European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00037.22B.0524.001
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.197,80 EUR bestimmten Kosten (darin 366,30 EUR USt) der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die klagende Partei ist ein Parlamentsklub im National- und Bundesrat. Die beklagte Partei ist ein nach dem Vereinsgesetz gegründeter Verein.
[2] Ein Fotograf erstellte im Auftrag der klagenden Partei das nachfolgende Bild, wobei im Vordergrund ein von ihm aufgenommenes Porträtbild des Klubobmannes des Klägers sowie im Hintergrund leicht unscharf der mit Demonstranten gefüllte Maria-Theresien-Platz und das Naturhistorische Museum zu sehen ist. Dieses Bild (im Folgenden: Werk des Klägers) wurde rechts unten mit folgendem Text versehen: „Ich werde die engen Mauern des Parlaments verlassen und an der Corona-Demo am Sonntag teilnehmen! Herbert Kickl FPÖ-Klubobmann“. In der rechten oberen Ecke ist das FPÖ Logo (FPO Die soziale Heimatpartei) und in der linken unteren Ecke das facebook Logo „FPOE“ ersichtlich.
[3] Der Fotograf übertrug dem Kläger exklusiv sämtliche im Zusammenhang mit dem Werk stehenden gewerblichen Nutzungsrechte sowie sämtliche übertragbaren Rechte im Sinn des Urheberrechtsgesetzes. Weiters übertrug er dem Kläger das Recht zur Geltendmachung aller Unterlassungs-, Entgelts-, Schadenersatz-, Veröffentlichungs-, Bereicherungs- und sonstiger Ansprüche, die sich aus der Verletzung der genannten Rechte ergeben haben oder noch ergeben werden und beauftragte diesen mit der treuhändigen Wahrnehmung seiner Urheberpersönlichkeits-rechte.
[4] Die beklagte Partei veröffentlichte auf ihrer Facebook-Seite unter Verwendung des Werkes des Klägers (ohne Zustimmung des Fotografen oder des Klägers) den unten abgebildeten Demonstrationsaufruf, dessen Text ua wie folgt lautet:
„Am Sonntag auf die Straße gegen FPÖ und Neonazis!
Die Situation ist ernst. FPÖ-Klubchef Herbert Kickl hat sich als Hauptredner auf einer Coronaleugner-Kundgebung angekündigt: 'Ich werde die engen Mauern des Parlaments verlassen.' Das ist eine gefährliche Drohung!
Der ehemalige US-Präsident Trump hat seine rechtsextremen Anhänger_innen zur Kapitol-Stürmung ermutigt. Bei uns mobilisiert die FPÖ offen mit Neonazis und antisemitischen Verschwörungstheoretiker_innen.“
[5] Wegen der Veröffentlichung dieses Beitrags begehrt die klagende Partei, es der beklagten Partei zu verbieten, das Werk der klagenden Partei und/oder Bearbeitungen hievon ohne ihre Zustimmung zu vervielfältigen, und/oder im Internet der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Weiters begehrt sie nach § 87 Abs 3 UrhG 300 EUR sA. Sie sei ausschließliche Inhaberin der ihr zeitlich und räumlich unbeschränkt eingeräumten Verwertungsrechte. Das Werk sei in ihrem Auftrag hergestellt worden, wobei ihr die Verwertungsrechte vom Fotografen abgetreten worden seien. Die Beklagte habe in das dem Urheber zustehende und hier dem Kläger eingeräumte Vervielfältigungsrecht nach § 15 UrhG sowie in das Veröffentlichungsrecht nach § 18a UrhG eingegriffen. Das Klagebegehren werde auf alle erdenklichen Rechtsgründe, insbesondere auf die §§ 81, 86 sowie 87 UrhG gestützt. Hilfsweise werden die Ansprüche auch gemäß § 74 UrhG geltend gemacht.
