European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00165.24A.1120.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.599,90 EUR (darin enthalten 266,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger zeichnete im Juli 2018 ein Nachrangdarlehen über 20.000 EUR bei einer GmbH. Die Emission erfolgte auf Basis eines Kapitalmarktprospekts 2015, den die beklagte Steuerberatungs‑ und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als Prospektkontrollorin nach § 8 Abs 2 KMG (BGBl 1991/625 in der damals geltenden Fassung; im Folgenden: KMG) ebenso wie einen Nachtrag im Jahr 2018 im Auftrag der emittierenden GmbH kontrolliert und den Kontrollvermerk unterfertigt hatte. Über das Vermögen der Emittentin wurde am 8. 7. 2022 das Insolvenzverfahren eröffnet.
[2] Der Kläger war in der Vergangenheit selbst Finanzdienstleister und vertrieb im Rahmen dieser Tätigkeit auch Produkte der Emittentin. Er vertraute den Aussagen des Geschäftsführers der GmbH und war vom Geschäftsmodell der Emittentin und der Veranlagung in Nachrangdarlehen überzeugt. Beim Gespräch mit seinem Anlageberater wurde das Anlageprodukt nur oberflächlich besprochen, weil der Kläger aus seiner früheren Tätigkeit sowohl die emittierende GmbH als auch ihr Geschäftsmodell und auch die Risikohinweise kannte. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Kläger Informationen, die im Kapitalmarktprospekt enthalten waren, seiner Anlageentscheidung zu Grunde legte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die Revision des Klägers ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), nicht zulässig. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
[4] 1. Unstrittig ist, dass sich eine allfällige Haftung der Beklagten wegen des im November 2015 erteilten Kontrollvermerks bzw des im Juli 2018 erfolgten Investments des Klägers nach dem KMG richtet (RS0008715).
[5] 2.1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehen Prospekthaftungsansprüche, wenn ein Anleger durch falsche, unvollständige oder irreführende Prospektangaben zur Zeichnung einer Kapitalanlage bewogen wird. Es handelt sich dabei um eine typisierte Vertrauenshaftung aus Verschulden bei Vertragsabschluss. Der Prospekt bildet im Regelfall die Grundlage für den wirtschaftlich bedeutsamen und mit Risiken verbundenen Beteiligungsentschluss. Aus diesem Grund muss sich der potentielle Kapitalanleger grundsätzlich auf die sachliche Richtigkeit und Vollständigkeit der im Prospekt enthaltenen Angaben verlassen dürfen (RS0107352). An diesem Zweck orientieren sich auch Inhalt und Umfang der in § 8 Abs 2 KMG (in der maßgeblichen Fassung BGBl I 2013/184) geregelten Prüfpflicht. Der Prospektkontrollor haftet gemäß § 11 KMG (in der hier maßgeblichen Fassung BGBl I 2012/83) nicht für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts, sondern nur für dessen unrichtige oder unvollständige Kontrolle (RS0107352 [T5, T15]; 10 Ob 35/24f [Rz 10] mwN).
[6] 2.2. Die für eine solche Haftung notwendige Kausalität wird von der Rechtsprechung nur dann bejaht, wenn sich die Anleger im Vertrauen auf den ihm bekannten Prospekt zum Kauf entschließen, wenn also unrichtige, unvollständige oder irreführende Prospektangaben tatsächlich zur Grundlage einer schadensauslösenden Disposition gemacht wurden; maßgeblicher Zeitpunkt für diesen Ursachenzusammenhang ist der des Vertragsabschlusses in Ansehung der konkreten Anlageentscheidung (RS0108626).
[7] 2.3. Dieser Kausalitätszusammenhang hat nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen der Geschädigte zu beweisen (RS0108626 [T4, T7]). Ein Rückgriff auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises in der Frage des Kausalitätszusammenhangs zwischen mangelhaften Prospektangaben und dem Anlageentschluss eines Anlegers wird von der Rechtsprechung abgelehnt (RS0108627), was umso mehr für die unrichtige bzw unvollständige Kontrolle des Prospekts gelten muss (4 Ob 119/24i [Rz 18]; 5 Ob 118/24z [Rz 14]).
[8] 2.4. Nach dem festgestellten Sachverhalt hatte der Inhalt des von der Beklagten als Prospektkontrollorin unterfertigten Kapitalmarktprospekts keinen Einfluss auf die Entscheidung des Klägers, das Nachrangdarlehen zu zeichnen. Maßgeblich für seinen Anlageentschluss waren allein die Aussagen des Geschäftsführers der Emittentin, die ihn überzeugten. Er hat damit nicht nachgewiesen, dass er die behauptetermaßen unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospektangaben samt Kontrollvermerk zur Grundlage seiner schadensauslösenden Disposition gemacht hat.
[9] 3.1. Wie der Prospektkontrollor kann auch der sorgfaltswidrige Abschlussprüfer einem Dritten gegenüber haften. Dies ist dann der Fall, wenn dieser im Vertrauen auf die Verlässlichkeit des Bestätigungsvermerks des Abschlussprüfers disponiert und dadurch einen Schaden erleidet (RS0116077).
