OGH 9Ob70/23v

OGH9Ob70/23v24.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofräte und Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* AG, *, vertreten durch Mag. Wolfgang Prammer ua, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 354.000 EUR sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. August 2023, GZ 4 R 23/23s‑22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 12. Dezember 2022, GZ 21 Cg 47/22f‑16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00070.23V.0424.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.242,42 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten 707,07 EUR an USt) und die mit 20.089,10 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 582,85 EUR an USt und 16.592 EUR an Pauschalgebühr) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin (vormals S* OG, *) ist Fruchtgenussberechtigte einer Liegenschaft, auf der sich ein Hochhaus mit Geschäfts- und Büroräumlichkeiten befindet. Sie schloss mit der W* AG einen (bis 31. 12. 2029 befristeten) Mietvertrag über ua Büro‑ und Lagerflächen sowie einen Garagen‑Nutzungsvertrag, wobei die Bestandnehmerin jeweils einen Kündigungsverzicht bis Ende des Jahres 2024 abgab. Weiters besicherte diese allfällige Ansprüche aus den Mietverhältnissen anstelle einer Barkaution mit zwei von der Beklagten ausgestellten Bankgarantien über 339.000 EUR (Mietvertrag) und 15.000 EUR (Garagennutzung), die vereinbarungsgemäß bis 31. 3. bzw 31. 7. 2030 aufrecht zu halten sind.

Diese Garantien haben folgenden Wortlaut:

„[…] Wir hören von unserem Kunden, dass er anstelle des Erlags einer Kaution eine Garantie zu Ihren Gunsten zu erbringen hat.

Dies vorausgeschickt, übernehmen wir, die [Beklagte] im Auftrag unseres Kunden hiemit Ihnen gegenüber diese unwiderrufliche Garantie, indem wir uns verpflichten, innerhalb von zehn Bankwerktagen ab Erhalt Ihrer ersten schriftlichen Aufforderung, in der Sie erklären, dass unser Kunde seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, ohne Prüfung des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses und unter Verzicht auf jede Einwendung daraus, an Sie Zahlung bis zu einer Gesamtsumme von 339.000 EUR [bzw 15.000 EUR] auf das uns von Ihnen zu bezeichnende Bankkonto zu leisten.

Diese Garantie dient ausschließlich zur Regelung von Ansprüchen aus dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis; etwa zur Abdeckung nicht erforderliche Beträge sind nur an uns zurückzuzahlen.

Diese Garantie reduziert sich mit Ablauf des 31. 3. 2030 auf 15.000 EUR und erlischt automatisch, sobald wir diese Urkunde zurückerhalten haben, spätestens jedoch am 31. 7. 2030 […].“

[2] Über das Vermögen der Bestandnehmerin wurde am 1. 11. 2018 ein Insolvenzverfahren eröffnet, das nach wie vor anhängig ist. Mit Schreiben vom 13. 11. 2018 kündigte die Masseverwalterin die Mietverhältnisse gemäß § 23 IO per 15. 2. 2019, die Räumungsfrist wurde einvernehmlich bis Ende Februar 2019 verlängert.

[3] Die Klägerin meldete am 2. 1. 2019 im Insolvenzverfahren eine unbedingte Forderung von 166.243,21 EUR für einen Mietzinsrückstand vor Konkurseröffnung an, die im Jahr 2020 aufgrund des Bestandgeberpfandrechts befriedigt wurde. Am 22. 7. 2022 meldete sie weiters eine unbedingte Forderung von 2.660.300,89 EUR sowie eine bedingte Forderung von 1.603.148 EUR an für entgangene Hauptmietzinse und verbrauchsunabhängige Betriebskosten für die Büro- und Lagerflächen bis zum Ende des vereinbarten Kündigungsverzichts abzüglich schadensmindernder Erlöse aus Neuvermietungen.

[4] Mit Schreiben vom 13. 7. 2022 nahm die Klägerin erstmals die Beklagte aus den Garantien in Anspruch, die eine Auszahlung wegen Verjährung verweigerte.