[6] Herbert Kickl habe am 26. 1. 2021 in seinem Facebook-Auftritt angekündigt, am Sonntag, den 31. 1. 2021, an einer Demonstration unter dem Titel „Für Freiheit, gegen Zwang, Willkür, Rechtsbruch“ teilzunehmen. Die Veranstalter hätten die Bevölkerung hinsichtlich der Gefahr des Erodierens von Grund- und Freiheitsrechten empfindlich machen wollen. Vehement bestritten werde, dass es sich dabei um eine Demonstration der „Corona-Leugner“ gehandelt habe. Zu keiner Zeit sei von Herbert Kickl ein Aufruf gegen den Parlamentarismus gestartet worden. Die Veröffentlichung der beklagten Partei stelle sich als völlig verfehlte Entgegnung dar. Es sei auch nicht einzusehen, wie die beklagte Partei aus der Ankündigung des Klubobmanns, ein zentrales politisches Grundrecht der Demokratie, das Versammlungsrecht, auszuüben, den Bezug zum Faschismus herstelle. In Wahrheit versuche die beklagte Partei die klagende Partei und deren Klubobmann unter dem Deckmantel vermeintlich zulässiger Kritik auf besonders verwerfliche Art und Weise zu schädigen.
[7] Die beklagte Partei wandte im Wesentlichen ein, dass sie durch die Veröffentlichung nicht in die Verwertungsrechte der klagenden Partei eingegriffen habe. Die Beklagte habe auf die Ankündigung von Herbert Kickl reagiert, am 31. 1. 2021 an der „Corona-Leugner“-Demonstration teilzunehmen. Mit dem veröffentlichten Begleittext habe dieser angekündigt, dass ihm die parlamentarischen Möglichkeiten zur Durchsetzung seines Standpunktes nicht mehr ausreichten. In politischer Kritik an diesem Aufruf gegen Parlamentarismus habe die beklagte Partei am darauffolgenden Tag die streitgegenständliche Veröffentlichung vorgenommen. Es habe sich dabei um einen Aufruf zu einer eigenen Demonstration gehandelt, gegen Corona-Leugner und die FPÖ. Angesichts der unglaublichen Aussage des Herbert Kickl, die erschütternde Anklänge eines Aufrufs gegen die parlamentarische Demokratie habe, sei es naheliegend, das Werk des Klägers zu verwenden und antithematisch zu bearbeiten. Das Originalbild sei bei der Bearbeitung durch die beklagte Partei zudem völlig in den Hintergrund getreten, das Gesicht des Herbert Kickl sei nicht mehr erkennbar.
[8] Bei der Nutzung des Werkes des Klägers handle es sich zudem um ein zulässiges Zitat im Sinn des § 42f UrhG. Der Umfang der übernommenen Werkteile sei durch den besonderen Zweck erforderlich, nämlich zur Darstellung, weshalb zur Demonstration „gegen Corona-Leugner und FPÖ“ aufgerufen werde. Die Nutzung sei auch zum Zweck der Berichterstattung über Tagesereignisse nach § 42c UrhG zulässig.
[9] Die Verwendung des Werkes sei aber vor allem eine freie Bearbeitung des Originals nach § 5 Abs 2 UrhG. Das Werk der Klägers habe nur als Anregung für das eigene Werkschaffen der Mitarbeiter der beklagten Partei gedient. In der bearbeiteten Form sei das Werk des Klägers völlig in den Hintergrund getreten und verblasst. Das von der beklagten Partei verwendete Werk sei auch eine antithematische Bearbeitung des Originals. Dabei werde in satirischer, kritischer oder polemischer Absicht ein Werk unter Beibehaltung kennzeichnender Formmittel, aber mit gegenteiliger Intention, nachgeahmt. Die völlig in den Hintergrund getretene Verwendung des Werks sei auch durch die Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK gerechtfertigt. Die Interessen des Klägers seien nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt, das die Freiheit der Meinungsäußerung im Sinn des Art 10 Abs 2 MRK beschränken dürfe.
