European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00084.24X.1024.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Die Parteien schlossen am 8. 1. 2021 vor dem Landesgericht Innsbruck – um die seit Jahren bestehenden zahlreichen gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtsstreitigkeiten beizulegen und für die Zukunft zu vermeiden – einen Vergleich, nach dem sie sich insbesondere wechselseitig verpflichteten, „vor Einbringung möglicher Klagen oder Exekutionen die jeweils andere Partei hinreichend konkret über einen möglichen Rechtsverstoß zu warnen“.
[2] Gestützt darauf begehrte die Klägerin 1. die Unterlassung der Einbringung von Exekutions- und/oder Strafanträgen, ohne vorher über einen möglichen Rechtsverstoß zu warnen, 2. die Erstbeklagte zu verpflichten, a) den Strafantrag vom 31. 3. 2021 zu 5 E 737/21i sowie b) gegenüber der Klägerin den Exekutionsantrag zu 5 E 3667/21x jeweils des Bezirksgerichts Hall in Tirol zurückzuziehen und die Einstellung der Exekutionsverfahren unter Aufhebung aller damit verbundenen Vollzugsakte zu beantragen (in der Folge: „Beseitigungsbegehren“), und 3. die Feststellung der Haftung für alle Schäden und Vermögensnachteile, die der Klägerin aufgrund des Strafantrags laut Punkt a) und des Exekutionsantrags laut b) des Beseitigungsbegehrens entstünden. Das Unterlassungsbegehren bewertete sie mit 46.200 EUR, das Beseitigungs- und das Feststellungsbegehren jeweils mit 5.100 EUR.
[3] Die Beklagte bemängelte (nur) zum Feststellungsbegehren gemäß § 7 RATG den Streitwert. In der Tagsatzung am 3. 5. 2022 einigten sich die Parteien insofern auf einen Streitwert von 10.000 EUR.
[4] Im ersten Rechtsgang wurde mit Teilurteil über das Unterlassungsbegehren betreffend die Erstbeklagte und über Punkt a) des Beseitigungsbegehrens rechtskräftig entschieden. In der Tagsatzung am 6. 6. 2023 schränkte die Klägerin das Feststellungsbegehren auf die aus dem Exekutionsantrag laut Punkt b) des Beseitigungsbegehrens entstehenden Schäden und Vermögensnachteile ein.
[5] Mit Endurteil vom 8. 9. 2023 gab das Erstgericht dem Unterlassungsbegehren gegen die Zweitbeklagte zur Gänze und dem Beseitigungs- und Feststellungsbegehren jeweils hinsichtlich 7 von 14 Verstößen statt.
[6] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung über Berufung der Beklagten nur insofern ab, als es einen Verstoß gegen § 405 ZPO wahrnahm, der darin bestand, dass das Erstgericht beim Beseitigungsbegehren die Zurückziehung bzw einen Antrag auf Einstellung nicht nur gegenüber der Klägerin anordnete. Den Entscheidungsgegenstand bewertete es je beklagter Partei mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend. Die ordentliche Revision erklärte es für nicht zulässig.
[7] Die Beklagten stellten einen Antrag nach § 508 ZPO auf Zulassung der ordentlichen Revision an das Berufungsgericht und erhoben gleichzeitig Revision. In dieser wendeten sie sich gegen die „offensichtliche Unterbewertung“ des Entscheidungsgegenstands durch das Berufungsgericht und richteten an den Obersten Gerichtshof den Antrag, dies wahrzunehmen und die Revision zuzulassen.
[8] Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht den Antrag nach § 508 ZPO samt der ordentlichen Revision zurück, weil es den Antrag für nicht stichhaltig erachtete.
[9] Dagegen richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, den bekämpften Beschluss über die Zurückweisung der Revision dahin abzuändern, dass die Revision der Beklagten gemäß § 505 Abs 4 ZPO zugelassen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsangtrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Klägerin erstattete keine Rekursbeantwortung.
[11] 1. Der im § 508 Abs 4 ZPO normierte Rechtsmittelausschluss betrifft nur Entscheidungen des Gerichts zweiter Instanz, mit denen das Berufungsgericht die Argumente des Antragstellers, es lägen doch erhebliche Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO vor, prüft, sie aber nicht für stichhältig hält und deshalb den Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO und die damit verbundene Revision zurückweist (RS0115271; RS0113122 [T4]; siehe auch RS0114002; RS0111234 [T2]). Der Rechtsmittelausschluss des § 508 Abs 4 ZPO gilt daher nur für die inhaltliche Beurteilung der Zulassungsfrage, nicht aber dafür, ob überhaupt ein Fall des § 508 ZPO vorliegt (RS0113122 [T5]). Weist das Berufungsgericht eine (in Wahrheit) außerordentliche Revision zurück, gilt der Rechtsmittelausschluss des § 508 Abs 4 letzter Satz ZPO nicht (RS0122264).
