European Case Law Identifier: ECLI:AT:OLG0009:2021:00100R00005.21V.0127.000
Spruch:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 2.505,12 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin EUR 417,52 USt) zu ersetzen.
Die Revision ist nicht zulässig.
II. durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Jesionek als Vorsitzende sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten den
Beschluss
gefasst:
Dem Kostenrekurs der beklagten Partei wird teilweise Folge gegeben und die Kostenentscheidung abgeändert, sodass sie lautet:
„3. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 7.786,44 bestimmten Prozesskosten (darin EUR 14,40 Barauslagen und EUR 1.295,34 USt) binnen 14 Tagen zu zahlen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Parteien binnen 14 Tagen die mit EUR 168,32 (darin EUR 28,06 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Entscheidungsgründe
Das Erstgericht ging - stark zusammengefasst - von folgendem Sachverhalt aus:
Der Kläger ist bei der Beklagten unfallversichert. Am 1.12.2016 stieß er mit dem Kopf gegen die von ihm bediente Foliermaschine, kam zu Sturz und schlug sich zwei Zähne aus.
Der Kläger leidet außerdem an einer Bandscheibenschädigung und einer Einengung des Rückenmarkkanals mit Bedrängung des Rückenmarks, was einer 50%igen Behinderung entspricht. Diese Beeinträchtigungen sind jedoch chronische Erkrankungen und wurden durch den Unfall am 1.12.2016 weder verursacht noch verschlimmert.
Der Kläger begehrt die Zahlung einer Rente aus dem Unfallversicherungsvertrag, hilfsweise einer kapitalisierten Rente und weiteren laufenden Rente, hilfsweise die Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten.
Die Beklagte bestritt sämtliche Klagebegehren und beantragte Klagsabweisung.
Das Erstgericht informierte die Parteien mit Beschluss vom 21.11.2019, dass es die Bestellung zweier namentlich genannter Sachverständiger für Neurologie, darunter auch Prim. Univ.Doz. Dr. Z***** in Aussicht nehme, und ersuchte, allfällige Einwendungen binnen 14 Tagen einzubringen (ON 31).
Am 17.12.2019 bestellte es Prim. Univ.Doz. Dr. Z***** zum Sachverständigen (ON 33), der am 27.1.2020 das beauftragte Gutachten beim Erstgericht einbrachte (ON 34).
Erst am 22.7.2020 brachte der Kläger einen Antrag auf Ablehnung dieses Sachverständigen ein (ON 47). Ihm sei nunmehr zur Kenntnis gelangt, dass der Sachverständige unter anderem bei der Privatklinik D***** beschäftigt sei, die im Eigentum einer Tochtergesellschaft der Beklagten stehe.
Das Erstgericht holte dazu eine Stellungnahme des Sachverständigen (ON 49) ein und verwarf nach Vorliegen einer Stellungnahme der Beklagten (ON 48) den Antrag in der Verhandlung am 28.8.2020 mit dem mündlich verkündeten Beschluss (PA 28.8.2020 ON 50 S 2). Einerseits hätte der Kläger bereits zu einem früheren Zeitpunkt Einwendungen vorbringen können. Andererseits werde auf die Stellungnahme des Sachverständigen verwiesen. Außerdem komme der abgelehnte Sachverständige in seinem Gutachten zum selben Ergebnis wie zwei weitere Sachverständige.
Mit dem nun angefochtenen Urteil wies das Erstgericht alle Klagebegehren ab und sprach der Beklagten Verfahrenskosten von EUR 7.174,62 zu. Die Invalidität des Klägers sei nicht Folge eines Unfalls, sodass keine Leistungspflicht aus dem Unfallversicherungsvertrag bestehe.
Dagegen wendet sich die Berufung des Klägers (ON 55)wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung. Er beantragt, der Klage stattzugeben; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Gegen die Kostenentscheidung im Urteil wendet sich der Kostenrekurs der Beklagten (ON 53) wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt, ihr insgesamt EUR 10.333,50 an Kostenersatz zuzusprechen.