[10] Das Erstgericht gab der Klage statt. Das (bearbeitete) Bild des Klägers sei ein Lichtbildwerk nach § 3 Abs 2 UrhG, weil Motiv, Blickwinkel, Beleuchtung und Bildausschnitt sorgfältig gewählt und die zwei Motive, Herbert Kickls Porträtbild und der Hintergrund (Museum samt Demonstranten) sorgfältig bearbeitet und ausgewählt worden seien. Durch die Veröffentlichung der Beklagten liege ein Eingriff im Sinne des § 74 UrhG vor. Die Beklagte könne sich nicht auf das Zitatrecht des § 42f UrhG und Art 10 EMRK berufen, weil die kritische Auseinandersetzung der beklagten Partei mit dem Werk des Klägers überschießend sei und ohne hinreichenden Grund in einem völlig anderen Zusammenhang („Nie wieder Faschismus“) gesetzt werde. Aus dem Werk des Klägers sei kein Aufruf gegen den Parlamentarismus abzuleiten. Auch eine Berichterstattung über ein Tagesereignis im Sinn des § 42c UrhG liege nicht vor. Ebenso scheide eine freie Bearbeitung nach § 5 Abs 2 UrhG aus. Schließlich könne sich die beklagte Partei auch nicht auf eine Werknutzung wegen einer parodistischen bzw antithematischen Bearbeitung stützen. Ein Bildzitat, das unwahre oder ehrenrührige Tatsachenbehauptungen zum Ausdruck bringe, rechtfertige keinen Eingriff in die Rechte des Lichtbildherstellers. Dem Kläger gebühre nach § 87 Abs 3 UrhG das Doppelte des angemessenen Entgelts nach § 86 UrhG.
[11] Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte die Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab. Es ging davon aus, dass eine Neuschöpfung im Sinn des § 5 Abs 2 UrhG vorliege. Die von der beklagten Partei vorgenommenen Veränderungen bewirkten einen derart großen Abstand zum Werk des Klägers, dass die Individualität der Vorlage im Vergleich zum neuen Werk verblasse. Am Werk des Klägers sei allein das Portrait Herbert Kickls bewusst prägnant und markant dargestellt, das diesen mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck zeige. Von dieser geistig-ästhetischen Gestalt des Werkes sei aber in dem von der Veröffentlichung der beklagten Partei vermittelten Gesamteindruck nichts zu erkennen.
[12] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt. Es ließ die ordentliche Revision im Hinblick auf die Einzelfallbezogenheit der Entscheidung nicht zu.
[13] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem (erkennbaren) Antrag, der Klage stattzugeben. Die beklagte Partei beantragt in der ihr vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[14] Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung zu § 5 Abs 2 UrhG abgewichen ist; sie ist aber nicht berechtigt.
[15] 1. Der Kläger argumentiert unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH C‑476/17 , Pelham GmbH ua/Hütter ua, dass die Bestimmung des § 5 Abs 2 UrhG gegen Art 5 Richtlinie 2001/29/EG (Info‑RL) verstoße und daher unionsrechtswidrig sei. Eine nähere Auseinandersetzung kann hier aber unterbleiben, weil das Berufungsgericht die Abweisung des Begehrens zu Unrecht auf das Vorliegen einer freien Nachschöpfung im Sinn des § 5 Abs 2 UrhG gestützt hat.
[16] 1.1. Nach § 5 Abs 2 UrhG macht die Benutzung eines Werks bei der Schaffung eines anderen dieses nicht zur Bearbeitung, wenn es im Vergleich zu dem benutzten Werk ein selbständiges neues Werk darstellt. Während bei Verwertung einer Bearbeitung ohne Zustimmung des Urhebers des Originalwerks eine Urheberrechtverletzung vorliegt, kann ein bestehendes Werk etwa als Anregung für eine selbständige Neuschöpfung frei benutzt werden (Schumacher in Kucsko/Handig, urheber.recht2 § 5 UrhG Rz 38). An einer solchen Neuschöpfung besteht kein abhängiges, sondern ein selbständiges Urheberrecht, zu dessen Verwertung es keiner Einwilligung des Urhebers des benutzten Werks bedarf (RS0076521).
