OGH 6Ob110/21a

OGH6Ob110/21a22.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I* B*, vertreten durch Dr. Frank Carlo Gruber, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei L* A*, vertreten durch Dr. Stefan Krenn, Rechtsanwalt in Graz, wegen 16.037,45 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 4. März 2021, GZ 7 R 35/20a‑28, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 29. Juli 2020, GZ 39 Cg 71/19v‑24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00110.21A.1222.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung, einschließlich des unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Teils, insgesamt zu lauten hat:

„1. Die Klagsforderung besteht mit 13.832,33 EUR zu Recht.

2. Die eingewendete Gegenforderung besteht nicht zu Recht.

3. Die beklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei 13.832,33 EUR samt 4 % Zinsen seit 3. 10. 2019 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

4. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 2.205,12 EUR samt 4 % Zinsen seit 3. 10. 2019 binnen 14 Tagen zu bezahlen, wird abgewiesen.“

 

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 6.182,08 EUR (darin enthalten 863,65 EUR USt und  1.000,19 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] In einem Lokal kam es zu einer „Rangelei“, an der unter anderem die Streitteile und zwei weitere Männer beteiligt waren. Dabei kamen die Beteiligten zu Sturz. Als der Kläger umfiel, fiel eine Stahlrute, die er zur Selbstverteidigung mitführte und eingesteckt hatte, aber nicht verwendete (insbesondere schlug er damit nicht auf einen Beteiligten ein, wie der Beklagte später behauptete), heraus und blieb auf dem Boden liegen. Der Kläger rappelte sich auf und lief ins Freie, um sich in Sicherheit zu bringen, zumal er Angst vor einem Angriff hatte. Der Beklagte folgte ihm aus eigenem; er wurde dazu nicht von seinem Freund, dem „Security“, aufgefordert. Der Kläger drehte sich um und nahm wahr, dass der Beklagte ihm in geringem Abstand folgte, weshalb er weiter weglief. Warum der Beklagte dem Kläger nachlief, welches Ziel er also dabei verfolgte, steht nicht fest. Der Kläger jedenfalls befürchtete, der Beklagte folge ihm, um ihn anzugreifen. Hinter dem Beklagten folgte den beiden einer der zuvor eingetroffenen Polizeibeamten ebenfalls in geringem Abstand. Kurz darauf kam der Beklagte in einer Kurve bei der Parkplatzausfahrt des Lokals durch Stolpern zu Sturz und blieb auf dem Boden liegen. Der Kläger nahm wahr, dass er nicht mehr verfolgt wurde, weil der Beklagte am Boden lag, blieb stehen und ging zum Beklagten zurück. Dort wartete er, bis die Polizei kam; bei den Amtshandlungen leistete er keinen Widerstand. Der Kläger hatte sich nicht der Polizei entziehen wollen, sondern war vor dem Beklagten geflüchtet, von dem er eine körperliche Attacke befürchtet hatte. Wäre der Beklagte stehen geblieben, wäre auch der Kläger stehen geblieben und hätte auf die Polizei gewartet.

[2] In einem gegen ihn geführten Strafverfahren wurde der Kläger von den Vorwürfen, er habe einen an der „Rangelei“ Beteiligten vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihm einen Schlag mit einer Stahlrute auf dessen Rücken versetzt habe, und den Beklagten vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihm einen Tritt gegen dessen Knie versetzt habe, und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine länger als vierundzwanzig Stunden dauernde Gesundheitsschädigung sowie eine an sich schwere Körperverletzung, nämlich einen Tibiakopfbruch rechts, herbeigeführt, rechtskräftig freigesprochen; es sei kein Schuldbeweis erbracht worden. Allerdings wurde der Kläger wegen des Vergehens des unerlaubten Waffenbesitzes (die Stahlrute) gemäß § 50 Abs 1 WaffenG zu einer Geldstrafe verurteilt.