[5] Mit ihrer Klage vom 9. 8. 2022 begehrt die Klägerin von der Beklagten insgesamt 354.000 EUR sA unter Verweis auf die Gültigkeitsdauer der Garantien bis 2030.

[6] Verjährung sei selbst dann nicht eingetreten, wenn man von einer dreijährigen Frist im Verhältnis zur Bestandnehmerin und zur Beklagten ausgehe, weil zum Zeitpunkt der Kündigung der Bestandverhältnisse durch die Masseverwalterin nicht absehbar gewesen sei, ob ihr überhaupt ein Schaden erwachse und wenn ja, in welcher Höhe. Ein solcher könne erst nach Ende des vereinbarten Kündigungsverzichts ermittelt werden, weil sie bis dahin einerseits sogar verpflichtet sei, schadensmindernde Einnahmen aus Vermietungen zu lukrieren, andererseits jedoch laufend zusätzliche, nicht vorhersehbare Schäden eintreten würden, insbesondere im Zusammenhang mit der weiteren Verwertung. Ebenso müssten die Ergebnisse der jährlich erst im Nachhinein zu erstellenden Betriebskostenabrechungen sowie die Verteilungen der Masseverwalterin abgewartet werden, zumal Masse vorhanden sei und sie auch ein Bestandgeberpfandrecht habe.

[7] Ex post betrachtet sei ein rechnerischer Schaden in Höhe der Garantiesummen und damit der Beginn der Verjährungsfrist im Verhältnis zur Beklagten frühestens im Herbst 2019 eingetreten. Ein früherer Abruf der Garantie wäre rechtsmissbräuchlich gewesen, weil die besicherten Forderungen nicht nur nicht fällig, sondern auch ungewiss gewesen seien. Eine Inanspruchnahme sei bedingungsfeindlich, und ein bloß vorsorglicher oder sukzessiver Abruf wäre unzumutbar gewesen. Man könne einen Vermieter auch nicht zwingen, eine Garantie in Anspruch zu nehmen, wenn er gleichzeitig über ein Bestandgeberpfandrecht verfüge, und damit eine Sicherheit aufzugeben.

[8] Im Übrigen sei im Sinne der älteren ständigen Judikatur bei einem Dauerschuldverhältnis, bei dem wiederkehrende, teilweise unbestimmte Forderungen besichert worden seien, von einem Anwendungsfall der dreißigjährigen Verjährungsfrist auszugehen.

[9] Auch der Sicherungszweck einer Mietkautionsgarantie spreche gegen eine Verjährung vor Ablauf der Befristung. In der Befristung der Garantie liege ein Verzicht auf den Einwand der Verjährung, sodass dieser rechtsmissbräuchlich sei und nicht der Garantieabruf. Hinzu komme, dass die Garantien ausdrücklich und nach dem übereinstimmenden Willen aller Beteiligten anstelle einer Barkaution begeben worden seien. Bei einer solchen könne die Vermieterin auch mit verjährten Forderungen aufrechnen. Zweck der Garantie sei es gewesen, wie bei Erlag einer Barkaution abgesichert zu sein und nicht bloß während des kurzen Verjährungszeitraums nach § 1489 ABGB. Vielmehr sei es darum gegangen, der Klägerin dieselbe Rechtsposition zu verschaffen, sodass die Verjährungsregel des § 1483 ABGB zur Anwendung komme.

[10] Rechtsmissbrauch läge selbst dann nicht vor, wenn die zugrunde liegende Forderung im Verhältnis zur Bestandnehmerin bereits verjährt wäre. Schadenersatzansprüche nach § 23 IO würden zudem nicht nach § 1489 ABGB, sondern in derselben Frist wie Erfüllungsansprüche verjähren, hier sohin in drei Jahren ab dem Tag der jeweiligen (hypothetischen) Fälligkeit des Bestandzinses. Der Nachteil in ihrem Vermögen sei erst sukzessive dadurch eingetreten, dass zum jeweiligen Fälligkeitstermin bis zum Ende der Befristung keine Bestandzinsforderung entstanden sei. Ein Schaden-ersatzanspruch nach § 23 IO werde daher erst nach Ablauf der ursprünglichen Bindungsfrist fällig und klagbar. Eine fristunterbrechende Feststellungsklage gegen die Bestandnehmerin sei ebensowenig zulässig gewesen wie die Anmeldung einer unbedingten Forderung.

