Spruch:
Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit S 19.302,76 (darin enthalten S 3.217,13 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Das Erstgericht bewilligte den Klägern die Wiederaufnahme der Verfahren 16 Cga 568/90 und 16 Cga 630/91, jeweils des Erstgerichtes, und hob alle hierin ergangenen Urteile auf. In diesen beiden Vorprozessen hatte der Beklagte (als Kläger) von den Klägern (als Beklagten) Zahlung von insgesamt S 284.308 brutto sA für Abfertigung und Urlaubsentschädigung (16 Cga 568/90) und von insgesamt S 92.176 brutto sA für Sonderzahlungen und Fahrtkostenzuschuss (16 Cga 630/91) begehrt und obsiegt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es seien weder die auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützten Wiederaufnahmsklagen verspätet noch treffe die Kläger ein Verschulden an der Nichtgeltendmachung der neuen Beweismittel in den Vorprozessen. Die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes, dass die neuen Tatsachen und Beweismittel geeignet seien, eine für die Kläger günstigere Entscheidung in den Vorprozessen herbeizuführen, sei zutreffend. Durch die neuen Beweismittel sei die Frage, ob mangels persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit des Beklagten von den Klägern ein Arbeitsverhältnis vorgelegen habe, in einem neuen Licht zu sehen. Die Revision sei gemäß § 46 Abs 1 ASGG zulässig, weil hinsichtlich "der Eignung des Wiederaufnahmsgrundes" eine wesentliche Rechtsfrage vorliege.
Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Klagezurückweisung oder Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Kläger beantragen, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist unzulässig, weil der vom Berufungsgericht als erheblich bezeichneten Rechtsfrage "der Eignung des Wiederaufnahmsgrundes" keine Bedeutung im Sinne des § 46 Abs 1 ASGG zukommt und im Übrigen auch in der Revision des Beklagten keine erheblichen Rechtsfragen aufgeworfen werden. Der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindend (Kuderna, ASGG2 § 45 Anm 1; 9 ObA 167/93; 9 ObA 94/94 ua).
Der Revisionswerber stützt die Zulässigkeit seiner Revision darauf, dass die zur Begründung der Wiederaufnahme herangezogenen, neu aufgetauchten Honorarnoten des Beklagten nicht geeignet seien, in den wiederaufgenommenen Verfahren ein anderes Ergebnis herbeizuführen. Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bzw fehle eine solche Rechtsprechung. Im Übrigen behauptet der Revisionswerber eine Verspätung der Wiederaufnahmsklagen sowie ein Verschulden der Kläger an der Nichtgeltendmachung der Honorarnoten in den Vorprozessen und beharrt darauf, dass auch ab 1983 zwischen den Parteien Arbeitsverhältnisse bestanden haben.
Der Begründung der Zulassungsbeschwerde kann nicht beigetreten werden. Den Ausführungen des Revisionswerbers ist Folgendes entgegenzuhalten:
Ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, kann auf Antrag einer Partei ua dann wieder aufgenommen werden, wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung in den früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde (§ 530 Abs 1 Z 7 ZPO). Die Klage ist binnen der Notfrist von vier Wochen zu erheben (§ 534 Abs 1 ZPO). Diese Frist ist im Falle des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO von dem Tag an zu berechnen, an welchem die Partei imstande war, die ihr bekannt gewordenen Tatsachen und Beweismittel bei Gericht vorzubringen (§ 534 Abs 2 Z 4 ZPO).
Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes wurden jene acht Honorarnoten des Beklagten, die der Wiederaufnahme der beiden Vorprozesse zugrundegelegt wurden, dem Klagevertreter (erstmals) am 5. 1. 1995 übergeben; am 2. 2. 1995 wurden die beiden gegenständlichen Wiederaufnahmsklagen beim Erstgericht überreicht. Die vierwöchige Frist des § 534 Abs 1 und Abs 2 Z 4 ZPO nimmt ihren Anfang erst dann, wenn der Wiederaufnahmskläger die neuen Beweismittel so weit kennt, dass er ihre Eignung für ein allfälliges Verfahren auch prüfen kann; der Wiederaufnahmskläger muss in der Lage sein, einen formgerechten und inhaltsgerechten Beweisantrag zu stellen (RIS-Justiz RS0044635). Die bloße Kenntnis des Vorhandenseins einer Urkunde, die allenfalls zugunsten des eigenen Standpunktes sprechen könnte, verpflichtet noch nicht zur Erhebung einer Wiederaufnahmsklage bei sonstiger Verfristung (RIS-Justiz RS0044646). Die Rechtzeitigkeit ist daher gegeben.
