OGH 5Ob202/17t

OGH5Ob202/17t13.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragsteller 1. U*, 2. L*, 3. P*, alle vertreten durch Dr. Karin Rest, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Antragsgegner W*, vertreten durch die Hasch & Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Wien, wegen Ersetzung der Zustimmung nach § 835 ABGB, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. Juli 2017, GZ 38 R 131/17x‑7, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hietzing vom 5. April 2017, GZ 5 Msch 6/17g‑4, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E121235

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antragsgegner hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

 

Begründung:

Die Antragsteller und der Antragsgegner sind die Miteigentümer einer Liegenschaft; der Antragsgegner ist zudem Mieter einer in dem auf dieser Liegenschaft errichteten Haus gelegenen Wohnung. In einer am 21. 11. 2016 gegen den Antragsgegner eingebrachten Mietzins- und Räumungsklage erklärten die Antragsteller – gestützt auf § 1118 zweiter Fall ABGB – die Aufhebung des Mietvertrags. Gegenstand dieses Verfahrens ist der Antrag der Antragsteller, dieses „anhängige Prozessverfahren durch Einbringung der Klage“ gerichtlich zu genehmigen.

Das Erstgericht gab dem Antrag statt. Eine Mietzins- und Räumungsklage von Miteigentümern gegen einen Miteigentümer müsse vom Außerstreitgericht genehmigt werden. Diese Genehmigung sei nur bei offenkundiger Aussichtslosigkeit zu versagen. Nach den vom Antragsgegner im Genehmigungsverfahren nicht bestrittenen Angaben der Antragsteller sei deren Mietzins- und Räumungsklage nicht offenkundig aussichtslos.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragsgegners nicht Folge. Nach der neueren Rechtsprechung sei auch eine nachträgliche außerstreitrichterliche Genehmigung eigenmächtig vorgenommener Änderungen zulässig, sodass grundsätzlich auch eine nachträgliche Genehmigung einer Klage gegen einen Miteigentümer durch den Außerstreitrichter in Betracht komme, wenn die Klage nicht offenkundig aussichtslos sei. Im Unterschied zu einer gerichtlichen Aufkündigung, bei der die Genehmigung bereits im Zeitpunkt der Zustellung der Kündigung an den Kündigungsgegner vorliegen müsse, genüge es bei einer auf § 1118 ABGB gestützten Mietzins- und Räumungsklage, wenn die Aktivlegitimation zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz vorliege. Allein aus dem Umstand, dass eine bereits eingebrachte Klage genehmigt werden solle, könne daher eine offenkundig aussichtslose Klageführung nicht abgeleitet werden.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob auch bei einer bereits eingebrachten Mietzins- und Räumungsklage gegen einen Miteigentümer die Zustimmung des beklagten Miteigentümers nachträglich durch das Außerstreitgericht ersetzt werden könne, und der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen habe, dass die Einbringung einer Mietzins- und Räumungsklage gegenüber einem Miteigentümer eine wichtige Veränderung sei, welche gegen den Willen des Minderheitseigentümers ohne vorherige Genehmigung des Außerstreitrichters nicht erfolgen könne.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs des Antragsgegners. Die Antragsteller haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

1. Die auf § 1118 ABGB gestützte Auflösung eines Bestandvertrags mit einem Miteigentümer ist – wie dessen Aufkündigung – eine wichtige Veränderung iSd § 834 ABGB. Mangels Zustimmung sämtlicher Miteigentümer ist daher die Genehmigung des Außerstreitrichters nach § 835 ABGB erforderlich (8 Ob 1510/88; vgl RIS-Justiz RS0013680; RS0013436; RS0013594; RS0013609; zur Kritik eines Teils der Lehre vgl Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1116 ABGB Rz 31).

2. Der Beschluss des Außerstreitrichters nach § 835 ABGB ist eine im Wesentlichen von Billigkeitserwägungen getragene Ermessensentscheidung (RIS-Justiz RS0013650 [T2]). Auch die Entscheidung über die Genehmigung der Aufkündigung eines Miteigentümers oder einer auf § 1118 ABGB gestützten Auflösung eines mit einem Minderheitseigentümer geschlossenen Mietvertrags hat der Außerstreitrichter nach Ermessen danach zu fällen, ob die von der Mehrheit beschlossene (oder vorgesehene) Maßnahme offenbar vorteilhaft ist (RIS-Justiz RS0013440). Bei offenbarer Aussichtslosigkeit einer Aufkündigung hat der Außerstreitrichter daher keine Ermächtigung zu erteilen. Die bloße Möglichkeit der Erfolglosigkeit der Aufkündigung rechtfertigt die Versagung der Genehmigung allerdings nicht (5 Ob 8/09a; RIS-Justiz RS0013389 [T2]). Gleiches gilt für eine auf § 1118 ABGB gestützte Räumungsklage.

