OGH 2Ob65/12s

OGH2Ob65/12s14.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** O*****, vertreten durch MMag. Dr. Michael Michor und Mag. Walter Dorn, Rechtsanwälte in Villach, gegen die beklagte Partei J***** O*****, vertreten durch Mag. Martin Prett, Rechtsanwalt in Villach, wegen 59.384,38 EUR sA, über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 12. Jänner 2012, GZ 3 R 239/11h‑77, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 19. September 2011, GZ 26 Cg 134/08i‑71, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00065.12S.0314.000

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.371,02 EUR (darin 228,50 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Der Kläger ist einer von drei Söhnen des am 6. 11. 2007 verstorbenen M***** O*****. Er stammt aus der zweiten Ehe des Erblassers. Die Beklagte war dessen dritte Ehefrau. Sie wurde im Testament vom 26. 1. 1982 zur Alleinerbin bestimmt. Mit Beschluss des Verlassenschaftsgerichts vom 12. 9. 2008 wurde ihr der Nachlass zur Gänze eingeantwortet.

Zum Nachlassvermögen gehörte eine Liegenschaft an einem Badesee mit Badehaus und Nebengebäuden, deren Verkehrswert zum Todeszeitpunkt des Erblassers 227.500 EUR betrug. Nach der Einantwortung wurde die Liegenschaft von der Beklagten verkauft.

Der Erblasser war Bestandnehmer eines Geschäftslokals, in dem er bis Ende 1982 eine Fleischerei betrieb. Von 1983 bis 30. 9. 1994 führte die Beklagte dieses Unternehmen als Untermieterin der Geschäftsräume weiter. Ab 1. 11. 1994 wurden das Geschäftslokal sowie weitere Räume an einen Dritten (unter‑)vermietet, der dort seither eine Parfumerie betreibt. Zwischen dem Vermieter, dem Erblasser und der Beklagten wurde vereinbart, dass der Bestandzins je zur Hälfte dem Vermieter und dem Erblasser (als Untervermieter) zufließen soll. Der Erblasser wiederum verpflichtete sich in einer weiteren Vereinbarung gegenüber der Beklagten, dieser auf seine Lebensdauer „als Entgelt für den Verzicht auf die weitere Ausübung ihrer Untermieterrechte bzw die damit verbundene Betriebsaufgabe die Hälfte des ihm jeweils zufließenden Mietzinsanteiles zu bezahlen“. In dem zwischen dem Vermieter, dem Erblasser und dem Dritten „unter Beitritt“ der Beklagten abgeschlossenen Bestandvertrag wurde die Rechtsnachfolge auf Seiten der Bestandgeber dahin geregelt, dass das Mietverhältnis des Erblassers nach seinem Tode auf seine Ehegattin (die Beklagte) übergeht. Im Falle ihres Vorablebens bzw nach ihrem Tode sollten die Mietrechte an den Hauseigentümer (Vermieter) zurückfallen. Die Mietrechte repräsentierten zum Todeszeitpunkt des Erblassers einen Barwert von 321.868 EUR, der sich nach einer Mietzinsreduktion im Jahr 2008 auf 285.376 EUR verringerte.

Der Kläger begehrte von der Beklagten die Zahlung seines Pflichtteils, den er zuletzt mit 59.384,38 EUR bezifferte.

Die Beklagte wandte ein, der Anspruch des Klägers sei unter Berücksichtigung eines anzurechnenden Vorempfangs bereits erfüllt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 17.077,90 EUR samt 4 % Zinsen seit 22. 8. 2008 statt und wies das Mehrbegehren von 42.306,48 EUR sA ab.

Zu dem von der Beklagten behaupteten Vorempfang traf es eine Negativfeststellung. Es ermittelte Nachlassaktiva von 236.354,13 EUR, Passiva von 82.752,03 EUR und legte seiner rechtlichen Beurteilung einen für die Berechnung des Pflichtteils relevanten reinen Nachlass von 153.701,10 EUR zugrunde. Hiervon sprach es dem Kläger ein Neuntel zu. Zu den Nachlassaktiva zählte es die mit 227.500 EUR bewertete Liegenschaft. Dazu vertrat das Erstgericht die Ansicht, dass die spätere Veräußerung dieser Liegenschaft zu einem niedrigeren Preis für die Berechnung des Pflichtteils ohne Bedeutung sei. Unberücksichtigt ließ es auch die im Jahr 1994 für den Todesfall vereinbarte Übertragung von Mietrechten vom Erblasser auf die Beklagte.

