OGH 4Ob208/23a

OGH4Ob208/23a22.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei * GmbH, *, vertreten durch die Emberger Molzbichler Rechtsanwälte GmbH in Wien, sowie der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei * GmbH & Co KG, *, vertreten durch die E+H Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. * GmbH, *, vertreten durch die Neubauer & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. *, und 3. * GmbH, *, beide vertreten durch die Niederhuber & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 2.842.417,47 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000.000 EUR) über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei, der erstbeklagten Partei sowie der zweit- und drittbeklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 23. August 2023, GZ 6 R 82/23f‑54, mit dem es das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichts Wels vom 6. März 2023, GZ 5 Cg 113/17t‑47, abgeändert hat, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00208.23A.1022.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Den Revisionen wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden – vorbehaltlich der rechtskräftigen Abweisung von einem Drittel von Zahlungs- und Feststellungsbegehren – aufgehoben und die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin betrieb eine Baurestmassendeponie, wo weder gefährliche noch flüssige Abfälle gelagert werden dürfen.

[2] Der Unternehmensgegenstand der Erstbeklagten ist die Entsorgung und Behandlung von Abfällen Dritter. Unter anderem lieferte sie auf Basis einer langjährigen Geschäftsbeziehung mit der Klägerin laufend Abfälle auf deren Deponie, zB Bauschutt, Sedimentationsschlamm oder Kanalräumgut. Der Zweitbeklagte war ihr abfall- und gewerberechtlicher Geschäftsführer, die Drittbeklagte ihre Komplementärin.

[3] Die Erstbeklagte bot einem Hersteller von Pflanzenschutzmitteln an, seine Waschwässer zu behandeln. Schon allein aufgrund der Herkunft der Waschwässer war davon auszugehen, dass dies flüssige, gefährliche und inhomogene Abfälle waren, die eine Vielzahl unterschiedlichster Substanzen, insbesondere Pestizide enthielten. In den Abwässern fand sich auch tatsächlich eine Mischung aus verschiedenen gesundheitsschädlichen, giftigen und sehr giftigen Pestiziden, Insektiziden und Fungiziden.

[4] Die Erstbeklagte musste feststellen, dass ihre Anlage (CP‑Anlage) für die chemisch-physikalische Behandlung der Pflanzenschutzwaschwässer unzureichend war. Sie hätte deshalb die Übernahme weiterer Waschwässer ablehnen und/oder diese einer teuren Behandlung in einer anderen CP‑Anlage oder der Verbrennung zuführen müssen.

[5] Stattdessen entschied der Zweitbeklagte als abfallrechtlicher Geschäftsführer der Erstbeklagten, die Waschwässer unter falscher Bezeichnung der Abfallart zur Baurestmassendeponie der Klägerin zu bringen, obwohl er wusste, dass dies für giftige und/oder flüssige Abfälle unzulässig war. Dass auf eine Deponie keine flüssigen Abfälle verbracht werden dürfen, gehört sogar zu den Grundkenntnissen aller in der Abfallwirtschaft tätigen Personen.

[6] Die Erstbeklagte brachte die unzureichend behandelten bzw unbehandelten Waschwässer zumindest vom 10. 5. 2013 bis 31. 7. 2014 in vielen Tankwagenfuhren zur Deponie der Klägerin und verwendete dafür Lieferscheine, die auf „Rückstände aus der Kanalreinigung“ oder „Sedimentationsschlamm Götschka-Tunnel“ lauteten. Beide Abfallarten hatte sie tatsächlich früher schon auf diese Deponie geliefert. Dies war relevant, weil bei Erstanlieferung auf eine Deponie ein Beurteilungsnachweis einer befugten Fachanstalt vorzuweisen ist, dass dieser Abfall dort deponiefähig ist.

[7] Die Klägerin wäre allerdings verpflichtet gewesen, den Beurteilungsnachweis für die angelieferten Abfälle auf Plausibilität zu prüfen und die Einhaltung der darin genannten Maximalmenge zu kontrollieren. Weiters hätte die Klägerin bei jeder einzelnen Ablagerung eine Sichtkontrolle durchzuführen gehabt. Dabei wäre mit freiem Auge erkennbar gewesen, dass die Erstbeklagte verbotenerweise flüssige Abfälle liefert. Die richtige Reaktion in einem solchen Fall wäre ein Anlieferstopp und eine Meldung an die zuständige Behörde über die Rücksendung gewesen. Dies hätte das spätere Eindringen der Waschwässer in das Grundwasser verhindert.

[8] Außerdem hätte die Klägerin alle Abfälle auf einer befestigten Zwischenlagerfläche abladen lassen und einer Eingangskontrolle unterziehen müssen. Tatsächlich gab es auf der Deponie der Klägerin nicht einmal ein solches Zwischenlager. Stattdessen ließ die Klägerin die Lkws der Erstbeklagten nur abwiegen und die Lkw-Fahrer der Erstbeklagten konnten ihre Fahrzeuge ohne Anwesenheit von Personal der Klägerin selbständig entladen.

[9] Überdies ließ die Klägerin die vorgeschriebenen jährlichen Dichtheitsprüfungen der hermetischen Wanne ihrer Deponie in den Jahren 2012, 2013 und 2014 nicht durchführen.

[10] Schließlich ließ die Klägerin das Sickerwasser der Deponie bei Erreichen einer entsprechenden Füllstandmenge einfach versickern, statt dieses wie vorgeschrieben erst zu analysieren und nur bei Unterschreiten der relevanten Grenzwerte versickern zu lassen.

[11] In den Untergrund und dann ins Grundwasser gelangte das Sickerwasser der Deponie der Klägerin über ein Rohrrigolenversickerungssystem, das weder den Regeln der Technik noch der Deponieverordnung entsprach. Das System war jedoch auf Basis eines aus heutiger Sicht unrichtigen hydrogeologischen Gutachtens behördlich genehmigt worden.

[12] Die in den von der Erstbeklagten angelieferten Waschwässern enthaltenen Substanzen verunreinigten das Sickerwasser der Deponie und beeinträchtigten in weiterer Folge das Grundwasser sowie das Trinkwasser der nächstgelegenen Ortsgemeinde massiv. Die Klägerin musste ihre Deponie schließen und zahlreiche Beseitigungs-, Reinigungs-, Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen durchführen. Diese werden noch Jahre andauern. Ohne technische Maßnahmen werden die Schadstoffe noch in vielen Jahren oder gar Jahrzehnten ein potentielles Risiko darstellen.