[17] 1.2. Die Rechtsprechung hat im Sinne der „Abstandslehre“ (Schumacher in Kucsko/Handig, urheber. recht2 § 5 UrhG Rz 39) zur Abgrenzung der Bearbeitung von der zulässigen Neuschöpfung folgende Grundsätze entwickelt:
[18] 1.2.1. An das Vorliegen einer freien Benützung sind strenge Anforderungen zu stellen (RS0076496). Freie Benützung setzt voraus, dass das fremde Werk nicht in identischer oder umgestalteter Form übernommen wird, auch nicht als Vorbild oder Werkunterlage, sondern lediglich als Anregung für das eigene Werkschaffen dient (RS0076503; 4 Ob 210/20s). Für die „freie Benützung“ ist kennzeichnend, dass trotz des Zusammenhangs mit einem anderen Werk ein von diesem verschiedenes, selbständiges Werk vorliegt, dem gegenüber das Werk, an das es sich anlehnt, „vollständig in den Hintergrund tritt“. Angesichts der Eigenart des neuen Werks, bei dem zwar Anregungen von einer früheren Schöpfung ausgehen (RS0076406), müssen die Züge des benützten Werks „verblassen“ (RS0076521; RS0076406). Eine selbständige Neuschöpfung im Sinn des § 5 Abs 2 UrhG, bei der das benützte Werk völlig in den Hintergrund tritt, ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Übereinstimmung mit dem benützten Werk nur im Thema, der Idee, dem Stoff oder der Problemstellung besteht (RS0076452).
[19] 1.2.2. Für die Abhängigkeit einer Nachschöpfung ist daher entscheidend, dass in ihr das Originalwerk in wesentlichen Zügen wiederkehrt (RS0076406). Entscheidend ist, durch welche Merkmale der ästhetische Gesamteindruck des benützten Originals bestimmt wird und ob diese schützbar sind; stimmen diese Merkmale überein, dann ist davon auszugehen, dass die Nachschöpfung in den geschützten Bereich des Originals eingegriffen hat, richtet doch der Verkehr sein Augenmerk in der Regel mehr auf die Übereinstimmungen als auf die abweichenden Merkmale (RS0076477). Dabei kommt es auf die Gesamtwirkung, den Gesamteindruck, an; eine zergliedernde Beurteilung und Gegenüberstellung einzelner Elemente ohne Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs scheidet aus. Die zum freien Formenschatz gehörenden Elemente bleiben dabei – als außerhalb der allein geschützten konkreten eigentümlichen Gestaltung liegend – außer Betracht (RS0076460).
[20] 1.3. Die Anwendung der aufgezeigten Grundsätze führt zur Schlussfolgerung, dass hier keine Neuschöpfung im Sinne des § 5 Abs 2 UrhG vorliegt.
[21] 1.3.1. Durch das bloße Überschreiben des sonst unverändert gebliebenen (und damit auch als Werkunterlage verwendeten) Werks des Klägers liegt nach Ansicht des Senats keine besondere Individualität der beanstandeten Grafik vor, weshalb das Werk des Klägers nicht „vollständig in den Hintergrund tritt“. Die Grafik der beklagten Partei ist durch eine handwerkliche, routinemäßige Leistung geprägt, deren individuelle Gestaltungselemente beschränkt sind. Die Grafik weist keine besonderen schöpferischen Züge auf, um als individuelle und selbständige geistige Leistung angesehen werden zu können. Dass das Werk des Klägers nur als Anregung für das eigene Schaffen der beklagten Partei dienen sollte, deckt sich nicht mit dem Gesamteindruck der beanstandeten Grafik. Die strengen Anforderungen an das Vorliegen einer freien Benützung (RS0076496) liegen damit nicht vor.
[22] 1.3.2. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Anforderungen an einer Neuschöpfung im Fall eines Portraitfotos aufgrund des diesen nur zukommenden geringen urheberrechtlichen Schutzbereichs geringer sind (4 Ob 102/08s). Im Anlassfall liegt beim Werk des Klägers kein bloßes Porträtbild vor. Aufgrund der konkreten Gestaltung (Foto des Klubobmanns samt Schatten, im Hintergrund leicht unscharf ein mit Demonstranten gefüllter Platz in der Wiener Innenstadt, plastische Aussage und zwei Logos der Partei) kann von einer ausgeprägten Individualität der Vorlage ausgegangen werden. Das erschwert die Annahme einer freien Benützung, zumal – wie ausgeführt – nur eine sehr beschränkte Individualität der beanstandeten Grafik vorliegt (RS0123238).