Der Kläger beantragt, dem Kostenrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung des Klägers ist nicht berechtigt.
Der Kostenrekurs der Beklagten ist teilweise berechtigt.
I. Zur Berufung des Klägers
1. Der Kläger macht als Verfahrensmangel geltend, dass sein Ablehnungsantrag verworfen wurde. Er habe diesen Verfahrensmangel auch gerügt. Hätte das Erstgericht dem Ablehnungsantrag entsprochen und einen weiteren, nicht befangenen Sachverständigen bestellt, wäre dem Klagebegehren stattgegeben worden.
1.1. Gemäß § 366 Abs 1 ZPO findet gegen die Verwerfung des Ablehnungsantrags ein abgesondertes Rechtsmittel nicht statt. Daher konnte der Kläger diesen Beschluss erst mit dem gegen die nächstfolgende anfechtbare Entscheidung eingebrachten Rechtsmittel anfechten.
Wird ein nicht abgesondert anfechtbarer Beschluss im Wege der Mängelrüge in der Berufung gegen die Sachentscheidung angefochten, ist nach Ansicht dieses Senats von einem einheitlichen Rechtsmittel auszugehen, das gemäß § 462 Abs 2 ZPO der Kognition des Berufungsgerichtes unterliegt (RW0000865; gegenteilig noch OLG Wien 1 R 191/15p und 1 R 209/15k sowie RS0108617 [T5, T6], 10 ObS 91/12y Pkt 1 und 9 Ob 47/05k).
1.2. Gemäß § 355 ZPO können Sachverständige aus denselben Gründen abgelehnt werden wie Richter. Die Ablehnungsgründe sind nach § 356 ZPO gleichzeitig mit der Ablehnung anzugeben. Sie können in jeder Tatsache liegen, die bei verständiger Würdigung ein auch nur subjektives Misstrauen der Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen rechtfertigen kann. Ein typisches Beispiel ist, wenn der Sachverständige regelmäßig für eine Partei tätig ist, etwa bei einem Arbeits- oder regelmäßigen Auftragsverhältnis (vgl Schneider in Fasching/Konecny 3 III/1 § 356 ZPO Rz 7 [Stand 1.8.2017, rdb.at] mwH).
Laut der Stellungnahme des Sachverständigen (ON 49), auf die das Erstgericht in seiner Beschlussbegründung Bezug nimmt, liegt hier aber keine derartige Konstellation vor. Der Sachverständige ist bei einem anderen Krankenhaus beschäftigt und betreibt zwei Privatordinationen. Im Krankenhaus, das von der Tochtergesellschaft der Beklagten betrieben wird, führt er lediglich ambulant Nervenleitgeschwindigkeitsmessungen durch, wobei das NLG-Gerät in seinem Eigentum steht und die Untersuchungen direkt mit den Krankenkassen verrechnet werden. Damit ist er weder von der Beklagten oder einem Unternehmen in ihrem Konzern finanziell abhängig, noch ist er in diese Unternehmensgruppe organisatorisch eingegliedert oder steht in einem Auftragsverhältnis zu ihr.
Die wiederkehrende Nutzung von Räumen im Krankenhaus einer Tochtergesellschaft einer Partei für Untersuchungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung begründet für sich genommen noch keine Befangenheit.
2. Mit der Beweisrüge wendet sich der Kläger gegen die Feststellungen, dass seine Invalidität nicht vom Unfall herrühre. Aus den Aussagen des Klägers selbst und der Zeugen ergebe sich eindeutig, dass er erst seit einem Monat nach dem Unfall Ausfälle im Bereich der Halswirbelsäule habe.