[13] Die Klägerin begehrt Schadenersatz sowie die Feststellung der Solidarhaftung aller drei Beklagten für künftige Schäden. Die Klägerin habe Aufwendungen gehabt, um durch Fachleute abklären zu lassen, ob die aufgetretene Grundwasserverunreinigung von ihrer Deponie herrühren könne; sowie, um durch Fremd- und Eigenleistungen die anschließend festgelegten behördlichen Auflagen zu erfüllen. Außerdem habe die Klägerin durch die Schließung ihrer Deponie Verdienstentgang und Zinsschäden aufgrund von daraus resultierendem Fremdfinanzierungsbedarf erlitten. An künftigen Schäden erwarte die Klägerin sowohl Kosten für die Erfüllung weiterer behördlicher Aufträge als auch Regressforderungen von Dritten, insbesondere den Privatbeteiligten im Umweltstrafverfahren, nämlich dem Land und der Gemeinde.

[14] Die Beklagten bestritten und brachten unter anderem vor, dass die Klägerin aufgrund der Verletzung ihrer eigenen Pflichten als Deponiebetreiberin das überwiegende Verschulden oder gar das Alleinverschulden treffe. Außerdem habe die Klägerin bereits Ende August/Anfang September 2014 die Pestizidbelastung ihrer Deponie gekannt und dennoch sechs- oder siebenmal wissentlich je über 1.000 m³ pestizidbelastetes Abwasser ins Grundwasser abgeleitet. Dies habe jedenfalls den Kausalzusammenhang zu möglichem schädigenden Verhalten der Beklagten unterbrochen.

[15] Das Erstgericht ging von einem Mitverschulden der Klägerin von einem Drittel aus. Mit Teil- und Zwischenurteil bejahte es die Haftung aller Beklagten für zwei Drittel des Zahlungsbegehrens dem Grunde nach und stellte die Solidarhaftung aller Beklagter für zwei Drittel der künftigen Schäden fest. Die darüber hinausgehenden Zahlungs- und Feststellungsmehrbegehren (im Umfang von einem Drittel) wies es unbekämpft ab. Zur Verschuldensteilung führte das Erstgericht aus, dass zwar sämtliche Verfahrensparteien gegen das AWG und die Deponieverordnung (DVO) als Schutzgesetze verstoßen hätten. Die Beklagten hätten aber wider besseren Wissens und mit falscher Dokumentation verbotene Abfälle auf der Deponie der Klägerin abgelagert, während die Klägerin ihre Kontrollpflichten als Deponiebetreiberin nur grob fahrlässig verletzt habe.

[16] Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung auf gleichteiliges Mitverschulden ab. Die Feststellungen des Erstgerichts würden für eine (bewusst) vorsätzliche Schadenszufügung der Beklagten nicht hinreichen, weil ihnen nicht entnommen werden könne, dass die Beklagten eine Schädigung der Klägerin billigend in Kauf genommen hätten. Beide Seiten hätten als Fachleute fernab der für sie geltenden Sorgfaltsmaßstäbe gehandelt, sodass ihr Verschulden gleich zu gewichten sei.

[17] Mit ihrer außerordentlichen Revision will die Klägerin die Wiederherstellung des Ersturteils erreichen. Die außerordentlichen Revisionen der Erstbeklagten einerseits und derZweit- und Drittbeklagten andererseits zielen auf eine gänzliche Klagsabweisung ab. Sämtliche Parteien stellen hilfsweise Anträge auf Aufhebung der Berufungsentscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an das Erstgericht.

[18] Alle Revisionsbeantwortungen beantragen die Zurück-, hilfsweise die Abweisung der Rechtsmittel der Gegenseite.

Rechtliche Beurteilung

[19] Die Revisionen sind zur Klarstellung der Rechtslage und Wahrung der Rechtseinheit zulässig und im Sinn der Aufhebungsanträge auch berechtigt.

I. Zur Revision der Klägerin:

[20] 1. Die Klägerin meint, dass das Berufungsgericht bei der Ausmittlung des Mitverschuldens in korrekturbedürftiger Weise von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweiche, weil nach den Feststellungen sehr wohl von vorsätzlichem Handeln der Beklagten auszugehen sei.

[21] 1.1. In der Diktion des § 1294 ABGB gründet die willkürliche Beschädigung sich in einer bösen Absicht, wenn der Schade mit Wissen und Willen anstatt nur aus schuldbarer Unwissenheit, oder aus Mangel der gehörigen Aufmerksamkeit, oder des gehörigen Fleißes verursacht worden ist. Damit reicht nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich schon Eventualvorsatz (dolus eventualis). Dieser liegt vor, wenn der Schädiger die Folgen seines rechtswidrigen Handelns ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet bzw diese in Kauf nimmt (RS0112127).

[22] 1.2. Gemäß § 1293 ABGB ist unter einem Schaden jeder Nachteil zu verstehen, welcher jemandem an Vermögen, Rechten oder seiner Person zugefügt worden ist.

[23] Der weite Schadensbegriff des ABGB umfasst nach ständiger Rechtsprechung jeden Zustand, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RS0022537). Dazu gehört für einen Deponiebetreiber offenkundig auch das unzulässige Vorhandensein von flüssigen, gefährlichen Abwässern auf seiner dafür nicht eingerichteten Deponie. Die Beklagten hatten nach den Feststellungen auch nicht ausnahmsweise Grund zur Annahme, dass die Klägerin diesen Zustand im konkreten Fall aufgrund besonderer Umstände nicht als nachteiliger bewerten werde als eine Deponie mit nur zulässigen Abfällen.

[24] Mit dem Eintritt dieses schädlichen Erfolgs für die Klägerin hat sich der Zweitbeklagte als abfallrechtlicher Geschäftsführer nach den Feststellungen des Erstgerichts nicht bloß abgefunden, vielmehr hat er diesen Zustand – zur Vermeidung der Kosten fachgerechter Entsorgung – aktiv herbeigeführt, indem er entschied und veranlasste, dass die giftigen Waschwässer mit unrichtiger Dokumentation auf die Deponie der Klägerin gebracht und dort abgelassen werden.

