European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100OB00022.24V.1217.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
I. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird auf „N* GmbH & Co KG, *“ berichtigt.
II. Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Endurteil zu lauten hat:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 44.500 EUR samt 4 % Zinsen ab 8. November 2019 zu zahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 18.497,76 EUR (darin 3.082,96 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 11.693,48 EUR (darin 5.339 EUR Barauslagen und 1.059,08 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Ad I.
[1] Aus dem Firmenbuch ist ersichtlich, dass die Beklagte ihre Firma und ihre Geschäftsanschrift geändert hat. Ihre Parteibezeichnung ist daher entsprechend zu berichtigen (§ 235 Abs 5 ZPO).
Ad II.
[2] Die Beklagte wurde als Immobilienmaklerin mit der Vermittlung einer Liegenschaft beauftragt. Der Kläger wollte die Liegenschaft erwerben und legte über die Beklagte ein Angebot an die Verkäuferin, in der er einen Kaufpreis von 325.000 EUR bot und angab, dass die Finanzierung des Kaufs gesichert sei. Parallel dazu legte ein anderer Kaufinteressent ebenfalls ein Angebot über 325.000 EUR, das jedoch unter dem Vorbehalt einer noch ausstehenden Finanzierungszusage seiner Bank stand.
[3] Obwohl der Beklagten beide Offerte vorlagen, leitete sie nur das des anderen Interessenten an die Verkäuferin weiter, die dieses in Unkenntnis des Angebots des Klägers annahm. Hätte die Beklagte auch das Angebot des Klägers an die Verkäuferin weitergeleitet, hätte diese es angenommen und das Angebot des anderen Interessenten (wegen der noch unsicheren Finanzierung) ausgeschlagen. Die Liegenschaft wies zu diesem Zeitpunkt einen Verkehrswert von 369.500 EUR auf.
[4] Aufgrund des rechtskräftigen Zwischenurteils vom 29. Juni 2021 steht fest, dass die Beklagte dem Kläger den Schaden zu ersetzen hat, den er durch das Unterlassen der Weiterleitung seines Angebots an die Verkäuferin erlitten hat.
[5] Mit seiner Klage begehrt der Kläger 44.500 EUR sA von der Beklagten. Sein Schaden bestehe darin, dass er die Liegenschaft im Wert von 369.500 EUR nicht um 325.000 EUR erwerben habe können, also in der Differenz zwischen dem Verkehrswert und dem angebotenen Kaufpreis. Die im Fall des Kaufs der Liegenschaft von ihm zu tragenden Kosten seien nicht zu berücksichtigen, weil solche beim Erwerb von Liegenschaften grundsätzlich anfallen und bei einem von ihm getätigten Deckungskauf auch tatsächlich angefallen seien. Für die Schadensberechnung sei daher nur der Unterschied zwischen Verkehrswert und Kaufpreis relevant. Abgesehen davon stehe es dem Geschädigten frei, zwischen konkreter und abstrakter Schadensberechnung zu wählen.
[6] Die Beklagte hielt dem entgegen, dem Kläger sei tatsächlich kein Schaden entstanden, weil er im Fall eines Kaufabschlusses nicht nur den Kaufpreis von 325.000 EUR, sondern auch Kosten (Maklergebühren, Grunderwerbsteuer, Eintragungsgebühr, Vertragserrichtungskosten etc) von rund 50.000 EUR tragen hätte müssen. Berücksichtige man ferner die anfallenden Kreditzinsen, hätte der Kläger noch deutlich mehr aufwenden müssen.
[7] Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Nach § 921 ABGB könne der Gläubiger den Nichterfüllungsschaden in Form eines Differenzanspruchs begehren, der nach seiner Wahl konkret oder abstrakt berechnet werden könne. Der Käufer einer Liegenschaft, der behaupte, diese unter dem Verkehrswert gekauft zu haben und als Schaden die Differenz zwischen ihrem tatsächlichen Wert und seiner Gegenleistung geltend mache, verlange den Ersatz des abstrakten Schadens, der ihm in dieser Form auch zustehe. Die Auffassung der Beklagten, mangels Beschädigung oder Zerstörung körperlicher Sachen könne die Schadensberechnung nur subjektiv‑konkret erfolgen, widerspreche der Judikatur. Bei einer objektiv‑abstrakten Berechnung des Schadens seien übliche Nebenkosten nicht zu berücksichtigen, weil es sonst zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers käme.
