OGH 5Ob149/24h

OGH5Ob149/24h14.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr, den Hofrat Dr. Steger und die Hofrätin Dr. Pfurtscheller in der Rechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 9.600 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR) über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 3.200 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Berufungsgericht vom 31. Mai 2024, GZ 1 R 19/24k‑38, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Zwettl vom 27. November 2023, GZ 1 C 238/21d‑34, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00149.24H.1114.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen deren mit 502,70 EUR (darin 83,78 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger hat am 11. 5. 2012 einen von der Beklagten hergestellten und unstrittig „vom Abgasskandal“ betroffenen PKW gekauft, in dem ein Dieselmotor des Typs EA189 verbaut war. Er begehrte von der Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes 30 % des Kaufpreises sowie die Feststellung ihrer Haftung für jeden Schaden, der ihm aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung im Motor zukünftig entstehe.

[2] Das Erstgericht wies die Klage wegen Verjährung ab.

[3] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Es bestätigte die Abweisung des Feststellungsbegehrens und eines Zahlungsbegehrens von 4.800 EUR. Einen Betrag von 4.800 EUR, somit 15 % des gezahlten Kaufpreises, sprach es dem Kläger aus dem Titel des Schadenersatzes zu. Über Zulassungsantrag der Beklagten ließ es die Revision nachträglich mit der Begründung zu, zu 2 Ob 3/24s und 3 Ob 219/23m habe der Oberste Gerichtshof im langen Zurückliegen eines Kaufs und (nahezu) Erreichen der maximalen Laufleistung des Fahrzeugs jeweils die Höhe des Ersatzanspruchs mindernde Umstände gesehen. Das Berufungsgericht habe die lange Behaltedauer in Anbetracht des in dieser Zeit gesetzten Verhaltens der Beklagten mit regelmäßigen Zusicherungen eines nun ordnungsgemäßen Fahrzeugs, das sich an Arglist annähere, und der dadurch für den Kläger bestehenden Unsicherheit als den Schadenersatzbetrag eher erhöhend angenommen. Zur Klärung der Frage, ob diese Wertung zulässig sei, sei die ordentliche Revision zuzulassen.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die Revision der Beklagten, die sich gegen eine Klagestattgebung im Ausmaß von 3.200 EUR wendet und somit einen Zuspruch von 1.600 EUR (5 % des Kaufpreises) unangefochten lässt, ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig und kann keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

[5] 1. Die Frage, ob (auch) das Berufungsgericht bei seiner Schadensschätzung § 273 ZPO anwenden durfte, ist rein verfahrensrechtlicher Natur. Wurde die Anwendbarkeit des § 273 ZPO zu Unrecht bejaht, müsste dies daher mit Mängelrüge bekämpft werden (RS0040282). Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens macht die Beklagte nicht geltend, die sich nur gegen die Ausmittlung des Ersatzbetrags der Höhe nach, also das Ergebnis der richterlichen Schadensschätzung wendet. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO könnte dies allerdings nur in Ausnahmefällen aufwerfen.

[6] 2. Dem Gericht kommt bei Anwendung des § 273 ZPO nämlich die Befugnis zu, die Höhe des Anspruchs – im Rahmen des ihm eingeräumten gebundenen Ermessens – nach freier Überzeugung festzusetzen (RS0040459 [T1]). Der bei Anwendung des § 273 ZPO vom Richter nach seiner Lebenserfahrung, Menschenkenntnis (und den Ergebnissen der gesamten Verhandlung) nach bestem Wissen und Gewissen nach freier Überzeugung vorzunehmenden Schätzung kommt grundsätzlich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RS0121220; RS0040494). Es handelt sich um eine typische Einzelfallentscheidung (RS0121220 [T1]; RS0040341 [T12]). Nur gravierende, an die Grenzen des Missbrauchs gehende Fehler der Ermessensentscheidung könnten an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RS0007104; 3 Ob 94/24f [Dieselskandal]).