[3] Der Beklagte wurde in einem gegen ihn geführten Strafverfahren wegen falscher Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und Abs 4 StGB sowie Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster und zweiter Fall StGB zum Nachteil des Klägers rechtskräftig schuldig gesprochen. Demnach hat der Beklagte als Zeuge in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung vor der Kriminalpolizei sowie in dem gegen den Kläger geführten Strafverfahren als Zeuge vor Gericht bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache falsch ausgesagt, indem er wahrheitswidrig behauptet hat, der Kläger habe einem an der „Rangelei“ Beteiligten mit einer Stahlrute einen Schlag gegen die Schulter und dem Beklagten in weiterer Folge einen Tritt gegen das Knie versetzt, wodurch dieser eine Verletzung am Knie (Tibiakopfbruch am rechten Knie) erlitten habe. Der Beklagte hat durch diese Handlungen sowie durch seine gleichlautenden Angaben bei seiner Vernehmung als Beschuldigter den Kläger dadurch der Gefahr der behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er ihn von Amts wegen zu verfolgender, teils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohter Handlungen, nämlich des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB, falsch verdächtigte, wobei er wusste, dass die Verdächtigungen falsch waren.

[4] Im gegen den Kläger geführten Strafverfahren herrschte gemäß § 61 Abs 1 Z 5 StPO Verteidigerzwang, weil die Strafdrohung infolge der vom Beklagten erhobenen Vorwürfe der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorsah. Der Verteidiger des Klägers (der nunmehrige Klagevertreter) stellte diesem an Kosten der Verteidigung insgesamt 16.037,45 EUR in Rechnung, die sich aus den (im Einzelnen festgestellten) und nach den Honorarkriterien des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (AHK) verrechneten Leistungen des Rechtsanwalts von 14.852,76 EUR (inklusive eines Erfolgszuschlags nach § 12 AHK von 50 %, Barauslagen und USt) sowie den Kosten eines zum Zwecke der Verteidigung im Strafverfahren eingeholten und dort auch verwerteten Privatgutachtens von 1.184,69 EUR zusammensetzten.

[5] Die verzeichneten Leistungen, waren vom Verteidiger/Klagevertreter auch tatsächlich erbracht worden.

[6] Hätte der Beklagte bei seiner Vernehmung zur Sache nicht falsch ausgesagt, indem er wahrheitswidrig behauptete, der Kläger habe ihm einen Tritt gegen das Knie versetzt, wodurch er seine Verletzung am Knie erlitten habe, hätte kein Verfahren vor dem Landesgericht, sondern ein Verfahren vor einem Bezirksgericht ohne Anwaltszwang stattgefunden. In einem Verfahren vor dem Bezirksgericht hätte sich der Kläger nicht anwaltlich vertreten lassen.

[7] Der Kläger begehrte die ihm entstandenen Verteidigungskosten im Strafverfahren vor dem Landesgericht von 16.037,45 EUR sA als Schadenersatz und brachte vor, diese seien ihm aufgrund der wissentlich falschen Anschuldigung des Beklagten, der Kläger habe an ihm eine schwere Körperverletzung begangen, entstanden. Ohne die falschen Aussagen des Beklagten wäre – wenn überhaupt – ein Strafverfahren allein wegen unerlaubtem Waffenbesitz gemäß § 50 Abs 1 Z 2 WaffenG vor dem Bezirksgericht geführt worden, also ohne Verteidigerzwang. Dort hätte sich der Kläger nicht anwaltlich vertreten lassen.

Der Beklagtewendete – soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – ein, Schutzzweck der Taten, wegen denen der Beklagte verurteilt worden sei, sei die Strafrechtspflege; der Schutz des Vermögens sei davon nicht umfasst, weshalb die geltend gemachten reinen Vermögensschäden nicht ersatzfähig seien. Die Forderung sei auch der Höhe nach nicht gerechtfertigt. Einige (im Einzelnen angeführte) Vertretungshandlungen des Verteidigers seien zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht dienlich gewesen, den Erfolgszuschlag hätte der Kläger abbedingen oder durch Nachverhandlungen reduzieren müssen. Die Kosten des Privatgutachtens seien nicht zu ersetzen. Die gesamte strafrechtliche Vertretung des Klägers hätte kostenschonender absolviert werden können; der Kläger habe somit gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen. Der Kläger hätte überdies einen Antrag gemäß § 393a StPO stellen und so eine allfällige Zahllast deutlich verringern können.