[25] Entgegen der Ansicht der Beklagten setzt eine vorsätzliche Schadenszufügung nicht voraus, dass der Zweitbeklagte auch das genaue Schadensausmaß wie zB die Höhe der künftigen Behebungskosten und/oder alle späteren Folgen wie die Verunreinigung des Grund- und Trinkwassers vorhersehen konnte.

[26] 1.3. Das Wissen und Wollen des Zweitbeklagten ist der Erstbeklagten zuzurechnen, da er bei der Deponierung der Waschwässer als deren abfallrechtlicher Geschäftsführer in seinem Zuständigkeitsbereich handelte (vgl RS0009113 zur Repräsentantenhaftung bei juristischen Personen).

[27] Die Haftung der drittbeklagten Komplementärin ergibt sich aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Stellung (§ 161 UGB).

[28] 1.4. Entgegen der hier im Einzelfall korrekturbedürftigen Ansicht des Berufungsgerichts (vgl RS0087606), sind die Feststellungen des Erstgerichts für die Annahme einer vorsätzlichen, ja sogar wissentlichen Schädigung der Klägerin durch die Beklagten daher ausreichend.

[29] 2. Unter diesen Voraussetzungen erweisen sich die Überlegungen des Berufungsgerichts zur Verschuldensteilung als unzutreffend.

[30] 2.1. Gemäß § 1304 ABGB trägt der Schädiger den Schaden nur verhältnismäßig, wenn auch ein Verschulden des Geschädigten vorliegt. Dabei kommt es vor allem auf die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahren, auf die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift für die Sicherheit des Verkehrs und auf den Grad der Fahrlässigkeit der beteiligen Personen an (RS0027389; RS0027466).

[31] Hat der Schädiger aber vorsätzlich gehandelt, führt in der Regel bloß fahrlässiges Handeln des Geschädigten nicht zu einer Schadensteilung: Die Zurechnung des Schadens zum Verantwortungsbereich des Schädigers überwiegt dann nämlich so stark, dass die Sorglosigkeit des Geschädigten in eigenen Angelegenheiten dem gegenüber nicht ins Gewicht fällt (vgl RS0016291).

[32] 2.2. Ob diese Rechtsprechung auch im vorliegenden Fall tatsächlich einschlägig ist, kann aufgrund von sekundären Feststellungsmängeln derzeit noch nicht beurteilt werden. Die Annahme der Vorinstanzen, dass die Klägerin sich (nur) grob fahrlässig verhalten habe, kann aus dem Sachverhalt des Ersturteils nämlich (noch) nicht abgeleitet werden:

[33] Nach den bisherigen Feststellungen des Erstgerichts haben sämtliche Parteien dieses Verfahrens zentrale Schutzgesetze zur Abfallbehandlung verletzt, die Mensch und Umwelt vor großen Schäden und Gefahren bewahren sollen (vgl § 1 Abs 1 Z 1 AWG). Die Klägerin verletzte nach den Feststellungen zahlreiche essenzielle Kontrollpflichten als Deponiebetreiberin, was große Risiken mit sich brachte. Daraus kann jedoch nur die objektive Rechts- und Sorgfaltswidrigkeit ihres Verhaltens abgeleitet werden.

[34] Dagegen fehlen Feststellungen zum Kenntnisstand der Klägerin von der Einhaltung oder Nichteinhaltung ihrer Pflichten sowie zu ihrer Einstellung gegenüber den möglichen Folgen ihrer zahlreichen Pflichtverletzungen. Insbesondere fehlen Feststellungen zum Vorbringen der Beklagten, dass die Klägerin Sickerwasser sogar noch nach positiver Kenntnis der Pestizidbelastung einfach ins Grundwasser versickern ließ (AS I‑240 unten).

[35] 3. Die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft. Sie liegt nicht vor.

II. Zu den Revisionen der Beklagten:

[36] 1. Alle Beklagte verneinen ihre Haftung wegen fehlender Kausalität. Sie hätten nicht mit so zahlreichen und groben Verstößen der Klägerin gegen das AWG und die DVO rechnen müssen. Das Dazwischentreten dieses willentlichen Handelns der Klägerin habe den Kausalzusammenhang zwischen jedem Verhalten der Beklagten und der Grundwasserverseuchung unterbrochen. Diese Lehre von der Unterbrechung des Kausalitätszusammenhangs sei entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keineswegs überholt.

[37] 1.1. Nach den Feststellungen des Erstgerichts verletzte die Erstbeklagte als Abfallbesitzerin der Waschwässer ihre Pflichten nach AWG 2002, 1. schädliche und nachteilige Einwirkungen auf Mensch, Tier und Pflanze sowie deren Lebensgrundlagen und natürliche Umwelt zu vermeiden (§ 1 Abs 1); 2. Abfälle, zu deren Abfallbehandlung sie nicht imstande ist, einem zur Sammlung oder Behandlung Berechtigten zu übergeben (§ 15 Abs 5); 3. gefährliche Abfälle nur in einer Untertagedeponie abzulagern (§ 16 Abs 1) und 4. gefährliche Abfälle nur mit entsprechendem Begleitschein einer anderen Person zu übergeben (§§ 18 ff).

[38] 1.2. Die Übertretung dieser Schutznormen macht für den dadurch adäquat verursachten Schaden haftbar, wobei die adäquate Kausalität vermutet wird (RS0022599). Die Adäquanz fehlt erst dann, wenn das schädigende Ereignis für den eingetretenen Schaden nach allgemeiner Lebenserfahrung gleichgültig ist und nur durch eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen eine Bedingung für den Schaden war (RS0098939). Selbst wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden dazu tritt, ist die Adäquanz zu bejahen, wenn nach den allgemeinen Erkenntnissen und Erfahrungen das Hinzutreten der weiteren Ursache, wenn auch nicht gerade normal, so doch wenigstens nicht gerade außergewöhnlich ist (RS0022546; RS0022918).

[39] 1.3. Richtig zeigen die Beklagten auf, dass auch das hinzutretende Verhalten eines Dritten Einfluss auf die Beurteilung der Adäquanz haben kann.