Dieses Urteil erwuchs im Umfang der Abweisung eines Teilbetrags von 6.543,37 EUR sA unbekämpft in Rechtskraft.

Das im Übrigen von beiden Streitteilen angerufene Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es den Zuspruch an den Kläger auf 44.395,23 EUR samt 4 % Zinsen seit 21. 8. 2008 erhöhte und das Mehrbegehren von (insgesamt) 14.989,15 EUR sA abwies. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Als Grundlage für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs des Klägers dienten dem Berufungsgericht Nachlassaktiva von 482.309,13 EUR, in die es auch den mit 285.376 EUR bezifferten Wert „des an die Beklagte weitergegebenen Mietrechts“ an dem Geschäftslokal miteinbezog. Den zum Todeszeitpunkt des Erblassers geschätzten Verkehrswert der schon vom Erstgericht berücksichtigten Liegenschaft ersetzte es durch den Veräußerungserlös (187.980 EUR). Daraus ergab sich bei unveränderten Passiven ein reiner Nachlass von 399.557,10 EUR und ein Anspruch des Klägers in Höhe des zugesprochenen Betrags.

In seiner Begründung erachtete das Berufungsgericht die gegen die erwähnte Negativfeststellung gerichtete Beweisrüge der Beklagten für unberechtigt. Hinsichtlich der „mit dem Recht zur Untervermietung verbundenen“ Mietrechte am Geschäftslokal, die der Erblasser mit Zustimmung des Vermieters ‑ ohne Notariatsakt ‑ auf seinen Todesfall an die Beklagte unentgeltlich weitergegeben habe, ging es von einer als Vermächtnis zu behandelnden Schenkung auf den Todesfall aus. Da der Noterbe gemäß § 786 Satz 2 ABGB bis zur „wirklichen Zuteilung“ an der wirtschaftlichen Entwicklung des Nachlasses teilnehme, seien der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs der nach der Einantwortung erzielte Veräußerungserlös für die Liegenschaft und der reduzierte Barwert des Mietrechts zugrunde zu legen.

Zu seinem Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision führte das Berufungsgericht aus, dass in der Entscheidung 3 Ob 587/87 offen geblieben sei, ob bei Veräußerung einer zum Nachlass gehörenden Sache unter dem Schätzwert der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs der erzielte Veräußerungserlös zugrunde zu legen sei. Auch zu den Auswirkungen einer vor der „wirklichen Zuteilung“ vereinbarten Mietzinsreduktion auf den für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs maßgeblichen Wert des Mietrechts existiere noch keine höchstgerichtliche Judikatur.

Rechtliche Beurteilung

Die von beiden Parteien gegen das Berufungsurteil erhobenen Revisionen sind jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Weder in der Begründung des zweitinstanzlichen Zulassungsausspruchs noch in den Revisionen wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan. Eine solche wird nicht schon dadurch begründet, dass sich der Oberste Gerichtshof zu einer völlig gleichgelagerten Fallkonstellation bisher noch nicht geäußert hat (RIS-Justiz RS0107773, RS0110702, RS0102181).

I. Zur Revision der Beklagten:

1. Bei Divergenzen zwischen Anfechtungserklärung und Rechtsmittelantrag ist grundsätzlich der Rechtsmittelantrag maßgeblich (RIS-Justiz RS0043624 [T1], RS0109506 [T7, T9]).

Hier soll laut Anfechtungserklärung das Berufungsurteil (nur) insoweit angefochten werden, als es dem Kläger einen 12.686,79 EUR übersteigenden Betrag zuspricht. Aus den ausgeführten Revisionsgründen und dem Revisionsantrag geht jedoch klar hervor, dass die „vollinhaltliche“ Abweisung des Klagebegehrens angestrebt wird. Davon ist auszugehen, ohne dass es der Einleitung eines Verbesserungsverfahrens bedarf.