[9] Der Beklagte sei dem Kläger aus dem Lokal nachgelaufen, um ihn zu stellen und der behördlichen Verfolgung zuzuführen. Des Weiteren brachte der Beklagte vor, er sei gestürzt und habe einen Tibiakopfbruch rechts erlitten, der Kläger hafte für diese „Verfolgungsschäden“. Als Gegenforderung werde daraus ein (näher aufgeschlüsselter) Betrag von 14.476 EUR eingewendet.

[10] Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung als mit 15.737,45 EUR zu Recht bestehend, die eingewendete Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend und gab dem Klagebegehren im Umfang von 15.737,45 EUR statt; ein Mehrbegehren von 300 EUR wies es (rechtskräftig) ab. Das Verhalten des Beklagten sei als sittenwidrig im Sinne des § 1295 Abs 2 ABGB zu beurteilen, woraus sich die Ersatzfähigkeit des reinen Vermögensschadens ergebe. Auch sei der Schaden des Klägers vom Schutzzweck des § 297 StGB umfasst. Anwaltskosten, die aufgewendet werden, um eine drohende Strafe abzuwenden, seien als „Rettungsaufwand“ positiver Schaden. Hier sei die Verrechnung korrekt nach den Bestimmungen des AHK in Verbindung mit mit dem RATG erfolgt. Die Voraussetzungen für die Verzeichnung eines entsprechenden Erfolgszuschlags nach § 12 AHK seien erfüllt. Selbst wenn in Anbetracht einzelner Positionen tatsächlich fraglich gewesen sei, ob diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen wären, sei in der mangelnden Rüge des Klägers gegenüber seinem Vertreter aber kein Verstoß gegen dessen Schadensminderungspflicht zu erblicken. Auch die Verrechnung der Kosten des Privatgutachtens sei nicht zu beanstanden, weil diesem Gutachten ein essentieller Beitrag im Beweisverfahren vor dem Strafgericht nicht abgesprochen werden könne, weshalb auch diese Kosten angemessen und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen seien. Berechtigt sei aber der Einwand des Klägers, er hätte einen Kostenbeitrag zu seinen Verteidigerkosten lukrieren müssen. Nach § 393a Abs 1 StPO sei der Pauschalbeitrag unter Bedachtnahme auf den Umfang und die Schwierigkeit der Verteidigung und das Ausmaß des notwendigen oder zweckmäßigen Einsatzes des Verteidigers festzusetzen. Hätte der Kläger in dem gegen ihn geführten Strafverfahren nach seinem Freispruch einen Antrag gemäß § 393a Abs 2 StPO auf Pauschalkostenersatz gestellt, wären ihm 300 EUR zuerkannt worden, weshalb die Höhe der Klagsforderung im Hinblick auf die Schadensminderungspflicht des Klägers um diesen Betrag zu kürzen sei. Zur Gegenforderung führte das Erstgericht aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beklagte den Kläger verfolgt habe, um ihn festzuhalten, damit er der Polizei nicht entkommen könne, weshalb eine Haftung des Klägers für die aus dem Sturz des Beklagten resultierenden Schäden abzulehnen sei.