Gemäß § 530 Abs 2 ZPO ist eine Wiederaufnahme wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außer Stande war, diese vor Schluss der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen. § 530 Abs 2 ZPO setzt also voraus, dass eine Partei nicht die ihr nach der Prozessordnung obliegende Diligenzpflicht verletzt hat (RIS-Justiz RS0044570). Den Mangel des Verschuldens hat die Partei, welche eine prozessuale Diligenzpflicht trifft, zu beweisen (Kodek in Rechberger, ZPO2 Rz 5 zu § 530 und Rz 1 zu § 538, jeweils mwN; RIS-Justiz RS0044633). Da im vorliegenden Fall als Wiederaufnahmsgrund die Auffindung von acht Honorarnoten geltend gemacht wird, die die Kläger in den Vorprozessen ohne ihr Verschulden nicht haben vorlegen können, kommt es bei der Frage, ob die Wiederaufnahme zu bewilligen ist, nur darauf an, ob sie wirklich ohne Verschulden außerstande waren, diese Urkunden schon in den Vorprozessen vorzulegen, nicht aber darauf, ob sie in der Lage gewesen wären, den Beweis über den Inhalt der Honorarnoten - mehr oder weniger exakt - auf andere Art zu führen (RIS-Justiz RS0044585).
Bei der Beurteilung der Frage, ob dem Wiederaufnahmskläger ein Verschulden nach § 530 Abs 2 ZPO zur Last fällt, ist von § 1297 ABGB auszugehen, wonach vermutet wird, dass jeder, der den normalen Verstandesgebrauch besitzt, eines solchen Grades des Fleißes und der Aufmerksamkeit fähig ist, der bei gewöhnlichen Fähigkeiten angewendet werden kann; die Außerachtlassung dieses Fleißes und dieser Aufmerksamkeit stellt ein Verschulden dar (RZ 1966, 148; 4 Ob 1569/95). Die anzuwendende prozessuale Diligenzpflicht findet aber ihre Grenze in der Anwendung der zumutbaren Sorgfalt, wobei sich die Zumutbarkeit nach den Umständen des Einzelfalles richtet (RIS-Justiz RS0044533), weshalb einer Entscheidung darüber grundsätzlich keine über diesen Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (2 Ob 357/98h; 8 Ob 334/99x; RIS-Justiz RS0109743, RS0111578). In der Ansicht des Berufungsgerichtes, die Kläger treffe kein Verschulden an der Nichtgeltendmachung der gegenständlichen, vor dem 5. 1. 1995 nicht bekannten Honorarnoten in den (bereits 1991 bzw 1993 abgeschlossenen) Vorprozessen, kann keine Fehlbeurteilung erblickt werden. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt daher insoweit nicht vor. Auch Überlegungen des Revisionswerbers zur Relevanz der Kenntnisse des früheren Geschäftsführers der Kläger begründen nicht die Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG, weil Kenntnisse des Geschäftsführers über eine Tätigkeit des Beklagten für Dritte vom Erstgericht gerade nicht festgestellt werden konnten (S 17 des Ersturteils).