2. Zu den den zweitinstanzlichen Zulassungsausspruch begründenden Rechtsfragen enthält die Revision der Beklagten kein inhaltliches Substrat. Das ist auch nachvollziehbar, wurden diese Rechtsfragen doch im Sinne der Beklagten gelöst. Die Beklagte meint allerdings, dass zu der „Rechtsqualität“ der zwischen ihr und dem Erblasser im Jahr 1994 getroffenen Vereinbarungen über die Übertragung der Mietrechte keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe. Fragen der Vertragsauslegung oder der Auslegung (auch letztwilliger) Erklärungen kommt aber in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu, sofern keine auffallende Fehlbeurteilung vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss (vgl RIS-Justiz RS0042555, RS0042936, RS0112106 ua). Eine solche gravierende Fehlbeurteilung vermag die Beklagte in ihrem Rechtsmittel nicht aufzuzeigen:

2.1 Das Bestandrecht ist ein vererbliches Vermögensrecht (§ 14 Abs 1 MRG; § 1116a ABGB). Durch den Tod des Vermieters oder des Mieters wird der Mietvertrag nicht aufgehoben. Der Eintritt des Erben in den Mietvertrag wird ‑ abgesehen von der hier nicht in Frage kommenden Sonderrechtsnachfolge nach § 14 Abs 2 MRG ‑ mit der Rechtskraft der Einantwortung ex lege vollzogen (vgl 6 Ob 258/98d; 4 Ob 336/98k; RIS-Justiz RS0012202, RS0021167). Nur außerhalb des Bereichs des Kündigungsschutzes kann ein Erlöschen des Bestandverhältnisses durch den Tod des Bestandnehmers vereinbart werden (7 Ob 1599/91).

Ob diese Voraussetzungen hier vorlagen, wurde von den Vorinstanzen zwar nicht geprüft. Den im Jahr 1994 getroffenen Vereinbarungen zufolge sollte das Bestandverhältnis nach dem Tod des Erblassers aber jedenfalls fortgesetzt werden, wenn die Beklagte den Erblasser überlebt. Diese Bedingung war zum Todeszeitpunkt des Erblassers erfüllt. Ohne die Vereinbarungen wäre die Beklagte als rechtskräftig eingeantwortete Alleinerbin dennoch ex lege in den Bestandvertrag eingetreten. Davon, dass die Mietrechte der Beklagten „erst durch diese Vereinbarungen geschaffen wurden“, kann somit entgegen der Auffassung der Beklagten keine Rede sein. Dies hat auch das Berufungsgericht ohne korrekturbedürftigen Rechtsirrtum erkannt.

2.2 Für die These, dass erst die Regelung der Rechtsnachfolge auf Bestandgeberseite die (Unter‑)Vermietung an den Dritten ermöglicht hätte, bieten die Feststellungen keinen Anhaltspunkt. Keine Bedeutung für die hier zu lösende Frage, ob die Mietrechte als dem Nachlass zugehörig zu behandeln sind, hat auch der Umstand, dass zur vertraglichen Einigung mit dem Untermieter die Mitwirkung des Vermieters erforderlich war.

2.3 Aus der zwischen dem Erblasser und der Beklagten getroffenen Vereinbarung vom 5. 9. 1994 ergibt sich unmissverständlich, was der Beklagten als Entgelt für den Verzicht auf die Untermietrechte und die damit verbundene Betriebsaufgabe zu leisten war. Diese Leistungen waren auf die Lebensdauer des Erblassers begrenzt. Die Behauptung der Beklagten, die Übertragung der Mietrechte nach dem Tod des Erblassers seien ebenfalls eine Gegenleistung für den Verzicht auf die Untermietrechte und die Betriebsaufgabe gewesen, ist aus der besagten Vereinbarung nicht ableitbar. Sie weicht vielmehr in unzulässiger Weise von den Feststellungen der Vorinstanzen ab und ist daher unbeachtlich.