[12] Daran kann auch der Umstand nichts ändern, dass die Klägerin primär einen Antrag nach § 508 ZPO gestellt hat (1 Ob 140/08g; 8 Ob 164/08p; 9 Ob 27/08y; 2 Ob 248/09y; 4 Ob 147/12i; 1 Ob 78/16a; 7 Ob 2/19y; RS0114002). Sollte der (insofern nicht näher begründeten) Entscheidung 2 Ob 163/14f Abweichendes zu entnehmen sein, ist ihr nicht zu folgen.
[13] Der (angesichts der Rekursausführungen erkennbar auf ersatzlose Behebung der Zurückweisung der Revision gerichtete) Rekurs ist daher zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.
[14] 2.1. Vorweg ist festzuhalten, dass die Überprüfung einer Entscheidung der Vorinstanzen nur im Rahmen der Anfechtung stattzufinden hat. Es ist also nicht zulässig, eine dem Hauptverfahren anhaftende Nichtigkeit, die auf die Erledigung der angefochtenen Entscheidung ohne Einfluss ist, im Rekursverfahren von Amts wegen wahrzunehmen (RS0007416).
[15] Demnach ist im gegenständlichen Verfahrensstadium, in dem lediglich die Frage zu klären ist, ob dem Berufungsgericht ein grober Bewertungsfehler unterlaufen ist, die Zulässigkeit des (streitigen) Rechtswegs nicht zu prüfen. Dies gilt gleichermaßen für die Frage, ob das Beseitigungsbegehren angesichts der Sonderregelungen über das Impugnationsverfahren zulässig ist (vgl auch RS0012239), wie für die Thematik, ob das Feststellungsbegehren ausschließlich auf Kostenersatzansprüche (1 Ob 93/23t mwN) und den Ersatz von Beugestrafen (vgl § 359 Abs 2 EO) gerichtet ist.
[16] 2.2. Der Bewertungsausspruch der zweiten Instanz ist grundsätzlich auch für den Obersten Gerichtshof bindend, es sei denn, das Berufungsgericht hätte zwingende Bewertungsvorschriften verletzt oder den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum überschritten und eine offenkundige Unter- oder Überbewertung vorgenommen (RS0042385 [T22]; RS0042515 [T23]; RS0109332 [T1]).
[17] Der Streitwert der Impugnationsklage richtet sich wie jener der Oppositionsklage nach dem unter Anwendung der §§ 54 und 56 JN ermittelten Wert des betriebenen und von der Klage betroffenen Anspruchs (3 Ob 219/17b mwN). Das gegenständliche Beseitigungsbegehren ist allerdings nicht als Impugnationsklage direkt auf Unzulässigerklärung der Anlassexekution (RS0107694 [T2]) gerichtet, sondern bewusst davon abweichend auf Abgabe einer Willenserklärung iSd § 367 EO (RS0012239). Damit ist der Zusammenhang mit dem Exekutionsverfahren jedenfalls soweit gelockert, dass eine von diesem unabhängige Bewertung des konkreten Interesses der Klägerin möglich und geboten ist.
[18] Allein aus dem Streitwert der (erst nach der Ausdehnung um das Beseitigungsbegehren anhängig gemachten) Impugnationsklage oder des Exekutionsverfahrens ist demnach nicht abzuleiten, dass dem Berufungsgericht eine offenkundige Unterbewertung des Beseitigungsbegehrens unterlaufen wäre.
[19] Erst recht ist kein Grund ersichtlich, warum ein Feststellungsbegehren, das auf die Haftung für Schäden aus der unzulässigen Einleitung eines Exekutionsverfahrens abzielt, nicht nach der Höhe der möglichen Schäden, sondern nach dem Streitwert des Exekutionsverfahrens zu bewerten sein soll.
[20] Den Beklagten gelingt es daher nicht, eine offenkundige Unterbewertung durch das Berufungsgericht aufzuzeigen, sodass dem Rekurs ein Erfolg zu versagen ist.
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