[40] 1.3.1. Wenn die weitere Ursache im Fehler eines Dritten liegt, scheidet die Haftung aber nur dann aus, wenn mit dem dadurch bedingten Geschehensablauf nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen war (RS0022621; RS0022575; RS0022590), er also außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag (RS0022940). Dies gilt insbesondere bei einer gewollten, rechtswidrigen Handlung des Dritten (RS0022940 [T4]).

[41] 1.3.2. Im vorliegenden Fall versahen die Beklagten die von ihnen zu behandelnden Abfälle wissentlich mit falscher Kennzeichnung und ließen sie wider besseren Wissens auf einer dafür ungeeigneten Deponie ab. Dass Personen einen Versuch verbotenen Verhaltens – wie die Beklagten – durch eine Täuschung Dritter (selbst trotz Kontrollmaßnahmen) erfolgreich verschleiern und dadurch vollenden können, liegt gerade nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung.

[42] 1.3.3. Die Argumentation der Beklagten, dass ihre geglückte Täuschung der Klägerin sie von jeglicher Haftung entbinde, verkennt den Schutzzweck der Kontrollpflichten in AWG und DVO.

[43] Die Kontrollpflichten der Klägerin als Deponiebetreiberin sollen die Umwelt und die Allgemeinheit schützen und nicht die Beklagten als gewerbliche Abfallbeseitiger von ihren eigenen Pflichten und Obliegenheiten als Abfallbesitzer entlasten (vgl 1 Ob 214/22k Rz 59 ff, insbes 62 – hier zu Überprüfung von Heizungsanlagen) oder gar die Beklagten vor Ansprüchen aus Schäden bewahren, die ihre eigenen rechtswidrigen Täuschungshandlungen herbeiführen.

[44] Dies gilt umso mehr als – anders als der Aggregatzustand – viele Eigenschaften von Abfällen mit bei den von einem Deponiebetreiber durchzuführenden Sicht- und Plausibilitätskontrollen gar nicht erkennbar sind. Weder aus Vorbringen noch Sachverhalt ergibt sich ein Hinweis, dass die Mitarbeiter der Klägerin bei gesetzmäßigem Vorgehen etwa auch die Gefährlichkeit und Giftigkeit hätten erkennen können.

[45] 1.4. Ob – wie von den Beklagten geltend gemacht – auch der Klägerin vorsätzliches Handeln zur Last fällt, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden:

[46] 1.4.1. Die Ansicht der Erstbeklagten, dass die Klägerin schon nach den bisherigen Verfahrensergebnissen zumindest mit Eventualvorsatz gehandelt habe, weil ihre Mitarbeiter hinsichtlich Farbe und Aggregatzustand des abgelassenen Materials „die Augen verschlossen“ hätten, entfernt sich von den Feststellungen des Erstgerichts.

[47] Es handelt sich bei diesen Worten nämlich nicht um eine Passage des Ersturteils, geschweige denn des von ihm festgestellten Sachverhalts. Vielmehr verwendet das Berufungsgericht diese Formulierung bei der Abhandlung der Rechtsrüge der Klägerin, die sich nicht einmal grob fahrlässiges Verhalten vorwerfen lassen will. Das Berufungsgericht nimmt dabei auf die Feststellung des Erstgerichts Bezug, dass schon bei einer bloßen Sichtkontrolle durch Deponiepersonal offensichtlich geworden wäre, dass der von den Beklagten angelieferte Abfall flüssig sei und damit nicht abgeladen werden dürfe. Dieses Verfahrensergebnis lasse nur zwei Schlussfolgerungen zu: entweder den (vom Erstgericht tatsächlich gezogenen) Schluss, dass die Mitarbeiter der Klägerin die Abfallanlieferungen nicht einmal stichprobenartig kontrolliert hatten; oder aber (den vom Erstgericht nicht gezogenen) Schluss, dass die Mitarbeiter der Klägerin bei den Kontrollen gezielt „die Augen verschlossen“ hätten.

[48] 1.4.2. Dasselbe gilt für die Argumentationslinie der Zweit- und Drittbeklagten, dass die Mitarbeiter der Klägerin den warnenden Passus „gefährliche Abfälle, flüssig“ auf den Lieferscheinen der Erstbeklagten ignoriert hätten. Schon das Berufungsgericht hat die Parteien ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie sich damit vom festgestellten Sachverhalt zum Inhalt der Lieferscheine entfernen.

[49] 1.4.3. Zu den sekundären Feststellungsmängeln in Zusammenhang mit der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit der Klägerin kann grundsätzlich auf die Ausführungen zur Revision der Klägerin verwiesen werden (Pkt I.2.2.).

[50] 1.5. Im Ergebnis kann das Mitverschulden der Klägerin daher erst nach den oben (Pkt I.2.2.) angeführten ergänzenden Feststellungen zur subjektiven Sorgfaltswidrigkeit der Klägerin beurteilt werden.

[51] 2. Dennoch können einige Rechtsirrtümer der Beklagten in Zusammenhang mit der Ermittlung des Mitverschuldens schon jetzt ausgeräumt werden:

[52] 2.1. Die Zweit- und Drittbeklagten meinen, dass sie bei einer Verschuldensteilung von 50 : 50 schon rechnerisch nur für je 16,6 % der Schäden solidarisch haften würden.

[53] Die von ihnen zitierten Entscheidungen (ua 2 Ob 24/16t) sind hier jedoch nicht einschlägig. Die Entscheidung 2 Ob 24/16t hat keinen Bezug zu einer Solidarschuld iSd § 891 ABGB, bei der jede Person für das Ganze haftet. Stattdessen geht es um fahrlässig handelnde Nebentäter, die gerade nicht solidarisch, sondern nur für die von ihnen verursachten Schadensanteile bzw nach Kopfteilen haften (§ 1302 ABGB).

[54] Im vorliegenden Fall stellt sich dagegen eine ganz andere Rechtsfrage, nämlich die nach der Zurechnung vom Verhalten Dritter. Tatsächlich Handlungen selbst gesetzt hat nämlich nur der Zweitbeklagte, als einzige natürliche Person unter den Beklagten.

[55] Die erstbeklagte Kommanditgesellschaft muss sich sein Verhalten als das ihres Repräsentanten zurechnen lassen (RS0009113).

[56] Die Drittbeklagte haftet als Komplementärin der erstbeklagten Kommanditgesellschaft für all deren Verbindlichkeiten unbeschränkt mit ihrem gesamten Vermögen (§ 161 UGB).