[10] 3.2. Auch in diesem Bereich hat der geschädigte Anleger grundsätzlich zu behaupten und zu beweisen, dass er seine Anlageentscheidung im Vertrauen auf den erteilten Bestätigungsvermerk getroffen und diesen zur Grundlage seiner schadensauslösenden Disposition gemacht hat (RS0129123; 4 Ob 119/24i [Rz 22]; 5 Ob 118/24z [Rz 19]).
[11] 3.3. Soweit der Kläger nunmehr auf dem Standpunkt steht, dass eine durch einen Berater vermittelte (mittelbare bzw indirekte) Kenntnis ausreiche, mag dies zutreffen (vgl 4 Ob 145/21h zur Haftung des Abschlussprüfers). Ob dies auch für die Prospektkontrollorin gilt, muss nicht beantwortet werden, weil der Kläger einen solchen Sachverhalt in erster Instanz nicht behauptet hat.
[12] 3.4. Er unterstellt der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Haftung des Abschlussprüfers weiters, dass bei fehlerhafter Überprüfung durch den Abschlussprüfer bereits die objektive Erteilung eines Bestätigungsvermerks kausal für den Schaden des Anlegers und somit haftungsbegründend sei. Daraus folgert er, dass auch im Rahmen der Prospekthaftung die Behauptung (und der Nachweis) einer nicht ordnungsgemäßen Prüfung des Prospekts ausreiche.
[13] 3.4.1. Schon die der Rechtsprechung zur Haftung des Abschlussprüfers unterstellte Prämisse trifft allerdings nicht zu. Auch nach den in der Revision genannten Entscheidungen hat der Geschädigte den Kausalzusammenhang zwischen Sorgfaltsverletzung und Schaden zu behaupten und zu beweisen (10 Ob 35/24f [Rz 18] mwN).
[14] 3.4.2. Nach diesen Entscheidungen muss das Vertrauen auf den erteilten Bestätigungsvermerk zwar nicht durch die Kenntnis des konkreten Bestätigungsvermerks geschaffen werden, sondern es wäre auch denkbar, dass die auf die Anlageentscheidung positiv einwirkende Beratung von den erteilten Bestätigungsvermerken beeinflusst war, was aber voraussetzt, dass der Berater die Bestätigungsvermerke gekannt oder sonst von deren Erteilung erfahren hat (RS0108627 [T2]). Dass ein konkreter von der Beklagten geprüfter Prospektinhalt die Beratung in diesem Sinn positiv beeinflusst hätte, wurde vom Kläger im erstgerichtlichen Verfahren ebenfalls nicht behauptet und daher auch nicht festgestellt.
[15] 3.5. Die Beantwortung der Frage, ob der Vertrag zwischen Emittentin und Prospektkontrollorin – wie jener zwischen Emittentin und Abschlussprüfer (RS0116076) – einen Vertrag zu Gunsten der Anleger darstellt, kann dahingestellt bleiben. Wenn einem Vertragspartner als vertragliche Nebenpflicht eine Schutzpflicht dritten Personen gegenüber, die der Vertragsleistung nahe stehen, obliegt, wird dritten Personen die Geltendmachung eines eigenen Schadens aus dem fremden Vertrag zuerkannt (RS0037785). Aber auch bei einer Haftung aus Vertrag hat der Geschädigte den Kausalzusammenhang zu behaupten und zu beweisen (vgl RS0022686).
[16] 4. Der Kläger stützt sich weiters auf Beweiserleichterungen infolge einer Schadenszufügung durch Unterlassung.
[17] 4.1. Nach ständiger Rechtsprechung kommt die Beweisführung bezüglich der Kausalität einer Unterlassung in der Regel nur unter Bedachtnahme auf die Wahrscheinlichkeit des Tatsachenzusammenhangs in Betracht und der Geschädigte ist dafür beweispflichtig, dass überwiegende Gründe dafür vorliegen, der Schaden sei durch das Verhalten des Beklagten herbeigeführt worden (RS0022900). Dem Schädiger obliegt dann der Nachweis, einen anderen Tatsachenzusammenhang noch wahrscheinlicher zu machen (RS0022900 [T1]). Wenn auch im Fall der Schädigung durch Unterlassung der Geschädigte grundsätzlich den Kausalzusammenhang zu beweisen hat, ist auch anerkannt, dass an den Beweis des bloß hypothetischen Kausalverlaufs nicht so strenge Anforderungen gestellt werden können, wie bei einer Schadenszufügung durch positives Tun, weil sich die Frage, wie sich die Geschehnisse entwickelt hätten, hätte der Schädiger pflichtgemäß gehandelt, naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantworten lässt, weil dieses Geschehen eben nicht stattgefunden hat (RS0022900 [T14]).