[23] 1.4. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass sich die Beklagte hier nicht auf § 5 Abs 2 UrhG stützen kann. Mangels Relevanz ist damit der Anregung des Klägers auf Einholung einer Vorabentscheidung beim EuGH zur Frage der Unionsrechtswidrigkeit der vom Berufungsgericht herangezogenen Norm nicht zu folgen.
[24] 2. Die angefochtene Entscheidung ist jedoch im Ergebnis zu bestätigen, weil der Eingriff in den Urheberrechtsschutz bzw Leistungsschutz durch die beklagte Partei im politischen Meinungsstreit wegen § 42f UrhG (Zitatrecht) im Zusammenhang mit dem Recht der freien Meinungsäußerung (Art 10 EMRK) gerechtfertigt ist.
[25] 3.1. Der Oberste Gerichtshof hat schon wiederholt erkannt, dass dem urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch das durch Art 10 EMRK geschützte Recht der freien Meinungsäußerung entgegenstehen kann (vgl die Darstellung der neuen Rechtsprechung von Kucsko-Stadlmayer in Kucsko/Handig, urheber.recht2 Vor §§ 41 ff UrhG).
[26] 3.2. Der auf die Grundrechte gestützte Rechtfertigungsgrund kann nach der neueren Rechtsprechung (anders noch: 4 Ob 2363/96, Head Kaufvertrag;RS0107138) ungeachtet der explizit vom Gesetz zugelassenen Tatbestände herangezogen werden (RS0132625). Die Rechtfertigung ergibt sich daher unmittelbar aus der Verfassung (4 Ob 127/01g, Medienprofessor; 4 Ob 66/10z, Lieblingshauptfrau [Pkt 6.1: „durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gerechtfertigt]; 4 Ob 42/12y, Einspruch S; 4 Ob 250/18w, Draußen bleiben [Pkt 1.4: „… nicht nur vom Gesetz explizit zugelassene Rechte …, sondern auch die verfassungsrechtlich geschützten Rechte“]; 4 Ob 3/21a, Mittelfinger).
[27] 3.3. Bereits vor der Einführung des § 42f UrhG (dazu unten) im Zuge der Urheberrechts-Novelle 2015 wurde in der Rechtsprechung schon mehrfach die Verwendung von fremden Lichtbildern im Rahmen eigener Meinungsäußerungen im politischen Diskurs als durch Art 10 MRK gedeckt beurteilt: In der Entscheidung 4 Ob 127/01g, Medienprofessor, wurde die Übernahme von Zeitungsartikeln samt illustrierenden Lichtbildern auf die Website des dort Beklagten zwecks Aufzeigens der Medienkampagne der Zeitung als zulässig erachtet. In dieser Entscheidung wurde ausgesprochen, dass das fehlende Tatbestandserfordernis (damaliger Bestimmungen zum Zitatrecht) durch das Recht der freien Meinungsäußerung ersetzt werden kann. In der Entscheidung 4 Ob 194/01k erachtete der Senat die von den Vorinstanzen als zulässig angesehene Verwendung des Lichtbilds einer Landespolitikerin im Landtagswahlkampf im Internetauftritt der Beklagten zum Zweck der kritischen Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner im Zuge eines Wahlkampfs als nicht korrekturbedürftig. Schließlich wurde in der Entscheidung 4 Ob 66/10z, Lieblingshauptfrau ein Eingriff in Urheberrechte hinsichtlich eines in der Wahlkampfwerbung verwendeten Lichtbilds (auch) wegen des Rechts auf freie Meinungsäußerung als zulässig beurteilt.