[57] Eine Mehrfachzählung des Verhaltens des Zweitbeklagten bei der Verschuldensteilung ist auch dann nicht vorgesehen, wenn verschiedene weitere Personen dafür haften, ohne dass ihnen (zusätzlich) eigenes Verschulden durch weitere Handlungen zur Last fällt (vgl die Haftung eines Bürgen; eines Kfz-Halters nach § 5 Abs 1 EKHG; eines Kfz-Haftpflichtversicherers § 26 KHVG; des Verbandes der Versicherungsunternehmen Österreichs nach § 62 Abs 1 KFG).

[58] 2.2. Unverständlich bleiben auch die Ausführungen zur Kulpakompensation nach § 878 ABGB. Diese kann bei Vertrauensschäden aufgrund anfänglicher Unmöglichkeit eines Vertrags vorgenommen werden. Ein Zusammenhang mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt ist nicht erkennbar. Insbesondere lassen die Rechtsmittel offen, wieso die von der Klägerin vertraglich geschuldete Leistung, nämlich die Entgegennahme von Rückständen aus der Kanalreinigung und Sedimentationsschlamm zur Lagerung auf einer Baurestmülldeponie, eine von der Rechtsordnung nicht vorgesehene Vereinbarung sein soll.

[59] 2.3. Richtig zeigen die Beklagten dagegen auf, dass das Mitverschulden für unterschiedliche Schadens-gruppen unterschiedlich zu beurteilen sein könnte; im vorliegenden Fall sind dies zum einen Schäden der Klägerin an ihrer Deponie und zum anderen Schäden Dritter durch das verunreinigte Grundwasser.

[60] Für die Schäden an der Deponie der Klägerin war die Einbringung der falsch deklarierten Waschwässer durch die Beklagten sowie die unzureichende Eingangskontrolle durch die Klägerin kausal.

[61] Dagegen hat die Verunreinigung von Grund- und Trinkwasser zusätzlich weitere Schadensursachen: die unzureichende Kontrolle der Deponie auf Dichtheit, das nicht den Untergrundverhältnissen entsprechende Versickerungssystem und die Versickerung der Sickerwässer ohne vorhergehende Analyse. Es ist denkbar, dass diese zusätzlichen Schadensursachen dazu führen, dass das Mitverschulden der Klägerin für Schäden an Grund- und Trinkwasser höher zu bewerten ist als für Schäden an der Deponie selbst, für die diese Pflichtverletzungen irrelevant sind. Dafür wird es insbesondere auch auf die noch ausständigen Feststellungen zur subjektiven Sorgfaltswidrigkeit der Klägerin ankommen.

[62] 3. Die Beklagten halten die Fällung eines Zwischenurteils für unzulässig, weil nicht festgestellt worden sei, dass auch nur eine der eingeklagten Positionen zu Recht bestehe.

[63] 3.1. Grundsätzlich ist die Frage, ob mit Zwischenurteil entschieden werden darf, eine prozessuale; ihre unrichtige Lösung begründet einen Verfahrensmangel erster Instanz, der in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden kann, wenn er – wie hier – vom Berufungsgericht verneint wurde (RS0040918 [T8, T18]). Dies gilt jedoch nicht für der rechtlichen Beurteilung zuzuordnende Feststellungsmängel zur Lösung der materiell-rechtlichen Frage der Anspruchsvoraussetzungen, deren rechtliche Beurteilung jedenfalls revisibel ist (RS0123877).

[64] 3.2. Wenn in einem Rechtsstreit ein Anspruch nach Grund und Betrag streitig und die Verhandlung zunächst bloß in Ansehung des Grundes zur Entscheidung reif ist, kann das Gericht gemäß § 393 Abs 1 ZPO vorab über den Grund des Anspruchs durch Urteil entscheiden (Zwischenurteil), auch wenn noch strittig ist, ob der Anspruch überhaupt mit irgendeinem Betrag zu Recht besteht.

[65] 3.3. Im vorliegenden Fall schlüsselt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren in hunderte Einzelpositionen für Eigenleistungen, Fremdleistungen und Materialaufwand zur Feststellung, Eindämmung und Beseitigung der Grundwasserbeeinträchtigung sowie Verdienstentgang und Zinsschäden auf.

[66] Bei einer solchen Anspruchshäufung kann ein Zwischenurteil schon dann gefällt werden, wenn auch nur ein Teilanspruch mit irgendeinem Betrag zu Recht besteht und die anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen auch für die anderen Teilansprüche zu bejahen sind (RS0041036), also wenn dadurch die den Grund des Globalanspruchs betreffenden strittigen Fragen geklärt werden (RS0041039).

[67] Diese Rechtsprechung hat aber nichts daran geändert, dass im Verfahren über den Grund des Anspruchs weiterhin alle Anspruchsvoraussetzungen geklärt und alle den Grund des Anspruchs betreffenden Einwendungen, somit also „die den Grund des Globalanspruchs betreffenden strittigen Fragen“ erledigt sein müssen (RS0040990). Zum Grund des Anspruchs gehören alle rechtserzeugenden Tatsachen, aus denen der Anspruch abgeleitet wird, und alle Einwendungen, die seinen Bestand berühren (RS0122728). Dazu zählen bei Schadenersatzansprüchen neben Verschulden und Rechtswidrigkeit auch der Kausalzusammenhang mit einer der in der Klage behaupteten Schadensfolgen, deren Eintritt an sich feststehen muss (RS0040945 [T2]).

[68] 3.4. Die Beklagten rügen in diesem Zusammenhang sekundäre Feststellungsmängel zum grundsätzlichen Kausalzusammenhang zwischen Handlungen der Erstbeklagten und Schäden der Klägerin. Die Revision legt aber nicht konkret dar, welche anderen Faktoren für die Verunreinigung von Deponie und Grundwasser kausal gewesen sein sollen.

[69] Nach dem Sachverhalt des Ersturteils sind die Grund- und Trinkwasserbeeinträchtigung, die Schließung der Deponie und die Sanierungsmaßnahmen ganz eindeutig auf die von der Erstbeklagten in zahlreichen Tankwagenfuhren über einen Zeitraum von mindestens 14 Monaten eingebrachten Waschwässer zurückzuführen. Entgegen den Ausführungen in den Revisionen sind Feststellungen zum exakten Volumen der eingebrachten Waschwässer nicht erforderlich, um die Kausalität des Verhaltens der Beklagten bejahen zu können.