[11] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung. Es war der Ansicht, der Beklagte habe den Kläger als Zeuge in einem Ermittlungsverfahren bzw als Zeuge vor Gericht wissentlich falsch beschuldigt und sei daher nicht Anzeiger im Sinne des § 390 Abs 4 StPO, weshalb diese Bestimmung nicht zur Anwendung gelange und somit der (Zivil)‑Rechtsweg zulässig sei. Im Übrigen teilte es die Rechtsansicht des Erstgerichts und ergänzte, der Beklagte habe dem Kläger die klagsgegenständlichen Kosten seiner Verteidigung schon wegen sittenwidriger Schädigung gemäß § 1295 Abs 2 ABGB zu ersetzen, weshalb dahinstehen könne, ob sich der Ersatzanspruch dem Grunde nach auch aus dem Schutzzweck des § 297 StGB ableiten ließe. Dem Kläger sei ein Schaden in Höhe jenes Betrags entstanden, den dieser seinem Anwalt für seine Verteidigung im Strafverfahren schulde. Zwar könne der Schädiger auch für Anwaltskosten grundsätzlich verlangen, dass er Ersatz (nur) in angemessener Höhe leisten müsse. Bei Beurteilung der Frage, ob dem Kläger eine Verletzung der Schadensminderungspflicht vorzuwerfen sei, sei aber nicht – wie im Fall einer Kostenentscheidung nach prozessrechtlichen Grundsätzen – jede einzelne vom Verteidiger erbrachte Leistung dahin zu überprüfen, ob sie auch zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen sei. Es könne von der Angemessenheit eines Honorars ausgegangen werden, das den von der ständigen Vertreterversammlung der österreichischen Rechtsanwaltskammern erstellten Honorarrichtlinien entspreche. Dem Kläger könne daher nicht vorgeworfen werden, dass er die von seinem Verteidiger verzeichneten Kosten nicht – etwa durch ein Kammergutachten – habe überprüfen lassen. Dass das Erstgericht letztlich davon ausgegangen sei, dass der Kläger bei einer Antragstellung nach § 393a StPO nur 300 EUR erhalten hätte, sei nicht zu beanstanden und darauf zurückzuführen, dass der Kläger als Angeklagter in einem Strafverfahren, in dem die Vertretung durch einen Verteidiger in der Hauptverhandlung zwingend vorgeschrieben war, nur einer in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte fallenden strafbaren Handlung für schuldig erkannt wurde. Aufgrund der vom Erstgericht getroffenen Negativfeststellung sei im Zusammenhang mit der Gegenforderung gerade nicht davon auszugehen, dass der Beklagte den Kläger verfolgt habe, um ihn der Polizei zu übergeben bzw um seinem Freund zu helfen, allenfalls berechtigte Schadenersatzansprüche geltend zu machen. Diese Negativfeststellung gehe zu Lasten des Beklagten.

[12] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem gleich oder ähnlich gelagerten Fall nicht vorliege. Die Auffassung, es sei nicht jede vom Verteidiger des Klägers erbrachte Leistung auf ihre Zweckmäßigkeit zu prüfen, könnte für den Beklagten eine faktische Bindungswirkung an einen für ihn nicht beeinflussbaren Vertrag zwischen dem Kläger und seinem Verteidiger zur Folge haben und den Grundsätzen des Schadenersatzrechts widersprechen.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision des Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Ersatzfähigkeit von Verfahrenskosten als „Rettungsaufwand“ abgewichen ist; sie ist auch teilweise berechtigt.

[14] 1. Gegen die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts zur Zulässigkeit des Rechtswegs und den Voraussetzungen der Anwendung des § 390 Abs 4 StPO (Lendl in Fuchs/Ratz, WK‑StPO [Stand 1. 6. 2021] § 390 Rz 21 ff; vgl 1 Ob 640/94; RS0032196) wendet sich die Revision nicht; auf sie kann daher verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).