[28] 3.4. In der Lehre wurde die These, das in Art 10 EMRK normierte Grundrecht könne quasi „per se“ Urheberrechtseingriffe rechtfertigen, zu denen das UrhG selbst nicht im Rahmen einer „freien Werknutzung“ ermächtigt, kritisch hinterfragt (Kucsko-Stadlmayer in Kucsko/Handig, urheber.recht2 Vor §§ 41 ff UrhG Rz 22 ff). Nach Kucsko-Stadlmayer (aaO Rz 23)wäre die Annahme, das Grundrecht der Meinungsfreiheit sei – aufgrund seines verfassungsrechtlichen Ranges – gleichsam in das UrhG „hineinzulesen“ und gebiete nach Art eines „Anwendungsvorranges“ dort nicht vorgesehene freie Werknutzungen, verfassungsrechtlich nicht haltbar (vgl auch Jabloner, Stufung und „Entstufung“ des Rechts, ZÖR 2005, 163 ff). Jeder Eingriff in das Urheberrecht sei ein „Eigentumseingriff“, der nach Art 5 StGG und Art 1 1. ZPEMRK bzw Art 17 GRC iVm Art 18 B‑VG einer einfachgesetzlichen Ermächtigung bedürfe (Kucsko-Stadlmayer in Kucsko/Handig, urheber.recht2 Vor §§ 41 ff UrhG Rz 23). Bedenken äußerte auch M. Walter (MR 2002, 30 f [Entscheidungsanmerkung]). Einem Aufbrechen des geschlossenen Katalogs freier Werknutzungen stünde schon das Grundanliegen der Rechtssicherheit entgegen.
[29] 3.5. Eine nähere Auseinandersetzung mit diesen Argumenten gegen die Annahme, dass bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen Eingriffen in Urheberrechte außerhalb der im UrhG normierten Tatbestände bejaht werden könnten, kann im Anlassfall unterbleiben. Vorliegend ist nämlich der Tatbestand eines im UrhG normierten Rechtfertigungstatbestands (§ 42f UrhG) erfüllt. Unter Bedachtnahme auf die Meinungsäußerungsfreiheit im Wege der verfassungskonformen Auslegung dieser Norm (Mitterer/G. Korn in Kucsko/Handig, urheber.recht2 § 42f UrhG Rz 10 ff) ist der Eingriff in die Rechte des Klägers gerechtfertigt.
[30] 4.1. § 42f UrhG wurde mit der Urheberrechts-Novelle 2015 eingeführt. Demnach darf ein veröffentlichtes Werk zum Zweck des Zitats vervielfältigt, verbreitet, durch Rundfunk gesendet, der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und zu öffentlichen Vorträgen, Aufführungen und Vorführungen benutzt werden, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist.
[31] 4.2. Diese Norm regelt das Zitatrecht (nunmehr) werkübergreifend und stellt ein Kernstück der freien Werknutzungen dar, weil sich die Sozialgebundenheit des Urheberrechts in diesem Bereich deutlich manifestiert (Mitterer/G. Korn in Kucsko/Handig, urheber.recht2 § 42f UrhG Rz 1). Dabei sollen die bisherigen Regelungen dadurch flexibilisiert werden, dass das Zitatrecht in einer Generalklausel (Mitterer/G. Korn aaO Rz 19) einleitend allgemein geregelt wird und in einer nachfolgenden beispielsweisen Aufzählung die bisherigen Regelungen im Wesentlichen übernommen werden (RV 687 der BlgNR 25. GP 12). Der Urheber hat in bestimmten Fällen die vergütungsfreie Nutzung hinzunehmen, die im Regelfall auf umfänglich unterschiedliche Werkteile beschränkt ist und die vor allem der geistigen Auseinandersetzung dienen soll. Zulässigkeit und Umfang des Zitats hängen dabei wesentlich vom Zitatzweck ab. Das Zitatrecht dient vor allem der Gewährleistung der Meinungsäußerungsfreiheit und dem allgemeinen kulturellen und wissenschaftlichen Fortschritt (Mitterer; G. Korn in Kucsko/Handig, urheber.recht2 § 42f UrhG Rz 1 und 10 ff). Der besondere Zweck, der die Nutzung rechtfertigt (§ 42f UrhG) kann daher auch (und gerade) in der Ausübung von verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechten liegen.