[8] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage, ob der hier zu beurteilende Vermögensschaden objektiv‑abstrakt berechnet werden könne und ob in diesem Fall auch Nebenkosten, die vom klagenden Käufer zu tragen gewesen wären, Teil seiner Gegenleistung seien, noch nicht Stellung genommen habe.
[9] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit der sie die Abweisung der Klage anstrebt. Hilfsweise stellt sie auch Aufhebungsanträge.
[10] Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist zulässig, weil die Vorinstanzen von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sind. Sie ist aus diesem Grund auch berechtigt.
[12] 1. In der Revision vertritt die Beklagte weiter den Standpunkt, der Kläger mache einen reinen Vermögensschaden geltend, der nur subjektiv‑konkret berechnet werden könne. Obwohl ihr darin zuzustimmen ist (dazu sogleich), kommt es darauf gar nicht entscheidend an.
[13] 2. Selbst wenn man die Ansicht der Vorinstanzen, die sich für die Berechnung des Schadens an § 921 ABGB orientiert haben, zugrunde legt, ist die Klage nicht berechtigt.
[14] 2.1. Im Rahmen des § 921 ABGB kommt die Schadensberechnung nur in Form des Differenzanspruchs in Betracht (RS0018463 [T1]; 4 Ob 82/22w Rz 22 ua): Zu ersetzen ist die Differenz zwischen dem Schaden, der dem Gläubiger durch das Unterbleiben des Leistungsaustauschs entstanden ist, und dem Wert der ersparten eigenen Leistung (6 Ob 175/21k Rz 6; RS0018279 [T1]; RS0018454 [T1, T4] ua). Der Differenzanspruch kann dabei nach Wahl des vertragstreuen Teils konkret oder abstrakt berechnet werden (RS0018398; 9 Ob 70/23v Rz 32 ua). Wurde ein Deckungsgeschäft nicht abgeschlossen, scheidet die konkrete Schadensberechnung jedoch aus (4 Ob 82/22w Rz 25; vgl Hödl in Schwimann/Neumayr, ABGB Takom6 § 921 Rz 5 [aE] ua).
[15] Hier hat der Kläger zwar behauptet, er habe nach dem Verkauf der Liegenschaft an den anderen Interessenten „eine andere Liegenschaft erworben“. Trotz Erörterung hat er einen ihm daraus resultierenden (konkreten) Schaden aber nicht einmal eventualiter geltend gemacht.
[16] 2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung sind nach dem Grundsatz, dass der Geschädigte so zu stellen ist, wie er ohne schädigendes Ereignis stünde, auch Vorteile, die ihm ohne die Schädigung nicht entstanden wären, zugunsten des Schädigers zu buchen (RS0022834; RS0022726), sofern dieser dadurch nicht unbillig entlastet wird (RS0023600; RS0030638 [T6]).
[17] 2.2.1. Grundsätzlich setzt der Vorteilsausgleich zwar eine subjektiv‑konkrete Schadensberechnung voraus, weil es bei objektiv‑abstrakter Berechnung unerheblich ist, ob der Geschädigte die Sache nach Eintritt des Schadens veräußert und welchen Erlös er dadurch erzielt hat (7 Ob 138/24f Rz 6; 3 Ob 203/23h Rz 21; vgl RS0030075; Karner in KBB7 § 1295 Rz 16). Im Fall der objektiv-abstrakten Schadensberechnung ist ein Vorteil jedoch anrechenbar, wenn Schaden und Vorteil im selben Tatsachenkomplex wurzeln, das schädigende Ereignis nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch einen Vorteil im Vermögen des Geschädigten verursacht hat und dieser an der beschädigten Sache (am beeinträchtigten Rechtsgut) selbst entstanden ist (RS0022824 [T2, T3, T4]; 5 Ob 100/22z Rz 22 und 23 ua).
