OGH 11Os160/19t

OGH11Os160/19t25.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Februar 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der FI Mock als Schriftführerin in der Strafsache gegen Teimuraz L***** und einen anderen Angeklagten wegen Verbrechen des schweren gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 2 Z 1 (iVm Abs 1 Z 1), 130 Abs 3 (iVm Abs 1 erster Fall) und 15 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Teimuraz L***** und Alexander D***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 19. September 2019, GZ 230 Hv 18/19x‑146, sowie den Antrag des Angeklagten Alexander D***** auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Versäumen der Frist zur Anmeldung von Rechtsmitteln gegen das genannte Urteil nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung teils beschlossen, teils zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00160.19T.0225.000

 

Spruch:

 

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verweigert.

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Teimuraz L***** wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, in den diesen Angeklagten betreffenden Schuldsprüchen A 1, 2, 3 und 5, ferner in der Subsumtion nach § 128 Abs 1 Z 5 StGB und § 130 Abs 3 StGB sowie in der zum Schuldspruch A dieses Angeklagten gebildeten Subsumtionseinheit, demzufolge auch in den ihn betreffenden Aussprüchen über die Strafe (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und über den Verfall aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie sich gegen den Strafausspruch wendet, sowie mit seiner Berufung wird der Angeklagte L***** auf die Aufhebung verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden im Übrigen sowie die Berufung des Angeklagten Alexander D***** werden zurückgewiesen.

Den Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Teimuraz L***** und Alexander D***** jeweils des Verbrechens des schweren gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 2 Z 1 (iVm Abs 1 Z 1), 130 Abs 3 (iVm Abs 1 erster Fall) und 15 StGB (A), Ersterer darüber hinaus jeweils eines Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Strafsatz StGB (B 1) und der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (B 2) schuldig erkannt.

Danach haben sie – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – (A) in G***** im einverständlichen Zusammenwirken (§ 12 erster Fall StGB) mit dem gesondert verfolgten Shota K***** folgenden Gewahrsamsträgern fremde bewegliche Sachen von 5.000 Euro übersteigendem Wert mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung durch Einbruch in Wohnstätten begangener Diebstähle ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, teils weggenommen, teils dies versucht, indem sie durch Aufbrechen von Fenstern oder Türen oder Abdrehen deren Zylinderschlösser in die Einfamilienhäuser der Genannten gelangten, und zwar

(1) am 23. November 2017 Karl und Sonja P***** Schmuck und Elektronikgeräte im Wert von 8.439 Euro;

(2) am 25. November 2017 Anton M***** Bargeld, Schmuck, einen Fotoapparat und eine Vase im Wert von 6.640 Euro;

(3) am 5. Dezember 2017 Kurt A***** Elektronikgeräte, Schmuck, Taschen, Werkzeug und Kleidungsstücke im Wert von 25.996,98 Euro;

(4) am 6. Dezember 2017 Franz und Elisabeth F***** stehlenswertes Gut, insoweit es beim Versuch blieb;

(5) am 16. Dezember 2017 Josef und Roswitha Lu***** Schmuck und Bargeld im Wert von 1.500 Euro;

(6) in der Nacht zum 26. Dezember 2017 Dr. Gerhard B***** Elektronikgeräte, Kleidungsstücke und Bargeld im Wert von 4.200 Euro.

 

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte D***** überreichte mit Schriftsatz vom 19. November 2019 (ON 157) die Ausführung einer Nichtigkeitsbeschwerde und einer Berufung gegen dieses Urteil, obwohl er binnen der hiefür zur Verfügung stehenden Frist (§§ 284 Abs 1 erster Satz, 294 Abs 1 erster Satz StPO) gar kein Rechtsmittel dagegen angemeldet hatte. Diese Rechtsmittel wurden somit von einer Person eingebracht, der die Nichtigkeitsbeschwerde nicht zukommt (§ 285a Z 1 StPO) und das Berufungsrecht nicht zusteht (§ 294 Abs 4 StPO).

Binnen 14 Tagen nach Zustellung der Stellungnahme der Generalprokuratur, die das Fehlen einer Rechtsmittelanmeldung aufzeigte, an seine Verteidigerin stellte der Angeklagte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Versäumen der betreffenden Frist. Darin wurde vorgebracht, D***** habe „persönlich ein Schreiben an das Gericht verfasst, in dem er in deutscher Sprache erklärt habe, er wolle Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil erheben.“ Er „wisse nicht mehr genau, ob er auch Berufung wegen Strafe in diesem Schreiben erklärt habe.“ Dieses Schreiben habe er „am Morgen des 23. 9. 2019, also noch während aufrechter Frist, einer Mitarbeiterin des Sozialen Dienstes“ (der Justizanstalt, in welcher er in Untersuchungshaft angehalten war) mit der Bitte überreicht, „es dem Gericht zu übergeben“. In der Folge sei er „von einem Justizwachebeamten informiert worden“, dass sein (damaliger) „Verteidiger darüber informiert sei, dass er Rechtsmittel erheben“ wolle. Er habe „darauf vertrauen“ können, dass „in geeigneter Weise dafür Sorge getragen“ werde, weshalb die Rechtsmittelanmeldung „durch ein jedenfalls nicht vom Angeklagten oder dessen damaligem Vertreter zu vertretendes Ereignis vereitelt“ worden sei. Als (einziges) Bescheinigungsmittel soll nach dem Antrag die (in dessen Vorbringen integrierte), „an Eides statt“ abgegebene Erklärung der (nunmehrigen) Verteidigerin dienen, der Angeklagte habe das eben Wiedergegebene ihr gegenüber „im Beisein der Dolmetscherin am 22. Jänner 2020 erklärt“.

