European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00152.24I.1023.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird in Ansehung der minderjährigen H* F*, V* F*, und O* F* mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Minderjährigen H*, V*, O* und C* sind die Kinder von Dr. E* und Dr. A* F*. Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens sind die Unterhaltsansprüche der drei minderjährigen Jungen.
[2] DieMinderjährigen begehren von ihrem Vater rückständigen und laufenden Unterhalt. Der Unterhaltsrückstand für den Zeitraum 1. Jänner 2023 bis 31. August 2023 betrage für H* 1.680 EUR sowie für V* und O* je 3.320 EUR. Darüber hinaus habe H* Anspruch auf 1.250 EUR sowie V* und O* auf je 1.025 EUR an monatlichem Unterhalt. Der Vater bringe ein monatliches Einkommen von zumindest 30.000 EUR ins Verdienen und sei zu Unterhaltszahlungen in Höhe der Luxusgrenze verpflichtet. Grundsätzlich betrage die Luxusgrenze für Kinder über 10 Jahre das Zweieinhalbfache des Regelbedarfs und für Kinder unter 10 Jahre das Zweifache des Regelbedarfs. Hier sei aber im Hinblick auf die Höhe des Einkommens des Vaters ein Unterhalt in der Höhe des 2,5‑fachen des Regelbedarfs für alle Kinder angemessen. Die Kinder würden zwar in dem im Alleineigentum der Mutter stehenden Haus leben. Aufgrund des fehlenden Nachweises von Zahlungen des Vaters betreffend das Haus (Kredit, Fixkosten etc), sei aber keine Wohnkosternsparnis anzurechnen. Der Vater schulde daher den begehrten Unterhalt.
[3] Dieser Antrag wurde dem Vater mit der Aufforderung zur Äußerung gemäß § 17 AußStrG und dem Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Nichtäußerung wirksam zugestellt.
[4] Eine Äußerung des Vaters langte nicht ein.
[5] Das Erstgerichtverpflichtete den Vater antragsgemäß zu den begehrten Unterhaltszahlungen und verwies zur Begründung insbesondere auf § 17 AußStrG.
[6] Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung.
[7] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters.
Rechtliche Beurteilung
[8] 1. Gemäß § 17 AußStrG kann das Gericht eine Partei unter Setzung einer angemessenen Frist auffordern, sich zum Antrag einer anderen Partei oder zum Inhalt der Erhebungen zu äußern, oder die Partei zu diesem Zweck zu einer Vernehmung oder Tagsatzung laden. Lässt die Partei die Frist ungenützt verstreichen oder leistet sie der Ladung nicht Folge, so kann das Gericht annehmen, dass keine Einwendungen gegen die Angaben der anderen Partei oder gegen eine beabsichtigte Entscheidung auf der Grundlage des bekannt gegebenen Inhalts der Erhebungen bestehen.
[9] 2. Die Säumnisvorschrift des § 17 AußStrG findet ganz allgemein im Bereich des Außerstreitgesetzes Anwendung, daher auch im Verfahren über den gesetzlichen Unterhalt der Kinder (RS0120657 [T4]).
[10] 3. Der Vater bekämpfte § 17 AußStrG im Rahmen des Rekurses gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG beim Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte jedoch die Behandlung des Antrags mit Beschluss vom 4. Oktober 2023, G 532/2023, ab: Das Vorbringen des Vaters lasse die behaupteten Verfassungswidrigkeiten als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass der Antrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Die Rechtsfolgen des § 17 AußStrG setzten voraus, dass dem Gegner nachweislich die Möglichkeit zur Äußerung (schriftlich oder mündlich) eingeräumt wurde. In Anbetracht der Voraussetzungen des § 17 AußStrG werde durch die Bestimmung auch weder das Parteiengehör noch die materielle Wahrheitsfindung durch das Gericht in verfassungswidriger Weise konterkariert. Im Übrigen sei dem Gesetzgeber aus dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes bzw des Art 6 EMRK nicht entgegenzutreten, wenn er einer Partei im Außerstreitverfahren eine besondere Äußerungslast auferlege, um damit die zügige und inhaltlich zielgerichtete Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen zu betreiben.
[11] 4. Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass die Anwendungsvoraussetzungen des § 17 AußStrG (Parteiantrag, rechtswirksame Zustellung, Bekanntgabe des Antrags, Fristsetzung und Rechtsfolgenhinweis; vgl dazu Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 17 Rz 39 ff) vorlagen. Dass sich der Vater nicht fristgerecht äußerte, ist ebenfalls unstrittig.
[12] 5.1. Sind alle Voraussetzungen für die Anwendung des § 17 AußStrG erfüllt, dann bewirkt die Säumnis der zur Äußerung aufgeforderten bzw geladenen Partei, dass das Gericht annehmen darf, diese erhebe keine Einwendungen gegen die Angaben der antragstellenden Partei bzw gegen die Entscheidung auf Grundlage des bekanntgegebenen Inhalts der gerichtlichen Erhebungen. § 17 AußStrG normiert demnach als Säumnisfolge keine Zustimmungs- oder Anerkenntnisfiktion zu Lasten des Antragsgegners und zu Gunsten des von der antragstellenden Partei erhobenen Begehrens. Rechtsfolge der Säumnis ist vielmehr (nur) ein Einwendungsausschluss auf Tatsachenebene (7 Ob 103/06g; 10 Ob 25/19b; RS0006941 [T10]; vgl auch Gitschthaler, Zustimmung oder Geständnis?, EF‑Z 2024, 136).
