OGH 8Ob30/11m

OGH8Ob30/11m22.3.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** F*****, geboren am *****, vertreten durch die Sachwalterin I***** F*****, vertreten durch Dr. Katharina Sedlazeck-Gschaider, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei L***** S*****, vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Friedrich Harrer und Dr. Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 148.574,24 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 19. Jänner 2011, GZ 6 R 220/10f-155, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Mit den Ausführungen zur behaupteten Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie zur angeblichen Aktenwidrigkeit vermag die außerordentliche Revision keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

Das Berufungsgericht hat sich mit den für die Entscheidung relevanten Feststellungen aufgrund der Beweisrüge der Klägerin ausführlich auseinandergesetzt. Dies gilt auch für die „zunehmenden Alarmzeichen ab 17:35 Uhr und das Auftreten von Dezelerationen“. Das Erstgericht hat den Geburtsvorgang samt den aufgetretenen Komplikationen und die jeweils getroffenen Maßnahmen im Detail festgestellt. Bei den Einschätzungen zur Einhaltung des aktuell anerkannten medizinischen Standards und den Schlussfolgerungen zu den Ursachen und Auswirkungen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin sind die gerichtlichen Sachverständigen von der zutreffenden und ihnen vollständig bekannten Sachlage ausgegangen. Im gegebenen Zusammenhang wendet sich die außerordentliche Revision in erster Linie gegen die Tatsachengrundlage. Da der Oberste Gerichtshof keine Tatsacheninstanz ist, kann die Beweiswürdigung in dritter Instanz aber nicht mehr angegriffen werden (RIS-Justiz RS0043371).

Zur Mikroblutgasanalyse hat die Beklagte in der Berufungsbeantwortung zugestanden, dass diese nach der Verabreichung der Notfalltokolyse in der Wehenpause erfolgt ist. Zur Beweisrüge der Klägerin hat das Berufungsgericht dazu darauf hingewiesen, dass der Sachverständige die Aussage der Assistenzärztin, wonach die Blutuntersuchung nach Verabreichung der Tokolyse durchgeführt worden sei, gekannt habe, weil diese Aussage in seiner Anwesenheit erfolgt sei. Die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass der Sachverständige auf die Möglichkeit einer relevanten Verfälschung des Ergebnisses der Blutgasanalyse durch die vorangegangene (und nicht gleichzeitige) Tokolyse hingewiesen hätte, begründet keine Aktenwidrigkeit (vgl dazu RIS-Justiz RS0043284).

Zur ärztlichen Aufklärungspflicht hat das Berufungsgericht nicht ausgesprochen, dass werdende Mütter nur über die Risiken am eigenen Körper und nicht über die möglichen Folgen und Gefahren der Behandlung auch für das Kind aufzuklären seien. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass eine Patientin mangels Indikation für eine Kaiserschnittentbindung nicht ungefragt über die theoretische Möglichkeit einer solchen Entbindungsmethode (primäre Sectio) aufgeklärt werden müsse, steht mit der Rechtsprechung aber im Einklang (RIS-Justiz RS0026426 [T4]). Die sich daran anschließende Beurteilung des Berufungsgerichts, dass aus der maßgebenden ex-ante-Sicht die Durchführung eines primären Kaiserschnitts in der konkreten Situation keine der Einleitung der Vaginalgeburt adäquate Entbindungsmethode dargestellt hätte, ist nicht korrekturbedürftig.

2.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Beweis des Vorliegens eines Behandlungsfehlers vom Patienten zu führen. In diesem Sinn muss der Schadenersatz begehrende Kläger einen (sehr) hohen Grad der Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines ärztlichen Kunstfehlers beweisen. Bleibt die gewählte Maßnahme hinter dem in Fachkreisen anerkannten Standard der besten Vorsorge vor unbeabsichtigter Schädigung zurück, so hat der Schädiger (hier Krankenhausträger) den Beweis der Schuldlosigkeit zu erbringen (RIS-Justiz RS0026412). Für den Kausalitätsbeweis reicht wegen der besonderen Schwierigkeit eines exakten Beweises der Anscheinsbeweis durch den Patienten aus (RIS-Justiz RS0038222; RS0106890). Nach ständiger Rechtsprechung genügt es beim Anscheinsbeweis, dass überwiegende Gründe, also eine (deutlich) überwiegende Wahrscheinlichkeit, für die Verursachung des Schadens sprechen (RIS-Justiz RS0022782; 7 Ob 255/07m).

2.2 Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung die richtigen Grundsätze zugrunde gelegt. Ausgehend von den Feststellungen stellt die Schlussfolgerung, dass die Klägerin den ihr obliegenden Beweis des Vorliegens eines Behandlungsfehlers nicht (mit der erforderlich hohen Wahrscheinlichkeit) erbracht habe, keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Die primäre Sectio war nach den regelrechten Untersuchungen, Diagnosen und Laborergebnissen nicht indiziert. Nach Auftreten der Komplikationen während des Geburtsvorgangs wurde die richtige Methode des Kaiserschnitts innerhalb eines adäquaten Zeitintervalls vorgenommen. Die Durchführung und Überwachung der Geburt sowie die Nachbehandlung der Klägerin nach der Geburt erfolgte zeitgerecht und entsprach dem fachlichen Standard.

Auch die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die in der Rechtsprechung anerkannten Beweiserleichterungen für die Kausalität des Gesundheitsschadens den Beweis eines Behandlungsfehlers voraussetzen, ist nicht korrekturbedürftig (vgl RIS-Justiz RS0038222; RS0026209). Der Klägerin wäre auch der erleichterte Anscheinsbeweis nicht gelungen, dass eine - zwar nicht ganz ausschließbare, aber unwahrscheinliche - peripartale hypoxische Gehirnschädigung vorliegt und auf einen im Zuge des Geburtsvorgangs erlittenen Sauerstoffmangel zurückzuführen ist. Dies gilt gleichermaßen für die in der außerordentlichen Revision angesprochene teilweise Kausalität im Sinn einer Mitursächlichkeit. Der Beitrag einer solchen - allerdings nicht feststellbaren - Koinzidenz eines Sauerstoffmangels wäre für die Entwicklungsverzögerung der Klägerin überdies nur unwesentlich gewesen.

Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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