OGH 9Ob28/19m

OGH9Ob28/19m25.6.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** eGen, *****, vertreten durch KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei G*****, Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Brunner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 80.438,80 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 71.716,80 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Februar 2019, GZ 4 R 150/18k‑34, womit das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom 28. August 2018, GZ 47 Cg 84/17d‑30, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0090OB00028.19M.0625.000

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht

zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Klägerin ist eine als Genossenschaft organisierte Regionalbank. Die M***** Gesellschaft mit beschränkter Haftung (nachfolgend kurz als „M*****-GmbH“ bezeichnet) war eine Kundin der Klägerin.

Die Beklagte ist eine gemeinnützige Bauvereinigung, Eigentümerin zahlreicher Liegenschaften und der darauf (von ihr) errichteten Wohnhausanlagen, daher Bauherrin und Auftraggeberin bei vielen Bauprojekten. Zwischen der Beklagten als Auftraggeberin und der M*****‑GmbH als Auftragnehmerin bestand eine jahrelange Geschäftsbeziehung, im Rahmen derer die M*****-GmbH für die Beklagte Baumeister- und Zimmermeisterarbeiten für verschiedene Bauvorhaben erbrachte. Ein im Rahmen dieser Geschäftsbeziehung zuletzt errichtetes Bauvorhaben war RHA Bad G***** 9 WE, Objekt Nr 5970, Auftragsnummer 5970/001 (nachfolgend kurz als „Bauvorhaben Bad G***** 9 WE“ bezeichnet). Diesbezüglich hatte die Beklagte die M*****-GmbH mit Verträgen vom 20. 2. 2009 mit der Durchführung von Baumeister- und von Zimmermeisterarbeiten beauftragt.

Mit E‑Mail vom 14. 7. 2011 trat die M*****‑GmbH mit dem nachstehenden Wunsch an die Klägerin heran:

„[…] Ich ersuche um Ausstellung von 2 Haftbriefen an die [Beklagte] gemäß beiliegendem Muster.

1. Bauvorhaben: RHA Bad G***** 9 WE, Objekt Nr. 5970 Auftrags-Nr.: 5970/001, Baumeisterarbeiten - € 63.052,06.

2. Bauvorhaben: RHA Bad G***** 9 WE, Objekt Nr. 5970 Auftrags-Nr.: 5970/001, Zimmermeisterarbeiten - € 17.386,74

Laufzeit: 01.08.2015 [...]“. Der E‑Mail war das Muster einer beklagtenseits erstellten Bankgarantie angeschlossen.

Die Klägerin stellte im Auftrag der M*****‑GmbH zugunsten der Beklagten zwei Bankgarantien in Form von sogenannten Haftrücklassgarantien zur Besicherung von Ansprüchen im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben Bad G***** 9 WE aus. Die – wortgleichen und jeweils bis 1. 8. 2015 gültigen – Bankgarantien lauteten auszugsweise:

Wir haben davon Kenntnis, dass in dem zwischen Ihnen und der [M*****-GmbH] anlässlich der Übertragung von Arbeiten (Lieferungen) betreffend Bauvorhaben: RHA Bad G***** 9 WE, Objekt-Nr.: 5970 Auftrags-Nr.: 5970/001, Baumeisterarbeiten [in der anderen Bankgarantie: Zimmermeisterarbeiten; Anm], abgeschlossenen Vertrag die Zurückbehaltung eines Haftrücklasses von der Bruttorechnungssumme vereinbart wurde, der erst nach Beendigung der Haftungsdauer frei wird.

Es ist uns ferner bekannt, dass Sie sich bereit erklärt haben, diesen Haftrücklass vorzeitig gegen Beibringung einer Bankgarantie auszubezahlen.

Wir garantieren und verpflichten uns hiermit unwiderruflich für uns und unsere Rechtsnachfolger Ihnen gegenüber, auf Ihre jeweils erste Anforderung und unabhängig von dem oben genannten Grundverhältnis, unbeschadet seiner Gültigkeit, Richtigkeit, Rechtswirksamkeit und Rechtswirkungen, vorbehaltlos, ohne jegliche Bedingungen und insbesondere auch ohne Prüfung des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses, der Höhe der Forderungen und deren Fälligkeit sowie, ob Ihrem Verlangen Einwendungen aus dem Grundverhältnis entgegenstehen, unter Verzicht auf jegliche Einwendungen unsererseits und sonstiger Dritter, sowie unter Verzicht auf die Geltendmachung jeglicher etwaiger Zurückbehaltungsrechte und Aufrechnungsmöglichkeiten, jeden Betrag beziehungsweise jede Beträge bis zu einem Höchstbetrag von insgesamt

€ 63.052.06 (in Worten […])

[in der anderen Bankgarantie: € 17.386,74; Anm]

binnen drei Tagen, nachdem wir aus dieser Garantie mit schriftlicher Aufforderung in Anspruch genommen worden sind, auf das uns von Ihnen bezeichnete Bankkonto zu überweisen. [...]

