OGH 15Os120/24x

OGH15Os120/24x13.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Sadoghi und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Wachter in der Strafsache gegen * A* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten * S* und * At* und über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 16. Juli 2024, GZ 34 Hv 23/24f‑108, sowie über die Beschwerden der Angeklagten S* und At* gegen den Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00120.24X.1113.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * At* wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu II. und demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie der Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe betreffend diesen Angeklagten aufgehoben und die Sache in diesem Umfang mit dem Auftrag, hinsichtlich des dem Schuldspruch zu II. zugrunde liegenden Verhaltens gemäß § 37 SMG vorzugehen, und im Übrigen zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck zurückverwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des * S* sowie die Nichtigkeitsbeschwerde des * At* im Übrigen werden zurückgewiesen.

Der Angeklagte At* wird mit seiner Berufung und seiner Beschwerde ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf diesen Angeklagten bezogenen Berufung auf die Aufhebung verwiesen.

Die Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde des Angeklagten S* und die weitere Berufung der Staatsanwaltschaft kommt dem Oberlandesgericht Innsbruck zu.

Den Angeklagten S* und At* fallen auch die Kosten des (bisherigen) Rechtsmittelverfahrens zu.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Angeklagten * S* und * At* jeweils des Verbrechens des Raubes nach [richtig:] § 142 Abs 1 StGB (vgl RIS‑Justiz RS0122006 [T3]; I./1./), der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (I./2./) und der Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (I./3./), At* darüber hinaus „der“ (vgl aber RIS‑Justiz RS0114037 [T3]) Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach haben

I./ die genannten Angeklagten mit * A* und * D* am 8. Februar [richtig:] 2024 in K* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB)

1./ mit Gewalt gegen eine Person und dem Vorsatz, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, * Y* eine Geldtasche (mit 160 Euro und 200 türkische Lira) und einen Ehering weggenommen sowie ein Mobiltelefon wegzunehmen versucht, indem einer von ihnen das Opfer von hinten festhielt und sie sodann mit Fäusten gegen seinen Kopf und seinen Gesichtsbereich schlugen, ihn an den Beinen erfassten und so zu Boden brachten;

2./ Urkunden, über die sie nicht verfügen durften, nämlich den Aufenthaltstitel der BH Bregenz, den türkischen Personalausweis, die Sozialversicherungskarte und eine PIN‑ und PUK‑Karte des Y*, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden, indem sie diese im Zuge der zu I./1./ genannten Tat an sich nahmen;

3./ unbare Zahlungsmittel, über die sie nicht verfügen durften, nämlich eine Bankomatkarte und eine Bankkarte des Y*, mit dem Vorsatz, deren Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern, unterdrückt, indem sie diese im Zuge der zu I./1./ genannten Tat an sich nahmen;

II./ At* am 4. Mai 2024 in R* und I* vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich ein Gramm Cannabiskraut, für den Eigenkonsum erworben und besessen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die vom Angeklagten S* auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 11 StPO und vom Angeklagten At* auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 10a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S*:

[4] Mit der Behauptung, es gäbe keine Beweisergebnisse für die den Schuldsprüchen I./1./ bis 3./ zugrunde liegenden Feststellungen, spricht die Mängelrüge (Z 5) keinen Nichtigkeitsgrund an.

[5] Das Vorbringen des Rechtsmittelwerbers (Z 5), weder der Zeuge Y* noch sonstige Zeugen oder Mitangeklagte hätten den Angeklagten identifiziert oder im Sinn der jeweiligen Tathandlungen belastet, reduziert sich im Ergebnis auf den im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen Versuch, die erstgerichtliche Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung zu bekämpfen (vgl § 283 Abs 1 StPO).

[6] Das weitere Vorbringen, wonach die „genannten Zeugenaussagen“ und der Inhalt des Videos der Überwachungskamera den jeweiligen Feststellungen zur Mittäterschaft des Angeklagten zu I./1./ bis 3./ widersprechen würden, argumentiert neuerlich außerhalb des eröffneten Anfechtungsrahmens, ohne die behauptete Widersprüchlichkeit (Z 5 dritter Fall; RIS‑Justiz RS0119089) aufzuzeigen.

[7] Keiner sachbezogenen Erörterung zugänglich (RIS‑Justiz RS0099563) ist die pauschale Kritik, das Erstgericht habe für die dem Schuldspruch zugrunde liegenden Tatsachen zum objektiven und subjektiven Tatgeschehen (US 6 f) nur unzureichende Gründe angegeben (Z 5 vierter Fall). Der festgestellte Sachverhalt wurde im Übrigen auf den US 8 bis 14 mit Bezugnahme auf die Angaben des Opfers und mehrerer Zeugen und das Video einer Überwachungskamera sowie die eigene Einlassung des Beschwerdeführers logisch und empirisch einwandfrei (RIS‑Justiz RS0118317) begründet.

[8] Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern (RIS‑Justiz RS0118780). Mit den Einwänden, keiner der Zeugen habe den Angeklagten identifizieren können, auch auf dem Video, das den „Vorfall“ nicht zeige, sei dieser nicht erkennbar sowie der Angeklagte werde nicht allein dadurch zum Mittäter, dass er den Vorfall teilweise beobachtet habe, vermag der Beschwerdeführer keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

[9] Entgegen der Ansicht der Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall)stellt Raub in der Begehungsform der Gewalt gegen eine Person eine strafbare Handlung gegen Leib und Leben iSd § 19 Abs 4 Z 1 JGG dar, in dessen Anwendungsbereich § 19 Abs 1 JGG nicht zum Tragen kommt (RIS-Justiz RS0134129).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten At*:

[10] Zutreffend zeigt der Beschwerdeführer auf, dass dem Schuldspruch II./ Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 10a StPO anhaftet.