3. Die Genehmigung des Außerstreitrichters nach § 835 ABGB ist nach der neueren Rechtsprechung nicht (mehr) nur für künftige (also erst beabsichtigte) Veränderungen durch einen Miteigentümer, sondern auch für bereits vorgenommene Maßnahmen zulässig. Es ist demnach möglich, durch nachträgliche Antragstellung beim Außerstreitrichter die Genehmigung eigenmächtig vorgenommener Maßnahmen zu erlangen (2 Ob 228/07d mwN; vgl RIS‑Justiz RS0115331, RS0087222). Das Rekursgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass auch eine nachträgliche Genehmigung der mit einer Räumungsklage verbundenen Aufhebungserklärung nach § 1118 ABGB grundsätzlich zulässig ist.

4.1. Nach Auffassung des Antragsgegners ist die von den Antragstellern gegen ihn eingebrachte Mietzins- und Räumungsklage als offenbar aussichtslos zu qualifizieren, weil die dafür erforderliche Genehmigung des Außerstreitrichters nachträglich nicht mehr beigebracht werden könne und der im Zeitpunkt der Klageeinbringung vorliegende Mangel der Genehmigung des Außerstreitrichters nachträglich nicht saniert werden könne.

4.2. Nach § 1118 zweiter Fall ABGB kann der Bestandgeber die frühere Aufhebung des Vertrags fordern, wenn der Bestandnehmer nach geschehener Einmahnung mit der Bezahlung des Zinses dergestalt säumig ist, dass er mit Ablauf des Termins den rückständigen Bestandzins nicht vollständig entrichtet hat. Lehre und Rechtsprechung verstehen diese Bestimmung dahin, dass der Aufhebungsgrund gegeben ist, wenn der Bestandnehmer trotz erfolgter Mahnung bis zum nächsten Zinstermin in Rückstand bleibt, sodass eine neuerliche Zinszahlung fällig geworden ist, bevor die vorhergehende vollständig entrichtet wurde (1 Ob 33/16h mwN; RIS-Justiz RS0020914). Das Vorliegen eines in diesem Sinn qualifizierten Mietzinsrückstands bestreitet der Antragsgegner (auch im Revisionsrekursverfahren) nicht.

4.3. Die Vertragsaufhebung nach § 1118 ABGB erfolgt durch eine einseitige empfangsbedürftige Erklärung, die formfrei ist und mit dem Zeitpunkt des Zugangs an den Bestandnehmer wirksam wird. Nach ständiger Rechtsprechung kann diese – materiell‑rechtliche – Aufhebungserklärung auch erst in der Klage abgegeben werden (6 Ob 50/10m mwN; RIS‑Justiz RS0105354; Lovrek aaO§ 1118 ABGB Rz 27).

4.4. Bei Entscheidungen über Ansprüche, die aus derartigen rechtsgestaltenden Erklärungen abgeleitet werden, muss zwischen dem Konkretisierungszeitpunkt und dem Entscheidungszeitpunkt unterschieden werden. Auf den Konkretisierungszeitpunkt ist die Beurteilung der Frage zu beziehen, ob das Gestaltungsrecht im Zeitpunkt seiner Ausübung überhaupt bestanden hat; ob der aus der Rechtsgestaltung abgeleitete Anspruch auf eine Leistung (allenfalls auch Feststellung) noch besteht, ist auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung zu beziehen. So ist etwa bei Räumungsklagen zu prüfen, ob die Vertragsauflösung im Zeitpunkt ihrer Erklärung (das kann wie gesagt die Einbringung der Klage sein) rechtswirksam war, und danach (bei Berechtigung der Aufhebungserklärung), ob iSd § 406 ZPO im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung der aus der rechtswirksamen Aufhebungserklärung abgeleitete Räumungsanspruch besteht (Fucik in Fasching/Konecny² § 406 ZPO Rz 15). Bei Räumungsklagen, die sich aus einer damit verknüpften Vertragsauflösung herleiten, kann die Rechtswirksamkeit der rechtsgestaltenden Aufhebungserklärung daher immer nur auf den Zeitpunkt ihrer Abgabe, genauer ihres Zugangs an den Empfänger bezogen werden (RIS-Justiz RS0020887 [T2, T3]). Die ältere Rechtsprechung, wonach für die Räumungsklage die Aktivlegitimation der klagenden Partei – anders als im Fall der Aufkündigung (RIS-Justiz RS0020972; RS0044775) – zum Zeitpunkt der Urteilsfällung (Schluss der Verhandlung) genügen soll (RIS-Justiz RS0010317; RS0021030 [T1]; RS0020972 [T3]), ist in diesem Sinn zu konkretisieren. Die Rechtswirksamkeit der Aufhebungserklärung (und der daraus abgeleitete Anspruch auf Räumung) setzt voraus, dass der Erklärende zu diesem Zeitpunkt auch Bestandgeber (bzw eine von diesem dazu wirksam bevollmächtigte Person) war.