Die Tatsachen und Beweismittel, auf die sich die Wiederaufnahme stützt, müssen geeignet sein, eine günstigere Entscheidung über den Gegenstand des Vorprozesses herbeizuführen. Schon die Möglichkeit eines günstigeren Ergebnisses genügt, wobei es ausreicht, dass die neuen Tatsachen oder Beweismittel geeignet sind, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen (Kodek aaO Rz 5 zu § 530 mwN; SZ 54/191; EvBl 1989/68 ua). Ob diese Eignung gegeben ist, hängt wiederum von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab und begründet in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage mit erheblicher Bedeutung (RIS-Justiz RS0111744). Zutreffend erkannte schon das Erstgericht, dass die neu hervorgekommenen Honorarnoten des Beklagten an einen Dritten (zusammen mit weiteren Aktivitäten des Beklagten für ein weiteres Unternehmen) grundsätzlich geeignet sind, die rechtliche Qualifikation der Verhältnisse zwischen den Parteien "in einem neuen Licht" erscheinen zu lassen.
Nach Lehre und Rechtsprechung ist der Arbeitsvertrag vor allem durch die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers, sohin dessen Unterworfenheit unter die funktionelle Autorität des Arbeitgebers gekennzeichnet, die sich in organisatorischer Gebundenheit, insbesondere hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort und Kontrolle - nicht notwendig auch in Weisungen über die Art der Ausführung der Tätigkeit - äußert. Zu den wesentlichen Merkmalen eines Arbeitsvertrages gehören die persönliche, auf Zeit abgestellte Arbeitspflicht des Arbeitnehmers, dessen disziplinäre Verantwortung, die Fremdbestimmtheit der Arbeit, deren wirtschaftlicher Erfolg dem Arbeitgeber zukommt, die persönliche Fürsorge- und Treuepflicht sowie die organisatorische Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers (Wachter in DRdA 1984, 405; Krejci in Rummel, ABGB2 Rz 36 ff zu § 1151 ABGB; Strasser in DRdA 1992, 93; Arb 9.972; Arb 10.060; Arb 10.096; RdW 1997, 29; RdW 1998, 632; SZ 70/52; 9 ObA 10/99g; 9 ObA 187/99m; RIS-Justiz RS0021284, RS0021306, RS0021332). Die Bestimmungsmerkmale der persönlichen Abhängigkeit müssen nicht alle gemeinsam vorliegen und können in unterschiedlich starker Ausprägung bestehen (SZ 70/52 mwN ua). Entscheidend ist, ob die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung nach überwiegen. Im Gegensatz dazu steht der sogenannte freie Dienstvertrag, welcher zur Arbeit ohne persönliche Abhängigkeit, weitgehend selbständig und frei von Beschränkungen des persönlichen Verhaltens verpflichtet. Vor allem die Möglichkeit, den Ablauf der Arbeit selbständig zu regeln und jederzeit zu ändern, also das Fehlen der persönlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit, unterscheidet den freien Dienstvertrag vom echten Arbeitsvertrag (Arb 10.697; RIS-Justiz RS0021518, RS0021743). Dem gegenüber hat der Aspekt der wirtschaftlichen Abhängigkeit als Abgrenzungskriterium in seiner Bedeutung zurückzutreten (Arb 10.741 mwN), kann jedoch einen Hinweis auf die persönliche Abhängigkeit bilden (RIS-Justiz RS0021736). Insgesamt ist auch nicht auf die Bezeichnung des Vertrages bzw der Tätigkeit, sondern auf den tatsächlichen Inhalt und die Gestaltung des Vertragsverhältnisses abzustellen (Arb 10.096; Arb 10.716; ARD 4893/11/97; RIS-Justiz RS0017762).
Die Beurteilung der Frage, ob die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem Gewicht und der Bedeutung nach bei Anstellung einer Gesamtbetrachtung überwiegen, ist wieder eine Folge der Gewichtung der Umstände des Einzelfalles, sodass auch insoweit eine Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 1 ASGG nur dann gegeben wäre, wenn eine krasse Verkennung der Rechtslage durch das Berufungsgericht vorliegt (9 ObA 292/98a, 9 ObA 55/00d). Eine derartige Fehlbeurteilung wird vom Revisionswerber nicht aufgezeigt.
Die Revision des Beklagten ist daher wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen. Den Klägern, die auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen haben (§ 45 Abs 1 letzter Halbsatz ASGG), sind die Kosten der Revisionsbeantwortung zuzusprechen (§§ 41, 50 ZPO; 2 Ob 357/98h ua).
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