[11] Die Beklagte beantragte Klagsabweisung wegen Verjährung.

[12] Zum einen würden Ansprüche aus Garantieverträgen nach jüngerer Rechtsprechung der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB unterliegen, die beginne, sobald die Garantie erstmals ohne Rechtsmissbrauch in Anspruch genommen werden könne. Bankgarantien könnten auch bloß vorsorglich und dem Grunde nach abgerufen werden. Da das Bestandgeberpfandrecht keinen Anspruch nach § 23 IO abdecke, sei ein Schaden in Höhe der Garantiesumme spätestens im Juni 2019 vorgelegen. Dass die Parteien hier anderes gewollt hätten oder der Zweck der konkreten Garantie der kurzen Frist entgegenstünde, werde ausdrücklich bestritten. Die Bestandnehmerin habe nach dem Mietvertrag die Wahl gehabt, eine Kaution zu erlegen oder eine Bankgarantie beizubringen. Der ab der Kündigung laufenden Verjährung hätte die Klägerin durch Inanspruchnahme der Garantien oder Erhebung einer (Feststellungs‑)Klage entgegenwirken müssen.

[13] Zum anderen sei der Abruf bzw das Beharren auf eine Inanspruchnahme einer Garantie rechtsmissbräuchlich, wenn der gesicherte Anspruch nicht mehr bestehe, etwa – wie hier – weil der nach § 23 IO zustehende Schadenersatzanspruch mangels rechtzeitiger Geltendmachung verjährt sei. Der Schaden der Klägerin trete nicht sukzessive mit jedem monatlichen Zinsausfall ein, sondern sei durch die Kündigung der Masseverwalterin entstanden und hätte bereits zu diesem Zeitpunkt objektiv-abstrakt berechnet werden können. Der Klägerin hätte mit der Rückziehung des Sanierungsplanantrags, jedenfalls aber mit der Kündigung durch die Masseverwalterin der Eintritt eines Primärschadens bewusst sein müssen. Tatsächlich habe diese bereits im November 2018 der Masseverwalterin die Anmeldung einer bedingten Forderung aufgrund eines gemäß § 23 IO entstandenen Schadens angekündigt, eine solche in der Folge jedoch unterlassen. Sei ein Primärschaden eingetreten, laufe die Verjährungsfrist aber auch dann, wenn die Schadenshöhe noch nicht beziffert werden könne oder noch nicht alle Schadensfolgen bekannt oder eingetreten seien. Dieser Schaden hätte im Insolvenzverfahren sehr wohl als (bedingte) Forderung angemeldet werden können und müssen, wobei unbestimmte Forderungen gemäß § 14 IO zu schätzen seien.

[14] Das Erstgericht wies die Klage ab, weil es von einer Verjährung der Ansprüche der Klägerin sowohl aus dem Garantieverhältnis, als auch im Grundverhältnis jeweils nach § 1489 ABGB und damit einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme ausging. Der (Primär‑)Schaden der Klägerin sei hier bereits mit Eröffnung des Konkursverfahrens, jedenfalls aber mit der Kündigung durch die Masseverwalterin eingetreten, und habe die Verjährungsfrist in Gang gesetzt.

[15] Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht änderte diese Entscheidung in eine gänzliche Klagsstattgebung ab.