[13] 5.2. Ungeachtet des Vorliegens der Anwendungsvoraussetzungen des § 17 AußStrG darf ein Tatsachenzugeständnis nach der Rechtsprechung dann nicht angenommen werden, wenn entweder das Kindeswohl eine amtswegige Aufklärung und Erhebung der Entscheidungsgrundlagen erfordert, der Akteninhalt gegen die Richtigkeit des Vorbringens des Antragstellers spricht oder aus besonderen Gründen anzunehmen ist, dass der Antragsgegner dem Antrag ungeachtet seines Schweigens entgegentrete (RS0006941 [T7, T8]; 4 Ob 138/15w). Unterbleiben – entgegen § 16 Abs 1 AußStrG – amtswegige Erhebungen, obwohl sie wegen des Vorliegens (einer) dieser Voraussetzungen durch das Erstgericht vorgenommen werden hätten müssen, begründet dies einen Mangel des Verfahrens erster Instanz (5 Ob 71/13x; 1 Ob 238/14b; 4 Ob 138/15w).
[14] 5.3. Ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz bildet – mit Ausnahme der in § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG genannten, hier nicht relevanten Mängel (vgl RS0121265) – grundsätzlich keinen Revisionsrekursgrund (RS0050037), wenn sich das Rekursgericht – wie hier – mit der Verfahrensrüge des Vaters befasst und diese mit einer durch die Aktenlage gedeckten Begründung verworfen hat (vgl RS0042963 [T28, T52]; Schramm in Gitschthaler/Höllwerth I² § 66 AußStrG Rz 22). Allfällige fehlende Erhebungen des Erstgerichts können daher im drittinstanzlichen Verfahren nicht geprüft werden. Die davon bei Vorliegen besonderer Umstände aus Gründen des Kindeswohls auch im Verfahren über den Unterhalt minderjähriger Kinder mögliche Ausnahme (vgl RS0030748 [T4]; RS0050037 [T5]) kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil der Vater eine Reduzierung seiner Unterhaltspflicht anstrebt (vgl 4 Ob 138/15w).
[15] 6.1. (Auch) Bei Nichtäußerung des Antragsgegners trotz Aufforderung nach § 17 AußStrG ist das Antragsbegehren hinsichtlich seiner rechtlichen Voraussetzungen uneingeschränkt auf der Grundlage des Akteninhalts zu prüfen (RS0006941 [T12]).
[16] 6.2. Soll einem Kind weniger oder mehr zugesprochen werden, als sich nach der Prozentsatzmethode ergibt, bedarf es einer besonderen Rechtfertigung der Abweichung. Sie wird bei besonders großem Leistungsvermögen des Unterhaltsschuldners darin gesehen, dass es durch den Zweck der Unterhaltsleistung nicht geboten und aus pädagogischen Gründen sogar abzulehnen ist, Luxusbedürfnisse des Kindes zu befriedigen. Die Prozentkomponente ist daher nicht voll auszuschöpfen, wenn es nach diesen Kriterien zu einer verschwenderischen vom vernünftigen Bedarf eines Kindes völlig losgelösten Überalimentierung kommen würde (RS0047424 [T9]). Die Rechtsprechung begrenzt daher bei überdurchschnittlichem Einkommen des Unterhaltspflichtigen den von diesem zu leistenden Unterhaltsbeitrag zur Vermeidung einer dem Kindeswohl nicht förderlichen Überalimentierung mit der sogenannten „Luxusgrenze“, die im Allgemeinen mit dem Zwei- bis Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs bemessen wird (RS0007138 [T12, T15, T18]), wobei dies keine absolute Obergrenze darstellt (1 Ob 25/21i). Es gibt somit keinen allgemeinen, für jeden Fall geltenden Unterhaltsstopp etwa beim 2-, 2,5- oder 3‑fachen des Regelbedarfs (RS0047424 [T2]).
[17] 6.3. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach auch die beiden zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung (gerade) noch nicht 10‑jährigen Jungen aufgrund der besonders hohen Leistungsfähigkeit des Vaters Anspruch auf Unterhalt in der Höhe des Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs haben, findet Deckung in der angeführten Rechtsprechung. Die Revision kann auch nicht darlegen, warum der Zuspruch des Zweieinhalb- statt des Zweifachen Regelbedarfs zu einer schädlichen Überalimentierung der beiden Kinder führen würde. Es liegt damit auch keine von der gefestigten Judikatur abweichende Unterhaltsbemessung vor. Warum die Vorinstanzen mit dem Unterhaltszuspruch an die Kinder das Antragsprinzip (vgl § 8 Abs 1 AußStrG) verletzt haben sollen, ist nicht nachvollziehbar, haben sie doch nicht mehr zugesprochen, als die Kinder begehrt haben.
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