2.4 Auch das hilfsweise vorgetragene Argument der Beklagten, es habe sich um eine Schenkung unter Lebenden gehandelt, die auch sogleich erfüllt worden sei, findet im Sachverhalt keine Deckung. Der in diesem Zusammenhang mit dem Hinweis auf die von ihr nach einem Schlaganfall des Erblassers ab dem Sommer des Jahres 2000 erbrachten Pflegeleistungen aufgestellten Behauptung, der Erblasser habe seine sittliche Pflicht erfüllt (vgl § 785 Abs 3 ABGB), ist überdies zu entgegnen, dass die sittliche Pflicht schon im Zeitpunkt der Schenkung (hier also 1994) vorliegen hätte müssen (vgl 2 Ob 678/87).

2.5 Nach § 956 Satz 1 ABGB ist eine Schenkung, deren Erfüllung erst nach dem Tode des Schenkenden erfolgen soll, mit Beobachtung der vorgeschriebenen Förmlichkeiten als ein Vermächtnis gültig. Diese Schenkung ist von der in Satz 2 geregelten (eigentlichen) Schenkung auf den Todesfall zu unterscheiden, die als Vertrag den Schenker bindet und nur unter den Voraussetzungen der Geschenkannahme, des Widerrufsverzichts und der Form des Notariatsakts gültig ist (RIS-Justiz RS0012517, RS0018809). Ein wegen Fehlens des Widerrufsverzichts oder wegen Formmangels ungültiger Schenkungsvertrag auf den Todesfall kann in ein Vermächtnis umgedeutet werden, wenn die Form hierfür eingehalten wurde (vgl 1 Ob 581/77 = RZ 1978/4; Bollenberger in KBB³ § 956 Rz 1).

Die Beklagte verkennt mit ihrem Hinweis auf das Fehlen eines Notariatsakts und des Widerrufsverzichts, dass das Berufungsgericht ohnehin nur das Vorliegen einer Schenkung iSd § 956 Satz 1 ABGB, also eines Vermächtnisses, angenommen hat. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Bestandrecht auch im Wege der Einzelrechtsnachfolge durch ein Legat erworben werden kann (RIS-Justiz RS0021196). Die für die Übertragung des Mietrechts erforderliche Einwilligung des Vermieters (7 Ob 2048/96v; 5 Ob 199/01b) wurde im vorliegenden Fall erteilt. Es ist ferner unstrittig, dass die Aussetzung eines Vermächtnisses an den Alleinerben zulässig ist und zur Folge hat, dass der bedachte Erbe hinsichtlich des Vermächtnisgegenstands in seinen Rechtsverhältnissen zu anderen Personen wie ein Legatar zu behandeln ist (2 Ob 588/95; 1 Ob 108/10d; RIS-Justiz RS0012583, RS0107755; vgl auch RS0013085 [T1]).

Insoweit hält sich die Rechtsansicht des Berufungsgerichts im Rahmen der Judikatur. Der sich daran anschließenden Frage, ob der Erblasser anlässlich der Vereinbarungen des Jahres 1994 tatsächlich eine die Beurteilung als letztwillige Anordnung rechtfertigende Erklärung in der dafür gebotenen Form (vgl §§ 577 ff ABGB; Apathy in KBB³ § 553 Rz 1) getroffen hat, muss aber hier nicht nachgegangen werden, weil sich die Beklagte mit diesem (wesentlichen) Aspekt der zweitinstanzlichen Begründung, nämlich den Regeln des Vermächtnisrechts, in ihrem Rechtsmittel überhaupt nicht befasst.

2.6 Die Beweiswürdigung der Vorinstanzen ist in dritter Instanz nicht überprüfbar. Selbst wenn sie tatsächlich widersprüchlich wäre, ist deshalb nicht der Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO erfüllt (RIS-Justiz RS0106079). Eine neuerliche Befassung mit der gegen die Negativfeststellung zum behaupteten Vorempfang des Klägers gerichteten Beweisrüge der Beklagten kommt daher nicht in Betracht.