[16] Es übernahm diverse, von der Klägerin als unrichtige Tatsachenfeststellungen bekämpfte Erwägungen des Erstgerichts zu ihrer Kenntnis von einem Schadenseintritt nicht, weil diese für die rechtliche Beurteilung irrelevant seien. Die Inanspruchnahme einer Garantie sei selbst dann nicht rechtsmissbräuchlich, wenn die zugrundeliegende Forderung verjährt sei. Umgekehrt begründe ein Abruf vor Fälligkeit Rechtsmissbrauch. Ein konkreter rechnerischer Schaden entstehe der Klägerin erst durch einen Leerstand mangels Neuvermietbarkeit und steige monatlich mit jeder neuen Mietzinsfälligkeit an. Die Garantien könnten erst mit dem tatsächlichen Schadenseintritt abgerufen werden, wobei davon auszugehen sei, dass es innerhalb von drei Jahren vor Klagseinbringung zu einem die Garantiesummen übersteigenden Mietentgang gekommen sei. Die Anwendung der gemäßigten Einheitstheorie auf Ansprüche auf eine Garantie mit offener Laufzeit würde deren Zweck entgegenstehen. Auch wenn daher der Klägerin nach dem tatsächlichen Ende der Mietverhältnisse ein Abruf der Garantie jeweils um den ihr bis dahin entstandenen Schadensumfang möglich gewesen sei, sei es ihr bei richtiger Auslegung der Garantieabrede nicht verwehrt, während der Laufzeit der Garantie weitere Ansprüche binnen drei Jahren ab der eingetretenen Bezifferbarkeit und Fälligkeit abzurufen, zumal ihr nach dem Inhalt der Forderungsanmeldung aufgrund anhaltenden Leerstands ohne Zweifel ein (weiterer) die Garantiebeträge weit übersteigender Schaden entstanden sei.

[17] Die Revision sei zulässig, weil die Frage, ob der Begünstige einer Garantie auch innerhalb der Laufzeit unter strenger Anwendung der gemäßigten Einheitstheorie nach Eintritt eines Primärschadens zur Erhebung einer Feststellungsklage genötigt sei, einer höchstrichterlichen Klarstellung bedürfe.

[18] Die Beklagte beantragt in ihrer Revision, die Entscheidung abzuändern und die Klage zur Gänze, in eventu im Umfang des bereits im Juli 2019 bekannten Schadens von 259.517,84 EUR abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[19] Die Klägerin beantragt, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurück- in eventu abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[20] Die Revision ist wegen einer aufzugreifenden Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht zulässig und dementsprechend auch berechtigt.

1. Zum Schadenersatzanspruch nach § 23 IO:

[21] 1.1 Im Revisionsverfahren ist weder strittig, dass ein wirksamer Kündigungsverzicht der Bestandnehmerin bis 31. 12. 2024 vorlag, noch, dass die von der Masseverwalterin nach § 23 IO ausgesprochene vorzeitige Kündigung zum 15. 2. 2019 wirksam war.

[22] Nach § 23 IO kann der Insolvenzverwalter, „unbeschadet des Anspruchs auf Ersatz des verursachten Schadens“, einen Bestandvertrag unter Einhaltung der gesetzlichen oder der vereinbarten kürzeren Kündigungsfrist kündigen.

[23] Bestandverträge werden durch die Konkurseröffnung grundsätzlich nicht berührt (RS0020908). Sinn und Zweck des § 23 IO ist es, im Interesse aller Insolvenzgläubiger zu vermeiden, dass die Masse durch das Fortbestehen eines Dauerrechtsverhältnisses belastet wird, ohne eine entsprechende Gegenleistung zu erhalten oder sie angemessen nutzen zu können (RS0064133). § 23 IO gilt daher auch für Verträge auf bestimmte Zeit, in denen eine vorzeitige Kündigung nicht vorgesehen oder ausdrücklich ausgeschlossen ist (vgl 3 Ob 67/03d).