Um die Prüfung des Vorgebrachten zu ermöglichen (vgl Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 44), wurden vom Obersten Gerichtshof Erhebungen in der Justizanstalt G***** veranlasst. Nach dem Ergebnis dieser Erhebungen – an dessen Richtigkeit zu zweifeln für den Obersten Gerichtshof kein Anlass besteht – hat D***** am 23. September 2019 tatsächlich ein (handschriftlich verfasstes) Schreiben überreicht; dieses enthielt jedoch ein Ansuchen um Besuch seiner (nunmehrigen) Verteidigerin Dr. L*****. Den Besuchswunsch habe die zuständige Mitarbeiterin des Sozialen Dienstes an die Genannte weitergeleitet, worüber D***** von einem Justizwachebeamten informiert worden sei; der gewünschte Besuch habe am 26. September 2019 stattgefunden. Eine Rechtsmittelanmeldung habe der genannte Angeklagte jedoch zu keinem Zeitpunkt übergeben (Mitteilung des Leiters der Justizanstalt G***** vom 14. Februar 2020 samt Beilage).

Abgesehen davon, dass das mit dem Antrag vorgelegte Bescheinigungsmittel (seinerseits) bloß eine Behauptung des Angeklagten, nicht aber deren – für das Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrundes jedoch allein ausschlaggebenden – Wahrheitsgehalt hätte bescheinigen können (vgl 11 Os 17/97 [11 Os 18/97]; 14 Os 62/10i [14 Os 66/10b]; Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 43), ist der Nachweis eines unvorhersehbaren oder unabwendbaren Ereignisses (§ 364 Abs 1 Z 1 StPO), das den Angeklagten von rechtzeitiger Rechtsmittelanmeldung abgehalten hätte, damit nicht gelungen.

Daher kann dahinstehen, zu welchem Zeitpunkt die (erst nach Ablauf der Frist zur Rechtsmittelanmeldung eingeschrittene) nunmehrige Verteidigerin – im Hinblick darauf, dass die Vorsitzende des Schöffengerichts dem nachfolgend eingebrachten Antrag auf Verlängerung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde nach § 285 Abs 2 StPO stattgab (zur Beschränktheit dieser Verlängerungsmöglichkeit auf extreme Ausnahmefälle siehe jedoch im Übrigen RIS-Justiz RS0132894) und es unterließ, deren spätere Ausführung gemäß §§ 285a Z 1, 285b Abs 1 StPO beschlussförmig zurückzuweisen – verpflichtet gewesen wäre, zu prüfen, ob die ausgeführten Rechtsmittel (überhaupt) rechtzeitig angemeldet worden waren (vgl RIS-Justiz RS0101438, RS0101415). Denn die genannten Umstände hätten zwar bewirken können, dass der Lauf der in § 364 Abs 1 Z 2 StPO normierten (14-tägigen) Frist erst mit Zustellung der Stellungnahme der Generalprokuratur (und nicht schon zuvor) begonnen hätte. Sie könnten aber ihrerseits kein Ereignis im Sinn des § 364 Abs 1 Z 1 StPO bilden, das es dem Angeklagten unmöglich gemacht hätte, fristgerecht Rechtsmittel anzumelden.

Damit bleibt der Wiedereinsetzungsantrag erfolglos.

 

Die (hingegen rechtzeitig) aus § 281 Abs 1 Z 5 und 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten L***** wendet sich (nur inhaltlich) gegen dessen Schuldspruch A sowie den ihn betreffenden Strafausspruch (begehrt aber trotzdem einen Freispruch von allen „Vergehen und Verbrechen“ – § 285 Abs 1 2. Satz StPO).

 

Seine den Schuldspruch A tragenden Feststellungen (konkret) zur jeweiligen Täterschaft des Beschwerdeführers folgerte das Schöffengericht – unter anderem – aus von ihm als glaubhaft erachteten Bekundungen des (zuletzt gesondert verfolgten, in der Hauptverhandlung als Zeugen vernommenen) K***** (US 9).