4.5. Beurteilungszeitpunkt für den behaupteten Aufhebungstatbestand ist daher ausschließlich der Zugang der Aufhebungserklärung. Wird die Aufhebungserklärung erst in der Klage abgegeben, ist die Klagezustellung maßgeblich (RIS-Justiz RS0021049 [T6]; Lovrek aaO § 1118 ABGB Rz 31). Nachträglich entstandene Auflösungsgründe können auch in einem bereits anhängigen Verfahren im Weg einer Klageänderung geltend gemacht werden; es gilt keine Eventualmaxime (2 Ob 182/14z mwN; vgl RIS-Justiz RS0020952). In diesem Fall ist zwar die – zumindest konkludente – Abgabe einer neuerlichen Aufhebungserklärung erforderlich (Lovrek aaO § 1118 ABGB Rz 31 f). Im Fall des § 1118 zweiter Fall ABGB kann aber schon die Aufrechterhaltung des Räumungsbegehrens nach Entstehen (und Fortbestehen) des qualifizierten Rückstands als (konkludente) Aufhebungserklärung angesehen werden (RIS‑Justiz RS0020978 [T5]; Lovrek aaO § 1118 ABGB Rz 101 und 103). Das Räumungsbegehren ist freilich (nur) dann berechtigt, wenn der qualifizierte Mietzinsrückstand zum Zeitpunkt der Abgabe der Aufhebungserklärung oder der diese ersetzenden Fortführung des Räumungsprozesses noch bestand (1 Ob 33/16h mwN; Lovrek aaO § 1118 ABGB Rz 101).

4.6. Für den hier zu beurteilenden Fallbedeutet dies, dass das Fehlen der erforderlichen Genehmigung der mit der Mietzins- und Räumungsklage verbundenen Aufhebungserklärung nach § 1118 ABGB die Fortführung des Räumungsprozesses schon deshalb nicht als offenbar aussichtslos erscheinen lässt, weil es den Klägern rechtlich möglich ist, ihre Aufhebungserklärung im laufenden Verfahren zu wiederholen. Dass der mit der Klage geltend gemachte Aufhebungstatbestand mittlerweile nicht mehr vorliegt, behauptet der Antragsgegner nicht einmal. Daher kann auch dahingestellt bleiben, ob die von den Vorinstanzen erteilte Genehmigung sich tatsächlich auf die konkrete Klageführung beschränken soll oder diese – ungeachtet der Formulierung des Antrags einerseits und des Spruchs andererseits – ohnedies (zumindest auch) eine Ermächtigung zu der mit dieser Mietzins- und Räumungsklage verbundenen materiell‑rechtlichen Aufhebungserklärung nach § 1118 ABGB beinhaltet, die auch einer neuerlichen Klageführung zugrunde gelegt werden könnte (vgl 6 Ob 626/85).

5. Entgegen der Auffassung des Revisionsrekurswerbers liegt in der Ersetzung der Zustimmung zu der von den Antragstellern eingebrachten Mietzins- und Räumungsklage keine unzulässige Genehmigung einer als aussichtslos zu qualifizierenden Maßnahme. Dem Revisionsrekurs war daher nicht Folge zu geben.

6. Die Kostenentscheidung ist Konsequenz der Erfolglosigkeit des Revisionsrekurses (§ 78 Abs 2 Satz 1 AußStrG [e contrario]).

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