3. Mangels Darlegung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen.

II. Zur Revision des Klägers:

1. Der Vorwurf, das Berufungsgericht habe in die Teilrechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung eingegriffen, ist unberechtigt. Die Beklagte hat den Zuspruch von 17.077,90 EUR mit Berufung bekämpft, weshalb Teilrechtskraft in diesem Umfang nicht eintreten konnte. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund liegt daher nicht vor.

Richtig ist, dass die Beklagte in ihrer Berufung lediglich eine (erfolglose) Tatsachenrüge erhob. Das Berufungsgericht hat sich allerdings aufgrund der Rechtsrüge des Klägers im Rahmen seiner allseitigen Prüfungspflicht zu einer Neuberechnung des reinen Nachlasses unter Berücksichtigung der vom Erstgericht vernachlässigten Bestimmung des § 786 ABGB für befugt erachtet. Stichhältige Argumente, die gegen diese Befugnis sprechen könnten, werden in der Revision nicht vorgebracht. Dass der Kläger den begehrten Mehrzuspruch nur aus dem der Beklagten von Todes wegen übertragenen Mietrecht ableitete, hinderte das Berufungsgericht nicht daran, die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs (als Gesamtforderung) einer grundsätzlichen Überprüfung zu unterziehen. Insgesamt wurde der dem Kläger zugesprochene Betrag auch keineswegs reduziert, sondern in teilweiser Stattgebung seiner Berufung beträchtlich erhöht. Der korrigierte Beginn des Zinsenlaufs entspricht dem Berufungsantrag des Klägers und wirkt sich überdies zu seinen Gunsten aus, sodass er insoweit nicht beschwert ist.

2. Der Kläger rügt als Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes und damit als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (1 Ob 212/10y; 8 Ob 92/11d uva), dass das Berufungsgericht den Inhalt einer Urkunde als unstrittig bezeichnet und ohne Beweisergänzung den sich daraus ergebenden Veräußerungserlös für die Liegenschaft wiedergegeben hat (vgl RIS-Justiz RS0121557). Soweit der Kläger nun die angenommene Unstrittigkeit in Abrede stellt ‑ er verwies zur Richtigkeit der Urkunde auf das „eigene Vorbringen“, das zur Höhe des Verkaufserlöses aber keine Behauptung enthält ‑ unterlässt er es, die Relevanz des geltend gemachten Verfahrensverstoßes für die Entscheidung darzutun. Dazu hätte er zumindest anführen müssen, dass der wiedergegebene Verkaufserlös nicht den Tatsachen entsprach. Da der Kläger diesem Erfordernis nicht entsprochen hat, kann seiner Mängelrüge kein Erfolg beschieden sein.

3. Nach § 786 Satz 2 ABGB ist die Verlassenschaft bis zur wirklichen Zuteilung des Pflichtteils in Ansehung des Gewinns und der Nachteile als ein zwischen den Haupt- und Noterben verhältnismäßig gemeinschaftliches Gut zu betrachten. Dementsprechend nimmt der Noterbe im Verhältnis seines Wertanspruchs zum Nachlass an der günstigen oder ungünstigen Entwicklung des Nachlassvermögens teil (6 Ob 109/03b; 2 Ob 208/09s). Unter „wirklicher Zuteilung“ wird die ziffernmäßige Feststellung des Pflichtteilsanspruchs verstanden, die durch Vereinbarung oder gerichtliche Entscheidung erfolgen kann; im letztgenannten Fall wird der Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz als maßgeblich angesehen (8 Ob 518/83 = SZ 57/90; 3 Ob 315/05b mwN; 2 Ob 208/09s; RIS-Justiz RS0012933). Die Gemeinschaftsfiktion des § 786 ABGB setzt voraus, dass sich das betreffende Vermögen im Zeitpunkt des Erbanfalls noch im Eigentum des Erblassers befand und damit Nachlassbestandteil werden konnte. Sie gilt daher nicht für vom Erblasser zu Lebzeiten verschenktes Vermögen, das Gegenstand einer Pflichtteilserhöhung wegen Schenkung wird (6 Ob 109/03b mwN). Während also bei der Berechnung des Nachlasspflichtteils Werterhöhungen bis zur wirklichen Zuteilung im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen sind, kommt es bei der Ermittlung des Schenkungspflichtteils auf den Wert zur Zeit des Erbanfalls ohne Bedachtnahme auf spätere Werterhöhungen an (9 Ob 82/10i; RIS-Justiz RS0012922).