Die Klägerin verwendete für die Bankgarantien das ihr mit E‑Mail vom 14. 7. 2011 zur Verfügung gestellte Muster. Nicht festgestellt werden kann, ob die Bezugnahme auf das Bauvorhaben Bad G***** 9 WE bereits in dem Entwurf der Bankgarantien der Beklagten enthalten war oder ob dieser erst von der Klägerin vor Ausstellung der Bankgarantien aufgenommen wurde.

Hinsichtlich der ausgestellten Bankgarantien gab es zwischen den Streitteilen vor Ausstellung der Bankgarantien durch die Klägerin weder persönliche oder telefonische Besprechungen noch eine schriftliche Korrespondenz.

Die Klägerin wollte die gegenständlichen Bankgarantien ausschließlich für das von der M*****-GmbH für die Beklagte geführte Bauvorhaben Bad G***** 9 WE ausstellen. Ein anderer Wunsch der M*****-GmbH ist der E‑Mail vom 14. 7. 2011 auch nicht zu entnehmen. Es entsprach nicht dem Willen der Klägerin, einer „liegenschaftsübergreifenden“ Verrechnung der Bankgarantien (über das Bauvorhaben Bad G***** 9 WE hinaus auch auf andere von der M*****‑GmbH geführte Bauvorhaben der Beklagten) zuzustimmen.

Mit Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 2. 7. 2013 wurde über das Vermögen der M*****-GmbH der Konkurs eröffnet und ein Rechtsanwalt zum Masseverwalter bestellt.

Mit Schreiben vom 21. 7. 2015, bei der Klägerin am 23. 7. 2015 eingegangen, rief die Beklagte die gegenständlichen Bankgarantien bei der Klägerin ohne nähere inhaltliche Begründung ab. Die Schreiben enthielten den Bezug „Bankgarantie vom 18. 7. 2011 – Baumeisterarbeiten [M*****-GmbH], BVH Bad G***** 9 WE“ bzw „Bankgarantie vom 18. 7. 2011 – Zimmermeisterarbeiten [M*****-GmbH], BVH Bad G***** 9 WE“.

Aufgrund des erfolgten Abrufs brachte die Klägerin die Garantiebeträge von 63.052,06 EUR für Baumeisterarbeiten und 17.336,74 EUR für Zimmermeisterarbeiten innerhalb der vorgesehenen 3‑Tages‑Frist zur Zahlung an die Beklagte.

Mit Schreiben vom 24. 7. 2015 forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihr eine Rechtfertigung über die angeforderten Beträge bzw eine Anzeige über die zu Grunde liegenden Mängel bis zum 5. 8. 2015 zu übermitteln.

Die Beklagte antwortete der Klägerin mit Schreiben vom 29. 7. 2015, in welchem sie insbesondere festhielt: „[...] In diesem Zusammenhang dürfen wir kurz nochmals zusammenfassen, dass aufgrund des Konkursfalles eine liegenschaftsübergreifende Aufrechnung der von der Fa. M***** zu vertretenden Schadensfälle mit den vorhandenen Bankgarantien erfolgt ist. Hievon sind auch die beiden nunmehr betroffenen Bankgarantien erfasst. [...]“.