[32] 4.3. Für die Zulässigkeit der Veröffentlichung der Lichtbilder als Bildzitat ist Voraussetzung, dass das in den Berichten jeweils wiedergegebene Bild Zitat- und Belegfunktion hatte (RS0124069). Ein nach § 42f UrhG zulässiges Bildzitat muss erkennbar der Auseinandersetzung mit dem übernommenen Werk dienen, etwa als Beleg oder Hilfsmittel der eigenen Darstellung. Es muss eine innere Verbindung zwischen dem eigenen und dem fremden Werk hergestellt werden (4 Ob 81/17s [Pkt 3.3.1.], Bild des Wilderers; 4 Ob 7/19m [Pkt 2.2.], Schlagersänger mit Kopftuch; 4 Ob 3/21a, Mittelfinger [Rz 9]). Die Nutzung des zitierten Werks gegenüber den Aussagen des Nutzers muss daher akzessorischer Natur sein (EuGH C‑516/17 , Spiegel Online GmbH [Rn 79]). Das Zitat eines geschützten Werks darf zudem nicht so umfangreich sein, dass es die normale Verwertung des Werks beeinträchtigt oder die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers ungebührlich verletzt werden. (EuGH C‑516/17 , Spiegel Online GmbH [Rn 79]).
[33] 4.4. Im Rahmen dieser Prüfung ist auch zu berücksichtigen, ob die Verneinung der freien Werknutzung einem dringenden sozialen Bedürfnis im Sinne der Judikatur des EGMR zur Notwendigkeit eines Eingriffs in die Meinungsäußerungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft dient. Erforderlich ist eine Abwägung der vom Urheber oder seinem Werknutzungsberechtigten verfolgten Interessen mit dem Recht der freien Meinungsäußerung (RS0115377), wobei das Grundrecht ohne den Eingriff nur unzureichend ausgeübt werden können muss (RS0115377 [T12]; 4 Ob 42/12y [Pkt 3.3.], Einspruch S; 4 Ob 3/21a, Mittelfinger [Rz 10 mwN]).
[34] 5. In Anwendung der referierten Grundsätze ist die angefochtene Entscheidung zu bestätigen.
[35] 5.1. Das Rechtsmittel und auch das Erstgericht vertreten den Standpunkt, dass die Veröffentlichung der Beklagten die zulässigen Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten hätten. Die Beklagte habe den Klubobmann des Klägers mit unwahren und ehrenrührigen Vorwürfen, nämlich mit dem Faschismus in Verbindung gebracht.
[36] 5.1.1. Die Freiheit der Meinungsäußerung ist das Recht, eigene und andere Ideen und Informationen mitzuteilen, ohne daran durch den Staat gehindert zu werden. Die besondere Bedeutung dieses garantierten Rechts zeigt sich in der öffentlichen Diskussion über politische Fragen und Kritik von und an Politikern. Der EGMR hat zu Recht betont, dass die Freiheit der politischen Diskussion das Herzstück einer demokratischen Gesellschaft ist und dass bei kritischen Äußerungen gegenüber Politikern die Grenzen zulässiger Kritik weiter sind (6 Ob 138/01i). Es ist anerkannt, dass Personen des öffentlichen Lebens nicht auf die gleiche Weise Anspruch auf einen Schutz ihres Privatlebens erheben können wie der Öffentlichkeit unbekannte Privatpersonen (RS0077903 [T17]). Jeder Politiker setzt sich selbst unvermeidlich und willentlich einer genauen Beurteilung jeder seiner Worte und Taten durch Journalisten und das breite Publikum (EGMR 23. 5. 1991, 11662/85, Oberschlick/Österreich, Rz 59), aber auch durch den politischen Gegner (4 Ob 75/94) aus.
[37] 5.1.2. Ungeachtet der an sich weiteren Grenzen für die Ausübung von Kritik gegenüber Politikern (oder politischen Parteien) weist der Kläger in seinem Rechtsmittel zutreffend darauf hin, dass es bei unwahren Tatsachenbehauptungen oder bei Werturteilen, basierend auf unwahren Tatsachenbehauptungen, kein Recht auf freie Meinungsäußerung gibt (RS0107915). Das Recht auf freie Meinungsäußerung kann eine Herabsetzung des politischen Gegners durch unwahre Tatsachenbehauptungen, mit denen er eines verwerflichen Verhaltens bezichtigt wird, nicht rechtfertigen (RS0032201). Bei Äußerungen von Politikern über den Gegner können unter Umständen zwar auch massiv in die Ehre des Gegners eingreifende Werturteile noch zulässig sein. Diese bedürfen aber eines rechtfertigenden wahren Sachverhalts als Basis der pointiert zum Ausdruck gebrachten Kritik (RS0032201 [T5]).
