OGH 6Ob50/10m

OGH6Ob50/10m15.4.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Erich Kafka und Dr. Manfred Palkovits, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** HandelsgesmbH, *****, vertreten durch Dr. Alfred Pressl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 72.030 EUR sA und Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 19. Jänner 2010, GZ 40 R 196/09h-29, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 28. 3. 2001 zwei Liegenschaften samt den darauf befindlichen Wohnhäusern von der Stadt Wien. Im Kaufvertrag war vereinbart, dass die Käuferin ausdrücklich in alle Rechte, Pflichten und Ansprüche der Verkäuferin, insbesondere in die Rechte aus den bestehenden Mietverträgen, eintritt. Dies gelte unabhängig von der Entstehung des Anspruchs und unabhängig von der Rechtsgrundlage und aus welchem Titel auch immer. Vereinbarter Übergabestichtag war der 31. 5. 2001. Über eine Zession von den der Stadt Wien als Verkäuferin zustehenden Rechten aus Perioden, die vor dem vereinbarten Übergabestichtag liegen, wurde in den Vertragsverhandlungen nicht gesprochen.

Die beklagte Partei ist Mieterin eines Geschäftslokals in einem der beiden angeführten Häuser. Zu Weihnachten 2001 erfuhr die Klägerin, dass im März 1996 sämtliche Gesellschaftsanteile an der beklagten Partei auf deren Geschäftsführerin übertragen worden waren.

Zu 54 Msch 1/03d des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien wurde rechtskräftig festgestellt, dass die Antragstellerin und nunmehrige Klägerin gegenüber der Antragsgegnerin und nunmehrigen Beklagten ab 1. 4. 1996 zur Anhebung des Hauptmietzinses für die von der Beklagten gemieteten Objekte auf das am 20. 3. 1996 angemessene Ausmaß berechtigt sei. Weiters wurde in diesem Verfahren der angemessene monatliche Mietzins festgestellt.

Die Klägerin begehrt nunmehr die Zahlung des Mietzinses in Höhe von (zuletzt) 72.030 EUR. Weiters begehrt die Klägerin die Räumung und stützt dieses Begehren auf Mietzinsrückstände ab dem Juni 2001 sowie auf den im Verfahren 54 C 2/08g des Erstgerichts festgestellten Mietzinsrückstand. Hilfsweise stützt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren auf die Folgeperioden nach dem März 2010.

Das Erstgericht wies das Zahlungsbegehren weitestgehend ab; lediglich einem Teil des Zinsenbegehrens gab es statt. Für den Zeitraum April 1996 bis Mai 2001 fehle der klagenden Partei die Aktivlegitimation, weil sie die Liegenschaften erst zum Übergabestichtag 31. 5. 2001 erworben habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Das Berufungsgericht billigte ausdrücklich die Rechtsansicht des Erstgerichts im Bezug auf die mangelnde Aktivlegitimation. Das Eventualbegehren entspreche nicht dem Bestimmtheitserfordernis, weil nicht klar gestellt sei, inwieweit Streitanhängigkeit begründet werde. Soweit das Räumungsbegehren in der Verhandlung am 22. 4. 2008 auf den rechtswirksam festgestellten Mietzinsrückstand zu 54 C 2/08g gestützt werde, bestehe kein qualifizierter Mietzinsrückstand mehr, weil am gleichen Tag zu 54 C 2/08g ein Anerkenntnisurteil ergangen sei, dessen Leistungsfrist noch nicht abgelaufen sei und ein weiterer Zinstermin noch nicht verstrichen sei.

Hinsichtlich der in der Verhandlung vom 30. 10. 2008 vorgenommenen Klagsänderung fehle jeglicher Nachweis einer Mahnung, der Nachfristsetzung oder des Verstreichens eines Zinstermins. Überdies sei im Zeitpunkt der Aufhebungserklärung am 30. 10. 2008 der Rückstand bereits beglichen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil sich eine Rechtsfrage von über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung nicht stelle.

Die außerordentliche Revision ist nicht zulässig.

1. Fragen der Vertragsauslegung kommt in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu, sofern keine auffallende Fehlbeurteilung, also eine krasse Verkennung der Auslegungsgrundsätze, vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss (RIS-Justiz RS0112106, RS0042936). In dem von den Vorinstanzen der im Kaufvertrag enthaltenen Vereinbarung eines Übergabsstichtags beigelegten Verständnis dahin, dass vorher angefallene Ansprüche von der Abtretung nicht umfasst seien, ist jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.

2.1. Was die Vertragsaufhebung wegen Zinsrückständen für die Monate 10/2007 bis 2/2008 anlangt, so ist zwar nach der Rechtsprechung in einem bereits eingeleiteten Räumungsverfahren die erforderliche Mahnung und Aufhebungserklärung bereits in der Fortführung des Verfahrens enthalten (RIS-Justiz RS0021212 [T1], RS0021229 [T8], RS0020952 [T10]), weil auch im Zuge des Prozesses aufgelaufene Rückstände das auf § 1118 ABGB gestützte Räumungsbegehren rechtfertigen können (RIS-Justiz RS0020952). Allerdings können im Verfahren aufgelaufene Zinsrückstände ein zum Zeitpunkt der Klagszustellung nicht berechtigtes Räumungsbegehren nur dann rechtfertigen, wenn sie wenigstens zu irgendeinem Zeitpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens qualifiziert iSd § 1118 zweiter Fall ABGB waren (RIS-Justiz RS0021072 [T5]).