Die Klägerin begehrt die Rückzahlung des von ihr an die Beklagte geleisteten Betrags von 80.438,80 EUR samt Zinsen. Die Bankgarantien hätten sich eindeutig nur auf das Bauvorhaben RHA Bad G***** 9 WE bezogen. Einer „liegenschaftsübergreifenden“ Bankgarantie hätte die Klägerin niemals zugestimmt. Wie aus ihrem Antwortschreiben vom 29. 7. 2019 ersichtlich, habe die Beklagte die beiden Bankgarantien rechtsmissbräuchlich gezogen, nämlich „liegenschaftsübergreifend“ für Ansprüche aus anderen Bauvorhaben. Sie habe in diesem Schreiben gerade keine Mängel beim Bauvorhaben RHA Bad G***** 9 WE behauptet. Der Abruf sei in Kenntnis der Tatsache erfolgt, dass die Voraussetzungen der Garantieinanspruchnahme in Wahrheit nicht vorlägen. Die Klägerin sei durch den zweckwidrigen Abruf der Bankgarantien geschädigt. Die Klägerin mache einen eigenständigen bereicherungsrechtlichen bzw schadenersatzrechtlichen Anspruch geltend. Hilfsweise stütze sie sich darauf, dass ihr im Avalkreditvertrag von der M*****-GmbH „die im Fall ungerechtfertigter Inanspruchnahme abgegebener Haftungen gegenüber dem Haftungsbegünstigten aus Bereicherung entstandenen und künftig entstehenden Forderungen“ abgetreten worden seien. Soweit die Beklagte erst nunmehr im Prozess Mängel des Bauvorhabens RHA Bad G***** 9 WE vorbringe, sei dies aufgrund des Ablaufdatums der Bankgarantie verfristet. Die Klägerin habe im Konkursverfahren hinsichtlich der Garantiezahlungen keine quotenmäßige Befriedigung erhalten.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Sie wendet fehlende Aktivlegitimation ein, bestreitet den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs und das Vorliegen einer gültigen Zession. Sowohl bei dem Bauvorhaben, für das die beiden streitgegenständlichen Bankgarantien gelegt worden seien, als auch bei vielen anderen Bauvorhaben, bei denen die Beklagte die M*****-GmbH mit Arbeiten beauftragt habe, seien der M*****-GmbH zur Last fallende große Schäden und Mängel aufgetreten. Beim Bauvorhaben RHA Bad G***** 9 WE hätten vor Ziehung der Bankgarantien Mängel und Schäden in Höhe von 7.002,84 EUR bestanden, welcher Betrag der Klagsforderung kompensando entgegengehalten werde. Darüber hinaus sei im Zeitpunkt des Abrufs der Bankgarantien davon auszugehen gewesen, dass „weitere bisher verborgene/unentdeckte Mängel“ des Bauvorhabens RHA Bad G***** 9 WE vorlägen. Dies habe sich im Jahr 2017 auch als richtig herausgestellt; die Behebungskosten von 5.568,09 EUR wendete die Beklagte ebenso kompensando gegen die Klagsforderung ein. Die Beklagte sei kulanterweise bereit gewesen, den vereinbarten Deckungs- und Haftrücklass in Höhe von jeweils 5 % durch Bankgarantien auszulösen. Wäre der Haftrücklass durch die Beklagte „in Barem“ zurückbehalten worden, wäre diese jederzeit in der Lage gewesen, einen allenfalls frei gewordenen Haftrücklass eines bestimmten Bauvorhabens mit den Forderungen aus Mängeln und Schäden eines anderen Bauvorhabens gegenzuverrechnen. Dasselbe Recht sollte der Beklagten auch bei Ablösung des Haftrücklasses durch eine Bankgarantie zustehen. Zwischen der Beklagten und der M*****-GmbH sei daher auch eine „liegenschaftsübergreifende“ Verrechnung von Haftrücklässen und demnach Bankgarantien vereinbart gewesen. Nach Verrechnung der Mängel- und Schadenskosten aus den verschiedenen Bauprojekten mit Rechnungen der M*****‑GmbH, Haftrücklässen bzw Bankgarantien (ausschließlich den beiden streitgegenständlichen Bankgarantien) verblieben Mängel- und Schadenersatzansprüche der Beklagten von zumindest 402.178,06 EUR, die der Klagsforderung hilfsweise kompensando entgegengehalten würden. Im Übrigen seien die streitgegenständlichen Bankgarantien unabhängig von dem genannten Grundverhältnis, nämlich dem Bauvorhaben RHA Bad G***** 9 WE auszubezahlen. Dieses Bauvorhaben sei bloß der Anlassfall gewesen, auf den die Bankgarantien aber nicht eingeschränkt gewesen seien. Die Beklagte sei aufgrund der Garantietexte nicht davon ausgegangen, dass die Bankgarantien nur zur Besicherung eines bestimmten Bauvorhabens dienten. Die von der Beklagten vertretene Rechtsansicht sei rechtsrichtig gewesen, in jedem Fall aber vertretbar. Schließlich wandte die Beklagte ein, die Klägerin müsse sich aufgrund der im Konkurs der M*****-GmbH erzielten Konkursquote von 21,5179 % von der Klagsforderung einen Betrag von 17.308,74 EUR abziehen lassen und es sei an ihr gelegen nachzuweisen, dass sie durch die Auszahlung der Garantiebeträge in Höhe von 80.438,80 EUR überhaupt noch einen Schaden habe, weil davon auszugehen sei, dass sie sich hinreichende Sicherheiten von der M*****-GmbH geben habe lassen und diese verwertet habe oder zumindest noch verwerten könne.

Das Erstgericht schloss die Verhandlung „hinsichtlich eines Teilbetrages von 71.716,80 EUR (Klagebegehren 80.438,80 EUR minus beklagtenseits behauptete Mängelbehebungskosten betreffend das Bauvorhaben Bad G***** 9 WE, Objekt Nr. 5970 EUR 8.722 netto)“ und erkannte mit Teilurteil vom 28. 8. 2018 1. die Klagsforderung von 80.438,80 EUR jedenfalls in einem Umfang von 71.716,80 EUR als zu Recht bestehend, 2. die bis zur Höhe der Klagsforderung eingewendeten Gegenforderungen der Beklagten als nicht zu Recht bestehend und erkannte 3. die Beklagte für schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen 71.716,80 EUR samt Zinsen nach dem UGB daraus seit 27. 7. 2015 sowie 4 % Zinseszinsen ab Klagszustellung, das ist der 21. 11. 2016, zu zahlen.