[70] Damit ist die Kausalitätsfrage für die begehrten Kosten von Beseitigungsmaßnahmen der Klägerin schon in diesem Verfahrensstadium geklärt (vgl 6 Ob 163/05x). Ob jeder der hunderten Einzelposten erforderlich war, um die Verunreinigungen durch die von der Erstbeklagten deponierten Waschwässer zu beseitigen, muss nach der Rechtsprechung noch nicht geprüft werden, bevor ein Zwischenurteil erlassen werden kann (RS0041039). Auch die Dauer des Verdienstentgangs betrifft nicht den Grund, sondern die Höhe des Anspruchs (RS0040783).

[71] 3.5. Nichts anderes folgt aus der von den Beklagten zitierten Entscheidung 7 Ob 91/15f. Damals stand nur fest, dass die Klägerin verletzt wurde. Art und Ausmaß dieser Verletzungen standen ebenso wenig fest, wie ob die Klägerin Schmerzen hatte, ärztliche Hilfe und Heilbehelfe oder eine Haushaltshilfe brauchte. Der siebente Senat ging daher davon aus, dass Ansprüche auf Schmerzengeld; Kosten für ärztliche Behandlungen, Therapien und Medikamente; und Haushaltshilfe auch dem Grunde nach noch nicht beurteilt werden konnten.

[72] Im vorliegenden Fall dagegen steht klar fest, dass die Klägerin die Deponie schließen musste (Verdienstentgang) sowie zahlreiche verschiedene Maßnahmen getroffen wurden, die noch über Jahre hinweg fortzusetzen sein werden (Beseitigungsmaßnahmen).

[73] 3.6. Berechtigt ist der Einwand der Beklagten jedoch im Hinblick auf Sachverständigenkosten und Zinsschäden. Aus den Feststellungen des Erstgerichts kann noch nicht abgeleitet werden, ob der Klägerin diese Ansprüche zumindest dem Grunde nach entstanden sind.

[74] Das Erstgericht wird im zweiten Rechtsgang daher auch zum Grund dieser beiden Schäden geeignete Feststellungen oder Negativfeststellungen zu treffen haben (vgl 4 Ob 96/20a).

[75] 4. Der Zweitbeklagte argumentiert, dass er als abfallrechtlicher Geschäftsführer der Klägerin als Deponiebetreiberin nicht für eine Schutzgesetzverletzung hafte. Insbesondere würden die Pflichten des abfallrechtlichen Geschäftsführers im AWG nicht den Deponiebetreiber schützen, dem ja selbst korrespondierende Kontrollpflichten zugunsten der Allgemeinheit auferlegt würden.

[76] 4.1. Zu einer Außenhaftung des abfallrechtlichen Geschäftsführers für Schäden Dritter gibt es noch keine Rechtsprechung.

[77] Das Berufungsgericht bejahte diese Haftung unter Hinweis auf eine Entscheidung zur Außenhaftung des gewerberechtlichen Geschäftsführers. Der achte Senat hat in einer bisher vereinzelten Entscheidung eine Haftung des gewerberechtlichen Geschäftsführers gegenüber den Vertragspartnern des Gewerbetreibenden für die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften bejaht, weil dieser eine Überschreitung der Grenzen der Gewerbeberechtigung verhindern und damit auf mangelnde Sachkunde zurückzuführende Gefahren vermeiden soll (RS0131717 = 8 Ob 57/17s; ausdrücklich offen gelassen in 6 Ob 39/19g [Pkt 2.1]).

[78] Diese Entscheidung wurde vielfach veröffentlicht, glossiert und besprochen (RWZ 2017/81 S 383 [Wenger]; Zak 2017/714 [Wenger]; bau aktuell 2018, 39; GES 2017, 436; RdW 2018/129 S 162; Bergthaler, RdU‑U&T 2018, 25; Wagner, RdU‑U&T 2018, 26; Jus‑Extra OGH‑Z 6312; bbl 2018/31; ecolex 2018/71 [Reich‑Rohrwig]; RZ 2018 EÜ90; ZVR 2018/49 [Danzl, tabellarische Übersicht]; ZRB 2018, 63 [Wenusch, Fössl/Rebisant]; Ortner/Cetin, Haftung des gewerberechtlichen Geschäftsführers gegenüber Dritten [Teil I und II], ecolex 2018, 614 und 706; Told, Außenhaftung des gewerberechtlichen Geschäftsführers aufgrund Überschreitung der Gewerbeberechtigung? Zak 2018/423; Wiesinger, Die Verantwortlichkeit des gewerberechtlichen Geschäftsführers unter Berücksichtigung der jüngsten OGH-Judikatur, ZRB 2018, 91; Told, ÖJZ 2018/133; AnwBl 2019/52; Angyan/Pehm, Forum für Zivilrecht in Traunkirchen: OGH Cercle 2018, ÖJZ 2019/73; SZ 2017/111; MietSlg 69.200). Insbesondere wurde in Frage gestellt, ob der gewerberechtliche Geschäftsführer Dritten für Schäden aus jedwedem Verstoß gegen die Gewebeordnung haftet.

[79] Im vorliegenden Fall ist eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Entscheidung und dem Schrifttum dazu nicht erforderlich, weil die Haftung des Zweitbeklagten anhand der in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätze geprüft werden kann.

[80] 4.2. Neben der Haftung einer juristischen Person für das Handeln der ihr zuzurechnenden Erfüllungsgehilfen und Machthaber können auch diese handelnden natürlichen Personen dem Geschädigten selbst nach deliktischen Grundsätzen schadenersatzpflichtig werden (vgl RS0120155 zur sog Durchgriffs- oder Außenhaftung).

[81] Am einfachsten ist diese Haftung zu bejahen, wenn eigene Normen die unmittelbare Haftung gegenüber Dritten vorsehen, wie zB in § 10 Abs 4, § 26 Abs 2, § 56 Abs 3 und § 64 Abs 2 GmbHG, § 9 iVm § 80 BAO oder § 67 Abs 10 ASVG für die Außenhaftung von GmbH-Geschäftsführern (Walbert, Haftung von leitenden Angestellten und Geschäftsführern [2020] Rz 1.29 f).