[38] 5.1.3. Entgegen den Ausführungen im Rechtsmittel ist aus dem in der Grafik der Beklagten aufgenommenen Slogan „Nie wieder Faschismus“ in Verbindung mit dem Begleittext nach verständiger Würdigung nicht abzuleiten, dass dem Klubobmann des Klägers (oder anderen Mitgliedern des Klägers) vorgeworfen wird, dass er (sie) die Ideologie des Faschismus vertreten würde(n). Wie aus dem Text zur Grafik klar ersichtlich ist, richtete sich der Protest der beklagten Partei vielmehr dagegen, dass (nach Einschätzung der beklagten Partei) neben der Parlamentspartei FPÖ auch „Neonazis“ auf die Straße gehen würden und die FPÖ „offen mit Neonazis“ bei der Demonstration mobilisieren würde. Dass (angeblich) auch Neonazis an der von der FPÖ mitorganisierten Demonstration beteiligt waren und die Ideologie von Neonazis in der politischen Diskussion unter den Begriff des Faschismus subsumiert wird, wurde und wird vom Kläger nicht bestritten.
[39] 5.2. Auch die weitere Voraussetzung, dass die Nutzung des Werks des Klägers gegenüber den Aussagen der beklagten Partei akzessorischer Natur war, ist erfüllt. Die beklagte Partei hat hier mit ihrer Grafik direkt auf den Demonstrationsaufruf des Klägers reagiert und sich damit kritisch auseinandergesetzt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die beklagte Partei mit ihrem Aufruf nicht nur ihr Recht auf Meinungsfreiheit ausgeübt, sondern damit eine grundrechtlich ebenfalls geschützte (EGMR 29. 6. 2006, 76900/01, Öllinger/Österreich) Gegen-demonstration vorbereitet hat. Mit Blick auf die inhaltliche Entgegnung der beklagten Partei bzw den Aufruf zur Gegendemonstration konnte das Grundrecht der freien Meinungsäußerung hier ohne Eingriff in das Urheber- oder Leistungsschutzrecht nicht oder nur unzulänglich ausgeübt werden. Der Kläger selbst vertritt in seinem Rechtsmittel die Ansicht, dass es der beklagten Partei geradezu darauf angekommen sei, das Werk des Klägers im neuen Werk erkennbar zu machen.
[40] 5.3. Es kam durch den Aufruf der beklagten Partei zu keiner ungebührlichen Verletzung von ideellen Interessen des Rechteinhabers. Auch berechtigte wirtschaftliche Interessen wurden nicht ungebührlich verletzt. Die Verwendung des Werks des Klägers war nicht so umfangreich, dass damit die normale Verwertung des Werks beeinträchtigt war. Weder wurde die Grafik der beklagten Partei für die wirtschaftliche Ausbeutung des klägerischen Werks benutzt noch hat die Grafik die Nachfrage nach dem Original beeinflusst (vgl 4 Ob 66/10z, Lieblingshauptfrau).
[41] 5.4. Eine Verneinung der freien Werknutzung würde hier keinem dringenden sozialen Bedürfnis im Sinne der Judikatur des EGMR zur Notwendigkeit eines Eingriffs in die Meinungsäußerungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft dienen.
[42] 5.5. Nach der gebotenen Interessenabwägung liegt wegen der Ausübung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung durch die Beklagte daher ein besonderer Zweck vor, der die Veröffentlichung des Werks des Klägers nach der Generalklausel des § 42f UrhG als Zitat rechtfertigt.
[43] 6. Zusammenfassend ergibt sich, dass das Berufungsgericht die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen hat. Der Revision des Klägers war daher der Erfolg zu versagen.
[44] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)