[18] 2.2.2. Eine solche Situation liegt im Fall eines auf § 921 ABGB gestützten Schadenersatzanspruchs jedenfalls hinsichtlich jener Leistungen vor, die ausschließlich bei Umsetzung des Vertragsverhältnisses angefallen wären. Der Geschädigte muss sich daher neben dem Kaufpreis auch den Wert der Leistungen, die er sich durch den Rücktritt erspart, anrechnen lassen (SZ 46/109 = RS0029141; SZ 52/188 = RS0022692; Reidinger/Mock in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 921 Rz 16; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 921 Rz 55 ua).
[19] 2.3. Auch nach der vom Kläger nicht beanstandeten abstrakten Schadensberechnung im Sinn des § 921 ABGB sind daher die (von ihm nie bestrittenen) Kosten, die mit dem Erwerb der Liegenschaft einhergegangen wären und die er nunmehr nicht zu tragen hat, zu berücksichtigen. Damit wird der Beklagten auch keineswegs – wie das Berufungsgericht meint – ein sie unbillig entlastender „Freischaden“ in Höhe der Nebenkosten zugestanden, sondern im Gegenteil eine rechtsgrundlose Bereicherung des Klägers verhindert, was er im Grunde auch selbst erkennt. In der Revisionsbeantwortung führt er nämlich aus, der Kauf der Liegenschaft wäre für ihn insofern günstig gewesen, als er diese schon bei einem geringfügigen Anstieg des Verkehrswerts „ohne rechnerischen Verlust“ verkaufen hätte können. Das ist auch folgerichtig: Würde er im Fall des Weiterverkaufs den Verkehrswert im Zeitpunkt der Schädigung (vgl RS0022715) lukrieren, würde er zwar 369.500 EUR erhalten, hätte für den Ankauf der Liegenschaft aber seinerseits den Kaufpreis von 325.000 EUR und zusätzliche Nebenkosten von zumindest 44.500 EUR (in der Revisionsbeantwortung geht er sogar von 45.000 EUR aus), insgesamt also jedenfalls 369.500 EUR zahlen müssen. Ohne Berücksichtigung der Kosten würde ihm daher in Wahrheit ein „Gewinn“ ersetzt, den er im Fall des Erwerbs der Liegenschaft nicht erzielt hätte (vgl Rabl, Schadenersatz wegen Nichterfüllung, 115). Auch bei wertender Betrachtung (vgl RS0030638 [T6]; 2 Ob 14/24h Rz 22 ua) ist daher nicht zu erkennen, weshalb der Kläger aufgrund der unterbliebenen Weiterleitung seines Angebots besser gestellt werden sollte, als bei einem erfolgreichen Kaufabschluss.
[20] Bei seinen Ausführungen zum objektiv‑abstrakt zu berechnenden Schaden übersieht der Kläger auch, dass dieser im Entgang des nicht zustandegekommenen Rechtsgeschäfts und nicht (bloß) im Entgang der Liegenschaft liegt.
[21] 3. Abgesehen davon ist ohnedies auch die Ansicht der Beklagten, im Anlassfall könne die Schadensberechnung nur subjektiv-konkret erfolgen, zutreffend.
[22] 3.1. Im Schrifttum besteht ein langjähriger Streit darüber, ob die objektiv‑abstrakte Schadensberechnung eine „Berechnungsmethode“, die jedenfalls vom Geschädigten als Mindestersatz gewählt werden kann, oder lediglich eine „Berechnungshilfe“ ist (vgl etwa Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1293 Rz 22; Koziol, Haftpflichtrecht I4 B/1/72 ff; Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1332 Rz 12; Karner in KBB7 § 1293 Rz 8; derselbe, Fragen der objektiv‑abstrakten Schadensberechnung, in FS Fenyves 189 [193 ff]; Huber in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3, § 1332 Rz 15 ff; jüngst Leitner, Objektiv‑abstrakt berechneter Schadenersatz auch bei subjektiv‑konkret geringerem Schaden? Neue Gedanken zu einem ewigen Streit, JBl 2023, 69; Koziol, Objektiv‑abstrakte und subjektiv-konkrete Schadensberechnung, JBl 2023, 758).