Das Erstgericht ging von dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt sowie den folgenden Feststellungen aus:

„[Das Schreiben vom 29. 7. 2015] enthält keinen Hinweis darauf, dass auch beim Bauvorhaben Bad G***** 9 WE seitens der M*****-GmbH zu vertretende Mängel vorhanden gewesen wären. Mit Zugang dieses Schreibens wurde der Klägerin deutlich, dass die Beklagte tatsächlich keine Ansprüche aus dem Bauvorhaben Bad G***** 9 WE geltend machte.

Die Klägerin wies die Beklagte mit Schreiben vom 5. 8. 2015 ausdrücklich darauf hin, dass sich die gegenständlichen Bankgarantien ausdrücklich und konkret auf Ansprüche des Bauvorhabens Bad G***** 9 WE für Baumeister- und Zimmermeisterarbeiten bezögen, dem Schreiben der Beklagten vom 29. 7. 2015 keine Mängel dieses Bauvorhabens zu entnehmen seien, eine Aufrechnung mit Mängeln aus anderen Aufträgen und Bauvorhaben nicht rechtmäßig sei und klagsseits nicht akzeptiert werde, sohin um umgehende Rücküberweisung der in Anspruch genommenen Garantiebeträge ersucht werde.

Die Beklagte bekräftigte gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 18. 8. 2015 neuerlich ihren Standpunkt, dass eine Aufrechnung mit Mängeln aus anderen Aufträgen und Bauvorhaben laut ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs möglich sei. Diesem Schreiben ist wiederum nicht zu entnehmen, dass das Bauvorhaben Bad G***** 9 WE mangelbehaftet war.

Die Klägerin beauftragte in weiterer Folge die nunmehrige Klagevertreterin mit ihrer rechtlichen Vertretung. Die Klagevertreterin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 2. 3. 2016 zur Rückzahlung der Garantiebeträge auf.

Die Beklagte beauftragte darauf ihrerseits den nunmehrigen Beklagtenvertreter mit ihrer Rechtsvertretung. Letzterer wies das Ansinnen der Klägerin mit an die Klagevertreterin gerichtetem Schreiben vom 15. 3. 2016 zurück und führte nunmehr – erstmalig – aus, dass auch beim Bauvorhaben Bad G***** 9 WE Mängel und Schäden aufgetreten seien, ohne diese jedoch näher auszuführen.

Dem Beklagtenstandpunkt wurde mit dem an den Beklagtenvertreter gerichteten Schreiben der Klagevertreterin vom 22. 4. 2016 widersprochen.

Die Beklagte beharrte mit dem an die Klagevertreterin gerichteten Schreiben des Beklagtenvertreters vom 23. 5. 2016 auf ihrem Standpunkt.

Die Klägerin forderte mit dem an den Beklagtenvertreter gerichteten Schreiben der Klagevertreterin vom 29. 8. 2016 die Beklagte letztmalig zur Rückzahlung der Garantiebeträge auf.

Dieser Aufforderung erteilte die Beklagte mit an die Klagevertreterin gerichtetem Schreiben des Beklagtenvertreters vom 30. 8. 2016 (Anmerkung des Erstgerichtes: in Folge eines Versehens mit 30. 5. 2016 datiert) eine Absage.

Die Klägerin meldete die klagsgegenständliche Forderung im Konkurs über das Vermögen der M*****‑GmbH bedingt (für den Fall, dass die beklagtenseitige Ziehung der Bankgarantien doch zu Recht erfolgt sein sollte) als Konkursforderung an. Die diesbezügliche bedingte Forderung der Klägerin wurde seitens des Masseverwalters anerkannt. Die Konkursquote im Konkurs über das Vermögen der M*****-GmbH betrug 21,5179 %. Die Klägerin erhielt im Bezug auf die klagsgegenständliche Forderung im Konkursverfahren keine Zahlung. Mit Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 3. 9. 2015 wurde der Konkurs über das Vermögen der M*****-GmbH nach der Schlussverteilung aufgehoben.“