[24] 1.2 Bereits zu 5 Ob 304/76 (RS0032080; vgl auch 5 Ob 311/81, RS0064537) hielt der Oberste Gerichtshof fest, dass dieses Kündigungsrecht (dort noch § 23 KO) den Parteien nichts von ihren vertragsmäßigen Rechten nimmt und für den Kündigungsgegner einen Anspruch auf Ersatz des durch die Abkürzung der Bestandzeit erwachsenden Schadens erzeugt, wenn die Kündigung nicht dem Vertrag gemäß, sondern nach dem Gesetz (§ 560 ZPO, § 1116 ABGB) zu einem früheren Zeitpunkt vorgenommen wird. Im Falle einer derartigen vorzeitigen Auflösung des Bestandvertrags durch den Masseverwalter als Vertreter des Bestandnehmers steht dem Bestandgeber ein von einem Verschulden des Gemeinschuldners – das nicht schon in der dem Vertrag widerstreitenden vorzeitigen Auflösung gelegen sein könnte, weil diese doch dem Gesetz entspricht – nicht abhängiger Schadenersatzanspruch als Konkursforderung zu, der sich seinem Inhalt nach als Differenzanspruch wegen Nichterfüllung des Vertrags darstellt „und vor allem darin besteht, dass der Bestandgeber innerhalb der vereinbarten Vertragsdauer das Bestandobjekt nicht oder nur zu einem niedrigeren Zins in Bestand geben kann“.

[25] Zu 7 Ob 2410/96d schloss sich der Oberste Gerichtshof dieser Ansicht im Zusammenhang mit einer Bankgarantie an. Die Sicherung der Forderungen aus einem Vertrag umfasse auch die Sicherung von Ansprüchen aus dessen Auflösung, weswegen es irrelevant sei, dass der Bestandvertrag mit der Kündigung durch den Masseverwalter beendet worden sei und der Schadenersatzanpruch ua entgangene Mieten umfasse, die erst danach fällig geworden wären.

[26] 1.3 Nach hA trifft den Bestandgeber im Fall der vorzeitigen Vertragsauflösung gemäß § 23 IO nach allgemeinen Grundsätzen eine Schadensminderungspflicht, er hat sich also um eine zügige Neuinbestandgabe zu bemühen (Oberhammer in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 23 KO Rz 64; Riss in Koller/Lovrek/Spitzer, IO2 § 23 IO Rz 20, jeweils unter Verweis auf 8 Ob 38/90).

[27] Dies ist aber keine insolvenzrechtliche Besonderheit, sondern ein Anwendungsfall des § 1304 ABGB. Zu 8 Ob 38/90 hielt der Oberste Gerichtshof weiters fest, dass der Schaden auch insoweit abstrakt oder, wie dort nach Abschluss eines Deckungsgeschäfts, konkret berechnet werden kann, und es sich bei der Pflicht des Gläubigers, ein günstigeres Deckungsgeschäft abzuschließen, um einen Fall der Schadensminderungspflicht handelt (RS0018262).

[28] 1.4.1 Der Klägerin stand hier aufgrund des Kündigungsverzichts eine gesicherte Rechtsposition zu hinsichtlich der vereinbarten Hauptmietzinse und Betriebskosten bis 31. 12. 2024, in die die Masseverwalterin – wenn auch durch § 23 IO gedeckt – eingriff. Der Schaden der Klägerin ist daher entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht ein monatlich aufs Neue entstehender Mietzinsentgang, sondern der Verlust des Leistungsanspruchs, der bereits mit Wirksamkeit der Kündigungserklärung eintrat, und an dessen Stelle nunmehr ein Differenzanspruch im Sinne des Ersatzes des Nichterfüllungsschadens zusteht (vgl 8 Ob 71/02b zu § 21 KO; 6 Ob 145/08d ErwGr 4.4 zu § 921 ABGB).

[29] Die von der Klägerin ins Treffen geführten Entscheidungen 4 Ob 30/07a und 10 Ob 72/07x sind schon deswegen nicht einschlägig, weil es dort um eine Leistungsklage des Mieters auf (subjektiv-konkret berechneten) Schadenersatz wegen Nichterfüllung eines Mietvertrags ging bzw die Nichterfüllung einer Reallast als Dauerzustand.

[30] 1.4.2 Vom Eintritt des Schadens ist dessen Bemessung der Höhe nach zu unterscheiden sowie die Fälligkeit; eine Schadenersatzforderung wird erst dann fällig, wenn der Geschädigte den Schaden (zahlenmäßig bestimmt) eingemahnt hat (RS0023392 [T8]).