[11] Nach den Feststellungen hat der Angeklagte das gegenständliche Suchtgift ausschließlich für den eigenen persönlichen Gebrauch erworben und besessen (US 7), weshalb das Erstgericht zutreffend von Privilegierung iSd § 27 Abs 2 SMG ausging.

[12] Wurde durch die Tat § 27 Abs 1 und Abs 2 SMG verwirklicht, so ist Diversion nach § 35 Abs 1 (iVm § 37) SMG – bei Vorliegen auch der sonstigen Voraussetzungen und Bedingungen (§ 35 Abs 3 bis 7 SMG) – stets geboten (RIS‑Justiz RS0131952). Lehnt das Gericht diversionelles Vorgehen dennoch ab, so hat es gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO die insoweit als erwiesen oder nicht erwiesen angenommenen, entscheidungswesentlichen Tatsachen in den Entscheidungsgründen in gedrängter Darstellung anzuführen, somit Feststellungen zu treffen, aus denen sich die Nichtanwendung der Diversionsvorschriften ableiten lässt (RIS-Justiz RS0119091 [T7, T9]).

[13] Es hindert vorläufige Verfahrenseinstellung nicht, dass der Angeklagte weiterer, mit dem Suchtmittelgesetz in keinem Zusammenhang stehender Verbrechen oder Vergehen schuldig erkannt wurde (RIS-Justiz RS0113621; Schroll/Kert, WK‑StPO § 203 Rz 33/1). Dieses Vorgehen ist auch an keine Überlegungen zur Schwere der Schuld oder zur Prävention geknüpft (US 18; RIS‑Justiz RS0132559).

[14] Dass das Erstgericht, obwohl es nicht nach § 37 (iVm § 35 Abs 1) SMG vorgegangen ist, im Urteil keine Feststellungen zu diversionshindernden Umständen traf, macht die Nichtanwendung der Diversion unschlüssig (vgl RIS‑Justiz RS0122332 [T12]). Dies erfordert die Kassation des Schuldspruchs II./ (§ 285e StPO).

[15] Im Übrigen ist die Nichtigkeitsbeschwerde jedoch nicht berechtigt:

[16] Das Vorbringen (nominell Z 5, inhaltlich Z 9 lit a), das Erstgericht habe übersehen, dass die Haftung als Beitragstäter eigenes Verschulden voraussetze, und keine – für eine rechtsrichtige Beurteilung ausreichenden – Feststellungen zum Raubvorsatz und zum Tatbeitrag des Angeklagten getroffen, orientiert sich prozessordnungswidrig nicht am Urteilssachverhalt (US 6 f; RIS-Justiz RS0099810).

[17] Die Argumentation der Mängelrüge (Z 5), die Feststellungen zum gemeinsamen Nachlaufen, Auftreten und Agieren widersprächen „dem Akteninhalt“, entspricht keiner Anfechtungskategorie des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes (vgl RIS-Justiz RS0099431 [T15]).

[18] Indem der Nichtigkeitswerber eine eigene Interpretation der Aussage des als Zeugen vernommenen Opfers vornimmt und die Urteilsbegründung pauschal als undeutlich und unvollständig (Z 5 erster und zweiter Fall) bezeichnet, übt er im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässige Beweiswürdigungkritik (vgl § 283 Abs 1 StPO).

[19] Mit den Hinweisen darauf, dass – den Angaben des Opfers folgend – die Faustschläge in den Gesichtsbereich nach „einfachster Lebenserfahrung“ „andere Verletzungen“ hätten verursachen müssen, und es lebensfremd sei, dass die vom Opfer behauptete Abnahme des Handys misslungen sei, weil es sich gegen vier Angreifer nicht hätte wehren können, weckt die Tatsachenrüge (Z 5a) ebenso wenig erhebliche Bedenken im Sinn des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes gegen die Richtigkeit von Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen wie mit der Behauptung, der „Hauptbelastungszeuge“ K* wurde wegen seiner „ganz offensichtlich falschen Aussage“ „zur Anzeige gebracht“.

[20] Die (auch) gegen die Schuldsprüche I./1./ bis 3./ gerichtete Diversionsrüge (Z 10a) verfehlt die gesetzmäßige Darstellung, weil sie bloß das Nichtvorliegen schwerer Schuld (§ 7 Abs 2 Z 1 JGG) behauptet, jedoch außer Acht lässt, dass der Angeklagte eine Beteiligung an den Taten bestritt (US 13; RIS-Justiz RS0116299 [T2, T3], RS0126734).

[21] Es war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten At* im Schulspruch II./ und demzufolge auch im diesen Angeklagten betreffenden Ausspruch über die Strafe (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie der Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe aufzuheben und die Sache in Ansehung des kassierten Schuldspruchs II./ mit dem Auftrag, insoweit gemäß § 37 SMG vorzugehen, und im Übrigen zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck zu verweisen (§ 285e StPO).

[22] Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten At* im Übrigen und die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S* waren – ebenso in Übereinstimmung mit dem Croquis – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[23] Der Angeklagte At* war mit seiner Berufung und seiner (impliziten) Beschwerde ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf diesen Angeklagten bezogenen Berufung auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen. Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten S*, die weitere Berufung der Staatsanwaltschaft und die (implizite) Beschwerde des letztgenannten Angeklagten kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

[24] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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