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass die Klägerin wegen des zu einem anderen als dem vereinbarten Sicherungszweck und damit rechtsmissbräuchlich erfolgten Abrufs der Bankgarantien einen eigenständigen Rückabwicklungsanspruch habe. Selbst wenn man vom Vorbringen der Beklagten, beim Bauvorhaben Bad G***** 9 WE seien Mängel und Schäden vorhanden gewesen, für deren Behebung 7.002,84 EUR veranschlagt worden seien, ausgehe, sei die Abrufung der Bankgarantie mit dem darüber hinausgehenden Betrag von 73.435,96 EUR unzulässig gewesen, weil die Abrufung einer Bankgarantie auf Vorrat unzulässig sei. Das Vorbringen der Beklagten, zum Zeitpunkt des Abrufs der Bankgarantien habe es bislang verborgene oder unentdeckte Mängel gegeben, sei daher unbeachtlich. Zumal die Verhandlung lediglich betreffend einen Teilbetrag von 71.716,80 EUR geschlossen worden sei, könne mit dem Teilurteil die Klagsforderung nur mit diesem Betrag als zu Recht bestehend erkannt werden. Im Konkurs über das Vermögen der M*****-GmbH werde die Klägerin in Bezug auf die klagsgegenständliche Forderung die Konkursquote lediglich in dem Umfang ausbezahlt erhalten, als sie im vorliegenden Rechtsstreit unterliege. Eine Gegenforderung der Beklagten aufgrund von behaupteten Schäden und Mängeln in Höhe von 7.002,84 EUR beim Bauvorhaben Bad G***** 9 WE sei für das Teilurteil ohne Bedeutung, weil – gemeint – diese Gegenforderung nur zum Erlöschen der Klagsforderung mit dem 73.435,96 EUR übersteigenden Betrag führen würde, das Teilurteil aber die Klagsforderung nur hinsichtlich eines Teils von 71.716,80 EUR umfasse. Forderungen aus anderen Bauvorhaben als dem Bauvorhaben Bad G***** 9 WE stünden der Beklagten jedenfalls nicht gegen die Klägerin zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Teilurteil dahingehend ab, dass es das Klagebegehren hinsichtlich eines Teilbetrags von 71.716,80 EUR samt Zinsen abwies. In rechtlicher Hinsicht vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, dass die Klagsforderung bereits an sich nicht zu Recht bestehe, sodass es auf die vom Bestehen der Klagsforderung abhängigen Einwendungen der Beklagten nicht mehr ankomme. Aus dem Text beider Garantien sei eine Pflicht der Beklagten zur Begründung der Abrufung nicht abzuleiten. Der Beklagten könnte nur dann der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs gemacht werden, wenn sie vorsätzlich, in Kenntnis, dass sie im Unrecht ist, die Garantie in Anspruch genommen hätte. Dieser Vorwurf gehe jedoch jedenfalls insofern ins Leere, als sich die Beklagte auf das Vorliegen von gewährleistungspflichtigen Mängeln zum Zeitpunkt des Abrufens berufen könne. Aus dem Zweck der vorliegenden abstrakten Bankgarantien im Allgemeinen und aber auch von Haftrücklassgarantien im Besonderen, dem Begünstigten nicht nur eine Sicherheit zu geben, sondern ihn so zu stellen, wie wenn er schon Bargeld in Händen hätte oder die fragliche Summe noch gar nicht aus der Hand gegeben hätte, habe die Beklagte zudem „durchaus vertretbar, ohne sich dem Vorwurf eines Rechtsmissbrauchs auszusetzen, die Garantiebeträge nicht nur zur Abdeckung von Ansprüchen aus bereits aufgetretenen, insoweit allerdings dem Ersturteil nicht zugrundeliegenden sowie noch auftretenden Mängeln abrufen dürfen, sondern auch zum Zwecke einer liegenschaftsübergreifenden Aufrechnung mit Ansprüchen wegen Mängeln aus anderen Bauvorhaben“. Eine solche Auslegung sei schon deshalb jedenfalls vertretbar, weil im Fall der Einbehaltung des Haftrücklasses die Beklagte gegen den restlichen Werklohnanspruch der Klägerin aus einem Bauvorhaben auch mit Forderungen, die ihr gegen diese aus anderen Bauvorhaben entstanden seien, aufrechnen hätte können. Mangels Nachweises eines der Beklagten zur Last fallenden rechtsmissbräuchlichen Verhaltens bestehe die vom erstgerichtlichen Teilurteil umfasste Klagsforderung weder aus eigenem noch aus abgetretenem Recht.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit einem auf vollinhaltliche Klagsstattgebung gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Mit ihrer – durch den Obersten Gerichtshof

freigestellten – Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zulässig, weil sich die Berufungsentscheidung als korrekturbedürftig erweist. Die Revision ist dementsprechend im Sinn des subsidiären Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Vorweg ist festzuhalten, dass die Klägerin nicht nur einen eigenen Anspruch auf Rückzahlung der ausbezahlten Garantiebeträge geltend macht, sondern auch ihr – zumindest nach ihrem eigenen Vorbringen – von der M*****-GmbH abgetretene Ansprüche. Der nicht weiter begründeten Ansicht des Berufungsgerichts, der Mangel des Nachweises eines der Beklagten zur Last fallenden rechtsmissbräuchlichen Verhaltens führe dazu, dass die vom erstgerichtlichen Teilurteil umfasste Klagsforderung auch nicht aus abgetretenem Recht bestehen könne, vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen. Macht ein Begünstigter im guten Glauben durch Inanspruchnahme einer Bankgarantie einen Anspruch geltend, der ihm tatsächlich gar nicht zusteht, weil es sich etwa im Fall einer Haftrücklassgarantie erweist, dass in Wahrheit gar keine Mängel oder zwar Mängel, vorhanden sind, die aber nicht den Wert der abgerufenen Bankgarantie erreichen, so ist der Begünstigte bereichert und einem Bereicherungsanspruch seines Vertragspartners ausgesetzt (vgl RS0106545 [T2]; Zöchling-Jud in Graf von Westphalen/Zöchling‑Jud, Die Bankgarantie im internationalen Handelsverkehr4 [2014] Kap I Rz 53, 80 f mzwN). Wurde der Bereicherungsanspruch wirksam der Bank abgetreten, ist diese zu dessen Geltendmachung berechtigt (1 Ob 591/90 = ecolex 1991, 20 [Wilhelm]; Zöchling-Jud aaO Rz 87 mwN). Feststellungen zu diesem Themenkomplex fehlen zur Gänze. Es ist damit zumindest derzeit ausgeschlossen, schon die Klagsforderung an sich als nicht zu Recht bestehend zu beurteilen. Das Berufungsurteil kann damit von Vornherein keinen Bestand haben.