[82] Jedoch kann sich eine unmittelbare Haftung auch aus der Verletzung von allgemeinen Schutzgesetzen iSd § 1311 ABGB ergeben, die einen bestimmten Personenkreis gegen die Verletzung seiner Rechtsgüter schützen (RS0027710). Haftungsvoraussetzung ist dabei, dass das übertretene Schutzgesetz den Machthaber persönlich (und nicht nur in seiner Funktion als Machthaber [Walbert, Haftung von leitenden Angestellten und Geschäftsführern {2020} Rz 1.31; vgl auch Illo Ortner/Cetin, Haftung des gewerberechtlichen Geschäftsführers gegenüber Dritten {Teil I}, ecolex 2018, 614]) verpflichtet und gerade (auch) dem Schutz des geschädigten Dritten dient (RS0027529).

[83] Auch die Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter kann nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen zur Außenhaftung führen (Walbert, Haftung von leitenden Angestellten und Geschäftsführern [2020] Rz 1.34).

[84] Und schließlich kann die Außenhaftung durch die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung eines Machthabers begründet werden (vgl 4 Ob 222/18b – hier: vorsätzliche Vereitelung der Vertragserfüllung durch einen Geschäftsführer; Leitner, Haftung des Machthabers für vorsätzliche Schädigung der Kunden der Gesellschaft, ecolex 2019, 561 – zB Genehmigung oder Veranlassung einer täuschenden Geschäftsstrategie; vgl Walbert, Haftung von leitenden Angestellten und Geschäftsführern [2020] Rz 1.34).

[85] 4.3. Nach den Feststellungen veranlasste der Zweitbeklagte wissentlich die unzulässige Ablagerung von giftigen Waschwässern auf der Deponie der Klägerin als Geschäftspartnerin der Erstbeklagten unter Verwendung falscher Dokumentation. Dieses Verhalten erfüllt die Kriterien der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, sodass schon daraus eine Außenhaftung des Zweitbeklagten gegenüber der Klägerin folgt.

[86] 4.4. Darüber hinaus sind auch Verletzungen von Schutzgesetzen durch den Zweitbeklagten als Normadressaten zu bejahen.

[87] 4.4.1. Der Zweitbeklagte hatte bei der Erstbeklagten die Stellung eines abfallrechtlichen Geschäftsführers inne. Ein solcher ist gemäß § 26 Abs 1 AWG idF BGBl I Nr 102/2002 zu bestellen, wenn die erlaubnispflichtige Tätigkeit der Sammlung und Behandlung von gefährlichen Abfällen nicht von einer natürlichen Person ausgeübt werden soll oder der Erlaubniswerber die in Bezug auf die auszuübende Tätigkeit erforderlichen fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht selbst nachweist. Der abfallrechtliche Geschäftsführer muss hauptberuflich tätig und in der Lage sein, sich im Betrieb entsprechend zu betätigen (§ 26 Abs 1 Z 3 AWG). Er ist nach Abs 3 „für die fachlich einwandfreie Ausübung der Tätigkeit gemäß Abs 1 und die Einhaltung der abfallrechtlichen Vorschriften, einschließlich abfallrechtlicher Genehmigungen, verantwortlich“. Dies umfasst auch die Einhaltung der Genehmigungen, die aufgrund des AWG erteilt wurden oder als solche gelten (1104 BlgNR 18. GP  22 zur Novelle BGBl I 2021/200).

[88] Er hat damit insbesondere nach dem AWG 2002 dafür zu sorgen, dass schädliche und nachteilige Einwirkungen auf Mensch, Tier und Pflanze sowie deren Lebensgrundlagen und natürliche Umwelt vermieden werden (§ 1 Abs 1); 2. Abfälle, zu deren Abfallbehandlung die Erstbeklagte nicht imstande ist, einem zur Sammlung oder Behandlung Berechtigten übergeben werden (§ 15 Abs 5); 3. gefährliche Abfälle nur in einer Untertagedeponie abgelagert werden (§ 16 Abs 1) und 4. gefährliche Abfälle nur mit entsprechendem Begleitschein einer anderen Person übergeben werden (§§ 18 ff).

[89] Die Verletzung dieser Pflichten ist auch verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert (§ 79 AWG; vgl auch Scheichl/Zauner/Berl, AWG 2002 [2015] § 26 Rz 12, zum Abfallbeauftragten).

[90] 4.4.2. Zusätzlich stellen die Bestimmungen der §§ 181b f StGB umweltgefährdendes Behandeln und Verbringen von Abfällen unter gerichtliche Strafe: Sie pönalisieren jeden, der vorsätzlich oder fahrlässig entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag Abfälle so sammelt, befördert, verwertet, beseitigt, diese Tätigkeiten betrieblich überwacht oder so kontrolliert, sodass dadurch 1. eine Gefahr für das Leben oder einer schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) eines anderen oder sonst für die Gesundheit oder körperliche Sicherheit einer größeren Zahl von Menschen; 2. eine Gefahr für den Tier- oder Pflanzenbestand in erheblichem Ausmaß; 3. eine lange Zeit andauernde Verschlechterung des Zustands eines Gewässers; 4. des Bodens oder der Luft oder ein Beseitigungsaufwand, der 50.000 Euro übersteigt; entstehen kann.

[91] Als Täter für die Fallvariante der betrieblichen Überwachung kommt insbesondere der abfallrechtliche Geschäftsführer in Betracht, dem gemäß § 26 Abs 3 AWG 2002 diese Überwachungsfunktion zukommt (Koller in Höpfel/Ratz, WK2 [2020] StGB § 181c Rz 11/4).

[92] Der abfallrechtliche Geschäftsführer ist damit selbst Normadressat der Pflichten nach dem AWG.

[93] 4.4.3. Als nächster Schritt ist zu überprüfen, ob es sich bei diesen Bestimmungen um Schutzgesetze handelt, die (auch) der Verhinderung von Schäden der Klägerin an ihrer Deponie und von Schäden Dritter an Grund- und Trinkwasser dienen.

[94] Der Schutzzweck einer Norm ergibt sich aus ihrem Inhalt. Das Gericht hat das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den in einem konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten wollte (RS0008775). Dabei genügt es, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist (RS0008775 [T2]).