Die Ansicht des Klägers, die Mietrechte seien im Todeszeitpunkt des Erblassers nicht im Nachlass vorhanden gewesen, findet in den Feststellungen keinen Niederschlag. Insoweit wird auf die Ausführungen zur Revision der Beklagten verwiesen. Soweit er in diesem Zusammenhang auf die Vermögenserklärung der Beklagten verweist (vgl § 170 AußStrG), betrifft dies die in dritter Instanz unanfechtbare Beweiswürdigung. Dem Berufungsgericht ist demnach auch unter diesem Aspekt keine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen, wenn es die Mietrechte zur Berechnung des Nachlasspflichtteils herangezogen hat.

4. Es entspricht herrschender Auffassung, dass bei der Veräußerung einer zum Nachlass gehörenden Sache der Berechnung der erzielte Erlös zugrunde zu legen ist (vgl 4 Ob 550, 551/73 = NZ 1974, 91; 3 Ob 587/87 mwN; Welser in Rummel, ABGB³ § 786 Rz 10; Eccher in Schwimann, ABGB III4 § 786 Rz 2; Apathy in KBB³ § 786 Rz 2). Richtig ist, dass sich der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 3 Ob 587/87 nicht zu der Frage äußern musste, ob eine Ausnahme zu machen ist, wenn der Erlös unter dem Schätzwert liegt. Er hat an anderer Stelle aber schon mehrfach die Auffassung vertreten, dass sich der Pflichtteil auch bei einem nachteiligen Geschäft des Erben mindert, der Erbe bei Vornahme unzweckmäßiger Maßnahmen dem Noterben allerdings schadenersatzpflichtig werden kann (vgl 1 Ob 347/36 = SZ 18/81; 1 Ob 113/46 = JBl 1946, 462; 7 Ob 333/57 = RZ 1958/4; 4 Ob 1612/94; auch RIS-Justiz RS0012905; Welser aaO § 786 Rz 6 und 10; Eccher aaO § 786 Rz 2; Apathy aaO § 786 Rz 2; aA Kralik in Ehrenzweig, Erbrecht³ 291). Ob es aber dafür darauf ankommt, dass die Minderung durch eine „nicht aus zwingenden Gründen“ vorgenommene Veräußerung verursacht wurde (JBl 1946, 462; Weiß in Klang² III 917 f), dass die Veräußerung ‑ auch unter Berücksichtigung der Interessen des Erben ‑ „gerechtfertigt“ war (vgl Kralik aaO 291), oder dass „leicht“ ein wesentlich höherer Erlös erzielt hätte werden können (Welser aaO § 786 Rz 10), unterliegt typischerweise der Beurteilung nach den Umständen des konkreten Einzelfalls.

Das Berufungsgericht hat im Einklang mit der zitierten Lehre und Rechtsprechung festgehalten, dass der Kläger Schadenersatzansprüche weder behauptet noch geltend gemacht habe. Dagegen führt der Kläger, der sich auf die zitierte Lehrmeinung von Weiß beruft, im Zusammenhang mit der Veräußerung der Liegenschaft nichts ins Treffen. Dass aber die Beklagte der Mietzinsreduktion „ohne Notwendigkeit und nicht aus Gründen zwingender Natur“ zugestimmt hätte, geht aus den Feststellungen nicht hervor.

5. Auch in der Revision des Klägers werden somit keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend gemacht. Das Rechtsmittel ist daher zurückzuweisen.

III. Kosten:

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. In beiden Revisionsbeantwortungen wurde auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen. Die wechselseitigen Kostenersatzansprüche wurden saldiert.

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