[31] Der Schaden aus dem Entfall zukünftiger Bestandzinseinnahmen gemäß § 23 IO kann nach dem oben Gesagten und der hA sowohl objektiv-abstrakt als auch subjektiv-konkret berechnet und im Insolvenzverfahren angemeldet werden (wobei im Detail strittig ist, inwieweit eine unbedingte, eine aufschiebend bedingte oder eine auflösend bedingte, allenfalls der Höhe nach zu schätzende Anmeldung zu erfolgen hat, vgl Oberhammer in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 23 KO Rz 67 ff; Riss in Koller/Lovrek/Spitzer, IO2 § 23 IO Rz 21 jeweils mwN).

[32] Der vertragstreue Teil hat grundsätzlich ein Wahlrecht, ob er seinen aus einem Nichterfüllungsschaden resultierenden Differenzanspruch konkret oder abstrakt berechnet (vgl RS0018398 zu § 921 ABGB). Der Geschädigte soll es aber nicht in der Hand haben, durch seine Wahl der Schadensbemessung (allenfalls rückwirkend) den Beginn der Verjährungsfrist zu beeinflussen (vgl 6 Ob 145/08d ErwGr 5.2 zu § 921 ABGB).

2. Zum Anspruch aus der Bankgarantie:

[33] 2.1 Die Beklagte bestreitet nicht, dass die von ihr begebenen Garantien auch Schadenersatzansprüche nach § 23 IO besichern (vgl 7 Ob 2410/96d).

[34] 2.2 Schon nach der älteren Rechtsprechung verjähren Ansprüche aufgrund eines echten Garantievertrags gemäß § 1489 ABGB in drei Jahren, wenn die Garantieverpflichtung Schadenersatzfunktion hat (RS0017007). Insbesondere sind auch alle Ersatzforderungen wegen Nichterfüllung oder mangelhafter Erfüllung eines Vertrags, möge der Erfüllungsanspruch selbst auch der 30‑jährigen Verjährung unterliegen, unter § 1489 ABGB zu subsumieren (4 Ob 200/20w Rz 15).

[35] Wenn man davon ausgeht, dass die Garantien der Beklagten Schadenersatzansprüche wegen Nichterfüllung abdecken, kommt daher auch die Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB zur Anwendung.

[36] Nach der jüngeren Rechtsprechung (5 Ob 215/08s = RS0124549) ist im Übrigen im dreipersonalen abstrakten Garantieverhältnis generell von einer Anwendung der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB auszugehen, die zu laufen beginnt, „wenn die Garantieinanspruchnahme erstmals ohne Rechtsmissbrauch erfolgen kann“ (RS0124549 [T1]).

[37] 2.3 Daran ändert auch die Befristung der Garantie nichts. Durch eine solche wird – im Interesse des Garanten – die Möglichkeit der Inanspruchnahme zeitlich begrenzt, allenfalls der Eintritt des Garantiefalls; die Verjährung kann aber auch schon vor Fristablauf beginnen (RS0014108, RS0016170; Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht2 Bd V Rz 3/92, 3/127).

[38] Dass die Bestandnehmerin vertraglich verpflichtet war, die Bankgarantien bis zum Jahr 2030 aufrecht zu erhalten, und die von der Beklagten gelegten Garantien eine entsprechende Laufzeit hatten, steht daher per se nicht der Verjährung eines konkreten Anspruchs aus der Garantie entgegen.

[39] 2.4 Laut Mietvertrag hatte die Bestandnehmerin spätestens bei Übergabe des Mietobjekts eine Kaution von 339.000 EUR in bar oder in Form einer unbefristeten Bankgarantie, die hinsichtlich des gesamten Betrags zumindest bis 31. 3. 2030, hinsichtlich 15.000 EUR bis 31. 7. 2030 aufrecht zu erhalten ist, als Sicherheitsleistung zu erlegen. Die Vermieterin ist weiters „berechtigt (vor Ende des Mietverhältnisses aber nicht verpflichtet), Forderungen gegen die Mieterin sowohl aus Mietzinsrückständen samt Anhang (Verfahrenskosten etc) als auch aus Ersatz wegen Schäden am Bestandobjekt bzw Inventar daraus zu decken“ (zur Verwertbarkeit unstrittigen Urkundeninhalts s RS0121557, RS0040083 [T1]). Nach dem einleitend wiedergegeben Wortlaut der Garantieurkunden und den erstgerichtlichen Feststellungen wurden die Garantien sodann von der Beklagten „anstelle des Erlags einer (Bar‑)Kaution“ begeben.