Zum eigenständigen Rückzahlungsanspruch der Klägerin:

2. Zum Wesen der Bankgarantie gehört der Ausschluss von Einwendungen aus dem Grundgeschäft. Sie ist ein nicht akzessorisches Sicherungsgeschäft. Erlangt der Garant Kenntnis von Einwendungen und Einreden des Auftraggebers gegenüber dem Begünstigten aus dem Kausalverhältnis, ist er gegenüber dem Auftraggeber nicht verpflichtet und gegenüber dem Begünstigten nicht berechtigt, die Auszahlung der

Garantiesumme zu verweigern. Die Bankgarantie soll dem Begünstigten eine sichere, durch Einwendungen nicht verzögerte Zahlung gewährleisten. Streitigkeiten sollen erst nach der Zahlung abgewickelt werden. Die Frage der materiellen Berechtigung der gesicherten Forderung ist erst in einem Nachverfahren zu prüfen (8 Ob 140/18y mwN).

3. Steht dem aus einer

Bankgarantie Begünstigten in Wahrheit kein Anspruch auf die durch die Garantie gesicherte Leistung zu, so kann grundsätzlich nur der Auftraggeber Bereicherungsansprüche gegen den Empfänger geltend machen (RS0106545 [T2]). Hiervon wird unter anderem bei rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme der Bankgarantie eine Ausnahme gemacht. In diesem Fall kann die Bank, die gezahlt hat, weil sie den Rechtsmissbrauch nicht kannte oder Zweifel am Vorliegen des Rechtsmissbrauchs oder der Durchsetzbarkeit des Einwands hatte, ihre Leistung nach § 1431 ABGB vom Begünstigten kondizieren (6 Ob 253/03d Pkt 4; 9 Ob 8/10g; 9 Ob 9/16p = ecolex 2017/41 [Melcher] = ÖBA 2016, 599 [Koch]; Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht2 V [2009] Rz 3/163; Dullinger in Rummel/Lukas, ABGB4 § 880a ABGB Rz 20; P. Bydlinski in KBB5 § 880 ABGB Rz 4; Kerschner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1431 ABGB Rz 28).

4.1. 

Voraussetzung für Rechtsmissbrauch – dabei muss an § 1295 Abs 2 ABGB im Sinne der neueren Judikatur und der Lehre angeknüpft werden (

s RS0026603 [T6, T7]) – ist, dass zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein

krasses Missverhältnis besteht (

RS0018006 [T3, T7]). Bedeutsam für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs bei Inanspruchnahme der Garantie sind vor allem die Absicht, etwas zu begehren, was nicht gebührt und daher sofort wieder zurückzuerstatten ist, der Abruf zu einem anderen Sicherungszweck als dem im Kausalverhältnis begründeten und die Gefahr eines Schadenseintritts (Koziol aaO Rz 3/106 mzwN).

4.2. Der Sicherungszweck der Bankgarantie ergibt sich regelmäßig aus dem Hinweis auf das Grundgeschäft in ihrer Präambel. Die Präambel stellt hierdurch klar, welche Ansprüche aus welchem Vertrag die Bank garantiert (8 Ob 190/98v = ÖBA 2000, 322 [Rummel]; Koziol

aaO Rz 3/9; Fischer in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch5 II [2017] § 121 Rz 47; Graf von Westphalen in Graf von Westphalen/Zöchling‑Jud, Die Bankgarantie im internationalen Handelsverkehr4 [2014] Kap A Rz 52 f; vgl auch

RS0016946; 5 Ob 540/93). Dem Begünstigten steht es nicht frei, die Garantie betreffend einen bestimmten Auftrag für andere Aufträge heranzuziehen (1 Ob 521/86; 7 Ob 311/99g; 6 Ob 126/04d ua).

4.3. Hält sich der Begünstigte aus vertretbaren Gründen für berechtigt, die Bankgarantie abzurufen, kann ihm kein arglistiges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden (RS0017997; Zöchling-Jud aaO Kap I Rz 52 mwN; vgl auch RS0016950). Es kommt grundsätzlich auf den Wissensstand bzw die Beweislage im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Garantie an, ob dem Begünstigten der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu machen ist oder nicht (RS0017042 [T2]; P. Bydlinski in KBB5 § 880a ABGB Rz 4; Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1295 Rz 95; W. Faber in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1346 Rz 74). Der

Rechtsmissbrauch ist von der Bank zu beweisen (RS0017989 [T2]; W. Faber in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1346 Rz 74).