[95] 4.4.4. Die Vorschriften des AWG sollen schädliche oder nachteilige Einwirkungen auf Mensch, Tier und Pflanze, deren Lebensgrundlagen und deren natürliche Umwelt vermeiden oder sonst das allgemeine menschliche Wohlbefinden beeinträchtigende Einwirkungen so gering wie möglich halten (§ 1 Abs 1 Z 1 AWG). Es handelt sich also eindeutig um ein Schutzgesetz (vgl Linder in Ennöckl/Raschauer/Wessely, Handbuch Umweltrecht3 [2019] Privates Umweltrecht – Ausgewählte Fragen des Nachbarrechts und der Umwelthaftung).

[96] Dass diese Bestimmungen nicht nur den Schutz der Umwelt oder des öffentlichen Interesses bezwecken, ergibt sich klar aus §§ 181b f StGB. Die einzelnen Ziffern lassen die geschützten Rechtsgüter gut erkennen (vgl Umweltstrafrecht [2023] Rz 73 ff). Neben dem Schutz der Umweltmedien Gewässer, Boden und Luft werden auch Rechtsgüter Dritter, nämlich Leben, Gesundheit oder körperliche Sicherheit von Menschen (Abs 1 Z 1) und Vermögensgegenstände in einem 50.000 Euro übersteigenden Ausmaß (Abs 1 Z 4) sogar vor einer nur potentiellen (abstrakten) Gefährdung geschützt (Manhart in Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch [20. Lfg 2009] § 180 StGB Rz 5).

[97] Entgegen der Ansicht der Beklagten besteht deshalb auch kein Grund, in der Abfallwirtschaft tätige Personen aus dem Schutzbereich auszuklammern. Die Anführung von 50.000 Euro übersteigendem Beseitigungsaufwand zeigt klar, dass diese Norm auch (all) jene schützen soll, denen durch das umweltgefährdende Verbringen von Abfällen ein erheblicher Beseitigungsaufwand entsteht.

[98] Ebenso geschützt sind jene (möglicherweise gegenüber der Klägerin Regressberechtigte), deren gesetzliche Aufgabe die Wiederherstellung oder Verbesserung des Zustands des verunreinigten Grundwassers ist (vgl 6 Ob 229/16v – hier Schutz finanzieller Interessen der Personen, die die Wiederbeschaffung eines Luchses als Tierbestand eines Nationalparks; RS0131154). Sander/Tober, sprechen in diesem Zusammenhang von einem reinen Ökoschaden (Perner/Velisek in Sander/Tober, Umweltstrafrecht [2023] Rz 77).

[99] Die von der Zweit- und Drittbeklagten unter Berufung auf Manhart vertretene Ansicht, dass es sich bei einer Deponie selbst um kein Umweltmedium handle, lässt sich weder aus der zitierten Fundstelle Manhart/Pillichshammer in Wess, Wirtschaftsstrafrecht2 (2023) § 181 StGB Rz 5 ableiten, noch kommt ihr hier Relevanz zu.

[100] 4.5. Damit haftet der Zweitbeklagte der Klägerin und – je nach den Ergebnissen zur subjektiven Sorgfaltswidrigkeit der Klägerin im zweiten Rechtsgang – allenfalls auch jenen, die durch das verunreinigte Grund- und Trinkwasser geschädigt sind.

[101] 5. Die Erstbeklagte rügt als Verfahrensmangel und Aktenwidrigkeit, dass das Berufungsgericht von ihr in der Berufung begehrte Feststellungen nicht getroffen habe.

[102] 5.1. Konkret rügt sie, dass eine konkrete Feststellung zur Anlieferung der Waschwässer auf die Deponie nicht durch eine Negativfeststellung ersetzt wurde.

[103] Eine mangelhafte und unzureichende Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht angefochten werden. Jedoch ist das Berufungsverfahren selbst mangelhaft, wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisfrage überhaupt nicht befasst (RS0043371), etwa weil es unrichtiger Weise eine Tatsachenrüge für nicht gesetzmäßig ausgeführt oder ergänzend gewünschte Feststellungen für nicht durch entsprechendes erstinstanzliches Tatsachenvorbringen gedeckt hält (RS0043371 [T19]).

[104] Ein dem Berufungsgericht unterlaufener Verfahrensverstoß bildet aber nur dann den Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO, wenn er abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz herbeizuführen (RS0043027; vgl auch RS0116273). Der Rechtsmittelwerber hat diese Erheblichkeit des Mangels darzulegen (RS0043027 [T6, T10]).

[105] Entgegen der Ansicht der Beklagten würde auch die begehrte Negativfeststellung nicht dazu führen, dass die Verunreinigung der Deponie durch Waschwässer nicht mehr mit den Beklagten in Verbindung gebracht werden könnte. Dies ergibt sich nämlich auch aus anderen Passagen des Sachverhalts, zB „Das Ablassen der *-Waschwässer durch die LKW-Fahrer der erstbeklagten Partei auf der Baurestmassendeponie * erfolgte ohne Beisein irgendeines Personals der klagenden Partei“ (Ersturteil S 14 Abs 2).

[106] 5.2. Weitere gewünschte Feststellungen führt die Erstbeklagte in ihrer Revision nicht konkret an, sondern verweist nur auf bestimmte Abschnitte der Berufung. Es ist jedoch nicht zulässig, sich bei Ausführung einer Revision mit dem Hinweis auf Ausführungen in einem anderen Schriftsatz, etwa der Berufung zu begnügen (RS0043616).

III. Zusammenfassung für das weitere Verfahren

[107] 1. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren – allenfalls nach Verfahrensergänzung – aussagekräftige Feststellungen (oder Negativfeststellungen) zur subjektiven Sorgfaltswidrigkeit der Klägerin bzw ihr zuzurechnender Personen zu treffen haben.

[108] 2. Darüber hinaus wird das Erstgericht auch für ein Zwischenurteil Feststellungen zum Grund aller Ansprüche treffen müssen – konkret also, ob der Klägerin dem Grunde nach Fremdfinanzierungs- und Sachverständigenkosten entstanden sind.

[109] 3. Als abgeschlossener Streitpunkt ist dagegen anzusehen, dass der Zweitbeklagte auf der Deponie der Klägerin wissentlich verbotenerweise die Waschwässer der Erstbeklagten ablagern ließ.

IV. Kosten

[110] Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

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