OGH 5Ob186/11f

OGH5Ob186/11f9.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manfred B*****, vertreten durch Sattleger Dorninger Steiner & Partner, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Dr. Jörg K*****, vertreten durch Hitzenberger Urban Meissner Laherstorfer, Rechtsanwälte in Vöcklabruck, wegen 30.000 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 5. Juli 2011, GZ 2 R 87/11v-69, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

2. Das Erstgericht traf die Feststellung, dass ein Fehler des beklagten Arztes bei der chiropraktischen Behandlung des Klägers nicht feststellbar ist.

3. Davon ausgehend stellt sich die in der außerordentlichen Revision als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob in Fällen, in denen zwar ärztliches Fehlverhalten feststeht, der Nachweis der Kausalität jedoch schlichtweg unmöglich ist und als weitere Ursache bloß rein abstrakte Möglichkeiten in Betracht kommen, ein „Kausalitätsverdacht“ für die Haftung genüge, nicht:

3.1. Für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers und seine Kausalität in Bezug auf den eingetretenen Schaden ist der Patient beweispflichtig. Der Schadenersatz begehrende Kläger muss einen (sehr) hohen Grad der Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers beweisen (RIS-Justiz RS0026412; 8 Ob 30/11m Zak 2011/372, 197; Kolmasch/Neumayr, Rechtsprechung zur Behauptungs- und Beweislast in Arzthaftungsfällen, Zak 2011, 45; Neumayr in Resch/Wallner, Handbuch Medizinrecht [2011] 293 Rz 25).

3.2. Nur wenn der Beweis eines Behandlungsfehlers erbracht wurde, sind nach der Rechtsprechung wegen der besonderen Schwierigkeiten eines exakten Beweises geringere Anforderungen an den Nachweis der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Schaden zu stellen; der Anscheinsbeweis reicht aus (RIS-Justiz RS0038222; 7 Ob 255/07m Zak 2008/212, 119 mwN).

3.3. Im Anlassfall steht aber nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen ein Behandlungsfehler gerade nicht fest. Eine Schadenersatzhaftung des Beklagten wegen eines Behandlungsfehlers scheidet damit aus.

3.4. Es trifft daher auch nicht zu, dass ein den Beklagten haftbar machender Behandlungsfehler mit einem vom Geschädigten zu vertretenden Zufall zusammen trifft, welcher Umstand nach einem Teil der Lehre (vgl die Nachweise in 4 Ob 75/08w SZ 2008/80) und einigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (zB 4 Ob 554/95 SZ 68/207; 6 Ob 36/01i; kritisch zu dieser Lösung Kletecka, Alternative Verursachungskonkurrenz mit dem Zufall - Die Wahrscheinlichkeit als Haftungsgrund? JBl 2009, 137 mwN) zu einer Schadensteilung führen soll.

4. Auch die Ausführungen in der außerordentlichen Revision zur ärztlichen Aufklärungspflicht zeigen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

4.1. Das Berufungsgericht ist ohnedies im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass den Beklagten wegen der - hier bejahten - Verletzung der Aufklärungspflicht die Beweislast dafür trifft, ob der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Behandlung erteilt hätte (RIS-Justiz RS0038485; 1 Ob 254/99f JBl 200, 657 [krit Jabornegg] = SZ 72/183; zuletzt 5 Ob 231/10x).

4.2. Hat daher die ohne Einwilligung oder ohne ausreichende Aufklärung des Patienten vorgenommene eigenmächtige Behandlung des Patienten nachteilige Folgen, haftet der Arzt, wenn der Patient sonst in die Behandlung nicht eingewilligt hätte, für diese Folgen selbst dann, wenn die Behandlung lege artis erfolgte (RIS-Justiz RS0026783).

4.3. Allerdings muss das sorgfaltswidrige Verhalten - hier also die ohne ausreichende Aufklärung erfolgte und somit rechtswidrige chiropraktische Behandlung des Klägers - den geltend gemachten Schaden verursacht haben. Dafür trifft auch im Arzthaftungsrecht grundsätzlich den Kläger die Beweislast (RIS-Justiz RS0026209; 4 Ob 137/07m SZ 2007/122).

4.4. Diese Verursachung steht hier aber gerade nicht fest. Ob und unter welchen Umständen die bei Nachweis eines Behandlungsfehlers bejahte Möglichkeit eines erleichterten Kausalitätsnachweises (vgl 3.2.) auch bei Verletzung der Aufklärungspflicht gilt bzw wann eine Beweislastumkehr eintritt, muss hier nicht abschließend beantwortet werden: Zwar hat der Oberste Gerichtshof in mehreren Entscheidungen - die überdies Fälle der sogenannten Sicherungsaufklärung, also in Wahrheit ebenfalls Behandlungsfehler (vgl Neumayr in Resch/Wallner, Handbuch Medizinrecht 291 f Rz 22) betrafen - ausgesprochen, dass es bei Verletzung der Aufklärungspflicht hinsichtlich des Kausalitätsbeweises zu einer Beweislastumkehr kommen könne. Das Berufungsgericht hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass dieser Grundsatz auch nach dieser Rechtsprechungslinie nur dann gilt, wenn der unzureichend aufgeklärte Patient - wenn auch wiederum im Rahmen eines erleichterten Kausalitätsbeweises - vorher den Nachweis erbracht hat, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts durch den ärztlichen Fehler nicht bloß unwesentlich erhöht wurde (1 Ob 138/07m Zak 2008/244, 137; 9 Ob 64/08i; 4 Ob 145/10t).

4.5. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, durch die Verletzung der den Beklagten treffenden Aufklärungspflicht sei im konkreten Einzelfall bloß von einer unwesentlichen Gefahrenerhöhung auszugehen, weshalb keine Beweislastumkehr stattfinde, ist nicht zu beanstanden: Dabei ist hervorzuheben, dass nach den Feststellungen bei einem 35-jährigen Patienten mit einer nicht vorgeschädigten Aorta die Gefahr, dass durch eine chiropraktische Behandlung eine Carotisdissektion eintritt, wenngleich nicht „null“, so doch minimal ist. Darauf, dass nicht feststellbar war, ob eine Vorschädigung der Aorta bestand, kann sich der Kläger nicht berufen, weil diese Negativfeststellung wegen der ihn treffenden Behauptungs- und Beweislast für die Gefahrenerhöhung (vgl 4.4.) zu seinen Lasten geht.

4.6. Die Wertung des Berufungsgerichts schließlich, dass im konkreten Fall keine überwiegenden Gründe vorliegen, die für die Ursächlichkeit der Aufklärungspflichtverletzung für den beim Kläger eingetretenen Schaden sprechen, fällt in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0112460; 7 Ob 255/07m mwN).

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