5. 

Im vorliegenden Fall vertritt die Beklagte die Ansicht, dass sich aus den klagsgegenständlichen Bankgarantien keine ausdrückliche Vereinbarung eines Sicherungszwecks ergebe. Wäre es beim Haftrücklass geblieben, wäre sie berechtigt gewesen, dem Anspruch der M*****-GmbH auf Freigabe der Haftrücklässe jegliche Forderung von ihr gegen die M*****-GmbH aufrechnungsweise entgegenzuhalten. Damit ergäbe sich ihre Berechtigung, wegen jeglicher Forderung gegenüber der M*****-GmbH die an Stelle der Haftrücklässe getretenen Bankgarantien abzurufen. Zumindest sei aber diese ihre Rechtsansicht vertretbar, sodass Rechtsmissbrauch ausscheide.

5.1. Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich der Sicherungszweck der klagsgegenständlichen Bankgarantien jeweils aus der Präambel. Sie sichern allein die Haftrücklässe der Beklagten für die von ihr bei der M*****‑GmbH beauftragten Baumeister- und Zimmermeisterarbeiten beim Bauvorhaben Bad G***** 9 WE ab.

5.2. Richtig ist, worauf sich die Beklagte maßgeblich rechtlich stützt, dass der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausspricht, dass Sinn einer Bankgarantie, welche anstelle eines sonst vereinbarten Haftrücklasses gegeben wird, nicht ist, dem Begünstigten nur eine Sicherheit zu geben, sondern dass der Begünstigte so gestellt werden soll, wie wenn er schon Bargeld in Händen hätte, oder genauer gesagt, wie wenn er die fragliche Summe noch gar nicht aus der Hand gegeben hätte (

RS0017002). Damit ist aber allein gemeint, dass die Bankgarantie in Hinsicht auf den Sicherungszweck – die von der Bankgarantie anstelle der Haftrücklässe besicherten Ansprüche auf Beseitigung und Wiedergutmachung von Mängeln und Schäden des konkreten Bauvorhabens – wie Bargeld anzusehen ist. Während Bargeld „kein Mascherl hat“ (

5 Ob 516/93;

3 Ob 1013/95) und daher bei einem Haftrücklass der Schuldner gegen die Forderung des Gläubigers auf Auszahlung des Haftrücklasses mit einer ihm selbst gegen den Gläubiger – aus welchem Grund auch immer – zustehenden Geldforderung aufrechnen darf, hat eine Haftrücklassgarantie einen Sicherungszweck. Es ist – wie von der Klägerin zutreffend ausgeführt – nach Rechtsprechung (5 Ob 45/07i) und Literatur (Rohrer, ÖJZ 2012, 718 [Glosse zu 8 Ob 5/12m]; Koziol aaO Rz 3/106) rechtsmissbräuchlich, eine Bankgarantie zu einem anderen als dem Sicherungszweck abzurufen. Dies gilt auch für eine Haftrücklassgarantie (6 Ob 126/04d). Der effektive Einbehalt des Haftrücklasses dient zum einen als Druckmittel für die Herstellung einer mangelfreien Leistung, zum anderen bietet er dem Besteller die Möglichkeit, sich allenfalls für seine Gewährleistungs-(oder Schadenersatz-)ansprüche schadlos zu halten. Wird der effektive Einbehalt des Haftrücklasses durch eine Bankgarantie ersetzt, übernimmt diese die Funktion als Sicherungsmittel (Eccher, Die Haftrücklassgarantie im Lichte des neuen Gewährleistungsrechts, ÖBA 2004, 77 [79]), dies aber eben nur mit demselben Sicherungszweck: Dem Erwerber soll durch die Haftrücklassgarantie Sicherheit für erst später, innerhalb der Gewährleistungsfrist entdeckte Mängel gewährt werden (vgl RS0018130; 3 Ob 6/11w), dies aber allein hinsichtlich des konkreten Bauvorhabens, für das die Haftrücklassgarantie zufolge ihrer Präambel gegeben wurde. Eine Bankgarantie verschafft daher bei entsprechender Ausgestaltung nur weitestgehend die gleiche Sicherheit wie die Zurückbehaltung eines Teils des Werklohns (M. Bydlinski, Unberechtigte Inanspruchnahme einer Haftrücklassgarantie und Analogie im Verjährungsrecht, in FS F. Bydlinski [2002] 1 [12 f]). Während Bargeld jederzeit kompensationsfähig ist, ist dies eine Bankgarantie nicht (Karasek, ÖNORM B 21103 [2016] Rz 1927). Die Ansicht der Beklagten, sie wäre berechtigt gewesen, entgegen der Präambel in den beiden Bankgarantien, die ausdrücklich auf das Grundgeschäft des Bauvorhabens Bad G***** 9 WE hinweisen, wegen jeglicher ihr gegen die M*****-GmbH zustehender, somit unter Umständen auch allein aus einem anderen Grundgeschäft abgeleiteter Forderung die Bankgarantien abzurufen, ist nicht vertretbar. Der von der klagenden Bank akzeptierte, in den Präambeln festgehaltene Sicherungszweck der Haftrücklassgarantien ginge dadurch in beträchtlichem Ausmaß verloren.