[15] 2. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[16] 3. Die Strafbestimmung des § 297 StGB dient auch dem Schutz des Vermögens des Verleumdeten (8 Ob 64/21a; Pilnacek/Świderski in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 297 StGB Rz 3). Der Täter hat diesem daher aufgrund der Übertretung dieses Schutzgesetzes im Sinne des § 1311 ABGB auch die Kosten der Verteidigung im Strafverfahren als bloßen Vermögensschaden (6 Ob 153/05x; 8 Ob 64/21a) zu ersetzen. Darüber hinaus stützt auch § 1295 Abs 2 ABGB eine Verpflichtung zum Ersatz von Verfahrenskosten, wenn der Täter rechtswidrig wider besseres Wissen (RS0097183; RS0097195) falsche Angaben gegenüber der Behörde gemacht hatte, die dafür kausal waren, dass diese ein Verfahren veranlasste, wodurch dem Geschädigten die als Schaden geltend gemachten Vertretungskosten entstanden (4 Ob 37/16v; 6 Ob 94/20x [Anzeige wegen „Fahrerflucht“]).

[17] Zutreffend haben daher die Vorinstanzen die Haftung des Beklagten für dem Kläger entstandene Kosten der Verteidigung im gegen ihn geführten Strafverfahren bejaht, ohne dass dazu noch weitere Feststellungen erforderlich gewesen wären.

[18] 4. Nur der zweckmäßige und angemessene „Rettungsaufwand“ ist zu ersetzen:

[19] 4.1 Aufwendungen, die gemacht werden, um eine Gefahr abzuwehren („Rettungsaufwand“), sind positiver Schaden (RS0023516). Sie sind ersatzfähig, wenn sie erforderlich waren, um den drohenden Schaden abzuwehren, und zweckmäßig insoweit waren, als ein maßgerechter „vernünftiger“ Durchschnittsmensch in der konkreten Lage die getroffenen Maßnahmen – ex ante betrachtet – ebenfalls gesetzt hätte (2 Ob 132/14x; 8 Ob 6/09d; vgl auch 2 Ob 28/14b; 6 Ob 163/05x; Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.03 § 1293 Rz 10 f).

[20] 4.2 Nach ständiger Rechtsprechung sind auch Rechtsanwaltskosten und weiterer Verfahrensaufwand (vgl 1 Ob 50/13d [ErwGr 5.2]), um eine drohende Strafe abzuwenden, als „Rettungsaufwand“ nur zu ersetzen, wenn sie – ex ante betrachtet – zweckmäßig und angemessen waren (6 Ob 94/20x; vgl 3 Ob 30/19m [nur unvermeidbare Verfahrenshandlungen]; RS0023516 [T1, T2]; RS0106806 [T2]), wobei im Ersatzprozess die einzelnen strittigen anwaltlichen Maßnahmen auf ihre Zweckmäßigkeit hin zu prüfen sind (vgl 1 Ob 226/20x; 1 Ob 38/11m; 1 Ob 13/10h).

[21] 4.3 Nicht entscheidend ist, ob der Kläger schuldhaft eine nachträgliche Überprüfung der Kostennote seines Verteidigers unterlassen hat. Dazu im Einzelnen:

[22] 4.3.1 Die schriftliche Vollmachtsbekanntgabe des zu diesem Zeitpunkt erstmals einschreitenden Verteidigers vom 22. 6. 2021 ist als zweckmäßig anzusehen (vgl Lendl in Fuchs/Ratz, WK‑StPO [Stand 1. 6. 2021] § 395 Rz 18), dies schon allein, um die gerichtlichen Zustellungen zu erhalten.

[23] 4.3.2 Ebenso sind die Vornahme der Kommission durch den Rechtsanwalt oder Rechtsanwaltsanwärter nach TP 7 RATG vom 25. 6. 2018 zur „Aktenerhebung“, der Antrag auf „Duplizierung“ vom 27. 6. 2021 und die Vornahme der Kommission durch einen Rechtsanwaltsgehilfen nach TP 7 RATG vom 28. 6. 2018 zur „Duplizierung USB‑Stick“ im vorliegenden Fall als zweckmäßig zu betrachten. Es waren auch Datenträger Aktenbestandteil, deren Inhalt (Aufnahmen der Überwachungskameras) für eine zweckmäßige Verteidigung als erforderlich anzusehen sind und die daher „dupliziert“ werden mussten. Die Aufnahmen waren im konkreten Fall auch für die Gutachtenserstattung durch den vom Kläger beauftragten Privatgutachter nötig. Da für die Kommission vom 28. 6. 2018 ohnehin lediglich der Tarif für das Einschreiten eines Rechtsanwaltsgehilfen begehrt wurde, geht auch der Einwand der Revision ins Leere, dass nach der Aktenlage des Strafakts der USB-Stick von einer „Kanzleikraft“ geholt worden sei.