[40] Bestand keine über den Wortsinn der Garantieurkunde hinausgehende übereinstimmende Parteiabsicht – die von der Klägerin bewiesen hätte werden müssen –, kommt es nur auf den objektiven Erklärungswert der Urkunde an (RS0017783 [T1, T4]).

[41] Ein Verzicht auf den Einwand der Verjährung bis zum Ablauf der ursprünglichen Befristung (des Kündigungsverzichts und/oder der Garantielaufzeit) selbst für den Fall, dass der Vertrag (wegen Konkurseröffnung) vorzeitig beendet, das Bestandobjekt zurückgestellt und Schadenersatz wegen Nichterfüllung geltend gemacht wird, kann daraus aber nicht abgeleitet werden.

[42] Auch dass es „erklärte Absicht der Beklagten“ gewesen wäre, (zu ihrem Nachteil) der Klägerin mit den beiden Garantien hinsichtlich der Verjährung eben dieselbe Rechtsposition zu verschaffen wie bei Erlag einer Barkaution und daher § 1483 ABGB zur Anwendung kommen solle, lässt sich aus der Wendung „Wir hören von unserem Kunden, dass er anstelle des Erlags einer Kaution eine Garantie zu Ihren Gunsten zu erbringen hat […]“ nicht ableiten.

[43] Soweit die Klägerin mit dem Geschäftszweck und der Interessenlage argumentiert, ist ihr entgegenzuhalten, dass dieser gegen ihren Standpunkt und für eine Verkürzung der Laufzeit und Verjährung spricht, ist doch nicht ersichtlich, zu welchem Zweck die Bestandnehmerin bei einer vorzeitigen Beendigung des Vertrags und Rückstellung des Bestandobjekts eine Mietkautionsgarantie entsprechend der ursprünglichen Vertragslaufzeit aufrecht erhalten sollte.

[44] Sämtliche Erwägungen der Klägerin zu Sicherheiten und Schadenersatzansprüchen bei Bestandverträgen sowie zum Vertrauensschutz im Verjährungsrecht gehen von der unrichtigen Prämisse eines aufrechten Bestandverhältnisses bis zum 31. 12. 2024 aus.

[45] 2.5.1 Wie in Punkt 1.4 näher begründet wurde, trat bei der Klägerin bereits durch die vorzeitige Beendigung der Bestandverhältnisse ein Schaden ein. Nicht ersichtlich ist, warum sie diesen nichtschon damals abstrakt anhand des Marktwerts ermitteln (s dazu etwa jüngst 4 Ob 82/22w mwN) und gegenüber der Bestandnehmerin beziffern und fällig stellen hätte können (hier im Wege einer Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren). Die von ihr behaupteten unvorhersehbaren Folgeschäden stehen im Zusammenhang mit dem Abschluss von Deckungsgeschäften (Adaptierung des Mietgegenstands, Makler‑ und Vertragserrichtungskosten udgl) und reduzieren den schadensmindernden Gewinn bei der subjektiv-konkreten Berechnung.

[46] Daher hätte die Klägerin aber auch schon damals die Garantie ohne Rechtsmissbrauch in Anspruch nehmen können, sodass die Verjährung gegenüber der Beklagten zu laufen begann (und zwar ungeachtet der Frage, ob man – jeweils bezogen auf die Beklagte – auf die objektive Möglichkeit der Rechtsausübung iSd § 1478 ABGB oder die Kenntnis von Schaden und Schädiger iSd § 1489 ABGB abstellt).