Dieser hatte den Beschwerdeführer zunächst in mehreren Vernehmungen – wenngleich in wechselnder Verantwortung – im Sinn des angefochtenen Schuldspruchs belastet (ON 45; ON 52 S 17 ff; ON 57 S 7). Im (sodann gesondert) gegen ihn selbst geführten Verfahren hatte er die ihm dort vorgeworfene (eigene) Tatbegehung letztlich zugestanden, jedoch angegeben, dass der Beschwerdeführer daran nicht beteiligt gewesen war (ON 100a). Schließlich gab er als Zeuge in der Hauptverhandlung des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer (in der auch die erwähnten früheren Aussagen vorkamen – ON 145 S 7) an, diesen gar nicht zu kennen (ON 135 S 7).

Unter Bezugnahme auf diese Verfahrensergebnisse zeigt die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zutreffend auf, dass die Tatrichter jene Angaben des K*****, die gegen die Glaubhaftigkeit seiner – den Feststellungen zugrunde gelegten (US 9) – (belastenden) Angaben sprechen, in der Beweiswürdigung vollends unberücksichtigt ließen.

Zwar ist die tatrichterliche Beurteilung der

Überzeugungskraft von Personalbeweisen (also die Glaubhaftigkeit der Angaben von Zeugen und Angeklagten) – so sie nicht undeutlich (Z 5 erster Fall) oder in sich widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) ist (was hier nicht behauptet wird) – einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entrückt (RIS-Justiz RS0106588 [T13]). Sie kann jedoch unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubhaftigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Der Bezugspunkt besteht freilich nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubhaftigkeit oder Unglaubhaftigkeit (die ihrerseits eine erhebliche Tatsache darstellt – RIS-Justiz RS0098377 [T11]), sondern ausschließlich in den Feststellungen über entscheidende Tatsachen (RIS-Justiz RS0119422 [T2, T4]; zu den Begriffen entscheidende und erhebliche Tatsachen Ratz , WK-StPO § 281 Rz 399 und 409).

Soweit es die Schuldspruchfakten A 1, 2, 3 und 5 betrifft, erachtete das Schöffengericht die Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben des K***** allerdings – erkennbar – als notwendige Bedingung für die Feststellung der (die rechtliche Entscheidung über Schuld- oder Freispruch beeinflussende, demnach) entscheidende Tatsache der Täterschaft des Beschwerdeführers (vgl US 9). Mit Kritik an einer – aus Sicht der Tatrichter – notwendigen Bedingung für die betreffende Feststellung (einer solcherart entscheidenden Tatsache) aber wird auch diese selbst mit der vom Gesetz geforderten Bestimmtheit in Frage gestellt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 410). In diesem Umfang ist die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) daher – nach dem oben Gesagten – im Recht (vgl RIS-Justiz RS0098646; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 425).

Da schon dieser Einwand Erfolg hat, kann der– (ebenfalls) gegen die Schuldspruchfakten A 2, 3 und 5 gerichtete – weitere Vorwurf der Aktenwidrigkeit (Z 5 letzter Fall) auf sich beruhen.

Hingegen bildete der angesprochene Umstand– erkennbar – keine notwendige Bedingung für die Feststellung der Täterschaft des Beschwerdeführers zu den Schuldspruchfakten A 4 und 6. Denn diese konnten die Tatrichter (bloß in Zusammenschau mit weiteren Umständen– US 9) vor allem darauf stützen, dass an den betreffenden Tatorten dem Beschwerdeführer zuzuordnende „DNA-Spuren“ sichergestellt wurden (US 8 iVm ON 23 S 7 [zu A.6.] und ON 76 S 11 [zu A.4.]). Soweit sich die Mängelrüge – obwohl sie Letzteres einräumt – (undifferenziert) auch gegen die Überzeugungskraft der diesbezüglich belastenden Angaben des K***** wendet, stellt sie jene Feststellungen daher nicht prozessordnungsgemäß in Frage (abermals Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 410; RIS-Justiz RS0116737).

 

Der vom Angeklagten L***** zutreffend geltend gemachte Begründungsmangel führte – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich (§§ 285e, 288 Abs 2 Z 1, 289 StPO). Da der Schaden zu den bestandskräftigen Schuldspruchfakten A 4 und 6 nach den Urteilsfeststellungen (US 5 f) 5.000 Euro nicht übersteigt, ist der Qualifikation nach § 128 Abs 1 Z 5 StGB somit die Grundlage entzogen. Gleiches gilt für jene nach § 130 Abs 3 StGB, weil das verbleibende Feststellungssubstrat (zu A 4 und 6) nicht die rechtliche Annahme einer der Varianten des § 70 Abs 1 Z 1 bis 3 StGB trägt.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie sich gegen den (damit ebenfalls beseitigten) Strafausspruch wendet, sowie mit seiner Berufung war der Angeklagte L***** auf die Aufhebung zu verweisen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden im Übrigen waren, wie auch die Berufung des Angeklagten D***** (§ 296 Abs 2 StPO), bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Im zweiten Rechtsgang wird entsprechend § 29 StGB die Subsumtionseinheit betreffend aller dem Angeklagten L***** (letztlich) zur Last liegenden Diebstähle neu zu bilden sein (RIS-Justiz RS0116734; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 10).

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