2.1. Die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts können nur dann erfolgreich mit Beweisrüge angefochten werden, wenn stichhaltige Gründe ins Treffen geführt werden, die erhebliche Zweifel an den vom Erstgericht vorgenommenen Schlussfolgerungen rechtfertigen, sie also als unzulässig erscheinen lassen. Bloß aufzuzeigen, dass die Beweisergebnisse auch andere als die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ermöglicht hätten, reicht nicht aus (RS0043175; Rechberger in Fasching/Konecny 3 § 272 ZPO Rz 4 f, 11).
2.2. Das Erstgericht ließ die Aussagen des Klägers und seines Umfelds in seinem Urteil keineswegs unberücksichtigt (US 8 letzter Abs, US 10 vorletzter Abs). Vielmehr sah es sie durch die vorgelegten Befunde und die medizinischen Gutachten widerlegt (US 8-10).
Die vom Gericht bestellten Sachverständigen kommen ebenso wie der von der Beklagten beigezogene Privatsachverständige (./N) zum Ergebnis, dass die Beschwerden des Klägers nicht unfallkausal, sondern auf eine chronische Erkrankung zurückzuführen sind.
Dies wird auch durch die vorgelegten Befunde bestätigt. Diese belegten nämlich eindeutig, dass beim Kläger schon lang vor dem Sturz am 1.12.2016, entsprechende Beschwerden auftraten, also Kribbelparästhesien in allen Extremitäten, ein Kältegefühl und eine Gangunsicherheit (Entlassungsbrief Beilage ./4: Beschwerden seit 2015; ON 34 S 10 zum Originalwortlaut des neurologischen Befunds ./P: Kläger klage seit März 2016 an Taubheitsgefühl und Parästhesien).
Dieser bestechenden Logik des Erstgerichts kann die Beweisrüge keine überzeugenden Argumente entgegensetzen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Bemessungsgrundlage beträgt jedoch nur EUR 28.800,-- (RS0072269; für eine detaillierte Begründung siehe die Ausführungen zum Kostenrekurs unter II.1.2).
4. Die Revision war nach § 502 ZPO nicht zuzulassen, weil im Berufungsverfahren nur Tatsachenfragen zu lösen waren, sodass keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vorliegt.
II. Zum Kostenrekurs der Beklagten
1. Die Beklagte beantragt, ihr Kosten auf der Bemessungsgrunde von EUR 46.400,-- zuzusprechen. Da das Hauptbegehren abgewiesen worden sei, komme der höhere Streitwert des Eventualbegehrens zum Tragen.
1.1. War nur das Hauptbegehren Gegenstand eines Verfahrens und hatte die Behandlung des Eventualbegehrens zu unterbleiben, gebührt Kostenersatz nur auf der Grundlage des Streitwerts des Hauptbegehrens. Dagegen ist für die Bemessung der Rechtsanwaltskosten auf den höheren Streitwert eines Eventualbegehrens Bedacht zu nehmen, wenn es infolge Abweisung des Hauptbegehrens zu einer Behandlung jenes Begehrens kommt (RS0035818). Dies gilt auch dann, wenn sämtliche Begehren gemeinsam behandelt werden können, weil die Ansprüche schon dem Grunde nach abzuweisen sind (so auch die Fallkonstellation in 9 ObA 47/07p).
Im vorliegenden Fall ist daher auch der Streitwert des Eventualbegehrens zu berücksichtigen.
1.2. Das Hauptbegehren lautet im vorliegenden Fall auf Zahlung von EUR 800,-- monatlicher Rente ab 1.1.2017.Hilfsweise begehrt der Kläger dieZahlung von EUR 17.600,-- an kapitalisierter Rente und EUR 800,-- monatlicher Rente ab 1.11.2018.
Ansprüche auf Zahlung einer Rente sind nach § 9 Abs 1 RATG mit der dreifachen Jahresleistung zu bewerten. Werden neben der laufenden Rente auch bereits aufgelaufene Rückstände geltend gemacht, ändert dies die Bemessungsgrundlage jedoch nicht (RS0072269; vgl auch RS0121989 zur vergleichbaren Regelung des § 9 Abs 3 RATG für Unterhaltsleistungen).