[47] 2.5.2 Nichts anderes gilt, wenn die Klägerin den Schaden subjektiv-konkret berechnen will und gegenüber dem Schädiger noch nicht fällig stellen hätte können.

[48] Weder die Ungewissheit der Schadenshöhe, noch die fehlende Fälligkeit der besicherten Forderung führt nämlich per se zum Rechtsmissbrauch (vgl 8 Ob 140/18y mwN; RS0016948; Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht2 Bd V Rz 3/85). Rechtsmissbrauch liegt nach der Rechtsprechung etwa dann vor, wenn der Begünstigte die Garantie im Bewusstsein der mangelnden Fälligkeit vor Eintritt des Garantiefalls zu vertragsfremden Zwecken nützen wollte (6 Ob 293/97z). Hält sich der Begünstigte aus vertretbaren Gründen für berechtigt, kann ihm kein arglistiges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden (RS0017997, RS0016950).

[49] Dass hier angesichts der Eröffnung des Konkursverfahrens über die Bestandnehmerin, der langen Laufzeit der Verträge und der Höhe der monatlichen Mietzinse sowie der Unmöglichkeit einer sofortigen (vollständigen) Weitervermietung ein Schaden zumindest in Höhe der Bankgarantien entstehen wird, war ex ante im Februar 2019 nicht bloß vertretbar, sondern sogar erwartbar. Ein Schaden der Bestandnehmerin aus einem Abruf der Garantie vor Fälligstellung des Nichterfüllungsschadens im Grundverhältnis war hingegen nicht ersichtlich, sodass sich die Beklagte auch bei einer subjektiv‑konkreten Schadensberechnung im Verhältnis zur Bestandnehmerin nicht auf eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der Garantie berufen hätte können.

[50] Warum eine frühere Inanspruchnahme für die Klägerin „unzumutbar“ gewesen sein soll, ist ebensowenig nachvollziehbar wie ihre Argumentation mit ihrem Bestandgeberpfandrecht (aus dem im Jahr 2020 Forderungen für offene Mietzinse vor Konkurseröffnung abgedeckt wurden). Selbst wenn dieses auch Forderungen nach § 23 IO umfasst hätte (was hier dahingestellt bleiben kann), und sie solche im Insolvenzverfahren angemeldet hätte (was nicht der Fall war), ist nicht ersichtlich, wie sich dieser Umstand auf die Verjährungsfrist im Verhältnis zur Beklagten auswirken hätte sollen, für die es bloß auf die Möglichkeit des (nicht rechtsmissbräuchlichen) Garantieabrufs ankommt.

3. Zusammenfassend folgt:

[51] 3.1 Bei einer vorzeitigen Auflösung eines Bestandverhältnisses nach § 23 IO tritt der Schaden bereits durch die Umwandlung des Leistungsanspruchs in einen Differenzanspruch auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens ein.

[52] 3.2 Die Verjährung von Ansprüchen aus einer abstrakten Garantie kann auch schon vor Ablauf ihrer Befristung beginnen. Der Begünstigte hat es grundsätzlich nicht in der Hand, den Beginn der Verjährungsfrist durch die Wahl der Berechnung des Schadens im Grundverhältnis (objektiv‑abstrakt oder subjektiv‑konkret) hinauszuschieben. Ein Garantieabruf trotz fehlender Fälligkeit des Schadenersatzanspruchs im Grundverhältnis ist nicht jedenfalls rechtsmissbräuchlich.

[53] 3.3 Da im vorliegenden Fall eine Inanspruchnahme der Garantien für einen Ersatz des Nichterfüllungsschadens spätestens im März 2019 ohne Rechtsmissbrauch möglich gewesen wäre, war die dreijährige Frist des § 1489 ABGB im Zeitpunkt der Klagseinbringung am 9. 8. 2022 bereits abgelaufen.

[54] Der Revision der Beklagten ist daher Folge zu geben und das klagsabweisende Ersturteil – einschließlich der Kostenentscheidung – wiederherzustellen.

[55] 4. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der ERV‑Zuschlag beträgt lediglich 2,60 EUR (RS0126594).

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