6. Im vorliegenden Fall leitet die Klägerin den Rechtsmissbrauch zum einen daraus ab, dass die Beklagte die Bankgarantie zu einem anderen Sicherungszweck als dem im Kausalverhältnis begründeten abgerufen habe. Richtig ist wie bereits zuvor dargestellt, dass das Abrufen einer Bankgarantie zu einem anderen Zweck als dem im Kausalverhältnis begründeten ohne Weiteres Rechtsmissbrauch bewirkt. Im Unterschied zu 5 Ob 45/07i, in welchem Fall der Abruf ausdrücklich zu einem anderen Sicherungszweck als dem im Kausalverhältnis begründeten erfolgte, wurden hier die Bankgarantien ohne Begründung abgerufen. Aus der Abrufungserklärung selbst kann der Rechtsmissbrauch daher nicht abgeleitet werden. Es bedürfte daher einer besonderen Feststellung, zu welchem Zweck der Abruf erfolgte. Das Schreiben der Beklagten vom 29. 7. 2015 macht eine solche Feststellung nicht überflüssig, weil mit ihm die Abrufung gerade nicht vorgenommen wurde. Eine Feststellung ist auch deshalb erforderlich, weil die Beklagte den Abruf zu einem anderen als dem vereinbarten Sicherungszweck nicht außer Streit gestellt hat.

7. Die Klägerin leitet zum anderen den Rechtsmissbrauch auch daraus ab, dass die Beklagte bei Abruf der Bankgarantie in Kenntnis der Tatsache gewesen sei, dass die Voraussetzungen der Garantieinanspruchnahme nicht vorlägen, dass die Beklagte also gewusst habe, dass beim Bauvorhaben Bad G***** 9 WE keine Mängel vorhanden seien, sie somit, zumal bloß solche Mängel erklärter Sicherungszweck der Bankgarantie gewesen seien, die Absicht gehabt habe, etwas zu begehren, was ihr nicht gebühre und daher sofort wieder zurückzuerstatten wäre. Feststellungen zum maßgeblichen Wissensstand bzw zur Beweislage im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Garantie enthält das Ersturteil aber nicht. Wenn das Erstgericht meint, solche seien entbehrlich, weil die Beklagte nunmehr selbst vorbringe, dass vor Ziehung der Bankgarantien Mängel und Schäden vorhanden gewesen seien, für deren Behebung (nur) 7.002,84 EUR veranschlagt worden seien, sodass das Abrufen der Bankgarantien zumindest hinsichtlich des Mehrbetrags von 73.435,96 EUR rechtsmissbräuchlich sei, so überträgt es ein (vermeintliches) derzeitiges Wissen der Beklagten über das Ausmaß der Mängel und Schäden auf den vorherigen Zeitpunkt bei Abrufung der Bankgarantien. Dass die Beklagte nunmehr vorbringt, es habe Mängel und Schäden in Höhe von 7.002,84 EUR gegeben, bedeutet nicht, dass die Beklagte auch damals gewusst hat, dass es nur Mängel und Schäden in Höhe von 7.002,84 EUR gibt. Es ist im Übrigen nicht Sache der Beklagten, sich von einem Wissen über das Nichtbestehen des durch die Bankgarantie gesicherten Anspruchs freizubeweisen, sondern Sache der klagenden Bank, unter Beweis zu stellen, dass ein solches Wissen bei der Beklagten zur Zeit der Abrufung der Bankgarantien vorhanden war. Die Klägerin hat eine solche Behauptung aufgestellt, das Erstgericht aber keine Feststellungen getroffen, weshalb das Ersturteil auch insofern an einem sekundären Feststellungsmangel leidet.

Auch ob der Beklagten Rechtsmissbrauch zur Last fällt, lässt sich anhand der Feststellungen damit noch nicht beurteilen.

8. Aufgrund der dargelegten sekundären Feststellungsmängel zur Beurteilung des Bestehens der Klagsforderung an sich erweist sich eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und eine Rückverweisung an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung als notwendig. Ein Eingehen auf die von der Beklagten erhobenen – das Bestehen der Klagsforderung voraussetzenden – Einwendungen erübrigt sich zum derzeitigen Zeitpunkt.

9. Der Kostenvorbehalt ist eine Folge der Urteilsaufhebung und Zurückverweisung ( Fucik in Rechberger , ZPO 4 § 52 Rz 6).

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