2.2. Die Klagsausdehnung hinsichtlich des Rückstands 10/2007 bis 2/2008 erfolgte mittels Schriftsatz vom 18. 6. 2008. Eine Gleichschrift wurde der beklagten Partei gemäß § 112 ZPO direkt zugestellt. Die beklagte Partei bezahlte den Rückstand am 17. 10. 2008. In der darauffolgenden Tagsatzung vom 30. 10. 2008 trug der Klagevertreter die Klagsausdehnung vor und schränkte das Klagebegehren unter einem um den beglichenen Betrag ein.

2.3. In Schriftsätzen enthaltenes Vorbringen ist im Hinblick auf den Mündlichkeitsgrundsatz nur dann zu berücksichtigen, wenn es in der Verhandlung mündlich vorgetragen wurde (RIS-Justiz RS0036700, RS0034965). Allerdings unterbricht schon eine Klagsausdehnung mittels Schriftsatz die Verjährung, sofern nur später der Schriftsatz ordnungsgemäß vorgetragen wird (7 Ob 707/88 = RIS-Justiz RS0034759). Die Streitanhängigkeit tritt hingegen nach herrschender Auffassung bereits mit schriftlicher Klagsausdehnung und Zustellung des betreffenden Schriftsatzes an den Gegner ein (Rechberger/Klicka in Rechberger, ZPO³ § 232 Rz 4; vgl Rechberger/Klicka aaO § 235 Rz 9).

2.4. Anderes gilt allerdings für die Auflösungserklärung nach § 1118 ABGB. Ebenso wie dann, wenn die Auflösungserklärung bereits in der Räumungsklage abgegeben wird, die Auflösung des Bestandverhältnisses mit der Zustellung der Klage eintritt (Würth in Rummel, ABGB³ § 1118 Rz 6; RIS-Justiz RS0105354 [T5]), muss gleiches auch für eine später vorgenommene Klagsausdehnung gelten, geht es doch hier lediglich um die materiellen Wirkungen der Auflösungserklärung nach § 1118 ABGB, nicht hingegen um die Frage, ob derartiges bloß schriftliches Vorbringen im Hinblick auf den Mündlichkeitsgrundsatz des § 176 ZPO im Rahmen der Entscheidung berücksichtigt werden kann.

3.1. Allerdings ist der gesamte Mietzinsrückstand mittlerweile unstrittig bezahlt. Schon das Erstgericht hat mit eingehender Begründung das Vorliegen groben Verschuldens iSd § 33 Abs 2 MRG verneint. Grobes Verschulden im Sinne dieser Gesetzesstelle setzt ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, sodass der Vorwurf berechtigt erscheint, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn oder Streitsucht verletzt (RIS-Justiz RS0069304).

3.2. In diesem Zusammenhang kommt den Vorinstanzen ein Beurteilungsspielraum zu (RIS-Justiz RS0042773). In der Auffassung, die beklagte Partei habe im Hinblick auf die besonderen Umstände des Einzelfalls zunächst die rechtskräftige Feststellung des angemessenen Mietzinses abwarten können und dann ohnedies nach Erstreckung einer Tagsatzung zur Führung von Vergleichsgesprächen in der nächsten Verhandlung den rückständigen Betrag anerkannt, sodass kein grobes Verschulden iSd § 33 Abs 2 und 3 MRG vorliege, ist keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Zwischen Oktober 2007 und Februar 2008 wurde überhaupt ein niedrigerer Mietzins vorgeschrieben. Darin, dass von der beklagten Partei zunächst nur dieser Mietzins bezahlt wurde, kann gleichfalls kein grobes Verschulden erblickt werden, zumal die beklagte Partei den vorgeschriebenen Mietzins von April 1996 bis Februar 2008 vollständig geleistet hat. Den detaillierten diesbezüglichen Erwägungen des Erstgerichts setzt die Revisionswerberin lediglich die unsubstantiierte Behauptung entgegen, dass dieser Auffassung „nicht zu folgen“ sei. In ihrer Berufung gegen das klagsabweisende Ersturteil hat die Revisionswerberin die Frage des die beklagte Partei treffenden groben Verschuldens gleichfalls nicht näher thematisiert, sondern nach Darlegung ihrer Sicht der Verfahrenschronologie lediglich behauptet, dass das Erstgericht bei vollständiger Feststellung des Sachverhalts zur rechtlichen Beurteilung hätte gelangen müssen, dass „lediglich aufgrund auffallender Sorglosigkeit bzw aus Rechthaberei und Streitsucht“ die Zahlungsverpflichtungen immer möglichst lange hinausgeschoben wurden. Darin liegt aber eine bloße rechtliche Qualifikation ohne ausreichendes Tatsachensubstrat, zumal die Revisionsrekurswerberin in der Berufung selbst einräumte, dass zwar 2002 eine Mahnung erfolgte, aber erst mit Schriftsatz vom 28. 3. 2008 eine Aufschlüsselung erfolgte und zudem mehrere Parallelverfahren anhängig waren. Im Hinblick darauf ist in dem Umstand, dass das Berufungsgericht sich mit der Frage des groben Verschuldens nicht eigens auseinander setzte, kein die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern geeigneter Mangel (§ 503 Z 2 ZPO) zu erblicken.

Damit bringt die klagende Partei aber keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

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