[7] 3. Der Beklagten – und der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts – ist zuzugestehen, dass der Oberste Gerichtshof zu 2 Ob 3/24s den zugesprochenen Schadenersatzbetrag auf 5 % des Kaufpreises herabsetzte. Der 2te Senat hielt die Festsetzung des Ersatzbetrags an der Untergrenze im Hinblick auf den bereits lange zurückliegenden Fahrzeugerwerb, den Umstand, dass das Fahrzeug nach wie vor rund 28 % des Ursprungswerts aufwies und nach dem Software‑Update kein merkantiler Minderwert (mehr) bestand, für angemessen. In der Entscheidung zu 3 Ob 219/23m wurde die Festsetzung im unteren Bereich der Bandbreite von 5 bis 15 % (vgl dazu RS0134498) mit der Begründung vorgenommen, in den rund 11 1/2 Jahren vom Ankauf bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz habe der Kläger 230.697 km und damit rund 92 % der maximalen Laufleistung bereits zurückgelegt. 8 Ob 90/22a sprach aus, eine Ausschöpfung der Bandbreite nach oben – also in Richtung 15 % – werde mangels besonderer Umstände dann nicht erforderlich sein, wenn der Käufer das Fahrzeug auch in Kenntnis des umweltschädlichen Mangels erwerben hätte wollen, es nach Aufdeckung behält und weiter so verwendet, als würde das Problem nicht bestehen.

[8] 4. Hier fehlen Feststellungen erster Instanz zu einer allfälligen Wertdifferenz und zu einem Weiterbestehen eines merkantilen Minderwerts. Fest steht aber, dass am 27. 10. 2017 ein Software‑Update beim Fahrzeug des Klägers durchgeführt wurde, dessen ungeachtet ein „Thermofenster“ verblieb, das bewirkte, dass die AGR nur im Bereich von 15 bis 33 Grad Celsius aktiv war und der Kläger seitdem einen erhöhten Kraftstoffverbrauch sowie einen Leistungsabfall des Motors feststellte. Festgestellt wurde auch, dass der Kläger – hätte er zum Kaufzeitpunkt über sein nunmehriges Wissen über die Dieselabgasthematik einerseits und deren Auswirkungen auf sein Kraftfahrzeug andererseits gehabt – den Kauf nicht getätigt oder durch geschäftliche Kaufverhandlungen getrachtet hätte, einen niedrigeren Kaufpreis zu erzielen. Nicht strittig im Revisionsverfahren ist überdies, dass der Kläger das Fahrzeug behalten hat. Das Berufungsgericht ging davon aus, dies sei aufgrund mehrfacher Zusicherungen eines nunmehr ordnungsgemäßen Fahrzeugs erfolgt, was es als sich an Arglist annäherndes Verhalten wertete und beim Kläger laufende Unsicherheiten ausgelöst habe.

[9] 5. Diese Auflistung der die Schätzung des Berufungsgerichts nach § 273 ZPO bestimmenden Faktoren zeigt, dass die den Entscheidungen 2 Ob 3/24s und 3 Ob 219/23m zugrunde liegenden Sachverhalte mit dem hier zu beurteilenden nicht vergleichbar sind. Bei einer Schätzung nach § 273 ZPO nicht von vornherein davon auszugehen, es fehle an einem „abgasskandalbedingten Minderwert“ auch des Klagefahrzeugs, ist selbst dann nicht korrekturbedürftig, wenn man mit der Revisionswerberin davon ausgeht, dass diese ursprünglich zweifellos beweisbedürftige Tatsache aufgrund des Ergebnisses einer Mehrzahl gleichartiger Entscheidungen gerichtsbekannt im Sinn des § 269 ZPO werden könnte (RS0123760 [T3]). Ein hoher Restwert des Fahrzeugs wurde ebenso wenig festgestellt wie das Zurücklegen einer an den Maximalwert heranreichenden Laufleistung. Die auch hier lange Behaltedauer relativierte das Berufungsgericht mit den von ihm hervorgehobenen laufenden (unzutreffenden) Zusicherungen. Dass es in diesem Einzelfall daher den Schadenersatzbetrag im oberen Bereich der „Bandbreite“ ausmittelte, ist jedenfalls kein gravierender, an die Grenzen des Missbrauchs gehender und daher vom Obersten Gerichtshof aufzugreifender Fehler der Ermessensentscheidung.

[10] 6. Die Revision war daher zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).

[11] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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