[23] Die Rechtsprechung berechnet den Schaden grundsätzlich objektiv‑abstrakt und spricht diesen Betrag selbst dann zu, wenn das subjektiv berechnete Interesse geringer wäre (vgl RS0030075). Der maßgebliche Unterschied zur subjektiv-konkreten Berechnung liegt dabei – wie dargestellt – darin, dass bei dieser auf alle Veränderungen in der gesamten Vermögenslage des Geschädigten abgestellt wird, während sich der objektiv‑abstrakt berechnete Schaden aus der Differenz des gemeinen Werts des beschädigten Rechtsguts vor und nach der Beschädigung ohne Rücksicht auf die Rückwirkungen des Schadensereignisses auf das sonstige Vermögen des Geschädigten ergibt (vgl RS0030119).
[24] 3.2. Die objektiv‑abstrakte Schadensberechnung beruht dogmatisch auf dem Gedanken der Rechtsfortwirkung des verletzten Rechtsguts, das in seinem Ersatzanspruch fortlebt: An die Stelle des zerstörten Rechtsguts tritt der Anspruch gegen den Schädiger auf Ersatz des objektiven Werts des Rechtsguts (vgl 6 Ob 244/12v ErwGr 3.6.; Koziol, Haftpflichtrecht I4 B/1/77). Das setzt aber voraus, dass ein gegenwärtiges Rechtsgut beeinträchtigt wird, weil ein noch nicht bestehendes Rechtsgut auch nicht fortwirken kann (vgl Koziol, Haftpflichtrecht I4 B/1/79; Kodek aaO § 1293 Rz 22/1; Rabl aaO 79 f). Bei reinen Vermögensschäden lehnt die jüngere Rechtsprechung demgemäß eine objektiv‑abstrakte Schadensberechnung als ausnahmsloses Grundprinzip ab (vgl 1 Ob 46/11p; 6 Ob 244/12v; 6 Ob 7/15w). Auch nach der Lehre scheidet in diesem Fall eine objektiv‑abstrakte Schadensberechnung aus (jüngst Koziol, Rechtszuweisung, Güterzuordnung und deren Schutz [2024] Rz 452).
[25] 3.3. Anders als im Fall des § 921 ABGB (vgl (Koziol, Haftpflichtrecht I4 B/1/79; Rabl, aaO 64) hatte der Kläger hier noch keine gesicherte Rechtsposition bzw kein Forderungsrecht, das als Schadenersatzanspruch in seinem Vermögen fortwirken hätte können. Er macht vielmehr einen reinen Vermögensschaden geltend, der nur subjektiv-konkret berechnet werden kann. Der Schaden ergibt sich dabei aus einer Differenzrechnung, indem der hypothetische heutige Vermögensstand ohne das schädigende Ereignis ermittelt und von diesem Betrag der heutige tatsächliche Vermögenswert abgezogen wird (RS0030153; RS0030119). Da – wie die Revision zutreffend darlegt – die mit dem Kauf der Liegenschaft verbundenen Aufwendungen (von zumindest 369.500 EUR) insgesamt nicht geringer gewesen wären als ihr Verkehrswert, ist dem Kläger kein Schaden entstanden.
[26] 4. Der Revision der Beklagten ist daher Folge zu geben und das Klagebegehren abzuweisen.
[27] Der Ausspruch über die Kosten aller Instanzen gründet sich auf § 41 Abs 1, im Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO.
[28] Die Äußerung vom 27. Oktober 2020 (ON 12) ist nicht zu entlohnen, weil die Beklagte ihre Bedenken gegen die in der Tagsatzung vom 29. September 2020 aufgetragene Urkundenvorlage unmittelbar vortragen und das ergänzende Vorbringen in der folgenden Tagsatzung erstatten hätte können. Für den Gutachtenserörterungsantrag vom 22. November 2022 (ON 55) steht nur ein Honorar nach TP 2 RATG zu (10 Ob 41/23m Rz 30 mwN). Der Kostenvorschuss der Beklagten blieb unverbraucht.
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