[24] 4.3.3 Hingegen wurden Gründe, weshalb die gleichzeitig mit der schriftlichen Vollmachtsbekanntgabe verzeichnete Kommission durch den Rechtsanwalt oder Rechtsanwaltsanwärter nach TP 7 RATG vom 22. 6. 2018, die der „Vorsprache Richter“ diente, erforderlich oder zweckmäßig gewesen sein sollte, weder behauptet noch festgestellt; auch in dem im erstinstanzlichen Verfahren verlesenen Strafakt scheint diese nicht auf. Gleiches gilt für die zwischen den beiden Hauptverhandlungen durchgeführte Kommission vom 24. 7. 2018 durch den Rechtsanwalt oder Rechtsanwaltsanwärter nach TP 7 RATG zur (nochmaligen) „Aktenerhebung“. Zutreffend hat der Beklagte bereits in erster Instanz darauf hingewiesen, dass von der Zweckmäßigkeit dieser Kommissionen nicht ausgegangen werden könne. Ein Ersatzanspruch des Klägers für die Kosten dieser Vertretungshandlungen besteht daher nicht.

[25] 4.3.4 Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagte habe auch die Kosten des Privatgutachtens als weiteren Verfahrensaufwand (siehe Punkt 4.2) zu ersetzen, ist nicht zu beanstanden. Dieses Gutachten zur zeitlichen Analyse der Bewegungsabläufe wurde vom Kläger zu seiner Entlastung im Strafprozess eingeholt und nach den Feststellungen des Erstgerichts auch in der Hauptverhandlung zugunsten des Klägers verwertet. Für den hier zu beurteilenden Schadenersatzanspruch ist nicht entscheidend, ob diese Kosten als Verfahrenskosten im Sinne des § 393 StPO zu behandeln wären (vgl 3 Ob 109/52). Die Revision zeigt auch nicht eine fehlende Zweckmäßigkeit der Gutachtenseinholung auf.

[26] 4.4 Der Schädiger kann auch für Anwaltskosten grundsätzlich verlangen, dass er Ersatz (nur) in angemessener Höhe leisten muss (3 Ob 30/19m; 1 Ob 231/16a). Damit wird dem im Schadenersatzrecht allgemein anerkannten Grundsatz der „Schadensminderungspflicht“ Rechnung getragen (vgl 1 Ob 231/16a). Zutreffend hat jedoch das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass ein Honorar, das den Honorarkriterien des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (AHK) entspricht, für die Vertretung in offiziosen Strafsachen in der Regel als angemessen anzusehen ist (vgl Lendl in Fuchs/Ratz, WK‑StPO [Stand 1. 6. 2021] § 395 Rz 25; 1 Ob 231/16a [Verwaltungsstrafverfahren]; RS0038721). Dazu gehört auch der in § 12 AHK vorgesehene Erfolgszuschlag von 50 %, der daher ebenfalls ersatzfähig ist (vgl 1 Ob 85/09w). Es bestand daher im vorliegenden Fall keine Obliegenheit des Klägers, sich einen Verteidiger zu suchen, der weniger als das angemessene Honorar verlangt, wie dies die Revision offensichtlich meint. Dass im Übrigen die zutreffenden Honoraransätze der AHK verzeichnet wurden, bezweifelt die Revision ohnehin nicht.

[27] Die vom Beklagten zitierte Entscheidung 3 Ob 112/19w ist nicht einschlägig. Dort war im Zusammenhang mit einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung der dem Klienten durch die Leistung des Rechtsanwalts konkret verschaffte Nutzen zu beurteilen.