[18] 4.2. Diese – allgemein für Unterlassung des gebotenen Handelns entwickelte – Rechtsprechung wandte der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 10 Ob 46/13g und 10 Ob 48/13a auch auf den Fall der fehlerhaften Erteilung eines Bestätigungsvermerks durch den Abschlussprüfer an. Der Anleger habe ein Vorbringen zu erstatten, mit dem die Verursachung eines Schadens plausibel gemacht werde (10 Ob 46/13g [Punkt 2.1]). Dem folgten die Entscheidungen 4 Ob 210/13f und 6 Ob 187/13p.
[19] 4.3. Auch wenn man im Sinn dieser Entscheidungen und mit dem Kläger annehmen würde, dass der Beklagten eine rechtswidrige Unterlassung (der ordnungsgemäßen Prüfung des Prospekts) zur Last zu legen wäre, wäre dies nach der genannten Rechtsprechung nur für das hinsichtlich der Kausalität heranzuziehende Beweismaß (überwiegende statt hohe Wahrscheinlichkeit) von Bedeutung. Dem erstinstanzlichen Vorbringen des Klägers zu einem (eigenen) Vertrauen in die Prospektangaben folgte das Erstgericht auf Tatsachenebene gerade nicht, indem es (nach dem Regelbeweismaß) gerade nicht feststellen konnte, dass der Inhalt des Kapitalmarktprospekts einen Einfluss auf seine Anlageentscheidung hatte.
[20] 5. Dass ihm der Anscheinsbeweis für die Kausalität zugute komme, begründet der Kläger darüber hinaus damit, dass § 8 KMG als Schutzgesetz zu qualifizieren sei, sodass er lediglich nachzuweisen habe, dass die Beklagte den Prospekt nicht sorgfältig geprüft habe; da sich jener Schaden verwirklicht habe, den § 8 iVm § 11 KMG verhindern wolle, liege ein Beweis des ersten Anscheins betreffend die Kausalität vor.
[21] 5.1. Die – in der Literatur verneinte (Karollus, Funktion und Dogmatik der Haftung als Schutzgesetz-verletzung: Zugleich ein Beitrag zum Deliktssystem des ABGB und zur Haftung für casus mixtus [1992] 376; Iro/Riss, Die Haftung des Prospektkontrollors nach allgemeinen Grundsätzen, RdW 2012/478, 447 ff [452 f]; Kalss/Oppitz/Zollner,Kapitalmarktrecht2 § 12 Rz 54; Zivny/Mock, EU‑ProspektVO/KMG 20193 § 22 KMG Rz 33) – Frage, ob neben einer auf § 8 KMG gestützten Haftung nach § 11 KMG auch eine deliktische Haftung aus Schutzgesetzverletzung in Betracht kommt, ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zwar noch nicht ausdrücklich beantwortet worden. Auch darauf kommt es aber nicht entscheidend an.
[22] 5.2. Ein Anscheinsbeweis kommt (auch) dem (durch Verletzung eines Schutzgesetzes) Geschädigten lediglich auf Beweisebene zugute (4 Ob 86/17a [Punkt 2.] mwN) und entbindet nicht davon, Vorbringen zur Kausalität zu erstatten. Der als Schädiger in Anspruch Genommene kann den Anscheinsbeweis dadurch entkräften, dass er die Kausalität der Pflichtwidrigkeit ernstlich zweifelhaft macht (RS0022474 [T5]; 10 Ob 35/24f [Rz 27] mwN).
[23] 5.3. Die Behauptungen des Klägers zur Kausalität haben sich auf Tatsachenebene nicht erwiesen, weil ein von seinem Vorbringen abweichender Sachverhalt festgestellt wurde. Ein nach der Rechtsansicht des Klägers diesem Tatsachenvorbringen zugute kommender Anscheinsbeweis wäre daher jedenfalls entkräftet. Weitere Umstände, aus denen der Kläger allenfalls eine Kausalität nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises ableiten könnte, behauptet er gar nicht, sodass sich auch die Frage, ob ihm diesbezüglich (auf Beweisebene) der Anscheinsbeweis zugute zu kommen hätte, nicht stellt.
[24] 6. Weiters meint der Kläger, wäre das Prospekt nicht mit dem Kontrollvermerk der Beklagten versehen worden, hätte die Veranlagung überhaupt nicht vertrieben werden können.
[25] 6.1. Hier übergeht der Kläger, dass diesesVorbringen nicht ausreichend ist. Er beschränkt sich auf die Behauptung bloß der Folge, stellt aber keine Tatsachenbehauptungen zu einem konkreten Geschehensablauf (wie insbesondere zur Reaktion der Emittentin, seines Anlageberaters oder zu seinem eigenen Verhalten) auf, aus dem überhaupt erst ein Unterbleiben des Vertriebs oder der Nichterwerb durch ihn abgeleitet werden könnte.
[26] 6.2. Zudem spricht der Kläger mit seiner Argumentation nur die Kausalität (bzw das „Beweismaß der hypothetischen Kausalität“) des behaupteten Fehlverhaltens der Beklagten an, legt aber auch hier nicht dar, aus welchen konkreten Umständen er nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises eine Kausalität ableiten möchte.
[27] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO; die Beklagte hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen.
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