführt wurde und sich dabei keine Umstände, welche aus dem Blickwinkel des § 53 FPG zu Gunsten der BF zu beurteilen gewesen wären, ergaben.
Somit war die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.
II.3.7. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen
B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, der hier vertretenen Zurechnungstheorie und den Anforderungen an einen Staat und dessen Behörden, um von dessen Willen und Fähigkeit, den auf seinem Territorium aufhältigen Menschen Schutz vor Übergriffen zu gewähren ausgehen zu können, dem Refoulementschutz bzw. zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht. Entsprechende einschlägige Judikatur wurde bereits zitiert.
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