[28] 5. Gegen den auf § 1304 ABGB gegründeten Abzug jenes Betrags, der dem Kläger bei einer Antragstellung nach § 393a StPO zugesprochen worden wäre, wendet sich der Beklagte in der Revision lediglich mit dem Argument, die berücksichtigten 300 EUR seien „viel zu gering“; mit den eingehenden Ausführungen der Vorinstanzen setzt sich die Revision jedoch nicht auseinander.

[29] Der in der Revisionsbeantwortung angeführte neu entstandene Umstand, dass dem Kläger nach Fällung des Berufungsurteils mit Beschluss des Strafgerichts vom 29. 4. 2021 gemäß § 393a StPO tatsächlich 1.021,84 EUR zuerkannt wurden, kann im Revisionsverfahren keine Berücksichtigung finden. Die Anrechnung dieses Betrags nach Rechtskraft des Urteils hat der Kläger bereits angekündigt.

[30] 6.1 Die Revision stützt die Berechtigung der auf den Ersatz eines „Verfolgungsschadens“ (vgl 1 Ob 68/20m; 2 Ob 2264/96x) gerichteten Gegenforderung darauf, dass der Beklagte in Ausübung des Anhalterechts nach § 80 StPO und des Nothilferechts nach §§ 19, 344 ABGB gehandelt habe, weil er der Exekutive sowie seinem Freund helfen habe wollen. Mit diesen Ausführungen entfernt sich die Revision aber von den Feststellungen, wonach das Motiv des Beklagten für die Verfolgung des Klägers gerade nicht festgestellt werden konnte. Wie das Erstgericht festhielt, wäre es genauso möglich gewesen, dass er den Kläger verfolgte, um ihn anzugreifen.

[31] 6.2 Zutreffend haben die Vorinstanzen daher erkannt, dass dem Beklagten der ihm obliegende (vgl RS0009034) Beweis der Berechtigung seiner Verfolgungshandlungen nicht gelungen ist. Steht aber nicht fest, dass der Beklagte die Verfolgung zu einem von der Rechtsordnung geschützten Zweck angestrebt hat, hat er die Folgen seines daraus resultierenden Sturzes selbst zu tragen (1 Ob 68/20m).

[32] 7. Die Revision des Beklagten hat daher teilweise Erfolg. Die Entscheidung ist im Sinne einer (weiteren) Kürzung der Klagsforderung um die Kosten der Kommissionen vom 22. 6. 2018 und vom 24. 7. 2018 (siehe Punkt 4.3.3) im Umfang von insgesamt 1.905,12 EUR (inklusive diesbezüglichem Erfolgszuschlag und Umsatzsteuer) abzuändern.

8. Kosten:

[33] 8.1 Aufgrund der Abänderung der Entscheidung war auch über die erstinstanzlichen Kosten eine neue Entscheidung zu treffen (RS0107860), die sich – ausgehend von einer Obsiegensquote des Klägers von 86 % – auf § 43 Abs 1 ZPO stützt. Entgegen der Kosteneinwendung des Beklagten war der rechtzeitig vor der vorbereitenden Tagsatzung erstattete (weitere) vorbereitende Schriftsatz des Klägers vom 25. 5. 2020 zulässig (§ 257 Abs 3 ZPO), als Replik auf das neu erstattete Beklagtenvorbringen samt Einwendung der Gegenforderung auch zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig und damit zu honorieren. Die Notwendigkeit der als vorprozessuale Kosten verzeichneten Kommission zwecks Herstellung von Kopien aus dem gegen den Beklagten geführten Strafverfahren hat der Kläger allerdings nicht bescheinigt. Die diesbezüglichen Kosten waren daher nicht zuzusprechen.

[34] 8.2 Die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren gründet auf § 50 Abs 1 iVm § 43 Abs 1 ZPO, ausgehend von einer Obsiegensquote des Klägers von 88 %.

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