Der Streitwert des ersten Eventualbegehrens beträgt daher ebenso wie jener des Hauptbegehrens EUR 28.800,--. Die vom Erstgericht herangezogene Bemessungsgrundlage ist damit richtig.
2. Die Beklagte argumentiert außerdem, dass ihre Stellungnahme zum Ablehnungsantrag der Klägerin als zweckentsprechende Rechtsverteidigung zu honorieren sei.
2.1. Das Erstgericht sprach keinen Prozesskostenersatz zu, weil es keine Stellungnahme aufgetragen habe und die Äußerung auch bei der nächsten Verhandlung hätte erfolgen können.
Dem Erstgericht ist zwar beizupflichten, dass im Zivilprozess nach der vorbereitenden Tagsatzung Schriftsätze nur noch sehr eingeschränkt zulässig sind (Kodek in Fasching/Konecny 3 III/1 § 257 ZPO Rz 16, 18 [Stand 1.8.2017, rdb.at]). Neben bestimmenden Schriftsätzen wie Klagsänderungen (Kodek aaO Rz 24) sind dies vom Gericht aufgetragene oder zumindest freigestellte Schriftsätze (Kodek aaO Rz 39f) und sinnvolle Bekanntgaben, wie Vollmachtswechsel, Ruhensanzeigen, Verzicht auf Zeugen oder Bekanntgabe geänderter Ladungsadressen (Kodek aaO Rz 25/1).
2.2. Jedoch sind vorbereitende Schriftsätze nicht nur zur Vorbereitung der Hauptsache, sondern auch zur Vorbereitung der Verhandlung über Inzidenzstreitigkeiten zulässig und – bei Zweckmäßigkeit – auch zu honorieren (Kodek aaO Rz 42 ff; vgl auch RW0000582 zum Wiedereinsetzungsverfahren).
Auch die Ablehnung eines Sachverständigen löst ein Inzidenzverfahren aus (vgl RS0045974; Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.332), sodass die Zulassung eines vorbereitenden Schriftsatzes analog zu § 257 ZPO sinnvoll scheint (so im Ergebnis auch OLG Innsbruck 28.5.2014, 10 R 39/14g, Sachverständige 2014, 221).
Die Stellungnahme der Beklagten zum Ablehnungsantrag war ex ante betrachtet zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung sinnvoll. Der Kläger begründete seinen Ablehnungsantrag mit einem Naheverhältnis von Beklagter und Sachverständigem, sodass eine Äußerung der Beklagten in besonderem Maß geeignet war, die Tatsachenbasis für die Entscheidung des Gericht zu verbreitern.
2.3. Der Schriftsatz vom 5.8.2020 war daher bei einer Bemessungsgrundlage von EUR 28.800,-- nach TP 2.I.1.e zu entlohnen (vgl Obermaier aaO Fn 1087, der eine Honorierung nach TP 3A ablehnt).
3. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf §§ 43 Abs 1, 50 ZPO iVm § 11 RATG.
Bei teilweisem Obsiegen mit einem zweiseitigen Kostenrekurs sind die Kosten nach den Grundsätzen des § 43 Abs 1 ZPO verhältnismäßig zuzusprechen (Quotenkompensation;
Die Beklagte erzielte mit ihrem Kostenrekurs einen zusätzlichen Zuspruch von EUR 611,82, dies entspricht einer Obsiegensquote von nur 20%. Der Kläger hat daher Anspruch auf 60% seiner Rekurskosten. Bemessungsgrundlage im Kostenrekursverfahren ist nach § 11 Abs 1 RATG jedoch nur der Betrag, dessen Zuspruch oder Aberkennung im Kostenrekurs beantragt wird.
4. Der Revisionsrekurs ist gemäß § 528 Abs 2 Z 3 ZPO jedenfalls unzulässig.
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